Pilgergeschichten vom Camino del Norte - Johannes Visosky - E-Book

Pilgergeschichten vom Camino del Norte E-Book

Johannes Visosky

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Beschreibung

Johannes Visosky ließ sich für den Pilgerweg "Camino del Norte" viel Zeit. Der Weg war das Ziel. Er lauschte nach außen, in die Natur, und lauschte nach innen, in sich selbst. An schönen Plätzen des Weges hielt er vom Wandern inne und schrieb auf, was ihn bewegte: Gedanken und Empfindungen, die sich auf dem Weg zeigten. In diesem Buch nimmt er Dich mit auf den 828 km langen äußeren Weg, von der französisch-spanischen Grenze bis nach Santiago de Compostela. Und er nimmt Dich mit auf seinen inneren Weg vom Kopf zum Herzen. Der Weg hat etwas mit ihm gemacht, und darum geht es in diesem Buch. Es erzählt von dem, was er beim Pilgern für sich selbst erfahren hat, und von bewegenden Begegnungen mit Menschen, die auf dem Weg sind. Die Pilger der Welt verstehen einander, in der Sprache des Herzens.

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Johannes Visosky

Johannes Visosky wurde 1962 geboren. Er studierte Elektrotechnik, mit Abschluss Diplom-Ingenieur. Beruflich arbeitete er mehr als 36 Jahre als Entwicklungsingenieur in der Industrie, zunächst für hochauflösende Farbmonitore, später für elektrische Antriebstechnik und Magnetlagertechnik. Er spezialisierte sich auf Leistungselektronik und hält eine Reihe von Patenten auf diesem Fachgebiet. Seit April 2023 hat er sich aus dem Berufsleben in den Ruhestand zurückgezogen. Zu seinem 50. Geburtstag schenkte er sich den Pilotenschein für Ultraleichtflugzeuge, gefolgt von der Lizenz für Motorflugzeuge. Er hat sich bisher auf drei Jakobswege begeben, zwei davon führten durch Deutschland und einer durch Spanien.

Für meine Frau Jutta

Inhaltsverzeichnis

Freiheit

Baskenland

16. April: Bahnfahrt mit Hindernissen

17. April: Höhenweg von Irún nach Pasaia

19. April: Ave Maria

23. April: Im Regen von Arnope nach Markina

26. April: Der langsamste Pilger des Planeten

28. April: Bummeln durch Bilbao

Kantabrien

30. April: Dankbarkeit bei Castro-Urdiales

2. Mai: Strand-Geburtstag in Laredo

5. Mai: Begegnung mit Ernesto in Güemes

6. Mai: Dunas de Liencres und Apollo 12

7. Mai: Kleine Camino-Philosophie in Santillana

Asturien

10. Mai: Glimpse of Eternity

12. Mai: Naves de Llanes

13. Mai: Ribadesella

15. Mai: Halb-Weg-Party in Vega

16. Mai: Villaviciosa und Sonnenstürme

17. Mai: Die Taxi-Herberge von Peón

18. Mai: Begrabener Hund in Tabaza

19. Mai: Schlüssel zum Glück

20. Mai: Der Weg ist das Ziel

21. Mai: Wir sind nie allein

23. Mai: Bergbauer und Überlebenswille

24. Mai: Bequemlichkeit

25. Mai: Sidra in Navia

26. Mai: Schaukeln am Strand

27. Mai: Der Blick aufs weite Meer

Galicien

29. Mai: Die Herberge Tentempé Peregrino

30. Mai: Wiedersehen in Mondoñedo

31. Mai: Große und kleine Ängste

1. Juni: Christophorus und die stählerne Brücke

3. Juni: Alpine Farben und Glück

4. Juni: Kloster ohne Frühstück

6. Juni: Camino Francés: Ärger steigt auf

Santiago de Compostela

6. Juni: Einlauf in Santiago

7. Juni: In der Kathedrale

8. Juni: Wehmut

Fisterra

10. Juni: Frieden

Bilder vom Weg

Einleitung

Ich bin 62 Jahre alt, verheiratet. Unsere drei Pflegekinder sind erwachsen und schon aus unserem Haus ausgezogen. Ich wohne dort mit meiner Frau Jutta und unserer Australian-Shepherd-Hündin Luna.

Meine Kindheit war von Gewalterfahrungen geprägt. Ich wurde als Verschickungskind traumatisiert, als achtjähriger Junge, während eines sechswöchigen Aufenthaltes in einem Kinderheim. Vielen erging es so. Ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte.

