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Eigentlich sollte es ein Urlaub werden wie andere auch. Doch einem Fahrradunfall folgte völlig überraschend ein Schlaganfall. Die Autorin, selbst die Betroffene, möchte vermitteln, dass Aufgeben selbst in aussichtslos erscheinenden Situationen keinen Sinn macht. Ihr Bericht soll anderen Optimismus vermitteln.
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Seitenzahl: 281
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»Über den ängstlichen Gedanken,
was uns etwa morgen zustoßen könnte,
verlieren wir das Heute, die Gegenwart
und damit die Wirklichkeit.«
(HERMANN HESSE)
Vorweg
»Der Zufall ist der einzige legitime Herrscher des Universums.« - Napoleon I
»Man erlebt nicht das, was man erlebt, sondern wie man es erlebt.« - Wilhelm Raabe
»Glücklicherweise kann der Mensch nur einen gewissen Grad des Unglücks fassen; was darüber hinausgeht, vernichtet ihn oder lässt ihn gleichgültig.« - JohannWolfgang von Goethe
»Das Ende eines Dinges ist der Anfang eines anderen.« - Leonardo da Vinci
»Nur die Sache ist verloren, die man aufgibt.« - Gotthold Ephraim Lessing
»Ängstlich zu sinnen und zu denken, was man hätte tun können, ist das Übelste, was man tun kann.« - Georg Christian Lichtenberg
»Wenn Dir das Leben eine Zitrone gibt, mach´ Limonade draus.« - Isabel Gülck
»Nichts ist im Leben ernst zu nehmen, weil nichts es wirklich verdient.« - Valeska Gert
»Alles, was die Menschen in Bewegung setzt, muss durch ihren Kopf hindurch; aber welche Gestalt es in diesem Kopf annimmt, hängt sehr von den Umständen ab.« - Friedrich Engels
»Erfahrung ist die einzige Schule, in der auch Dummköpfe etwas lernen können.« - Georg Christian Lichtenberg
»Unser Ärgster Feind kann nur unser mangelnder Glaube an uns selbst sein.« - Angela Merkel
Therapie ist der Versuch, der Krankheit beizubringen, wer von nun an befiehlt. - Billy, Schweizer Aphoristiker
Wenn es einen Glauben gibt, der Berge versetzen kann, dann ist es der Glaube an die eigene Kraft. - Marie von Ebner-Eschenbach
Der Sinn des Lebens besteht darin, eine Aufgabe für sich zu finden. - Wolfgang Stumph
Unglück ist auch gut. Ich habe viel in der Krankheit gelernt, das ich nirgends in meinem Leben hätte lernen können. - Johann Wolfgang von Goethe
Zufälle können das Leben entscheidend verändern - auf die eine oder andere Weise.
Übrigens bilanzieren viele Menschen von Zeit und Zeit ihr bisheriges Leben, um zu überschauen, wie es in der Zukunft weitergehen würde, »wenn alles normal läuft«. Das vorliegende Buch stellt ein Beispiel dafür dar, »wenn es eben nicht normal weiterläuft«.
Völlig unvermittelt kann das plötzlich der Fall sein.
Entscheidend ist nur, damit auch fertig zu werden.
***
Zu meiner Situation:
in der genannten Zeit war ich inzwischen über fünfundzwanzig Jahre in meinem Beruf als Lehrerin tätig (gern tätig!).
Es nahte im Sommer 2009 ein Urlaub, im Grunde wie jeder andere.
Nach den Ferien sollte es mit neuem Schwung weitergehen, wie sonst auch immer ...
Insofern hat diese Geschichte einen äußerst banalen Beginn. Jedoch endet diese Banalität sehr bald, plötzlich und ungeahnt.
***
Die erste Auflage dieses Buches verfasste ich übrigens unter dem Pseudonym Katrin Schwarz, einfach deswegen, weil für den Sachverhalt weder konkrete Personen noch bestimmte Orte von Bedeutung sind. Dem trage ich nun insofern Rechnung, dass ich diese Namensänderung im Folgenden beibehalte.
(Napoleon I.)
Juli 2009
Urlaubsbeginn – einfach schön. Man hat alles noch vor sich, überlegt, was man gern alles unternehmen möchte, wünscht sich hier und da auch Überraschungen. Bereits eine solche Aussicht genießt man.
Die anderthalbe Woche auf Fuerteventura war seit Monaten gebucht, und wir sehnen sie allmählich herbei. Die Kanaren kennen wir schon recht gut von mehreren Kurzurlauben im Februar in den vergangenen Jahren, und nun wollen wir es erstmals im Sommer probieren. Mit allzu hohen Temperaturen ist selbst in dieser Jahreszeit glücklicherweise kaum zu rechnen wegen des Meeresklimas. Allzu große Hitze schreckt uns eher ab.
Es soll ein »Urlaub zum Abhängen« werden, und so entschieden wir uns für Fuerteventura, wo lange und menschenarme Strände zu erwarten sind. Strandwanderungen, baden, wo es einem gerade einfällt, sonnen ... Keiner fragt danach, wie die Zeit vergeht, weil das total uninteressant ist. Keine Verpflichtungen in irgendeiner Weise. Einfach alles Denkbare, was scheinbar wichtig erscheint, vergessen. Und sehen, was sich ergibt. Vorfreude! Aber der Weg zur Urlaubsinsel gehört ja nicht zu den kürzesten ...
