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Es gibt nichts Gefährlicheres, als dein Herz dem Falschen zu schenken
Seit sich das Drachenmädchen Ember und der St.-Georgs-Ritter Garret das erste Mal gesehen haben, ist ihr Leben aus den Fugen geraten. Sie sind dazu bestimmt, einander bis zum Tode zu bekämpfen, doch sie kommen nicht gegen die starken Gefühle füreinander an. Als Garret Ember in der Stunde der Entscheidung rettet, wird er als Verräter eingekerkert.
Ember fasst den halsbrecherischen Entschluss, ihn mitten aus dem Hauptquartier der Georgsritter zu befreien. Das kann ihr aber nur mithilfe des abtrünnigen Drachen Cobalt gelingen. Doch wird der sein Leben aufs Spiel setzen, um seinen Erzfeind – und Rivalen um Embers Herz! – zu retten? Und falls der Plan gelingt: Welche Chance hätten die drei ungleichen Gefährten, wenn der Talonorden und die Georgsritter sie jagen?
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Seitenzahl: 650
JULIE KAGAWA
Talon
DRACHENHERZ
Roman
Aus dem Amerikanischen von
Charlotte Lungstrass-Kapfer
Das Buch
Nachdem die Drachen jahrhundertelang in ihren Verstecken ausharrten, nahezu vernichtet von den Rittern des Sankt-Georg-Ordens, ist nun ihre Stunde gekommen: Vereint in der mächtigen Organisation Talon wollen sie ihren Platz in der Menschenwelt zurückerobern. Das Drachenmädchen Ember ist eine von ihnen.
Seit sich Ember und Garret, Ritter des Sankt-Georg-Ordens, das erste Mal gesehen haben, ist es um sie geschehen: Eigentlich sind sie dazu bestimmt, einander zu bekämpfen – ohne Rücksicht auf das Leben des anderen. Doch gegen die starken Gefühle, die sie füreinander empfinden, kommen sie nicht an. Als Garret Ember in der Stunde der Entscheidung rettet, wird er als Verräter eingekerkert.
Eigentlich ist Ember selbst auf der Flucht – vor den Georgsrittern genauso wie vor Talon. Doch nun fasst sie den halsbrecherischen Entschluss, Garret mitten aus dem Hauptquartier der Feinde zu befreien. Das kann ihr aber nur mithilfe des abtrünnigen Drachen Cobalt gelingen. Doch wird der sein Leben aufs Spiel setzen, um seinen Erzfeind – und Rivalen um Embers Herz! – zu retten? Und falls der Plan gelingt: Welche Chance hätten die drei ungleichen Gefährten, wenn der Talonorden und die Georgsritter sie jagen?
Die Autorin
Schon in ihrer Kindheit gehörte Julie Kagawas große Leidenschaft dem Schreiben: Langweilige Schulstunden vertrieb sie sich damit, all die Geschichten festzuhalten, die ihr im Kopf herumspukten. Nach Stationen als Buchhändlerin und Hundetrainerin machte sie ihr größtes Interesse zum Beruf und wurde Autorin. Mit ihrer Fantasy-Saga Plötzlich Fee wurde sie rasch zur internationalen Bestsellerautorin. Drachenherz ist der zweite Band in der Talon-Serie um eine magische Liebe, die nicht sein darf. Julie Kagawa lebt mit ihrem Mann in Louisville, Kentucky.
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Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel The Talon Saga Book 2 bei Harlequin Teen, Ontario
Copyright © 2015 by Julie Kagawa
Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Redaktion: Sabine Thiele
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,
unter Verwendung eines Motivs von
© Shutterstock / Pyndyurin Vasily
Satz: Christine Roithner Verlagsservice, Breitenaich
ISBN: 978-3-641-17186-5V001
www.heyne-fliegt.de
Für Laurie und Tashya
Erster Teil
COUNTDOWN
Garret
Vor mir saßen sechs schweigende Männer. Sie musterten mich mit Blicken, die alles zwischen abschätzend und misstrauisch waren, während wir auf die Verlesung der Anklage warteten. Männer in schwarz-grauen Uniformen, die stolz das Zeichen des Ordens auf der Brust trugen, ein rotes Kreuz auf weißem Schild. Ihren rauen, von tiefen Falten durchzogenen Gesichtern sah man an, dass ihr Leben von Krieg und Kampf bestimmt wurde. Einige kannte ich nur dem Namen nach. Andere hatten mich ausgebildet, und ich hatte ohne zu zögern unter ihnen gekämpft und ihre Befehle befolgt. Am einen Ende des Tisches saß Lieutenant Gabriel Martin; seine dunklen Augen und seine Miene waren vollkommen undurchdringlich. Ich kannte ihn schon fast mein gesamtes Leben. Er hatte mich zu dem gemacht, was ich heute war – Soldat Tadellos, wie die Kameraden in der Einheit mich genannt hatten. Ein Spitzname, den sie mir während der vergleichsweise kurzen Zeit im aktiven Kampfeinsatz verpasst hatten. Im Laufe der Jahre hatte ich auch immer wieder Wunderkind gehört, oder verdammter Glückspilz, wenn sie weniger großmütig waren. Den Großteil meines Erfolgs verdankte ich Lieutenant Martin, denn er hatte in einem stillen, ernsten Waisenkind etwas Bestimmtes gesehen und es immer wieder angetrieben, damit es sich noch mehr anstrengte, noch härter arbeitete. Besser wurde als alle anderen. Also hatte ich das getan. Ich hatte mehr Feinde des Ordens getötet als irgendjemand sonst in meinem Alter, und ihre Zahl wäre wohl noch weiter angestiegen, wäre in diesem Sommer nicht etwas Unvorhergesehenes dazwischengekommen. Unabhängig von meiner jetzigen Situation: Ich war einer der Besten, und dafür musste ich Martin dankbar sein.
