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Die junge Paartherapeutin Emerie Rose kann ihr Glück kaum fassen. Sie hat ein Traumbüro mitten in New York ergattert! Doch eines Abends steht Drew Jagger in ihrer Tür: Starscheidungsanwalt, unverschämt attraktiv und rechtmäßiger Besitzer des Park-Avenue-Büros. Während er im Urlaub war, hat ein Betrüger Emerie um ihre gesamten Ersparnisse gebracht. Glücklicherweise erlaubt der arrogante Drew ihr, für ein paar Wochen zu bleiben. Doch Emerie und der Scheidungsexperte haben absolut nichts gemeinsam. Außer dass sie sich mit jedem Streit immer stärker zueinander hingezogen fühlen …
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Seitenzahl: 440
Buch
Die junge Paartherapeutin Emerie Rose kann ihr Glück kaum fassen. Frisch von Oklahoma nach New York gezogen, hat sie ein Traumbüro mitten auf der Park Avenue ergattert. Endlich steht dem Erfolg ihres Geschäfts nichts mehr im Weg. Doch als sie die Umzugskisten auspackt, steht auf einmal Drew Jagger in ihrer Tür – Starscheidungsanwalt, unverschämt attraktiv und rechtmäßiger Besitzer des Park-Avenue-Büros. Während er im Urlaub war, hat ein Betrüger Emerie die Räume vermietet und sie um ihre gesamten Ersparnisse gebracht. Sie steht vor dem Nichts. Glücklicherweise hat der arrogante Anwalt Mitleid mit der naiven Schönheit und gewährt ihr Unterschlupf im Gegenzug für ihre Dienste als Sekretärin. Doch die friedliebende Paartherapeutin und der hinterlistige Scheidungsexperte haben absolut nichts gemeinsam. Außer dass sie sich mit jeder Auseinandersetzung immer stärker zueinander hingezogen fühlen …
Autorin
Vi Keeland ist eine New-York-Times-Bestsellerautorin. Mit über einer Million verkaufter Bücher wird sie inzwischen in acht Sprachen übersetzt und ist auf zahlreichen Bestsellerlisten vertreten. Vi Keeland hat ihre große Liebe mit sechs Jahren kennengelernt. Sie lebt mit ihrem Mann und drei Kindern in New York.
Vi Keeland im Goldmann Verlag:
Bossman. Roman
Vi Keeland
Player
Roman
Übersetzt von
Babette Schröder
Manchmal findet man das,
wonach man sucht,
wenn man am wenigsten damit rechnet.
Unbekannt
1. Kapitel
Drew
Ich hasse Silvester.
Seit zwei Stunden saß ich jetzt schon im Verkehr fest, dabei waren es keine neun Meilen vom Flughafen LaGuardia bis zu meiner Wohnung. Inzwischen war es nach zehn Uhr abends. Warum amüsierten sich all diese Menschen nicht längst auf einer Party? Langsam kroch die Limousine in Richtung Norden. Meine ganze innere Anspannung, die sich in den zwei Wochen auf Hawaii gelöst hatte, baute sich bereits wieder in mir auf.
Ich versuchte, nicht an all die Arbeit zu denken, die mich zu Hause erwartete – die unzähligen Probleme anderer Leute, die meine Anspannung noch verstärkten:
Sie hat ihn betrogen.
Er hat sie betrogen.
Ich will das alleinige Sorgerecht für die Kinder.
Sie darf das Haus in Vail nicht bekommen.
Sie hat es nur auf mein Geld abgesehen.
Sie hat mir seit drei Jahren keinen mehr geblasen.
Pass auf, du Arsch, du bist fünfzig, hast eine Glatze und eine Figur wie ein Ei. Sie ist dreiundzwanzig, sexy und hat einen tollen Vorbau. Du willst diese Ehe retten? Komm mit zehn Riesen in frischen, sauberen Scheinen nach Hause und sag ihr, sie soll auf die Knie gehen. Dann bekommst du, was du willst. Und sie bekommt, was sie will – nämlich dein Geld. Machen wir doch nicht mehr daraus, als es war. Das willst du nicht? Anders als deine zukünftige Exfrau nehme ich einen Scheck. Stell ihn auf Drew M. Jagger, Rechtsanwalt, aus.
Allmählich bekam ich leichte Beklemmungen in diesem Uber. Ich rieb mir den Nacken und blickte aus dem Fenster. Auf dem Bürgersteig überholte uns eine alte Frau mit einer Gehhilfe.
»Ich steige hier aus«, bellte ich den Fahrer an.
»Und Ihr Koffer?«
Ich war bereits aus dem Wagen. »Machen Sie den Kofferraum auf. Wir stehen doch sowieso.«
Der Verkehr bewegte sich nicht, und bis zu meinem Haus waren es nur noch zwei Blocks. Ich warf dem Fahrer hundert Dollar hin, schnappte mir mein Gepäck aus dem Kofferraum und atmete einen tiefen Zug Manhattan ein.
Ich liebte diese Stadt ebenso sehr, wie ich sie hasste.
575 Park Avenue war ein restaurierter Vorkriegsbau auf der südöstlichen Ecke der 63. Straße – eine Adresse, die gewisse Vorurteile weckte. Schon mein Vater war hier Mieter gewesen, lange bevor das Gebäude in überteuerte Eigentumswohnungen umgewandelt wurde. Darum durfte ich mein Büro im Erdgeschoss behalten, während man anderen Geschäftsinhabern schon vor Jahren gekündigt hatte. Ich bewohnte außerdem das Penthouse in der obersten Etage.
»Willkommen zurück, Mr Jagger«, begrüßte mich der uniformierte Portier und hielt mir die Tür zur Halle auf.
»Danke, Ed. Habe ich in meiner Abwesenheit etwas verpasst?«
»Nein. Alles wie immer. Ich habe mir neulich mal Ihre Baustelle angesehen. Sieht gut aus.«
»Benutzen die Handwerker wie besprochen den Lieferanteneingang unten in der 63.?«
Ed nickte. »Ja. Ich habe die letzten Tage kaum etwas von denen mitbekommen.«
Ich brachte das Gepäck in die Wohnung und fuhr dann mit dem Fahrstuhl wieder nach unten, um nach dem Rechten zu sehen. Während ich zwei Wochen in Honolulu ausgespannt hatte, hatte ich meine Büroräume umfassend renovieren lassen. Risse in den hohen Decken mussten neu verputzt und gestrichen, das alte Parkett durch einen neuen Boden ersetzt werden.
Die Durchgänge waren noch mit Plastikplanen verhängt. Auch das wenige Mobiliar, das ich nicht eingelagert hatte, stand noch geschützt unter Planen. Mist. Sie sind noch nicht fertig. Der Bauleiter hatte mir versichert, bei meiner Rückkehr seien allenfalls noch kleinere Arbeiten zu erledigen. Ich war zu Recht skeptisch gewesen.
Als ich das Licht einschaltete, stellte ich jedoch zufrieden fest, dass der Eingangsbereich komplett fertig war. Zur Abwechslung endlich einmal ein Silvesterabend ohne böse Überraschungen.
Ich inspizierte kurz die anderen Räume, war zufrieden mit dem, was ich vorfand, und wollte gerade wieder gehen, als ich bemerkte, dass am Ende des Flurs unter einer Tür Licht hervorschien.
Ahnungslos ging ich zu dem kleinen Archiv- und Kopierraum, um es auszuschalten.
Ich bin über ein Meter neunzig groß und wiege zweihundertfünf Pfund. Dass ich dennoch zu Tode erschrak, als ich die Tür öffnete, lag vermutlich daran, dass ich überhaupt nicht damit gerechnet hatte, dort jemanden anzutreffen.
Die Frau schrie auf.
Ich wich einen Schritt zurück.
Sie stieg auf einen Stuhl, fuchtelte mit ihrem Handy in der Luft herum und kreischte: »Ich rufe die Polizei!« Mit zitternden Fingern wählte sie die Neun, dann die Eins und ließ den Finger über der letzten Eins schweben. »Verschwinden Sie, dann rufe ich nicht an!«
Ich hätte mich auf sie stürzen und ihr das Telefon entreißen können, bevor sie überhaupt begriff, was passierte. Doch sie sah derart verängstigt aus, dass ich noch einen weiteren Schritt zurückwich und ergeben die Hände hob.
