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Dieses eBook: "Philosophische Schriften: Über die ästhetische Erziehung des Menschen + Über das Erhabene + Über Anmuth und Würde + Philosophische Briefe und mehr" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Friedrich Schiller (1759-1805), war ein deutscher Dichter, Philosoph und Historiker. Er vertrat das Ideal einer Moralität, das Neigung und Pflicht zu verbinden suchte. Diese Möglichkeit sah er im Bereich des Ästhetischen. Durch die Kunst sollten sich die geistigen und sinnlichen Kräfte harmonisch ausbilden. Die Ästhetik sei der Weg, über den der sinnliche Mensch vernünftig gemacht werde."In einer schönen Seele ist es also, wo Sinnlichkeit und Vernunft, Pflicht und Neigung harmonisieren, und Grazie ist ihr Ausdruck in der Erscheinung." Im Hinblick auf die Doppelnatur des Menschen als Gefühls- und Vernunftwesen wollte Schiller die menschliche Schönheit am Begriffspaar Anmut und Würde erklären (Über Anmuth und Würde). Schillers emphatisches Anliegen war, den kantischen Dualismus zwischen der physischen und der geistig-vernünftigen Natur des Menschen in einer Synthese der "schönen Seele" zu versöhnen, bei der Pflicht und Neigung harmonierten. Über Anmuth und Würde wies bereits auf das philosophisch-ästhetische Hauptwerk Über die ästhetische Erziehung des Menschen voraus. Inhalt: Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet Gedanken über den Gebrauch des Gemeinen und Niedrigen in der Kunst Über Anmuth und Würde Über das Pathetische Über das Erhabene Über den Grund des Vergnügens an tragischen Gegenständen Über den moralischen Nutzen ästhetischer Sitten Über den Zusammenhang der thierischen Natur des Menschen mit seiner geistigen Über die ästhetische Erziehung des Menschen Über die nothwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen Über die tragische Kunst Zerstreute Betrachtungen über verschiedene ästhetische Gegenstände Philosophische Briefe
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Über das Pathetische + Über die nothwendigen Grenzen beim Gebrauch schöner Formen + Zerstreute Betrachtungen über verschiedene ästhetische Gegenstände + Über naive und sentimentalische Dichtung...
Inhaltsverzeichnis
(Vorgelesen bei einer öffentlichen Sitzung der kurfürstlichen deutschen Gesellschaft zu Mannheim im Jahr 1784.)
Ein allgemeiner, unwiderstehlicher Hang nach dem Neuen und Außerordentlichen, ein Verlangen, sich in einem leidenschaftlichen Zustande zu fühlen, hat, nach Sulzers Bemerkung, der Schaubühne die Entstehung gegeben. Erschöpft von den höheren Anstrengungen des Geistes, ermattet von den einförmigen, oft niederdrückenden Geschäften des Berufs und von Sinnlichkeit gesättigt, mußte der Mensch eine Leerheit in seinem Wesen fühlen, die dem ewigen Trieb nach Thätigkeit zuwider war. Unsre Natur, gleich unfähig, länger im Zustande des Thiers fortzudauern, als die feinern Arbeiten des Verstandes fortzusetzen, verlangte einen mittleren Zustand, der beide widersprechende Enden vereinigte, die harte Spannung zu sanfter Harmonie herabstimmte und den wechselweisen Uebergang eines Zustandes in den andern erleichterte. Diesen Nutzen leistet überhaupt nun der ästhetische Sinn oder das Gefühl für das Schöne. Da aber eines weisen Gesetzgebers erstes Augenmerk sein muß, unter zwei Wirkungen die höchste heraus zu lesen, so wird er sich nicht begnügen, die Neigungen seines Volks nur entwaffnet zu haben; er wird sie auch, wenn es irgend nur möglich ist, als Werkzeug höherer Plane gebrauchen und in Quellen von Glückseligkeit zu verwandeln bemüht sein, und darum wählte er vor allen andern die Bühne, die dem nach Thätigkeit dürstenden Geist einen unendlichen Kreis eröffnet, jeder Seelenkraft Nahrung gibt, ohne eine einzige zu überspannen, und die Bildung des Verstandes und des Herzens mit der edelsten Unterhaltung vereinigt.
Derjenige, welcher zuerst die Bemerkung machte, daß eines Staats festeste Säule Religion sei – daß ohne sie die Gesetze selbst ihre Kraft verlieren, hat vielleicht, ohne es zu wollen oder zu wissen, die Schaubühne von ihrer edelsten Seite vertheidigt. Eben diese Unzulänglichkeit, die schwankende Eigenschaft der politischen Gesetze, welche dem Staat die Religion unentbehrlich macht, bestimmt auch den sittlichen Einfluß der Bühne. Gesetze, wollte er sagen, drehen sich nur um verneinende Pflichten – Religion dehnt ihre Forderungen auf wirkliches Handeln aus. Gesetze hemmen nur Wirkungen, die den Zusammenhang der Gesellschaft auflösen – Religion befiehlt solche, die ihn inniger machen. Jene herrschen nur über die offenbaren Aeußerungen des Willens, nur Thaten sind ihnen unterthan – diese setzt ihre Gerichtsbarkeit bis in die verborgensten Winkel des Herzens fort und verfolgt den Gedanken bis an die innerste Quelle. Gesetze sind glatt und geschmeidig, wandelbar wie Laune und Leidenschaft – Religion bindet streng und ewig. Wenn wir nun aber auch voraussetzen wollten, was nimmermehr ist – wenn wir der Religion diese große Gewalt über jedes Menschenherz einräumen, wird sie oder kann sie die ganze Bildung vollenden? – Religion (ich trenne hier ihre politische Seite von ihrer göttlichen), Religion wirkt im Ganzen mehr auf den sinnlichen Theil des Volks – sie wirkt vielleicht durch das Sinnliche allein so unfehlbar. Ihre Kraft ist dahin, wenn wir ihr dieses nehmen – und wodurch wirkt die Bühne? Religion ist dem größern Theile der Menschen nichts mehr, wenn wir ihre Bilder, ihre Probleme vertilgen, wenn wir ihre Gemälde von Himmel und Hölle zernichten – und doch sind es nur Gemälde der Phantasie, Räthsel ohne Auflösung, Schreckbilder und Lockungen aus der Ferne. Welche Verstärkung für Religion und Gesetze, wenn sie mit der Schaubühne in Bund treten, wo Anschauung und lebendige Gegenwart ist, wo Laster und Tugend, Glückseligkeit und Elend, Thorheit und Weisheit in tausend Gemälden faßlich und wahr an dem Menschen vorübergehen, wo die Vorsehung ihre Räthsel auflöst, ihren Knoten vor seinen Augen entwickelt, wo das menschliche Herz auf den Foltern der Leidenschaft seine leisesten Regungen beichtet, alle Larven fallen, alle Schminke verfliegt und die Wahrheit unbestechlich wie Rhadamanthus Gericht hält.
Die Gerichtsbarkeit der Bühne fängt an, wo das Gebiet der weltlichen Gerichte sich endigt. Wenn die Gerechtigkeit für Gold verblindet und im Solde der Laster schwelgt, wenn die Frevel der Mächtigen ihrer Ohnmacht spotten und Menschenfurcht den Arm der Obrigkeit bindet, übernimmt die Schaubühne Schwert und Wage und reißt die Laster vor einen schrecklichen Richterstuhl. Das ganze Reich der Phantasie und Geschichte, Vergangenheit und Zukunft stehen ihrem Wink zu Gebot. Kühne Verbrecher, die längst schon im Staub vermodern, werden durch den allmächtigen Ruf der Dichtkunst jetzt vorgeladen und wiederholen zum schauervollen Unterricht der Nachwelt ein schändliches Leben. Ohnmächtig, gleich den Schatten in einem Hohlspiegel, wandeln die Schrecken ihres Jahrhunderts vor unsern Augen vorbei, und mit wollüstigem Entsetzen verfluchen wir ihr Gedächtniß. Wenn keine Moral mehr gelehrt wird, keine Religion mehr Glauben findet, wenn kein Gesetz mehr vorhanden ist, wird uns Medea noch anschauern, wenn sie die Treppen des Palastes herunter wankt und der Kindermord jetzt geschehen ist. Heilsame Schauer werden die Menschheit ergreifen, und in der Stille wird jeder sein gutes Gewissen preisen, wenn Lady Macbeth, eine schreckliche Nachtwandlerin, ihre Hände wäscht und alle Wohlgerüche Arabiens herbeiruft, den häßlichen Mordgeruch zu vertilgen. So gewiß sichtbare Darstellung mächtiger wirkt, als todter Buchstabe und kalte Erzählung, so gewiß wirkt die Schaubühne tiefer und dauernder als Moral und Gesetze.
Aber hier unterstützt sie die weltliche Gerechtigkeit nur – ihr ist noch ein weiteres Feld geöffnet. Tausend Laster, die jene ungestraft duldet, straft sie; tausend Tugenden, wovon jene schweigt, werden von der Bühne empfohlen. Hier begleitet sie die Weisheit und die Religion. Aus dieser reinen Quelle schöpft sie ihre Lehren und Muster und kleidet die strenge Pflicht in ein reizendes, lockendes Gewand. Mit welch herrlichen Empfindungen, Entschlüssen, Leidenschaften schwellt sie unsere Seele, welche göttliche Ideale stellt sie uns zur Nacheiferung aus! – Wenn der gütige August dem Verräther Cinna, der schon den tödtlichen Spruch auf seinen Lippen zu lesen meint, groß wie seine Götter, die Hand reicht: »Laß uns Freunde sein, Cinna!« – wer unter der Menge wird in dem Augenblick nicht gern seinem Todfeind die Hand drücken wollen, dem göttlichen Römer zu gleichen? – Wenn Franz von Sickingen, auf dem Wege, einen Fürsten zu züchtigen und für fremde Rechte zu kämpfen, unversehens hinter sich schaut und den Rauch aufsteigen sieht von seiner Feste, wo Weib und Kind hilflos zurückblieben, und er – weiter zieht, Wort zu halten – wie groß wird mir da der Mensch, wie klein und verächtlich das gefürchtete unüberwindliche Schicksal!
