Planetenroman 87 + 88: Sohn der Sonne / Zwischen den Wirklichkeiten - H. G. Francis - E-Book

Planetenroman 87 + 88: Sohn der Sonne / Zwischen den Wirklichkeiten E-Book

H. G. Francis

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Beschreibung

Schon immer waren bei den Lesern die frühen Abenteuer des USO-Spezialisten Ronald Tekener und seines Psychopartners Sinclair Marout Kennon sehr beliebt. Deshalb wurden diese Klassiker in bereits zwei Bänden der Planetenromane veröffentlicht. Die Unterreihe erweitert dieser Band. Agent Kennon steckt inmitten einer tödlichen Verschwörung. Er wird von den Ereignissen überrascht und hat Mühe, sein Leben zu retten. Was sind die Hintergründe? Will die Regierung des Planeten Traak ihn umbringen? Oder steckt gar die USO selbst hinter den Anschlägen …? Später wird Kennon während einer Mission als Geheimkurier durch widrige Umstände auf dem Planeten Mirout festgehalten. Dort wird der Spezialist der USO Zeuge und Opfer seltsamer Vorfälle, bei denen sich Reales mit Irrealem vermischen. Kennon muss sich einer interstellaren Psi-Verschwörung stellen …

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Band 87/88

Sohn der Sonne

Zwischen den Wirklichkeiten

H. G. Francis

Cover

Rückentext

Sohn der Sonne

Milchstraße im Aufruhr

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

Nachwort

Zwischen den Wirklichkeiten

Wie gefährlich ist Psi-Materie?

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

Nachwort

Vorschau

Impressum

Das Psychoteam in Gefahr

Schon immer waren bei den Lesern die frühen Abenteuer des USO-Spezialisten Ronald Tekener und seines Psychopartners Sinclair Marout Kennon sehr beliebt. Deshalb wurden diese Klassiker in bereits zwei Bänden der Planetenromane veröffentlicht. Die Unterreihe erweitert dieser Band.

Agent Kennon steckt inmitten einer tödlichen Verschwörung. Er wird von den Ereignissen überrascht und hat Mühe, sein Leben zu retten. Was sind die Hintergründe? Will die Regierung des Planeten Traak ihn umbringen? Oder steckt gar die USO selbst hinter den Anschlägen ...?

Inhaltsverzeichnis

Erstes Buch

Sohn der Sonne

Zweites Buch

Sohn der Sonne

Milchstraße im Aufruhr

67 Jahre nach dem Zerfall des Vereinigten Imperiums und der Galaktischen Allianz – man schrieb das Jahr 2397 n. Chr. – verfügte Terra über 1112 Planeten in 1017 Sonnensystemen. Dazu kamen noch 1200 Welten der sogenannten Außenringgattung. Die Heimwelt Terra, Sitz der Solaren Regierung und Lebenskeim des Sternenreichs, wies eine Bevölkerung von acht Milliarden Menschen auf. Mit allen Mitteln wurde die Auswanderung zu neuentdeckten oder noch nicht voll erschlossenen Planeten gefördert.

Nach der Vernichtung von Arkon III hatte sich das alte Arkonidenreich im Verlauf der 67 Jahre in mehr als tausend Interessenverbände aufgesplittert. Ehemalige Gouverneure erhoben Besitzansprüche auf die von ihnen verwalteten Welten und versuchten, eigene Planetenreiche zu errichten.

Aktive Arkoniden kämpften um selbstständig gewordene Kolonien, um sie sich einzuverleiben. Springer, Aras, Antis und etwa zweitausend andere Völker, die aus dem Arkonidenstamm hervorgegangen waren, versuchten zu retten, was noch zu retten war.

Damit war das Großraumgebiet der Milchstraße zu einem gefährlichen Dschungel zwischen den Sternen geworden, und es war eine Kunst für sich, Bedrängten zu helfen, Mächtige in ihre Schranken zu verweisen und die Interessen der Menschen zu wahren.

Offene militärische Aktionen verboten sich unter diesen Umständen von selbst, da jede Demonstration der Stärke neue Machtballungen unter den Gegnern des Solaren Imperiums hätten provozieren können. Kam es zu bedrohlichen Konflikten unter den verschiedenen Völkern der Galaxis, dann mussten sie auf unauffällige Weise bereinigt werden.

Die Agenten der SolAb und die Spezialisten der USO befanden sich in ständiger Alarmbereitschaft. Laufend trafen Informationen aus allen Teilen der Milchstraße auf der Erde ein und wurden von hier aus in die verschiedenen Kanäle der Abwehrorganisationen und Geheimdienste gelenkt. So konnte oftmals schon eine Gefahr behoben werden, bevor sie der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde.

Viele von denen, die zur Macht strebten, wussten aber, wie aufmerksam SolAb und USO waren. Und sie trafen ihre Vorbereitungen, so dass jeder Einsatz eines SolAb-Agenten oder eines USO-Spezialisten zu einem tödlichen Risiko wurde ...

1.

Sinclair Marout Kennon sah die junge Frau nur für ein oder zwei Sekunden. Sie tauchte aus dem Gewühl der Passanten auf, die sich durch die Ladenstraße mitten in dem Einkaufszentrum schoben, und verschwand dann wieder darin.

Doch dieser kurze Moment genügte. Ihm war, als habe sich ihm eine unsichtbare Hand auf die Brust gelegt, um seinen Atem anzuhalten. Er fühlte, dass ihm das Blut in den Kopf schoss, und unwillkürlich eilte er zu einem Brunnen, der von großen, groben Steinen eingefasst war. Er kletterte mühsam auf die Steine und blickte sich um. Doch die Schuppenfrau war nicht mehr da.

Sie war von einer eigenartigen Schönheit gewesen, die ihn tief berührt hatte, und er wusste, dass er keine Ruhe finden würde, bevor er sie nicht wenigstens noch einmal gesehen hatte.

Ihr haarloser Kopf war von feinen, grün und silbern schimmernden Schuppen bedeckt gewesen, hatte sonst aber ein humanoides Aussehen gehabt.

Kennon stutzte, als er eine kleine, blonde Gestalt bemerkte, die etwa fünfzig Meter von ihm entfernt die Ladenstraße überquerte. Sie hatte einen gedrungenen, tonnenförmigen Körper, einen unverhältnismäßig großen Kopf und schien sich kaum auf den dünnen Beinen halten zu können.

Er lachte.

Für ihn war es nicht schwer, diese Gestalt als robotische Karikatur zu erkennen. Sie stellte ihn dar!

Die Freunde wollen mir einen Streich spielen, dachte er belustigt. Sie haben dieses grinsende Monstrum konstruiert, um mich damit zu erschrecken.

Schwerfällig bewegte sich die künstliche Gestalt voran und verschwand in einem Geschäft für positronische Spezialitäten. Sinclair Marout Kennon wollte sich abwenden, doch da sah er es hinter den Scheiben des Ladens aufblitzen. Irgendetwas explodierte, und dann blitzte es erneut auf. Einige hochbeinige Pagathäer blieben stehen und streckten neugierig ihre Stielaugen aus. Ihre rötlichen Körper verfärbten sich und nahmen eine tiefblaue Farbe an – ein untrügliches Zeichen dafür, dass sie Angst hatten.

Doch das hatte noch nichts zu besagen. Pagathäer waren die furchtsamsten Geschöpfe, die der Terraner kannte. Vielleicht hatte es in dem Laden nur einen Kurzschluss gegeben. Das genügte bereits, diese hochbeinigen Wesen in Angst und Schrecken zu versetzen. Aufschreiend fuhren sie herum, doch bevor sie fliehen konnten, stürzten zwei schattenhafte Gestalten aus dem Geschäft, schleuderten die Pagathäer zur Seite und rannten in den gegenüberliegenden Laden.

