Pizza, Pasta, Miasino - Sven Lepthin - E-Book

Pizza, Pasta, Miasino E-Book

Sven Lepthin

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Beschreibung

Italien. Ausgerechnet Italien. Hätte mir jemand am Anfang des Jahres gesagt, dass ich meine Sommerferien in Italien verbringen würde, ich hätte nur gelacht. Was sollte ich als Norddeutscher denn ausgerechnet in Italien? Aber es kam anders und statt in mein geliebtes Dänemark, sollte es im Sommer nun mit der Familie nach Italien gehen. Pizza, Pasta, heiße Füße und dazu eine mir gänzlich fremde Sprache, die mit viel zu viel Gestik unterlegt ist. Ein Nordlicht zwischen Bergen, italienischem Wein, Cannelloni, Espresso und Grappa. Gelati am Badesee und der Erkenntnis, dass man mit Flip Flops sehr wohl wandern gehen kann.

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Italien. Ausgerechnet Italien. Hätte mir jemand am Anfang des Jahres gesagt, dass ich meine Sommerferien in Italien verbringen würde, ich hätte nur gelacht. Was sollte ich als Norddeutscher denn ausgerechnet in Italien? Aber es kam anders und statt in mein geliebtes Dänemark, sollte es im Sommer nun mit der Familie nach Italien gehen. Pizza, Pasta, heiße Füße und dazu eine mir gänzlich fremde Sprache, die mit viel zu viel Gestik unterlegt ist.

Ein Nordlicht zwischen Bergen, italienischem Wein, Cannelloni, Espresso und Grappa. Gelati am Badesee und der Erkenntnis, dass man mit Flip Flops sehr wohl wandern gehen kann.

Ich bin seit 1972 Hamburger, lebe und arbeite hier so vor mich hin und genieße ansonsten im Urlaub eigentlich am liebsten die angenehmen Temperaturen in Skandinavien. Flachländer durch und durch. Aber manchmal muss es dann doch auch einfach mal Italien sein.

Für meine kleine Familie

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Wege führen, nur wohin?

Wieso ausgerechnet Italien?

Wo wollen wir denn sonst hin?

Immer noch nicht weiter!

Tatsächlich Italien?!

Freiburg. Fast Italien

Die Schweiz. Immer langsam

Villa Verde

Die Ankunft

Die Piazza

Der heilige Franziskus

Giro d´italia - ohne uns

Alles im Fluss

Der lange Weg nach Mailand

Mailänder Espresso

Alessi

Gewitter

In der Badeanstalt

Tanken mit Ananas

Turin

Grappa

Stresa

Miasino, fast vergessen

Ein italienisches Bühnenstück

Torre di Buccione

Orta am Abend

Nachgetreten

Prolog

Die Straße führte uns Kehre um Kehre immer weiter nach oben. Wie weit würde es noch sein? Wie hoch waren wir bereits? Ich konnte es nicht abschätzen. Der Anstieg wirkte unendlich und ich fragte mich, ob wir unser Ziel unter oder doch über den Wolken finden würden. Der Druck in den Ohren stieg und ich musste schlucken, um einen Druckausgleich zu schaffen. Jederzeit konnten wir die Vegetationsgrenze erreichen, ab der uns nur noch Moose und Flechten auf dem weiteren Weg begleiten würden. Sollten wir etwa auch noch die Schneegrenze passieren? Ich erwartete jederzeit Gämse die Straße kreuzen zu sehen.

Doch noch begleitete uns eine mir fremde Vegetation. Olivenbäume, Zypressen und Pinien sollten es wohl sein. Behauptete zumindest unser Reiseführer, der vorgab sich hier bestens auszukennen. Wir schenkten ihm unser blindes Vertrauen. Er kam immerhin aus einem renommierten Buchverlag.

Wir folgten stur der Straße, die uns unser Navigationsgerät emotionslos empfahl. Und tatsächlich flachte mit einem Male die Straße nach einer weiteren engen Kurve ab und vor uns öffnete sich die Einfahrt zu einem kleinen italienischen Bergdorf. Zivilisation! Ich jubelte innerlich und atmete erleichtert auf. Wir hatten den Aufstieg ohne größere Verluste geschafft. Eine übermenschliche Leistung, wie ich fand.