Eben so häßlich, als liebenswürdig die Tugend, malen sich die Laster in ihrem furchtbaren Spiegel ab. Wenn der hilflos kindische Lear in Nacht und Ungewitter vergebens an das Haus seiner Töchter pocht, wenn er sein weißes Haar in die Lüfte streut und den tobenden Elementen erzählt, wie unnatürlich seine Regan gewesen, wenn sein wüthender Schmerz zuletzt in den schrecklichen Worten von ihm strömt: »Ich gab euch alles!« – wie abscheulich zeigt sich uns da der Undank? wie feierlich geloben wir Ehrfurcht und kindliche Liebe! –
Aber der Wirkungskreis der Bühne dehnt sich noch weiter aus. Auch da, wo Religion und Gesetze es unter ihrer Würde achten, Menschenempfindungen zu begleiten, ist sie für unsere Bildung noch geschäftig. Das Glück der Gesellschaft wird eben so sehr durch Thorheit als durch Verbrechen und Laster gestört. Eine Erfahrung lehrt es, die so alt ist als die Welt, daß im Gewebe menschlicher Dinge oft die größten Gewichte an den kleinsten und zärtesten Fäden hangen und, wenn wir Handlungen zu ihrer Quelle zurück begleiten, wir zehnmal lächeln müssen, ehe wir uns einmal entsetzen. Mein Verzeichniß von Bösewichtern wird mit jedem Tag, den ich älter werde, kürzer und mein Register von Thoren vollzähliger und länger. Wenn die ganze moralische Verschuldung des einen Geschlechtes aus einer und eben der Quelle hervorspringt, wenn alle die ungeheuren Extreme von Laster, die es jemals gebrandmarkt haben, nur veränderte Formen, nur höhere Grade einer Eigenschaft sind, die wir zuletzt alle einstimmig belächeln und lieben, warum sollte die Natur bei dem andern Geschlecht nicht die nämlichen Wege gegangen sein? Ich kenne nur ein Geheimniß, den Menschen vor Verschlimmerung zu bewahren, und dieses ist – sein Herz gegen Schwächen zu schützen.
Einen großen Theil dieser Wirkung können wir von der Schaubühne erwarten. Sie ist es, die der großen Klasse von Thoren den Spiegel vorhält und die tausendfachen Formen derselben mit heilsamem Spott beschämt. Was sie oben durch Rührung und Schrecken wirkt, leistet sie hier (schneller vielleicht und unfehlbarer) durch Scherz und Satire. Wenn wir es unternehmen wollten, Lustspiel und Trauerspiel nach dem Maß der erreichten Wirkung zu schätzen, so würde vielleicht die Erfahrung dem ersten den Vorrang geben. Spott und Verachtung verwunden den Stolz der Menschen empfindlicher, als Verabscheuung sein Gewissen foltert. Vor dem Schrecklichen verkriecht sich unserer Feigheit, aber eben diese Feigheit überliefert uns dem Stachel der Satire. Gesetz und Gewissen schützen uns oft vor Verbrechen und Lastern – Lächerlichkeiten verlangen einen eigenen feinern Sinn, den wir nirgends mehr als vor dem Schauplatz üben. Vielleicht, daß wir einen Freund bevollmächtigen, unsre Sitten und unser Herz anzugreifen, aber es kostet uns Mühe, ihm ein einziges Lachen zu vergeben. Unsere Vergehungen ertragen einen Aufseher und Richter, unsre Unarten kaum einen Zeugen. – Die Schaubühne allein kann unsre Schwächen belachen, weil sie unsrer Empfindlichkeit schont und den schuldigen Thoren nicht wissen will. Ohne roth zu werden, sehen wir unsre Larve aus ihrem Spiegel fallen und danken insgeheim für die sanfte Ermahnung.
Aber ihr großer Wirkungskreis ist noch lange nicht geendigt. Die Schaubühne ist mehr als jede andere öffentliche Anstalt des Staats eine Schule der praktischen Weisheit, ein Wegweiser durch das bürgerliche Leben, ein unfehlbarer Schlüssel zu den geheimsten Zugängen der menschlichen Seele. Ich gebe zu, daß Eigenliebe und Abhärtung des Gewissens nicht selten ihre beste Wirkung vernichten, daß sich noch tausend Laster mit frecher Stirne vor ihrem Spiegel behaupten, tausend gute Gefühle vom kalten Herzen des Zuschauers fruchtlos zurückfallen – ich selbst bin der Meinung, daß vielleicht Molières Harpagon noch keinen Wucherer besserte, daß der Selbstmörder Beverley noch wenige seiner Brüder von der abscheulichen Spielsucht zurückzog, daß Karl Moors unglückliche Räubergeschichte die Landstraßen nicht viel sicherer machen wird – aber wenn wir auch diese große Wirkung der Schaubühne einschränken, wenn wir sie ungerecht sein wollen, sie gar aufzuheben – wie unendlich viel bleibt noch von ihrem Einfluß zurück? Wenn sie die Summe der Laster weder tilgt noch vermindert, hat sie uns nicht mit denselben bekannt gemacht? – Mit diesen Lasterhaften, diesen Thoren müssen wir leben. Wir müssen ihnen ausweichen oder begegnen; wir müssen sie untergraben oder ihnen unterliegen. Jetzt aber überraschen sie uns nicht mehr. Wir sind auf ihre Anschläge vorbereitet. Die Schaubühne hat uns das Geheimniß verrathen, sie ausfindig und unschädlich zu machen. Sie zog dem Heuchler die künstliche Maske ab und entdeckte das Netz, womit uns List und Kabale umstrickten. Betrug und Falschheit riß sie aus krummen Labyrinthen hervor und zeigte ihr schreckliches Angesicht dem Tag. Vielleicht, daß die sterbende Sara nicht einen Wollüstling schreckt, daß alle Gemälde gestrafter Verführung seine Gluth nicht erkälten, und daß selbst die verschlagene Spielerin diese Wirkung ernstlich zu verhüten bedacht ist – glücklich genug, daß die arglose Unschuld jetzt seine Schlingen kennt, daß die Bühne sie lehrt seinen Schwüren mißtrauen und vor seiner Anbetung zittern.
Nicht bloß auf Menschen und Menschencharakter, auch auf Schicksale macht uns die Schaubühne aufmerksam und lehrt uns die große Kunst, sie zu ertragen. Im Gewebe unsers Lebens spielen Zufall und Plan eine gleich große Rolle; den letztern lenken wir, dem ersten müssen wir uns blind unterwerfen. Gewinn genug, wenn unausbleibliche Verhängnisse uns nicht ganz ohne Fassung finden, wenn unser Muth, unsre Klugheit sich einst schon in ähnlichen übten und unser Herz zu dem Schlag sich gehärtet hat. Die Schaubühne führt uns eine mannigfaltige Scene menschlicher Leiden vor. Sie zieht uns künstlich in fremde Bedrängnisse und belohnt uns das augenblickliche Leiden mit wollüstigen Thränen und einem herrlichen Zuwachs an Muth und Erfahrung. Mir ihr folgen wir der verlassenen Ariadne durch das wiederhallende Naxos, steigen mit ihr in den Hungerthurm Ugolino’s hinunter, betreten mit ihr das entsetzliche Blutgerüst und behorchen mit ihr die feierliche Stunde des Todes. Hier hören wir, was unsre Seele in leisen Ahnungen fühlte, die überraschte Natur laut und unwidersprechlich bekräftigen. Im Gewölbe des Towers verläßt den betrogenen Liebling die Gunst seiner Königin. – Jetzt, da er sterben soll, entfliegt dem geängstigten Moor seine treulose sophistische Weisheit. Die Ewigkeit entläßt einen Todten, Geheimnisse zu offenbaren, die kein Lebendiger wissen kann, und der sichere Bösewicht verliert seinen letzten gräßlichen Hinterhalt, weil auch Gräber noch ausplaudern.
Aber nicht genug, daß uns die Bühne mit Schicksalen der Menschheit bekannt macht, sie lehrt uns auch gerechter gegen den Unglücklichen sein und nachsichtsvoller über ihn richten. Dann nur, wenn wir die Tiefe seiner Bedrängnisse ausmessen, dürfen wir das Urtheil über ihn aussprechen. Kein Verbrechen ist schändender, als das Verbrechen des Diebs – aber mischen wir nicht alle eine Thräne des Mitleids in unsern Verdammungsspruch, wenn wir uns in den schrecklichen Drang verlieren, worin Eduard Ruhberg die That vollbringt? – Selbstmord wird allgemein als Frevel verabscheut; wenn aber, bestürmt von den Drohungen des wüthenden Vaters, bestürmt von Liebe, von der Vorstellung schrecklicher Klostermauern, Mariane den Gift trinkt, er von uns will der Erste sein, der über dem beweinenswürdigen Schlachtopfer einer verruchten Maxime den Stab bricht? – Menschlichkeit und Duldung fangen an, der herrschende Geist unsrer Zeit zu werden; ihre Strahlen sind bis in die Gerichtssäle und noch weiter – in das Herz unsrer Fürsten gedrungen. Wie viel Antheil an diesem göttlichen Werk gehört unsern Bühnen? Sind sie es nicht, die den Menschen mit dem Menschen bekannt machten und das geheime Räderwerk aufdeckten, nach welchem er handelt?