Kennon wusste, dass sie von dort aus mühelos zu einem Gleiterparkdach kommen konnten, und er war überzeugt davon, dass sie verschwunden sein würden, noch ehe irgendjemand begriffen hatte, was überhaupt geschehen war. Er selbst war sich noch immer nicht sicher, ob er mit seinen Ahnungen Recht hatte.

Sie waren unter Energieschirmen verborgen! Mit einem Scherz hatte das sicherlich nichts zu tun. Es war Ernst. Verdammter Ernst, überlegte er, während er von den Steinen glitt und sich rasch durch die Menge schob. Das Schuppenmädchen war vergessen. Jetzt interessierte ihn nur noch, was in dem Geschäft für Positronik geschehen war, einer Tarneinrichtung, hinter der sich das Organisationsbüro der USO auf Traak verbarg.

Die Pagathäer eilten ängstlich kreischend davon. Durch ihr aufgeregtes Verhalten zogen sie die Aufmerksamkeit auf sich. Niemand achtete auf den kleinen, verwachsenen Mann, als dieser das Geschäft betrat. Und dieser schien die Wesen vergessen zu haben, die draußen vorbeigingen, als die Tür hinter ihm zugefallen war. Im Laden war es beängstigend still.

Sinclair Marout Kennon griff sich nach dem linken Auge, dessen Lid vor Erregung unkontrolliert zuckte. Er spürte den Schlag seines Herzens so deutlich wie nie zuvor.

Was war im Organisationsbüro der USO geschehen?

Schüsse waren gefallen. Natürlich. Nichts anderes hatten die Blitze zu bedeuten gehabt. Aber wem hatten sie gegolten? Und wie war überhaupt möglich, dass geschossen worden war? Warum hatten die positronischen Abwehreinrichtungen versagt, die einen Feuerüberfall normalerweise unmöglich machten?

Hinter einem Verkaufstisch ragte ein Fuß hervor.

Kennon ging rasch zwei, drei Schritte weiter und blickte dann verstört auf die Reste eines Wesens, das ihm äußerlich weitgehend glich und das er noch vor wenigen Minuten für eine robotische Karikatur gehalten hatte. Unter der Gewalt der tödlichen Energieschüsse hatten sich Jacke und Hemd über der Brust aufgelöst. Daher lag die Stelle frei, an der die Energieflut in den Körper gedrungen war. Darüber befand sich, nunmehr nur noch schwach erkennbar, eine kleine, tätowierte Sonne.

»Der Sohn der Sonne«, sagte jemand mit weicher Stimme neben ihm.

Kennon fuhr erschrocken herum. Er hatte nicht gehört, dass irgendjemand gekommen war, und ihm wurde bewusst, dass er einen katastrophalen Fehler gemacht hatte. Er hätte niemals in dieses Geschäft gehen dürfen, nachdem hier Schüsse gefallen waren.

Vor ihm stand die geschuppte Tikalerin.

Sie blickte ihn ernst an. Ihre Augen waren groß, schwarz und unergründlich. Ein schwer bestimmbarer Vorwurf schien in ihnen zu liegen. Silbrig schimmerten die Schuppen auf ihren Wangen, ihrer Nase und dem fein geschwungenen Kinn.

»Gehen Sie«, bat sie drängend. »Schnell. Sie dürfen nicht hierbleiben. Wenn sie merken, dass sie den Falschen getötet haben, werden sie nicht lange zögern.«

Sinclair Marout Kennon war nicht fähig, irgendetwas zu sagen. Diese schöne, fremdartige Frau, die ihn um etwa einen halben Meter überragte, schlug ihn in seinen Bann. Er konnte seine Blicke nicht von ihr lösen, und ein inneres Verlangen, das stärker als seine Vernunft war, zwang ihn, eine Hand auszustrecken und den silbriggrün geschuppten Arm zu berühren. Er fühlte sich warm und angenehm an.

»Worauf warten Sie?«, fragte die Frau. »Weshalb wagen Sie soviel? Sie haben ja nicht einmal eine Waffe bei sich.«

Das entsprach nicht ganz den Tatsachen. Kennon verbarg einen flachen Hochleistungsstrahler unter seiner Kleidung, aber das verschwieg er ihr. Er wusste, dass sie recht hatte. Dies war kein Anschlag von politischen Wirrköpfen, sondern von Könnern ihres Faches. Solche aber verließen sich niemals blind auf ihren Erfolg. Er musste davon ausgehen, dass die Aktion von Helfern der Attentäter beobachtet worden war, und dass diese nunmehr von seinem Überleben wussten. Dennoch brachte er es nicht fertig, den geheimen Stützpunkt der USO stehenden Fußes zu verlassen. Er musste einen Blick in die anderen Räume werfen. Er musste wissen, ob er noch irgendjemandem helfen konnte.

Er konnte es nicht. Die Täter hatten ganze Arbeit geleistet. Keiner der zehn Mitarbeiter der USO hatte überlebt. Sie waren bei ihrer Arbeit an den Computern getötet worden. Keiner von ihnen hatte eine Chance gehabt. Keiner hielt eine Waffe in der Hand. Sie alle waren völlig überrascht worden.

Stöhnend wandte Kennon sich ab und schleppte sich durch den Laden zur Ausgangstür.

»Sie haben es gewusst«, stellte die Frau fest.

Kennon fühlte, wie sich sein Herz verkrampfte.

Nicht die Nerven verlieren!, mahnte er sich. Du musst dich beherrschen. Dies war schon der zweite Fehler. Jetzt weiß sie, dass dieser Laden nur eine Tarnung für etwas anderes war, und wenn sie einigermaßen intelligent ist, kann sie sich ausrechnen, dass ich zur SolAb oder zur USO gehöre.

»Schnell!«, drängte er, als habe er nicht gehört, was sie gesagt hatte. »Wir müssen gehen. Kommen Sie.«

Er durfte sich auf keinen Fall von ihr trennen. Noch nicht. Zu viele Fragen waren noch offen. Was hatte beispielsweise ihre Bemerkung über den »Sohn der Sonne« zu bedeuten? Wieso war sie plötzlich im Laden aufgetaucht? Warum warnte sie ihn? Warum war sie so ruhig, so als wüsste sie, dass ihr nichts geschehen könnte? Und wie viel hatte sie gesehen und erkannt, als er einen Blick in die geheimen Räume des Büros geworfen hatte?

»Wohin?«, fragte sie.

Ihr Oberkörper war unverhüllt. Feine, silbriggrün schimmernde Schuppen bedeckten ihre weiblichen Rundungen, nicht aber die Hüften, die Arme und den Rücken. Von den Hüften fiel ein bräunlichgelber, faltiger Rock bis auf die zierlichen Füße herab, die in weißen Stiefeln steckten.

»Nicht jetzt«, erwiderte er, und sie nickte verstehend. Im Laden konnten Mikrofone versteckt sein, die jedes ihrer Worte auffingen und weiterleiteten.

Sie reichte ihm die Hand und eilte mit ihm auf die Ladenstraße hinaus, auf der sich die Vertreter vieler Völker der Galaxis drängten. Plötzlich schien von jedem von ihnen unwägbare Gefahren auszugehen. Waren wirklich Beobachter der Aktion unter ihnen? Würden diese jetzt zuschlagen? Bisher hatte Kennon sich auf Traak sicher gefühlt. Nicht ein einziges Mal hatte er an eine Bedrohung gedacht. Doch jetzt war alles anders geworden. Irgendjemand hatte das Organisationsbüro der USO überfallen und die Mitarbeiter der United Stars Organisation ermordet.