»Ich tue Ihnen nichts«, sagte ich, so ruhig ich konnte. »Sie müssen nicht die Polizei rufen. Das hier ist mein Büro.«
»Halten Sie mich für dumm? Sie sind soeben in mein Büro eingebrochen.«
»Ihr Büro? Sie sind wohl nicht ganz bei Trost.«
Sie schwankte auf dem Stuhl und fuchtelte mit den Armen, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen. Und plötzlich … rutschte ihr der Rock bis zu den Füßen nach unten.
»Raus!« Sie wandte mir ihr Hinterteil zu, beugte sich nach unten und zog den Rock hastig wieder hoch.
»Nehmen Sie irgendwelche Medikamente, Ma’am?«
»Medikamente? Ma’am? Das soll wohl ein Witz sein.«
»Wissen Sie was?« Ich deutete auf das Telefon, das sie noch immer in der Hand hielt. »Warum drücken Sie nicht die letzte Taste und rufen die Polizei? Die können Sie dann zurück in die Klapse bringen. Sie sind ganz offensichtlich irgendwo ausgebrochen.«
Sie machte große Augen.
Für eine Verrückte sah sie – jetzt, wo ich sie genauer betrachtete – ziemlich hübsch aus. Das leuchtend rote Haar, das sie auf dem Kopf zu einem Knoten aufgetürmt hatte, schien zu ihrem feurigen Temperament zu passen. Doch als ich den Ausdruck in ihren lodernden blauen Augen sah, war ich froh, dass ich ihr das nicht gesagt hatte.
Sie drückte die Eins, um das Verbrechen zu melden, dass jemand sein eigenes Büro betreten hatte. »Ich möchte einen Raubüberfall melden.«
»Einen Raubüberfall?« Ich hob eine Braue und blickte mich um. Ein Klappstuhl und ein heruntergekommener Metalltisch – das war das ganze Mobiliar im Raum. »Was bitte sollte ich hier rauben? Ihre einnehmende Persönlichkeit?«
Sie korrigierte ihre Anzeige. »Einen Einbruch. Ich möchte einen Einbruch in der 575 Park Avenue melden.« Sie schwieg und hörte zu. »Nein, ich glaube nicht, dass er bewaffnet ist. Aber er ist groß. Ziemlich groß. Mindestens eins achtzig. Vielleicht auch größer.«
Ich grinste. »Und stark. Vergessen Sie nicht, denen zu sagen, dass ich stark bin. Soll ich Ihnen meine Muskeln zeigen? Und vielleicht sollten Sie denen auch sagen, dass ich grüne Augen habe. Ich möchte nicht, dass die Polizei mich mit den wirklich schweren Verbrechern verwechselt, die in meinem Büro herumlungern.«
Nachdem sie aufgelegt hatte, blieb sie auf dem Stuhl stehen und starrte mich noch immer wütend an.
»War hier eine Maus?«, fragte ich.
»Eine Maus?«
»Weil Sie auf den Stuhl gesprungen sind.« Ich lachte.
»Das finden Sie wohl lustig.«
»Komischerweise ja. Und ich habe keine Ahnung, warum. Es sollte mich eigentlich wütend machen, dass ich aus dem Urlaub zurückkomme und einen Hausbesetzer in meinem Büro vorfinde.«
»Einen Hausbesetzer? Ich bin keine Hausbesetzerin. Das hier ist mein Büro. Ich habe es vor einer Woche bezogen.«
Erneut schwankte sie auf ihrem Stuhl.
»Warum kommen Sie nicht da runter? Sie werden noch fallen und sich wehtun.«
»Woher weiß ich, dass Sie mir dann nichts tun?«
Ich schüttelte den Kopf und unterdrückte ein Lachen. »Herzchen, Sie sehen doch, wie groß ich bin. Und Sie wissen, wie groß Sie sind. Auf dem Stuhl sind Sie kein Stück sicherer. Wenn ich Ihnen etwas antun wollte, lägen Sie schon längst bewusstlos auf dem Boden.«
»Ich gehe zweimal die Woche zum Krav-Maga-Kurs.«
»Zweimal die Woche? Im Ernst? Danke für die Warnung.«
»Sie brauchen sich nicht über mich lustig zu machen. Vielleicht könnte ich Sie verletzten. Für einen Einbrecher sind Sie wirklich ziemlich unverschämt.«
»Kommen Sie da runter.«
Nachdem wir uns noch einen Moment angestarrt hatten, kletterte sie schließlich vom Stuhl.
»Sehen Sie? Auf dem Boden sind Sie genauso sicher wie dort oben.«
»Was wollen Sie hier?«
»Sie haben die Polizei nicht angerufen, stimmt’s? Beinahe wäre ich Ihnen auf den Leim gegangen.«
»Nein, habe ich nicht. Aber ich könnte sie anrufen.«
»Aber warum sollten Sie das tun? Man könnte Sie wegen Einbruch festnehmen?«
Sie zeigte auf ihren behelfsmäßigen Schreibtisch. Zum ersten Mal bemerkte ich, dass überall Papiere lagen. »Ich habe Ihnen doch gesagt. Das hier ist mein Büro. Ich arbeite noch, weil die Handwerker heute so laut waren, dass ich nicht alles geschafft habe, was ich erledigen wollte. Warum sollte jemand an Silvester um halb elf Uhr abends irgendwo einbrechen, um zu arbeiten?«
Handwerker? Meine Handwerker? Irgendetwas stimmte hier nicht. »Sie waren heute mit den Handwerkern zusammen hier?«
»Ja.«
Ich kratzte mich am Kinn, sie klang halbwegs glaubhaft. »Wie heißt der Bauleiter?«
»Tommy.«
Sie sagte die Wahrheit. Nun, zumindest musste ein Teil stimmen. »Sie sind vor einer Woche hier eingezogen, sagten Sie?«
»Richtig.«
»Und von wem haben Sie den Raum gemietet?«
»Von John Cougar.«
Meine Brauen schossen in die Höhe. »Von John Cougar? Das Mellencamp hat er wohl abgelegt?«
»Woher soll ich das wissen?«
Von einem Folksänger – das klang nicht gut. »Und Sie haben diesen John Cougar bezahlt?«
»Natürlich. So läuft das, wenn man ein Büro anmietet. Zwei Monate Kaution sowie die erste und die letzte Monatsmiete.«
Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Mist.«
»Was?«
»Man hat Sie übers Ohr gehauen. Wie viel hat Sie das Ganze gekostet?«
»Zehntausend Dollar.«
»Bitte sagen Sie, dass Sie nicht bar bezahlt haben.«
Endlich dämmerte ihr etwas, und die Farbe schwand aus ihrem hübschen Gesicht. »Er hat gesagt, seine Bank habe abends nicht mehr geöffnet. Die Schlüssel könne er mir aber erst geben, wenn mein Scheck eingelöst sei. Wenn ich ihm das Geld bar gäbe, könnte ich sofort einziehen.«
»Sie haben John Cougar vierzigtausend Dollar in bar gegeben?«
»Nein!«
»Gott sei Dank.«
»Ich habe ihm zehntausend in bar gegeben.«
»Ich dachte, Sie hätten vier Monatsmieten gezahlt.«
»Das habe ich ja auch. Die Miete beträgt zweitausendfünfhundert pro Monat.«
Dass sie meinte, für zweitausendfünfhundert Dollar im Monat ein Büro an der Park Avenue mieten zu können, schoss den Vogel ab. Ich bekam einen Lachanfall.
»Was ist so lustig?«
»Sie sind nicht aus New York, oder?«
»Nein. Ich bin gerade aus Oklahoma hergezogen. Was hat das damit zu tun?«
Ich machte einen Schritt auf sie zu. »Ich bedaure sehr, Ihnen das sagen zu müssen, Oklahoma, aber Sie sind einem Betrüger aufgesessen. Das hier ist mein Büro. Seit drei Jahren. Davor hatte mein Vater es dreißig Jahre lang gemietet. Ich war die letzten zwei Wochen im Urlaub und habe das Büro in meiner Abwesenheit renovieren lassen. Irgendjemand, der sich wie ein Folksänger nennt, hat Ihnen Bargeld abgeknöpft, um Ihnen ein Büro zu vermieten, das er gar nicht vermieten durfte. Der Portier heißt Ed. Gehen Sie zum Haupteingang. Er wird Ihnen alles bestätigen, was ich gerade gesagt habe.«
»Das kann nicht sein.«
»Wofür brauchen Sie ein Büro?«
»Ich bin Psychologin.«
Ich streckte ihr die Hand hin. »Ich bin Anwalt. Zeigen Sie mir Ihren Vertrag.«
Sie machte ein langes Gesicht. »Er hat ihn noch nicht vorbeigebracht. Er sagte, der Besitzer mache Urlaub in Brasilien. Ich könne schon einziehen. Er würde am Ersten vorbeikommen, um die Miete zu kassieren, und mir den Vertrag zur Unterschrift mitbringen.«
»Man hat Sie übers Ohr gehauen.«
»Aber ich habe ihm zehntausend Dollar gegeben!«
»Was Sie hätte stutzig machen müssen. Für zweitausendfünfhundert Dollar können Sie an der Park Avenue noch nicht einmal eine Toilette mieten. Ist es Ihnen nicht merkwürdig vorgekommen, dass Sie ein solches Büro für fast nichts bekommen?«
»Ich dachte, ich hätte ein Schnäppchen gemacht.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ein tolles Schnäppchen. Ein ziemlich übles.«
Sie schlug sich die Hand vor den Mund. »Ich glaube, mir wird übel.«
2. Kapitel
Emerie
Ich kam mir wie die letzte Idiotin vor.