Eine merkwürdige Klasse von Menschen hat Ursache, dankbarer als alle übrigen gegen die Bühne zu sein. Hier nur hören die Großen der Welt, was sie nie oder selten hören – Wahrheit; was sie nie oder selten sehen, sehen sie hier – den Menschen.
So groß und vielfach ist das Verdienst der bessern Bühne um die sittliche Bildung; kein geringeres gebührt ihr um die ganze Aufklärung des Verstandes. Eben hier in dieser höhern Sphäre weiß der große Kopf, der feurige Patriot sie erst ganz zu gebrauchen.
Er wirft einen Blick durch das Menschengeschlecht, vergleicht Völker mit Völkern, Jahrhunderte mit Jahrhunderten und findet, wie sklavisch die größere Masse des Volks an Ketten des Vorurtheils und der Meinung gefangen liegt, die seiner Glückseligkeit ewig entgegenarbeiten – daß die reinern Strahlen der Wahrheit nur wenige einzelne Köpfe beleuchten, welche den kleinen Gewinn vielleicht mit dem Aufwand eines ganzen Lebens erkauften. Wodurch kann der weise Gesetzgeber die Nation derselben theilhaftig machen?
Die Schaubühne ist der gemeinschaftliche Kanal, in welchen von dem denkenden, bessern Theile des Volks das Licht der Weisheit herunterströmt und von da aus in milderen Strahlen durch den ganzen Staat sich verbreitet. Richtigere Begriffe, geläuterte Grundsätze, reinere Gefühle fließen von hier durch alle Adern des Volks; der Nebel der Barbarei, des finstern Aberglaubens verschwindet, die Nacht weicht dem siegenden Licht. Unter so vielen herrlichen Früchten der bessern Bühne will ich nur zwei auszeichnen. Wie allgemein ist nur seit wenigen Jahren die Duldung der Religionen und Sekten geworden? – Noch ehe uns Nathan der Jude und Saladin der Saracene beschämten und die göttliche Lehre uns predigten, daß Ergebenheit in Gott von unserm Wähnen über Gott so gar nicht abhängig sei – ehe noch Joseph der Zweite die fürchterliche Hyder des frommen Hasses bekämpfte, pflanzte die Schaubühne Menschlichkeit und Sanftmuth in unser Herz, die abscheulichen Gemälde heidnischer Pfaffenwuth lehrten uns Religionshaß vermeiden – in diesem schrecklichen Spiegel wusch das Christenthum seine Flecken ab. Mit eben so glücklichem Erfolge würden sich von der Schaubühne Irrthümer der Erziehung bekämpfen lassen; das Stück ist noch zu hoffen, Wo dieses merkwürdige Thema behandelt wird. Keine Angelegenheit ist dem Staat durch ihre Folgen so wichtig als diese, und doch ist keine so preisgegeben, keine dem Wahne, dem Leichtsinn des Bürgers so uneingeschränkt anvertraut, wie es diese ist. Nur die Schaubühne könnte die unglücklichen Schlachtopfer vernachlässigter Erziehung in rührenden, erschütternden Gemälden an ihm vorüberführen; hier könnten unsre Väter eigensinnigen Maximen entsagen, unsre Mütter vernünftiger lieben lernen. Falsche Begriffe führen das beste Herz des Erziehers irre; desto schlimmer, wenn sie sich noch mit Methode brüsten und den zarten Schößling in Philanthropinen und Gewächshäusern systematisch zu Grunde richten.
Nicht weniger ließen sich – verstünden es die Oberhäupter und Vormünder des Staats – von der Schaubühne aus die Meinungen der Nation über Regierung und Regenten zurechtweisen. Die gesetzgebende Macht spräche hier durch fremde Symbole zu dem Unterthan, verantwortete sich gegen seine Klagen, noch ehe sie laut werden, und bestäche seine Zweifelsucht, ohne es zu scheinen. Sogar Industrie und Erfindungsgeist könnten und würden vor dem Schauplatz Feuer fangen, wenn die Dichter es der Mühe werth hielten, Patrioten zu sein, und der Staat sich herablassen wollte, sie zu hören.
Unmöglich kann ich hier den großen Einfluß übergehen, den eine gute stehende Bühne auf den Geist der Nation haben würde. Nationalgeist eines Volks nenne ich die Aehnlichkeit und Uebereinstimmung seiner Meinungen und Neigungen bei Gegenständen, worüber eine andere Nation anders meint und empfindet. Nur der Schaubühne ist es möglich, diese Uebereinstimmung in einem hohen Grad zu bewirken, weil sie das ganze Gebiet des menschlichen Wissens durchwandert, alle Situationen des Lebens erschöpft und in alle Winkel des Herzens hinunter leuchtet; weil sie alle Stände und Klassen in sich vereinigt und den gebahntesten Weg zum Verstand und zum Herzen hat. Wenn in allen unsern Stücken ein Hauptzug herrschte, wenn unsre Dichter unter sich einige werden und einen festen Bund zu diesem Endzweck errichten wollten – wenn strenge Auswahl ihre Arbeiten leitete, ihr Pinsel nur Volksgegenständen sich weihte, – mit einem Wort, wenn wir es erlebten, eine Nationalbühne zu haben, so würden wir auch eine Nation. Was kettete Griechenland so fest aneinander? Was zog das Volk so unwiderstehlich nach seiner Bühne? – Nichts anders als der vaterländische Inhalt der Stücke, der griechische Geist, das große überwältigende Interesse, des Staats, der besseren Menschheit, das in denselbigen athmete.
Noch ein Verdienst hat die Bühne – ein Verdienst, das ich jetzt um so lieber in Anschlag bringe, weil ich vermuthe, daß ihr Rechtshandel mit ihren Verfolgern ohnehin schon gewonnen sein wird. Was bis hieher zu beweisen unternommen worden, daß sie auf Sitten und Aufklärung wesentlich wirke, war zweifelhaft – daß sie unter allen Erfindungen des Luxus und allen Anstalten zur gesellschaftlichen Ergötzlichkeit den Vorzug verdiene, haben selbst ihre Feinde gestanden. Aber was sie hier leistet, ist wichtiger, als man gewohnt ist zu glauben.
Die menschliche Natur erträgt es nicht, ununterbrochen und ewig auf der Folter der Geschäfte zu liegen, die Reize der Sinne sterben mit ihrer Befriedigung. Der Mensch, überladen von thierischem Genuß, der langen Anstrengung müde, vom ewigen Triebe nach Thätigkeit gequält, dürstet nach bessern auserlesenern Vergnügungen, oder stürzt zügellos in wilde Zerstreuungen, die seinen Hinfall beschleunigen und die Ruhe der Gesellschaft zerstören. Bacchantische Freuden, verderbliches Spiel, tausend Rasereien, die der Müßiggang ausheckt, sind unvermeidlich, wenn der Gesetzgeber diesen Hang des Volks nicht zu lenken weiß. Der Mann von Geschäften ist in Gefahr, ein Leben, das er dem Staat so großmüthig hinopferte, mit dem unseligen Spleen abzubüßen – der Gelehrte zum dumpfen Pedanten herabzusinken – der Pöbel zum Thier. Die Schaubühne ist die Stiftung, wo sich Vergnügen mit Unterricht, Ruhe mit Anstrengung, Kurzweil mit Bildung gattet, wo keine Kraft der Seele zum Nachtheil der andern gespannt, kein Vergnügen auf Unkosten des Ganzen genossen wird. Wenn Gram an dem Herzen nagt, wenn trübe Laune unsere einsamen Stunden vergiftet, wenn uns Welt und Geschäfte anekeln, wenn tausend Lasten unsre Seele drücken und unsre Reizbarkeit unter Arbeiten des Berufs zu ersticken droht, so empfängt uns die Bühne – in dieser künstlichen Welt träumen wir die wirkliche hinweg, wir werden uns selbst wieder gegeben, unsre Empfindung erwacht, heilsame Leidenschaften erschüttern unsre schlummernde Natur und treiben das Blut in frischeren Wallungen. Der Unglückliche weint hier mit fremdem Kummer seinen eignen aus – der Glückliche wird nüchtern und der Sichere besorgt. Der empfindsame Weichling härtet sich zum Manne, der rohe Unmensch fängt hier zum erstenmal zu empfinden an. Und dann endlich – welch ein Triumph für dich, Natur! – so oft zu Boden getretene, so oft wieder auferstehende Natur! – wenn Menschen aus allen Kreisen und Zonen und Ständen, abgeworfen jede Fessel der Künstelei und der Mode, herausgerissen aus jedem Drange des Schicksals, durch eine allwebende Sympathie verbrüdert, in ein Geschlecht wieder aufgelöst, ihrer selbst und der Welt vergessen und ihrem himmlischen Ursprung sich nähern. Jeder Einzelne genießt die Entzückungen aller, die verstärkt und verschönert aus hundert Augen auf ihn zurückfallen, und seine Brust gibt jetzt nur einer Empfindung Raum – es ist diese: ein Mensch zu sein.