Wem hatte der Anschlag wirklich gegolten? Dem Büro? Schwer vorstellbar. Auf Traak hatte es seit Jahren keine Komplikationen gegeben. Traak galt als einer der friedlichsten der mehr als 2300 Planeten, auf denen Terraner vertreten waren, obwohl diese Welt in letzter Zeit in den Mittelpunkt wirtschaftlicher Interessen gerückt war.

Lag darin das Motiv der Tat verborgen? Hatte sich jemand an einem der USO-Beamten rächen wollen und alle umgebracht, um seine Absichten zu verschleiern? Auch das war kaum vorstellbar, entschied Kennon. Wer brachte schon zehn Menschen um, wenn es ihm nur um einen einzigen von ihnen ging? Jeder halbwegs intelligente Mensch musste wissen, dass eine solche Aktion auch eine entsprechend umfangreiche Reaktion der Ordnungsbehörden hervorrufen würde.

Wenn er wusste, dass es ein Büro der USO war, dann wollte er uns herausfordern, überlegte Kennon, während er mit der Tikalerin durch das Gedränge der Ladenstraße zu einem Antigravschacht eilte, der nach oben gepolt war. Zusammen mit ihr stieg er hinein und schwebte rasch in die Höhe.

Er würde den Vorfall an eine übergeordnete Dienststelle melden, und damit musste die Angelegenheit für ihn erledigt sein. Er hatte auf einem anderen Planeten zu tun. Er war lediglich auf Traak, weil er einen kleinen, nicht besonders wichtigen Auftrag zu erledigen gehabt hatte und weil er sich privat an einer Spekulation beteiligen wollte, zu der ihm eine befreundete Wirtschaftsexpertin geraten hatte.

»Wir müssen gleich aussteigen«, sagte sie.

Kennon zuckte zusammen.

Weiterfliegen? Traak verlassen? Sich von dieser schönen Frau trennen, die einen so unwiderstehlichen Reiz auf ihn ausübte?

Natürlich, du Narr!, schalt er sich. Wer bist du denn, dass du glaubst, dich ihr nähern zu können?

Ich bin ein hässlicher Zwerg, dachte er. Gerade 1,52 groß und somit deutlich kleiner als sie, die wahrhaftig nicht groß ist. Ich bin schwach wie ein Kind, habe eine vorgewölbte Brust, einen Schädel, der auf den Schultern eines Zwei-Meter-Riesen noch lächerlich groß wirken würde, trotz meines Alters ein Kindergesicht, vorquellende Augen wie ein Frosch, der unter Atemnot leidet, und dazu auch noch abstehende Ohren, für die selbst dieser Kopf noch zu klein ist.

Nein. Er würde nicht bleiben, sondern so schnell wie möglich von Traak verschwinden und die geschuppte Tikalerin vergessen. Frauen dieser Art waren nicht für ihn da. Wenn er ein Liebesabenteuer suchte, dann blieben ihm nur käufliche Frauen, und auch ihnen wich er nach Möglichkeit aus, da er ihre Verachtung spürte und zudem wusste, dass der Kontakt mit ihnen für einen USO-Spezialisten ein Sicherheitsrisiko darstellte.

Doch auch ein Mann wie Sinclair Marout Kennon ertrug es nicht, immer einsam zu sein. Und so fiel es ihm schwer, sich von ihr zu trennen.

»Nein«, erwiderte er. »Sie steigen allein aus.«

»Reden Sie keinen Unsinn. Sie brauchen Hilfe. Das sehe ich doch.«

»Ich brauche keine Hilfe«, wies er sie schroff ab. »Lassen Sie mich in Ruhe.«

Er versetzte ihr einen leichten Stoß, so dass sie keine andere Wahl hatte, als den Antigravschacht zu verlassen. Sie schwebte im Schwerefeld auf einen Gang hinaus. Dabei drehte sie sich um und blickte ihn verwundert und zugleich mit einem Ausdruck der Wärme an, der ihn traf wie eine Ohrfeige. Er erfasste, dass sie ihm selbstlose Hilfe angeboten hatte, doch sein kriminalistischer Instinkt warnte ihn davor, sich noch länger mit ihr zu befassen, da die Lage durch sie zweifellos noch komplizierter werden würde, als sie ohnehin schon war.

»Vergiss sie, zum Teufel«, murmelte er und wandte sich ruckartig ab.

Er wurde sich dessen bewusst, dass er eine geradezu hysterische Angst davor hatte, sie noch länger in seiner Nähe zu haben, weil früher oder später der Zeitpunkt kommen würde, an dem sie ihn von sich stoßen und damit zutiefst verletzen würde, und er fürchtete sich vor diesem seelischen Schmerz, unter dem er allzu oft gelitten hatte.

Weiter, weiter!, drängte er sich. Vergiss sie. Wenn du anders aussehen würdest, könntest du dich vielleicht um ihre Sympathie bemühen, aber nicht so.

Er blickte nach unten und stellte erleichtert fest, dass er nicht verfolgt wurde. Ungehindert erreichte er das Ende des Antigravschachts und schwebte auf ein Parkdach hinaus, auf dem mehrere hundert Gleiter aller Art standen. Aras, Springer, Arkoniden, Neu-Arkoniden, Topsider, Springer und die Vertreter von anderen Völkern eilten von ihren Maschinen zu den Antigravschächten, um in dem Einkaufs- und Verwaltungszentrum, das sich über mehrere Kilometer hinzog, ihren Geschäften nachzugehen. Andere strebten von den Schächten weg den Gleitern zu, um zu ihren Häusern, den Verkehrssammelstellen oder den Raumhäfen zu fliegen.

Etwa hundert Meter von ihm entfernt befand sich eine Visikomkabine. Sie war unbesetzt, und sie sah absolut normal aus, so dass Kennon keinen Grund sah, sie nicht zu benutzen. Er schleppte sich mit schleifenden Füßen zu ihr hin, um eine übergeordnete Dienststelle in der Hauptstadt über den Überfall zu informieren. Er schob seine Kreditkarte in den Schlitz unter dem Visikom und nannte die Nummer. Im gleichen Moment machten sich die ungewöhnlichen Fähigkeiten des Kosmokriminalisten bemerkbar, der aus winzigen, für andere nicht wahrnehmbaren Spuren entscheidende Erkenntnisse ableiten konnte.

Obwohl er noch mehr als zwanzig Meter von seinem Gleiter entfernt war, konnte er sehen, dass irgendjemand sich an der Tür der Maschine zu schaffen gemacht hatte. Auf dem transparenten Material der Tür war der Abdruck einer Hand zu erkennen, da sich an dieser Stelle das Licht der Sonne nicht so klar spiegelte wie an anderen.

Kennon zog die Kreditkarte wieder aus dem Schlitz hervor und eilte zu einer wenigstens hundert Meter weit entfernten Maschine, die ihm unverdächtig erschien. Der Abdruck konnte zufällig an der Tür sein. Vielleicht hatte ein vorbeigehendes Kind lediglich die Hand dagegen geschlagen, ohne sich etwas dabei zu denken. Doch unter den gegebenen Umständen wollte der Kosmokriminalist kein Risiko eingehen.

Er startete und flog in nördlicher Richtung von dem Einkaufs- und Verwaltungszentrum weg, das sich wie ein riesiges liegendes S vor einer schneebedeckten Bergkette erhob. Er näherte sich einem ausgedehnten Hochplateau, auf dem weit verstreut die Gebäude einer großen Stadt standen.