Aber der Mann, der mir nun gegenübersaß, war ein Fremder, ein teilnahmsloser Richter. Zusammen mit den anderen Männern hinter diesem Tisch würde er heute Abend über mein Schicksal entscheiden.
Ich stand in einem kleinen, spartanisch eingerichteten Raum ohne Fenster mit Fliesenboden, grellem Licht und niedriger Decke. Normalerweise wurde er für Einsatznachbesprechungen oder gelegentliche Meetings benutzt, dann stand der lange Tisch in der Mitte des Zimmers, und die Stühle waren um ihn herum angeordnet. Die Ordenshäuser verfügten – abgesehen vom Hauptquartier in London – nicht über spezielle Gerichtssäle. Natürlich war unter Soldaten immer wieder mit ungebührlichem Verhalten zu rechnen, und hin und wieder hob auch das Schreckgespenst Fahnenflucht sein hässliches Haupt, aber ausgewachsener Hochverrat galt als undenkbar. Absolute Loyalität der Sache gegenüber war für jeden Soldaten des Heiligen Georg eine Selbstverständlichkeit. Wer den Orden verriet, verriet einfach alles.
Der Mann in der Mitte richtete sich auf und musterte mich über den glänzenden Tisch hinweg. Sein Name war John Fischer, ein Captain, der höchsten Respekt genoss, und ein Held auf dem Schlachtfeld. Seine linke Wange bestand nur noch aus wulstigem Narbengewebe und verheilten Brandwunden, die er so stolz trug wie eine Ehrenmedaille. Mit ausdrucksloser Miene verschränkte er die ebenfalls narbigen Finger und hob die Stimme.
»Garret Xavier Sebastian.« Bei der Nennung meines vollständigen Namens breitete sich sofort Stille aus. Das Verfahren war damit offiziell eröffnet. »Sie haben sich der Befehlsverweigerung schuldig gemacht«, fuhr Fischer fort, »haben ein Mitglied Ihrer Einheit angegriffen, mit dem Feind sympathisiert und drei eindeutig erfassten Zielobjekten die Flucht ermöglicht. Die Anklage lautet Hochverrat gegen den Orden des Heiligen Georg.« Er musterte mich scharf und fügte mit harter Stimme hinzu: »Haben Sie die Anklagepunkte verstanden, die gegen Sie vorgebracht werden?«
»Das habe ich.«
»Nun gut.« Mit einem Blick zu den Männern, die hinter mir an der Wand aufgereiht saßen, nickte er. »Dann fahren wir fort. Tristan St. Anthony, vortreten.«
Ein Stuhl quietschte, dann hörte ich leise Schritte, als mein ehemaliger Partner herankam und mit einigem Abstand neben mir Aufstellung nahm.
Ich starrte reglos geradeaus, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, genau wie er. Trotzdem erkannte ich am Rand meines Gesichtsfeldes den großen, schlanken Soldaten mit den kurzen dunklen Haaren, der nur wenige Jahre älter war als ich. Seine sonst ständig grinsenden Lippen waren nun fest zusammengepresst, und seine blauen Augen blickten ernst auf den Tisch vor ihm.
»Bitte schildern Sie dem Gericht nach bestem Ermessen die Ereignisse im Vorfeld der Razzia an jenem Abend und was anschließend geschah.«
Tristan zögerte. Ich fragte mich, was ihm jetzt, Sekundenbruchteile vor seiner endgültigen Aussage, durch den Kopf ging. Ob er wohl bereute, dass es so weit gekommen war?
»In diesem Sommer«, begann Tristan sachlich, »wurden Sebastian und ich nach Crescent Beach geschickt, eine Kleinstadt an der kalifornischen Küste. Wir hatten eindeutige Befehle: Wir sollten uns in der Stadt niederlassen, einen Schläfer aufspüren, der in der dortigen Bevölkerung platziert worden war, und ihn eliminieren.«
Der Mann in der Mitte hob die Hand. »Nur um das klarzustellen: Talon hatte also einen Agenten in Crescent Beach eingeschleust, und Sie wurden dort hingeschickt, um ihn zu finden?«
»Jawohl, Sir.« Tristan nickte knapp. »Wir waren dort, um einen Drachen zu töten.«
Ein leises Raunen ging durch den Raum. Seit dem Tag der Ordensgründung hatten die Soldaten des Heiligen Georggewusst, wofür sie, oder besser gesagt wir, kämpften, was wir beschützten und was auf dem Spiel stand. Unser Krieg, unsere heilige Mission, war seit Jahrhunderten unverändert geblieben. Natürlich hatte der Orden sich im Laufe der Zeit weiterentwickelt: Schusswaffen und Computertechnologie hatten Schwerter und Lanzen ersetzt, aber unser Daseinszweck war noch immer derselbe. Wir hatten nur ein Ziel, und jeder einzelne Soldat verschrieb sich voll und ganz dieser Sache.