Es klopfte leise an der Toilettentür. »Alles okay da drin?«
»Ja, mir geht’s gut.« Ich schämte mich. Ich kam mir dumm und naiv vor … und ich war völlig pleite. Aber mir ging es gut.
Ich wusch mir das Gesicht und starrte mich im Spiegel an. Was zum Teufel sollte ich jetzt tun? Diese Woche würde endlich mein Festnetzanschluss eingerichtet und die Geschäftsausstattung geliefert werden. Mein wunderschönes Briefpapier mit dem hübschen Logo und der schicken neuen Adresse an der Park Avenue. Herrje. Noch einmal zweihundertfünfzig Dollar für nichts. Weil ich den Anblick meines Gesichts nicht mehr ertrug, ließ ich den Kopf hängen und starrte ins Waschbecken.
Schließlich öffnete ich die Toilettentür und trat hinaus. Der rechtmäßige Mieter lehnte an der Wand und wartete auf mich. Natürlich musste er auch noch umwerfend aussehen. Warum konnte ich mich nicht wenigstens vor einem hässlichen Mann blamieren?
»Sind Sie sicher, dass alles mit Ihnen in Ordnung ist?«
Ich mied seinen Blick. »Nein. Aber es wird schon gehen.« Ich zögerte, ehe ich weitersprach. »Ist es okay, wenn ich zurück in mein Büro gehe … Ich meine … in Ihr Büro … und meine Sachen zusammenpacke?«
»Natürlich. Lassen Sie sich Zeit.«
Es gab nicht viel zusammenzupacken. Meine Möbel sollten erst diese Woche geliefert werden, ebenso die Akten aus dem Lager. Das musste ich ebenfalls stornieren. Wo zum Teufel sollte ich mit dem ganzen Zeug hin? Meine Wohnung war nicht viel größer als der Archiv- und Kopierrraum, in dem ich gesessen hatte.
Als ich die letzten Sachen in einen Karton gepackt hatte, trat der rechtmäßige Mieter in den Türrahmen.
»Es tut mir alles so leid«, entschuldigte ich mich, bevor er etwas sagen konnte. »Dass ich auf diesen Schwindel hereingefallen bin und dass ich gedroht habe, die Polizei zu rufen.«
»Vergessen Sie nicht, dass Sie mir mit Ihren irren Krav-Maga-Fähigkeiten gedroht haben.«
Ich blickte auf und sah, dass er grinste. Es stand ihm gut. Zu gut. Seine Attraktivität beunruhigte mich. Allerdings nicht auf die Art, die mich zwang, auf einen Stuhl zu steigen und die Polizei zu rufen. Nein, das dreiste Lächeln dieses Mannes ließ meine Knie weich werden.
»Ich mache wirklich Krav Maga.«
»Schön für Sie. Als ich hereinkam, haben Sie mich ein bisschen erschreckt. Ich wette, ein Mädel können Sie durchaus ordentlich vermöbeln.«
Ich hielt im Packen inne. »Ein Mädel? Mein Trainer ist ein Mann.«
Er verschränkte die Arme über der Brust. Dieser breiten, kräftigen Brust. »Wie lange trainieren Sie schon?«
»Seit fast drei Monaten.«
»Drei Monate genügen nicht, um einen Mann von meiner Größe zu überwältigen.«
Vielleicht lag es an der vorgerückten Stunde. Vielleicht auch daran, dass man mich um meine gesamten Ersparnisse betrogen hatte und ich nicht wusste, wo ich künftig meine Klienten empfangen sollte – jedenfalls setzte mein Verstand aus. Ich stürzte mich auf den armen, ahnungslosen Mann. Ich sprang auf den Stuhl, von dort auf den Klapptisch und stürzte mich auf ihn.
Obwohl ich ihn eiskalt überraschte, hatte er mich in null Komma nichts unter Kontrolle. Ich wusste noch nicht einmal, wie er das gemacht hatte. Irgendwie war es ihm gelungen, mich herumzuwirbeln, mir die Arme auf den Rücken zu drehen und mich festzuhalten.
»Was war das denn?«, fragte er mit tiefer, beherrschter Stimme. Sein Atem kitzelte meinen Nacken. Es ärgerte mich, dass er noch nicht einmal aus der Puste war.
»Ich wollte Ihnen eine Griffkombination zeigen.«
Ich spürte, wie sein Körper hinter mir bebte, vernahm jedoch keinen Laut.
»Lachen Sie mich etwa aus? Schon wieder?«
Lachend antwortete er: »Nein.«
»Ich beherrsche die Kombination. Bestimmt. Nach allem, was passiert ist, bin ich heute Abend nur überhaupt nicht in Form.«
Er hielt mich noch immer fest. Anstatt mich loszulassen, beugte er sich über meine Schulter nach vorn und sagte: »Wenn Sie mir Ihre Griffe zeigen, zeige ich Ihnen gerne auch meine.«
Eine Gänsehaut überlief meinen Körper, und jedes einzelne Härchen richtete sich auf. »Also … ich … ich …«
Endlich ließ er mich los, und ich brauchte einen Moment, um mich zu fassen. Anstatt mich mit geröteten Wangen zu ihm umzudrehen, blieb ich mit dem Rücken zu ihm stehen, sammelte meine letzten Sachen ein und zog das Ladegerät aus der Steckdose.
»Ich erwarte einige Lieferungen, und am Dienstag soll ein Telefonanschluss eingerichtet werden.« Meine Schultern sackten erneut nach unten. »Ich habe der Lagerfirma auch noch das Doppelte bezahlt, damit sie die Möbel schon diese Woche liefert. Das werde ich natürlich gleich morgen früh alles stornieren. Nur für den Fall, dass jemand auftaucht … wäre es nett, wenn Sie sie wieder wegschicken könnten.«
»Natürlich.«
»Danke.« Ich hob den Karton hoch und musste mich nun zwangsläufig zu ihm umdrehen.
Er kam um den Tisch herum, nahm mir den Karton ab und ging in den Empfangsbereich voraus. Hier war es dunkel, doch die Beleuchtung aus meinem vermeintlichen Büro spendete etwas Licht. Wir blieben vor dem Lieferanteneingang stehen, den ich die letzte Woche über benutzt hatte. Nun dämmerte mir, dass der falsche Makler mir vermutlich diesen Eingang gezeigt hatte, damit er nicht zu schnell aufflog. Er hatte gesagt, ich solle nicht den Haupteingang an der Park Avenue benutzen, damit während der Handwerkerarbeiten kein Dreck ins Gebäude getragen werde. Ich hatte diesem Betrüger einfach alles geglaubt, was er mir erzählte.
»Haben Sie einen Namen, Oklahoma? Oder soll ich Sie einfach Hausbesetzerin nennen?«
»Emerie. Emerie Rose.«
»Hübscher Name. Ist Rose Ihr zweiter Name oder Ihr Nachname?«
»Mein Nachname.«
Er hielt den Karton mit einer Hand und streckte mir die andere entgegen. »Drew. Drew Michael.«
Ich blinzelte. »Ist Michael Ihr Nachname?«
Als ich meine Hand in seine legte, erhellte sein Lächeln die Dunkelheit. Dieser Mann hatte volle, sinnliche Lippen.