Inhaltsverzeichnis
Gemein ist alles, was nicht zu dem Geiste spricht und kein anderes als ein sinnliches Interesse erregt. Es gibt zwar tausend Dinge, die schon durch ihren Stoff oder Inhalt gemein sind; aber weil das Gemeine des Stoffes durch die Behandlung veredelt werden kann, so ist in der Kunst nur vom Gemeinen in der Form die Rede. Ein gemeiner Kopf wird den edelsten Stoff durch eine gemeine Behandlung verunehren; ein großer Kopf und ein edler Geist hingegen wird selbst das Gemeine zu adeln wissen, und zwar dadurch, daß er es an etwas Geistiges anknüpft und eine große Seite daran entdeckt. So wird uns ein Geschichtschreiber von gemeinem Schlage die unbedeutendsten Verrichtungen eines Helden eben so sorgfältig als seine erhabensten Thaten berichten und sich eben so lang bei seinem Stammbaum, seiner Kleidertracht, seinem Hauswesen, als bei seinen Entwürfen und Unternehmungen verweilen. Seine größten Thaten wird er so erzählen, daß kein Mensch es ihnen ansieht, was sie sind. Umgekehrt wird ein Geschichtschreiber von Geist und eignem Seelenadel auch in das Privatleben und in die unwichtigsten Handlungen seines Helden ein Interesse und einen Gehalt legen, der sie wichtig macht. Einen gemeinen Geschmack haben in der bildenden Kunst die niederländischen Maler, einen edeln und großen Geschmack die Italiener, noch mehr aber die Griechen bewiesen. Diese gingen immer auf das Ideal, verwarfen jeden gemeinen Zug und wählten auch keinen gemeinen Stoff.
Ein Porträtmaler kann seinen Gegenstand gemein und kann ihn groß behandeln. Gemein, wenn er das Zufällige eben so sorgfältig darstellt als das Nothwendige, wenn er das Große vernachlässigt und das Kleine sorgfältig ausführt; groß, wenn er das Interessanteste herauszufinden weiß, das Zufällige von dem Nothwendigen scheidet, das Kleine nur andeutet und das Große ausführt. Groß aber ist nichts, als der Ausdruck der Seele in Handlungen, Geberden und Stellungen.
Ein Dichter behandelt seinen Stoff gemein, wenn er unwichtige Handlungen ausführt und über wichtige flüchtig hinweggeht. Er behandelt ihn groß, wenn er ihn mit dem Großen verbindet. Homer wußte den Schild des Achilles sehr geistreich zu behandeln, obgleich die Verfertigung eines Schildes dem Stoff nach etwas sehr Gemeines ist.
Noch eine Stufe unter dem Gemeinen steht das Niedrige, welches von jenem darin unterschieden ist, daß es nicht bloß etwas Negatives, nicht bloß Mangel des Geistreichen und Edeln, sondern etwas Positives, nämlich Rohheit des Gefühls, schlechte Sitten und verächtliche Gesinnungen anzeigt. Das Gemeine zeugt bloß von einem fehlenden Vorzug, der sich wünschen läßt, das Niedrige von dem Mangel einer Eigenschaft, die von jedem gefordert werden kann. So ist z. B. die Rache an sich, wo sie sich auch finden und wie sie sich auch äußern mag, etwas Gemeines, weil sie einen Mangel von Edelmuth beweiset. Aber man unterscheidet noch besonders eine niedrige Rache, wenn der Mensch, der sie ausübt, sich verächtlicher Mittel bedient, sie zu befriedigen. Das Niedrige bezeichnet immer etwas Grobes und Pöbelhaftes; gemein aber kann auch ein Mensch von Geburt und bessern Sitten denken und handeln, wenn er mittelmäßige Gaben besitzt. Ein Mensch handelt gemein, der nur auf seinen Nutzen bedacht ist, und insofern steht er dem edeln Menschen entgegen, der sich selbst vergessen kann, um einem andern einen Genuß zu verschaffen. Derselbe Mensch aber würde niedrig handeln, wenn er seinem Nutzen auf Kosten seiner Ehre nachginge und auch nicht einmal die Gesetze des Anstandes dabei respektieren wollte. Das Gemeine ist also dem Edeln, das Niedrige dem Edeln und Anständigen zugleich entgegengesetzt. Jeder Leidenschaft ohne allen Widerstand nachgeben, jeden Trieb befriedigen, ohne sich auch nur von den Regeln des Wohlstands, viel weniger von denen der Sittlichkeit zügeln zu lassen, ist niedrig und verräth eine niedrige Seele.
Auch in Kunstwerken kann man in das Niedrige verfallen, nicht bloß, indem man niedrige Gegenstände wählt, die der Sinn für Anstand und Schicklichkeit ausschließt, sondern auch indem man sie niedrig behandelt. Niedrig behandelt man einen Gegenstand, wenn man entweder diejenige Seite an ihm, welche der gute Anstand verbergen heißt, bemerklich macht, oder wenn man ihm einen Ausdruck gibt, der auf niedrige Nebenvorstellungen leitet. In dem Leben des größten Mannes kommen niedrige Verrichtungen vor, aber nur ein niedriger Geschmack wird sie herausheben und ausmalen.
Man findet Gemälde aus der heiligen Geschichte, wo die Apostel, die Jungfrau und Christus selbst einen Ausdruck haben, als wenn sie aus dem gemeinsten Pöbel wären aufgegriffen worden. Alle solche Ausführungen beweisen einen niedrigen Geschmack, der uns ein Recht gibt, auf eine rohe und pöbelhafte Denkart des Künstlers selbst zu schließen.
Es gibt zwar Fälle, wo das Niedrige auch in der Kunst gestattet werden kann, da nämlich, wo es Lachen erregen soll. Auch ein Mensch von feinen Sitten kann zuweilen, ohne einen verderbten Geschmack zu verrathen, an dem rohen, aber wahren Ausdruck der Natur und an dem Contrast zwischen den Sitten der feinen Welt und des Pöbels sich belustigen. Die Betrunkenheit eines Menschen von Stande würde, wo sie auch vorkäme, Mißfallen erregen; aber ein betrunkener Postillon, Matrose und Karrenschieber macht uns lachen. Scherze, die uns an einem Menschen von Erziehung unerträglich sein würden, belustigen uns im Munde des Pöbels. Von dieser Art sind viele Scenen des Aristophanes, die aber zuweilen auch diese Grenze überschreiten und schlechterdings verwerflich sind. Deßwegen ergötzen wir uns an Parodieen, wo Gesinnungen, Redensarten und Verrichtungen des gemeinen Pöbels denselben vornehmen Personen untergeschoben werden, die der Dichter mit aller Würde und Anstand behandelt hat. Sobald es der Dichter bloß auf ein Lachstück anlegt und weiter nichts will, als uns belustigen, so können wir ihm auch das Niedrige hingehen lassen, nur muß er nie Unwillen oder Ekel erregen.
Unwillen erregt er, wenn er das Niedrige da anbringt, wo wir es schlechterdings nicht verzeihen können, bei Menschen nämlich, von denen wir berechtigt sind feinere Sitten zu fordern. Handelt er dagegen, so beleidigt er entweder die Wahrheit, weil wir ihn lieber für einen Lügner halten, als glauben wollen, daß Menschen von Erziehung wirklich so niedrig handeln können; oder feine Menschen beleidigen unser Sittengefühl und erregen, welches noch schlimmer ist, unsere Indignation. Ganz anders ist es in der Farce, wo zwischen dem Dichter und dem Zuschauer ein stillschweigender Contrakt ist, daß man keine Wahrheit zu erwarten habe. In der Farce dispensieren wir den Dichter von aller Treue der Schilderung, und er erhält gleichsam ein Privilegium, uns zu belügen. Denn hier gründet sich das Komische gerade auf seinen Contrast mit der Wahrheit; es kann aber unmöglich zugleich wahr sein und mit der Wahrheit contrastieren.
Es gibt aber auch im Ernsthaften und Tragischen einige seltene Fälle, wo das Niedrige angewandt werden kann. Alsdann muß es aber ins Furchtbare übergehen, und die augenblickliche Beleidigung des Geschmacks muß durch eine starke Beschäftigung des Affekts ausgelöscht und also von einer höhern tragischen Wirkung gleichsam verschlungen werden. Stehlen z. B. ist etwas Absolut-Niedriges, und was auch unser Herz zur Entschuldigung eines Diebs vorbringen kann, wie sehr er auch durch den Drang der Umstände mag verleitet worden sein, so ist ihm ein unauslöschliches Brandmal aufgedrückt, und ästhetisch bleibt er immer ein niedriger Gegenstand. Der Geschmack verzeiht hier noch weniger, als die Moral, und sein Richterstuhl ist strenger, weil ein ästhetischer Gegenwand auch für alle Nebenideen verantwortlich ist, die auf seine Veranlassung in uns rege gemacht werden, da hingegen die moralische Beurtheilung von allem Zufälligen abstrahiert. Ein Mensch, der stiehlt, würde demnach für jede poetische Darstellung von ernsthaftem Inhalt ein höchst verwerfliches Objekt sein. Wird aber dieser Mensch zugleich Mörder, so ist er zwar moralisch noch viel verwerflicher, aber ästhetisch wird er dadurch wieder um einen Grad brauchbarer. Derjenige, der sich (ich rede hier immer nur von der ästhetischen Beurtheilungsweise) durch eine Infamie erniedrigt, kann durch ein Verbrechen wieder in etwas erhöht und in unsre ästhetische Achtung restituiert werden. Diese Abweichung des moralischen Urtheils von dem ästhetischen ist merkwürdig und verdient Aufmerksamkeit. Man kann mehrere Ursachen davon anführen. Erstlich habe ich schon gesagt, daß, weil das ästhetische Urtheil von der Phantasie abhängt, auch alle Nebenvorstellungen, welche durch einen Gegenstand in uns erregt werden und mit demselben in einer natürlichen Verbindung stehen, auf dieses Urtheil einfließen. Sind nun diese Nebenvorstellungen von einer niedrigen Art, so erniedrigen sie den Hauptgegenstand unvermeidlich.