Irgendwo hier sollte unsere für zwei Wochen gemietete Ferienwohnung sein. Wir machten noch eine kurze Pause auf dem kleinen Marktplatz, der sich klein, aber fein in die Mitte des Örtchens schmiegte. Eingebettet zwischen sandsteinfarbenen Häusern, die keinen Zweifel daran ließen, dass der Ort schon länger hier stand. Seit einigen Jahrhunderten vermutlich, und dies wohl ziemlich unverändert.

Der Anstieg bis zu diesem pittoresken kleinen Marktplatz erschien mir wie der Weg zum Dach der Welt. Es schien mir auch, dass die Luft hier oben schon sehr viel dünner war und das Atmen um einiges schwerer fiel als noch unten im Tal. In solchen Höhen soll Viagra helfen, um die Sauerstoffaufnahme des Blutes zu verbessern, erinnerte ich mich mal gelesen zu haben. Panik stieg in mir auf; ich hatte keins. Was für eine Fahrlässigkeit bei der Reiseplanung. Der Gedanke ließ den Druck auf die Lunge noch schmerzlicher werden.

Ich war erschöpft. Zwei Tage Autoreise lagen hinter uns. Ich versuchte tief durchzuatmen, es fehlte mir an ausreichend Sauerstoff. Wie konnte man hier oben nur überleben? Ein kleines Schild an einer der Hausfassaden offenbarte uns stolz – Miasino, 479 Meter über Normalnull. Einem Norddeutschen kommt diese Höhe dem Besuch eines nepalesischen Bergdorfes gleich.

Wege führen, nur wohin?

Wie konnte das passieren? Wieso ausgerechnet Italien? Hätte mir jemand am Anfang des Jahres gesagt, dass ich meinen Sommerurlaub in Italien verbringen würde – ein Norddeutscher in den Bergen Norditaliens - ich hätte nur gelacht.

Eigentlich wollte ich doch mit einem Wohnmobil durch den schwedischen Sommer fahren. Links und rechts Nadelwälder, SAABs und Elche gucken. Campieren, wo sich Fuchs und Mücke gute Nacht wünschen und dabei gemütlich Knäckebrot und Boller essen. Aber es kam in diesem Jahr irgendwie anders. So ganz anders.

Das Navi sagt: Noch 696 Kilometer bis nach Hamburg

Ich habe gerade ein wenig Zeit und Ruhe, um noch einmal über die vergangenen Wochen und das Erlebte nachzudenken. Auf der Autobahn in Höhe von Ulm ist wenig los und ich kann entspannt auf der rechten Spur meinem noch weiten Weg in Richtung Hamburg folgen.

Das monotone Brummen des Motors hat alle eingeschläfert. Die Kinder schlafen auf der Rückbank des Autos und auch meine Frau scheint hinter ihrer dunklen Sonnenbrille zu schlafen. Das kann sie gut. Schlafen im Auto, ohne schlafend auszusehen. Aufrecht sitzend, den Blick geradeaus gerichtet. Aber von der Seite kann ich ihre geschlossenen Augen hinter den blauen Gläsern sehen. „Das war ein echt schwieriges Unterfangen für dieses Jahr einen Sommerurlaub zu buchen“, stelle ich kopfschüttelnd für mich noch einmal fest und muss unweigerlich dabei an die wundersamen Wendungen in unserer Urlaubsplanung im Vorfeld denken. Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Ein seltsamer und unerwarteter Weg war es bis hierher.

Der Rückweg aus dem Sommerurlaub zieht sich. Autobahnfahrten sind ja meistens eher eine langweilige Angelegenheit und deutsche Autobahnen sind auch nicht unbedingt berühmt für ihren Abwechslungsreichtum links und rechts der Fahrbahn. In den meisten Fällen ist eine hohe Böschung ein ständiger Begleiter, der die Sicht auf das Leben neben der Autobahn versperrt. Aber irgendwie genieße ich trotz dessen die herrschende Ruhe im Auto und das monotone Außen hinter den Fenstern. Ich habe kein Problem damit lange Strecken auf der Autobahn hinter dem Lenkrad zu sitzen und auf diese Art und Weise viele Kilometer zurückzulegen. Es hat sogar etwas Beruhigendes. Zumindest, wenn nicht zu viele andere Autofahrer unterwegs sind und mit ihrer mangelnden Verkehrserziehung an meinem Nervenkostüm zerren. Vor allem diese elendigen Mittelspurfahrer, die mit ihrer stoischen und selbstgefälligen Ruhe den laufenden Verkehr blockieren, heben gerne meinen Adrenalinspiegel auf ungewollte Höhen. Ich muss leider zugeben, ich hege dann wenig empathische Gefühle für diese ungewollten Verkehrsteilnehmer. Hier und jetzt ist alles gut, kein Mittelspurfahrer weit und breit. Der Verkehr rollt. Mein Adrenalinausstoß ist auf ein Minimum reduziert.