»Mein zweiter Name. Mit Nachnamen heiße ich Jagger.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen, Drew Jagger.«
Er hielt weiter meine Hand fest. »Wirklich? Es freut Sie, mich kennenzulernen? Sie sind weitaus höflicher, als ich es unter diesen Umständen wäre.«
»Sie haben recht. Im Moment wünschte ich, Sie wären wirklich ein Einbrecher.«
»Haben Sie ein Auto? Es ist schon spät, und der Karton ist ziemlich schwer.«
»Schon okay. Ich nehme mir ein Taxi.«
Er nickte. »Seien Sie nur vorsichtig beim Ein- und Aussteigen. Dieser Rock scheint ein Eigenleben zu führen.«
Diesmal konnte auch die Dunkelheit meine Röte nicht verbergen. »Hätten Sie nicht wenigstens so tun können, als wäre das nie passiert? Ich musste doch heute Abend wirklich schon genug Demütigungen ertragen.«
Drew grinste. »Ich kann unmöglich so tun, als hätte ich diesen Hintern nicht gesehen.«
Ich war sehr schmal, aber mein Hinterteil war eher üppig geraten. Was mich immer etwas verunsicherte. »Was soll das heißen?«
»Es war ein Kompliment.«
»Oh.«
»Warum ist der Rock überhaupt heruntergerutscht? Haben Sie abgenommen?«
Ich hatte mich ohnehin schon bis auf die Knochen blamiert, also lachte ich und sagte ihm die Wahrheit. »Ich habe einen ziemlich großen Burger zum Abendessen gegessen. Danach hat mein Rock gespannt, also habe ich den Reißverschluss geöffnet. Die Tür war zu. Ich habe nicht damit gerechnet, dass irgendjemand hereinkommt.«
»Eine Frau, die große Burger isst und so aussieht? Lassen Sie das nicht die New Yorkerinnen hören. Sie schicken Sie glatt zurück nach Oklahoma.« Er zwinkerte mir zu, und ich muss gestehen, dass sich mein Herzschlag beschleunigte.
Wir gingen hinaus. Drew wartete mit mir, bis ein Taxi am Straßenrand hielt, und trug so lange den Karton. Nachdem ich eingestiegen war, stützte er sich auf die Tür.
»Silvester ist immer irgendwie deprimierend. Morgen sieht die Welt schon wieder besser aus. Warum bleiben Sie nicht im Bett, bestellen sich noch einen großen Burger und versuchen, sich etwas zu erholen? Treffen wir uns übermorgen auf der Polizeiwache. Das neunzehnte Revier in der 67. Straße. Sagen wir um acht Uhr morgens? An Neujahr wird auf der Wache die Hölle los sein – da haben die noch genug mit den betrunkenen Idioten von Silvester zu tun.«
An die Polizei hatte ich noch gar nicht gedacht. Vermutlich musste ich Anzeige erstatten.
»Sie müssen nicht mitkommen. Ich habe Ihnen schon genug Umstände gemacht.«
Drew zuckte die Achseln. »Die brauchen meine Aussage sowieso für ihren Bericht. Außerdem bin ich mit einigen von den Typen befreundet. Das wird die Angelegenheit beschleunigen.«
»Okay.«
Er klopfte zweimal auf das Wagendach und beugte sich zu dem Fahrer vor: »Passen Sie gut auf sie auf. Sie hatte einen beschissenen Abend.«
Nachdem wir uns in den Verkehr eingefädelt hatten, wurde mir langsam klar, was in der letzten Stunde geschehen war. Mein Adrenalinpegel schoss nach oben, und ich hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
Man hat mich um meine gesamten Ersparnisse gebracht.
Ich habe kein Büro mehr.
Ich habe allen Klienten meine neue Adresse gegeben.
Mir schwirrte der Kopf.
Wohin soll ich jetzt gehen?
Wie soll ich eine Kaution aufbringen, selbst wenn ich kurzfristig andere Praxisräumlichkeiten finde?
Wieder wurde mir übel. Ich ließ mich in den Ledersitz sinken, schloss die Augen und holte ein paarmal tief Luft. Seltsamerweise erschien sofort das Bild des gut aussehenden, dunkelhaarigen Mannes mit den sinnlichen Lippen vor meinem inneren Auge, der im Eingang zu meinem Büro gelehnt hatte. Zu seinem Büro. Und bei diesem Bild schlich sich – trotz dieser Katastrophe und all meiner Panik – unwillkürlich ein kleines Lächeln auf meine Lippen.
3. Kapitel
Drew
Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Sie ist zwanzig Minuten zu spät. Sie war sexy, und der letzte Rest meines weichen Kerns empfand Mitleid mit ihr. Schließlich hatte man sie betrogen. Aber zwanzig Minuten? Mein Honorar betrug sechshundertfünfundsiebzig Dollar die Stunde. Während ich vor der verdammten Polizeiwache auf sie wartete, hatte ich zweihundertfünfundzwanzig Dollar verloren. Ich blickte ein letztes Mal den Häuserblock hinauf und wollte gerade ins Büro zurückgehen, als ein farbiger Blitz um die Ecke bog.
Grün. Ich hatte die Farbe schon immer gemocht. Warum auch nicht? Geld, Gras, diese Frösche mit den vorstehenden Augen, die ich als Kind so gern gefangen hatte. Als ich jedoch Emeries Brüste unter ihrem Pullover auf und ab hüpfen sah, avancierte Grün zu meiner absoluten Lieblingsfarbe. Für eine so kleine Person hatte sie einen ganz ordentlichen Vorbau – passte gut zu ihrem kurvigen Hinterteil.
»Es tut mir so leid, dass ich zu spät komme.« Ihr Mantel stand offen, die blassen Wangen waren gerötet, und sie keuchte von ihrem Sprint den Block herauf. Sie sah anders aus als vorgestern Abend. Das lange, gewellte Haar trug sie jetzt offen, und das Sonnenlicht ließ den Kupferton an manchen Stellen golden schimmern. Sie rang um Atem. »Ich habe die falsche Bahn genommen.«
»Ich wollte gerade gehen.« Erneut blickte ich auf meine Uhr und bemerkte dabei winzige Schweißperlen auf ihrem Dekolleté. Ich räusperte mich und tippte auf die Uhr. »Fünfunddreißig Minuten. Das macht dreihundertfünfzig Dollar.«
»Wie bitte?«
Ich zuckte die Schultern und bewahrte eine undurchdringliche Miene. »Ich koste sechshundertfünfundsiebzig Dollar die Stunde. Sie haben über eine halbe Stunde meiner Zeit vergeudet. Das macht dreihundertfünfzig Dollar.«
»Ich kann Sie nicht bezahlen. Ich bin pleite, schon vergessen?« Verzweifelt hob sie die Hände. »Man hat mich übers Ohr gehauen. Ich sollte nicht so viel bezahlen müssen, nur weil ich verschlafen habe.«
»Entspannen Sie sich. Ich mache nur Spaß.« Ich stutzte. »Moment. Ich dachte, Sie hätten die falsche Bahn erwischt?«
Mit schuldbewusster Miene biss sie sich auf die Unterlippe und deutete auf die Tür zur Polizeiwache. »Wir sollten reingehen. Ich habe Sie schon lange genug warten lassen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Sie haben mich angelogen.«
Emerie seufzte. »Es tut mir leid. Ich habe verschlafen. Ich konnte gestern Abend nicht zur Ruhe kommen. Das erscheint mir alles wie ein böser Traum.«
Ich nickte und ließ sie, ganz gegen meine Gewohnheit, damit davonkommen. »Gehen wir. Mal sehen, ob die Chance besteht, diesen Kerl zu schnappen.«
Der diensthabende Beamte telefonierte gerade, als wir hereinkamen. Er lächelte und hob zwei Finger zum Gruß. Nachdem er dem Anrufer erklärt hatte, dass für gestohlene Supermarktprospekte die amerikanische Postaufsicht und nicht die New Yorker Polizei zuständig sei, beugte er sich über den Tresen und streckte mir seine Hand hin.