Der vollständigen Vernichtung unserer ewigen Feinde, der Drachen.
Die Allgemeinheit wusste nichts von diesem Krieg. Die Existenz der Drachen war ein streng gehütetes Geheimnis, und das galt für beide Seiten. Heutzutage gab es auf der Welt keine echten Drachen mehr, es sei denn, man zählte einige gewöhnliche Echsenarten dazu, die aber nichts weiter waren als ein schwacher Abklatsch ihrer berüchtigten Namensvettern. Wahrhaftige Drachen, also jene riesigen, geflügelten, Feuer speienden Kreaturen, die überall auf dem Erdball in verschiedenen Mythen auftauchten – von den goldgierigen Monstern Europas bis hin zu den gütigen Regenbringern des Orients –, gab es nur in Legenden und Sagen.
Und genau das sollten die Leute glauben.
Wie der Orden des Heiligen Georg hatten sich auch unsere Feinde im Lauf der Jahre weiterentwickelt. Die Lehren des Georgsordens besagten, dass die Drachen kurz vor der Ausrottung gestanden hätten und zur Erhaltung ihrer Art einen Pakt mit dem Teufel eingegangen seien, durch den sie die Fähigkeit erhielten, menschliche Gestalt anzunehmen. Ob diese Geschichte nun stimmte oder nicht, zumindest der Teil mit der Verwandlung in einen Menschen entsprach der Wahrheit. Drachen beherrschten die Kunst der Imitation perfekt. Sie sahen aus wie Menschen, verhielten sich wie Menschen und klangen wie Menschen, sodass es fast unmöglich war, sie von normalen Sterblichen zu unterscheiden, selbst wenn man wusste, worauf man achten musste. Niemand wusste genau, wie viele Drachen heute noch existierten, denn sie hatten sich nahtlos in die menschliche Gesellschaft eingefügt, tarnten sich als Vertreter unserer Art und wurden so quasi unsichtbar. Doch unter diesem Deckmantel strebten sie danach, die Menschheit zu versklaven, Menschen zur unterlegenen Art zu machen. Unser Job bestand darin, so viele dieser Monster aufzuspüren und zu töten wie möglich, damit wir ihre Zahl immer weiter dezimieren und sie eines Tages hoffentlich endgültig ausrotten konnten.
Das hatte ich einmal geglaubt. Bis ich ihr begegnet war.
»Ich habe Ihren Bericht gelesen, St. Anthony«, fuhr Fischer nun fort. »Darin heißt es, Sebastian und Sie hätten Kontakt mit der Verdächtigen aufgenommen und eine Untersuchung begonnen.«
»Jawohl, Sir«, bestätigte Tristan. »Wir stellten Kontakt zu Ember Hill her, und Garret hat eine Beziehung zu ihr aufgebaut, um – wie es der Befehl vorsah – herauszufinden, ob sie der Schläfer war.«
Ember. Beim Klang ihres Namens kribbelte es in meinem Bauch. Vor den Ereignissen in Crescent Beach hatte ich genau gewusst, wer ich war: ein Soldat des Heiligen Georg. Meine Mission bestand darin, Kontakt zur Zielperson aufzunehmen, eindeutig zu bestimmen, dass es sich um einen Drachen handelte, und sie zu töten. Glasklar, schwarz-weiß, ganz simpel.
Aber … so einfach war es nicht. Wie sich herausstellte, handelte es sich bei der Zielperson, die wir auslöschen sollten, um ein Mädchen. Ein fröhliches, draufgängerisches, lustiges, wunderschönes Mädchen, das gerne surfte, das mir das Surfen beibrachte, das mich jedes Mal, wenn wir zusammen waren, herausforderte, zum Lachen brachte und überraschte. Ich hatte mit einer skrupellosen, heuchlerischen Kreatur gerechnet, die menschliche Gefühle nur vorspielen konnte. Aber Ember war nichts dergleichen.
Fischer wandte sich wieder an Tristan: »Und was haben Sie herausgefunden?«, fragte er, wohl damit das Gericht es noch einmal zu hören bekam. »Handelte es sich bei diesem Mädchen um den Schläfer?«
Tristan starrte reglos geradeaus, doch seine Miene war ernst. »Jawohl, Sir«, antwortete er, und mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. »Ember Hill war der Drache, mit dessen Auslöschung wir beauftragt waren.«
»Verstehe.« Fischer nickte. Es herrschte völlige Stille im Raum, nur am Fenster summte eine Fliege, scheinbar dröhnend laut. »Bitte erklären Sie dem Gericht, was am Abend der Razzia passiert ist«, fuhr Fischer leise fort. »Als Sie und Sebastian den Drachen nach dem fehlgeschlagenen Überfall auf das Versteck bis zum Strand verfolgt haben.«
Ich schluckte schwer, denn nun würde mein Verrat noch einmal Schritt für Schritt vor allen ausgebreitet werden; jener Abend, der mich hierhergeführt, jene Entscheidung, die alles verändert hatte.