Ich blicke noch einmal zur Seite. Gut sieht sie aus mit ihrer azurblau getönten Sonnenbrille auf der Nase, zart gefasst in einem goldenen Rahmen. Ein Mitbringsel aus Italien. Ein Mitbringsel mit einer längeren Geschichte. Die Brille fand nicht sofort den Weg auf ihre Nase.

Ich muss unweigerlich an die kleinen Gassen in dem Ort Stresa am Lago Maggiore denken, in denen wir diese Brille erstanden haben. Für läppische fünf Euro. In einem nicht besonders italienischen Laden, wie ich gestehen muss. Aber das war bereits das Ende einer langen Vorgeschichte. Die eigentliche Geschichte begann schon einige Tage vor unserem Ausflug nach Stresa. Genauer gesagt in Mailand.

Ein ja durchaus als Sehnsuchtsort modebewusster Menschen bekannter Ort. Doch trotz aller konsumentenfreundlicher Versprechungen blieb der kaufreizgetränkte Rausch bei uns aus. Lediglich in einem kleinen Shop hinter dem Mailänder Dom kam kurzzeitig eine unsichere, eventuell mit etwas Frust gepaarte Kauflust auf. Es war auch das letzte Geschäft, welches wir nach einem langen Tag in dieser ansonsten wunderschönen Stadt besuchten. Der kleine Shop, betrieben von einem kleinen Autohersteller namens Ferrari, weckte die letzte Hoffnung, doch noch etwas aus Mailand als Souvenir mit nehmen zu können.

Es wurde mit einer Sonnenbrille geliebäugelt, die wohl Kontakt zu meiner Frau aufgenommen hatte. Aber das Gespräch dauerte und, während meine Frau noch im Zwiegespräch mit der Brille, ihre `Ich-muss-da-noch-einmal-drüber-nachdenken-runde´ durch den Laden drehte, ließ ich mich in der Zwischenzeit ebenso durch die Gänge des Ferrariwunderlandes treiben.

Was es hier alles gab. Die obligatorischen Schlüsselanhänger, die roten Schumimützen, Badehandtücher und natürlich Armbanduhren. Alle mit dem bekannten Logo verziert. Im Kellergeschoss konnte man sogar im Monocoque eines Formel-1-Boliden virtuell Runden auf einer Rennstrecke ziehen. Ein beeindruckender Fahrsimulator, der sich in meinem Keller ebenfalls gut gemacht hätte.

Auch mir flüsterte der ferrarirote Geist beim Schlendern durch die Regalreihen etwas ins Ohr. Und da ich nichts Besseres zu tun hatte, folgte ich seinem Säuseln. Dabei übermannte mich so beim Schlendern ein mir gänzlich unbekanntes Gefühl. Ich fühlte mich plötzlich so … so High Society. Und das konnten nicht einmal die anderen ähnlich armen und schwitzenden Touristen wie ich selbst verhindern.

