Plötzlich Rebell - Julie Kagawa - E-Book
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Plötzlich Rebell E-Book

Julie Kagawa

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Beschreibung

Er ist so berühmt wie berüchtigt in der Welt der Feen: Robin Goodfellow, auch bekannt unter dem Namen Puck. Trotz allem, wofür ihn Feen und Menschen gehalten haben – Ruhestörer, Verräter, Narr oder auch Rabe –, ist Puck zuallererst eines: der treue Gefährte von Königin Meghan und ihrem Prinzgemahl Ash. Und als eine neue Bedrohung das Feenreich heimsucht, begibt sich Puck auf die gefährlichsten Reise seines Lebens …

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Seitenzahl: 556

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Das Buch

Alle Welt kennt ihn als Puck, den König der Streiche, den Unruhestifter und den Raben. Seit König Oberon ihn an seinen Hof genommen hat, kann Robin Goodfellow seine magischen Talente nach Herzenslust ausleben – bis er eines Tages Meghan begegnet, Oberons Tochter. Gemeinsam mit ihr und ihrer großen Liebe Ash hat er das Feenreich unzählige Male gerettet. Jetzt ist endlich die Zeit gekommen, dass er selbst seine Geschichte erzählen kann. Als Puck auf dem Koboldmarkt Meghans und Ashs Sohn Kierran begegnet, ahnt er nichts Gutes. Kierran war aus Nimmernie verbannt worden. Jetzt sucht er Pucks Hilfe, denn etwas Böses macht Jagd auf die Vergessenen Feen, die im Schleier zwischen den Welten leben. Etwas Böses, das Puck und Kierran unbedingt aufhalten müssen, wenn nicht die drei Reiche des Sommers, des Winters und des Eisens untergehen sollen. Die beiden begeben sich auf eine gefährliche Reise – und Puck ahnt schon bald, dass sein Gegner auch in ihm selbst eine längst vergessene, dunklere Seite zum Vorschein bringt …

Die Autorin

Schon in ihrer Kindheit gehörte Julie Kagawas große Leidenschaft dem Schreiben. Nach Stationen als Buchhändlerin und Hundetrainerin machte sie ihr Interesse zum Beruf. Mit ihren Fantasy-Serien »Plötzlich Fee« und »Plötzlich Prinz« wurde sie rasch zur internationalen Bestsellerautorin. Nach mehreren anderen Romanen kehrt sie mit »Plötzlich Rebell« in ihre bekannteste Fantasy-Welt zurück. Julie Kagawa lebt mit ihrem Mann in Louisville, Kentucky.

Julie Kagawa

Roman

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Charlotte Lungstrass-Kapfer

WILHELMHEYNEVERLAGMÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe THE IRON RAVEN (THE IRON FEY: EVENFALL 1)Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 10/2021

Redaktion: Jennifer Jäger-Schenk

Copyright © 2021 by Julie Kagawa

Copyright © 2021 der deutschsprachigen Ausgabe und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München unter Verwendung einer Illustration von Harlequin Enterprises ULC

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-27284-5V001

www.heyne.de

Gewidmet all den Puck-Fans, die wollten, dass er seine Geschichte selbst erzählt.

ERSTER TEIL

DIE MENSCHENWELT

Vor langer, langer Zeit

Es war beinahe so weit.

Ich spähte hinter den Büschen hervor, und ein breites Grinsen erschien auf meinem Gesicht. Die Bühne war bereitet. Der kristallklare Teich auf der winzigen Lichtung hinter den Bäumen funkelte im Sonnenschein und lockte die verschiedensten Lebewesen an. Unter den wachsamen Blicken eines prachtvollen Bocks, der hoch aufgerichtet am Ufer stand, senkten einige gefleckte Hirschkühe ihre schlanken Hälse und fingen an zu trinken. Kaninchen hoppelten durch die Farnbüsche auf der Lichtung, und im Geäst einer hohen, knorrigen Eiche ertönte das Keifen einer Eichhörnchenfamilie. Vögel zwitscherten, Wild wanderte umher, der Wind strich sanft durch die Bäume. Eine idyllische, pittoreske Szene ländlichen Friedens, ein perfekter Tag im Reich der Menschen.

Öde, öde, öde.

Noch immer grinsend zog ich die Panflöte aus meinem Hemd hervor. Ich hatte sie selbst entworfen, hatte mehrere Tage lang hohle Schilfzweige gesammelt, sie zugeschnitten und gebunden, hatte daran gefeilt, bis die Töne absolut rein waren. Nun würde sich zeigen, wozu das Ding fähig war.

Ich zog ein wenig Schein aus dem Wald ringsum, setzte die Flöte an die Lippen und spielte einen einzelnen Ton.

Der hohe, reine Klang durchbrach die Stille des Waldes und glitt über die Lichtung. Sofort zuckten die am Teich versammelten Tiere zusammen, rissen die Augen auf, witterten. Die Kaninchen setzten sich auf, ihre Ohren zuckten. Die Hirsche drehten die Köpfe, sahen sich mit großen dunklen Augen um, bereit zur Flucht. Und die Eichhörnchen klammerten sich mit peitschenden Schwänzen an ihre Äste, gaben keinen Ton mehr von sich.

In dieser plötzlich einsetzenden Stille holte ich tief Luft, sammelte meine Magie und fing an zu spielen.

Eine fröhliche, rhythmische Melodie stieg auf, schwebte über den Teich hinweg, setzte sich in den Ohren all dieser Lebewesen fest. Im ersten Moment rührten sie sich nicht.

Dann begann eines der Kaninchen, mit dem Fuß zu klopfen. Die anderen folgten seinem Beispiel, ließen die Hinterbeine im Takt auf den Boden knallen, während die Hirsche zur Musik die Köpfe schwenkten. Oben im Geäst schaukelten die Eichhörnchen auf und nieder, versetzten sich mit ihren Schwänzen taktgenau in Schwingung. Die Vögel stimmten eifrig in das Lied mit ein. Ich verkniff mir ein Grinsen und spielte lauter, schneller, ließ immer mehr Schein in die Töne einfließen, die ich trillernd in den Wald hinausschickte.

Laut röhrend erhob sich der alte Hirsch auf die Hinterbeine, schwenkte sein prachtvolles Geweih und galoppierte in die Mitte der Lichtung. Seine scharfen Hufe glitten über das Gras, wühlten die Erde auf, wann immer er im Rhythmus der Musik hüpfte und sprang. Seine Herde folgte ihm geschlossen, tobte und tanzte an seiner Seite. Dann kamen die Kaninchen, tollten in wahnwitzigen Sprüngen um die Hirsche herum. Wilde Fröhlichkeit stieg in mir auf – das funktionierte sogar besser, als ich gehofft hatte! Es war gar nicht so einfach weiterzuspielen, denn das breite Grinsen, das an meinen Lippen zerrte, hätte dem Lied beinahe ein Ende bereitet.

Ich verließ mein Versteck zwischen den Büschen und trat auf die Lichtung hinaus, zog die Panflöte geschickt an meinen Lippen entlang, ließ das Lied und die Magie entsprechend anschwellen. Es juckte mich in den Füßen, also ließ ich ihnen ihren Willen und tanzte zur Mitte der Lichtung, wo ich tief Luft holte und so laut spielte, wie ich es vermochte. Mein Körper bewegte sich wie von allein. Ich sprang, drehte, katapultierte mich durch die Luft. Und um mich herum tanzten die Kreaturen des Waldes, ihre Hufe, Hörner und pelzigen Körper glitten nur knapp an mir vorbei bei ihrem fieberhaften Reigen. Voll selbstvergessener Leidenschaft flogen sie über die Lichtung. Ich verlor mich in der Musik, der Fröhlichkeit, der Ekstase, in meinem Tanz mit den Bewohnern des Waldes.

Ich könnte nicht sagen, wie lange die Melodie anhielt – die Hälfte der Zeit hatte ich die Augen geschlossen und folgte bloß meinem Instinkt. Doch irgendwann, als das Lied wieder einmal dröhnend anschwoll, spürte ich, dass es nun zu einem Ende kommen musste. Es gipfelte in einem letzten, berauschenden Ton, dann verklang die Melodie, die aufbrandenden Emotionen erloschen. Und der Wirbelwind der Magie, der über die Lichtung gefegt war, erstarb und zog sich ins Innere der Erde zurück.

Keuchend ließ ich die Arme sinken. Meine Tanzgefährten hielten ebenfalls inne, rangen nach Luft. Der große Hirsch stand ganz in meiner Nähe, er ließ den gekrönten Kopf hängen, seine Beine und Flanken zitterten. Das Beben erfasste seinen gesamten Körper, und er brach zusammen; weißer Schaum trat aus seiner Schnauze hervor, als sein Kopf schwer auf dem Boden aufschlug. Nach und nach sackte auch der Rest seiner Herde zusammen. Manche rangen krampfhaft nach Luft, andere lagen vollkommen reglos da. Um sie herum ruhten überall pelzige Kaninchenkörper, halb im aufgewühlten Matsch versunken. Mein Blick ging zu den Bäumen, und am Fuß der Stämme entdeckte ich die Eichhörnchen und Vögel, die von ihren Ästen gekippt waren, sobald die Musik verstummte.

Verwirrt sah ich mich um. Nun, damit hatte ich nicht gerechnet. Wie lang hatte ich denn gespielt? Das Stück Himmel, das ich zwischen den Baumkronen erkennen konnte, war von orangefarbenen Streifen durchzogen, die Sonne stand schon tief am Horizont. Mich hierhergeschlichen und zum ersten Ton angesetzt hatte ich am frühen Morgen. Offenbar hatte unsere wilde Feier den ganzen Tag gedauert.

