Poggfred - Detlev von Liliencron - E-Book

Poggfred E-Book

Detlev von Liliencron

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Beschreibung

Der "Poggfred" gehört zu Liliencrons Hauptwerken und ist, wie er selbst sagt " Ein kunterbuntes Epos in 12 Kantussen" - ganz im Stil von Byrons Don Juan.

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Poggfred

Kunterbuntes Epos in neunundzwanzig Kantussen

Detlev von Liliencron

Inhalt:

Detlev von Liliencron – Biografie und Bibliografie

Poggfred

Erster Teil: Einkehr in Poggfred.

Erster Kantus: Der Aussichtsturm.

Zweiter Kantus: Panorama um Golgatha.

Dritter Kantus: Großmutter Schlangenköchin.

Vierter Kantus: Mein Wald Herzebruch.

Fünfter Kantus: Die kleine Fite.

Sechster Kantus: Professor Emil Wolff und der Dämon.

Siebenter Kantus: Unheilstage und Heilige Nacht.

Achter Kantus: Von Stern zu Stern.

Achter Kantus: Laterna magica coelestica.

Zehnter Kantus: Unsre liebe Frau ob der Sintflut.

Elfter Kantus: Die Leuchter.

Zwölfter Kantus: Fantasio Peregrin.

Dreizehnter Kantus: Unsterbliche auf Reisen.

Vierzehnter Kantus: Mein Paradies.

Zweiter Teil: Streifzüge um Poggfred.

Fünfzehnter Kantus: Die Rennbahn.

Sechzehnter Kantus: Idealer Spaziergang.

Siebzehnter Kantus: Unterm Schirm.

Achtzehnter Kantus: Der sonderbare Herr vom Mars.

Neunzehnter Kantus: Die zwölf Trakehner und zuletzt der Jäger.

Zwanzigster Kantus: Heilwig Wohnsfleth.

Einundzwanzigster Kantus: Die singende Engelsstimme in der Klosterkirche.

Zweiundzwanzigster Kantus: Die ausgehungerten Klosterfrälein.

Dreiundzwanzigster Kantus: Die besoffenen Bauern.

Vierundzwanzigster Kantus: Buntes Theater.

Fünfundzwanzigster Kantus: Frerk Frerksens Werft.

Sechsundzwanzigster Kantus: Graf Johann der Andere von Kiel und seine Kinder. 1315.

Siebenundzwanzigster Kantus: Der Gottfinder.

Achtundzwanzigster Kantus: Das letzte Geleit.

Neunundzwanzigster Kantus: Heimfahrt.

Poggfred, D. von Liliencron

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN: 9783849630782

www.jazzybee-verlag.de

www.facebook.com/jazzybeeverlag

[email protected]

Detlev von Liliencron – Biografie und Bibliografie

Dichter und Novellist, geb. 3. Juni 1844 in Kiel, verstorben am 22. Juli 1909 in Alt-Rahlstedt. Trat in das preußische Heer ein, beteiligte sich an den Feldzügen von 1866 und 1870, nahm seinen Abschied als Hauptmann und lebt jetzt in Alt-Rahlstedt bei Hamburg. Mit den soldatisch kräftigen und koloristisch fesselnden Gedichten »Adjutantenritte und andre Gedichte« (Leipz. 1883, 3. Aufl. 1898) trat er als starkes Talent von ind individuellem Gepräge in die Literatur ein. Es folgten der Roman »Breide Hummelsbüttel« (Leipz. 1887), die Novellensammlung »Eine Sommerschlacht« (das. 1886), die Dramen: »Knut der Herr« (das. 1885, 2. Aufl. 1905), »Der Trifels und Palermo« (das. 1886, 2. Aufl. 1905), »Arbeit adelt« (das. 1886), die Trauerspiele: »Die Merowinger« (das. 1888, 2. Aufl. 1905) und »Pokahuntas« (Berl. 1905), die Erzählungen: »Unter flatternden Fahnen« (Leipz. 1888), »Der Mäcen« (das. 1889, 2 Bde.), »Krieg und Frieden« (das. 1891), »Kriegsnovellen« (das. 1893), sowie »Gedichte« (das. 1889), »Der Haidegänger und andre Gedichte« (das. 1890), »Neue Gedichte« (das. 1893, 2. vermehrte Aufl. u. d. T.: »Nebel und Sonne«, Berl. 1900; 4. Aufl. 1904) und die weitern lyrischen Sammlungen. »Kampf und Spiele« (Berl. 1897), »Kämpfe und Ziele« (das. 1897), »Bunte Beute« (das. 1903, 5. Aufl. 1905) und »Ausgewählte Gedichte« (das. 1901). In all diesen Gedichten offenbart L. eine oft hinreißende Frische, malerische Anschaulichkeit und ein hervorragendes Formtalent, so daß er unter den Lyrikern der Gegenwart mit in erster Linie steht. Die gleichen Vorzüge verrät sein subjektives »kunterbuntes« Epos »Poggfred« (Berl. 1896, 5. Aufl. 1905). Liliencrons »Sämtliche Werke« erschienen zuletzt in Berlin 1904–05 in 14 Bänden; 1904 erfuhr der Dichter zahlreiche Auszeichnungen an seinem 60. Geburtstag. Vgl. O. J. Bierbaum, Freiherr Detlev v. L. (Leipz. 1892); F. Oppenheimer, Detlev v. L. (Berl. 1898); F. Böckel, D. v. L. im Urteile zeitgenössischer Dichter (das. 1904).