Nachdem er sich davon überzeugt hatte, dass er nicht verfolgt wurde, tippte er eine Buchstaben-Zahlenkombination in den Bordvisikom, und das Symbol einer Handelsgesellschaft erschien auf dem Bildschirm. Es leuchtete in wechselnden Farben auf, und eine weibliche Stimme fragte, wen er sprechen wollte.

»Geben Sie mir Alkman«, befahl er.

Einige Sekunden verstrichen, dann erschien das Gesicht eines älteren Terraners auf dem Bildschirm. Der USO-Koordinator, der die Verantwortung für alle Aktivitäten der Spezialisten auf Traak hatte, blickte ihn gleichgültig an. Er hatte kalte, graue Augen, die nichts über seine Gedanken und Gefühle verrieten.

Kennon sah ihn zum ersten Mal, und er hütete sich, irgendwelche Empfindungen in sich aufkommen zu lassen. Alkman hatte ihm völlig gleichgültig zu sein. Er war so unwichtig und austauschbar wie ein Roboter; ein Rädchen im USO-Gefüge, das ihm aber als Kontaktmann wertvolle Dienste leisten konnte.

»Ich komme gerade vom Einkaufszentrum«, erklärte der Kosmokriminalist. »Der Positronikladen ist überfallen worden. Alle Mitarbeiter sind liquidiert worden. Ich bin nur durch einen Zufall entkommen. Die Täter haben einen Doppelgänger – eine Art Bio-Roboter – ausgeschaltet.«

Wenn Alkman überrascht war, zeigte er es nicht.

»Die hiesige Polizei wird sich darum kümmern«, erwiderte er. »Ich weiß wirklich nicht, warum Sie mir das melden. Wir haben mit einem Positronikgeschäft nichts zu tun. Aber Ihre Erregung ist mir verständlich. Sie sollten sich in die Hände eines Arztes begeben. Wahrscheinlich haben Sie einen Schock.«

Sinclair Marout Kennons linkes Lid zuckte. Alkman wusste ebenso wie er, dass mit Hilfe der Kreditkarte ein integrierter siganesischer Mikrozerhacker zwischengeschaltet worden war, der dafür sorgte, dass das Gespräch nicht abgehört werden konnte.

Warum tat Alkman so, als ginge ihn der Vorfall nichts an?

Irgendjemand ist bei ihm, beantwortete er sich diese Frage selbst.

»Aber wenn Sie meinen, mit mir sprechen zu müssen, stehe ich Ihnen natürlich zur Verfügung«, fuhr Alkman fort. Er lächelte flüchtig. »Schließlich bin ich ebenso von der Erde wie Sie. Kommen Sie also ruhig zu mir.«

Es passte nicht zusammen. Irgendetwas stimmte nicht mit Alkman.

»Eine gute Idee«, erwiderte Kennon und schaltete ab. Er dachte nicht daran, zu Alkman zu fliegen, nahm sich aber vor, das Zentralbüro zu überprüfen, sofern ihm dazu noch Zeit vor dem Start in den Weltraum blieb. Er tippte einen neuen Kode in den Steuercomputer des Gleiters ein und landete wenig später auf dem Dach eines Hochhauses, das am Rand einer Schlucht errichtet worden war.

Von hier aus reichte der Blick weit über das Land, bis hin zu den strahlend blauen Kristallwäldern im Norden, die in seltsam schimmerndem Glanz lagen, so als ob sich in ihnen das erste Licht eines heraufziehenden Tages sammelte. Doch es war nicht das Licht der Sonne, das den Kristallwald leuchten ließ, denn die Sonne stand hoch im Zenit. Kennon hatte gehört, dass Pflanzen den eigenartigen Effekt hervorriefen, hatte jedoch noch keine Zeit gefunden, sich näher damit zu befassen.

Wird wohl auch nichts mehr werden, dachte er, als er den Gleiter verließ. Es wird so sein wie auf vielen Planeten. Es gibt ungeheuer viel zu sehen, aber es fehlt die Zeit, sich ausreichend mit diesen Dingen zu beschäftigen.

Hinter einem Aufbau trat die gedrungene Gestalt eines Springers hervor, der einen Energiestrahler in der Hand hielt, und aus einem geparkten Gleiter stieg ein Akone aus, der eine zierliche Pneuprest aus dem Gürtel zog, eine Waffe, mit der sich über kurze Distanz tödliche Giftpfeile verschießen ließen.

Kennon schlug die Tür seiner Maschine zu und versuchte, wieder zu starten, doch der Antigrav reagierte nicht auf die positronischen Impulse des Steuercomputers, und in einem Display erschien die Aufforderung: Kreditkarte einschieben!

Die Karte steckte bis zum Anschlag im Lesegerät, und sie war in Ordnung. Der Gleiter hätte starten müssen.

Eine Falle!, erkannte der Kosmokriminalist. Sie haben mir eine Falle gestellt, und ich bin hineingetappt. Sie haben beobachtet, dass ich dem Anschlag entgangen bin, und jetzt wollen sie nachholen, was sie vorhin versäumt haben.

Er zog seinen Energiestrahler aus dem Gürtel und wollte ihn entsichern. Im gleichen Moment bemerkte er das winzige, rote Licht über dem Griff, das ihm anzeigte, dass die Waffe nicht geladen war. Die Nuklearbatterie fehlte!

Gehetzt blickte der Terraner sich um. Die beiden Männer schritten langsam auf ihn zu, als wüssten sie genau, dass er ihnen nicht mehr entkommen konnte.

Ich habe den Strahler heute morgen überprüft, erinnerte Kennon sich. Er war in Ordnung.

Er öffnete die Energiekammer und bemerkte Staub darin.

Das ist es also!, durchfuhr es ihn. Das USO-Büro auf Yerkres hat mir eine Batterie gegeben, die nach einer vorgegebenen Zeit zu Staub zerfällt. Dort wusste man also schon, dass etwas gegen mich im Gange war.

Die Augen des hünenhaften Springers waren kalt wie die gläsernen Linsen eines Roboters. Der Galaktische Händler war nur noch etwa fünf Schritte von Kennon entfernt. Er lächelte herablassend. Neben dem Gleiter tauchte der Akone auf. Er griff nach der Tür, um sie aufzuziehen.

Sinclair Marout Kennon blickte ihn mit wässrigen Augen an. Er wusste, dass er verloren hatte und nichts mehr tun konnte.

Der Tod war ihm sicher.

Das war's, dachte er eigentümlich gleichgültig. Nicht einmal bei einem großen Einsatz gescheitert, sondern auf einem unwichtigen Planeten in irgendeinem noch unwichtigeren Winkel schlicht beseitigt.

Gründe für einen derartigen Anschlag gab es genug. Wenn seine Feinde wussten, dass er USO-Spezialist war, dann war das Motiv klar – Rache für irgendetwas, was er bei irgendeinem seiner zahlreichen Einsätze für die United Stars Organisation getan hatte.

Der Akone zog die Tür auf.

»Wir haben uns tatsächlich täuschen lassen«, sagte er leidenschaftslos, »aber jetzt können wir den kleinen Fehler ja korrigieren.«

Er hob die Waffe und zielte auf das Herz des ungestalten Terraners.

Hinter dem Aufbau kam eine zierliche, silbrig-grün schimmernde Gestalt hervor. Sie rannte einige Meter weit auf Kennon, den Springer und den Akonen zu, blieb dann stehen, zielte mit einem Energiestrahler, den sie in der Rechten hielt, und stützte den Arm mit der Linken ab. Dann schoss ein nadelfeiner Energiestrahl auf den Akonen zu und tötete ihn.