Der Geist führte mich weiter durch die Räumlichkeiten, bis er mich vor einem Regal mit grell bunten Koffersets abstellte. Und da stand ich. Und mir gegenüber stand „es“. Ein dreiteiliges Hartschalenkofferset mit Leichtlaufrollen, in einem knalligen Zitronengelb. Schnittig und elegant im Design zugleich. Meine Liebe zu Hartschalenkoffersets mit Leichtlaufrollen war augenblicklich entfacht. Voller Ehrfurcht nahm ich einen der Koffer aus dem Regal und hielt ihn vorsichtig in den Händen. Ich war erstaunt, wie leicht er war. Die Verarbeitung wirkte wirklich hochwertig und absolut solide. Ich setzte ihn sachte auf den mit Linoleum ausgelegten Boden und ließ ihn sanft hin und her rollen. Die Rollen liefen ruhig und leise. Kein schleifen oder quietschen. Wie erwartet. Es genügte ein kleiner Anstoß und nahezu geräuschlos glitt der Koffer einige Meter den Gang hinab, bevor er vor einem weiteren Regal langsam ausrollte und dann still zum Stehen kam. Weiter als ich dachte, stellte ich voller Bewunderung für die Leichtläufigkeit der verwendeten Kugellager zufrieden fest. Die Rollen sind wirklich gut. Ich starrte dem Koffer am Ende des Ganges noch immer hinterher und überlegte, ob ich den nächsten aus dem Set gleich noch hinterherschicken sollte. Mit solch einem Koffer konnte ich mir den geschäftigen Gang durch den Terminal am Hamburger Flughafen gut vorstellen. Ich wäre in den langen Gängen bestimmt immer der Schnellste. Mit dem vielleicht schnellsten Kofferset der Welt. Immer der Erste am Gate. Hoffentlich stellt Lamborghini nicht auch Koffersets her. Ob man im Terminal auch ein Knöllchen für zu schnelles Kofferfahren bekommen kann? Oder sogar geblitzt wird? Wie schnell darf man eigentlich in einem Flughafenterminal fahren? Fragen, die mir wohl keiner beantworten kann. Schon gar nicht vor einem Regal voller Hartschalenkoffer in Mailand.

Der Geist gab wirklich sein Bestes, mich von dem Kauf dieses bemerkenswerten Koffersets zu überzeugen.

Ich war so berauscht von dem flüsternden Ferrariteufelchen, dass ich erst später darüber nachdachte, ob es eigentlich überhaupt grundsätzlich Sinn macht (außer einem Kofferset natürlich), sich hier beispielsweise einen Schlüsselanhänger mit dem steigenden Pferd zu kaufen, wenn man gar keinen Ferrari fährt? Ich fragte mich, ob es wirklich cool ist, mit einem solchen Schlüsselanhänger in einen alten schäbigen Familienvan zu steigen und loszufahren.

Meine Frau hatte ihre Überlegungen abgeschlossen und wir trafen uns wieder vor dem echten Formel 1 Boliden im Ausstellungsraum. Ihre Entscheidung war gegen die Brille gefallen. Ich tat es ihr gleich und nahm ebenfalls Abstand und Abschied von dem Kauf dieses prachtvollen Kofferdreigestirns. Auch wenn es mich echt reizte und der Kaufdrang unbestritten da war. Aber mir wurde klar, als Familienvater habe ich auch eine gewisse Verantwortung zu tragen und die bei mir wiederkehrende Vernunft sagte mir, dass ich keinen zu schnellen Koffer fahren sollte.

Bei meiner Frau trat nach dem Mailandbesuch tatsächlich der befürchtete Frust auf und der feste Glaube, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben. Welche, konnte sie noch nicht einmal genau sagen. Die Sonnenbrille war es auf jeden Fall nicht. Sie haderte einfach mit sich selbst. Mit der Gesamtsituation. Da fährt man schon in die Modemetropole Mailand, das Eldorado für Shoppingbegeisterte, die Stadt, die wie kaum eine zweite mit Mode, Schmuck und allem Schönen reizt und dann das. Warum weckte dieser Ort ausgerechnet bei ihr keine Begehrlichkeiten? Mehr italienisches Flair geht doch eigentlich gar nicht, um sich einem kleinen gepflegten Kaufrausch hinzugeben, jammerte sie. Aber so war es tatsächlich, an diesem Tag blieb der Rausch einfach aus. Nicht einmal die Sonnenbrille konnte einen leichten Nebel der Kaufverführung über ihren Verstand legen. Bei mir hingegen, spukte das Kofferset noch immer im Kopf herum.

In Stresa gastierten wir einige Tage später. Dieser pittoresken kleinen Stadt am Lago Maggiore. Mit Mailand hat Stresa nicht viel gemein. Hier werden die Prioritäten anders gesetzt. Hier geht es um Gemütlichkeit und Wohlbefinden, wie man es von einer Kleinstadt mit einer fein herausgeputzten Altstadt nicht anders erwartet. Und dann standen wir plötzlich vor diesem Laden.