Zweitens sehen wir in der ästhetischen Beurtheilung auf die Kraft, bei einer moralischen auf die Gesetzmäßigkeit. Kraftmangel ist etwas Verächtliches, und jede Handlung, die uns darauf schließen läßt, ist es gleichfalls. Jede feige und kriechende That ist uns widrig durch den Kraftmangel, den sie verräth; umgekehrt kann uns eine teufelische That, sobald sie nur Kraft verräth, ästhetisch gefallen. Ein Diebstahl aber zeigt eine kriechende, feige Gesinnung an; eine Mordthat hat wenigstens den Schein von Kraft, wenigstens richtet sich der Grad unsers Interesse, das wir ästhetisch daran nehmen, nach dem Grad der Kraft, der dabei geäußert worden ist.
Drittens werden wir bei einem schweren und schrecklichen Verbrechen von der Qualität desselben abgezogen und auf seine furchtbaren Folgen aufmerksam gemacht. Die stärkere Gemütsbewegung unterdrückt alsdann die schwächere. Wir sehen nicht rückwärts in die Seele des Thäters, sondern vorwärts in sein Schicksal, auf die Wirkungen seiner That. Sobald wir aber anfangen zu zittern, so schweigt jede Zärtlichkeit des Geschmacks. Der Haupteindruck erfüllt unsre Seele ganz, und die zufälligen Nebenideen, an denen eigentlich das Niedrige hängt, erlöschen. Daher ist der Diebstahl des jungen Ruhberg, in Verbrechen aus Ehrsucht, auf der Schaubühne nicht widrig, sondern wahrhaft tragisch. – Der Dichter hat mit vieler Geschicklichkeit die Umstände so geleitet, daß wir fortgerissen werden und nicht zu Athem kommen. Das schreckliche Elend seiner Familie und besonders der Jammer seines Vaters sind Gegenstände, die unsre ganze Aufmerksamkeit von dem Thäter hinweg und auf die Folgen seiner That leiten. Wir sind viel zu sehr im Affekt, um uns auf die Vorstellungen der Schande einzulassen, womit der Diebstahl gebrandmarkt wird. Kurz: das Niedrige wird durch das Schreckliche versteckt. Es ist sonderbar, daß dieser wirklich begangene Diebstahl des jungen Ruhberg nicht so viel Widriges hat, als der bloße ungegründete Verdacht eines Diebstahls in einem andern Schauspiel. Hier wird ein junger Officier unverdienter Weise beschuldigt, einen silbernen Löffel eingesteckt zu haben, der sich nachher findet. Das Niedrige ist also hier bloß eingebildet, bloßer Verdacht, und doch thut es dem unschuldigen Helden des Stücks, in unsrer ästhetischen Vorstellung, unwiederbringlich Schaden. Die Ursache ist, weil die Voraussetzung, daß ein Mensch niedrig handeln könne, keine feste Meinung von seinen Sitten beweist, da die Gesetze der Convenienz es mit sich bringen, daß man einen so lange für einen Mann von Ehre hält. als er nicht das Gegentheil zeigt. Traut man ihm also etwas Verächtliches zu, so sieht es aus, als ob er doch irgend einmal zur Möglichkeit eines solchen Argwohns Anlaß gegeben hätte, obgleich das Niedrige eines unverdienten Verdachts eigentlich auf Seiten des Beschuldigers ist. Dem Helden des angeführten Stücks thut es noch mehr Schaden, daß er Officier und Liebhaber einer Dame von Erziehung und Stande ist. Mit diesen beiden Prädicaten macht das Prädicat des Stehlens einen ganz erschrecklichen Contrast, und es ist uns unmöglich, uns nicht augenblicklich daran zu erinnern, wenn er bei seiner Dame ist, daß er den silbernen Löffel in der Tasche haben könnte. Das größte Unglück dabei ist, daß derselbe den auf ihm ruhenden Verdacht gar nicht ahnet; denn wäre dieses, so würde er als Officier eine blutige Genugthuung fordern; die Folgen würden dann ins Fürchterliche gehen und das Niedrige verschwinden.
Noch muß man das Niedrige der Gesinnung von dem Niedrigen der Handlung und des Zustandes wohl unterscheiden. Das erste ist unter aller ästhetischen Würde, das letzte kann öfters sehr gut damit bestehen. Sklaverei ist niedrig, aber eine sklavische Gesinnung in der Freiheit ist verächtlich: eine sklavische Beschäftigung hingegen ohne eine solche Gesinnung ist es nicht; vielmehr kann das Niedrige des Zustandes, mit Hoheit der Gesinnung verbunden, ins Erhabene übergehen. Der Herr des Epiktet, der ihn schlug, handelte niedrig, und der geschlagene Sklave zeigte eine erhabene Seele. Wahre Größe schimmert aus einem niedrigen Schicksal nur desto herrlicher hervor, und der Künstler darf sich nicht fürchten, seinen Helden auch in einer verächtlichen Hülle aufzuführen, sobald er nur versichert ist, daß ihm der Ausdruck des innern Werths zu Gebote steht.
Aber was dem Dichter erlaubt sein kann, ist dem Maler nicht immer gestattet. Jener bringt seine Objekte bloß vor die Phantasie, dieser hingegen unmittelbar vor die Sinne. Also ist nicht nur der Eindruck des Gemäldes lebhafter als der des Gedichtes, sondern der Maler kann auch durch seine natürlichen Zeichen das Innre nicht so sichtbar machen, als der Dichter durch seine willkürlichen Zeichen, und doch kann uns nur das Innere mit dem Aeußern versöhnen. Wenn uns Homer seinen Ulyß in Bettlerlumpen aufführt, so kömmt es auf uns an, wie weit wir uns dieses Bild ausmalen und wie lang wir dabei verweilen wollen. In keinem Fall aber hat es Lebhaftigkeit genug, daß es uns unangenehm oder ekelhaft sein könnte. Wenn aber der Maler oder gar noch der Schauspieler den Ulyß dem Homer getreu nachbilden wollte, so würden wir uns mit Widerwillen davon hinwegwenden. Hier haben wir die Stärke des Eindrucks nicht in unserer Gewalt: wir müssen sehen, was uns der Maler zeigt, und können die widrigen Nebenideen, die uns dabei in Erinnerung gebracht werden, nicht so leicht abweisen.
Inhaltsverzeichnis
Die griechische Fabel legt der Göttin der Schönheit einen Gürtel bei, der die Kraft besitzt, Dem, der ihn trägt, Anmuth zu verleihen und Liebe zu erwerben. Eben diese Gottheit wird von den Huldgöttinnen oder den Grazien begleitet.
Die Griechen unterschieden also die Anmuth und die Grazien noch von der Schönheit, da sie solche durch Attribute ausdrückten, die von der Schönheitsgöttin zu trennen waren. Alle Anmuth ist schön, denn der Gürtel des Liebreizes ist ein Eigenthum der Göttin von Cnidus; aber nicht alles Schöne ist Anmuth, denn auch ohne diesen Gürtel bleibt Venus, was sie ist.
Nach eben dieser Allegorie ist es die Schönheitsgöttin allein, die den Gürtel des Reizes trägt und verleiht. Juno, die herrliche Königin des Himmels, muß jenen Gürtel erst von der Venus entlehnen, wenn sie den Jupiter auf dem Ida bezaubern will. Hoheit also, selbst wenn ein gewisser Grad von Schönheit sie schmückt (den man der Gattin Jupiters keineswegs abspricht), ist ohne Anmuth nicht sicher, zu gefallen; denn nicht von ihren eigenen Reizen, sondern von dem Gürtel der Venus erwartet die hohe Götterkönigin den Sieg über Jupiters Herz.
Die Schönheitsgöttin kann aber doch ihren Gürtel entäußern und seine Kraft auf das Minderschöne übertragen. Anmuth ist also kein ausschließendes Prärogativ des Schönen, sondern kann auch, obgleich immer nur aus der Hand des Schönen, auf das Minderschöne, ja selbst auf das Nichtschöne übergehen.
Die nämlichen Griechen empfahlen Demjenigen, dem bei allen übrigen Geistesvorzügen die Anmuth, das Gefällige fehlte, den Grazien zu opfern. Diese Göttinnen wurden also von ihnen zwar als Begleiterinnen des schönen Geschlechts vorgestellt, aber doch als solche, die auch dem Mann gewogen werden können und die ihm, wenn er gefallen will, unentbehrlich sind.
Was ist aber nun die Anmuth, wenn sie sich mit dem Schönen zwar am liebsten, aber doch nicht ausschließend verbindet? wenn sie zwar von dem Schönen herstammt, aber die Wirkungen desselben auch an dem Nichtschönen offenbart? wenn die Schönheit zwar ohne sie bestehen, aber durch sie allein Neigung einflößen kann?
Das zarte Gefühl der Griechen unterschied frühe schon, was die Vernunft noch nicht zu verdeutlichen fähig war, und nach einem Ausdruck strebend, erborgte es von der Einbildungskraft Bilder, da ihm der Verstand noch keine Begriffe darbieten konnte. Jener Mythus ist daher der Achtung des Philosophen werth, der sich ohnehin damit begnügen muß, zu den Anschauungen, in welchen der reine Natursinn seine Entdeckungen niederlegt, die Begriffe aufzusuchen, oder mit andern Worten, die Bilderschrift der Empfindungen zu erklären.
Entkleidet man die Vorstellung der Griechen von ihrer allegorischen Hülle, so scheint sie keinen andern als folgenden Sinn einschließen.