»Wir hatten das Versteck der Zielperson entdeckt«, begann Tristan mit kühler Professionalität. »Ein Nest mit mindestens zwei Drachen, vermutlich sogar mehr. Es war eine Standardrazzia: reingehen, Zielpersonen töten, rausgehen. Aber sie müssen wohl ein Sicherheitssystem am Haus installiert haben, denn als wir reingingen, ergriffen sie bereits die Flucht. Einen haben wir verwundet, aber sie konnten trotzdem entkommen.«
Mir wurde übel. Ich hatte den Zugriff geleitet. Unsere Zielpersonen waren »entkommen«, weil ich Ember in dem Haus gesehen und gezögert hatte. Mein Befehl hatte gelautet, bei Sichtkontakt sofort zu schießen. Ich sollte alles niedermachen, was sich bewegte, egal ob Mensch oder Drache.
Aber das hatte ich nicht getan. Stattdessen hatte ich das Mädchen angestarrt und war unfähig gewesen, den Abzug zu drücken. Und durch diesen Moment des Zögerns war die Razzia gescheitert, denn Ember hatte ihre wahre Gestalt angenommen und das Zimmer in eine Flammenhölle verwandelt. Im Schutz des folgenden Tumults waren sie und die anderen Drachen durch einen Hinterausgang geflüchtet und über die Klippen davongeflogen, während die Villa bis auf die Grundmauern niederbrannte.
Niemand ahnte, was in diesem Zimmer geschehen war, dass ich Ember am anderen Ende meines Gewehrlaufs gesehen und einfach erstarrt war. Niemand wusste, dass Soldat Tadellos zum allerersten Mal ins Straucheln geraten war. Dass in diesem einen Augenblick meine Welt und alles, was ich gekannt hatte, einen Sprung bekommen hatte.
Und das war noch gar nichts im Vergleich zu dem, was anschließend passiert war.
»Die Razzia war also ein Fehlschlag«, stellte Fischer fest. Bei seiner Wortwahl zuckte ich innerlich zusammen. »Was ist dann passiert?«
Für den Bruchteil einer Sekunde huschte Tristans Blick zu mir. Es war fast nicht zu sehen, aber mein Herz begann zu rasen. Er wusste es. Vielleicht nicht alles, aber er wusste, dass nach der gescheiterten Razzia etwas mit mir geschehen war. Während man im Hauptquartier entschied, was wegen der geflohenen Drachen unternommen werden sollte, war ich für kurze Zeit verschwunden. Tristan hatte mich wenig später aufgespürt, und wir hatten gemeinsam die Verfolgung aufgenommen, aber da war es bereits passiert.
Von den Ereignissen direkt nach der Razzia hatte ich nie jemandem erzählt. An diesem Abend hatte ich Ember angerufen und sie gebeten, sich auf einem abgelegenen Felsplateau mit mir zu treffen. Während der Razzia hatte ich Helm und Sturmmaske getragen, sie hatte also nicht wissen können, dass ich ein Georgskrieger war. Da sie ziemlich gehetzt klang, hatte ich leicht erraten können, dass sie gerade ihre Flucht plante, vermutlich gemeinsam mit ihrem Bruder. Immerhin wusste sie jetzt, dass der Orden in der Stadt war. Trotzdem war sie bereit gewesen, sich ein letztes Mal mit mir zu treffen. Wahrscheinlich, um mir Lebewohl zu sagen.
Mein Ziel war es gewesen, sie zu töten. Aufgrund meines Fehlers war die Mission gescheitert; also lag es in meiner Verantwortung, das zu korrigieren. Sie war ein Drache, ich ein Georgskrieger. Nichts anderes war von Belang. Aber dann stand ich wieder mit gezogener Waffe vor diesem Mädchen mit den grünen Augen, dem Mädchen, das mir das Surfen und das Tanzen beigebracht hatte, und das manchmal so verstohlen lächelte, nur für mich … Und ich konnte es nicht tun. Diesmal war es nicht nur ein kurzes Zögern. Nicht nur das Überraschungsmoment, das sofort wieder verflog. Ich stand eben jenem Ziel gegenüber, dessen Vernichtung mich nach Crescent Beach geführt hatte – dem Mädchen, von dem ich nun wusste, dass es mein Feind war –, und ich brachte es einfach nicht über mich abzudrücken.
Und plötzlich griff sie mich an. Im einen Moment legte ich noch auf ein Menschenmädchen mit schreckgeweiteten Augen an, und im nächsten lag ich auf dem Rücken, eingeklemmt unter einem fauchenden roten Drachen, dessen Zähne nur Zentimeter von meiner Kehle entfernt waren. Da wusste ich, dass ich sterben würde, entweder von Klauen zerfetzt oder von Drachenfeuer zu Asche verbrannt. Ich gab jeden Widerstand auf, und der Drache reagierte so, wie man es erwarten würde, wenn einer seiner Art einem Georgskrieger begegnete. Seltsamerweise verspürte ich keinerlei Reue.
Und dann, als ich hilflos unter dem Drachen lag und mich auf den Tod vorbereitete, geschah das Undenkbare.
Sie ließ mich gehen.
