Gib nicht auf! Kämpfe! - Birgit Klemm - E-Book

Gib nicht auf! Kämpfe! E-Book

Birgit Klemm

4,8

Beschreibung

Das Leben steckt voller Überraschungen - jeder weiß das. Wenn Sie dieses Buch lesen, begeben Sie sich in die Welt von fünfzehn Menschen, denen Schlimmes widerfahren ist und die den Mut hatten, darüber zu reden. Es wird aufgezeigt, wie sie die unvermittelt aufgetretenen ernsten Lebenssituationen, die den Alltag völlig veränderten, in den Griff bekamen - trotz aller gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Die Autorin des Buches wurde selbst durch einen Schlaganfall infolge eines Fahrradunfalls aus ihrem gewohnten Lebensrhythmus herausgerissen. Die Art der Aufzeichnung von Erfahrungen wie in diesem Buch ist eine wertvolle Ergänzung zu Publikationen über medizinisches Fachwissen.

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»Man kann sein Schicksal

weder voraussehen

noch ihm entgehen;

doch man kann es annehmen.«

Christine von Schweden (1626 - 1689)

schwedische Königin

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

DIETER N.

SANDRA B.

GERHARD F

KARIN M.

ROLF T

SILKE M.

WOLFGANG A.

DORIS M.

ELKE UND SVEN D.

ASTRID K.

ROBERT S.

ADELE L.

CORNELIA A.

DIRK R.

UWE B.

DANK

LITERATUR UND INTERNET

Autorin

Birgit Klemm

geb. 1961 in Reichenbach/Vogtland

1979 - Abitur in Karl-Marx-Stadt/Chemnitz

1979 bis 1983 - Studium in Karl-Marx-Stadt/Chemnitz

Abschluss als Diplomlehrerin für Mathematik / Physik

verheiratet seit 1983, zwei Kinder

1983 bis 2009 - Lehrertätigkeit an verschiedenen Mittelschulen und am Gymnasium (Mathematik / Physik / Informatik)

2009 - im Urlaub Fahrradunfall, infolgedessen Schlaganfall nach einem Aderriss im Nacken (Buch »Plötzlich ist alles anders« unter dem Pseudonym Katrin Schwarz)

danach Erwerbsunfähigkeit

seit 2012 - Nachhilfetätigkeit als Lehrerin in Mathematik sowie schriftstellerische Aktivitäten

(Kurzgeschichten »Was wäre, wenn ...«)

Vorwort

Xavier Naidoo in einem seiner Songs: »Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer.«

Fünfzehn Menschen erzählen im Folgenden ihre Geschichte, ihren Weg, der in Krankenwagen, Intensivstation, Krankenzimmer oder Reha begann. Ihr Leben hat sich von einer Sekunde auf die andere verändert. Für die Betroffenen und ihre Angehörigen standen urplötzlich solche Fragen im Raum:

Wie soll es nun weitergehen? Was jetzt?!

Das Schlimmste für sie war das Nichts-Tun, das tatenlose Herumsitzen. In jedem dieser Schicksale wird deutlich, mit welchen Hindernissen der einzelne zu kämpfen hat und woher er die Motivation nimmt im Ringen um jeden auch noch so kleinen Fortschritt gegen die Krankheit. Hier berichten »Fachleute in eigener Sache«, was einem Menschen durch den Kopf geht, wenn ihm solch ein Schicksal widerfährt, was da lauten könnte: »Schlaganfall« oder auch anders schlimm.

Was wird dagegen unternommen? Welche Probleme tun sich plötzlich und unerwartet auf? Welche teils ungewöhnliche Wege werden gewählt?

Das Ergebnis sind bewegende Geschichten, oft auch zum Kopfschütteln.

Ich halte es für sehr wichtig, dass Betroffene selbst über ihre schwierige Lebenslage berichten und damit anderen Mut machen, weiter an sich zu glauben und nach vorn zu schauen. Sie leisten damit einen Beitrag, die Gesellschaft für diese Problematik stärker zu sensibilisieren.