Anmuth ist eine bewegliche Schönheit; eine Schönheit nämlich, die an ihrem Subjekte zufällig entstehen und eben so aufhören kann. Dadurch unterscheidet sie sich von der fixen Schönheit, die mit dem Subjekte selbst nothwendig gegeben ist. Ihren Gürtel kann Venus abnehmen und der Juno augenblicklich überlassen; ihre Schönheit würde sie nur mit ihrer Person weggeben können. Ohne ihren Gürtel ist sie nicht mehr die reizende Venus, ohne Schönheit ist sie nicht Venus mehr.
Dieser Gürtel, als das Symbol der beweglichen Schönheit, hat aber das ganz Besondere, daß er der Person, die damit geschmückt wird, die objektive Eigenschaft der Anmuth verleiht; und unterscheidet sich dadurch von jedem andern Schmuck, der nicht die Person selbst, sondern bloß den Eindruck derselben, subjektiv, in der Vorstellung eines Andern, verändert. Es ist der ausdrückliche Sinn des griechischen Mythus, daß sich die Anmuth in eine Eigenschaft der Person verwandle, und daß die Trägerin des Gürtels wirklich liebenswürdig sei, nicht bloß so scheine.
Ein Gürtel, der nicht mehr ist als ein zufälliger äußerlicher Schmuck, scheint allerdings kein ganz passendes Bild zu sein, die persönliche Eigenschaft der Anmuth zu bezeichnen; aber eine persönliche Eigenschaft, die zugleich als zertrennbar von dem Subjekte gedacht wird, konnte nicht wohl anders, als durch eine zufällige Zierde versinnlicht werden, die sich unbeschadet der Person von ihr trennen läßt.
Der Gürtel des Reizes wirkt also nicht natürlich, weil er in diesem Fall an der Person selbst nichts verändern könnte, sondern er wirkt magisch, das ist, seine Kraft wird über alle Naturbedingungen erweitert. Durch diese Auskunft (die freilich nicht mehr ist als ein Behelf) sollte der Widerspruch gehoben werden, in den das Darstellungsvermögen sich jederzeit unvermeidlich verwickelt, wenn es für das, was außerhalb der Natur im Reiche der Freiheit liegt, in der Natur einen Ausdruck sucht.
Wenn nun der Gürtel des Reizes eine objektive Eigenschaft aufdrückt, die sich von ihrem Subjekte absondern läßt, ohne deßwegen etwas an der Natur desselben zu verändern, so kann er nichts anders als Schönheit der Bewegung bezeichnen; denn Bewegung ist die einzige Veränderung, die mit einem Gegenstand vorgehen kann, ohne seine Identität aufzuheben.
Schönheit der Bewegung ist ein Begriff, der beiden Forderungen Genüge leistet, die in dem angeführten Mythus enthalten sind. Sie ist erstlich objektiv und kommt dem Gegenstande selbst zu, nicht bloß der Art, wie wir ihn aufnehmen. Sie ist zweitens etwas Zufälliges an demselben, und der Gegenstand bleibt übrig, auch wenn wir diese Eigenschaft von ihm wegdenken.
Der Gürtel des Reizes verliert auch bei dem Minderschönen und selbst bei dem Nichtschönen seine magische Kraft nicht; das heißt, auch das Minderschöne, auch das Nichtschöne kann sich schön bewegen.
Die Anmuth, sagt der Mythus, ist etwas Zufälliges an ihrem Subjekt; daher können nur zufällige Bewegungen diese Eigenschaft haben. An einem Ideal der Schönheit müssen alle nothwendigen Bewegungen schön sein, weil sie, als nothwendig, zu seiner Natur gehören; die Schönheit dieser Bewegungen ist also schon mit dem Begriff der Venus gegeben; die Schönheit der zufälligen ist hingegen eine Erweiterung dieses Begriffs. Es gibt eine Anmuth der Stimme, aber keine Anmuth des Athemholens.
Ist aber jede Schönheit der zufälligen Bewegungen Anmuth?
Daß der griechische Mythus Anmuth und Grazie nur auf die Menschheit einschränke, wird kaum einer Erinnerung bedürfen; er geht sogar noch weiter und schließt selbst die Schönheit der Gestalt in die Grenzen der Menschengattung ein, unter welcher der Grieche bekanntlich auch seine Götter begreift. Ist aber die Anmuth nur ein Vorrecht der Menschenbildung, so kann keine derjenigen Bewegungen darauf Anspruch machen, die der Mensch auch mit dem, was bloß Natur ist, gemein hat. Könnten also die Locken an einem schönen Haupte sich mit Anmuth bewegen, so wäre kein Grund mehr vorhanden, warum nicht auch die Aeste eines Baumes, die Wellen eines Stroms, die Saaten eines Kornfelds, die Gliedmaßen der Thiere sich mit Anmuth bewegen sollten. Aber die Göttin von Cnidus repräsentiert nur die menschliche Gattung, und da, wo der Mensch weiter nichts als ein Naturding und Sinnenwesen ist, da hört sie auf, für ihn Bedeutung zu haben.
Willkürlichen Bewegungen allein kann also Anmuth zukommen, aber auch unter diesen nur denjenigen, die ein Ausdruck moralischer Empfindungen sind. Bewegungen, welche keine andere Quelle als die Sinnlichkeit haben, gehören bei aller Willkürlichkeit doch nur der Natur an, die für sich allein sich nie bis zur Anmuth erhebt. Könnte sich die Begierde mit Anmuth, der Instinkt mit Grazie äußern, so würden Anmuth und Grazie nicht mehr fähig und würdig sein, der Menschheit zu einem Ausdruck zu dienen.
Und doch ist es die Menschheit allein, in die der Grieche alle Schönheit und Vollkommenheit einschließt. Nie darf sich ihm die Sinnlichkeit ohne Seele zeigen, und seinem humanen Gefühl ist es gleich unmöglich, die rohe Thierheit und die Intelligenz zu vereinzeln. Wie er jeder Idee sogleich einen Leib anbildet und auch das Geistigste zu verkörpern strebt, so fordert er von jeder Handlung des Instinkts an dem Menschen zugleich einen Ausdruck seiner sittlichen Bestimmung. Dem Griechen ist die Natur nie bloß Natur: darum darf er auch nicht erröthen, sie zu ehren; ihm ist die Vernunft niemals bloß Vernunft: darum darf er auch nicht zittern, unter ihren Maßstab zu treten. Natur und Sittlichkeit, Materie und Geist, Erde und Himmel fließen wunderbar schön in seinen Dichtungen zusammen. Er führte die Freiheit, die nur im Olympus zu Hause ist, auch in die Geschäfte der Sinnlichkeit ein, und dafür wird man es ihm hingehen lassen, daß er die Sinnlichkeit in den Olympus versetzte.
Dieser zärtliche Sinn der Griechen nun, der das Materielle immer nur unter der Begleitung des Geistigen duldet, weiß von keiner willkürlichen Bewegung am Menschen, die nur der Sinnlichkeit allein angehörte, ohne zugleich ein Ausdruck des moralisch empfindenden Geistes zu sein. Daher ist ihm auch die Anmuth nichts anders, als ein solcher schöner Ausdruck der Seele in den willkürlichen Bewegungen. Wo also Anmuth stattfindet, da ist die Seele das bewegende Princip, und in ihr ist der Grund von der Schönheit der Bewegung enthalten. Und so löst sich denn jene mythische Vorstellung in folgenden Gedanken auf: »Anmuth ist eine Schönheit, die nicht von der Natur gegeben, sondern von dem Subjekte selbst hervorgebracht wird.«
Ich habe mich bis jetzt darauf eingeschränkt, den Begriff der Anmuth aus der griechischen Fabel zu entwickeln und, wie ich hoffe, ohne ihr Gewalt anzuthun. Jetzt sei mir erlaubt, zu versuchen, was sich auf dem Weg der philosophischen Untersuchung darüber ausmachen läßt, und ob es auch hier, wie in so viel andern Fällen, wahr ist, daß sich die philosophierende Vernunft weniger Entdeckungen rühmen kann, die der Sinn nicht schon dunkel geahnet und die Poesie nicht geoffenbart hätte.
Venus, ohne ihren Gürtel und ohne die Grazien, repräsentiert uns das Ideal der Schönheit, so wie letztere aus den Händen der bloßen Natur kommen kann und, ohne die Einwirkung eines empfindenden Geistes, durch die plastischen Kräfte erzeugt wird. Mit Recht stellt die Fabel für diese Schönheit eine eigene Göttergestalt zur Repräsentantin auf, denn schon das natürliche Gefühl unterscheidet sie auf das strengste von derjenigen, die dem Einfluß eines empfindenden Geistes ihren Ursprung verdankt.
Es sei mir erlaubt, diese von der bloßen Natur, nach dem Gesetz der Nothwendigkeit gebildete Schönheit, zum Unterschied von der, welche sich nach Freiheitsbedingungen richtet, die Schönheit des Baues ( architektonische Schönheit) zu benennen. Mit diesem Namen will ich also denjenigen Theil der menschlichen Schönheit bezeichnet haben, der nicht bloß durch Naturkräfte ausgeführt worden (was von jeder Erscheinung gilt), sondernder auch nur allein durch Naturkräfte bestimmt ist.
Ein glückliches Verhältniß der Glieder, fließende Umrisse, ein lieblicher Teint, eine zarte Haut, ein feiner und freier Wuchs, eine wohlklingende Stimme u. s. f. sind Vorzüge, die man bloß der Natur und dem Glück zu verdanken hat; der Natur, welche die Anlage dazu hergab und selbst entwickelte; dem Glück, welches das Bildungsgeschäft der Natur vor jeder Einwirkung feindlicher Kräfte beschützte.