Als Jugendlicher wurde ich zum Elektrotechnik-Nerd. Später machte ich mein Hobby zum Beruf, arbeitete mehr als 30 Jahre als Entwicklungsingenieur in der elektrotechnischen Industrie. Ich liebte meinen Beruf, war erfolgreich und kreativ, brachte zahlreiche Innovationen auf den Weg.

Da war immer dieses Freiheitsbedürfnis in mir. Zum 50. Geburtstag schenkte ich mir den Pilotenschein.

Ein spirituelles Erlebnis im Mai 2015 machte mich zum Suchenden. Es veränderte sich zunächst nicht viel in meinem Leben. Doch da war das nagende Empfinden, dass in meinem Leben etwas nicht im Reinen war.

Nachdem ich eine Luftfahrt-Messe in Friedrichshafen besucht hatte, fuhr ich anschließend hinauf auf den Pfänder, ein Berg bei Bregenz. Dort begegneten mir zwei Frauen, die auf einer Pilgerwanderung von München in die Schweiz unterwegs waren. Sie zeigten mir ihre Pilgerausweise vom spanischen Jakobsweg. Da wusste ich: Das ist auch mein Weg!

Für den Frühling 2020 war der Flug zur Pilger-Reise nach Spanien schon gebucht. Dann kam die Pandemie dazwischen. Im Herbst wurde es wieder nichts mit Spanien, wegen der Pandemie. Ich traf kurz entschlossen die Entscheidung, in Deutschland auf der Via Regia zu pilgern, von Görlitz an der polnischen Grenze bis nach Vacha an der einstigen innerdeutschen Grenze. 460 Kilometer in drei Wochen. Der Plan, allein zu gehen, ging nicht auf. Schon am ersten Tag begegneten mir einige Pilgerinnen, und so waren wir fortan in einer Gruppe unterwegs. Diese Reise veränderte mein Leben. Ich öffnete mein Herz und befreite mich von meinen inneren Mauern.

In den darauf folgenden Jahren reduzierte ich meine berufliche Wochenarbeitszeit. Ein weiteres Mal begab ich mich auf eine Pilgerwanderung, die mich für zwei Wochen auf dem Elisabeth-Pfad von Eisenach nach Marburg führte. Diesmal war ich ganz allein unterwegs, nur mit mir.

Ich begann, mich für die menschliche Psyche zu interessieren, insbesondere für meine eigene. Ich erkannte, dass meine Kindheits-Traumata eine Last waren. Ich begann eine Therapie, arbeitete meine Traumata auf, und fand Wege, sie zu integrieren. Ich brauchte dazu etwa ein Jahr. Dann wagte ich mich in die "Höhle des Löwen", in das ehemalige Kinderheim im Schwarzwald, was heute ein Kloster ist. Dort gab es keine Löwen mehr. Eine der Schwestern führte mich durch das Gebäude. Wir hatten miteinander ein gutes Gespräch.

Endlich frei von meiner inneren Gefangenschaft, hatte ich Menschen kennengelernt, tiefe Gespräche über das Leben geführt und Freundschaften geschlossen, insbesondere mit meinem inneren Kind.

Inzwischen hatte ich meinen Beruf gekündigt. Er war mir mit zu viel Stress verbunden. Zu viel Stress ist nicht gut für die Gesundheit. Ich weiß nicht, wie viel Jahre mir noch geschenkt werden. Ich möchte meinen Lebensabend genießen. Als Diplom-Ingenieur verdiente ich recht gut und lebe nun die zwei Jahre bis zum Renteneintritt von meinen Ersparnissen. Meine Frau ist wirtschaftlich unabhängig. Sie möchte noch etwas berufstätig sein.

Ein Jahr ist nun seit meinem Berufsausstieg vergangen, in dem ich sehr zu mir selbst gefunden habe. Haus und Garten waren meine einzigen Verantwortlichkeiten, andere Pflichten hatte ich keine. Ich mag Hesse und Rilke. Ich versuchte mich auch selbst am Dichten. Ich studierte als Gasthörer ein Semester Psychologie und Philosophie.