Oh. Ich kratzte mich am Hinterkopf. Was für eine Enttäuschung. Offenbar darf man diese sterblichen Viecher nicht zu hart rannehmen, sonst klappen sie gleich zusammen. Hmm. Ich verschränkte die Arme vor der Brust, tippte ungeduldig mit den Fingerspitzen auf meinem Unterarm herum. Musterte die Panflöte in meiner Hand. Ob Menschen wohl besser durchhalten?

»Junge.«

Die tiefe, melodische Stimme erklang direkt hinter mir, und ein Strom magischer Energie ließ die Luft erzittern. Leise Gereiztheit stieg in mir auf, weil mich offenbar jemand bei meiner Feier beobachtet hatte. Immerhin hatte ich das Spektakel genau deshalb in die Welt der Menschen verlegt – um mir keine Gedanken wegen möglicher Lauscher machen zu müssen.

Als ich mich umdrehte, entdeckte ich mehrere Pferde am Rand der Lichtung, deren Reiter mich aufmerksam beobachteten. Es waren Tiere aus dem Feenreich, schlanker und wesentlich eleganter als die sterbliche Variante; ihre Hufe schienen kaum den Boden zu berühren. Auf ihren Rücken saßen Ritter des Feenhofes, erkennbar an ihren Rüstungen aus dicht miteinander verwobenen Zweigen, Ranken und Blättern. Teil des Sommerhofs, wurde mir klar. Hin und wieder war ich ihnen schon über den Weg gelaufen, genau wie den Rittern des Winterhofes. Mit einigen von ihnen hatte ich im Wilden Wald sogar schon meine Spielchen getrieben, auch wenn sie natürlich nie herausgefunden hatten, dass ein unbedeutender Waldknirps hinter all diesen kleinen, lästigen Unannehmlichkeiten steckte.

Doch der Reiter, der die Prozession anführte, hatte mich eindeutig wahrgenommen, und auch er selbst war unmöglich zu übersehen. Sein Pferd schimmerte golden, heller als jedes sterbliche Tier es vermochte, und wurde doch noch von seinem adeligen Reiter übertroffen. Er trug eine grün und golden schimmernde Rüstung, darüber einen Mantel aus blühenden Ranken, die einen Teppich aus Blütenblättern hinterließen, wo er ging und stand. Unter der mächtigen, wie ein Geweih geformten Krone auf seinem Kopf floss langes silbernes Haar hervor, seine Augen waren leuchtend grün – und im Moment mit stechendem Blick auf mich gerichtet.

Was machte er denn hier? Hatte er etwa meine Musik gehört und war von ihr angezogen worden? Was für ein Pech. Normalerweise vermied ich es, die Aufmerksamkeit des Sommerhofes auf mich zu lenken – insbesondere seine. Allerdings hatte ich eigentlich nichts falsch gemacht. Die Feen interessierten sich nicht sonderlich für das, was in der Welt der Menschen vorging. Der Tod von ein paar Waldbewohnern war für sie absolut bedeutungslos.

Trotzdem war es nicht ungefährlich, wenn sich plötzlich eines der mächtigsten Wesen des gesamten Nimmernie für einen interessierte. Je nach Laune könnte er vielleicht verlangen, dass ich ihm das, woran ich so hart gearbeitet hatte, zum »Geschenk« machte. Oder dass ich für ihn und seine Ritter spielte, solange es ihm Spaß machte. Oder mich zum Spezialunterhalter bei ihrer nächsten Jagd erklären. Die Feenherrscher waren berüchtigt für ihre Unberechenbarkeit, weshalb ich es mit ihnen ebenso hielt wie mit schlafenden Drachen: Es war vollkommen okay, um sie herumzuschleichen und ihren Schatz zu klauen, solange man dabei unsichtbar blieb.

Aber nun hatte der Drache mich entdeckt.

Der Sidhe trieb sein Pferd an, das daraufhin auf die Lichtung trat und gelassen über das Gras schritt, bis es mit seinem Reiter direkt vor mir aufragte. Trotzig blickte ich zu dem Adeligen hinauf, der mich mit abschätzendem Blick musterte.

»So jung«, stellte er fest, »und solch eine beeindruckende Handhabung des Scheins. Wie ist dein Name, Junge?«

»Robin.«

»Und wo sind deine Eltern, Robin?«

Schulterzuckend erwiderte ich: »Ich bin allein. Lebe im Wilden Wald.« Über meine Eltern – falls ich denn welche hatte – wusste ich rein gar nichts. Schon in meinen frühesten Erinnerungen gab es nur das dichte Labyrinth des Wilden Waldes, die Suche nach Essen und einem Unterschlupf. Irgendwie hatte ich gelernt, was ich zum Überleben brauchte. Doch auch wenn ich allein war, hatte ich mich nie fremd gefühlt. Dieser Wald, der Wilde Wald, war mein Zuhause. So war es schon immer gewesen.

»Hmmm.« Der hochgewachsene Adelige hakte nicht weiter nach. Stattdessen musterte er mich mit unergründlicher Miene. »Weißt du, wer ich bin, Junge?«, fragte er dann.

Diesmal nickte ich. »Ihr seid König Oberon.« Das war offensichtlich: Jeder kannte den Sommerkönig, auch wenn ich ihm noch nie persönlich begegnet war. Spielte auch keine Rolle. Königin Mab, die Herrscherin des Winterhofes, hatte ich auch noch nie zu Gesicht bekommen, trotzdem war ich mir sicher, dass ich sie auf den ersten Blick erkennen würde.

»Ganz genau«, bestätigte der Herrscher des Lichten Hofes. »Der bin ich. Und jemanden mit deinen Talenten könnte ich im Sommerreich gut gebrauchen.« Er hob die Hand und zeigte mit seinem schlanken, wohlgeformten Finger auf mich. »In dir ruht eine Menge Kraft – rohe, ungezähmte Sommermagie, die denen meiner stärksten Verbündeten bei Hofe in nichts nachsteht. Ein solches Talent sollte nicht im Wilden Wald verschwendet werden. Du solltest nicht im Wald leben wie ein Tier und mit Vögeln und Eichhörnchen musizieren. Du solltest dem mächtigsten Hof des Nimmernie angehören. Was sagst du dazu, Robin?« Die grünen Augen des Königs waren kaum wärmer als der erste Frost auf den Blättern des Waldes. »Möchtest du Teil des Lichten Hofes sein?«

Teil des Lichten Hofes sein?

In mir rang die Neugier gegen den Trotz. Natürlich klang das reizvoll. Das Leben allein im Wald hatte den Vorteil, dass ich tun und lassen konnte, was immer ich wollte, aber irgendwie wurde es langsam auch etwas einsam. Ich wollte auch mal mit anderen sprechen, Vertretern meiner Art, nicht nur mit Waldbewohnern und diesen wirrköpfigen Blumenelfen. Und musste ich mich zwischen beiden Reichen entscheiden, so klang der Sommerhof doch wesentlich angenehmer als das eisgekühlte, feindselige Land des Winters.

Trotzdem war es niemals ratsam, das erste Angebot anzunehmen. Das wusste selbst ich, obwohl meine Erfahrung auf dem Gebiet des Feilschens und Tauschens begrenzt war.

»Mir gefällt es eigentlich ganz gut im Wald.« Ich verschränkte wieder die Arme vor der Brust und grinste zum König hoch. »Warum sollte ich am Sommerhof leben wollen?«

Der lichte Herrscher lächelte, als hätte er eine solche Antwort erwartet. »Weil, mein guter Robin, ich der König bin.« Er betonte das, als wäre es die wichtigste Sache der Welt. »Und als Herrscher des Lichten Hofes kann ich dir geben, was immer dein Herz begehrt. Ich kann dir Macht verschaffen, Reichtum, die Liebe sämtlicher Herzen, die du ersehnst.« Als ich abfällig die Nase rümpfte, unterbrach er sich kurz. »Doch ich sehe, dass derlei Dinge für dich nicht von Interesse sind. Dann wäre vielleicht eher Folgendes bemerkenswert: Ich habe eine Menge Feinde, Robin. Bei Hofe ebenso wie außerhalb. Und von Zeit zu Zeit müssen diese Feinde daran erinnert werden, dass man die Hoheitsgewalt des Sommers besser nicht untergraben sollte. Falls du dich mir anschließt … Nun, sagen wir einfach, es würde dir eine Menge Gelegenheiten verschaffen, deine Magie einzusetzen – und zwar nicht nur bei einfachen Waldbewohnern.«

Na, das klang doch mal interessant. Mein Blick huschte zu den leblosen Körpern am Teich. Armes, dummes Viehzeug. Ich hatte ihnen nichts antun wollen, aber anscheinend waren normale Wesen wie sie einfach zu zerbrechlich. Nur zu gerne würde ich meine Ideen an etwas robusteren Kreaturen ausprobieren, vielleicht sogar an ein paar Feen. Und Oberon hielt mir eben diese fette Karotte vor die Nase. Er schien genau zu wissen, was ich mir wünschte. Blieb nur die Frage: Interessierte mich das?

»Nun, Robin vom Wilden Wald«, fuhr König Oberon fort und blickte vom Pferderücken zu mir herab. »Wie lautet deine Entscheidung? Wirst du Teil meines Hofstaates werden? Ich ernenne dich zu meinem Hofnarren, so kannst du deine Spielchen spielen und Magie anwenden, ohne jede Einschränkung. Im Gegenzug verlange ich lediglich, dass du mir hin und wieder eine kleine Gefälligkeit erweist. Kommen wir ins Geschäft?«

Irgendetwas sagte mir, dass sich hinter dieser Vereinbarung mehr versteckte, als ich im Moment überblickte. Natürlich hatte ich auch früher schon gehandelt, aber nur mit Blumenelfen, Baumgeistern oder der einen oder anderen Dryade. Noch nie mit jemandem, der so bedeutend gewesen wäre wie der Herrscher des Lichten Hofes. Entging mir hier etwas? Eigentlich schien das alles zu schön, um wahr zu sein.