Sie war nicht vertrieben worden. Es war kein Ordensbruder gekommen, um mich in letzter Sekunde zu retten. Wir waren mutterseelenallein, kilometerweit von allem entfernt. Dieser Felsen war dunkel, verlassen und abgelegen – selbst wenn ich geschrien hätte, wäre es von nichts und niemandem gehört worden.
Da war nur der Drache. Jenes skrupellose, berechnende Monster, das eigentlich die gesamte Menschheit verabscheuen und frei von Mitgefühl oder Menschlichkeit sein sollte. Die Kreatur, die uns Georgskrieger mehr hasste als irgendetwas sonst und keinerlei Gnade walten ließ, uns gegenüber keine Vergebung kannte. Die Zielperson, die ich belogen, das Mädchen, mit dem ich mich angefreundet hatte, um es zu vernichten … und das meinem Leben in diesem Moment mit einem Hieb oder einem Atemzug ein Ende hätte machen können. Der Drache, der einen Soldaten des Heiligen Georg zwischen den Klauen hatte, vollkommen seiner Gnade ausgeliefert. Dieser Drache war absichtlich zurückgewichen und hatte mich gehen lassen.
Und da hatte ich eines begriffen: Der Orden lag falsch. Man brachte uns bei, dass Drachen Monster seien. Wir töteten sie, ohne weiter darüber nachzudenken, denn was gab es da schon zu bedenken? Sie waren fremdartig, anders. Nicht so wie wir.
Nur … das waren sie eben doch. Ember hatte meinen festen Glauben an die Lehren, die man mir im Orden eingetrichtert hatte, sowieso schon ins Wanken gebracht. Dass sie mich nun verschonte, war der letzte Tropfen, der Beweis, den ich nicht mehr ignorieren konnte. Was auch bedeutete, dass manche der Drachen, die ich in der Vergangenheit getötet und nur auf Befehl des Ordens gedankenlos niedergeschossen hatte, vielleicht so gewesen waren wie sie.
Und wenn es so war, klebte das Blut vieler Unschuldiger an meinen Händen.
»Nach der Razzia«, setzte Tristan seinen Bericht für die Männer hinter dem Tisch fort, »erteilte man Garret und mir den Befehl, Ember Hill zu verfolgen, in der Hoffnung, dass sie uns zu den anderen Zielpersonen führen würde. Wir folgten ihr bis zu einem Strand am Stadtrand, wo sie sich tatsächlich mit zwei anderen Drachen traf, einem Jungtier und einem ausgewachsenen Exemplar.«
Wieder ging ein Raunen durch den Raum. »Ein ausgewachsenes Exemplar?«, hakte Fischer nach. Die übrigen Richter blickten grimmig drein. Voll ausgewachsene Drachen bekam man nur selten zu Gesicht. Die ältesten Drachen waren auch immer die geheimnisvollsten, sie hielten sich im Hintergrund und versteckten sich tief in den Strukturen ihrer Organisation. Im Orden wusste man zwar, dass der Anführer von Talon ein extrem alter und überaus mächtiger Drache war, den man den Großen Wyrm nannte, aber niemand hatte ihn je gesehen.
»Jawohl, Sir«, bestätigte Tristan. »Wir sollten sie beobachten und Bericht erstatten, wenn sich unser Ziel tatsächlich als Drache entpuppen sollte, und als wir dort ankamen, hatten alle drei ihre wahre Gestalt angenommen. Ich informierte sofort Commander St. Francis und erhielt den Befehl, bei Sichtkontakt zu schießen.« Als er zögerte, kniff Fischer die Augen zusammen.
»Was ist dann passiert, Soldat?«
»Garret hat mich aufgehalten, Sir. Er hat mich daran gehindert, einen Schuss abzufeuern.«
»Hat er Ihnen einen Grund dafür genannt?«
»Jawohl, Sir.« Tristan holte tief Luft, fast so, als fiele es ihm schwer, das Folgende auszusprechen: »Er sagte mir … dass der Orden falschläge.«
Absolute Stille trat ein. Eine drückende, alles betäubende Stille, bei der sich meine Nackenhaare aufstellten. Wer auch nur andeutete, dass der Orden im Unrecht sein könnte, spuckte geradezu auf den Kodex, den die allerersten Ritter vor Hunderten von Jahren aufgestellt hatten. Auf den Kodex, der Drachen zu seelenlosem Teufelsgezücht und ihre menschlichen Unterstützer zu hoffnungslos verdorbenen Sündern erklärte.
»Sonst noch etwas?« Fischers Miene war nun ebenso eisig wie die aller anderen an diesem Tisch. Tristan zögerte wieder, dann nickte er.
»Jawohl, Sir. Er sagte, dass er nicht zulassen würde, dass ich die Zielpersonen töte. Dass manche Drachen nicht böse seien und dass wir sie nicht abschlachten müssten. Als ich versuchte, vernünftig mit ihm reden, griff er mich an. Wir kämpften kurz, dann schlug er mich bewusstlos.«
Ich zuckte schuldbewusst zusammen. Dabei hatte ich meinen Partner wirklich nicht verletzen wollen. Aber ich konnte auch nicht zulassen, dass er schoss. Tristan war ein unübertroffener Scharfschütze. Er hätte mindestens einen der Drachen umgebracht, bevor die überhaupt realisiert hätten, was geschah. Und ich konnte nicht danebenstehen und zusehen, wie Ember vor meinen Augen ermordet wurde.