Die wichtigste Erkenntnis ist, nicht zu resignieren. Ein Leben kann auch mit einer Behinderung schön und erfüllt sein. Es gibt immer einen Weg, und mag er auch noch so steinig und schwer sein. Und dabei findet jeder, der es will, neue Freunde und Unterstützer.

Ich verstehe das vorliegende Buch auch als Aufforderung, gegen Vorurteile in den Köpfen mancher Menschen anzugehen. Es sind die vielfältigen Umstände und Hindernisse, die Menschen mit Behinderungen erst zu Behinderten machen.

Wir alle sind dafür verantwortlich, dass jeder Mensch mit seinen Stärken und seiner Einmaligkeit glücklich leben kann.

Anneliese Ring

(bis April 2015 zweite Beigeordnete im Vogtlandkreis und Behindertenbeauftragte)

Dieter N.

geb. 1949, Kraftfahrer

verheiratet, ein Kind

»Ich habe mir folgendes Ziel gesetzt:

Zum Schulanfang meines Enkels

im Jahre 2019 brauche ich

keinen Rollstuhl mehr!«

Ich war seit einigen Jahren als Kraftfahrer in einer Reinigungsfirma angestellt und fuhr so jeden Tag etliche Kilometer. Mit meiner Frau bin ich seit gut drei Jahrzehnten glücklich verheiratet. Unsere erwachsene Tochter ist Ergotherapeutin und wohnt hier im Ort.

Schon vor Jahren ging ich einmal zum Arzt, um mich untersuchen zu lassen, denn ich hatte beim Autofahren festgestellt, dass mir der linke Arm öfters vom Lenkrad abrutschte. Danach äußerte der Doktor die Vermutung, dass sich die eine Schulter versteifen könnte.

Aus heutiger Sicht betrachte ich das als eine Art Vorboten des Schlaganfalls.

***

Im Dezember 2009 feierten wir im Familienkreis meinen sechzigsten Geburtstag. Das Fest war sehr schön, und danach beschloss ich, im Wohnzimmer auf dem Sofa zu schlafen, da ich wusste, dass ich nach ein paar Bier meistens schnarchte. Am folgenden Morgen fand mich meine Frau auf dem Boden liegend vor der Couch. Sie wollte mir helfen aufzustehen. Ich spürte jedoch die linke Körperhälfte überhaupt nicht mehr, konnte auf dieser Seite den Arm nicht heben und lallte nur, wie man es von Besoffenen kennt.

In keiner Weise begriff ich, was passiert war, und signalisierte: »Ruf bei den Kindern an, der Schwiegersohn soll mir hoch helfen!« Denn es wurde deutlich, dass es meine Frau nicht schaffen würde, mich auf die Beine zu stellen.

Ihr kam das alles aber sowieso recht eigenartig vor. Zum Beispiel wunderte sie sich, dass ich so ein komisch verzerrtes Gesicht hatte. Sie erkannte, dass hier irgendetwas anders war als sonst und rief kurzerhand den Notarzt. Innerhalb von fünf Minuten stand der Rettungswagen vor unserer Tür.

Dann die Ernüchterung: Schlaganfall! Also ab ins Krankenhaus - und gleich auf die Intensivstation. Und so brachte ich rund zwei Wochen dort zu.

Im Verlauf dieses Aufenthaltes musste ich einige elementare Dinge wieder neu lernen. Zum Beispiel Essen und Trinken; ich erhielt die Speisen anfangs alle püriert, wie bei einem Baby.

Beim Bewegen stellte ich fest, dass sich meine beiden Körperhälften vollkommen verschieden verhielten. Während ich rechts keine großartige Veränderung feststellte, war die linke Seite gelähmt und das Laufen so gut wie unmöglich. Folglich landete ich im Rollstuhl.