Ich zögerte noch kurz, dann zuckte ich mit den Schultern. Andererseits: Warum eigentlich nicht Teil des Sommerhofes werden? Was konnte schon Schlimmes passieren? Alles in mir schrie danach, etwas Neues auszuprobieren, und so stünde ich unter dem Schutz von König Oberon höchstpersönlich. Was für Streiche und Winkelzüge ich so durchziehen könnte, ohne Vergeltung fürchten zu müssen!

Das würde ein Riesenspaß werden.

»Also schön.« Grinsend blinzelte ich zu Oberon hinauf, der nur eine silbrig schimmernde Augenbraue hob. »Wir sind im Geschäft, König. Ich werde mich dem Sommerhof anschließen, solange ich mit meiner Magie spielen und mir so viele Streiche ausdenken darf, wie ich will.«

»Hervorragend.« Oberon nickte und hob dann beide Hände. »Dann ernenne ich dich hiermit zu Robin Goodfellow, Hofnarr des Sommerreiches«, verkündete er mit dröhnender Stimme. Die Blätter an den Bäumen rauschten, als wollten sie die Proklamation bestätigen. Der Sommerkönig aber ließ die Arme sinken und musterte mich mit einem eigentümlichen, beinahe stolzen Lächeln. »Willkommen am Lichten Hof, Robin Goodfellow. Trage deinen Namen mit Stolz. Wer weiß, vielleicht kennt man ihn eines Tages in der ganzen Welt.«

1 PUCK IST AUF DEM MARKT

Heute

Ich liebe den Koboldmarkt.

Also, versteht mich nicht falsch, der Markt ist total zwielichtig und gefährlich. Ein falscher Handel, einmal falsch eingeschlagen, und schon ist man die nächsten tausend Jahre versklavt oder verflucht. Oder dazu verpflichtet, sein Erstgeborenes abzugeben (was ich natürlich nicht habe). Oder in Besitz eines Gegenstandes, der nicht ganz das ist, was man erwartet hat und zum Beispiel regelmäßig versucht, einem das Gesicht abzubeißen.

Auf dem Koboldmarkt lässt sich wirklich alles finden. Ein Trank, durch den jemand Bestimmtes gezwungen wird, sich in dich zu verlieben? Wird hier an so ziemlich jeder Ecke verhökert. Eine Lampe mit Flaschengeist, der dir drei Wünsche erfüllt? Findest du natürlich auf dem Koboldmarkt; Flaschengeister sind längst nicht so selten, wie alle immer denken.

Möglicherweise wird man vergessen zu erwähnen, dass die Zielperson deines Liebestrankes hinterher auf völlig psychotische Art von dir besessen sein wird. Und dass Flaschengeister deine Wünsche immer auf möglichst verdrehte und sadistische Weise erfüllen, denn so sind sie nun einmal. Und das alles erfährst du natürlich erst, nachdem du deine Seele verpfändet hast, oder deine Stimme, oder deinen besten Freund. Die Preise auf dem Koboldmarkt sind hoch – in den meisten Fällen zu hoch. So hoch, dass sie nur mit dem allergrößten Bedauern entrichtet werden können.

Also: Ja, der Koboldmarkt ist gefährlich. Gefährlich, riskant … und verführerisch. Denn genau darin liegt doch der Reiz, oder? Was wäre das Leben denn ohne eine Prise Gefahr? Und Robin Goodfellow hat noch vor keiner Herausforderung den Schwanz eingezogen.

Es war fast Mitternacht, als ich durch das mit Unkraut überwucherte Tor des ehemaligen Vergnügungsparks trat, und der volle Mond zeichnete schwarz-silberne Muster auf den Boden. Hinter dem Zaun ragte das verrostete Riesenrad in den Himmel, hoch über die Bäume ringsum hinaus. Der Weg führte auf ein uraltes Karussell zu, das still und stumm auf dem staubigen Boden ausharrte. Die früher bunt bemalten Pferdchen waren zerkratzt, an vielen Stellen blätterte der Lack ab, der zusammen mit dem herabfallenden Putz krümelige Haufen auf der Plattform bildete. In der Nähe war ein alter Popcornstand zu finden. Die Scheiben waren eingeschlagen, der Mais längst von Ratten, Krähen und Kakerlaken vernichtet.

Ich zog mir die Kapuze meines grünen Hoodies über den Kopf und schlenderte in den Park hinein.

Die Geräusche und Gerüche des Marktes fingen mich ein. Rund um das rostige Karussell hatten sich Hunderte von Zelten, Wagen, Ständen, Buden und Tischen breitgemacht, die aus dem früher offenen Platz eine Art Miniaturlabyrinth machten. Und durch die so entstandenen Gänge schoben sich Feenwesen jeglicher Form, Größe und Hofabstammung, von Sommer über Winter bis zum Wilden Wald, denn der Koboldmarkt galt als neutrales Gebiet, wo jeder willkommen war, solange er zahlte.

Auch die Verkäufer an den verschiedenen Ständen waren vielfältig. Ein grüner, spitzohriger Kobold präsentierte seine Knochenwürfelsets. Einige Zelte weiter strich eine Sommersidhe ihre Auswahl an Mänteln glatt, allesamt aus Blättern, Federn und Spinnweben gefertigt. Von einer Feuergrube, über der ein ganzes Wildschwein briet, wehte der Duft von gegrilltem Fleisch herüber; der Drehspieß wurde von einem schlaksigen grauen Troll bedient. Als er mich entdeckte, weiteten sich seine kleinen roten Augen, und er richtete sich alarmiert auf.

Grinsend nickte ich ihm zu und tauchte dann in der Menge unter. Obwohl es immer lustig war, einen Troll zu triezen, würde das meinen Marktbesuch vermutlich erheblich verkürzen. Und da ich heute ausnahmsweise einfach nur aus Spaß hier war, um mich ohne jeden offiziellen Auftrag ein wenig umzusehen, wollte ich noch nicht so bald wieder gehen.

Die Erde unter meinen Stiefeln wurde härter, je weiter ich auf dem Hauptweg vorankam. Die verschiedensten Händler priesen lautstark ihre Waren an: Kräuter und Kristalle; Waffen und Schmuck; Drachenblut, Hühnerzähne, Haarnadeln aus geschliffenem Eis, Tränke, magische Bohnen, Feenstaub und was es sonst noch so alles gab. Ich blieb kurz an einem Tisch stehen, wo Schmuckperlen angeboten wurden, die sich in Mäuse verwandelten, sobald sie nass wurden. Sofort kamen mir einige mordsmäßig witzige Ideen in den Sinn, doch ich schüttelte abwehrend den Kopf.

Hör auf, Goodfellow. Du bewegst dich bei Titania jetzt schon auf verdammt dünnem Eis. Wenn ihre Badewanne von kleinen Nagern überquillt, während sie drinsitzt, hetzt sie dir die Hunde, die Ritter und diese gruseligen Sprigganmeuchler auf den Hals. Das ist es dann wohl doch nicht wert.

Moment mal.

Natürlich wäre es das wert. Total!

»Robin Goodfellow?«

Wachsam drehte ich mich um. Auf der anderen Seite des Ganges spähte ein kleiner, schrumpeliger Gnom über einen langen, niedrigen Tisch hinweg – besser gesagt eine Gnomin, deren weißes Haar so aussah, als hätte sich ein Schäfchen auf ihrem Kopf zur Ruhe gebettet. Vor ihr stand eine Ansammlung grüner, langhalsiger Flaschen, die selbst aus dieser Entfernung noch einen süßlichen, berauschenden Duft verströmten, von dem manch geringeres Feenwesen einen dicken Kopf bekommen hätte.

Grinsend trat ich an den Verkaufstisch heran und legte mahnend einen Finger an die Lippen. »Scht, Marla. Immer schön sachte mit meinem Namen, ich bin heute inkognito hier.«

»Inkognito.« Die alte Gnomenfrau verzog das Gesicht, wobei ihre Augen zwischen den vielen Falten zu verschwinden schienen. »Steckst wohl eher wieder in Schwierigkeiten. Was machst du überhaupt hier, du grässlicher Kerl? Und lass ja die Finger von meinen Flaschen! Das kann ich nicht gebrauchen, dass es meinen Wein irgendwie zu den Tieren rüber verschlägt. Ich sehe schon vor mir, wie die Kutschen der hohen Herrschaft in Gräben und Bäumen enden, weil ihre Pferde plötzlich sturzbetrunken sind.«

»Waaaas?« Mit großen Augen sah ich sie an. »Nur weil das bei diesem einen Elysium passiert ist, wo übrigens nie bewiesen wurde, was eigentlich schiefgelaufen ist.« Das halbjährlich stattfindende Event, bei dem sich Vertreter aller Feenhöfe trafen, um über Politik zu debattieren und Abkommen zu überprüfen, während sie ihre schicksten Klamotten zur Schau trugen, war genauso langweilig, wie es sich anhörte. Um dabei nicht den Verstand zu verlieren, hatte ich es mir zur Aufgabe gemacht, es hin und wieder etwas aufzupeppen. »Obwohl du zugeben musst, dass es mordsmäßig witzig war, als Mabs Pferde bei der Abreise ständig im Kreis gelaufen sind.«

»Ich werde gar nichts zugeben«, fauchte die Weinhändlerin und zeigte mit ihrem knotigen Finger auf mich. »Höchstens, dass du ein unverbesserlicher Unruhestifter bist, der immer irgendwas im Schilde führt. Ist mir schleierhaft, warum König Oberon dich nicht längst für immer verbannt hat.«

»Na ja, er versucht es tapfer.« Schulterzuckend grinste ich sie an. »Aber irgendwie hält es nie. Wahrscheinlich liegt es an meinem umwerfenden Charme. Ich meine, wie oft hat man mich jetzt schon aus dem Nimmernie verbannt? Dreimal? Viermal? Ach, ist ja auch egal. Letzten Endes befiehlt er mir jedes Mal zurückzukommen. Schon komisch, wie sich das immer so ergibt.«

Eigentlich ergab sich das immer deshalb, weil ich viel zu nützlich war, um längere Zeit ohne mich auszukommen, und das wusste Oberon genau. Und auch wenn es auf perverse Art tröstlich war, dass der Sommerkönig nie ernsthaft versuchen würde, mich loszuwerden, gab es durchaus Zeiten, in denen ich mich nach der Freiheit sehnte, auch wenn ich dadurch heimatlos würde.