Diese Venus steigt schon ganz vollendet aus dem Schaume des Meers empor: vollendet, denn sie ist ein beschlossenes, streng abgewogenes Werk der Nothwendigkeit, und als solches keiner Varietät, keiner Erweiterung fähig. Da sie nämlich nichts anders ist, als ein schöner Vortrag der Zwecke, welche die Natur mit dem Menschen beabsichtet, und daher jede ihrer Eigenschaften durch den Begriff, der ihr zum Grunde liegt, vollkommen entschieden ist, so kann sie – der Anlage nach – als ganz gegeben beurtheilt werden, obgleich diese erst unter Zeitbedingungen zur Entwicklung kommt.
Die architektonische Schönheit der menschlichen Bildung muß von der technischen Vollkommenheit derselben wohl unterschieden werden. Unter der letztern hat man das System der Zwecke selbst zu verstehen, so wie sie sich untereinander zu einem obersten Endzweck vereinigen; unter der erstern hingegen bloß eine Eigenschaft der Darstellung dieser Zwecke, so wie sie sich dem anschauenden Vermögen in der Erscheinung offenbaren. Wenn man also von der Schönheit spricht, so wird weder der materielle Werth dieser Zwecke, noch die formale Kunstmäßigkeit ihrer Verbindung dabei in Betrachtung gezogen. Das anschauende Vermögen hält sich einzig nur an die Art des Erscheinens, ohne auf die logische Beschaffenheit seines Objektes die geringste Rücksicht zu nehmen. Ob also gleich die architektonische Schönheit des menschlichen Balles durch den Begriff, der demselben zum Grunde liegt, und durch die Zwecke bedingt ist, welche die Natur mit ihm beabsichtet, so isoliert doch das ästhetische Urtheil sie völlig von diesen Zwecken, und nichts, als was der Erscheinung unmittelbar und eigentümlich angehört, wird in die Vorstellung der Schönheit aufgenommen.
Man kann daher auch nicht sagen, daß die Würde der Menschheit die Schönheit des menschlichen Baues erhöhe. In unser Urtheil über die letztere kann die Vorstellung der erstern zwar einfließen, aber alsdann hört es zugleich auf, ein rein ästhetisches Urtheil zu sein. Die Technik der menschlichen Gestalt ist allerdings ein Ausdruck seiner Bestimmung, und als ein solcher darf und soll sie uns mit Achtung erfüllen. Aber diese Technik wird nicht dem Sinn, sondern dem Verstande vorgestellt; sie kann nur gedacht werden, nicht erscheinen. Die architektonische Schönheit hingegen kann nie ein Ausdruck seiner Bestimmung sein, da sie sich an ein ganz anderes Vermögen wendet, als dasjenige ist, welches über jene Bestimmung zu entscheiden hat.
Wenn daher dem Menschen, vorzugsweise vor allen übrigen technischen Bildungen der Natur, Schönheit beigelegt wird, so ist dies nur in sofern wahr, als er schon in der bloßen Erscheinung diesen Vorzug behauptet, ohne daß man sich dabei seiner Menschheit zu erinnern braucht. Denn da dieses Letzte nicht anders als vermittelst eines Begriffs geschehen könnte, so würde nicht der Sinn, sondern der Verstand über die Schönheit Richter sein, welches einen Widersprach einschließt. Die Würde seiner sittlichen Bestimmung kann also der Mensch nicht in Anschlag bringen, seinen Vorzug als Intelligenz kann er nicht geltend machen, wenn er den Preis der Schönheit behaupten will; hier ist er nichts als ein Ding im Raume, nichts als Erscheinung unter Erscheinungen. Auf seinen Rang in der Ideenwelt wird in der Sinnenwelt nicht geachtet, und wenn er in dieser die erste Stelle behaupten soll, so kann er sie nur dem, was in ihm Natur ist, zu verdanken haben.
Aber eben diese seine Natur ist, wie wir wissen, durch die Idee seiner Menschheit bestimmt worden, und so ist es denn mittelbar auch seine architektonische Schönheit. Wenn er sich also vor allen Sinnenwesen um ihn her durch höhere Schönheit unterscheidet, so ist er dafür unstreitig seiner menschlichen Bestimmung verpflichtet, welche den Grund enthält, warum er sich von den übrigen Sinnenwesen überhaupt nur unterscheidet. Aber nicht darum ist die menschliche Bildung schön, weil sie ein Ausdruck dieser höhern Bestimmung ist; denn wäre dieses, so würde die nämliche Bildung aufhören, schön zu sein, sobald sie eine niedrigere Bestimmung ausdrückte; so würde auch das Gegentheil dieser Bildung schön sein, sobald man nur annehmen könnte, daß es jene höhere Bestimmung ausdrückte. Gesetzt aber, man könnte bei einer schönen Menschengestalt ganz und gar vergessen, was sie ausdrückt; man könnte ihr, ohne sie in der Erscheinung zu verändern, den rohen Instinkt eines Tigers unterschieben, so würde das Urtheil der Augen vollkommen dasselbe bleiben, und der Sinn würde den Tiger für das schönste Werk des Schöpfers erklären.
Die Bestimmung des Menschen, als einer Intelligenz, hat also an der Schönheit seines Baues nur in sofern einen Antheil, als ihre Darstellung, d. i. ihr Ausdruck in der Erscheinung, zugleich mit den Bedingungen zusammentrifft, unter welchen das Schöne sich in der Sinnenwelt erzeugt. Die Schönheit selbst nämlich muß jederzeit ein freier Natureffekt bleiben, und die Vernunftidee, welche die Technik des menschlichen Baues bestimmte, kann ihm nie Schönheit ertheilen, sondern bloß gestatten.
Man könnte mir zwar einwenden, daß überhaupt alles, was in der Erscheinung sich darstellt, durch Naturkräfte ausgeführt werde, und daß dieses also kein ausschließendes Merkmal des Schönen sein könne. Es ist wahr, alle technischen Bildungen sind hervorgebracht durch Natur, aber durch Natur sind sie nicht technisch, wenigstens werden sie nicht so beurtheilt. Technisch sind sie nur durch den Verstand, und ihre technische Vollkommenheit hat also schon Existenz im Verstande, ehe sie in die Sinnenwelt hinübertritt und zur Erscheinung wird. Schönheit hingegen hat das ganz Eigentümliche, daß sie in der Sinnenwelt nicht bloß dargestellt wird, sondern auch in derselben zuerst entspringt; daß die Natur sie nicht bloß ausdrückt, sondern auch erschafft. Sie ist durchaus nur eine Eigenschaft des Sinnlichen, und auch der Künstler, der sie beabsichtet, kann sie nur in so weit erreichen, als er den Schein unterhält, daß die Natur gebildet habe.
Die Technik des menschlichen Baues zu beurtheilen, muß man die Vorstellung der Zwecke, denen sie gemäß ist, zu Hilfe nehmen; dies hat man gar nicht nöthig, um die Schönheit dieses Baues zu beurtheilen. Der Sinn allein ist hier ein völlig kompetenter Richter, und dies könnte er nicht sein, wenn nicht die Sinnenwelt (die sein einziges Objekt ist) alle Bedingungen der Schönheit enthielte und also zu Erzeugung derselben vollkommen hinreichend wäre. Mittelbar freilich ist die Schönheit des Menschen in dem Begriff seiner Menschheit gegründet, weil seine ganze sinnliche Natur in diesem Begriffe gegründet ist; aber der Sinn, weiß man, hält sich nur an das Unmittelbare, und für ihn ist es also gerade so viel, als wenn sie ein ganz unabhängiger Natureffekt wäre.
Nach dem Bisherigen sollte es nun scheinen, als wenn die Schönheit für die Vernunft durchaus kein Interesse haben könnte, da sie bloß in der Sinnenwelt entspringt und sich auch nur an das sinnliche Erkenntnißvermögen wendet. Denn nachdem wir von dem Begriff derselben, als fremdartig, abgesondert haben, was die Vorstellung der Vollkommenheit in unser Urtheil über die Schönheit zu mischen kaum unterlassen kann, so scheint dieser nichts mehr übrig zu bleiben, wodurch sie der Gegenstand eines vernünftigen Wohlgefallens sein könnte. Nichtsdestoweniger ist es eben so ausgemacht, daß das Schöne der Vernunft gefällt, als es entschieden ist, daß es auf keiner solchen Eigenschaft des Objektes beruht, die nur durch Vernunft zu entdecken wäre.
Um diesen anscheinenden Widerspruch aufzulösen, muß man sich erinnern, daß es zweierlei Arten gibt, wodurch Erscheinungen Objekte der Vernunft werden und Ideen ausdrücken können. Es ist nicht immer nöthig, daß die Vernunft diese Ideen aus den Erscheinungen herauszieht; sie kann sie auch in dieselben hineinlegen. In beiden Fällen wird die Erscheinung einem Vernunftbegriff adäquat sein, nur mit dem Unterschied, daß in dem ersten Fall die Vernunft ihn schon objektiv darin findet und ihn gleichsam von dem Gegenstand nur empfängt, weil der Begriff gesetzt werden muß, um die Beschaffenheit und oft selbst um die Möglichkeit des Objekts zu erklären; daß sie hingegen in dem zweiten Fall das, was unabhängig von ihrem Begriff in der Erscheinung gegeben ist, selbstthätig zu Deinem Ausdruck desselben macht und also etwas bloß Sinnliches übersinnlich behandelt. Dort ist also die Idee mit dem Gegenstand objektiv nothwendig, hier hingegen höchstens subjektiv nothwendig verknüpft. Ich brauche nicht zu sagen, daß ich jenes von der Vollkommenheit, dieses von der Schönheit verstehe.