***
Der Wecker klingelt, natürlich so früh, dass man in solch einem Moment eigentlich beim Aufstehen noch gar kein Mensch ist. Zwei Uhr! Am Vorabend einschlafen kann ich bei solchen Gelegenheiten nie gut, weil ich mir dessen bewusst bin, dass die Nacht zeitig zu Ende sein wird. So wie auch momentan wieder. Das Frühstück - oder besser: das, was jetzt den Magen füllen soll - wird heruntergewürgt. Eine Buttersemmel und eine Tasse Kaffee, gerade so.
Dann heißt es: auf nach Nürnberg, zum Flughafen. Das bedeutet knapp zwei Autostunden. Da wir beide die Sicherheit in vielerlei Hinsicht jeglicher Herumhetzerei vorziehen, machen wir uns rechtzeitig auf den Weg. Das Auto stellen wir im Parkhaus ab und begeben uns zum Flughafen.
Die Uhr sagt, dass noch genügend Zeit bis zum Abflug bleibt. Wir suchen uns zunächst Sessel zum Ruhen und schlafen ein Stück so lange und so gut, wie es diese Umstände erlauben - oder was man so Schlafen nennt. Und irgendwann beginnen wir schließlich mit Wanderungen durch den Flughafen. Von den Fenstern in Richtung Flugfeld aus kann man das Treiben beobachten - herumlaufende Leute sowie einige Busse und Lotsenfahrzeuge. Flugzeuge sind jetzt mitten in der Nacht keine zu sehen, denn der Flugbetrieb beginnt erst wieder im Morgengrauen.
Dann checken wir endlich ein. Das große Gepäck wird gewogen, entgegengenommen und verschwindet anschließend gen Flieger. Mit dem Handgepäck nähern wir uns der Sperre. Kosmetikartikel und sonstige Kleinflüssigkeiten müssen neuerdings in einem dafür vorgesehenen Plastbeutel untergebracht werden - gut sichtbar zum Vorzeigen! Getränke dürfen wir auch nicht mehr mitführen. Denn überall wäre ja Platz für eine verborgene Bombe … Irgendwie fühlt man sich wie ein potenzieller Schwerverbrecher. Und diejenigen, die diese Maßnahmen für den »Normalverbraucher« erzwungen haben, lachen darüber, weil sie schon längst neues ersonnen haben, um das alles zu umgehen und weiteren Terror in die Welt zu bringen. Das wird mir in solchen Situationen immer wieder bewusst. - Die Erinnerung: Das ging einmal viel kürzer und reibungsloser vonstatten. Wem verdanken wir solche »Fortschritte«?!
Sämtliche Gegenstände müssen schließlich in einer Plastschale abgelegt werden - die Handgepäckstücke, Fotoapparate, ebenso Uhren, Gürtel und Schmuckstücke. Alles wird durchleuchtet, und man selbst muss sich genauestens in Augenschein nehmen lassen. Manche »dürfen« sogar ihre Schuhe ausziehen. Absolute Kontrolle eben.
Als wir vor ein paar Jahren nach der Gepäckkontrolle einmal stehen blieben und den Bildschirm betrachteten, auf dem die zu prüfenden Handgepäckstücke als bunte Objekte vorbeiwanderten, schätzten wir ein, dass das recht hübsch anzusehen sei. Schnell drängte man uns weiter. Da dürfe man nicht zusehen!
Eine gute halbe Stunde vor dem Abflug beginnt schließlich das Einsteigen. Rchtig angekommen - diesmal übrigens mit Fensterplatz - machen wir es uns so gemütlich wie möglich. Als wir uns in der Luft befinden, erscheint ab und an eine Einblendung am Monitor, wo wir uns gegenwärtig befinden. Man kann ablesen, in welcher Höhe wir fliegen und was für eine Temperatur draußen herrscht. Die Anzeige wechselt ständig zwischen den gewohnten Maßen Meter und Grad Celsius einerseits und den englischen Einheiten Feet und Grad Fahrenheit andererseits. Schließlich sind die viereinhalb Stunden Flugzeit um; leichte Abweichungen gibt es immer wegen Windstärke und -richtung.
***
Bei der Landung bietet sich das erwartete und bekannte Bild: im Meer die Insel Fuerteventura mit den braungelben Bergkegeln, die aussehen wie hingeschüttete Erdhügel. Hier und da entdeckt man weiße Häuser oder Häusergruppen.
Aus dem Flugzeug heraus gelangen wir über verschiedene Gänge in die Gepäckhalle, wo am »Karussell« nach und nach für alle die mehr oder weniger voluminösen Gepäckstücke erscheinen und entnommen werden können.
In der Empfangshalle halten wir Ausschau. Denn dort finden wir, wie wir das schon kennen, einige Leute, die hier bereit stehen und große Schilder hochhalten. Es handelt sich um Angestellte der einzelnen Reisegesellschaften, bei denen die Urlauber ihre Reise gebucht haben. Sie sind hier, um darüber zu informieren, in welchen Bus von den vielen, die sich vor der Halle befinden, jeder einsteigen muss, um zu seinem Hotel zu gelangen. Also suchen wir das richtige Schild, und von der freundlichen Frau hören wir, dass wir Ausschau nach dem Bus mit der Nummer 45 halten sollen. Mit den Koffern begeben wir uns dorthin.
Als sich schließlich alle Leute, die in unsere Richtung mitfahren wollen, im Bus befinden, fahren wir von Puerto del Rosario aus gen Süden. Es dauert mit gelegentlichen Stopps bei verschiedenen Hotels, wo jemand aussteigt, weit mehr als eine Stunde, bis wir endlich das ersehnte Ziel »Jandia« erreicht haben.