»Drew Jagger. Was führt dich in diese niederen Gefilde? Mischst du dich heute unters einfache Volk?«
Ich lächelte und ergriff seine Hand. »So ungefähr. Wie geht’s, Frank?«
»Besser denn je. Ich komme nachts nach Hause, ziehe mir nicht an der Tür die Schuhe aus, lasse nach dem Pinkeln die Klobrille oben und benutze Pappteller, damit ich nicht zu spülen brauche. Das Singleleben ist super, mein Freund.«
Ich wandte mich an Emerie. »Das ist Sergeant Frank Caruso. Bei seinem Verschleiß an Ehefrauen habe ich gut zu tun. Frank, das ist Emerie Rose. Sie muss eine Anzeige machen. Ist Mahoney heute da? Vielleicht kann er sich um sie kümmern.«
»Er fällt für ein paar Wochen aus. Hat sich den Fuß verknackst, als er einen Einbrecher verfolgt hat. Aber ich sehe mal nach, wer heute Dienst hat, und besorge dir einen guten Kollegen. Worum geht’s? Probleme zu Hause? Macht der Ehemann Schwierigkeiten?«
»Nichts in der Art. Emerie ist keine normale Mandantin. Sie hat vor Kurzem in meinem Haus ein Büro gemietet.«
Frank pfiff. »Ein Büro an der Park Avenue. Hübsch und reich. Sind Sie Single, Schätzchen?«
»Lernst du denn nie dazu?«
»Bislang habe ich es nur mit Frauen versucht, die hässlich und pleite waren. Vielleicht ist das mein Problem.«
»Ganz sicher nicht.«
Frank winkte ab. »Worum geht es dann? Macht der Vermieter Schwierigkeiten?«
»Jemand hat sich als Makler ausgegeben, ihr für zweitausendfünfhundert Dollar im Monat mein Büro vermietet und zehntausend im Voraus kassiert. Er hat sie übers Ohr gehauen, als ich nicht in der Stadt war und mein Büro habe renovieren lassen.«
»Zweitausendfünfhundert im Monat. Für dein Büro?«
»Sie kommt aus Oklahoma.«
Er blickte zu Emerie. »Gibt es in Oklahoma kein Monopoly? Konnten Sie sich nicht denken, dass so ein Laden an der Parkstraße fünfmal mehr kostet als in der Turmstraße?«
Ich unterbrach Sergeant Klugscheißer, bevor sich Emerie noch schlechter fühlte, als sie es ohnehin schon tat. Schließlich hatte ich mich vorgestern Abend, nach unserer überraschenden Begegnung, schon ausgiebig über ihr Urteilsvermögen lustig gemacht. Genug war genug. Frank reichte ihr einige Formulare, die sie ausfüllen sollte, und führte uns in einen Raum. Unterwegs traf ich einen alten Freund, mit dem ich mich eine Weile unterhielt, und als ich wieder zu Emerie stieß, war sie schon fast fertig.
Ich schloss die Tür hinter mir, und sie blickte auf und fragte: »Sind Sie Strafverteidiger?«
»Nein, Scheidungsanwalt.«
»Jeder Cop scheint Sie zu kennen.«
»Ein Freund von mir hat früher auf diesem Revier gearbeitet. Meine ersten Mandanten waren Polizisten. Wenn man mit einem Polizisten befreundet ist und einmal gute Arbeit geleistet hat, bekommt man Aufträge vom gesamten Revier und darüber hinaus. Das ist ein treuer Haufen. Zumindest untereinander. Sie haben allerdings die höchste berufsbedingte Scheidungsrate der Stadt.«
Eine Minute später kam ein Beamter herein, den ich noch nicht kannte, und nahm Emeries Aussage auf, dann meine. Als er fertig war, sagte er, ich könne gehen, wenn ich wolle.
Ich hatte keine Ahnung, warum ich eine halbe Stunde später noch immer dort herumhing, während Emerie das zweite dicke Buch mit Verbrecherfotos durchging.
Seufzend schlug sie eine Seite um. »Ich kann nicht glauben, wie viele Verbrecher wie ganz normale Leute aussehen.«
»Wenn der Typ wie ein Verbrecher ausgesehen hätte, hätten Sie ihm wahrscheinlich nicht so bereitwillig zehntausend Dollar in bar in die Hand gedrückt.«
»Vermutlich.«
Ich kratzte mich am Kinn. »Wie haben Sie überhaupt so viel Bargeld transportiert? In einer braunen Papiertüte voller Hunderter?«
»Nein«, sagte sie abwehrend, dann schwieg sie. Ich sah sie an und wartete. Sie verdrehte die Augen. »Also gut. Aber es war keine braune Papiertüte. Sie war weiß. Und es stand Wendy’s drauf.«
Ich zog eine Augenbraue nach oben. »Wendy’s? Der Fastfoodladen? Sie stehen echt auf Burger, stimmt’s?«
»Ich habe den Burger, den ich mir gerade zum Mittagessen gekauft hatte, in meine Tasche gesteckt und das Geld in die Papiertüte getan, damit es mir in der U-Bahn nicht geklaut wird. Ich dachte, es wäre wahrscheinlicher, dass jemand versucht, mir die Handtasche zu klauen, als mein Mittagessen.«
Da hatte sie recht. »Ganz schön schlau für ein Mädchen aus Oklahoma.«
Sie blinzelte. »Ich komme aus Oklahoma City, nicht vom Land. Sie meinen wohl, ich sei naiv, nur weil ich nicht aus New York stamme, und würde eine falsche Entscheidung nach der anderen treffen.«
Ich konnte nicht anders. »Sie haben einem falschen Makleragenten zehn Riesen in einer Wendy’s-Tüte gegeben.«
Es sah aus, als würde gleich Rauch aus ihren Ohren aufsteigen. Zum Glück hielt mich ein Klopfen an der Tür davon ab, mich weiter über Oklahoma lustig zu machen. Frank steckte den Kopf herein. »Hast du eine Sekunde, Anwalt?«
»Klar.«
Frank hielt mir die Tür auf, wartete, bis ich durchgeschlüpft war, und schloss sie hinter mir. »Wir haben hier ein kleines Problem, Drew.«
Er hatte sein Dienst-Gesicht aufgesetzt und zeigte auf die geschlossene Tür, hinter der Emerie saß. »Wir lassen jeden, der eine Anzeige erstattet, routinemäßig durch den Computer laufen.«
»Ja, und?«
»Oklahoma da drin wurde von der Polizei festgenommen. Auf sie läuft ein Haftbefehl.«
»Soll das ein Witz sein?«
»Ich wünschte, dem wäre so. In dem neuen Computersystem müssen wir eingeben, weshalb wir den Namen überprüfen. Der Beamte, der ihre Aussage aufgenommen hat, hat schon gemeldet, dass sie hier auf der Wache ist. Es ist nicht mehr wie früher. Alles kann zurückverfolgt werden. Sie muss sich stellen. In einer Stunde habe ich frei. Wenn du willst, übernehme ich die Festnahme und fahre sie rüber zum Gericht, damit sie sich zu der Klage äußern kann. Dann müssen wir ihr keine Handschellen anlegen. Es ist ein Haftbefehl wegen Nichterscheinen vor Gericht. Ich bin mir sicher, sie kann Einspruch einlegen und die Sache leicht aus der Welt schaffen.«
»Wie lautet die Anklage?«
Frank grinste. »Erregung öffentlichen Ärgernisses.«
»Erzählen Sie mir die ganze Geschichte. Von Anfang an.« Wir saßen auf einer Bank vor dem Gerichtssaal und warteten darauf, dass die nachmittägliche Anhörung begann.
Emerie ließ den Kopf hängen. »Ist das wirklich nötig?«
Ich log. »Sie müssen Ihre Geschichte dem Richter erzählen. Als Ihr Anwalt sollte ich sie darum zuerst hören.«
Bestimmt würde sie sauer sein, wenn sie feststellte, dass sie die fraglichen Ereignisse bei einer Vorladung nicht noch einmal wiedergeben musste. Wir würden lediglich in den Saal gehen, uns schuldig bekennen, eine Geldstrafe zahlen und wären in einer Stunde wieder draußen. Doch ich hatte einen ganzen Tag verloren und mir ein bisschen Spaß verdient. Außerdem gefiel mir die hitzige Seite ihrer Persönlichkeit. Wenn sie verärgert war, machte sie das noch anziehender.
»Okay. Also, ich habe im Sommer meine Großmutter hier in New York besucht. Und da habe ich diesen Typen kennengelernt. Wir sind ein paarmal ausgegangen, ohne dass etwas passiert wäre. An jenem Abend im August war es ziemlich heiß und schwül. Ich hatte gerade die Highschool abgeschlossen und zu Hause noch nie auch nur die kleinste Verrücktheit begangen. Als er mir vorschlug, nackt in einem öffentlichen Schwimmbad zu baden, dachte ich deshalb: Warum nicht? Es wird ja niemand erfahren.