Auch das Sprechen musste ich zunächst üben, bevor es dann wieder leidlich gut funktionierte. In so einer Situation weiß man erst einmal zu schätzen, wenn das Gedächtnis relativ normal mitspielt und dass man hören und sehen kann - oh welch ein Wunder!

***

Es ging dann alles zack-zack, als ich auf Normalstation kam. Meine Frau besuchte mich täglich im Krankenhaus und erledigte nebenbei noch eine Reihe Behördengänge, die notwendig wurden.

So hatte sich nicht nur das eigene Leben über Nacht geändert, sondern auch das meiner Ehegattin.

Nach dem Krankenhausaufenthalt bekam ich sofort einen Reha-Platz. Dort machten sie jedoch leider viel zuwenig mit mir, fand ich. Zum Beispiel nur zwei Behandlungen am Tag - was sollte denn das? Was war überhaupt der Zweck des Aufenthaltes in dieser Reha-Klinik?!

Bei den Therapien wurde unter anderem das Laufen geübt. Und ich lernte, wieder normale Kost zu mir zu nehmen. Als rund ein Monat Reha vergangen war, konnte ich den Krankentransport besteigen, und es ging endlich zurück nach Hause.

Meine Frau hatte inzwischen für mich Rente und Schwerbehindertenausweis beantragt sowie Therapien vereinbart.

Außerdem mussten unsere »vier Wände« rollstuhlgerecht umgebaut werden, da zum Beispiel sämtliche Türschwellen störten. Der Vermieter übernahm freundlicherweise diese bauliche Veränderung, wofür wir ihm äußerst dankbar sind. Während er an den Wochenenden an der Wohnung baute, konnte mich meine Frau in der Reha besuchen.

***

Und wie ging es sonst zu Hause weiter?

Ich musste vor allem die neue Situation akzeptieren. An vielen Stellen machte sich anfangs Hilfe erforderlich. Das war ohne Zweifel von allen Seiten nett und gut gemeint. Ich fand es jedoch einfach nur furchtbar!! Beim Anziehen, Ausziehen, Rasieren, Toilettengang ...

Ich war richtiggehend gefesselt an unser Zuhause. Nur an den freien Tagen meiner Frau konnte ich die Wohnung verlassen, wenn sie mich begleitete.

Aufgrund der Lähmung der linken Seite wurde das allerdings eine Aktion mit extremem Aufwand: Treppensteiger und Bretter mussten angelegt werden, damit ich aus der Wohnung und dann aus dem Haus gelangte. Unterm Strich dauerte es immer eine gute halbe Stunde, bis ich endlich im Freien angelangt war.

Heute brauchen wir keinen Treppensteiger mehr. Dank meiner Physiotherapeutin kann ich die Treppen herunter rückwärts bewältigen und mit der Krücke das Gebäude verlassen. Natürlich alles in Begleitung anderer Personen. Die Therapeuten haben mir das Laufen wieder gelernt unter Beachtung einer ordentlichen Haltung (Stichwort: aufrechter Gang!). Darauf achtete in der Reha übrigens keiner, war mein Eindruck …

Als eine wichtige Errungenschaft sehe ich an, dass ich mittlerweile selber die Treppen hinauf- und heruntersteigen kann.

Gegenwärtig ist meine Woche komplett ausgelastet: zweimal Ergotherapie, zweimal Physiotherapie, ein- oder zweimal Lymphdrainage. Ich kämpfe jeden Tag weiter, und auch nach fast fünf Jahren treten immer erneut Verbesserungen ein, mögen diese noch so klein sein!

Ich kann mich beispielsweise inzwischen selbst umsetzen: vom Rollstuhl auf das Sofa oder aufs Bett (und umgekehrt). Und die Toilette gehört schon lange wieder mir allein ...

Wenn ich an den Anfang zurückdenke: Wie freut man sich beispielsweise, wenn viele Monate vergangen sind und die Finger plötzlich erneut Reflexe zeigen!