Die Gnomenfrau warf mir einen finsteren Blick zu, den ich mit einem übertrieben träumerischen Lächeln erwiderte. »Jetzt mal ganz unter uns: Ich glaube ja, das liegt daran, dass Titania mich insgeheim immer schrecklich vermisst.«

Marla schnaubte höhnisch. »Wenn die Sommerkönigin das hört, kriegen wir einen ganzen Monat Gewitterstürme verpasst«, murmelte sie, dann richtete sie sich plötzlich alarmiert auf. »Warte mal! Du hast dir doch gerade Ugfrigs Ware angesehen«, rief sie. »Bitte sag mir nicht, dass du es auf die Mäuseperlen abgesehen hast.«

»Nun ja …«

Ein feuchtes Schnüffelgeräusch unterbrach uns. Mein Blick wanderte nach unten, und ich entdeckte einen kleinen braun-weißen Hund, der eifrig mit seinem Stummelschwanz wedelte, während er zu mir hochstarrte. Auf eine zottelige Wadenbeißer-Art war er ganz niedlich. Doch ich entdeckte sofort das Kupfergetriebe, die Zahnräder und Bolzen, die durch das Fell schimmerten und ihn als Bewohner des Eisernen Reiches auswiesen. Ein mechanischer Hund. Wohl ein Terrier. Die Fliegerbrille auf seiner Stirn glänzte im Mondlicht, als er leise winselnd zu mir hochsah.

Lächelnd begrüßte ich ihn: »Hi, Flohtöle. Wo bist du denn hergekommen?« Auf sein hoffnungsvolles Bellen hin zuckte ich mit den Schultern. »Leider habe ich keine Bolzen zum Kauen für dich, sorry.«

Marla spähte angestrengt über ihren Verkaufstisch und wich dann so angewidert zurück, als würde ich mich mit einer Riesenkakerlake unterhalten. »Diese Abscheulichkeiten!«, fauchte sie. Der mechanische Terrier kauerte sich ängstlich zusammen. »Verschwinde von hier, du Monster! Husch, husch!«

Das kleine Wesen rannte mit quietschenden Scharnieren davon und verschwand hinter dem nächsten Stand.

Irritiert sah ich die Gnomenfrau an. »Schon gut, dass du das Ding verscheucht hast. Sah ja auch schrecklich blutrünstig aus.«

»Das kam aus dem Eisernen Reich«, brummte sie naserümpfend. »Gehört dieser Eisernen, die jetzt auf dem Koboldmarkt einen Stand eröffnet hat. Grauenvolle Kreatur. Die sollten hier nicht erlaubt sein.«

»Moment mal, es gibt hier eine Eiserne Fee? Hier auf dem Markt?« Das überraschte mich. Zwar gab es kein Gesetz, das den Eisernen Feen den Zugang zum Koboldmarkt verbat, doch zu Beginn hätten die althergebrachten Feen ihre Anwesenheit hier niemals toleriert. Kürzlich war jedoch öffentlich verkündet worden, dass der Koboldmarkt allen Feen offenstand, also auch den Bewohnern des Eisernen Reiches. Natürlich war dies auf Drängen der Eisernen Königin geschehen, denn Sommer und Winter sahen jeder Form von Veränderung ungefähr so begeistert entgegen wie eine alte Katze der Ankunft des neuen Welpen im Haus. Allerdings hörte ich nun zum ersten Mal, dass tatsächlich eine von ihnen hier ein Geschäft eröffnet hatte.

»Wo ist denn diese Eiserne Fee?«, fragte ich.

Mit einem abfälligen Schnauben streckte die Gnomenfrau den Arm aus. »Hat einen Wagen ganz am Ende des Marktes.« Sie zeigte die Richtung an. »Unter dem alten Riesenrad. Ist wenigstens so schlau, sich von uns anderen fernzuhalten.« Sie warf mir einen kritischen Blick zu. »Sollte mich wohl nicht überraschen, dass du mit diesen Abscheulichkeiten reden willst.«

»Nein, so bin ich eben. Mit Abscheulichkeiten hänge ich ganz besonders gerne rum.« Ich quittierte ihre säuerliche Miene mit einem Grinsen, in Wahrheit überraschte es mich allerdings, dass aus der kleinen Gnomenfrau plötzlich eine solche Giftspritze wurde. Sicher, man begegnete den Eisernen Feen im Nimmernie noch immer mit Furcht und Misstrauen, doch der Großteil der Feenwesen hatte sich inzwischen damit abgefunden, dass sie nicht wieder verschwinden würden. »Aber … dir ist schon klar, dass wir schon seit Jahren in Frieden leben mit dem Eisernen Reich, oder? Und dass ihre Königin eine gute Freundin von mir ist?«

Marla schnaubte wieder. »Gegen die Eiserne Königin habe ich nichts«, erklärte sie mir. »Und gegen den Rest von ihnen auch nicht, solange sie in ihrem Territorium bleiben. Aber hier auf dem Koboldmarkt will ich mir keine Gedanken machen müssen wegen Eiserner Feen. Oder sonst irgendwo außerhalb des Eisernen Reiches.« Sie drohte mir mit dem Finger. »Wenn du die Eiserne Königin das nächste Mal siehst, sag ihr mal, dass ihre Untertanen besser in ihrem eigenen Reich bleiben. Die sollten nicht nach Belieben überall herumspazieren und normale Feen terrorisieren dürfen.«

»Tja, das war eine wirkliche fesselnde Unterhaltung, aber leider muss ich jetzt gehen.« Ich trat vom Tisch zurück und entging nur knapp der Kollision mit einem Zwerg, der mich daraufhin empört anbrummte. Nachdem ich meine Kapuze zurechtgezogen hatte, schenkte ich Marla über die vielen Weinflaschen hinweg noch ein entwaffnendes Lächeln. »Ich mache mich auf die Suche nach dieser Eisernen Händlerin und werde ihr beste Grüße von dir ausrichten.«

Seufzend schüttelte die alte Gnomenfrau den Kopf. »Auch wenn du nichts darauf geben wirst: Sei vorsichtig, Robin. Mag sein, dass du in der Gunst ihrer Königin stehst, aber diesen Dingern kann man nicht trauen.«

»Vorsichtig?« Ich grinste breit. »Ich bin Robin Goodfellow. Wann wäre ich mal nicht vorsichtig?«

Sie verdrehte die Augen, und ich tauchte wieder im Kundenstrom des Koboldmarktes unter.

Okay, das war seltsam. Was ist hier nur los? Hat ihr ein Gremlin in den Wein gespuckt, oder was?

Ich war nicht naiv. Ich wusste durchaus, dass viele im Nimmernie Meghans Untertanen auch heute noch hassten und fürchteten. Allerdings hatte ich nicht erwartet, hier auf so offene Feindseligkeit zu stoßen. Wer auf den Markt kam, ließ seinen Groll, seine Fehden und seine persönlichen Befindlichkeiten zu Hause. Nur so konnten Sommer- und Winterfeen überhaupt Seite an Seite hier herumschlendern, ohne sich gegenseitig umzubringen. Nur so konnte ein Halbling an einer Bande Dunkerwichtel vorbeilaufen, ohne Angst haben zu müssen, dass sie ihm Arme und Beine ausreißen. Mit dieser Unantastbarkeit des Marktes spielte man nicht, vor allem, da viele der Händler die gefährlichsten, seltensten und fragwürdigsten Dinge im Angebot hatten, die es in der Feenwelt gab. Wer hier Ärger machte, riskierte im besten Fall einen lebenslangen Ausschluss vom Marktgeschehen. Nicht einmal ich würde es wagen, den Koboldmarkt gegen mich aufzubringen.

Trotzdem war das ziemlich extrem. War ja nicht so, als wären die Eisernen Feen seit dem Krieg gegen Ferrum noch für irgendjemanden eine Bedrohung.

Ich schob mich zwischen den Buden und Zelten hindurch, ohne das Geschrei der Händler zu beachten. Ein besonders hartnäckiger Bjergfolk packte mich am Ärmel und schwafelte etwas von seinen feinen Werkzeugen. Ich hob leicht den Kopf und grinste ihn aus der Kapuze heraus an – er ließ so hastig los, als hätte er einen Skorpion umklammert.

Nach und nach dünnte sich die Menge aus, Zelte und Buden wurden weniger, bis schließlich das verrostete Riesenrad direkt vor mir aufragte. Dem Metallgestell entwich ein leises Ächzen, wann immer der Wind hindurchfegte.