»Als ich wieder zu mir kam«, beendete Tristan seinen Bericht, »waren die Zielpersonen geflüchtet. Garret ergab sich der Einsatzleitung und wurde in Gewahrsam genommen, aber die Drachen konnten wir nicht wieder aufspüren.«
»Ist das alles?«
»Jawohl, Sir.«
Fischer nickte. »Wir danken Ihnen, St. Anthony. Garret Xavier Sebastian«, wandte er sich dann an mich, während Tristan zu seinem Platz zurückging. Er musterte mich mit unnachgiebiger Härte. »Sie haben gehört, welche Anklage gegen Sie erhoben wird. Haben Sie etwas zu Ihrer Verteidigung zu sagen?«
Ich holte tief Luft.
»Jawohl.« Entschlossen hob ich den Kopf und sah die Männer hinter dem Tisch direkt an. Immer wieder hatte ich mich gefragt, ob es klug wäre, Vertretern des Ordens ins Gesicht zu sagen, dass sie die ganze Zeit falschgelegen hatten. Dadurch würde ich mich selbst nur noch weiter belasten, aber ich musste es versuchen. Das war ich Ember schuldig und all den Drachen, die ich getötet hatte.
»In diesem Sommer«, begann ich, als die ausdruckslosen Blicke der Männer am Tisch mich erfassten, »fuhr ich nach Crescent Beach in der Erwartung, dort einem Drachen zu begegnen. Doch es kam anders.« Einer der Richter blinzelte, der Rest starrte mich einfach weiter an. »Ich begegnete einem Mädchen, das mir in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich war. Aber sie war auch eine ganz eigene Persönlichkeit. Das war keine vorgetäuschte Menschlichkeit, keine künstlichen Emotionen oder aufgesetzten Gesten. Alles an ihr war echt. Unsere Mission hat sich deshalb so lange hingezogen, weil ich keinerlei Unterschiede feststellen konnte zwischen Ember Hill und einer normalen Zivilistin.«
Das Schweigen im Gerichtssaal bekam nun eine beißende Schärfe. Gabriel Martins Miene war reglos, doch in seinen Augen sah ich eisige Kälte. Ich wagte nicht, mich zu Tristan umzudrehen, spürte aber seinen fassungslosen Blick im Rücken.
Mein Kehle war plötzlich wie ausgetrocknet, und ich schluckte. »Ich bitte nicht um Gnade«, fuhr ich fort. »Mein Verhalten an jenem Abend war unentschuldbar. Aber ich bitte das Gericht darum, in Erwägung zu ziehen, dass vielleicht nicht alle Drachen gleich sind. Natürlich könnte Ember Hill innerhalb ihrer Art eine Anomalie darstellen, doch soweit ich sehen konnte, will sie nichts mit dem Krieg zu tun haben. Und wenn es noch andere wie sie gibt …«
»Danke, Sebastian«, unterbrach mich Fischer scharf. Quietschend schob er seinen Stuhl über die Fliesen, erhob sich und ließ den Blick über die Anwesenden schweifen. »Das Gericht vertagt sich«, verkündete er. »Die Verhandlung wird in einer Stunde fortgesetzt. Wegtreten.«
In meiner Zelle setzte ich mich mit dem Rücken zur Wand auf die harte Matratze, zog ein Knie an die Brust und wartete darauf, dass das Gericht über mein Schicksal entschied. Ob man meine Worte wohl überdenken würde? Würde die gefühlsbetonte Aussage des ehemaligen Soldaten Tadellos ausreichen, um sie zum Nachdenken zu bringen?
»Garret?«
Ich schaute hoch. Hinter dem Gitter erkannte ich die schmale Gestalt von Tristan. Auf den ersten Blick wirkte seine Miene wie versteinert, doch als ich genauer hinsah, bemerkte ich, dass er beunruhigt wirkte, fast schon gequält. Seine mitternachtsblauen Augen schienen sich in meinen Schädel zu bohren, dann seufzte er plötzlich und machte eine teils wütende, teils hilflose Geste. Kopfschüttelnd fragte er: »Was hast du dir nur dabei gedacht?«
Ich wandte den Blick ab. »Spielt keine Rolle.«
»Blödsinn.« Tristan trat einen Schritt vor. Er sah aus, als hätte er mir am liebsten eine verpasst, wenn nicht das Gitter im Weg gewesen wäre. »Drei Jahre waren wir Partner. Drei Jahre lang haben wir zusammen gekämpft, zusammen getötet und wären dabei oft fast gefressen worden. Unzählige Male habe ich dir den Arsch gerettet, und ja, ich weiß, du hast dasselbe für mich getan. Du schuldest mir verdammt noch mal eine Erklärung, Partner. Und komm mir bloß nicht mit irgendeinem dummen Spruch, von wegen das würde ich nicht verstehen. Dafür kenne ich dich zu gut.«
Als ich nicht antwortete, packte er die Gitterstäbe und runzelte wütend und verwirrt die Stirn. »Was ist in Crescent Beach passiert, Garret?«, wollte er fast schon flehend wissen. »Du bist Soldat Tadellos, Mann. Du kennst den Kodex quasi auswendig. Du kannst die Dogmen im Schlaf aufsagen, falls nötig sogar rückwärts. Warum solltest du das alles verraten?«
»Ich weiß nicht …«
»Es war dieses Mädchen, stimmt’s?« Bei Tristans Tonfall wurde mir ganz anders. »Dieser Drache. Sie hat irgendwas mit dir gemacht. Verdammt, ich hätte es merken müssen. Du hast dich so oft mit ihr getroffen. Dabei hätte sie dich die ganze Zeit manipulieren können.«
»So war das nicht.« In der alten Zeit hatte man vermutet, dass Drachen willensschwache Menschen mithilfe von Gedankenkontrolle und Magie verzaubern und in ihre Dienste zwingen konnten. Obwohl dieses Gerücht von offizieller Seite dementiert worden war, gab es immer noch Ordensmitglieder, die diesem alten Aberglauben anhingen. Eigentlich war Tristan nie so einer gewesen. Er war genauso rational und pragmatisch wie ich, was ein Grund war, warum wir so gut miteinander auskamen. Aber vermutlich fiel es ihm leichter zu glauben, dass ein böser Drache seinen Freund gegen dessen Willen umgedreht hatte, als dass dieser Freund wissentlich und mit voller Absicht ihn und den Orden verriet. Man darf Garret nicht die Schuld geben; der Drache hat ihn dazu gezwungen.