Es gab aber auch Rückschläge. So hatte ich nach einem Jahr eine Durchblutungsstörung im linken Fuß. Dieser sah dadurch ganz blau aus. Also musste ich ins Krankenhaus. Behandlung: Injektion in die Wirbelsäule. Das half eine gewisse Zeit. Dann das gleiche Spiel: Erneut eine Spritze ins Rückgrat ... Unterm Strich konnte ich das leider nicht als Erfolg bezeichnen. Seit über einem Jahr bekomme ich deswegen zweimal pro Woche eine Lymphdrainage. Das half endlich und es geht mir besser.

Ich habe wunderbare Therapeuten - es ist doch schön, wenn das funktioniert! Bei der Physiotherapie muss ich meistens Treppen steigen, und wir begeben uns nach Möglichkeit raus in die Natur. Der Arzt kommt regelmäßig zum Hausbesuch, und mitunter sagt er: »Herr N., ich freue mich jedes Mal, zu Ihnen zu kommen. Wissen Sie warum? Weil man da wenigstens Fortschritte bemerkt! Deswegen setzen wir Ihre Therapien auch unbedingt fort!«

Somit kann ich voll zufrieden sein. Und das zeigt: Man muss weitermachen, denn es geht immer wieder vorwärts, wenn das im übrigen erst keiner glaubt.

Mitunter heißt es ja so schön: Nach einem Jahr ist der Schlaganfall austherapiert. Nach einem Jahr - das stimmt überhaupt nicht! Bei mir ist dieses Ereignis inzwischen fünf Jahre her, und es gibt noch genug Baustellen und immer wieder Fortschritte.

Ein kleines Damoklesschwert schwebt da schon im Hintergrund, und das heißt: »Könnte es etwa noch einmal passieren?!«

Manche Ärzte äußern, das könne man in den Folgejahren nicht ausschließen ... (Alles andere als eine schöne Überlegung! In meinem Hinterkopf tönt es dann ganz leise: ›Wenn es ein leichter Schlaganfall wäre, das mag ja gerade noch angehen, aber sonst ... Hilfe!!‹)

Der Doktor sagt, mit dem Arm und dem Bein auf der linken Seite, das wird auf keinen Fall hundertprozentig wieder gut. Doch mit so einem Gedanken kann ich leben.

***

Was den Beruf anbetrifft: Dass dessen Ausübung nicht mehr möglich ist, damit muss ich mich abfinden.

Zu Beginn ärgerte mich dieser Zustand schon: Die Frau ging arbeiten, und ich saß unterdessen zu Hause. Jetzt ist es so: Vom Morgen bis zum zeitigen Nachmittag bin ich allein daheim, sitze jedoch keinesfalls nur in der Gegend herum. Mit der Zeit machte ich mir immer öfter selber das Kaffeetrinken zurecht - zur großen Freude meiner Frau.

Am Vormittag kommen die Therapeuten zu mir oder ich mache etwas am Computer. Oder ich treffe mich mit der Hobbygruppe des Selbsthilfevereins zu Laubsägearbeiten oder zum Stammtisch. Die Leitung dieser Hobbygruppe habe ich übrigens inzwischen selbst übernommen.

Überhaupt war der Beitritt in den Selbsthilfeverein ein guter Schritt. Auf diesem Weg lernte ich Leute mit gleichem oder ähnlichem Schicksal kennen. Es gibt die unterschiedlichsten Unternehmungen: Treffen zu verschiedenen Themen, Ausflüge, einmal jährlich auch eine mehrtägige Urlaubsfahrt. Schön, dass so etwas möglich ist.

Also, im Grunde bin ich immer sinnvoll beschäftigt.

Ja, und wenn ich zu Hause nicht mitziehe, bekomme ich von meiner Frau in den ... getreten ...

Nächstes Jahr will ich auch versuchen, in unserem Garten wieder selbst Rasen zu mähen. Es ist insofern günstig, dass ich mich am Rasenmäher festhalten kann. - Die eigene Parzelle aufzugeben - das soll nicht sein!