Unser Quartier befindet sich an der Hauptstraße, in der zweiten Reihe. Straßenlärm ist nicht zu befürchten, denn wir wohnen in der fünften Etage. Vom Fenster aus blicken wir über die Gebäude hinweg direkt auf den Leuchtturm von Jandia. Also haben wir außerdem noch einen wunderbaren Ausblick.
Die hiesige Umgebung kennen wir, da wir im Februar vor zwei Jahren bereits schon einmal hier den Urlaub verlebten. Da gab es zum Beispiel damals eine Bar, die leckere Sangria im Angebot führte. Schon, wenn wir zuschauen konnten, wie der locker auftretende Kellner das Getränk in dem Krug zusammenmischte: Er langte nach oben ins Regal und füllte aus einigen der vielen Flaschen, die dort standen, etwas in den Halbliterglaskrug, natürlich zuletzt auch Rotwein und Früchte – und es schmeckte verdammt gut! Hmmm! Ob es diese Bar noch gibt??
Wir machen zunächst einen Rundgang in die recht vertraute Gegend - Strand, Laden- und Kneipenstraße. Die Preise haben sich erwartungsgemäß weiter ordentlich erhöht. Nach einem schönen Abendbrot und einem darauf folgenden Verdauungsspaziergang durch die abendlichen Straßen trollen wir uns ins Bett.
***
Am folgenden Vormittag gibt es zunächst um zehn Uhr eine Zusammenkunft der neuen Gäste. Ganz so neu sind wir zwar nicht mehr, aber Möglichkeiten anzuhören, was man so unternehmen könnte, und dazu ein Gläschen Sekt zu trinken - das geht immer.
Der Entschluss erweist sich als gut: Zum einen gibt es Gelegenheit, gleich einen Jeep buchen, um in einigen Tagen an die Südspitze der Insel fahren zu können. Beim letzten Mal hatten wir auf Grund der Piste dorthin, die man ausdrücklich nicht mit den normalen Mietautos benutzen sollte, das lieber sein lassen. Wir kamen auch zur Erkenntnis, dass es sich um keine originelle Idee handelte, den Weg laufen zu wollen. Zum einen war das viel zu weit. Immer die Straße entlang zu wandern erschien uns außerdem wenig verlockend - von anderen Pfaden ganz zu schweigen; die gab es so gut wie überhaupt nicht.
Noch eine Sache gefällt uns recht gut: Eine Fahrradtour, bei der wir - eine geringe Anzahl von Teilnehmern - auf hochgelegene Stellen gebracht würden. Während der Bergabfahrt mit dem Rad könnten wir uns die Landschaft ansehen. Unten würde uns der Fahrer wieder aufsammeln und alle Mitfahrer zum nächsten Punkt bringen - da capo. Das soll am kommenden Freitag stattfinden.
Heute schultern wir anschließend die Rucksäcke und brechen auf zum Strand. Dort schlendern wir am Meer entlang in Richtung Norden, via Costa Calma. Bis dahin wollen und werden wir sowieso nicht kommen, aber die zurückgelegte Strecke ist ja auch völlig egal.
Das wird eine schöne Wanderung. Nur auf eines müssen wir aufpassen: die Sonne. Denn bereits am Anfang des Urlaubs einen Sonnenbrand abbekommen, das wäre weniger gut. Hier genügt dafür schon eine halbe Stunde in der prallen Sonne. Also sollte man sich möglichst nicht immer an der gleichen Stelle bescheinen lassen.
Wenn wir erst einmal keine Lust mehr verspüren weiterzulaufen, wird alles abgelegt - zum Sonnenbaden und um zwischendurch zur Abkühlung ins Wasser zu gehen. Hier wird es unwesentlich, was man anhat oder nicht und hier sind nur wenige Leute unterwegs - eben so richtig schön. Wir bewegen uns allmählich in Richtung Norden und kehren am frühen Nachmittag auf die gleiche Weise wieder zurück. Gegen Abend kommt noch ein Anruf ins Hotel für uns, dass die geplante Fahrradtour anstelle am Freitag schon morgen stattfinden soll.
Nach dem Abendessen wollen wir uns in der Dunkelheit an den Strand begeben. Es ist angenehm kühl. Aber nicht zu kühl dafür, jetzt noch einmal ins Wasser zu gehen. Das tun wir auch. Und natürlich hat Ralf den Fotoapparat dabei für verschiedenste Aufnahmen. Es wird ein richtig schöner Abend.
***
Am nächsten Tag kommt gegen neun Uhr der Tourleiter Thomas zum Hotel, um uns, wie die anderen Teilnehmer auch, mit dem Auto abzuholen. Schließlich ist die schöne kleine Gemeinschaft von sieben Personen zusammengekommen: zwei Bayern aus Nürnberg, zwei Chemnitzer (Vater und Sohn), eine junge Dame und wir beiden.
Hinten am Transporter hängt ein Wagen, auf dem wir neun Mountainbikes entdecken. Während der Fahrt stellen sich alle kurz vor, und natürlich wird jeder gleich mit dem Vornamen angesprochen. Es handelt sich also um zwei Rentner aus Nürnberg, ein Chemnitzer Maschinenbauer mit seinem Sohn, eine Versicherungsagentin und wir zwei Lehrer.