Dann packte ich meinen Rucksack, um meinen Traum wahr werden zu lassen: Den Camino del Norte zu gehen, etwas mehr als 800 Kilometer, von der französisch-spanischen Grenze, nach Santiago de Compostela. Ich fuhr mit der Bahn nach Hendaye, am selben Abend noch ging ich hinüber nach Spanien und übernachtete dort in Irun in der Pilgerherberge. Am nächsten Morgen ging ich los, auf dem Camino del Norte. Es war der 17. April 2024. Ich hatte so viel Zeit, wie ich brauchte. Es war völlig offen, ob und wann ich ankommen würde. Ich kam nach genau sieben Wochen in Santiago de Compostela an, plus zwei Pausentage. Ich nahm mir unterwegs viel Zeit, saß an Orten, wo es schön war, schrieb manchmal meine Gedanken auf, die mir beim Gehen gekommen waren. An manchen Tagen schrieb ich und an anderen nicht. Der Weg durchs Baskenland war mit seinen Höhenmetern körperlich anstrengend. Durch Kantabrien und Asturien war es leicht zu gehen, es ging immer an der Küste entlang. In Galicien bog der Weg ins Landesinnere ab, und bis Santiago war es dann wieder hier und da etwas anstrengender.

Dieses Buch ist kein Reisebericht. Ich möchte Dich teilhaben lassen an meinen Gedanken, an meinen inneren Prozessen, an allem was ich unterwegs aufgeschrieben habe. Darum soll es hier gehen.

Das in den Kapitel-Überschriften angegebene Datum bezieht sich stets auf den Tag, an dem ich den jeweiligen Text aufgeschrieben habe, und nicht auf das Datum, an dem ich an dem jeweiligen Ort gewesen bin. Teilweise habe ich nämlich den Text an einem der darauf folgenden Tage verfasst. Nicht immer hatte ich Lust, etwas zu schreiben, an manchen Tagen war mir nicht danach. Ich habe in diesem Buch auf Fotos von Mitpilgern verzichtet, und ihre Namen geändert, um ihre Privatsphäre zu schützen.

Freiheit

Freiheit ist, wenn ich gescheh’n lassen kann,

ich renne nicht weg, nehme alles an.

Freiheit ist, wenn ich nichts festhalten muss,

alles ist Veränderung, alles ist Fluss.

Freiheit weiß, dass nichts ist, wie es scheint,

dass der Mensch mit der Maske innerlich weint.

Die Angst vor Verletzung, uns davor zu schützen,

das kann uns im Leben nicht wirklich nützen.

Der größte Mut ist Menschen vertrauen,

sich öffnen, um sich anzuschauen,

das macht uns weit, das macht uns frei,

es ist so leicht, es ist nichts dabei.

Freiheit ist, Menschen Freude zu schenken,

an die geliebten Menschen täglich zu denken.

Freiheit in der Partnerschaft ist:

Ich nehme Dich an, Du darfst sein, wie Du bist.

Ich kann mich Dir zeigen, so wie ich bin,

ich gebe mich Dir vertrauensvoll hin.

Freiheit ist, Freunden Raum zu geben,

um für sich in ihrer Freiheit zu leben,

zu kommen oder wieder zu gehen,

um sie vielleicht mal wiederzusehen.

Freiheit ist, uns nicht wichtig zu nehmen,

und uns ins Leben auszudehnen,

Liebe für uns selbst zu empfinden,

und uns in der Liebe mit Menschen verbinden.

Freiheit ist, wieder Kind zu sein,

dann tauchen wir tief in das Leben ein.

Freiheit ist, nichts haben zu wollen,

nichts leisten zu müssen und nichts zu sollen,

aufzugeben den erlernten Mist,

um zu dem zu werden, der man wirklich ist.

Freiheit ist, alles zuzulassen,

vor Freude überlaufen, zu scherzen, zu spaßen,

auch mal tief im Schmerz zu versinken,

um dann vom Geschenk der Hoffnung zu trinken.

Gefühle sind flüchtig,

sie kommen und gehen,

wir sind mehr als sie,

wenn wir das verstehen,

dann stellt sich die Gelassenheit ein,

das kann uns von unserem Leiden befrei'n.

Freiheit ist, sich vom Wollen befrei'n,

so wie es ist, so darf es sein,

wir nehmen uns liebend an die Hand

und lösen uns vom Widerstand.

Freiheit ist, wenn man das Leben liebt,

wo es im Außen doch keine Sicherheit gibt.

Hingabe, Demut und Dankbarkeit,

sie schenken uns Freiheit, sie machen uns weit.

Vergebung hat uns ganz befreit,

von diesem Gift der Bitterkeit.

Es fehlt Dir nichts, Du bist in Fülle frei,

das, was Du brauchst, hast Du dabei.

Das schenkt Dir tiefe Geborgenheit,

die Dich von Deinem Leid befreit.

Du bist geliebt, weil es Dich gibt.

Es ist das Leben, das Dich liebt.

Freiheit ist, nichts aufzuschieben,

im Moment zu leben, den Moment zu lieben.