Poggfred

Erster Teil: Einkehr in Poggfred.

Erster Kantus: Der Aussichtsturm.

Motto:

O Boccaccio, göttlicher Schmetterling: dies Häufchen Gemüse in Einer Schüssel, das wär was gewesen für Deinen Rüssel, wenn nicht auch Dir der Spaß verging!

Richard Dehmel.

            Dies ist ein Epos mit und ohne Held, Ihr könnts von vorne lesen und von hinten, Auch aus der Mitte, wenn es euch gefällt. Ja, wo ihr wollt, ich mache nirgends Finten, Klaubt euch ein Verslein aus der Strophenwelt! So sucht ein Kind im Kuchen nach Korinthen.     Ob sie euch schmecken, kümmert mich fürwahr nicht;     So lest denn mit Geduld! Meintwegen garnicht.

Tut, drin zu lesen, wirklich wer den Schwur, Ums Himmelswillen, nur nicht die »Gesänge« Wie einer Zwiebelreihe tote Schnur »Herunterhaun«, sonst kommt er ins Gedränge. Denn das wär eine Elefantenkur, Und gräßlich wirkte, opiumgleich, die Länge.     Nein, wie gesagt, nur hier und dort ein Canto,     Und ganz beliebig ausgehülst ex Quanto.

Und noch einmal, und noch ein drittes Mal: Ich warne, bitte, flehe, ich beschwöre: Lest nicht den Poggfred mit dem Lineal, Verzehrt ihn nicht wie eine lange Möhre! Es brächte jedem nur die größte Qual, Wenn er sich regelrecht darin verlöre.     Lest übereck, es soll euch nichts verbinden;     Der »rote Faden« wird sich trotzdem finden.

Zwar wähl ich mir ein fremdländisch Gewand: Ich greife zu Ottaven und Terzinen. Doch werd ich dich, mein deutsches Vaterland, Deshalb nicht weniger gewandt bedienen. Die Stanze ist mir nur der Zellenstand, Den Honig bringen meine heimischen Bienen.     Und der Terzinen Sancta Trinitas     Dämmt die Gedankenflut ins rechte Maß.

Ich möchte gern in alles Leben sehn Und die Maschine unsrer Erde schildern, Ihr Triebwerk bis ins zarteste Rädchen drehn. Vermessenheit, auch nur in Umrißbildern Die Welt auf einem Kohlblatt zu verstehn. So muß ich schleunig meine Absicht mildern.     Sogar von eines einzigen Menschen Qual     Kennt selbst der liebe Himmel nicht die Zahl.

Und nähm die Ewigkeit den Gänsekiel: Sie kann nicht eines Menschen Stunde schreiben. Sie sähe nichts von seinem Kampf und Spiel, Und sähe sie durch alle Fensterscheiben. Gräbt sie ihm dann das letzte Erdenziel, Wird er sich still dem Weltschoß einverleiben,     Ohn daß er mehr aus seiner Daseinsfülle     Ertastet hätte als der Seele Hülle.