»Erzählen Sie weiter.«
»Wir gingen ins Y auf der 92. Straße, weil es einen Außenpool hat. Wir kletterten über den Zaun. Als wir uns auszogen, war es so dunkel, dass ich dachte, der Typ könnte mich sowieso nicht sehen.«
»Sie haben sich also ausgezogen? Welche Farbe hatte Ihre Unterwäsche?« Ernsthaft? Es war unterirdisch von mir, sie das zu fragen. Doch in meiner verqueren Fantasie sah ich sie in einem kleinen weißen Tanga und passendem Spitzen-BH vor mir.
Kurz wirkte sie panisch. »Muss ich das wirklich alles wissen? Das ist zehn Jahre her.«
»Ich sollte es wissen. Je mehr Einzelheiten, desto besser. Das zeigt dem Richter, dass Sie sich gut an die Nacht erinnern, und dann denkt er, dass Sie es bereuen.«
Emerie knibbelte nachdenklich an ihrem Daumennagel. »Weiß! Meine Unterwäsche war weiß.«
Hübsch. »String oder Slip?«
Sie errötete und bedeckte das Gesicht mit den Händen. »String. Gott, ist das peinlich.«
»Wenn Sie es jetzt möglichst konkret beschreiben, macht es das später leichter.«
»Okay.«
»Haben Sie sich selbst ausgezogen, oder hat dieser Typ Sie ausgezogen?«
»Ich habe mich selbst ausgezogen.«
»Okay. Was ist dann passiert? Lassen Sie kein Detail aus. Vielleicht erscheint Ihnen etwas unwichtig, was Ihnen jedoch helfen kann.«
Sie nickte. »Nachdem ich mich ausgezogen hatte, ließ ich meine Kleider in der Nähe des Zauns zurück, über den wir hereingekommen waren. Jared – so hieß der Kerl, mit dem ich dort war – zog sich ebenfalls aus, legte seine Sachen neben meine, ging zum Sprungbrett und sprang mit einer Bombe ins Wasser.«
»Was geschah dann?«
»Dann kam die Polizei.«
»Sie waren noch nicht einmal im Wasser? Kein Herumalbern im Pool oder so?«
»Nein. Ich habe es gar nicht bis in den Pool geschafft. Als Jared wiederauftauchte, um Luft zu schnappen, leuchteten schon die Sirenen auf.«
Ich fühlte mich betrogen. Die ganze Vorbereitung, und das war alles? Noch nicht einmal ein bisschen Herumgefummel? Bevor ich ihr noch weitere Fragen stellen konnte, ratterte ein Gerichtsdiener eine Liste mit Namen herunter. Ich hörte, dass Rose darunter war, und führte Emerie zu dem Mann, der mit einem Klemmbrett vor dem Gerichtssaal stand.
»Raum 132, den Flur hinunter auf der rechten Seite. Die Staatsanwältin kommt dort auf Sie zu, um den Fall mit Ihnen zu erörtern, bevor Sie vor den Richter treten. Warten Sie draußen. Sie ruft Sie dann auf.«
Ich kannte den Raum und führte Emerie hin. Davor setzten wir uns erneut auf eine Bank. Emerie schwieg einen Moment. Als sie wieder sprach, klang ihre Stimme ein wenig zitterig, als kämpfe sie mit den Tränen.
»Das tut mir alles so leid, Drew. Wahrscheinlich schulde ich Ihnen fünftausend Dollar für die ganze Zeit, die Sie mir geopfert haben. Aber ich kann Ihnen noch nicht mal fünfhundert zahlen.«
»Machen Sie sich deshalb keine Gedanken.«
Sie berührte meinen Arm. Ich hatte ihr beim Gehen eine Hand auf den Rücken gelegt und ihr aus dem Polizeiwagen geholfen, mit dem Sergeant Caruso uns hergefahren hatte. Es war jedoch das erste Mal, dass sie mich berührte. Es gefiel mir. Verdammt. Ich kannte sie nicht gut, aber ich ahnte, dass Oklahoma keine Frau war, die man vögelte und dann fallenließ. Ich sollte das hinter mich bringen und dann hier verschwinden.
»Ich meine es ernst. Es tut mir wirklich leid. Ich kann Ihnen gar nicht genug dafür danken, dass Sie mich heute begleitet haben. Ohne Sie wäre ich völlig aufgeschmissen. Irgendwann werde ich es wiedergutmachen.«
Hm, da wüsste ich schon ein paar Möglichkeiten. »Schon okay. Wirklich. Machen Sie sich keine Gedanken. In zwanzig Minuten sind wir hier wieder raus.«
Doch dann ertönte eine Stimme hinter der Tür und rief: »Rose. Prozessnummer 18493094. Der Rechtsbeistand von Rose?«
Es musste sich um die Staatsanwältin handeln. Ich hatte nicht viel mit Strafsachen zu tun, höchstens wegen eines Strafzettels oder einer Klage wegen häuslicher Gewalt gegen einen vermögenden Scheidungsmandanten. Doch die Stimme der Frau kam mir vage bekannt vor, ohne dass ich sie zuzuordnen wusste.
Bis ich die Tür öffnete.
Plötzlich war mir sonnenklar, warum mir ihr Rufen vertraut erschienen war.
Ich hatte es schon einmal gehört.
Das letzte Mal hatte sie meinen Namen gerufen, als ich sie im Waschraum einer gegnerischen Kanzlei von hinten genommen hatte.
Von allen Staatsanwälten im New York County musste ausgerechnet Kierra Albright für uns zuständig sein.
Vielleicht würde hier doch nicht alles so glattlaufen.
4. Kapitel
Drew
Shit.
»Ich verstehe das nicht. Was ist hier los?« Emerie klang panisch.
Und das konnte ich ihr nicht verübeln. Jeder weiß, dass Kobras, Tiger und Haie gefährlich sind. Aber ein Delfin? Er sieht süß und possierlich aus, und wenn man ihm den Kopf tätschelt, pfeift er eine Melodie. Verletzt man einen Delfin jedoch versehentlich, greift er einen an. Ich vögele und arbeite nicht nur mit Hingabe, sondern sehe mir auch gerne Tierdokus an. Darum weiß ich das.
Kierra Albright war ein Delfin. Gerade hatte sie dem Richter eine dreißigtägige Haftstrafe empfohlen anstelle der Geldstrafe, von der sie vor noch nicht einmal einer halben Stunde uns gegenüber gesprochen hatte.
»Setzen Sie sich bitte einen Moment dort hinten hin. Ich bin gleich wieder da. Ich muss nur kurz etwas mit der Staatsanwältin besprechen. Allein.«
Emerie nickte, sah jedoch aus, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen, und ich ließ ihr einen Moment Zeit, sich zu sammeln. Dann öffnete ich die Pforte, die im Gerichtssaal den Zuschauerbereich von den am Verfahren Beteiligten trennt, und führte sie zu einer der hinteren Bänke. Als ich gerade gehen wollte, sah ich eine Träne über ihre Wange kullern und blieb abrupt stehen.
Ohne nachzudenken, hob ich ihr Kinn an und zwang sie, mir in die Augen zu sehen. »Vertrauen Sie mir. Heute Abend sind Sie wieder zu Hause. Okay? Vertrauen Sie mir einfach.«
Auf der Damentoilette gegenüber dem Gerichtssaal überraschte ich Kierra.
»Was zum Teufel sollte das?«, fragte ich und schloss die Tür. Sie drehte sich zu mir um.
»Du hast hier keinen Zutritt.«
»Wenn jemand fragt, ich lebe heute meine weibliche Seite aus.«
»Du bist ein Arsch.«
»Ich bin ein Arsch? Was zum Teufel sollte der ganze Quatsch? ›Nett, dich zu sehen, Drew.‹ Und: ›Ich schlage eine Geldstrafe von fünfzig Dollar vor. Du bist rechtzeitig hier raus, um noch auf den Golfplatz zu gehen.‹«
Wortlos drehte sie sich um, trat vor den Spiegel, zog einen Lippenstift aus ihrer Kostümjacke und schminkte sich die Lippen blutrot. Dann schenkte sie mir ein strahlendes Lächeln.