Aufschreiend fuhr der Springer herum. Er riss seinen Energiestrahler hoch, kam jedoch nicht mehr zum Schuss. Die geschuppte Tikalerin war schneller.

»Los doch!«, schrie sie Kennon zu. »Wie lange wollen Sie noch warten? Im Haus sind noch mehr. Sie bringen Sie um, wenn wir nicht sofort verschwinden!«

2.

»Ich muss ein Telekomgespräch führen«, sagte der Kosmokriminalist. »Es ist dringend. Sehr dringend sogar. Können Sie mir das ermöglichen, ohne dass wir die Behörden einschalten?«

Tarish'a'tkur blickte ihn forschend an. Ihre Augen waren dunkel und voller Geheimnisse. Selbstbewusst saß sie ihm in einem weich gepolsterten Schalensessel gegenüber. Sie befanden sich in einer kleinen Wohnung in einem Hochhaus am nördlichen Rand der Stadt, nur etwa hundert Kilometer vom nächsten Raumhafen entfernt. Hierher hatte die Tikalerin ihn gebracht, nachdem sie ihn vor dem Mordkommando gerettet hatte.

»Mit wem wollen Sie sprechen?«

»Mit dem besten Freund, den ich habe. Mit Ronald Tekener.«

»Was wollen Sie von ihm?«

»Sie fragen, Tarish'a'tkur, dabei sollten Sie mir lieber einiges erklären. Wieso waren Sie in dem Positronikladen, nachdem dort die Schießerei stattgefunden hatte? Wieso haben Sie mir auf dem Dach geholfen? Weshalb sind Sie mir gefolgt? Und woher wussten Sie, wohin ich fliegen würde? Sie konnten noch nicht einmal ahnen, dass ich hilflos sein würde.«

»Ronald Tekener. Hört sich gut an.« Sie lächelte und zeigte dabei zwei Reihen schneeweißer Zähne. »Möchten Sie etwas trinken oder essen?«

»Warum weichen Sie mir aus?«

»Weil das Leben zu kurz für so viele Fragen ist«, entgegnete sie geheimnisvoll.

»Ich verstehe Sie nicht.«

Sie erhob sich und ging mit anmutigen Bewegungen zu einer Bar, die in die Wand eingelassen war. Sie wählte ein blaues, klares Getränk und brachte ihm einen einheimischen Wein, als sei sie ganz sicher, dass er ihn und nichts anderes haben wollte.

»Wer versteht schon den anderen?«, erwiderte sie. »Das ist es doch, wodurch alles so schwierig wird.«

»Das hilft mir nicht weiter.« Er stand ärgerlich auf. »Sie müssen schon offener zu mir sein.«

Sie kam zu ihm und setzte sich neben ihn auf ein Kissen.

»Ich habe Kopf und Kragen riskiert, um Sie zu retten. Schon vergessen?«

»Das werde ich nie vergessen«, beteuerte er. Ihre Nähe verwirrte ihn. Ein eigenartiger, sehr angenehmer Geruch ging von ihr aus. Er war so verlockend, dass Kennon am liebsten noch näher an sie herangerückt wäre, um ihn intensiver genießen zu können. Doch wiederum überfiel ihn die Angst vor einer Zurückweisung, und er entfernte sich einige Schritte von ihr.

»Also gut«, sagte er. »Sie wollen nichts erklären. Ich werde sicherlich noch erfahren, was ich wissen muss. Kommen wir auf den Punkt zurück, der zunächst am wichtigsten ist. Wie führe ich ein Telekomgespräch, ohne dass ich eine der öffentlichen Einrichtungen benutzen und somit eine Genehmigung bei den Behörden einholen muss?«

»Wir müssten bei einem der Handelsunternehmen einbrechen«, antwortete sie gelassen. »Dann hätten wir etwa acht Minuten Zeit, bis die Polizei zur Stelle ist. Reicht das aus?«

»Wir benötigen wenigstens zwei Minuten für den Rückzug«, gab er zu bedenken. »Bleiben also fünf bis sechs Minuten. Das genügt.«

»Was haben Sie vor?«

»Genau das, was ich gesagt habe. Ich muss mit einem Freund sprechen. Er soll mir helfen, Traak unbeschadet zu verlassen, wenn es an der Zeit ist.«

Sie zuckte mit der Schulter. Sie glaubte offenbar nicht daran, dass sich alles auf Traak gegen ihn verschworen hatte.

»Ist das Ihre einzige Möglichkeit, sich zu wehren?«, fragte sie. Er glaubte, eine gewisse Verachtung aus diesen Worten heraushören zu können.

Ich bin schwach, wollte er erwidern. Ich kann mich nicht auf einen Kampf einlassen, in dem es auf körperlichen Einsatz ankommt.

Doch er sagte: »Es geht nicht nur um mich. Ich glaube, dass wir es mit einer Verschwörung zu tun haben, die sich gegen ein höheres Ziel richtet. Es wäre vermessen von mir, sie allein bekämpfen zu wollen.«

Sie blickte ihn überrascht an.

»Dann wollen Sie doch auf Traak bleiben?« Sie trank hastig einen kleinen Schluck. »Sie sind ein rätselhafter Mann, Kennon. Eben noch dachte ich, sie hätten nichts besseres zu tun, als so schnell wie möglich von dieser Welt zu verschwinden.«

»Das war zunächst auch meine Absicht«, antwortete er. »Aber das kann ich nun nicht mehr. Ich muss klären, was diese Anschläge zu bedeuten haben, bevor ich Traak verlasse.«

Er rutschte aus dem Sessel und ging schwerfällig einige Schritte auf und ab.

»Wollen Sie mir nun helfen oder nicht, Tarish'a'tkur?«

»Kommen Sie.« Die junge Frau ging zu einem Schrank und nahm eine kleine, handliche Waffe heraus. »Wollen Sie auch eine?«

»Haben Sie ein ganzes Waffenlager?«

Sie lachte.

»Ich bin für eine tikalische Handelsorganisation tätig«, eröffnete sie ihm. »Habe ich das noch nicht gesagt?«

»Nein. Ich weiß lediglich, dass Sie Tarish'a'tkur heißen und Tikalerin sind. Darüber hinaus ist mir klar, dass Sie außergewöhnlich intelligent sind und dass Sie einige Geheimnisse vor mir haben. Wäre noch hinzuzufügen, dass ich Sie als sehr schön empfinde.«

Sinclair Marout Kennon fühlte, dass ihm das Blut in die Wangen stieg. Er fuhr sich mit dem Handrücken über das linke Auge und räusperte sich verlegen.

Sie kam zu ihm und reichte ihm einen kleinen Nadelstrahler.

»Ich freue mich, dass Sie das gesagt haben«, bemerkte sie mit weicher Stimme, und in ihren Augen war ein Glanz, der ihn in grenzenlose Verwirrung stürzte.

»Gehen wir«, erwiderte er rau. »Ich habe keine Zeit.«

Sie verstand ihn. Sanft lächelnd trat sie zur Seite und ließ ihn vorbei, so dass er die Wohnung vor ihr verlassen konnte. Diese kleine Geste hatte offenbar eine besondere Bedeutung auf Tikal. Mit ihr gab sie zu erkennen, dass sie ihn respektierte und ihm die Führungsrolle überließ. Erst als sie auf dem Gang vor der Wohnung waren, beschleunigte Tarish'a'tkur ihre Schritte und schloss zu ihm auf.