Aber es lag nicht daran, dass Ember irgendetwas getan hatte. Es war einfach … alles an ihr. Ihre Leidenschaft, ihre Furchtlosigkeit, ihre Lebenslust. Selbst als ich noch mitten in der Mission gesteckt hatte, hatte ich immer wieder vergessen, dass sie eine potenzielle Zielperson war, dass sie vielleicht ein Drache war, eben jene Kreatur, die ich vernichten sollte. Wenn ich mit Ember zusammen war, sah ich in ihr kein Subjekt, kein Ziel, keinen Feind. Ich sah einfach nur sie.
»Wie dann?« Nun klang Tristan wieder wütend. »Wie genau war es dann, Garret? Bitte erkläre es mir. Erkläre mir, wie mein Partner – der Soldat, der mehr Drachen getötet hat als irgendjemand sonst in seiner Altersklasse, und das in der gesamten Geschichte des Ordens – wie eben jener Soldat auf die Idee verfallen ist, dass er diesen einen Drachen nicht töten kann. Erkläre mir, wie er sich von seiner Familie abwenden konnte, von dem Orden, der ihn aufgezogen und ihm alles beigebracht hat, was er weiß, der ihm einen Lebenszweck gegeben hat; um sich dann auf die Seite des Feindes zu schlagen. Erkläre mir, wie er seinem eigenen Partner in den Rücken fallen konnte, nur um irgend so ein Drachenflittchen zu retten, das …«
Tristan verstummte und starrte mich an. Ich konnte sehen, wie er plötzlich begriff, wie die Farbe aus seinem Gesicht wich, als er das Puzzle zusammensetzte.
»O mein Gott«, flüsterte er dann und wich taumelnd einen Schritt zurück. Ungläubig riss er den Mund auf, und er schüttelte langsam den Kopf, als er entsetzt flüsterte: »Du hast dich in das Monster verliebt.«
Krampfhaft starrte ich an die Wand. Tristan stieß den Atem aus.
»Garret …« Seine Stimme erstickte fast an Abscheu und Ekel. Und vielleicht war da auch noch etwas anderes: Mitleid. »Ich … wie konnte …«
»Sag nichts, Tristan.« Noch immer schaffte ich es nicht, meinen ehemaligen Partner anzuschauen. Ich musste ihn auch nicht sehen, um zu wissen, was er empfand. »Du musst es mir nicht sagen. Ich weiß es.«
»Sie werden dich umbringen, Garret«, fuhr er mit angespannter Stimme fort. »Nach dem, was du heute bei Gericht gesagt hast … hättest du deinen Fehler eingestanden und es als einen Moment der geistigen Verwirrung dargestellt oder behauptet, dass die Drachen dich irgendwie ausgetrickst haben, hätte Martin vielleicht eine Strafmilderung erwirken können. Du hättest lügen können. Du bist einer unserer besten Männer – trotz allem hätten sie dich vielleicht am Leben gelassen. Aber jetzt?« Er gab ein hoffnungsloses Grunzen von sich. »Sie werden dich wegen Hochverrats hinrichten. Das ist dir doch klar, oder?«
Ich nickte. Noch bevor ich einen Fuß in den Gerichtsraum gesetzt hatte, war mir der Ausgang dieses Prozesses klar gewesen. Ich wusste, dass ich alles hätte abstreiten und um Gnade hätte bitten können. Dazu hätte ich ihnen nur sagen müssen, was sie hören wollten. Dass ich belogen, manipuliert und in die Irre geführt worden sei. Denn genau das machten Drachen ja, und dagegen waren selbst die Krieger des Heiligen Georg nicht immun. Dann hätte ich als Vollidiot dagestanden und mein Ruf als Soldat Tadellos wäre für alle Zeiten ruiniert gewesen, aber vom Feind aufs Kreuz gelegt zu werden war eben nicht dasselbe wie wissentlich den Orden zu verraten. Tristan hatte recht: Ich hätte lügen können, und sie hätten mir geglaubt.