***

Seit mehreren Jahren kämpfe ich schon an dieser neuen Front, in meinen Augen mit großem Erfolg. Für gesunde Menschen ist manches vermutlich in keiner Weise nachvollziehbar. Insbesondere, wie man sich über scheinbare Kleinigkeiten so freuen kann.

Überhaupt steht die gesamte Familie (Frau, Tochter, Schwiegersohn) hinter mir und motiviert mich. Dank ihrer tatkräftigen Unterstützung schaffte ich es, wieder positiv ins Leben zu schauen.

Es gibt immer neue Anlässe, beim Kämpfen nicht nachzulassen: Da wurde vor zwei Jahren unsere Enkeltochter geboren, und dann folgte die Geburt eines Enkelsohnes einige Monate später. Der findet übrigens meinen Rollstuhl ganz toll und muss ihn ständig untersuchen. Er nennt ihn »Skoda« und schiebt mich damit.

Es kommen immer wieder kleine Fortschritte, und dafür lohnt sich der tägliche Kampf. Ja, und weil der Mensch sich Ziele stellen sollte, lautet eine wichtige Aufgabe für mich:

»Zum Schulanfang meines Enkels im Jahre 2019 brauche ich keinen Rollstuhl mehr!«

Sandra B.

geb. 1981, Industriekauffrau

alleinstehend, keine Kinder

Ich dachte: »Du beendest jetzt

ganz normal dein Studium,

schreibst deine Bachelorarbeit

und fängst im September an mit Arbeiten. «

Es handelte sich zunächst um einen ganz normalen Entwicklungsgang, wie er bei anderen ähnlich aussehen könnte: Ich absolvierte an einem Gymnasium das Abitur, und anschließend folgte eine dreijährige Ausbildung zur Industriekauffrau.

Danach war ich kurz arbeitslos, weil ich nicht von meiner Firma übernommen wurde. Es ergab sich jedoch plötzlich die Gelegenheit, dass ich im Jahr 2002 für eine Wintersaison in der Schweiz auf einer Berghütte im Service arbeiten konnte. Dort gefiel es mir so gut, dass ich begann, mich in dieses Land zu verlieben. Ich stellte mir vor, in der Schweiz zu leben, dort tätig zu sein und Karriere zu machen. Aufgrund meines Berufes als Industriekauffrau wollte ich gern einmal in die Wirtschaft gehen.

2003 kehrte ich nach Deutschland zurück und fing in Chemnitz an, »Europäische Wirtschaft« zu studieren. Dabei hatte ich immer das Ziel vor Augen: Später einmal werde ich in der Schweiz wohnen; ich verdiene viel Kohle, lebe gut und gucke mir die Welt an.

Danach folgte 2005 ein Auslandssemester - natürlich in der Schweiz! Dort lernte ich durch meine dortigen Studienfreunde perfekt Englisch sprechen und beschäftigte mich zusätzlich mit der spanischen und der französischen Sprache.

2007 wurde ich von der Firma, bei der ich die Ausbildung zur Industriekauffrau absolviert hatte, angerufen, dass ich nach meinem Studium dort im Export tätig sein könne (was ich schon immer machen wollte). Es wurde deswegen auch ein Vorstellungsgespräch vereinbart.

Leider begannen nun ein paar Dinge, mit denen ich nie gerechnet hatte ...

***

Es gab erste Anzeichen, welche ich lange nicht einordnen konnte: Ich bemerkte, dass sich der linke Arm immer wie eingeschlafen anfühlte. Nennen wir es Sensibilitätsstörungen. Das war im März des Jahres 2007. Mutter vermutete zu dieser Zeit Zugluft als Ursache.

Als es aber auch nach über einer Woche kaum besser werden wollte, beschloss ich, meinen Hausarzt aufzusuchen. Der nahm mir Blut ab, untersuchte es und stellte fest, dass doch im Grunde alles in Ordnung wäre. Er konnte sich das überhaupt nicht erklären. Ihm fiel dann noch ein, dass er im Studium einmal etwas von einer ganz seltenen Rückenmarkserkrankung gehört hatte. Er überwies mich zu einem Neurologen mit der Diagnose: Verdacht auf eben diese Erkrankung.