»Ich dachte, dein neues Spielzeug sollte sich gleich daran gewöhnen, wie das ist. Wenn man ein Versprechen bekommt, das gebrochen wird, wenn man am wenigsten damit rechnet.«
»Sie ist nicht mein Spielzeug. Sie ist eine … Freundin, der ich helfe.«
»Ich habe beobachtet, wie du sie ansiehst, wie du ihr die Hand auf den Rücken gelegt hast. Wenn du sie nicht schon vögelst, wirst du es bald tun. Vielleicht muss sie eine Nacht im Bezirksgefängnis verbringen, weil du dich im Gerichtssaal nicht benehmen kannst. Vielleicht vergällt ihr das deinen Charme. Wenn ich es mir so überlege, tue ich der Frau einen Gefallen. Sie sollte mir dankbar sein.«
»Wenn du meinst, ich würde dich damit davonkommen lassen, hast du den Verstand verloren. Emerie hat mit dem, was zwischen uns beiden gelaufen ist, nichts zu tun. Wenn es sein muss, bitte ich Richter Hawkins, sich wegen Befangenheit zurückzuziehen.«
»Wegen Befangenheit? Mit welcher Begründung?«
»Dass dein Vater jeden Tag mit ihm Golf spielt und du mir erzählt hast, dass er tut, was immer du willst. Hast du vergessen, wie gerne du nach dem Sex mit mir geplaudert hast?«
»Das wagst du nicht.«
Ich stand in einigem Abstand zu ihr, nun ging ich langsam auf sie zu und trat freundlich vor sie.
»Wetten, dass?«
Sie hielt meinem Blick einen langen Moment stand. »Gut. Aber regeln wir das auf anständige Weise. Keine Schläge unterhalb der Gürtellinie. Wir machen einen Deal.«
Ich schüttelte den Kopf. »Was willst du, Kierra?«
»Du willst, dass deine Mandantin heute Abend nach Hause kommt. Dafür möchte ich im Gegenzug etwas haben.«
»Gut. Was willst du?«
Sie strich sich mit der Zunge über die Oberlippe, als wäre sie ausgehungert und blickte auf ein saftiges Steak. »Dich. Und zwar nicht auf der Toilette oder auf dem Rücksitz eines Ubers. Ich will ein richtiges Date mit dir. Du führst mich aus und lädst mich zu einem fürstlichen Abendessen ein, bevor du mich nimmst.«
»Meine Güte. Ich kann Ihnen gar nicht genug danken.«
»Zahlen wir die Geldstrafe und verschwinden von hier.«
Emerie schien zu meinen, ich würde sie so eilig aus dem Gerichtssaal führen, weil sie mir zu viel von meiner Zeit gestohlen hätte. Doch das war nicht der Fall. Fast waren wir draußen, als Kierra hinter uns herrief.
»Drew, hast du kurz Zeit?«
»Nicht jetzt. Ich muss zu einem Termin.« Bloß weg hier.
Ich ließ meine Hand auf Emeries Rücken liegen und schob sie weiter, doch meine Mandantin hatte andere Vorstellungen. Sie blieb stehen.
»Wir müssen gehen«, sagte ich.
»Ich möchte mich wenigstens bei der Staatsanwältin bedanken.«
»Das ist nicht nötig. Die Stadt New York dankt ihr jeden zweiten Freitag mit einem Gehaltsscheck.«
Emerie warf mir einen strafenden Blick zu. »Ich bin nicht unhöflich, nur weil Sie es sind.« Mit diesen Worten drehte sie sich um und wartete auf Kierra.
Sie hielt ihr die Hand hin. »Vielen Dank für alles. Heute Morgen war ich völlig fertig. Ich dachte, man würde mich ins Gefängnis stecken.«
Kierra ignorierte Emeries Hand und sah mich an. »Danken Sie nicht mir. Danken Sie Ihrem Anwalt.«
»Ja, das mache ich.«
»Aber danken Sie ihm nicht zu sehr. Ich möchte nicht, dass er sich verausgabt.« Kierra machte auf dem Absatz kehrt und winkte zum Abschied über ihre Schulter. »Ich ruf dich wegen eines Termins an, Drew.«
Emerie blickte mich an. »Das war merkwürdig.«
»Sie hat wohl ihre Medikamente abgesetzt. Kommen Sie, bringen wir Sie hier weg.«
Nachdem wir die Strafe bezahlt und die Papiere über die Aufhebung von Emeries Haftbefehl abgeholt hatten, war es fast vier Uhr nachmittags.
Auf der Treppe vor dem Gericht drehte sich Emerie zu mir um. »Ich hoffe, Sie haben nichts gegen öffentliche Zuneigungsbekundungen, denn ich muss Sie einfach umarmen.«
Eigentlich stand ich überhaupt nicht auf öffentliche Zuneigungsbekundungen, aber hey – für diesen verlorenen Tag wurde ich schließlich nicht bezahlt. Vielleicht durfte ich auf andere Weise ein bisschen davon profitieren. Diese Brüste an meinem Körper zu spüren war eindeutig besser als nichts – vielleicht sogar besser als ein ganzer Tag mit sechshundertfünfundsiebzig Dollar für jede einzelne Stunde.
»Wenn Sie darauf bestehen.«
Ihr Lächeln war das schönste, das ich jemals gesehen hatte. Dann folgte die Umarmung. Lange zog sie mich an ihren Busen und ihren kleinen, zierlichen Körper – es war weitaus mehr als nur eine höfliche Umarmung. Und sie roch sogar gut.
Als sie von mir abrückte, ließ sie die Hände auf meinen Armen. »Eines Tages werde ich es Ihnen zurückzahlen. Auch, wenn ich Jahre dafür brauche.«
»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen.«
»Nein, ich meine es ganz ernst.«
Wir sprachen noch eine Weile, tauschten Telefonnummern für den Fall, dass irgendwelche Möbel für sie eintreffen sollten, und verabschiedeten uns. Sie fuhr in den Norden von Manhattan, ich in den Süden. Unsere Wege trennten sich. Nachdem ich einige Schritte gegangen war, blickte ich über meine Schulter zurück und beobachtete den Schwung ihres Hinterns. Sie sah von hinten genauso gut aus wie von vorne.
Das brachte mich auf einen Gedanken … Ich wettete, sie sah noch unglaublicher aus, wenn sie kam. Als ich mich gerade wieder umdrehen wollte, blickte sich Emerie ebenfalls um und erwischte mich dabei, dass ich ihr hinterhersah. Sie lächelte und winkte ein letztes Mal, dann bog sie um die Ecke und verschwand aus meinem Blickfeld.
Sollte sie mich doch ruhig bezahlen.
Mir fielen diverse Möglichkeiten ein, wie wir das regeln könnten.
5. Kapitel
Emerie
Mein Telefon vibrierte. Ich hob es ans Ohr und blickte dabei auf die Uhr. Schon fast elf Uhr abends – wer rief so spät noch an?
»Hallo?«
»Emerie?«
Diese Stimme. Ich musste nicht erst fragen, wer dran war. Wenn er leibhaftig vor einem stand, klang seine Stimme tief und rau, am Telefon war sie richtiggehend heiser.
»Drew? Ist alles in Ordnung?«
»Ja. Warum?«
»Weil es ziemlich spät ist.«
Ich hörte, wie es raschelte, dann: »Mist. Tut mir leid. Ich habe jetzt erst auf die Uhr gesehen. Ich dachte, es wäre vielleicht neun.«
»Wenn man den Großteil des Tages mit Verbrechern im Gericht verbringt, vergeht die Zeit wie im Flug.«
»Stimmt. Ich bin nach Hause gefahren und habe ein bisschen gearbeitet, dann bin ich ins Büro runtergegangen. Ich habe wohl das Zeitgefühl verloren.«
»Ich bin nach Hause gekommen, habe einige Gläser Wein getrunken und mir noch ein bisschen mehr leidgetan. Ihr Abend klingt deutlich produktiver. Sind Sie noch im Büro?«
»Ja. Deshalb rufe ich an. Ich sitze hier und denke, Ihr neues Büro wird sehr hübsch aussehen, wenn Sie erst neue Räumlichkeiten gefunden haben.«
Was redete er denn da? »Danke. Aber wie kommen Sie darauf?«
»Glas und dunkles Holz. Gefällt mir. Ich hätte allerdings gedacht, dass Sie auf einen weiblicheren Stil stehen.«
»Was reden Sie – oh, nein. Sind meine Möbel etwa heute gekommen?«
»Ja.«
»Aber wie? Wie sind die reingekommen? Sie waren doch den ganzen Tag mit mir unterwegs.«
»Ein Handwerker hat hier heute die letzten Arbeiten erledigt. Ich hatte keine Chance, ihm zu erklären, was passiert ist. Er dachte, er würde mir einen Gefallen tun, wenn er die Möbelpacker reinlässt.«
Ich schlug den Kopf auf die Küchenplatte und konnte nicht verhindern, dass mir ein Stöhnen entfuhr.