Aber das hatte ich nicht getan. Weil ich so etwas nicht mehr konnte.
Tristan wartete noch einen Moment, dann ging er wortlos davon. Ich lauschte auf seine sich entfernenden Schritte und erkannte plötzlich, dass ich wohl nie wieder mit ihm sprechen würde. Ruckartig schaute ich hoch.
»Tristan?«
Einen Augenblick lang glaubte ich, er würde einfach weitergehen. Doch er blieb in der Tür zum Zellenblock stehen und drehte sich zu mir um.
»Auch wenn es vielleicht keine Rolle mehr spielt …« Ich sah ihm direkt in die Augen. »Es tut mir leid.«
Als er kurz blinzelte, rang ich mir ein schmales Lächeln ab. »Danke, dass du … mir immer den Rücken freigehalten hast.«
Sein Mundwinkel zuckte. »Ich wusste schon immer, dass du mal einem Drachen zum Opfer fallen würdest«, murmelte er dann. »Ich hätte nur nie gedacht, dass es so passieren würde.« Mit einem leisen Schnauben verdrehte er die Augen. »Dir ist ja wohl klar, dass mein nächster Partner einen totalen Minderwertigkeitskomplex haben wird, weil er den Platz von Soldat Tadellos einnehmen soll. Und dann bekommt er einen Nervenzusammenbruch, und ich habe den ganzen Ärger. Vielen Dank auch!«
»So hast du wenigstens etwas, das dich an mich erinnert.«
»Stimmt.« Sein Grinsen erlosch. Einen scheinbar endlosen Moment lang sahen wir uns angespannt an, dann wandte Tristan St. Anthony sich ab.
»Mach’s gut, Partner.« Mehr brauchte es nicht – kein »Bis dann«, kein »Wir sehen uns«. Wir wussten beide, dass wir uns nicht wiedersehen würden.
»Du auch.«
Er drehte sich um und trat durch die Tür.
»Das Gericht hat eine Entscheidung getroffen.«
Wieder stand ich reglos im Gerichtsraum, als Fischer sich erhob und das Urteil verkündete. Ein kurzer Blick zu Martin zeigte mir, dass er mit ausdrucksloser Miene einen Punkt über meinem Kopf fixierte.
»Garret Xavier Sebastian«, fuhr Fischer mit scharfer Stimme fort, »dieses Gericht befindet Sie einstimmig für schuldig des Hochverrats gegen den Orden des Heiligen Georg. Für dieses Verbrechen werden Sie im Morgengrauen durch ein Erschießungskommando exekutiert. Möge Gott Ihrer Seele gnädig sein.«
Dante
Fünfzehntes Stockwerk, und es ging noch weiter.
Der Fahrstuhl war kalt und vollkommen schmucklos. Von oben drang eine eingängige, wenn auch leise und irgendwie blecherne Melodie an mein Ohr. Die Wände waren mit Spiegeln verkleidet. Sie zeigten einen Mann in grauem Anzug und Krawatte, daneben einen Teenager, der die Hände vor dem Körper gefaltet hatte. Ich musterte mein Spiegelbild mit der kühlen Gleichgültigkeit, die mein Ausbilder mir antrainiert hatte. Mein neuer schwarzer Anzug war maßgeschneidert und saß wie angegossen, meine roten Haare waren kurz und modisch frisiert. Die rote Seidenkrawatte verschwand faltenfrei unter dem Jackett, meine Schuhe waren auf Hochglanz poliert, und die große goldene Rolex hing schwer und kühl an meinem Handgelenk. Nichts erinnerte mehr an den Menschenjungen aus Crescent Beach in Shorts und Tanktop, dessen Haare immer vom Wind zerzaust gewesen waren. Jetzt sah ich nicht mehr aus wie ein sorgenfreier Teenager. Nein, die Phase der Anpassung hatte ich erfolgreich abgeschlossen. Ich hatte mich gegenüber der Organisation bewiesen, hatte sämtliche Prüfungen bestanden und ihnen gezeigt, dass ich vertrauenswürdig war – dass für mich das Überleben unserer Spezies über allem anderen stand.
Hätte meine Schwester das doch nur ebenfalls getan. Ihretwegen stand unsere weitere Zukunft nun auf Messers Schneide. Ihretwegen wusste ich jetzt nicht, was Talon von mir erwartete.
Im dreißigsten Stockwerk hielt der Fahrstuhl an, und die Türen glitten lautlos auf. Ich trat in die luxuriöse Lobby hinaus. Meine Absätze hallten laut auf den roten und goldenen Fliesen. Nach einem unauffälligen Rundumblick, der auch die hohe Decke einschloss, gestattete ich mir ein schmales Lächeln. Genau so hatte ich mir Talon vorgestellt. Was sehr gut war, denn ich hatte gewisse Pläne für das alles hier.
Eines Tages werde ich den Laden leiten.
Mein Ausbilder, den ich von Beginn an nur als Mr. Smith kannte, führte mich in einen Raum und drehte sich dann lächelnd zu mir um. Im Gegensatz zum Lächeln vieler anderer Drachen, das immer etwas gezwungen wirkte, war seines warm und einladend und wirkte vollkommen aufrichtig – solange man die kühle Gleichgültigkeit in seinen Augen nicht bemerkte.
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