Geheimnisvoll ist unser Tun und Handeln, Geheimnisvoll verstummen wir ins Grab. Und wenn wir noch so breit und spurig wandeln, Wir schwanken nur am sichern Todesstab. Und was wir binden auch, und was wir bandeln, Geheimnis steigt wie Stein mit uns hinab.     Ist unenträtselbar des Menschen Leben,     Wie könnt ich seines Schicksals Aufschluß geben.

Na gut, was tu ich denn in die Behälter? Erinnrung? Traum? Erlebnis? Phantasie? Ich habe Angst, mein Blut wird täglich kälter, Zum Teufel geht allmählich der Esprit. Zusammen schab ich drum, eh immer älter, Die schäbigen Reste meiner Poesie.     Denn vor mir, eine greuliche Pagode,     Hockt steif des Dichters »zweite Periode«.

Oh, da wirds eisig, »objektiv« wirds da, Der Springinsfeld setzt ruhiger den Fuß Und ruft nicht mehr sein lustiges Hurra. Trübsinnig hört er fernen Sängergruß, Am Ende kommt noch gar das Podagra, Auf alle Farben fällt ein grauer Ruß.     O Jemine, so sinkt die Kraft der Jugend,     Verwandelt sich in wermutvolle Tugend.

Nein, nein! Noch nicht! Noch immer, kommts drauf an, Sitz ich im Sattel zweiundsiebzig Stunden; Noch immer pfeif ich auf Hans Biedermann, An keine Regel, nur an mich gebunden. Und was für Fallen mir der Schmerz ersann, Noch hab ich stets die Rettungstür gefunden.     Noch strömen meines Lebens rote Wellen;     Wies fließt, so rinnts, versprudl ich meine Quellen.

Noch lieb ich, fleißig mich im Tanz zu drehn, Mit Freunden um den Ehrenpreis zu schwimmen, Mit hübschen Mädchen durch den Wald zu gehn, Die höchsten Alpenspitzen zu erklimmen, Früh auf dem Anstand tief im Tau zu stehn, Wie Hagen über Hundsvolk zu ergrimmen.     Ein altes Sprichwort sagt: lex mihi Ars!     Ich sage lieber noch: lex mihi Mars!

Doch meinen Schlössern fern und fern der Stadt, Inmitten zwischen Wiesen, zwischen Hecken, Fremd aller Welt und alles Lebens satt, Spielt einsam unterm Blumenflor Verstecken Ein schlichtes Häuschen, wie ein weißes Blatt, Das keine Lästerzunge kann belecken.     Sein Name ist Poggfred, hochdeutsch Froschfrieden,     Denn Friede ist den Fröschen hier beschieden.

Von einem Seitentürmchen seh im Kreise Ich meine Haide, meine Wälder liegen. Aus meinem Garten tönt die alte Weise, Wenn Wind und Wetterstoß die Bäume biegen. Mein Herd empfängt mich wie nach lästiger Reise, Die wilden Wolken lass ich weiterfliegen.     Willkommen, Einsamkeit, du vornehm Land,     Wie sind mir deine Sterne wohlbekannt!

Und all die lieben Plätze rings umher In Knick und Torfbruch, Brache, Teich und Moor. Die Nacht verflüchtigt sich; und Lucifer, Der letzte Stern, verbleicht im Morgentor. Die Sonne trennt sich aus dem fernsten Meer, Ein Reiher hebt sich schwer aus Schilf und Rohr     Und schüttelt sich aus Flaum und Flunk den Tau;     Der Tag ist da und zeigt ein mürrisch Grau.

Von jenem Turm aus sah ich diese Nacht Die Erde, ja, die ganze Erde brennen. Ein einziges Flammenchaos war entfacht, Ich konnte Einzelheiten nicht erkennen. Tief aus der wundervollen Feuerpracht Erscholl ein Jammern, Fluchen, Schreien, Rennen.     Die letzte Riesenlohe schoß herauf,     Dann stürzten Tod und Leben wüst zu Hauf.

Und aus der Stille, aus dem Aschenkrug, Als Qualm und Schuttstaub sich verzogen hatten, Erschien ein Engel, dessen Rechte trug Hochhaltend eine Fackel durch die Schatten. Er nahm zum Himmel seinen graden Flug, Als wollt er dort den Tatbericht erstatten.     Ich sah ihn fliegen, schweben, höher steigen,     Um sich vor Gottes Antlitz zu verneigen.