Im Schatten des derangierten Fahrgeschäftes stand ein seltsamer Aufbau, der eine Mischung aus Jahrmarktsstand, Planwagen und Schrottplatz zu sein schien. Die Bude ruhte auf vier rostigen Rädern und sah aus, als bestünde sie aus von Klebeband zusammengehaltenen Wellblechplatten. Um sie herum standen Boxen, Kisten und wackelige Metallregale, an denen Weihnachtslichterketten blinkten, und an einer Wand der Bude verkündete ein pinkes Neonschild in greller Pracht, dass geöffnet sei. Vor dem Eingang war ein zweites Schild, diesmal aus Holz und Metall, in den Boden gerammt worden. Crickets Sammlersammelsurium, stand dort in großen Kupferlettern. Kostbarkeiten, technische Spielereien, Kuriositäten.

Aus den Schatten scholl mir ein leises Knurren entgegen, als ich mich der Bude näherte, dann schoben sich zwei mechanische Hunde zwischen den Kisten hervor – um einiges größer als der braun-weiße Terrier von vorhin – und starrten mich an. Sie sahen aus wie Rottweiler. Die Kolben und Zahnräder in ihrem Fell drehten sich träge, während sie auf mich zu schlichen.

»Oh, hi Jungs.« Ich blieb stehen und streckte ihnen eine Hand entgegen, doch die beiden musterten mich nur mit unfreundlicher Miene. »Ich komme in Frieden. Und ohne jede Absicht, euer Zeug zu klauen.« Da sie mir weiter unheilvolle Blicke zuwarfen, versuchte ich es mit einem schwachen Lächeln. »Äh … tausche sicheres Geleit gegen Gummiknochen?«

»Oooh, ein Kunde.« Die Tür der Bude flog auf, und eine Gestalt erschien, dicht gefolgt von dem braun-weißen Hündchen. Sofort wandten sich die mechanischen Rottweiler ab und trotteten zurück in ihre dunkle Ecke, wo sie quasi mit den Schrotthaufen verschmolzen, die rings um die Bude aufragten.

»Howdy, Fremder.« Mit einem strahlenden Lächeln kam die Gestalt auf mich zu – weiblich, klein, schlank, spitze Ohren und kupferfarbenes Haar, das einen extrem metallischen Glanz hatte. Sie trug ein braunes Lederkorsett, Lederhandschuhe und kniehohe Lederstiefel, alles mit goldenen, eisernen und kupfernen Bauteilen besetzt. Ihre Haut hatte das kräftige Grün einer Leiterplatte, und die mit Gold und Leder überzogene Brille auf ihrem Kopf war nahezu identisch mit der des Hündchens.

Ja, das war eindeutig eine Eiserne. Schon die unzähligen Metallstecker und Kreolen, mit denen ihre spitzen Ohren durchstochen waren, hätten einer traditionellen Fee ernsthafte Herzrhythmusstörungen eingebracht.

»Willkommen, willkommen!«, begrüßte mich die Eiserne Fee. »Was kann Cricket an diesem herrlichen Abend für Sie aufstöbern? Möchten Sie sich einfach nur umsehen, oder suchen Sie etwas Bestimmtes? Einen Moment«, fügte sie übergangslos hinzu, noch bevor ich antworten konnte. Unter der von der Fliegerbrille dominierten Stirn blickten mir zwei glänzende schwarze Augen entgegen. »Ich kenne Sie irgendwoher. Sie … du … du bist doch Robin Goodfellow, stimmt’s?«

Ich grinste breit. »Schuldig im Sinne der Anklage.«

»Oh, wow.« Aufgeregt strahlte die Fee mich an. »Ich habe die Geschichten gehört. Du bist berühmt! Ist es wahr, dass du zusammen mit Königin Meghan die mobile Festung von Ferrum gestürmt und ihr dabei geholfen hast, den falschen König zu besiegen? Und dass du mit dem Prinzgemahl bis ans Ende der Welt gereist bist? Und in den Zwischenraum eingedrungen bist, um dich ganz allein einer Armee von Vergessenen entgegenzustellen?«

»Alles wahr«, bestätigte ich grinsend. »Zumindest mehr oder weniger.« Während sie einen verträumten Seufzer ausstieß, zeigte ich auf den Stand hinter ihr. »Aber was ist das hier eigentlich? Ich kann mir nicht vorstellen, dass dir die Kunden die Bude einrennen, nicht einmal hier auf dem Koboldmarkt.«

»Noch nicht«, gab Cricket fröhlich zu, »aber meinen Laden im Eisernen Reich aufzumachen wäre viel zu langweilig gewesen. Hier auf dem Markt wartet ein gewaltiges Potenzial! Schon allein der Profit, der sich daraus ergibt, die erste Eiserne Fee gewesen zu sein, die erfolgreich an der Seite der anderen Reiche Handel betrieben hat.«

»Ja … genau. Allerdings bleibt da dieses lästige Problemchen, dass die normalen Feen an einer tödlichen Allergie gegen Eisen leiden. Schon schwer, jemandem ein Produkt zu verkaufen, das ihm die Finger wegätzt.«

Cricket zuckte unbekümmert mit den Schultern. »Jeder große Schatz birgt ein gewisses Risiko in sich. Und nicht alle meine Waren stammen aus dem Eisernen Reich. Manches kommt auch aus dem Reich der Sterblichen, von den Orten, die ich dort bereist habe.« Sie wedelte mit der Hand durch die Luft. »Außerdem gehe ich fest davon aus, dass die normalen Feen einen Weg finden werden, mit ihrer Eisenintoleranz umzugehen. Sie werden sich anpassen, sich weiterentwickeln, da bin ich mir sicher. Mag sein, dass es eine Weile dauert, aber hey – ich habe Zeit! Irgendwann wird man den Namen Crickets Sammlersammelsurium im gesamten Feenreich kennen.«

»Äh … klar doch.« Ich nickte, da ich ihre offenkundige Begeisterung nicht trüben wollte. »Na dann … viel Glück.«

Cricket musterte mich abschätzend. »Und was ist mit dir? Suchst du nach etwas Bestimmtem, Robin Goodfellow? Eine Taschenuhr mit eigenem Herzschlag? Einen mechanischen Singvogel? Ein Taschentuch mit Pelzbesatz vom Edelmetallfuchs?«

»Äh …«

Ein leises, bedrohliches Knurren unterbrach unser Gespräch. Die beiden Hunde waren wieder aufgetaucht, doch diesmal sträubte sich ihr Fell, und sie fletschten ihre eisernen Zähne.

Mit einem bösen Blick fuhr Cricket zu ihnen herum. »Kugelhammer! Springfalle! Das ist gar nicht nett. Ich bin gerade bei einem Kunden.«

»Verzeihung.«

Als ich die leise Stimme hörte, machte mein Magen einen unangenehmen Satz. Noch bevor wir uns zu ihm umdrehten, wusste ich, wer da hinter uns aufgetaucht war.

Am Rande des Standplatzes war eine nahezu unsichtbare Gestalt erschienen, in einen dunklen Mantel gehüllt, der sie beinahe nahtlos mit der Nacht verschmelzen ließ. Der Stoff des Mantels schien ausgefranst zu sein, doch in Wahrheit waren es feine schwarze Nebelfetzen, die sich von ihm lösten und wie eine formlose Wolke um die Gestalt herumglitten. Die schwere Kapuze verdeckte das Gesicht, doch ich sah in ihren Tiefen für einen Moment eisblaue Augen aufblitzen – das einzige bisschen Farbe, das sich ausmachen ließ.

Kugelhammer und Springfalle brachen in ohrenbetäubendes, warnendes Gebell aus. Ich wollte ja etwas sagen, aber meine Stimme ging in dieser Kakophonie hündischer Wut vollkommen unter.

Wieder wirbelte Cricket zu den beiden herum und klatschte scharf in die Hände. »Jungs! Hört sofort auf!« Erstaunlicherweise verstummte das Gebell, und die beiden warfen ihr verletzte Blicke zu, die sie aber ignorierte. »Böse Hunde, was ist nur los mit euch? Wir bellen die Kunden nicht an. Wenn dieses Geschäft platzt, werde ich sehr böse auf euch sein.« Sie stampfte mit dem Fuß auf und streckte in einer melodramatischen Geste den Arm aus. »Ab in euer Körbchen!«

Die Hunde schlichen davon und tauchten in die Schatten bei den Schrotthaufen ein. Cricket atmete einmal tief durch, strich sich die Kupferhaare glatt und drehte sich wieder zu uns um. Das strahlende Lächeln war zurück.

»Hallo!«, begrüßte sie die Gestalt im Mantel, die noch immer schweigend am Rand des Geschehens stand. »Sie müssen verzeihen, meine Security ist manchmal etwas übereifrig. Was können wir von Crickets Sammlersammelsurium heute für Sie aufstöbern? Wir hätten ein fantastisches Angebot bei den lebenden Zündkerzen, falls Sie nach etwas wirklich Nützlichem suchen.«

»Eigentlich suche ich nach nichts.« Die mysteriöse Gestalt schob sich in das trübe Licht, das von der Bude ausging. »Ich bräuchte jemanden, der eine Nachricht für mich überbringt«, fuhr sie leise fort. »Nach Mag Tuiredh, zum Hof der Eisernen Königin.«

Cricket blinzelte überrascht. »Nun … solche Dienste biete ich eigentlich nicht an«, erklärte sie unsicher. »Und ich wollte auch nicht so bald ins Eiserne Reich zurückkehren, tut mir wirklich leid.« Nachdem sie kurz auf ihrer Unterlippe herumgekaut hatte, hellte sich ihre Miene wieder auf. »Aber vielleicht wären Sie an einer hübschen mechanischen Taube interessiert, die die Nachricht an ihren Bestimmungsort bringt?«

Ich schaltete mich ein. »Seit wann brauchst du denn den Koboldmarkt, um Nachrichten ins Eiserne Reich zu schicken, Kleiner?«, fragte ich laut. »Ist etwas passiert, wovon wir nichts wissen? Oder steckst du wieder in Schwierigkeiten? Oder beides?« Schulterzuckend fügte ich hinzu: »Beides ist meiner Erfahrung nach immer eine Option.«

Die Kapuze hob sich ein wenig, als hätte ihr Träger gerade erst bemerkt, dass ich da war. Für eine Sekunde blitzten mich die eisblauen Augen gefährlich an, wurden kalt und gnadenlos, wie bei einem anderen mir wohlbekannten Feenwesen. Dann aber erkannte er mich und entspannte sich sichtlich.