»Es tut mir leid«, flüsterte sie. »Wir müssen die Nottreppe nehmen. Wenn wir den Antigravschacht benutzen, werden wir von Aufzeichnungsgeräten erfasst.«

»Auf der Treppe nicht?«

»Nein. Wer benutzt die schon? An den Türen sind Impulsgeber, die ein Aufmerksamkeitssignal in der Zentrale des Gebäudes auslösen, aber sie lassen sich leicht ausschalten.«

Sie führte ihn zu einer Tür, hantierte geschickt an einem Wandschalter herum, nahm einen Mikro-Chip-Block heraus, durch den die Schalteinheit mit dem zentralen Magnetblasenspeicher verbunden war, und öffnete die Tür.

Kennon ging mit schlurfenden Schritten hindurch ins Treppenhaus. Betroffen blickte er auf die Stufen der Treppe. Sie waren viel zu hoch für ihn. Er musste jede einzelne von ihnen förmlich erklettern.

»Wie weit geht es nach oben oder nach unten?«

»Wir müssen sechs Treppen nach oben«, erklärte sie. »Ich werde Ihnen helfen.«

»Nein!« Geradezu hysterisch wehrte er sie ab, als sie ihren Arm um ihn legen wollte. »Das schaffe ich allein.«

Er blickte die Treppe hoch. Acht Stufen führten bis zum nächsten Absatz hoch. Ein wahres Gebirge schien sich vor ihm aufzutürmen. Außen wurde die Treppe von einer breiten, spiralförmigen Rinne eingefasst, die steil in die Höhe führte. Der Rückweg würde mühelos sein. Sie brauchten sich nur in die Rinne zu setzen und darin nach unten zu rutschen. In Sekunden konnten sie den Gefahrenbereich verlassen und in die Wohnung der Tikalerin zurückkehren.

Kennon stieg die ersten Stufen hoch, und zugleich erkannte er, dass er es nicht schaffen würde, ohne die Hilfe der Tikalerin sechs Treppen zu überwinden. Schon jetzt brach ihm der Schweiß aus, und die Muskeln seiner Beine begannen zu zucken.

Schweißüberströmt und mühsam atmend sank er zu Boden, als er die ersten acht Stufen überwunden hatte. Tarish'a'tkur stand lächelnd neben ihm.

»Wie lange wollen Sie warten, bis Sie sich helfen lassen?«, fragte sie. »Warum wollen Sie mir beweisen, was Sie körperlich leisten können? Meinen Sie nicht, dass so etwas nicht nur überflüssig, sondern auch gefährlich in unserer Situation ist?«

Sie ließ sich auf die Knie sinken und blickte ihn mitfühlend an.

»Ich weiß, dass Sie über eine wirklich ungewöhnliche Intelligenz verfügen, und ich spüre, dass sie geistige Gaben haben, mit denen Sie jeden anderen in den Schatten stellen. Verstehen Sie nicht? Das ist für mich wichtig – aber nicht, ob Sie in der Lage sind, eine Treppe hochzusteigen, die nicht auf Ihre körperlichen Bedürfnisse zugeschnitten ist.«

»Sie haben Recht«, entgegnete er beschämt. »Ich benehme mich wie ein Narr.«

»Vor allen Dingen brauchen Sie mir nicht zu imponieren.«

Kennons linkes Lid begann nervös zu zucken. Er wich ihren Blicken aus.

»Helfen Sie mir«, bat er.

Sie legte einen Arm um ihn und stützte ihn, als sie zusammen mit ihm die nächste Treppe hochstieg. Jetzt kamen sie schneller voran, und Kennon benötigte nur gelegentlich eine kurze Erholungspause, bis er weitergehen konnte. Erst als sie die sechs Treppen erklommen hatten, brauchte er eine etwas längere Pause, die sie nutzte, um den Überwachungschip aus der Tür zum Gang zu entfernen. Als sich die Tür öffnete, atmete er bereits wieder ruhig und gleichmäßig.

Du bist ein Dummkopf!, warf er sich vor. Du hättest dir gleich helfen lassen sollen. Wie willst du mit Tek reden, wenn du vor lauter Erschöpfung nicht den Mund aufmachen kannst?

Der Gang war jenem, auf dem Tarish'a'tkur ihre Wohnung hatte, zum Verwechseln ähnlich. Er war etwa zweihundert Meter lang und zehn Meter breit. In unregelmäßigen Abständen verbreiterte er sich zu kleinen Hallen, in denen Verkaufsvitrinen und Sitzmöbel aufgestellt waren. Farbige Türen aus unterschiedlichem Material zweigten vom Gang ab. An den Wänden hingen die Gemälde traakischer Künstler, die überwiegend in düsteren oder in leuchtend blauen Farben gehalten waren und die allesamt den Eindruck allzu gewollter Originalität auf Kennon machten.

Die geschuppte Tikalerin führte den Terraner zu einer roten Tür, die mit einem positronischen Schloss gesichert war.

»Werden Sie damit fertig?«, fragte sie. »Es wäre gut, wenn Sie es aufbrechen könnten, ohne einen Alarm auszulösen. Ich könnte es aufschließen, aber dann würde der Verdacht sofort auf mich fallen.«

»Damit wäre nichts gewonnen«, erwiderte der USO-Spezialist. Er brauchte noch nicht einmal eine Minute, das Schloss zu überwinden. Staunend sah Tarish'a'tkur zu, wie er die komplizierte Positronik überlistete, und wiederum ließ sie ihn vorangehen.

Erst als sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte und er sie aufforderte, ihn zu führen, schritt sie an ihm vorbei, durchquerte mehrere Büros und zeigte ihm den Telekom.

»Er ist doppelt gesichert«, erläuterte sie. »Die eine Sicherung können Sie entfernen, die andere nicht. Aber das wissen Sie ja.«

Sie half ihm, in die vor dem Gerät schwebende Antigravschale zu steigen, und schob diese so dicht an den Telekom heran, dass er die Schaltungen mühelos mit den Händen erreichen konnte. Dann trat sie zurück und ließ sich in der Ecke des Raumes in einen Sessel sinken. Er sah, dass sie sich völlig entspannt zurücklehnte und die Augen geschlossen hatte.

Interessierte sie sich nicht für das Gespräch mit Tekener? Bereitete sie sich auf den Rückweg vor? Oder verließ sie sich ganz auf ihr Gehör, um sich keine Nuance des Dialogs mit dem Freund entgehen zu lassen?

»Worauf warten Sie?«, fragte Tarish'a'tkur leise.

»Ich bin plötzlich nicht mehr sicher, dass fünf oder sechs Minuten ausreichen«, erwiderte er. Es fiel ihm schwer, sich abzuwenden. Am liebsten hätte er sie noch viel länger angestarrt. Ihr Gesicht war so schön und ebenmäßig und erhielt durch die silbriggrün schimmernden Schuppen einen fast überirdischen Glanz, so dass es ihm wie ein Kunstwerk erschien.

Er war noch niemals zuvor einem Tikaler begegnet, und er wusste so gut wie nichts über dieses Volk, das ihm galaktischen Sinn nie auffallende Aktivitäten entwickelt hatte. Jetzt sehnte er sich plötzlich danach, Tikal zu besuchen, andere Männer und Frauen dieses Planeten zu sehen, um Tarish'a'tkur mit ihnen vergleichen zu können. Wie alt war sie? Waren alle Frauen so schön wie sie? Und wie konnte man erkennen, was sie dachte und fühlte? War die Verständigung mit ihnen wirklich so leicht wie es schien? Oder war Tarish'a'tkur weltgewandter als andere Tikalerinnen? Hatte sie gelernt, sich mit Terranern zu verständigen und deren Handlungsweisen zu begreifen?

»Sie sind nicht konzentriert genug«, stellte sie fest. Sie schlug die Augen auf und blickte ihn an. »Irritiere ich Sie? Soll ich den Raum verlassen?«

Kennon zögerte kurz. Er fürchtete, sie zu verletzen. Dann entschied er sich dafür, offen zu sein.