Und Gott trat vor aus einer Ätherlücke, Rechts von ihm Christus, links saß Jupiter. Und hinter ihm, auf einer rosigen Brücke, Stand ungezählt der Heiligen frommes Heer. Der Engel naht in hocherglühtem Glücke Und überreicht den Rest der Erdenmär.     Der Allerhalter beugt sich lächelnd nieder,     Und nimmt die Fackel, und verschwindet wieder.

Das Türmchen hab ich selber aufgesetzt, Es dient als Schmuck dem Häuschen und als Warte. Bin ich in Poggfred, flattert windzerfetzt Von diesem Türmchen meine Hausstandarte. Wie hat es heimlich oft mein Herz ergetzt, Wenn hin und her die Fahnenstange knarrte.     Zuweilen murrt ein Donnern, fern und dumpf:     Mein Nordsee-Küstenstrich kartaunt Triumph.

O Nordsee, Mordsee, o du Bild der Kraft! Wie steht die Brandung an Norwegens Klippen! Vom Raubzug kam der Wiking bärenhaft, Die Robbenjacke panzert ihm die Rippen. Wen bringt er mit in die Gefangenschaft? Wen landet er? es scheinen edle Sippen.     Prinzessinnen von Südsiziliens Thron     Und einen jungen griechischen Königssohn.

Dort, wo der Fels weithin vorstößt ins Meer, Steht ein Altar mit schwarzer Marmorplatte. Die Platte glänzt, die Luft ist wolkenleer; Viel gelbe, rote Rosen trägt der glatte Geschliffne Stein, sie spiegelnd voll Begehr, Als fühlt er seine Fracht, die farbensatte.     Der Weihrauch steigt aus Becken rechts und links,     Stümprig tönt die gestohlene Syrinx.

Geräte, Waffen, Purpur, Schmuck und Gold Sind vor des Altars Stufen hingetragen. Die Beute ists. Der listige Würfel rollt. Gierige Blicke. Jubel. Mißbehagen. Jetzt um die Weiber! Die fällt mir zum Sold, Ich hab drei Dutzend Männer drum erschlagen!     Nein mir! Und enggedrängt, ein Rudel Rehe,     Erwarten sie des Schicksals süßes Wehe.

Nun bleibt der zarte Griechenknabe noch, Sein schwarzes Auge düstert in die Menge: Zu wem muß er, der Fürst, ins Sklavenjoch? Da reckt sich einer tannhoch im Gedränge: »Dem Häuptling, mir allein gehört er doch!« Und wendet sich zu ihm mit milder Strenge:     »Zwei Königssöhne, komm! ich blond, du dunkel,     Zwei Sterne stehen wir im Kampfgefunkel.

Auf einem Drachen, sei mein Freund, zusammen Besitzen wir die Welt zu Odhins Ehre! Zwei Jarle sind wir, die von Göttern stammen; Den einen schützt des andern Schlachtenwehre. Zusammen wollen wir den Orlog rammen, Zusammen pflücken wir die Siegesbeere!«     Ein tausendstimmig Skaal brüllt durch die Ruder,     Es blitzt der Humpen für den neuen Bruder.

So steh ich oft in Träumen auf den Deichen; Wie hab ichs oft in Wirklichkeit getan. Und angenagte, angeschwemmte Leichen Seh ich, und manchen umgeschlagnen Kahn. Und Trümmer, mörderische Schiffbruchzeichen, Tanzen auf Wellenbergen im Orkan.     Der Regen stürzt, die Nacht fällt wie ein Tuch;     Der Sturm erstickt sogar Poseidons Fluch.

Doch was die Flut gebracht, die Ebbe nimmt Und führt es wieder weg und sinkt und strebt. Wie still es wird. Auf Wattenprielen schwimmt Der Austerndieb; die Wimmermöwe schwebt. Der Seehund wärmt sich, und das Meerweib stimmt So süßen Sang an, daß mein Herz erbebt.     Ein weißes Wölkchen kriecht, hoch, hoch, im Blauen;     Ich kenne dich, du schwillst zu neuem Grauen.