Daraufhin bekam ich innerhalb kürzester Zeit einen Termin bei einem Facharzt. Zufällig handelte es sich ausgerechnet um den Tag, an dem das Vorstellungsgespräch für den neuen Job stattfinden sollte. Selbiges hatte ich am Vormittag, und es verlief einfach nur gut. Denn danach sagten sie mir den Job zu. Auf Anfang September des Jahres wurde mein erster Arbeitstag festgelegt.

Nach diesem äußerst positiven Gespräch begab ich mich vereinbarungsgemäß zum Neurologen. Er machte mit mir verschiedene Tests. Im Ergebnis stellte er fest, dass mit mir etwas nicht in Ordnung sei, ohne mir jedoch sagen zu können, was es genau wäre. Um noch Konkreteres herauszubekommen, versorgte er mir umgehend einen MRT-Termin im Krankenhaus.

Das alles geschah an einem Mittwoch, und am Freitag führten sie die Magnetresonanztomographie durch. Nach dieser Untersuchung »durfte« ich gleich dort bleiben.

Der hiesige Neurologe äußerte den Verdacht auf multiple Sklerose, also keine besonders schöne Diagnose. Da gäbe es etwas auf dem MRT-Bild, was sich ein Neurochirurg unbedingt ansehen sollte. Das würde er am folgenden Montag tun, und ich müsse deswegen übers Wochenende im Krankenhaus bleiben.

Ich fragte noch einmal nach - und bekam die eiskalte Antwort: »Da existiert ein Tumor in deinem Kopf und der hat unterdessen schon gestreut.« Punkt.

Es wirkte verständlicherweise auf mich wie ein Schock - ich war förmlich am Boden zerstört und in keiner Weise aufnahmefähig für weitere Mitteilungen.

Zum Glück kamen meine Freunde zu Besuch. Sie fragten, was denn mit mir los sei, und ich erzählte es ihnen. Natürlich flossen einige Tränen. Den Eltern erging es ähnlich, auch sie weinten. Sie wollten daraufhin gleich mit der diensthabenden Ärztin sprechen, die sich jedoch verleugnen ließ.

Ich selbst verinnerlichte das alles zunächst in keiner Weise, befand mich wie in einer Blase. Da schrieb ich doch gerade an der Bachelorarbeit, und mir erschien, was hier vorging und was ich da zu hören bekam, einfach nur unwirklich. Das betraf nicht meine Person, sondern jemand anderen - so musste es sein!

Ich dachte: ›Du beendest jetzt ganz normal das Studium, schreibst deine Bachelorarbeit und fängst im September an zu arbeiten. Was denn sonst!?‹

ich habe keine Zeit für so was.

Nun hieß es, erst einmal abzuwarten. Am folgenden Montag hatte ich dann das Auswertungsgespräch. Es bestand Einigkeit darüber, dass es sich um eine Gefäßsache drehte, die sie hier im Krankenhaus nicht behandeln könnten. Deswegen überwiesen sie mich in eine andere Klinik.

Bis ich dort die notwendigen Termine bekam, dauerte es insgesamt über eine Woche. Mir ging es in dieser Zeit kaum schlechter. Ständig gab es allerdings so ein eigenartiges Gefühl auf der gesamten linken Seite, eben eine Tatsache. Ich nahm schon wahr, dass in meinem Kopf irgendetwas nicht stimmte, aber ich ignorierte das, weil es keine weiteren Einschränkungen gab.

Dann kam eine Untersuchung nach der anderen: MRT, CT, Angiographie. Letzteres ist so ziemlich das Schlimmste, was es da so gibt.

Ich muss auch sagen: Ständig wurde ich von meinen Eltern begleitet; und dadurch unterstützten sie mich moralisch sehr. Das half mir unheimlich. Sie blieben während dieser ganzen Zeit in einem Hotel im Ort; ich spürte immer ihre Nähe.