Die Asiaten, die diesen Shop betrieben, waren zwar sehr nett und zuvorkommend, aber dennoch passte der Laden irgendwie nicht so recht in das Gesamtbild dieser kleinen muckeligen mittelalterlichen Stadt. Einfach nicht in eine Gasse aus einem Jahrhundert weit vor unserer Zeit. Er passte nicht zu den anderen Geschäften, die zwischen den engstehenden Häusern rund um den dazugehörigen kleinen Marktplatz Handwerkskunst an den geneigten Touristen brachten. Oder die Restaurants, die mit ihren kleinen Tischen und den weißen Tischdecken das italienische Lebensgefühl auf den Marktplatz und die Herzen der Menschen trugen. Und natürlich auch nicht zu den Läden, die in ihren Schaufenstern mit verführerischen Delikatessen, die italienische Lebensart gleich zum Mitnehmen anboten. Die darf ich ja nicht vergessen zu erwähnen, bei einem solchen Rundgang durch die schattenspendenden Straßen dieser Kleinstadt. Diese Geschäfte tragen schließlich ganz erheblich dazu bei, Italien lieben zu lernen. Italien to go, könnte man auch sagen.

Der asiatische Laden hingegen bot nichts von Alledem. Aufgeräumt wie ein Ein-Euro-Shop stand er da und lockte mit so ziemlich allem anderen, was nicht das lokale Lebensgefühl repräsentierte. Das Geschäft war in dieser perfekt inszenierten Touristenwelt so deplatziert, wie eine Bohrinsel auf dem Lago Maggiore. Das kalte Neonlicht von der Ladendecke tat seinen sterilen Beitrag. Aber es gab hier wirklich alles, alles was man mehr oder weniger für den normalen Haushalt so brauchte. Eben mehr die nützlichen Dinge. Alltagsdinge. Dinge, wie beispielsweise Glühbirnen, Süßigkeiten, Reinigungsmittel, Haushaltshelferlein, Schuhe mit mörderisch hohen Absätzen und die dazu passenden knappen, billigen Karnevalskostüme. Was mich wiederum verwunderte, da ich bis her nicht wusste, dass in Italien - außer in Venedig vielleicht – Karneval überhaupt gefeiert wird. Oder waren die kurzen Krankenschwesterkostüme für etwas anderes gedacht? Aber egal, es gab ja auch Erste-Hilfe-Koffer. Und es gab natürlich Sonnenbrillen. Eben ein Geschäft für Alles, und ein Laden, den man sich eigentlich gerne zu Hause um die Ecke wünscht, aber nicht unbedingt in diesem ansonsten sehr auf Stil getrimmten Umfeld vermuten würde.

Aber hier fanden wir sie, die in azurblau gehaltene Sonnenbrille mit goldenem Gestell. Fern von Mailand, fern vom Kaufrausch.

Ich sah noch einmal zur Seite und ließ den Straßenverkehr kurzzeitig Verkehr sein. Die Brille passt wirklich wie angegossen und schmeichelt ihrem Gesicht ungemein. Ich stelle fest, dass ich mich in diesem Moment, mitten auf der Autobahn, wieder einmal total in meine Frau verliebe. Bella donna, amore grande. Italien zeigt noch immer Wirkung.

Wieso ausgerechnet Italien?

608 Kilometer bis nach Hamburg, meint das Navi

„Das war wirklich ein holperiger Anfang für einen Sommerurlaub“, denke ich zum wiederholten Male, während ich weiterhin den Autobahnschildern in Richtung Norden folge. Und wie erstaunlich es im Nachhinein ist, dass wir, nach diesem ganzen Hin und Her im Vorfeld, ausgerechnet in Italien gelandet sind. Einem Ziel, das ursprünglich gar nicht zur Debatte stand. Die Wege der Urlaubsplanung sind manchmal unergründlich.