Denn Du weißt es nicht, was morgen ist,

bedenke, dass Du sterblich bist.

Du findest die Freiheit in der Stille,

lauschend dem Herzen, gedämpft Dein Wille.

Freiheit ist, sich Fragen zu stellen

es werden sich Antworten dazu gesellen.

(Johannes Visosky)

Baskenland

"Es würde alles besser gehen, wenn man mehr ginge."

(Johann Gottfried Seume)

16. April: Bahnfahrt mit Hindernissen

Ich bin dann mal weg! Auf dem Camino del Norte, unterwegs nach Santiago de Compostela. Einschließlich Wasch- und Pausen-Tagen schätze ich mal acht Wochen. Keine Ahnung, ob ich da ankommen werde, hab gewaltigen Respekt vor den 840 Kilometer, mit den zahlreichen Höhenunterschieden. Aber versuchen will ich es.

Manchmal gehören Schmerzen dazu, beim Pilgern wie im Leben. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es geht", wenn man die Schmerzen akzeptiert. Aber es hat Grenzen. Ich werde meine Körper fordern, aber nicht überfordern. So wie in früheren sportlichen Zeiten wird es nicht mehr sein. Es darf Freude machen, und wenn es keine Freude machen sollte, werde ich wieder nach Hause fahren. Das habe ich mir versprochen. Ich muss nichts mehr leisten. Ich muss nicht irgendwo ankommen.

Die Bahnfahrt an die französisch-spanische Grenze ging mit Hindernissen los. Vom gestrigen Sturm lag ein Baum auf der Strecke. "Wird gerade noch klappen mit dem ICE nach Paris", sagt die nette Schaffnerin im umgeleiteten Bummelzug. Kurz zuvor wurde sie von einem wütenden alten Mann unfreundlich behandelt, wegen der Verzögerung, als sie seinen Ausweis sehen wollte. Zum Ausgleich bekam sie ein Lächeln von mir geschenkt.

Hat dann leider doch nicht geklappt mit dem ICE. In Paris war ich viel später als geplant. Dort musste ich das Ticket für den Anschlusszug nach Hendaye umbuchen. Da war eine lange Menschenschlange, ich hätte wieder den Zug verpasst. Dann hat mich eine Frau überraschenderweise abgeholt und an den Schalter begleitet, an allen Wartenden vorbei. Ich kam gleich dran. Ich war total überrascht. Die einzige Erklärung, die mir dazu einfällt: Sie hat die Jakobsmuschel an meinem Rucksack gesehen. Ich war sehr dankbar für diese Bevorzugung, hätte sonst den Anschlusszug ein zweites Mal verpasst.

Ich bin spät in Hendaye angekommen und hatte noch ein wenig zu wandern, rüber nach Spanien, nach Irún, zur dortigen Pilgerherberge, am Anfang des Camino del Norte.

17. April: Höhenweg von Irún nach Pasaia

Die erste Etappe war körperlich sehr fordernd. Die Distanz von Irún nach Pasaia betrug nur 16 Kilometer, doch sie führte steil von Meereshöhe auf 550 Meter und wieder hinab. In halber Höhe hätte es auch noch einen einfacheren Weg gegeben. Die Mehrzahl der Pilger entschied sich für diesen einfacheren Weg, weil es regnerisch war und der Höhenweg in Wolken lag. Ich entschied mich für den höheren Weg. Und als ich oben an der Ruine des ersten Wachturms meine Mittagspause einnahm, besserte sich das Wetter. Der Regen wurde schwächer, die Wolken lösten sich auf. Der Anblick des Meeres war atemberaubend und bezaubernd zugleich. Es war Aprilwetter, gab immer mal wieder einen kleinen Schauer. In Pasaia fand ich Unterkunft in der Pilgerherberge Eremita de Santa Ana, einer kleinen Kapelle auf einer Anhöhe, mit angebauter Herberge. Ich spüre die Erschöpfung in jeder Faser meines Körpers.

19. April: Ave Maria

In Orio fühlte ich mich gestern Abend nicht besonders wohl. Der "Fischerort" unter der Autobahnbrücke mit seinen zahlreichen Wohnblocks scheint mir ein sozialer Brennpunkt zu sein. Hier will wohl niemand wohnen, und so wohnen hier die, die keine Wahlmöglichkeit haben. Nach einiger Suche entdeckte ich eine Taberna, wo ich inmitten des Lärms mein Bierchen trinken konnte. Die Stille der Natur hat meine Sensibilität gegenüber Lärm erhöht.