Erste Station: ein Platz im nächstgelegenen kleinen Ort, wo wir unsere Räder ausprobieren, auch der Sitzhöhe wegen, die sich leicht einstellen lässt. Thomas weist darauf hin, dass die Bremsen recht griffig sind. Besonders vorsichtig sollte deswegen die Vorderbremse bedient werden. Jeder bekommt außerdem eine gelbe Warnweste und einen Helm.
Dann geht es auf zur ersten Etappe. Zunächst fahren wir auf den Berg, von wo aus sich ein schöner Blick auf die Umgebung eröffnet. Der weitere Weg führt uns hin zur einer kleinen Kirche, welche wir besichtigen. Weiter geht der Kurs per Rad bergab in Richtung eines Stausees, den wir bereits in der Ferne ausmachen können. Leider erreiche ich dieses Ziel nicht. Irgendwo abwärts bremse ich etwas scharf, und wegen der guten Bremsen, die augenblicklich und straff reagieren, stürze ich über den Lenker vom Rad und lande auf dem harten Asphalt der Straße.
!!!
Ich stehe gleich wieder auf und schaue an mir herunter. Bewegen funktioniert, stelle ich fest. An Knien und Armen entdecke ich Hautabschürfungen. Die bluten und tun weh, aber das würde mit der Zeit vergehen. Bloß Mist, dass ich jetzt den ganzen Urlaub mit diesen Schürfwunden herumlaufen muss!
Thomas und natürlich Ralf sind gleich da und erkundigen sich nach meinem Befinden. Da mir nicht richtig gut ist, verfrachten sie mich zunächst in den Wagen, und ich bekomme Cola zu trinken wegen der Flüssigkeitszufuhr und um Unterzuckerung zu vermeiden. Eine trockene Semmel findet sich ebenfalls.
Irgendwie trete ich dann mal kurz »weg«, meine jedoch danach: »Es wird schon gleich wieder gehen!«
Ich will keinen großen Zirkus veranstalten, sondern möchte, dass möglichst schnell alles weitergehen kann. Und wenn nicht jetzt - spätestens auf der übernächsten Etappe will ich wieder mit dabei sein! Draußen am Wagen laufen die anderen vorbei und winken mir kurz zu. Ja, ich komme dann gleich!
Zur Sicherheit und weil ich bewusstlos war, bringt mich unser Tourleiter mit dem Auto in die nächstgelegene Krankenstation, und die dortige Ärztin beginnt mit Untersuchungen. Mir ist nach wie vor nicht richtig wohl. Das kommt vom Sturz.
»Es geht schon gleich wieder«, denke ich und sage das vielleicht auch.
Filmriss.
***
Montag., 6. Juli
Kurz vor dem Ende kracht es hinter mir, und als ich mich umdrehe,
ist Katrin mit dem Rad gestürzt. Sie flucht, wollte vielleicht den
Fotoapparat aus der Hosentasche ziehen und zog dabei
unachtsamerweise die Vorderbremse. (Es ist 11 oder 12 Uhr.)
Sie sieht ziemlich zerschunden aus: Sonnenbrille kaputt, Blut beim
linken Auge, auch an Nase, Kinn, Armen und Beinen. Wir fragen (ich,
Thomas), wie es ihr geht. Sie meint, dass sie in Ordnung sei bis auf die
Schürfwunden. Wir gehen zum Auto. Katrin soll erst einmal ausruhen.
Sie schimpft über das Missgeschick und verhält sich völlig normal,
schaut bloß immer wieder ihre Wunden an. Zehn bis fünfzehn Minuten
später wird ihr aber schlecht, und sie wird für kurze Zeit bewusstlos.
Schnell kommt sie danach wieder zu sich, und ich tröste sie.
Sie soll sich nun auf die Sitzbank des Autos legen, um so mehr Blut
in den Kopf gelangen zu lassen, denn im Moment hat sicherlich ihr
Blutdruck wieder einmal einen äußerst niedrigen Wert.
Thomas untersucht den Helm und zeigt ihn mir anschließend:
keinerlei Schäden zu finden! Also existiert anscheinend keine
Kopfverletzung. Wir fahren noch bis zum Treffpunkt am
Staudammende (von hier aus sollte nämlich eine Wanderung
stattfinden). Ich beruhige Katrin und erkundige mich dauernd nach
ihrem Befinden. Sie äußert sich wenig, reagiert aber auf die gestllten
Fragen.
Sie wird nochmals kurz bewusstlos. Thomas gibt Katrin Wasser und
ein Stückchen Semmel. Anschließend steuert er, nachdem die anderen
derweil losgewandert sind, hinunter zur nächstgelegenen
Krankenstation. Er holt er im Laden des Ortes noch eine Büchse Cola,
damit Katrin etwas Zuckerhaltiges zu trinken bekommt. Er erkundigt
nun nach einem Arzt, und wir begeben uns in die Arztstation.
Katrin bekommt eine Liege angeboten. Ihre Wunden versorgt die
Schwester. Eine junge Ärztin misst den Blutdruck - natürlich niedrig! - und drückt den Bauch ab. Katrin geht es zunehmend schlechter, und sie
muss sich übergeben. Sie möchte auch nicht mehr aufstehen.
Eine knappe Stunde später erscheint ein Notarztwagen und bringt
Katrin nach Gran Tarajal in die Klinik, denn hier in der Krankenstation
können sie nun nichts Wirksames mehr unternehmen.
Da ich nicht weiß, wie es weitergehen soll und wie ich fortkomme,
gibt es große Probleme. Thomas befinde sich mittlerweile wieder bei
den anderen. Iich verfüge zwar über seine Telefonnummer, jedoch fehlt
mir ein Telefon. Wir haben weder eine Uhr noch Dokumente noch
Handy dabei, lediglich insgesamt fünfzig Euro.