»Puck? Was machst du denn hier?«

»Ach, du weißt schon, auf der Suche nach Ärger, wie so oft.« Ich hob vielsagend die Brauen. »Aber ich könnte dich dasselbe fragen. Was machst du hier auf dem Koboldmarkt? Solltest du nicht eigentlich ganz woanders sein?«

Cricket beobachtete uns und presste verwirrt die Lippen zusammen.

Der Besucher im Mantel zögerte und warf der Händlerin einen prüfenden Blick zu, dann wandte er sich wieder an mich. Offenbar wollte er nicht, dass die Eiserne Fee erfuhr, wer er war. »Vielleicht könnten wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten«, schlug er vor und zog sich einen Schritt zurück. »Ich warte hinter dem Riesenrad auf dich. Bitte, komm zu mir, wenn du deine Geschäfte hier abgeschlossen hast.«

Damit wandte er sich elegant ab und verschwand ebenso lautlos in der Dunkelheit, wie er aufgetaucht war. Sobald er fort war, fragte Cricket: »Wer war das? Er kam mir irgendwie … bekannt vor.«

»Bloß der Sohn einer Freundin.« Betont lässig zuckte ich mit den Schultern. »Bringt sich gerne in Schwierigkeiten, wenn wir ihn nicht im Auge behalten. Apropos, das war alles wahnsinnig interessant, aber ich muss jetzt leider gehen.«

»Warte noch, Robin Goodfellow.« Die Eiserne hob mahnend die Hand. »Du kannst dich nicht mit leeren Händen von Crickets Sammlersammelsurium verabschieden. Wir müssen doch irgendetwas haben, das für dich von Interesse ist. Hmmmm, lass mich nachdenken, lass mich nachdenken …«

»Ich brauche wirklich …«

»Ah, ich hab’s!« Sie schnippte mit den Fingern, zog etwas aus dem Lederbeutel an ihrer Hüfte und warf es mir geschickt zu.

Es war eine Spielkarte – ein Joker, um genau zu sein –, mit einem grinsenden, schwarz-weißen Narrengesicht in der Mitte. Auf den ersten Blick ein ganz gewöhnliches Ding. Allerdings war die Karte von einer magischen, pulsierenden Aura umgeben, was mich erstaunt die Brauen lupfen ließ. Ein Kleinod. Ein Objekt eines Sterblichen, das von seinem Besitzer so sehr geliebt, verehrt, gefürchtet oder gehasst wurde, dass es seinen eigenen Schein entwickelt hatte. Sozusagen eine Batterie mit endlosem Magiespeicher. Kleinode waren äußerst selten, und dieses hier strahlte eine merkwürdige Energie ab. Sie fühlte sich beinahe trotzig an, irgendwie widerspenstig. Als wollte sie die gesamte Welt herausfordern.

»Dieser Joker«, verkündete Cricket, nahm mir die Karte aus der Hand und wedelte damit vor meiner Nase herum, »war der Glücksbringer eines berühmten Spielers. Er war davon überzeugt, dass er kein Pokerspiel verlieren konnte, solange er diese Karte im Ärmel hatte. Und anscheinend hat sie ihm auch auf anderen Gebieten Glück gebracht. Laut den Geschichten haben viele Sterbliche versucht, diesen Spieler zu töten, indem sie auf ihn schossen, ihn erhängten, ihn sogar lebendig begruben, aber es hat nie geklappt. Irgendwie haben die Kugeln alle wichtigen Organe verfehlt, die Seile sind gerissen oder er entkam auf mysteriöse Weise.« Sie hielt sich den Joker vor das Gesicht und spähte grinsend über den Rand der Karte hinweg. »Dieses Glück könnte dir gehören, wenn du mir dafür einen winzig kleinen Minigefallen tust.«

»Immer gibt es einen Haken«, seufzte ich und verschränkte abwartend die Arme vor der Brust. »Dann mal raus damit.«

»Ganz einfach: Wenn dich jemand fragt, wo du einen solchen Schatz aufgetrieben hast, sagst du ihm, du hast ihn bei Crickets Sammlersammelsurium gefunden, der ersten Adresse für einzigartige Artikel im Eisernen Reich und weit darüber hinaus.«

»Das ist alles?«, fragte ich zweifelnd. Ich war überrascht. Kleinode waren kostbar, und wenn man eines erwerben wollte, umfasste der Handel normalerweise einiges mehr. »Ganz im Ernst, ich hatte mindestens mit einer Haarsträhne gerechnet. Es ist doch nie so leicht. Was springt für dich dabei raus?«

»Eine Haarsträhne?« Cricket stieß ein helles Lachen aus. »Mann, ihr Altblütler seid ja soooo rückständig. Das nennt sich Mundpropaganda, Dummchen. Kostenlose Werbung! Wenn der berühmte Robin Goodfellow, Freund von Königinnen und Held des Nimmernie, jemandem meinen Laden empfiehlt, ist das mindestens ein Dutzend Tauschgeschäfte wert. Kein Haken, nichts Kleingedrucktes, ein simples Geschäft. Also …« Wieder streckte sie mir den Joker entgegen und wackelte verführerisch damit. »Steht der Deal? Du weißt, dass du es willst.«

Ach, verdammt, warum nicht? Sie schien ja ganz nett zu sein, wenn auch ein wenig wirr im Kopf. Und man lebt schließlich nur einmal.

»Der Deal steht.« Ich schnappte mir die Karte, bevor sie noch etwas forderte. »Eigentlich brauche ich zwar kein Glück, aber mehr von allem ist immer gut, nicht wahr?«

Cricket strahlte mich an. »Es war eine Freude, mit dir Geschäfte zu machen, Robin Goodfellow«, verkündete sie und trat einen Schritt zurück. »Nicht vergessen: Wenn jemand fragt, wo du das Kleinod herhast, verweise ihn an Crickets Sammlersammelsurium. Und nun wünsche ich eine gute Nacht.« Sie winkte kurz, dann marschierte sie zurück zu ihrer Bude, gefolgt von dem kleinen Terrier und schließlich auch von den beiden großen Hunden.

Mann, das war der simpelste Handel, den ich auf dem Koboldmarkt je abgeschlossen habe. Kostenlose Mundpropaganda? Vielleicht führt sie ja doch irgendwas im Schilde.

Grinsend steckte ich die Karte ein und machte mich auf die Suche nach dem so gut verhüllten Feenkönig.

Wie versprochen wartete er hinter dem riesigen Stahlkonstrukt auf mich, nun ohne Kapuze, sodass sein Gesicht nicht länger im Schatten lag. Das Mondlicht schimmerte auf seinem silbernen Haar, das seit unserer letzten Begegnung deutlich länger geworden und zu einem Pferdeschwanz gebunden war. Hochgewachsen und schlank stand er da, vollkommen reglos, und beobachtete, wie ich herankam. Sein Gesicht verriet, wie jung er noch war, allerdings ließ ihn die Anspannung, die sich um die Augen herum und in dem entschlossen vorgeschobenen Kinn widerspiegelte, deutlich älter wirken. Er war komplett in Schwarz gekleidet, bis hin zu Stiefeln und Handschuhen und natürlich dem Schattenmantel, der um ihn herumwaberte. Wären die spitzen Ohren nicht gewesen, hätte er jedem Vampir locker den Rang abgelaufen.

Und auch wenn ich es nur ungern zugab: Es stand ihm gut.

Obwohl ich mir wünschte, es wäre nicht so. Ich erinnerte mich noch an Zeiten, als er fröhlich lächelte, als diese strahlend blauen Augen selbst einen Mantikor bezauberten, als er wie gebannt lauschte, wenn ich ihm die Geschichten meiner größten Abenteuer aus dem Nimmernie und der ganzen Welt erzählte. Ich war dabei gewesen, als er aufwuchs, hatte miterlebt, wie die besten und die schlimmsten Züge seiner Eltern in ihm zutage traten: die Liebenswürdigkeit und das Einfühlungsvermögen seiner Mutter, der Mut und Kampfgeist seines Vaters. Und natürlich die unglaubliche Sturheit von beiden. Aber ich hatte auch die Dunkelheit in ihm gesehen, die nicht einmal seine Eltern erkannt hatten, hatte beobachtet, wie sie gewachsen und gediehen war, bis sie ihn am Ende komplett vereinnahmte und ihn zu etwas machte, das uns allen völlig fremd war. Zu einer Bedrohung für das ganze Nimmernie.