Das Einzige, was zu Beginn der Urlaubsplanung im Januar von vornherein feststand, war, dass es in diesem Jahr mal nicht nach Dänemark gehen sollte. Da waren sich Dreiviertel der Familie sehr einig. Scheinbar waren wir zu häufig in diesem mir so sympathischen Land in den letzten Jahren gewesen. Gut, ich muss zugeben, dass die Kinder von Geburt an eigentlich immer nur Dänemark gesehen haben. Aber es war ja auch immer schön einfach. Eigenes Haus, der Strand nicht weit. Man war unter sich. Die Kinder konnten laut sein und sich frei bewegen. Das Baden im Meer ist ja auch meistens spannender und natürlicher, als das Planschen im völlig verchlorten Pool auf Mallorca oder in Griechenland. Und für mich war Dänemark bisher auch immer ideal gewesen. Ich konnte stundenlang Fahrradfahren, ob mit oder ohne Familie. Oder konnte tatsächlich auch Mal ein Buch lesen. Es stehen bei mir ja immer einige im Regal, die noch gelesen werden wollen. Genaugenommen ist es gar kein Regal, sondern ein Bücherhaus, dass ich mit den Kindern vor einigen Jahren für den Muttertag gebastelt hatte. Mittlerweile stehen hier nur noch meine Bücher, die schon länger darauf warten in die Hand genommen zu werden. Aus Platzmangel in dem kleinen Bücherhaus liest meine Frau ihre Bücher jetzt nur noch über ihr eBook. Scheinbar kaufe ich zu viele Bücher und lese zu wenige von ihnen, um sie aus dem „möchten noch gelesen“ Haus in das „wurden bereits gelesen“ Regal umzusortieren. Eigentlich muss ich deshalb schon nach Dänemark, um hier Abhilfe zu schaffen.

Dänemark war also aus dem Rennen, denn es gab, wie gesagt, ein Aufbegehren in der Familie. Nicht nur seitens der Kinder, sondern auch seitens der Ehefrau. Ich war erschüttert. „Andere Ziele sollen erforscht werden“, wurde mir gesagt. Und das wurde dann auch als Parole für die weitere Urlaubsplanung ausgegeben. Ich wusste nicht einmal, dass es andere Ziele gab. „Die Kinder sind jetzt größer und müssen auch mal andere Dingen auf dieser Welt sehen, als immer nur Dünen, Strand und dicke Dänen“, hielt mir meine Frau mit drastischen Worten vor. Mit sehr ungewohnt drastischen Worten, wie ich fand. Aber sie wollte mir wohl wirklich klarmachen, dass ein Ortswechsel innerhalb von Dänemark nicht mehr die Begehrlichkeiten der Familie ausreichend befriedigen würde.

Und sie hatte es geschafft. Ich ging in mich und nach ein wenig Nachdenken musste ich zugeben, dass sie mit ihrer Meinung nicht ganz daneben lag. Die Dänen schienen tatsächlich in den letzten Jahren an Körpergröße zugelegt zu haben. Zumindest in der Ecke von Dänemark, in der wir bisher zu Urlauben pflegten. Was eventuell aber auch an den verdammt leckeren Burgern in der Imbissbude am Hafen gelegen haben könnte. Und leider muss ich auch hier zugeben, dass ich mich gerne mit in den Imbiss gedrängelt und mich über die Jahre allmählich den hier gastierenden Dänen in Körperfülle angepasst habe. Ein Blick von oben auf meine Füße verhieß nichts Gutes. Ich konnte tatsächlich nur noch die beiden großen Zehen sehen. Der Rest meiner Füße war verschwunden. „Das war auch mal anders“, musste ich mir wohl oder übel eingestehen. „Vielleicht bin ich zu Dänisch geworden?“, stellte ich mir nach der Erkenntnis der fehlenden Füße vielleicht etwas zu laut selbst die Frage. Meine Frau musterte mich von oben bis unten, grinste, sagte „Pølsertysker“ und verließ lachend das Zimmer.

Das war jetzt gemein. „Würstchendeutscher!“. Aber als Deutscher muss man doch im Urlaub das dänische Nationalgericht essen. HotDogs gehören einfach dazu. Und als Deutscher habe ich ja auch einen Ruf zu verteidigen. Auch wenn es vielleicht ein schlechter ist. Aber nichts destotrotz hatte meine Frau mit ihrer sehr direkten bildlichen Veranschaulichung es geschafft und ich dachte über die Argumente der Familie und die eventuell, überhaupt denkbaren, für mich auszuhaltenden, alternativen Urlaubsziele nach.

Es dauerte etwas, aber ich zeigte Einsicht und kam mit mir selbst überein:

Ja, sie hatte recht.

Ja, es musste sich was ändern.

Viel zu lange hatten wir uns dem kleinen Land bereits gewidmet. Es gab ja noch andere skandinavische Länder, wie ich voller selbstauferlegtem Enthusiasmus, feststellte. Davon musste ich jetzt nur noch meine Frau überzeugen.