Und wieder kommt die Flut. Erst rillt sie an; In langen Strichen perlt sie, und bedeckt, Im Anfang langsam, bald den leeren Plan, Bis sie das altgewohnte Ufer leckt. Sie steigt und steigt zu ihrer höchsten Bahn, Hat alles Leben wieder aufgeweckt.     Und Welle wächst aus Welle und zerfließt,     Und bäumt sich abermals und drängt und gießt.

Hinein ins Boot! Mein alter Schiffer sitzt Am Segel; ich, am Steuer, luge aus. Schräg liegt der Dullbord. Wie die Woge spritzt! Klatsch! eine Ladung über Hut und Flaus. »Ree!« Flattern! steif und straff! Den Blick gespitzt, Pfeilgrad durchschneiden wir den Wassergraus.     Um uns die wilde See wie Berg und Tal,     Ein einziger, aufgeregter, flüssiger Stahl.

Die Dämmrung kommt. Wie schaurig wird die See. Die Wellen poltern fort und fort, zerschäumen. Schwermassige Nordseewolken! Herrlich! (»Ree!«) Gebirgen gleich, mit goldnen Höhensäumen. Ein schwarzer Vogel senkt die Fittiche Und fliegt uns vor. Dem Tode zu? den Träumen?     Der Himmel färbt sich immer abendblasser;     Wohin das Auge reicht, nur Luft und Wasser.

O heilig Meer! Furchtbare Einsamkeit. Hier fällt die Stickluft aller Erde ab. In grenzenloser Abgeschiedenheit Deckst du die Tiefe übers große Grab. Begrabe auch die Wirren meiner Zeit, Zieh in den feuchten Schlund den Haß hinab!     Schick deine Brisenfrische Stirn und Sinnen;     »Ree!« Flattern! Klar! Schon rundet sich das Linnen.

Ich hör die Brandung in den Schlaf herein; Es schwankt mein Bett, es bangt mein Poggfredhaus. Rüttelt der Sturm schon meinen Leichenstein? Sinds Geister? Still, du mitternächtiger Graus! Heda, was wollt ihr? Mahnen? Prophezeihn? Ihr findet mich bereit zu jedem Strauß!     »Froschfriede« heißt mein Schlößchen! Ruhig, Hunde.     Bertouch, mein greiser Diener, macht die Runde.

Von meinen Ahnen einer hats gebaut, Der zeitig schon die Menschen kennen lernte, Der früh zurück sich zog aus Lärm und Laut, Sich mit Behagen aus dem Klatsch entfernte; Nie hat er vorm Alleinsein sich gegraut, Schnitt gern sich einsamer Gedanken Ernte.     Beim Glase hat er manche Nacht gesessen,     Um Leid und Lebensschmerzen zu vergessen.

Das ist Philosophie; warum denn nicht? Ein Trinker, der sich selbst nur hat beim Weine, Der erst zur Ruhe geht beim Morgenlicht, Das ihm die Nase tupft mit Glorienscheine. Und heimst er Zipperlein auch ein und Gicht, Und werden stöckrig endlich auch die Beine:     Ihm hats behagt, es hat ihn nicht verdorben,     Und am Burgunder ist er dann gestorben.

Ich wohn in meinem Jagdhaus freilich nur, Wird mir einmal zu arg die wilde Welt. Dann findet sie so leicht nicht meine Spur, Ich hab ihr alle Schlüssel abgestellt; Und abgestellt hab ich auch meine Uhr, Daß sie mir nicht die kurze Zeit vergällt.     Denn mehr als Wochen mag ichs mir nicht gönnen,     Sonst fürcht ich, nicht ins Joch zurückzukönnen.

Doch die paar Wochen bin ich zu beneiden, Mag nun Frau Holle ihre Kissen schütteln, Mag mir der Sommermond Gesichter schneiden, Mag mir der Sturm im Herbst die Fenster rütteln, Mag Frühlingsregen blümen meine Weiden: Stets wachen Riesen mit gewaltigen Knütteln     Vor meiner Eingangspforte und begnaden     Den, der es wagt, sich hierher einzuladen.