Nach langem Disput, bei dem ich im Grunde nur herumstehe,
bekomme ich schließlich glücklicherweise die Erlaubnis, im
Ambulanzwagen mitzufahren. Während der Fahrt spricht die Notärztin
Katrin oft an. In Gran Tarajal wird Katrin hineingebracht, und ich soll
woanders in einen Warteraum gehen. Überall fragt man natürlich
wegen der Krankenversicherungskarte. Jedoch die liegt im Hotel!
Trotzdem geht alles unbürokratisch und problemlos vonstatten, und ich
werde dauernd informiert. Aber Spanisch kann ich überhaupt nicht,
und mein Englisch reicht nur für das Gröbste.
Man teilt mir schließlich mit, dass es nötig sei, Katrin ins Hospital in
Puerto de Rosario zu bringen, weil sie nur noch wenig reagiert. Man
holt mich zu ihr, und ich entdecke nun, dass sie die Augen kaum
bewegt - sie zeigen zur Seite. Ich soll sie veranlassen, Arme und Beine
zu bewegen. Rechts funktioniert das ganz gut, aber bei der
Aufforderung, den linken Arm anzuheben, hebt sie das linke Bein hoch,
und erst später reagiert ihr Arm.
Ich gebe ihr noch einen Kuss, und dann muss ich sie verlassen, denn
ab jetzt darf ich nicht mehr mitfahren darf (SMH - Schnelle
medizinische Hilfe).
Die Krankenhausangestellten helfen mir dabei, dass ich nun nach
Puerto del Rosario gelange. Es sind jedoch über vierzig Kilometer, und
um ein Taxi zu bezahlen, besitze ich kein Geld. Doch es gibt einen
Linienbus Moro Jable - Puerto del Rosario, und eine freundliche Frau,
die ihren Mann eben in die Ambulanz gebracht hat oder selbst zum
Arzt will, fährt mich bis zur Bushaltestelle. Alle sind sehr nett und
helfen mir.
In Puerto del Rosario zeigt mir der Busfahrer den Weg zum
Hospital (Bus Nr.3), und so kann ich mich gegen 17 Uhr dorthin
begeben. Aangekommen, frage ich nach der Notaufnahme, und nach
einigen Fehlversuchen gelange ich endlich dorthin.
An der Rezeption befindet sich glücklicherweise ein freundlicher
Mann, mit dem ich mich englisch verständigen kann.
Thomas konnte mittlerweile unsere Reisefirma informieren, welche
nun beauftragt wird, mir einen Dolmetscher zu schicken (die
Mitarbeiter dürfen in Krankenhäusern nicht übersetzen, da müssen
spezielle Dolmetscher her!). Gegen 23 Uhr soll dieser kommen. Jedoch
da erscheint niemand.
Doch ich darf Katrin wenigstens sehen. Sie liegt in der
Intensivstation (U.C.I.) an fahrenden Kabeln und Schläuchen und wird
beatmet.
Erstaunlicherweise nehme ich alles gefasst auf. Müdigkeit verspüre
ich auch keine, trotz aller Aufregung. Verstehe von einem Arzt, dass es
eine Computertomographie (CT) gab und keine Auffälligkeiten
erkennbar sind. Mit dieser Auskunft und nach einem kurzen Streicheln
von Katrin lasse ich mir an der Rezeption ein Taxi rufen und fahre so
die insgesamt rund neunzig Kilometer nach Jandia zum Hotel. Dort
heule ich zum ersten Mal, kann aber anschließenderstaunlich fest
schlafen. Übrigens stelle ich fest, dass ich außer dem Frühstück, vier
Kitkat-Riegeln und Pepsi-Cola nichts zu mir genommen habe.
Das Taxi muss ich in der Unterkunft bezahlen (115 €).
Mehrmals spreche ich in dieser ganzen Zeit über Telefon mit einer
Angestellten unserer Reisefirma, selbst nachts um 24 Uhr.
Im Grunde weiß ich jedoch momentanrecht wenig.
***
Dienstag, 7. Juli
Um sieben Uhr werde ich vom Hoteldienst geweckt, bin aber schon
längst selber wach. Hunger verspüre ich überhaupt keinen. Trotzdem
würge ich das Frühstück herunter; vielleicht hat wenigstens der Kaffee
etwas genützt.
Diese elende Ungewissheit.
Ich habe unsere beiden Kinder Benjamin und Lisa-Marie mehrfach
versucht anzurufen. Es ging zunächst aber niemand ans Telefon. Nach
vielen Versuchen meldet sich endlich Benny. Erst einmal bei Benny
ausgeheult (jedes Mal, wenn ich daran denke, kommen mir die
Tränen). Die Handy-PIN ist zum Glück vorhanden. Damit bin ich endlich
in de Lage zu telefonieren und erreichbar.
Auto gemietet circa um elf Uhr und dann gleich zu Mud gefahren
(etwa 85 bis 90 km und 1:20 h Fahrzeit). Zwischendurch muss ich an
irgendeiner Stelle kurz anhalten und durchatmen, weil ich nicht mehr
weiterfahren kann. Welche Geschwindigkeit hier überhaupt
vorgeschrieben ist, interessiert mich momentan kein Stück. Ich
befürchte nur, dass ich mir auch noch die Birne einfahre. So geht es
nicht weiter! Schließlich setze ich die Fahrt etwas langsamer und
überlegter fort.