Mithilfe seiner Familie und eines gewissen berüchtigten Halunken war es ihm zum Glück gelungen, sich aus dieser Dunkelheit heraus und zurück ins Licht zu kämpfen. Aber wie das immer so ist, wenn man von einem solchen Abgrund zurücktritt – man ist hinterher nicht mehr ganz derselbe. Die Tragödie hatte ihn gezeichnet, etwas war hängen geblieben. Für seine Verbrechen gegen das Feenreich war er aus dem Nimmernie verbannt worden und durfte niemals an den Ort seiner Geburt zurückkehren. Heute lebte er im sogenannten Zwischenraum, dem Schleier zwischen der Welt der Feen und dem Reich der Sterblichen, zusammen mit den schattenhaften Feenwesen, die wir die Vergessenen nannten.

Ich machte mir Sorgen um ihn. Trotz allem, was er getan hatte, war er ein guter Junge, der Buße tun wollte für die Untaten seiner Vergangenheit. Doch auch jetzt noch zeigte sich diese Dunkelheit in den Schatten, die an ihm hafteten, die ihn wie gnadenlose Klauen umschlossen. Er erinnerte mich stark an ein gewisses anderes Feenwesen, das sich lange Zeit von Zorn und Verzweiflung hatte leiten lassen und dabei sogar versucht hatte, seinen ehemals besten Freund zu vernichten. Spuren dieser Trauer entdeckte ich auch in der Fee, die nun vor mir stand. Ja, er hatte wirklich viel Ähnlichkeit mit seinem Vater.

Keirran, Sohn der Eisernen Königin, ehemaliger Kronprinz des Eisernen Hofes und nun König der Vergessenen, blickte mir ruhig aus den tiefen Schatten des Riesenrades entgegen.

»Mein Prinzlein«, begrüßte ich ihn, während ich gelassen zu ihm hinüberschlenderte, »was für ein Zufall, dass wir uns hier treffen. Solltest du nicht eigentlich im Zwischenraum über ein Feenvolk herrschen oder so? Haben die Vergessenen dich schon in den Wahnsinn getrieben, oder ist dir einfach langweilig?«

»Ich habe versucht, eine Nachricht nach Mag Tuiredh zu schicken«, begann Keirran nüchtern, »doch das hat auf keinem der üblichen Wege funktioniert. Die Gremlinboten verschwinden spurlos, sie schaffen es gar nicht bis ins Eiserne Reich.«

»Gremlins sind selbst an ihren besten Tagen flatterhaft und lassen sich von jeder Kleinigkeit ablenken«, gab ich zu bedenken. »Bist du sicher, dass sie nicht einfach ein Huhn oder einen Stein gesehen und darüber vergessen haben, was sie tun sollten?«

Keirran runzelte die Stirn. »Die Gremlins haben schon immer problemlos auf mich gehört, auch bevor ich König der Vergessenen wurde«, betonte er. »In der Welt der Sterblichen gibt es unendlich viele von ihnen, und sie haben mir nie den Gehorsam verweigert. Zumindest einer von ihnen hätte es schaffen müssen.«

»Was ist mit der Fellkugel?«

»Ich habe nach Grimalkin suchen lassen, aber er hat nicht geantwortet.« Nun schüttelte er mit finsterer Miene den Kopf. »Natürlich taucht Grimalkin nur auf, wenn ihm gerade der Sinn danach steht, und offenbar hat er beschlossen, nicht zu kommen. Mir gehen langsam die Möglichkeiten aus. Da ich nicht selbst ins Nimmernie gehen kann, dachte ich mir, vielleicht von hier aus eine Nachricht zum Eisernen Hof schicken zu können.«

Meine Augen wurden schmal. Es war nicht so, dass ich Keirran nicht traute. Ich war davon überzeugt, dass er sein Bestes versuchte, um die Fehler aus seiner Vergangenheit geradezurücken. Aber er herrschte über ein gruseliges Land, in dem es immer neblig und düster war, und dessen Bewohner anderen Feen den Schein aussaugten, weil sie keinen eigenen mehr hatten. Das würde selbst der besonnensten Fee einiges abverlangen, und wenn man bedachte, über welche Macht dieser Junge verfügte, war ein überlasteter Keirran für keinen von uns gut.

»Gibt es denn etwas, das wir wissen sollten, Prinzlein?«, fragte ich deshalb. »Steckst du wieder in Schwierigkeiten?«

»Nein. Ich stecke nicht in Schwierigkeiten, aber …« Er zögerte, und eine tiefe Falte grub sich in seine Stirn. »Im Zwischenraum geht etwas Seltsames vor sich. Es hat … Vorfälle gegeben, unter den Vergessenen. Gewalttätige Vorfälle, was vollkommen untypisch für sie ist. Und der Zwischenraum selbst ist … Er fühlt sich irgendwie falsch an, falls du weißt, was ich meine.« Er stieß einen frustrierten Seufzer aus, und in diesem Moment sah er plötzlich um Jahre jünger aus. »Ich weiß nicht, was vorgeht, und das macht mir Sorgen«, murmelte er. »Und ich hatte gehofft, Mom oder jemand am Eisernen Hof könnte mir vielleicht helfen. Schließlich kann ich mich mit meinen Problemen ja schlecht an Sommer oder Winter wenden.«

»Ja, das wäre vermutlich keine so gute Idee.«

Zwar hassten die Herrscher des Lichten und des Dunklen Hofes Keirran nicht unbedingt – na ja, abgesehen von Titania, aber die hasste eigentlich jeden –, doch sie waren altmodisch und in ihrem Denken festgefahren. Wenn ein Problem nicht direkt ihr Herrschaftsgebiet betraf, musste ihrer Meinung nach auch nichts dagegen unternommen werden. Und wenn es ihr Reich betraf, bestand ihre Lösung meist darin, es durch den Einsatz möglichst vieler spitzer und scharfer Gegenstände auszulöschen, bevor es zu einer echten Bedrohung heranwuchs. Keirran wurde von ihnen widerwillig als Feenherrscher anerkannt, aber wie die meisten Feenwesen fürchteten und verachteten sie alles, was neu war. Damit hatten die Vergessenen ebenso zu kämpfen wie Meghans Untertanen.

Nun strich sich der König der Vergessenen in einer mir nur allzu vertrauten Geste durchs Haar. Manchmal war er wirklich eine Art Mini-Ash, die Ähnlichkeit so groß, dass es wehtat. »Mag sein, dass ich paranoid bin«, fuhr er fort, »und es ist mein Reich, also sollte ich allein damit fertigwerden. Ich will die anderen Herrscher auch nicht wegen irgendeiner Kleinigkeit belästigen. Aber …« Er kniff die Augen zusammen. »Dir kann ich wohl sagen, warum ich hier bin. Die Vergessenen verhalten sich merkwürdig, und … da ist dieses Ding … das sie irgendwie durch den Zwischenraum jagt.«

»Ein Ding?« Ich blinzelte überrascht. »Äh … könntest du vielleicht etwas präziser werden, mein Prinzlein? Was für eine Art von Ding? Reden wir hier von einer fluchbeladenen Zahnbürste, einem bösartigen Pilzmenschen, einem fleischfressenden Haus? Einer sadistischen Topfpflanze? Sag Bescheid, wenn es wärmer wird.«

»Ich weiß es nicht.« Keirrans Blick war plötzlich in die Ferne gerichtet. »Es war wie ein lebender Schatten, quasi substanzlos, doch es hat sich ganz falsch bewegt. Vielleicht ist es eine neue Art von Vergessenem, aber so etwas wie das habe ich vorher noch nie gesehen. Und seine Ausstrahlung war … purer Hass.« Er schauderte, dann fuhr er grimmig fort: »Ich spürte deutlich den Hass dieses Dings. Als wären wir alle ihm zuwider, und als wollte es uns alle tot sehen. Nicht nur mich und die Vergessenen, sondern absolut alle. Einfach alles, was lebt – sei es im Zwischenraum, im Nimmernie oder in der Welt der Sterblichen.«

»Das ist aber nicht sehr nett. Es kennt mich doch gar nicht.«

Keirran schüttelte den Kopf. »Ich bin ihm vorher schon einmal begegnet, nach meiner Rückkehr von Ethans und Kenzies Hochzeit«, erklärte er, wobei er sich auf den frisch vermählten Bruder der Eisernen Königin und dessen Prinzessin bezog. »Ich dachte, ich hätte es getötet, aber nun ist es entweder zurückgekehrt, oder es gibt mehr als nur eines.« Er zögerte, bevor er finster ausführte: »Ich glaube, es ist der Grund dafür, dass die Vergessenen sich so merkwürdig verhalten. Dieses Ding, was auch immer es ist, verströmt Hass. Und die Vergessenen haben keinen eigenen Schein, also …«

»… saugen sie ihn auf wie kleine Schwämme.« Ich stieß einen leisen Pfiff aus. Das klang übel. Etwas, das man sich dringend einmal ansehen sollte. »Tja, ich bin zwar nicht der König von Mag Tuiredh«, gab ich zu, »aber ich bin schon ziemlich weit rumgekommen. Eigentlich war ich schon überall auf der Welt. Und ich habe eine Menge merkwürdiges Zeug erlebt, sowohl im Feenreich als auch bei den Sterblichen. Deshalb präsentiere ich folgende Lösung: Ich gehe mit dir zurück in den Zwischenraum. Wir sehen uns mal um, spüren dieses ›Ich hasse euch alle und vor allem eure Schoßhündchen‹-Ding auf und finden heraus, ob das wirklich etwas ist, worüber sich Meghan und die anderen Herrscher den Kopf zerbrechen müssen. Was ich bezweifle. Ich meine, du bist der König der Vergessenen, und ich bin der sagenhafte Robin Goodfellow. Zusammen sollten wir eigentlich mit so ziemlich allem fertigwerden.«

In meinem Hinterkopf meldete sich ein warnendes Prickeln zu Wort. Wie oft hatte ich genau das zu Ash gesagt, damals, als wir noch dachten, wir könnten es mit dem gesamten Nimmernie aufnehmen? Wie oft hatten wir danach bis zum Hals in der Scheiße gesteckt, es mit Drachen, Monsterschwärmen und uralten, mächtigen Wächterfiguren zu tun bekommen, die uns plattmachen wollten, sodass wir nur knapp mit dem Leben davonkamen? Öfter, als ich zählen konnte. Und nun sagte ich es zu Ashs Sohn, der durch seine Eskapaden schon einmal das Nimmernie komplett auf den Kopf gestellt hatte. Der seinem Vater so verdammt ähnlich war, allerdings ohne dessen jahrhundertelange Kampf- und Lebenserfahrung. War das Schicksal oder einfach ein verdammt mieses Omen, dass wir uns heute hier über den Weg gelaufen waren?