»Sie würden mir helfen.«

Sie nickte verstehend, erhob sich und ging hinaus. Leise schloss sich die Tür hinter ihr.

Sinclair Marout Kennon schaltete den Telekom ein. Ronald Tekener befand sich auf dem Planeten Ossirmel, der nur etwa neun Lichtjahre entfernt war. Er hatte dort einen Auftrag im Telekommunikationszentrum zu erledigen, so dass Kennon hoffen konnte, ihn schnell zu erreichen.

Er tippte die Daten von Ossirmel ein, gab den entscheidenden Freikode ein und schickte das Hyperfunksignal hinaus. Sekunden später erhellte sich der Bildschirm, und das von groben, blauen Warzen bedeckte Gesicht eines Ossirmelaners erschien. Die vier weißen Augen blickten Kennon gleichgültig an.

»Ich muss Tekener sprechen. Sofort«, erklärte er, nachdem er die umständliche Begrüßungsformel gesprochen hatte. »Ich habe nur Sekunden, dann muss ich das Gespräch beenden.«

Der Ossirmelaner verstand. Normalerweise war es schwer, wenn nicht gar unmöglich, eines dieser schwerfälligen und eigensinnigen Wesen zu einer zügigen Vermittlung zu veranlassen, doch dieser Ossirmelaner reagierte sofort.

Das von Lashat-Narben gezeichnete Gesicht Ronald Tekeners erschien auf dem Bildschirm, und hellblaue Augen blickten ihn forschend an. Ein eigenartig drohendes Lächeln lag auf den Lippen des Galaktischen Spielers. Es jagte Kennon einen kalten Schauer über den Rücken. Noch nie hatte Ronald Tekener ihn in dieser Weise angesehen. So lächelte Tekener nur seine Feinde an, bevor er ihnen den Todesstoß versetzte.

»Ich bin in Schwierigkeiten, Tek«, sagte der Kosmokriminalist. Er versuchte, seinen Schrecken zu überwinden und so überzeugend und selbstsicher zu wirken wie nur eben möglich, konnte aber nichts dagegen tun, dass das linke Lid unkontrolliert zuckte und seine Stimme schwankte. Seine Gedanken überschlugen sich. Was war geschehen? Wieso begegnete ihm sogar der beste Freund, den er hatte, mit solch offenkundigem Misstrauen?

»Was ist los?«, fragte der Lächler.

»Das hiesige Büro musste seinen Betrieb einstellen«, umschrieb Kennon die tatsächlichen Ereignisse, wohl wissend, dass der Galaktische Spieler ihn genau verstand. »Alle Mitarbeiter sind ausgefallen. Ich war durch einen Zufall nicht dort anwesend, musste aber bald erfahren, dass die Komplikationen mich einbezogen.«

»Ich kann hier nicht weg«, entgegnete Tekener, nachdem er kurz überlegt hatte. »Geh nach Uzkelkap. Melde dich unter dem Namen deiner Eltern.«

Damit schaltete der Galaktische Spieler ab. Er verabschiedete sich nicht und gönnte ihm nicht einmal einen Blick, um zu unterstreichen, dass es noch eine gemeinsame Vertrauensbasis gab. Tekener behandelte ihn wie einen Fremden, der sich unbefugt in die inneren Angelegenheiten der USO eingemischt hatte.

Wie betäubt blieb Kennon vor dem Telekom sitzen. Er hörte nicht, dass sich die Tür hinter ihm öffnete. Erschrocken zuckte er zusammen, als Tarish'a'tkur ihn ansprach.

»Die Zeit läuft«, sagte sie. »Seit wenigstens zehn Sekunden weiß die Zentrale Bescheid, dass hier irgendetwas nicht in Ordnung ist.«

Im Gesicht Kennons arbeitete es. Er rutschte bleich aus dem Sessel. Ihm war anzusehen, dass er Mühe hatte, sich zu beherrschen. Seine Mundwinkel zuckten verräterisch, und er schwankte, als er zur Tür ging. Er schien kaum noch die Kraft zu haben, die Füße zu heben.

»Schnell«, drängte die Tikalerin. »Wir müssen uns beeilen. Sie sollten sich zusammenreißen. Ein Mann wie Sie sollte eine Enttäuschung verkraften können.«

Der Vorwurf, sich gehen zu lassen, traf ihn hart. Er presste die Lippen trotzig zusammen und stieß ihre Hand zur Seite, als sie ihm behilflich sein wollte. Keuchend schleppte er sich bis ins Treppenhaus. Hier ließ er sich in die spiralförmig nach unten laufende Rinne fallen und rutschte darin mit schnell wachsender Geschwindigkeit nach unten, war jedoch geschickt genug, sich rechtzeitig abzufangen und im richtigen Stockwerk auszusteigen.

Er hatte die Tür ihrer Wohnung bereits erreicht, als sie kam.

»Sie sind schon oben«, berichtete sie mit leiser Stimme. »Ich habe sie gehört.«

»Sie finden keine Spur von uns«, erwiderte er. »Warum kommen Sie so spät?«

»Ich habe unsere Spur mit einem Kältespray verwischt«, antwortete sie und zeigte ihm eine kleine Dose, bevor sie diese in einen Abfallschacht warf. »Was hat er gesagt?«

»Ich soll nach Uzkelkap gehen und mich dort unter dem Namen meiner Eltern melden.«

»Uzkelkap«, entgegnete sie. »Das ist eine kleine Stadt im Süden am schönsten Meer dieses Planeten. Dort liegt das größte Vergnügungszentrum von Traak. Mit einem schnellen Gleiter brauchen wir nicht mehr als einen Tag. Und bei wem sollen Sie sich dann melden?«

»Bei wem!« Kennon schnaufte ärgerlich. Er ging zur Bar und wollte sich ein hochprozentiges Getränk einschenken, überlegte es sich im letzten Moment jedoch anders. »Wenn ich das wüsste! Bei wem!«

»Was regt Sie so daran auf?«

»Ich soll mich unter dem Namen meiner Eltern melden.«

»Na und?«

Kennon stützte sich mit beiden Händen auf die Lehne eines Sessels. Er blickte auf seine Füße.

»Ich kenne den Namen meiner Eltern nicht«, eröffnete er ihr. »Ich habe sie nie gesehen. Ich bin als Kleinstkind ausgesetzt worden. Man hat mich gefunden. Ich bin in einem staatlichen Internat aufgewachsen. Und Tekener weiß das.«

»Aber er hat gesagt, Sie sollen sich unter dem Namen Ihrer Eltern melden?«

»Genau das«, presste Kennon erbittert hervor. »Es sieht beinahe so aus, als wollte Tek mich beleidigen und verletzen. Er weiß, dass ich unter den Erlebnissen meiner Jugend noch heute ...«

Er schüttelte den Kopf und schenkte sich nun doch ein hochprozentiges Getränk ein, um es auf einen Zug auszutrinken. Dabei verschluckte er sich und hustete würgend, bis Tarish'a'tkur ihn kurzerhand in die Arme nahm und ihm beruhigend über den Rücken strich.

»Ich habe dich schon verstanden«, sagte sie leise. »Du hast Wunden, die auch heute noch nicht vernarbt sind, und dein Freund hat eine von ihnen wieder aufgerissen. Gerade von ihm hättest du so etwas niemals erwartet.«

»Er war der einzige, dem ich wirklich in jeder Hinsicht vertraut habe.«

Er blickte verwundert auf und wurde sich dessen bewusst, dass er in ihren Armen lag.