Bei der Behandlung kam ich glücklicherweise an den Chefarzt. Der fand heraus, dass es sich um eine Gefäßmissbildung handelte, ein so genanntes Kavernom. Das ist etwas Ähnliches wie ein Aneurysma. Das eine ist eher verschlungen, und das Kavernom muss man sich wie eine Blase vorstellen. Selbiges kann ausbluten - genau das trat eben bei mir ein. Es befand sich, um das noch »spannender« zu machen, im Hirnstamm. Ein Ort, wo so etwas als inoperabel zu betrachten ist.

›Wo kommt denn das her?‹ Diese Frage stellte sich mir selbstverständlich.

Eine Antwort lautete, dass so etwas angeboren sein könne. Und ich las nach: Bei wem ein Kavernom auftritt, der neigt dazu, mehrere zu haben.

Der Mediziner sagte meinen Eltern, dass ich daran vorzeitig sterben könne, aber dass zumindest Bettlägerigkeit zu erwarten sei.

Die Ärzte berieten sich, mit dem Ergebnis, dass niemand mich operieren wollte. Der Chefarzt äußerte schließlich: »Ich versuche es, weil ich sonst keine Chance zum Überleben für dich sehe.« Er plante, bei dieser OP von hinten in den Kopf hineinzugelangen und meinte: »Sollte es so unmöglich sein, dann probiere ich es noch einmal von einer neuen Stelle aus.«

Die Eltern sagten mir später, dass er sich ihnen gegenüber so äußerte: »Es gäbe schlicht und einfach keinen sonstigen Weg - das ist leider so.« Mit den anderen Worten an meine Adresse wollte er mir die Hoffnung nicht nehmen. Und das fand ich im Nachhinein richtig gut.

Es klappte alles - zum Glück! Ja, und wie lief das nun ab?

An einem Freitag sollte meine OP sein. Aber nein - es kam ein Notfall dazwischen, ein kleines Kind, welches an diesem Tag operiert wurde. Ich musste mich bis zum folgenden Montag gedulden ... Am Wochenende durfte ich erfreulicherweise heim, mit der Bedingung, am Sonntagabend wiederzukommen.

Ich begriff immer noch in keiner Weise, was das im weiteren für Folgen für mich haben könnte. Ich hatte im Kopf, das Studium zu beenden, in der bestehenden Situation völlig verständlich.

Aber am Sonntagnachmittag wurde mir auf einmal ganz anders zumute, konkret beim Verabschieden von meinen vielen Freunden. Das kam mir echt ein bisschen vor wie: Werden wir uns überhaupt je wieder sehen??

Am Sonntagabend gegen neunzehn Uhr wurde ich ins Krankenhaus gebracht.

Als ich mich am Montag früh im Vorbereitungsraum für die OP beim Anästhesisten befand, konnte ich wie durch ein Bullauge in den OP-Raum schauen. Dort operierten sie gerade jemanden an der Bandscheibe.

Auf einmal war da nur noch der Blick auf diese Operation, und mir kamen die Tränen. Der Narkosearzt versuchte mich zu beruhigen. Dann bekam ich die Betäubungsspritze und schlief ein.

Die OP begann etwa morgens neun Uhr. Als ich auf der Intensivstation wieder erwachte, war es nach achtzehn Uhr. So lange hatte die Operation gedauert.

Meine Mutter rief ab dem frühen Nachmittag halbstündlich auf der Intensivstation an und erkundigte sich danach, wie es mir ging. Am Abend telefonierte der Chefarzt höchstpersönlich mit den Eltern und sagte ihnen, dass alles gut gegangen sei. Er klang am Telefon vollkommen aufgelöst und weinte ebenfalls.

Gegen zweiundzwanzig Uhr durfte ich schon selbst mit meiner Mutter telefonieren. Aber eine so richtige Erinnerung daran kommt mir nicht mehr. Außerdem konnte ich nur ganz langsam und schlecht sprechen. Ich sagte wohl so etwas wie: »Hallo, Mama!« oder in dieser Art.