Angekommen, frage ich an der Rezeption im Krankenhaus nach
Katrin und erhalte die Auskunft, dass Mud sich nicht mehr auf UCI
befindet! Das klingt erst einmal gut, und so gehe ich glücklich zum
Haupteingang und will das Zimmer erfragen. Doch ich werde
wiederholt zur UCI geschickt. Also auf zur Intensivstation! Ich
beantrage auch gleich den Hospital-Dolmetscher (soll 8 bis 15 Uhr da
sein). Wenigstens eine klitzekleine gute Sache.
Als ich sie dann tatsächlich besuchen darf, wird Mud gerade aus
der UCI zum Fahrstuhl gefahren (voll angeschlossen). Und so warte ich
ohne Auskunft, bis der Übersetzer kommt und mir mitteilt, dass Katrin
zu einem zweiten CT gebracht worden ist. Wenn das Ergebnis vorliegt,
kann ich mit dem Arzt sprechen.
Warten … warten … warten ...
Dann bringen sie Katrin wieder mit tausenden Geräten, und ich
warte weiter. Irgendwann kommt der Dolmetscher, und ich werde in
die UCI gelassen. Der Doktor teilt mir mit, dass ein zweites CT gemacht
worden ist und eine Lumbalpunktion. Beides sei als unauffällig zu
betrachten, aber da wäre ein großer Schlaganfall aufgetreten, vom
hinteren Hals zum Hinterkopf hoch, also Blutleere und Verstopfung.
Und ihre linke Seite sei dadurch beschädigt.
***
Ich nehme das alles emotionslos entgegen, als ob man ein Buch
liest. (Beim Hinschreiben - inzwischen Mittwoch, 8.7., 23.50 Uhr - bin
ich richtig erschrocken, dass ich das einfach so schlucke.)
Katrin sei nicht so richtig ansprechbar gewesen und derzeit zur
Beruhigung in ein künstliches Koma versetzt worden. Ich darf dann
noch einmal zu ihr und rede mit ihr und streichle sie am Kopf und an
den Armen, erzähle ihr von Lisa und Benny und dass alles wieder gut
werden wird. Wie sie so daliegt, links Geräte, rechts Geräte, tausende
Zuleitungen und Stromanschlüsse links und rechts über der Brust ...
Viele Pflaster, die die Anschlüsse halten, und verschiedene Beutel mit
Flüssigkeiten. Ich rede und rede so dahin und streichle und streichle sie
- und da wackelt sie etwas!
Als ich wieder im Hotel bin, creme ich mich ein und gehe noch eine
Stunde zum Strand, baden und sonnen. Zwischendurch kommen mir ab
und an die Tränen.
Anschließend begebe ich mich zum Abendbrot.
Es schmeckt sogar, erstaunlich!
Zwei der Mitfahrer - die beiden Bayern - treffe ich beim Essen, und
ich erzähle ihnen alles. Danach gehe ich aber wieder. Ich bin nicht für
Mitgefühl und Trost von anderen, das gibt mir kaum etwas. Ich ziehe
mich in so einem Fall lieber zurück.
Nach dem Abendessen gammle ich noch ein bisschen herum. Nun
mache ich mich daran, Muds Anziehsachen zu waschen. Dazu nehme
ich endlich alles aus dem braunen Müllsack heraus, wohinein sie alles
in Gran Tarajal befördert haben. Den BH mussten sie mit der Schere
aufschneiden, weil Katrin da schon nicht mehr so recht bei Sinnen war.
Jetzt wird mir erst richtig bewusst, dass ich den ganzen Montag mit
dem Müllsack herumgelaufen bin und muss erneut heulen.
Nachdem die Sachen zum Trocknen aufgehängt sind, ziehe ich
mich an, um Mud wieder zu besuchen. Es ist zwanzig Uhr, und ich
begebe mich zum Auto. Im Hotel sitzt gerade die Betreuerin unseres
Reiseunternehmens, und ich sage ihr, dass ich zu Katrin fahre.
Gegen halb zehn bin ich dann im Hospital, wo ich auch den
Mitarbeiter vom Vortag treffe, mit dem eine so gute Verständigung in
Englisch möglich gewesen war, und er weist mir gleich den Weg zur
UCI. Ich rede wieder mit Katrin und streichle sie. Zwischendurch muss
mich kurz zur Seite wenden, weil ich nicht mehr kann. Nach fünf bis
zehn Minuten nehme ich für heute Abschied und fahre durch die dunkle
Fuertenacht bei Vollmond zurück ins Hotel.
Es könnte so schön sein, wenn wir zusammen wären.
Als ich das Zimmer betrete, piept das Handy - eine SMS von Benny
und Lisa, die mir eine gute Nacht wünschen. Schön, alle denken an uns!
- Bevor ich ins Bett gehe, öffne ich noch die eine Flasche süßen
Lanzarotewein und trinke zwei Gläser davon. Ich schlafe dann ziemlich
fest und ohne Träume.
***
Donnerstag, 9. Juli
Und wieder fängt so ein mieser Tag an. Sonne pur, überall Pärchen
zum Frühstück, und diese Musik, die im Grunde schön ist, aber mich
jetzt einfach nur belastet. Ich bringe immerhin ein Brötchen mit
Marmelade hinter und wenige kleine Gebäckstückchen.
Unten baden gerade zwei Leute im Pool.
Wie geht das mit uns beiden weiter? Wird Katrin überhaupt
sprechen können? Langsam weicht dem Verstand doch die Emotion,
und ich denke über vieles nach.