Um es abzukürzen. Italien war zu diesem Zeitpunkt noch sehr weit weg in unserer Planung für den Sommerurlaub. Die Entscheidungsfindung für ein Reiseziel verlief in diesem Moment noch sehr schnell und am Ende einigten wir uns auf die Idee, mit einem Wohnmobil durch Schweden zu fahren. Ein Wohnmobil verheißt schließlich Abenteuer und Spannung und sollte in irgendeiner Form doch alle aus der Familie glücklich machen können.

Wo wollen wir denn sonst hin?

Der Familienrat wurde für einen der folgenden Abende einberufen. Am Esstisch im Wohnzimmer unter den beiden Hängelampen setzten wir uns zusammen, um den Kindern die Idee einer Wohnmobiltour durch Schweden schmackhaft zu machen.

Ich eröffnete die Präsentation mit den etwas ungelenken Worten „dieses Jahr wollen wir mal nicht nach Dänemark fahren. Worauf habt ihr denn Lust, Kinder?“ Schweigen und große Augen bei den Kindern. Mit solch einer Frage hatten sie augenscheinlich nicht gerechnet. Es ging ja sonst auch immer nach Dänemark, da musste man sich solche Fragen nicht stellen.

Es wurde geraume Zeit um den Esszimmertisch herum geschwiegen und eigentlich hätte der Schwedeneinwurf meiner Frau in diesem Moment ganz gut gepasst. Aber von der Seite kam erst einmal nichts. Stattdessen meldete sich unsere neunjährige Tochter und machte zögerlich einen Anfang. „Hawaii!?“

Stille.

„Ich würde gerne mal nach Hawaii fahren!“ wiederholte sie jetzt etwas überzeugter und mit mehr Nachdruck in der Stimme ihren Vorschlag. Damit hatte ich jetzt nicht so unbedingt gerechnet und der Vorschlag meiner Tochter durchkreuzte unseren eigentlich gefassten Plan ganz erheblich. Die erste Frage, die sich mir in diesem Moment aber aufdrängte, war: „Woher kennt meine Tochter bitte Hawaii, sie ist doch erst neun Jahre alt?“ Während ich noch über diese eigentlich völlig unwichtige Frage sinnierte, setzte meine Tochter erneut an, um ihrem Urlaubswunsch mit guten Argumenten noch mehr Halt zu verleihen. Denn jetzt stand für sie fest – sie will nach Hawaii. „Weil es da so wunderschön sein soll und außerdem es da ganz tolle Blumen gibt und alle immer tanzen!“ argumentierte sie mit einer Inbrunst, die mir ein wenig Angst machte. „Wie kommt sie denn jetzt darauf? Wohl zu viel Das Traumschiff im Fernsehen gesehen!?“ dachte ich für mich und sprach es lieber nicht laut aus. Aber einen guten Geschmack musste ich ihr zugestehen, meiner kleinen Tochter. Sie weiß, wo es schön ist. Hawaii ist auf jeden Fall immer eine gute Idee, wie ich finde, und ich musste zugeben, dass die Inseln auch auf mich einen gewissen Reiz ausüben. Eigentlich, seitdem ich damals die Serie Magnum im Fernsehen gesehen habe. Der Privatdetektiv, der in bunten Hemden und zu engen Hosen seine Fälle auf den Inseln Hawaiis zu lösen pflegte. Die Idee mit Hawaii gefiel mir eigentlich sogar so gut, dass ich mich kurzzeitig in Gedanken verlor und mich mit Schnauzbart, Hawaiihemd und zu engen Hosen durch Honolulu laufen sah. Und ich verlor mich noch weiter in paradiesischen Gedankenspielchen. Sonne, Strand und eine Hängematte unter Palmen. Nur für mich. Ich beobachte die sanften Bewegungen der Palmenblätter über mir im leichten Wind. Die Kinder spielen im seichten Wasser mit Delfinen. Von der Seite wird mir ein netter Cocktail mit Schirmchen von meiner Frau im Baströckchen gereicht. Der Vulkan neben an, lässt ab und an mal einen kleinen Pups in den ansonsten blauen Himmel steigen. Alles ruhig, alles total easy. Hier und da klappern die Kokosnüsse an meiner am Strand selbstvergessen tanzenden Frau. Die hysterischen Anrufe meiner Bank ignoriere ich geflissentlich und auch das gnadenlos in die Miesen gefahrene Girokonto kann mich am Strand unter meiner Palme nicht kratzen. Ich habe ja glücklicherweise keinen Onlinezugang hier an meiner Hängematte und das Handy liegt fern in der kleinen Strandhütte, die wir bewohnen.