Ach, wird schon gut gehen. Immerhin ist er Meghans und Ashs Sohn. Was kann da groß passieren?

Der König der Vergessenen ließ sich meinen Vorschlag durch den Kopf gehen. »Vielleicht wäre das wirklich das Beste«, sagte er dann. »Wenn wir beide das in den Griff bekommen, müssen die anderen Reiche nicht mit hineingezogen werden. Und wenn wir nicht allein damit fertigwerden, kannst du die anderen warnen. Also gut.« Er nickte entschlossen. »Dann ist es entschieden. Puck, es wäre mir sehr lieb, wenn du mit mir zurück in den Zwischenraum kommen würdest.«

»Kein Thema, mein Prinzlein.« Grinsend rieb ich mir die Hände. »Ist schon eine Weile her, dass ich mich in ein ordentliches Abenteuer gestürzt habe. So ein Ausflug in den Zwischenraum klingt nach Spaß.«

Keirran hob den Kopf und wollte offenbar gerade etwas erwidern, als plötzlich auf der anderen Seite des Riesenrades ein Schrei erklang, gefolgt von einem Chor wütender Stimmen.

2 NYX

Keirran und ich sahen uns an. Selbst im Halbdunkel hinter dem Riesenrad war zu erkennen, wie der König der Vergessenen erstarrte.

»Äh … du hast nicht zufällig einen Mob wütender Trolle mitgebracht, Prinzlein?«

Der Hauch eines Lächelns huschte über Keirrans ausdrucksloses Gesicht. »Gerade wollte ich dich dasselbe fragen«, antwortete er trocken. »Es gibt da gewisse Gerüchte, dass diesen Sommer irgendwie mehrere Tausend Wildgänse in Königin Titanias Thronsaal aufgetaucht sind, deren Herkunft nicht allein den Launen der Natur zuzuschreiben war.«

»Touché.« Ich grinste ihn an. »Natürlich würde ich bezüglich dieses Vorfalls niemals eine Beteiligung meiner Person eingestehen, aber eines kann ich dir sagen: Gänse sind verdammt laut. Dieses Geschnatter hat man noch kilometerweit gehört. Aber wie dem auch sei …« Ich klopfte mir nicht vorhandenen Staub von den Händen und wandte mich in die Richtung, aus der das Geschrei ertönte. »Wir sollten wohl besser mal nachsehen, was da los ist.«

Gemeinsam wanderten wir durch den Freizeitpark auf das Getöse zu. Je näher wir kamen, desto lauter und wütender wurde das Stimmengewirr, auch wenn der Wind die Worte mit sich forttrug. Wer auch immer das war – hoffentlich war dieser Mob nicht hinter Keirran her. Oder hinter mir. Denn auch wenn es kaum zu glauben ist, so gab es dort draußen doch das eine oder andere Wesen, das mich nicht sonderlich gut leiden konnte. Titania zum Beispiel hetzte mir mindestens einmal pro Jahr ihre Hunde auf den Hals. Man kann eben nicht der Welt größter Streichekönig sein, ohne dass einen die Leute hin und wieder um die Ecke bringen wollen.

Wir waren schon fast wieder vorne am Karussell, umgeben von unzähligen Buden und Zelten, als sich der Tonfall der Menge plötzlich änderte. Ein mörderischer Schrei hallte durch die Nacht, was wohl ein Zeichen dafür war, dass jemand keine Lust mehr auf Worte hatte und nun zu Gewalt greifen würde. Immer mehr Stimmen schrien plötzlich nach Blut, und hastige Schritte und wütendes Keuchen zeigten, dass der Kampf bereits begonnen hatte.

Keirran und ich liefen eilig um das Karussell herum und erreichten endlich den Ort des Geschehens.

Ungefähr ein halbes Dutzend Feen hatte sich mit angewiderten Mienen um einen Wagen versammelt, wo sie laut brüllend und fauchend ihren Unmut kundtaten. Es waren überwiegend Dunkle: Kobolde, Dunkerwichtel und einige Wintersidhe, die sich allerdings ein wenig abseits hielten, um den »minderen« Feen nicht zu nahe zu kommen. Doch ich entdeckte in der Menge auch ein paar Bewohner des Lichten Reiches. Die Gnomin Marla stand am Rande des Mobs. Ihr faltiges Gesicht war verzerrt, und sie schüttelte wütend die Faust in Richtung des Geschehens, das sich in der Mitte des Kreises abspielte.

Vier Dunkerwichtel – fiese kleine Gnome mit schartigen Haifischzähnen und Mützen, die sie stets mit dem Blut ihrer Opfer tränkten – hatten eine Gestalt eingekreist, die wenige Schritte von der Tür des Jahrmarktwagens entfernt stand. Sie hatte uns den Rücken zugewandt, sodass ich ihr Gesicht nicht sah, und der Rest des Körpers verschwand in einem grauen Mantel mit Kapuze. Doch in ihren leicht erhobenen Händen schimmerten zwei gekrümmte Schwerter. Wie von selbst wurde mein Blick von den Waffen angezogen. Sie glühten in einem silbrig weißen Licht und schienen nicht wirklich stofflich zu sein – ungefähr so, als hielte die Gestalt zwei rasiermesserscharfe Mondstrahlen umklammert.

Doch egal woraus sie bestanden, diese Schwerter waren eindeutig scharf genug, um gute Arbeit zu leisten. Zwei Dunkerwichtel wälzten sich schon vor dem Fremden im Staub, die Kehlen von haarfeinen, tiefen Schnitten aufgeschlitzt, aus denen ordentlich Blut quoll. Noch während ich sie musterte, wurden ihre Körper von einem Schauder erfasst und lösten sich auf. Nur zwei Häufchen sich windende Schnecken und Würmer blieben zurück, als die blutrünstigen Wichtel starben, wie es für Feenwesen üblich war: Sie hörten einfach auf zu existieren.

Der Rest ihrer Bande fletschte fauchend die Zähne, schien aber nicht sonderlich scharf darauf zu sein, sich selbst den Lichtschwertern des Fremden entgegenzustellen. Die Menge ringsum schrie wütend, und langsam schien sich das Ganze in ein komplettes Chaos zu verwandeln.

»Das reicht!«

Ich zuckte zusammen, als die dröhnende Stimme erklang, die selbst die Stahlstreben des Karussells beben ließ. Überrascht beobachtete ich, wie Keirran an mir vorbei auf den Mob zumarschierte, eingehüllt in eine zischende Wolke geballter Energie. Über seinem Kopf zuckten Blitze, und unter seinen Stiefeln gefror bei jedem Schritt der Boden, sodass er eine Spur aus spitzen Eiskristallen hinterließ.

Mit ängstlichen Blicken wich die Menge vor dem König der Vergessenen zurück, der in der Mitte des Kreises stehen blieb. Sie hatten ihn erkannt. Die Dunkerwichtel drängten sich fauchend zwischen die Zuschauer, die nervös von einem Fuß auf den anderen traten und nicht wussten, wo sie am besten hinsehen sollten. Keirran mochte zwar der jüngste unter den Feenherrschern sein, für die meisten kaum mehr als ein Kind, doch er besaß ein Talent, dessen sich außer ihm niemand im gesamten Feenreich rühmen konnte: die Fähigkeit, den Schein aller drei Reiche zu nutzen – Sommer, Winter und Eisen.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte er, nun wieder so gelassen wie sonst, wenn auch mit unverkennbarer Schärfe in der Stimme. »Habt ihr alle den Verstand verloren? Der Koboldmarkt ist neutrales Territorium. Hier sind alle Feen willkommen, sogar die des Eisernen Hofes. Erklärt euch!«

»König der Vergessenen.« Ein hochgewachsener Wintersidhe in einer mit bunten Eiszapfen geschmückten Robe trat vor. Sie klimperten wie kleine Glöckchen, als er den Arm hob und mit seinem schlanken Finger auf die verhüllte Gestalt zeigte. »Diese Kreatur ist einfach auf den Markt gekommen, und sie ist eindeutig sehr gefährlich«, verkündete er mit schriller, herablassender Stimme. »Wir waren der Ansicht, diese Bedrohung müsse eliminiert werden.«

»Dann hat sie euch also allesamt angegriffen?«, fragte Keirran mit der perfekten Mischung aus Skepsis und Spott. »Sie kam mit der unverkennbaren Absicht auf den Koboldmarkt, hier einen Krieg zu beginnen? Das zeugt von Ehrgeiz. Vielleicht sollten wir einmal nachfragen, wie sie dieses Ziel zu erreichen hoffte.« Er sah zu der Gestalt hinüber, die reglos neben ihm stand. »Was sagst du dazu, Fremder? Diese Leute beschuldigen dich, sie alle abschlachten zu wollen, und das noch dazu ganz allein. Wie lautet deine Version der Geschichte?«