Ich habe mir vorgenommen, heute auf Fotopirsch zu gehen, um
mich abzulenken. So vergeht wenigstens die Zeit.
Was kann die Insel für unser Unglück?
Hoffentlich ist Katrin bald verlegungsfähig, der Tagesablauf hier
erscheint mir belastend, es gibt kein Mittagessen. Aber in dieser
Situation schmeckt mir sowieso nichts. Beim Frühstück verspüre ich
jedenfalls nie Appetit. Es ist alles so öde.
Ich heule lieber erst einmal, denn Katrin fehlt mir so. Zu hoffen
habe ich nur, dass sie wieder ansprechbar sein wird ist und selbst
sprechen kann.
Bitte, bitte, bitte!!!
***
17 Uhr. Ich befinde mich wiederum im Hotel, habe eben die
Krankenversicherung informiert und noch einmal mit dem ADAC
telefoniert, ob Katrin schnellstens nach Deutschland verlegt werden
darf. Der Besuch heute wirft mich gleich wieder zurück.
Beim Besuch habe ich Katrin bestimmt eine Dreiviertelstunde
gestreichelt und mit ihr geredet. Sie atmete eigenständig und wackelte
mitunter zwischendurch, und ab und zu kamen Schluckaufs. Sonst
befand sie sich jedoch fest im Koma.
Der Arzt teilt mir anschließend mit, dass sie sie aufwecken wollen.
Das künstliche Koma wird abgesetzt; das kann schneller oder
langsamer gehen mit dem Aufwachen. Sollte sie nach 24 Stunden, also
morgen, noch nicht erwacht sein, gibt es ein neues CT, um die Ursache
herauszufinden, denn haben wir es mit einem echten Koma zu tun.
Hoffentlich wacht sie auf!!!
Die weiteren Auskünfte klingen ebenfalls keineswegs gut. Der
ganze Körper sei in Mitleidenschaft gezogen worden, die linke Hand ist
völlig out. Es kann aber auch alles andere geschädigt sein. Hoffnung,
Hoffnung, bitte, es reicht, womit haben wir das verdient?! Es muss
doch nicht das Schwerste passieren. Gibt es nicht dennoch Besserung?
Ich hoffe, ja. Katrin soll sich bewegen und laufen können! Selbst wenn
die linke Hand nicht funktioniert, erreicht man trotzdem eine
genügende Lebensqualität.
Ich will weg von hier, und zwar heim. Die Ärzte bemühen sich sehr,
jedoch man kann ja nur über den Dolmetscher mit ihnen sprechen.
Jedenfalls darf ich bis Sonntag Abend Katrin noch einmal kurz
besuchen, aber ab Montag nicht mehr. Danach steht mir bloß noch die
»normalen« Besuchszeiten zur Verfügung. Also ist es notwendig für
mich umzuziehen, oder aber wir dürfen nach Hause. Auf alle Fälle muss
der Arzt dem ADAC die Flugtauglichkeit bescheinigen. Nur unter dieser
Voraussetzung dürfen wir weg.
Katrin, du musst aufwachen!!!
Wenn ich dich heute Abend besuche, will ich mit dir reden, du sollst
mich erkennen - das Weitere schaffen wir dann schon.
Ich sitze auf dem Balkon, und unten ist lustiges Treiben. Warum
können wir nicht dabei sein? Ich muss erst mal weinen.
So, es geht wieder.
Vorhin habe ich alle Fotos durchgesehen. Darunter sind auch die
letzten »gesunden« Aufnahmen von uns beiden - auf der Brücke zum
Leuchtturm, am Nachtstrand und zu Beginn der Fahrradtour. Weshalb
nur dieseFahrradtour!? Warum habe ich nicht meinen Fuß auf die
Schwelle der Kirche gestellt und mir etwas gewünscht?
Alles Quatsch, nur Aberglauben. Irgendein Gott gibt keine Hilfe.
Das hier ist der Beweis.
Wir leben eigentlich gottgefällig, haben uns und andere lieb,
versuchen stets nur Gutes, und nun!? Andere leben wie die Axt im
Walde, kommen scheinbar überall durch, und die werden geschützt,
nicht die Guten.
Es wäre doch schön, wenn sich wenigstens unsere beiden Kinder
hier befänden. Ich befürchte nur, wir würden uns nur gegenseitig
vollheulen. Und ich selbst bin gegenwärtig stark genug, zumindest jetzt
noch. rgendwie packe ich das schon. Denn der Härtetest folgt ja erst
noch - die Umstellung auf Katrins Behinderung.
Aber wir müssen das schaffen, und Katrin muss endlich aufwachen!
Bitte, bitte, bitte!
Noch nie habe ich gerne Briefe geschrieben oder Tagebuch,
indessen bietet mir so etwas nun die einzige Möglichkeit, die Probleme
aus dem Kopf herauszubringen. Nehmen wir einfach an, dass es hilft ...
Nicht einmal mit Freunden möchte ich über das alles reden.
Mir fällt eben ein, wie Katrin im Meerwasser lag, die Füße nach
oben. Sie war so glücklich! - Es muss doch noch ein Vorwärts existieren!
Heute Abend ist Katrin wach - so muss das einfach sein! Es besteht
bei mir dringender Bedarf, endlich Positives zu vernehmen. Wir warten
alle darauf.