Ich verwarf meine kleine Träumerei und ließ mit einer Handbewegung, als ob ich etwas Rauch wegwedeln wollte, auch den letzten Gedanken an Hawaii sich in Luft auflösen. Das sind doch alles Klischees. Kein Mensch trägt da noch Bastrock und Kokosnussschalen. Ich zeigte meiner Tochter auf dem mittlerweile aufgeschlagenen Weltatlas - 47 Seiten weiter als wir eigentlich waren -, wo auf der Welt Hawaii liegt und nannte ihr die dazugehörigen Flugstunden. Um das Ganze kindgerecht zu verdeutlichen, rechnete ich ihr die Flugstunden in Hörspielen von Bibi und Tina um. Das Argument saß. Das waren ihr eindeutig zu viele CDs auf einmal. Kurzentschlossen machte sie einen Rückzieher und verkündete einsichtig, dass sie doch lieber mit dem Besuch auf Hawaii bis zu ihrer Hochzeitsreise warten möchte. „Gutes Kind“, dachte ich, erleichtert über den Sinneswandel und schob ein „dann komme ich auch gerne mit“ hinterher.

Wir schlugen die 47 Seiten in dem Weltatlas wieder zurück und waren somit wieder in Europa, was unserem möglichen Urlaubsrahmen näherkam.

Meine Frau übernahm nach diesem kleinen Ausflug in die Welt der Fernreisen das Ruder, wohl wissend, den ihr zugedachten Part verpatzt zu haben, dieses aber natürlich nicht zugeben wollend. „Ich würde gerne dorthin fahren“ und ließ den Finger in dem aufgeschlagenen Weltatlas auf das wunderschöne Land Schweden fallen. Eigentlich war das gezeigte Land nur grün. In einem etwas anderem Grünton als Dänemark, aber eben auch einfach nur grün. Die Kinder schwiegen. Der Unterschied zu Dänemark und die Schönheit von Schweden waren auf dieser Seite des Atlas nicht auf Anhieb zu erkennen. Mit einfacher Bildersprache versuchte meine Frau das Grün von Schweden zu füllen und dessen eigentliche Faszination den Kindern näherzubringen. „Wollen wir zu Pippi Langstrumpf und nach Bullerbü? An einen See mit eigenem Ruderboot?“ Und zu guter Letzt ließ sie das magische Wort „Wohnmobil“ fallen und die Kinder brachen in Jubelstürme aus. Unsere Tochter rannte gleich los und begann zu packen. Ihr Bruder, drei Jahre älter, begann bereits den kleinen Gasgrill vom Balkon zu demontieren und reisefertig zu machen.

„Das war ja einfach“ konstatierte ich und so machte sich die ganze Familie an einem der folgenden Tage auf den Weg zu einem etablierten Wohnmobilevermieter in der näheren Umgebung.

In heller Vorfreude und des Urlaubs sicher, fuhren wir auf den Hof und betraten den Verkaufsraum. Doch bevor wir überhaupt unser Anliegen äußern konnten, rief der freundliche Wohnmobilfachangestellte quer durch den großen Verkaufsraum, aus der kleinen Küchennische mit der Kaffeemaschine, die sich in der hintersten Ecke befand, „Alle weg. Keine Wohnmobile mit Alkoven mehr für die nächsten Sommerferien verfügbar!“ Erstaunt blieben wir stehen und ich vergewisserte mich, dass der junge Mann tatsächlich uns meinte. Aber wir mussten ja die Angesprochenen sein. Es befand sich ja sonst niemand außer uns im Verkaufsraum. Sehen wir dermaßen nach „Wohnmobil mit Alkoven“ aus, fragte ich mich? Woran erkennt man das? Um mich endgültig zu vergewissern, dass wir tatsächlich gemeint waren, rief ich zurück in die weite Halle „Wir sind doch erst im Januar?“ Zumindest sah er sich jetzt veranlasst seine kleine Küche zu verlassen und doch einmal zu uns zukommen. Wahrscheinlich hatte ihn die Neugierde gepackt und wollte sich die naiven Fragesteller einmal genauer ansehen.