Da es also in dem zweiten Fall in Ansehung des sinnlichen Objektes ganz und gar zufällig ist, ob es eine Vernunft gibt, die mit der Vorstellung desselben eine ihrer Ideen verbindet, folglich die objektive Beschaffenheit des Gegenstandes von dieser Idee als völlig unabhängig muß betrachtet werden, so thut man ganz recht, das Schöne, objektiv, auf lauter Naturbedingungen einzuschränken und es für einen bloßen Effekt der Sinnenwelt zu erklären. Weil aber doch – auf der andern Seite – die Vernunft von diesem Effekt der bloßen Sinnenwelt einen transscendenten Gebrauch macht und ihm dadurch, daß sie ihm eine höhere Bedeutung leiht, gleichsam ihren Stempel aufdrückt, so hat man ebenfalls recht, das Schöne, subjektiv, in die intelligible Welt zu versetzen. Die Schönheit ist daher als die Bürgerin zweier Welten anzusehen, deren einer sie durch Geburt, der andern durch Adoption angehört; sie empfängt ihre Existenz in der sinnlichen Natur und erlangt in der Vernunftwelt das Bürgerrecht. Hieraus erklärt sich auch, wie es zugeht, daß der Geschmack, als ein Beurtheilungsvermögen des Schönen, zwischen Geist und Sinnlichkeit in die Mitte tritt und diese beiden einander verschmähenden Naturen zu einer glücklichen Eintracht verbindet – wie er dem Materiellen die Achtung der Vernunft, wie er dem Rationalen die Zuneigung der Sinne erwirbt – wie er Anschauungen zu Ideen adelt und selbst die Sinnenwelt gewissermaßen in ein Reich der Freiheit verwandelt.
Wiewohl es aber – in Ansehung des Gegenstandes selbst – zufällig ist, ob die Vernunft mit der Vorstellung desselben eine ihrer Ideen verbindet, so ist es doch – für das vorstellende Subjekt – nothwendig, mit einer solchen Vorstellung eine solche Idee zu verknüpfen. Diese Idee und das ihr korrespondierende sinnliche Merkmal an dem Objekte müssen mit einander in einem solchen Verhältniß stehen, daß die Vernunft durch ihre eignen unveränderlichen Gesetze zu dieser Handlung genöthigt wird. In der Vernunft selbst muß also der Grund liegen, warum sie ausschließend nur mit einer gewissen Erscheinungsart der Dinge eine bestimmte Idee verknüpft, und in dem Objekte muß wieder der Grund liegen, warum es ausschließend nur diese Idee und keine andre hervorruft. Was für eine Idee das nun sei, die die Vernunft in das Schöne hineinträgt, und durch welche objektive Eigenschaft der schöne Gegenstand fähig sei, dieser Idee zum Symbol zu dienen – dies ist eine viel zu wichtige Frage, um hier bloß im Vorübergehen beantwortet zu werden, und deren Erörterung ich also auf eine Analytik des Schönen verspare.
Die architektonische Schönheit des Menschen ist also, auf die Art, wie ich eben erwähnte, der sinnliche Ausdruck eines Vernunftbegriffs; aber sie ist es in keinem andern Sinne und mit keinem größern Rechte, als überhaupt jede schöne Bildung der Natur. Dem Grade nach übertrifft sie zwar alle andern Schönheiten, aber der Art nach steht sie in der nämlichen Reihe mit denselben, da auch sie von ihrem Subjekte nichts, als was sinnlich ist, offenbart und erst in der Vorstellung eine übersinnliche Bedeutung empfängt. Daß die Darstellung der Zwecke am Menschen schöner ausgefallen ist, als bei andern organischen Bildungen, ist als eine Gunst anzusehen, welche die Vernunft, als Gesetzgeberin des menschlichen Baues, der Natur als Ausrichterin ihrer Gesetze erzeigte. Die Vernunft verfolgt zwar bei der Technik des Menschen ihre Zwecke mit strenger Nothwendigkeit, aber glücklicher Weise treffen ihre Forderungen mit der Nothwendigkeit der Natur zusammen, so daß die letztere den Auftrag der erstern vollzieht, indem sie bloß nach ihrer eigenen Neigung handelt.
Dieses kann aber nur von der architektonischen Schönheit des Menschen gelten, wo die Naturnothwendigkeit durch die Nothwendigkeit des sie bestimmenden teleologischen Grundes unterstützt wird. Hier allein konnte die Schönheit gegen die Technik des Baues berechnet werden, welches aber nicht mehr statt findet, sobald die Nothwendigkeit nur einseitig ist und die übersinnliche Ursache, welche die Erscheinung bestimmt, sich zufällig verändert. Für die architektonische Schönheit des Menschen sorgt also die Natur allein, weil ihr hier, gleich in der ersten Anlage, die Vollziehung alles Dessen, was der Mensch zu Erfüllung seiner Zwecke bedarf, einmal für immer von dem schaffenden Verstand übergeben wurde und sie also in diesem ihrem organischen Geschäft keine Neuerung zu befürchten hat.
Der Mensch aber ist zugleich eine Person, ein Wesen also, welches selbst Ursache, und zwar absolut letzte Ursache seiner Zustände sein, welches sich nach Gründen, die es auf sich selbst nimmt, verändern kann. Die Art seines Erscheinens ist abhängig von der Art seines Empfindens und Wollens, also von Zuständen, die er selbst in seiner Freiheit, und nicht die Natur nach ihrer Nothwendigkeit bestimmt.
Wäre der Mensch bloß ein Sinnenwesen, so würde die Natur zugleich die Gesetze geben und die Fälle der Anwendung bestimmen; jetzt theilt sie das Regiment mit der Freiheit, und obgleich ihre Gesetze Bestand haben, so ist es nunmehr doch der Geist, der über die Fälle entscheidet.
Das Gebiet des Geistes erstreckt sich so weit, als die Natur lebendig ist, und endigt nicht eher, als wo das organische Leben sich in die formlose Masse verliert und die animalischen Kräfte aufhören. Es ist bekannt, daß alle bewegenden Kräfte im Menschen unter einander zusammenhängen, und so läßt sich einsehen, wie der Geist – auch nur als Princip der willkürlichen Bewegung betrachtet – seine Wirkungen durch das ganze System derselben fortpflanzen kann. Nicht bloß die Werkzeuge des Willens, auch diejenigen, über welche der Wille nicht unmittelbar zu gebieten hat, erfahren wenigstens mittelbar seinen Einfluß. Der Geist bestimmt sie nicht bloß absichtlich, wenn er handelt, sondern auch unabsichtlich, wenn er empfindet.
Die Natur für sich allein kann, wie aus dem Obigen klar ist, nur für die Schönheit derjenigen Erscheinungen sorgen, die sie selbst uneingeschränkt nach dem Gesetz der Nothwendigkeit zu bestimmen hat. Aber mit der Willkür tritt der Zufall in ihre Schöpfung ein, und obgleich die Veränderungen, welche sie unter dem Regiment der Freiheit erleidet, nach keinen andern als ihren eigenen Gesetzen erfolgen, so erfolgen sie doch nicht mehr aus diesen Gesetzen. Da es jetzt auf den Geist ankommt, welchen Gebrauch er von seinen Werkzeugen machen will, so kann die Natur über denjenigen Theil der Schönheit, welcher von diesem Gebrauch abhängt, nichts mehr zu gebieten und also auch nichts mehr zu verantworten haben.
Und so würde denn der Mensch in Gefahr schweben, gerade da, wo er sich durch den Gebrauch seiner Freiheit zu den reinen Intelligenzen erhebt, als Erscheinung zu sinken und in dem Urtheile des Geschmacks zu verlieren, was er vor dem Richterstuhl der Vernunft gewinnt. Die durch sein Handeln erfüllte Bestimmung würde ihm einen Vorzug kosten, den die in seinem Bau bloß angekündigte Bestimmung begünstigte; und wenn gleich dieser Vorzug nur sinnlich ist, so haben wir doch gefunden, daß ihm die Vernunft eine höhere Bedeutung ertheilt. Eines so groben Widerspruchs macht sich die Uebereinstimmung liebende Natur nicht schuldig, und was in dem Reiche der Vernunft harmonisch ist, wird sich durch keinen Mißklang in der Sinnenwelt offenbaren.
Indem also die Person oder das freie Principium im Menschen es auf sich nimmt, das Spiel der Erscheinungen zu bestimmen, und durch seine Dazwischenkunft der Natur die Macht entzieht, die Schönheit ihres Werks zu beschützen, so tritt es selbst an die Stelle der Natur und übernimmt (wenn mir dieser Ausdruck erlaubt ist) mit den Rechten derselben einen Theil ihrer Verpflichtungen. Indem der Geist die ihm untergeordnete Sinnlichkeit in sein Schicksal verwickelt und von seinen Zuständen abhängen läßt, macht er sich gewissermaßen selbst zur Erscheinung und bekennt sich als ein Unterthan des Gesetzes, welches an alle Erscheinungen ergehet. Um seiner selbst willen macht er sich verbindlich, die von ihm abhängende Natur auch noch in seinem Dienste Natur bleiben zu lassen und sie ihrer früheren Pflicht nie entgegen zu behandeln. Ich nenne die Schönheit eine Pflicht der Erscheinungen, weil das ihr entsprechende Bedürfniß im Subjekte in der Vernunft selbst gegründet und daher allgemein und nothwendig ist. Ich nenne sie eine frühere Pflicht, weil der Sinn schon geurtheilt hat, ehe der Verstand sein Geschäft beginnt.