»Es tut mir leid. Ich kümmere mich sofort morgen früh darum.«
»Lassen Sie sich Zeit. Meine Sachen sind noch im Lager. Die Möbel können eine Weile hier stehen bleiben.«
»Danke. Es tut mir so leid. Ich sorge dafür, dass alles gleich morgen wieder abgeholt wird. Dann warte ich in Ihrem Büro, damit Sie sich nicht darum kümmern müssen. Natürlich nur, wenn das für Sie okay ist.«
»Natürlich.«
»Es tut mir leid.«
»Hören Sie auf, sich zu entschuldigen, Emerie. Exknackis sind abgebrüht. Die entschuldigen sich nicht. Bis morgen.«
Ich lachte, denn sonst hätte ich geweint.
»Hallo?« Ich klopfte an die halb offene Tür und hörte, wie meine Stimme durch den Flur hallte. Als ich die Tür ganz aufschob, war ich überrascht, den Eingangsbereich leer vorzufinden. Ich dachte, man hätte meine Möbel hier abgestellt.
Etwas entfernt hörte ich jemanden sprechen, ohne dass ich einzelne Worte verstand. Ich trat ein und rief ein bisschen lauter. »Hallo? Drew?«
Schnelle Schritte klackten über den neuen Marmorfußboden, dann erschien Drew. Er hatte das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt und hielt einen Finger hoch, während er sein Telefonat fortsetzte.
»Wir wollen das Haus in Breckenridge nicht. Mein Mandant hasst die Kälte. Das kann Ihre Mandantin behalten, aber das ist auch das einzige Vermögen, das sie aus dieser Ehe mitnimmt.« Es folgte eine Pause, dann: »Nein, ich bin nicht verrückt. Wenn ich aufgelegt habe, schicke ich Ihnen ein paar Fotos von dem Breckenridge-Anwesen. Darauf werden Sie sehen, wie sehr Mrs Hollister das Haus genossen hat.«
In diesem Moment erschien ein FedEx-Bote mit einem Handkarren voller Kartons. Drew nahm das Telefon vom Ohr und sagte: »Eine Minute.«
Ihm zu helfen war das Mindeste, was ich tun konnte. Also zeichnete ich die Lieferung ab und bat den netten Boten, die Kartons auf den Empfangstresen zu stellen, der noch unter einer Plastikplane verborgen war. Drew formte mit den Lippen ein Dankeschön und setzte das Telefonat fort.
Während er seinen Gesprächspartner am anderen Ende anherrschte, beobachtete ich ihn einen Moment. Dem Sitz nach zu urteilen trug er einen sehr teuren Anzug. Auf der Seite, die das Handy hielt, war der Ärmel nach oben gerutscht und brachte eine teuer aussehende Armbanduhr zum Vorschein. Seine Schuhe glänzten, und sein Hemd war makellos gebügelt. Das dunkle Haar war eigentlich etwas zu lang für einen Mann mit derart glänzenden Schuhen, und seine Haut war vom eben erst beendeten Urlaub gebräunt, was seine hellgrünen Augen noch stärker leuchten ließ.
Doch vor allem von seinen Lippen konnte ich kaum den Blick lösen – sie waren voll und makellos geformt. Er ist wirklich schön. Ich war mir nicht sicher, ob ich je von einem Mann gedacht hatte, dass er schön sei. Gut aussehend, ja. Auch sexy. Aber schön war die passende Beschreibung für Drew Jagger – kein anderes Wort wurde ihm gerecht.
Er kam zum Ende des Telefonats. »Im Ernst, Max, bei wie vielen Fällen haben Sie mir schon gegenübergesessen und in mein hübsches Gesicht geblickt? Und dann wissen Sie immer noch nicht, wann ich bluffe und wann nicht? Sehen Sie sich die Fotos an, dann teilen Sie mir mit, ob Sie unser Angebot annehmen. Ich glaube, wenn Sie die Dinge erst im richtigen Licht betrachten, werden Sie unseren Vorschlag mehr als fair finden. Ihr zwanzigjähriger Skilehrer hat Ihrer Mandantin eine ganz neue Art von Schneepflug beigebracht. Das Angebot liegt achtundvierzig Stunden lang auf dem Tisch. Danach müssen wir erneut telefonieren. Das bedeutet, dass mein Mandant eine weitere Rechnung von mir erhält und Sie ein deutlich schlechteres Angebot.«
Drew beendete das Gespräch, blickte mich an und wollte gerade etwas sagen, als das Telefon in seiner Hand erneut vibrierte. »Mist.« Seufzend sah er auf das Display, dann wieder zu mir. »Tut mir leid. Das Gespräch muss ich auch annehmen.«
Ein Mineralwasserlieferant rollte seine großen Wasserkanister heran und klopfte an die Eingangstür. Ich blickte zu Drew. »Ich kümmere mich darum. Kümmern Sie sich um Ihren Anruf.«
In den nächsten fünfzehn Minuten, die Drew am Telefon verbrachte, wimmelte ich einen Anwalt ab, ging zweimal an das klingelnde Bürotelefon, das noch unter einer Plane steckte, und unterschrieb irgendwelche Papiere, die an das Anwaltsbüro von Drew M. Jagger adressiert waren.
Ich führte gerade ein Telefonat mit einem potenziellen Mandanten, als Drew wieder erschien.
»Wir haben Mr Aiken zu danken, dass er uns empfohlen hat.« Ich hörte einen Moment zu und sagte dann: »Unser Honorar beträgt …« Ich fing Drews Blick auf. »Siebenhundert Dollar die Stunde.«
Sein Mundwinkel zuckte.
»Klar. Warum vereinbaren wir nicht einen Termin für ein Erstgespräch? Ich lege Sie einen kleinen Moment in die Warteschleife und sehe gleich in Mr Jaggers Kalender nach.«
Ich drückte auf den Knopf und streckte Drew meine Hand hin. »Ist der Kalender auf Ihrem Telefon auf dem neuesten Stand?«
Drew zog sein Smartphone aus der Tasche und reichte es mir. »Ja.«
Ich suchte in seinem Outlook-Kalender nach einem freien Termin. Den ganzen nächsten Monat gab es keine einzige Lücke. »Könnten Sie Ihr Abendessen mit einer Person namens Monica von sechs auf acht verschieben, dann trage ich Mr Patterson nächsten Mittwoch für halb fünf ein. Er sagt, es sei dringend. Vielleicht braucht er eine einstweilige Verfügung, um sein Vermögen zu schützen, so wie Sie es für Mr Aiken gemacht haben.«
»Einverstanden.«
Ich schaltete zu dem Gespräch zurück. »Wie wäre es am nächsten Mittwoch um halb fünf? Das ist der Achte. Das passt? Wunderbar. Wir berechnen üblicherweise einen Vorschuss von …« Ich blickte zu Drew, und er hielt zehn Finger hoch. »Zwölftausend … Okay, danke. Wir freuen uns. Bis dann. Auf Wiederhören.«
Als ich auflegte, wirkte Drew amüsiert. »Habe ich meinen Stundensatz von sechshundertfünfundsiebzig auf siebenhundert angehoben?«
»Nein. Die zusätzlichen fünfundzwanzig Dollar gehören mir. Von jeder Stunde, die Sie ihm berechnen, können Sie diesen Anteil von meinen Schulden bei Ihnen abziehen. Ich habe ausgerechnet, dass meine Rechnung für die acht Stunden gestern fünftausendvierhundert Dollar beträgt. Ich zahle natürlich den Standardsatz, nicht Mr Pattersons überhöhten Kurs. Wenn Sie Mr Patterson also ein paar Hundert Stunden in Rechnung stellen könnten, wäre das toll.«
Drew lachte. »Da ist ja wieder der Hitzkopf, der sich neulich Abend mit dieser irren Krav-Maga-Technik auf mich gestürzt hat. Es hat mir schon Sorgen gemacht, dass Sie gestern derart zurückhaltend waren.«
»Man hat mich festgenommen und hätte mich fast ins Gefängnis geworfen.«
»Ich bin untröstlich. So wenig Vertrauen hatten Sie, dass ich Sie da raushole?«
»Diese Staatsanwältin hatte es zuerst auf mich abgesehen. Was haben Sie ihr eigentlich gesagt, um sie umzustimmen?«
»Wir haben einen Deal geschlossen.«
Ich blinzelte. »Was mussten Sie ihr anbieten, damit sie mir gegenüber Milde walten ließ?«