»Lass mich los«, bat er.

Sie schüttelte den Kopf.

»Nein. Ich denke nicht daran«, lächelte sie. »Ich habe das sichere Gefühl, dass ich dich heute Nacht nicht allein lassen darf.«

»Ich will dein Mitleid nicht.«

3.

Tarish'a'tkur hatte nicht übertrieben. Die Küsten des Meeres, an dem die Stadt Uzkelkap lag, waren tatsächlich traumhaft schön. Sie hatten das Meer weit östlich der Stadt erreicht und flogen nun die Küste ab, der untergehenden Sonne entgegen. Kennon saß auf dem Beifahrersitz und blickte auf die von farbenprächtig leuchtenden Laub- und Kristallwäldern überwucherten Halbinseln hinab, die weit ins Meer ragten.

Mittlerweile hatte Kennon sich beruhigt. Tarish'a'tkur hatte ihm klargemacht, dass Ronald Tekener einen Grund gehabt haben musste, der nichts mit ihm zu tun haben musste.

Vielleicht hat ihn jemand gezwungen, so zu reden, hatte sie ihm zu bedenken gegeben. Du musst ihm vertrauen. Wenn er der Freund ist, den du in ihm siehst, dann wird er dich nicht verraten.

Der Galaktische Spieler hatte gesagt, dass er nicht nach Traak kommen würde. Er musste also allein mit der Situation fertig werden. Immerhin hatte Tekener ihm einen wichtigen Hinweis gegeben. Die Stadt Uzkelkap. Hier war ein Anknüpfungspunkt. Dazu kam der rätselhafte Hinweis auf den Namen seiner Eltern. Tekener wusste ebenso gut wie er, dass er ihn nicht kannte. Vielleicht aber meinte er gar nicht wirklich diesen Namen, sondern nur den Geburtsort oder den Namen des Internats? Vielleicht den Namen oder den Spitznamen des Internatsleiters?

Ich muss die Dinge auf mich zukommen lassen, mahnte sich Kennon zur Ruhe und Geduld. Ich werde früh genug erkennen, was Tek gemeint hat, und dann sehen wir weiter.

Die Tikalerin legte ihre Hand auf seinen Arm und zeigte dann nach vorn, wo direkt aus dem rötlich schimmernden Meer schlanke Säulen aus dem Meer aufzusteigen schienen.

»Die Onderathortürme der Traaker«, erläuterte sie. »Es sind die Türme, in denen sich die Seelen der Verstorbenen einfinden, um mit ihren Freunden und Verwandten zu sprechen, die noch im Diesseits leben müssen.«

Jetzt erkannte er, dass die Säulen auf kleinen Felsinseln errichtet worden waren, die der Küste vorgelagert waren. In einer weit ausgeschwungenen Bucht lag die Stadt Uzkelkap, in der es kein einziges Gebäude gab, das mehr als etwa anderthalb Meter aus dem Boden ragte.

»Auf den Dächern der meisten Häuser sind Gärten eingerichtet worden«, berichtete die Tikalerin. »Deshalb sieht man fast nur die schmalen Frontseiten.«

»Man könnte meinen, die weißen Tasten eines riesigen Musikinstruments wären über die ganze Bucht verteilt«, entgegnete er. »Man erkennt wirklich nur die weißen Streifen der Wände. Aber warum sind die Häuser nicht höher?«

»Nach dem Glauben der hier lebenden Traaker darf kein von ihnen selbst errichtetes Gebäude höher als der Kopf eines Traakers sein«, erläuterte sie. »Deshalb werden die Häuser eben in den Boden versenkt.«

»Eine friedliche Landschaft«, bemerkte er.

»Aber keine friedlichen Traaker«, ergänzte sie. »Die Stadt Uzkelkap ist bekannt für ihre gewaltsamen Auseinandersetzungen. Nirgendwo auf Traak gibt es so viele Morde wie hier.«

»Und doch wird die Stadt von Fremden frequentiert?«

»Ja, die meisten Raumfahrer kommen hierher. Unter den Häusern befinden sich mehrere ausgedehnte Höhlen, in denen es mehr Vergnügungsstätten aller Art gibt als in manch anderen Sonnensystemen zusammengenommen.«

»Dann steht uns ja noch allerhand bevor. Wirst du bei mir bleiben?«

»Ich weiche nicht mehr von deiner Seite. Ich habe dir meine Gefühle offenbart«, lächelte sie. »Das ist fast so, als hätten wir geheiratet. Damit musst du dich schon abfinden.«

»Ich wüsste wirklich nicht, was ich lieber täte.«

Sie ließ den Gleiter absinken und landete auf einem Parkplatz unmittelbar am Wasser. Kennon sah Dutzende von armlangen Fischen, die sich dicht unter der Küste aus den Wellen schnellten und sich laut platschend wieder ins Wasser zurückfallen ließen. Spinnenartige Tiere rannten über die Wasseroberfläche und jagten die Fische, fingen jedoch keinen einzigen.

Zwischen violett blühenden Büschen wölbte sich ein Torbogen, der aus blau leuchtenden Kristallen zusammengesetzt war. Tausendfältig spiegelte sich die tiefstehende Sonne mit violetten Reflexen darin. Eine feuerrote Echse, die etwa so groß wie eine Katze war, kauerte auf den Ästen eines Baumes und spähte misstrauisch zu ihnen herab. Die Tikalerin, die bereits ausgestiegen war, hob drohend eine Faust, und das Tier zog sich zornig schnaubend zurück. Es glitt am Baum herab und flüchtete ins Unterholz.

»Sie sind harmlos«, bemerkte Tarish'a'tkur. »Sie könnten uns zwar mit einem einzigen Biss ihrer giftigen Zähne töten, aber sie greifen niemals an. Ich habe schon Kinder gesehen, die diese Echsen gequält haben und denen doch nichts passiert ist.«

Sie beugte sich in den Gleiter und griff unter einen der Sitze, um zwei schmale Armreifen darunter hervorzuholen.

»Hier«, sagte er. »Die sind auf Traak als Sicherungen vorgeschrieben. Kleine Antigraveinheiten, mit denen sich die Insassen eines abstürzenden Gleiters retten können. Du kannst nicht viel damit anfangen, aber immerhin kannst du sicher daran zu Boden schweben, falls etwas passiert.«

»Die hättest du mir vorher geben sollen«, erwiderte er belustigt. »Jetzt sind wir gelandet.«

Sie lachte.

»Gleich wirst du wieder das Gefühl haben, frei in der Luft zu schweben.«

Sie führte ihn auf ein gelb schimmerndes Antigravband, auf dem sie schräg in die Tiefe glitten. Über ihnen leuchteten die Reklameschriften der zahllosen Vergnügungseinrichtungen.

»An der Oberfläche ist das Leben puritanisch«, sagte Tarish'a'tkur. »Und in den Tiefen der Höhlen lebt das Laster.«

»Die Traaker leben also nach einer doppelten Moral?«

»Tun wir das nicht alle? Aber sie sind wenigstens ehrlich dabei. Wenn sie in die Höhlen gehen, dann gelten für sie andere Gesetze. Kehren sie nach oben zurück, streifen sie ab, was sie hier getan und erlebt haben. Das geht so weit, dass jemand, der unten in den Höhlen einen Mord begangen hat, oben an der Oberfläche nicht verfolgt wird. Wenn er sich entschlösse, nie mehr nach unten zu gehen, bliebe die Tat ungesühnt.«

»Schwer zu verstehen«, erwiderte er. Geduldig hörte er zu, obwohl er bereits alles wusste, was sie ihm über Traak zu erzählen hatte.