Am folgenden Morgen erwachte ich auf der Intensivstation und sagte zu den Schwestern: »Ich will jetzt hier weg! Lasst mich endlich heim!« Und das meinte ich im vollen Ernst. Ich war wach, und meine Orientierung kam mir intakt vor. Also erschien es mir nur logisch, dass ich bald nach Hause könnte.

Doch so einfach ging das natürlich nicht, denn ich verblieb auf der Intensivstation.

Insgesamt war ich dann nicht einmal vierundzwanzig Stunden auf der Intensivstation, ehe ich auf ein normales Krankenzimmer verlegt wurde.

Die Zeit lief indessen irgendwie weiter. Ich schlief viel und alles rauschte an mir vorbei.

Es kam eines Morgens ein Pfleger ungefähr in meinem Alter (damals sechsundzwanzig Jahre). Er meinte: »Ich will dich jetzt waschen.« Da antwortete ich: »Niemals!« - Er erwiderte: »Los, ich sehe jeden Tag so was!« - Ich ließ mich schließlich überreden, aber unten herum - nein!

Was wurde aus den Irritationen, die es bei mir vor der Operation gegeben hatte? Davon merkte ich nichts mehr. Leise Zweifel blieben zurück, denn man horcht ja trotzdem immer wieder in sich hinein ...

Dann stellte ich auch die ersten Sachen fest, die mit mir passiert waren. Zum Beispiel beim Sprechen. Die Operation hatte im Sitzen stattgefunden und einige Stunden gedauert. Infolgedessen wurden die Lungenflügel gestaucht. Ich konnte jedenfalls erst einmal nur wenige Worte von mir geben. Das kam erst im Laufe der nächsten Tage allmählich wieder. Morgens klang das Sprechen zunächst relativ normal. Jedoch später war die Luft weg, und dadurch ging es immer schlechter beziehungsweise überhaupt nicht mehr mit dem Reden.

Meine Eltern ließen sich erst einen Tag nach der Operation blicken, weil sie es an diesem schlimmen Termin des Eingriffs keinesfalls im Krankenhaus ausgehalten hätten. Sie stellten während des Besuches einige Dinge fest, für die sie anfangs keine Erklärung fanden.

Zum Beispiel lag rechts neben mir auf dem Nachttisch das Handy. Ich sagte zu Mama: »Gib mir doch bitte mal das Handy - wo ist es denn überhaupt?« - obwohl es praktisch vor meiner Nase lag! Aber auf der einen Körperseite war bei mir einiges nicht intakt, und das ergab den Grund für die Nichtwahrnehmung.

Ich hatte täglich Physiotherapie. Nach drei Tagen durfte ich wieder aufstehen, natürlich nur, wenn ich mich gut festhielt. Da war nichts mit richtig laufen, so wie gewohnt.

Außerdem fiel mir ständig alles herunter. Das besserte sich erst Wochen später.

Nach dem Eingriff dauerte es zehn Tage, bis ich aus dem Krankenhaus entlassen werden konnte. Normalerweise ist es dann so, dass du danach gleich zur Reha geschickt wirst. Der Professor riet aber davon ab und empfahl mir, erst einmal selbst wieder allmählich auf die Beine zu kommen und mich an die neuen Gegebenheiten zu gewöhnen. Besser, die Eltern könnten die Betreuung übernehmen bei sich zuhause. Danach wäre es mit der Reha günstiger.

Also zog ich bei ihnen ein, obwohl ich ja in Chemnitz zum Studium ein Zimmer im Internat hatte.

Ich beherrschte nach der Operation kaum etwas wie vorher, zum Beispiel Zähneputzen oder Kämmen, allein essen und selbständig laufen. Mich eigenständig anziehen war mir auch unmöglich.

Meine Mutter ließ sich von der Arbeit freistellen, um mir besser helfen zu können.