***
Eben kehre ich von der Abendtour zurück. Leider schläft Katrin
immer noch. Selbst Streicheln und gutes Zureden nützen nichts. Ich bin
allmählich ratlos, was ich machen soll. Als ich dann ins Auto steige,
verspüre ich nur Kälte und Leere. Wozu bin ich eigentlich drei Stunden
durch die Dunkelheit gefahren? Im nächsten Augenblick erschrecke ich
jedoch heftig wegen eines solchen Gedankens. Wie herzlos von mir!
Aber ich bin inzwischen an meinen Grenzen angelangt. Und das
schreibe auch ich so per SMS an Lisa und Benny. Die wünschen mir und
Mud immer alles Gute.
Trotzdem sitze ich allein hier und kann und will nicht weg - nur mit
Katrin! - Katrin, wach auf! - Ich brauche dich!
***
Freitag, 10. Juli
Ich schlafe tief und fest bis früh halb sechs. Dann hole ich mir den
Moelv (unser kleines, spezielles Reisemaskottchen) und dämmere mit
ihm bis kurz vor acht weiter. Wenigstens einer noch anwesend!
Ich fühle mich heute leer und ausgepumpt. Hoffentlich kommt
wieder etwas Stärke in meinen Körper! Durchs Frühstück jedenfalls
nicht, denn ich bringe erneut kaum einen Bissen runter. Danach gehe
ich an den Strand und rede mir Hoffnung ein. Es muss da zumindest ein
Fünkchen Positives geben. Katrin, wache auf, lass mich nicht allein, das
schafft allmählich keiner mehr!
Die langen Fahrten strengen mich äußerst an, und ich fühle mich
irgendwie zittrig.
Deshalb habe ich auch unsere Reisebetreuerin angerufen, ob ich
eventuell woandershin verlegt werden kann, damit diese Touren
weniger weit sind.
Hoffentlich bist du bald transportfähig, Katrin. Wache auf, dann
wird alles besser. Wir müssen endlich nach Hause, ich will zu Lisa und
Benny. Da können wir uns gegenseitig helfen!
Wenn ich die vielen Pärchen sehe, möchte ich ihnen zurufen: ›Seid
lieb zueinander, möglichst immer! Es kann mitunter ganz schnell
anders werden ...‹ Das haben wir ja gesehen.
Was sind dagegen die zahlreichen Probleme in der Welt?
Katrin und ich haben es wenigstens schon eine lange Zeit schön
miteinander gehabt; unsere Kinder sind unterdessen auch groß und
sehr lieb. Das gibt mir momentan einen kleinen Trost, der mir über
einiges hinweghilft. Aber trotzdem ist es schwer, und immer erneut
falle ich in die Einsamkeit zurück, besonders beim Anblick der vielen
lustigen Urlauber.
Jetzt muss ich die Lage jedenfalls so akzeptieren!
So, die Uhr zeigt zehn Uhr. Ich werde auf die Reisebetreuerin
warten und mich gegen elf Uhr wieder auf Autotour begeben.
Katrin, sei bitte wach, wenn ich da bin. Aber ich glaube selbst nicht
daran. Es wäre zu schön, um wahr zu sein!
***
Leider schläft Katrin immer noch, als ich zur Besuchszeit erscheine.
In fünfzehn Minuten soll ein neues CT gemacht werden, um eventuell
die Ursache dafür zu finden.
Katrin ist bereits an mobile Geräte angeschlossen. Wenn ich sie
streichle, zuckt sie mit dem linken Bein und hebt ihren Oberkörper
etwas hoch. Dann kommt fünfmal ein Schluckauf, und zwischendurch
gähnt sie sogar. Jedoch sie wacht nicht auf. Zwischendurch piept es
manchmal Dauerton, doch man beruhigt mich und stellt am Apparat
herum.
Da kommt der Anruf für das CT. Ich muss deswegen fort, aber die
Ärztin meint, in einer halben Stunde wüssten sie Bescheid.
Zunächst gehe ich in die Stadt und kaufe mir als Imbiss zwei Riegel
und ein paar Äpfel.
Als ich wieder vor der UCI sitze, erscheint gerade ein Arzt mit
Dokumenten und fordert mich auf, noch fünf Minuten Geduld zu
haben, bis der Dolmetscher kommt. Als Antonio, der Dolmetscher, da
ist, sagt mir der Doktor, dass man eine Verstopfung und
Flüssigkeitsansammlung im Gehirn gefunden hätte, die
höchstwahrscheinlich das Aufwachen verhinderte. Sie können das aber
hier nicht operieren. Katrin müsse deshalb in den folgenden Stunden
nach Las Palmas auf Gran Canaria ins Hospital Insular ausgeflogen
werden, wo man neurologische OP´s durchführt. Sie wird dann auch
dort bleiben und soll in der Folge möglichst bald gen Deutschland
reisen.
Damit entfallen meine nächtlichen Besuche. Ich informiere sofort
die Reiseleitung und soll so bald wie möglich ebenfalls nach Gran
Canaria. Man kümmert sich unterdessen um das dortige Hotel. Bevor
ich das Krankenhaus verlasse, begebe ich noch einmal an Katrins Bett,
küsse und streichle sie. Erneut so ein Abschied!
Ein Pfleger reicht mir ein Tuch, weil mir schon wieder die Tränrn
kommen und die Schwestern erkundigen sich, ob ich Tee oder Wasser
möchte. Alle sind äußerst mitfühlend.
Dann muss ich allerdings schnell zurück ins Hotel. Ich telefoniere
noch mit den Kindern, frage, was ich jetzt tun soll??
Lisa sagt, hinterherfliegen und bei Mud sein, wenn sie aufwacht. Es