Eh noch die Sonne aus dem Meere steigt, Wenn mir der Traum noch seine Männchen macht, Wenn mir der Traum noch ferne Sterne zeigt, Wenn mir im Traum ein Ungeheuer lacht, In dunkler Wolke hold ein Engel geigt, Hat ein Gefährt mir alles das gebracht,     Was zu des Leibes Notdurft keiner mißt,     Der, mir nichts dir nichts, Gast auf Erden ist.

Um zehn Uhr kommt ein Reiter angesprengt Und springt vom Sattel und tritt ein bei mir, Dem eine Tasche um die Schulter hängt, Darin er Briefe birgt und Druckpapier; Zuweilen ist sie übervoll gezwängt, Daß schwer zu tragen haben Mensch und Tier.     Oft, schließ ich auf und spreng ich Lack und Schnur,     Verschüttet mich die deutsche Literatur.

Die deutsche Literatur, was wird mir weh! Doch hab ich jetzt von ihr nicht zu berichten, Nur das noch zu erzählen, daß als Fee Mein alter Kammerdiener seine Pflichten Bei mir versieht vom Kaffee bis zum Tee, Und der versteht, bonnes grâces, nichts von Gedichten.     Grüß Gott, Poggfred! Den Namen lass ich laufen;     Sollt ich ihn etwa Veilchentälchen taufen?

Heut hatt ich meine Flinte umgehangen, Um ins Gehege auf die Jagd zu gehn. Als über eine Blöße ich gegangen, Fand ich an einem Birkenstämmchen stehn Steif einen Clown mit buntbemalten Wangen, Wie wir im Zirkus alle ihn gesehn,     Wenn er uns Pudel vorführt oder Schweine     Mit andern schönen Künsten im Vereine.

Er blies auf einer Flöte, die er quer Den Lippen hielt, aus Mozarts Don Juan Das Menuett. Da, aus den Büschen her, Erschienen Hand in Hand, wie ganz im Bann, Cäsar und Hannibal in Waffenwehr, Fritz und Napoleon, als Viergespann.     Sie kamen in der Tracht herangezogen,     Wie wir schon früh sie sehn auf Bilderbogen.

Sie waren hager, häßlich, schmächtig, klein, Der Korse auch, wie zu Marengos Tagen. Die tanzten nun und mußten Bein an Bein Im Rokokogetrippelschritt sich plagen, Und schauten mürrisch und verdrießlich drein, Und fanden an der Sache kein Behagen.     Der Clown blies ruhig seine Melodie,     Und wie ein Affe folgte das Genie.

Ich bog mich vor, verwirrt, erstaunt, erstarrt, Und ich sah Cäsar, und ich sah sein Glück, Und wie er in Kleopatra vernarrt, Und wie er sich vom Himmel riß ein Stück, Wie Brutus an der Säule auf ihn harrt, Und wie der Göttliche sank ins Nichts zurück.     Ich dachte seiner ungeheuern Schulden,     Und seine Gläubiger mußten sich gedulden.

Des großen Königs Auge flammt empor, So sah er bei Kolin wohl in die Runde, Und wie er einritt durch das Kränzetor Nach sieben Jahren, mit der Kraft im Bunde. Ich sah, wie er den letzten Blick verlor, Den letzten Hohnblick, mit verzerrtem Munde     Nach Mark Aurelens Büste stur gewendet;     So hat der größte Preußenheld geendet.

Der Imperator stand vor Moskaus Flammen Und schaute noch einmal zurück ins Feuer, Und seine Grenadiere ließ er rammen Den Totensteg nach Frankreich, kein Bereuer. Er rafft bei Waterloo sein Ich zusammen Und hat sein letztes Pulverabenteuer.     Und auf Sankt Helena benagt sein Herz     Ein Rattenvölkchen ohne Scham und Schmerz.

Den Punier sah ich auf dem Elefanten Im roten Byssusturm, und eine Binde Verdeckt das linke Auge dem Giganten. Er streckt den Arm im scharfen Alpenwinde Und zeigt den Weg, den lichtblau überspannten; Der Himmel lächelt seinem Sonntagskinde.     Er öffnet seinen Onyxring zum Trunke;     Verfolgt, gequält erlischt ein Götterfunke.

Der Narr fiel ans dem Menuett indessen In einen Marsch und wilden Schlachtenton. Nun muß sich Hannibal mit Cäsarn messen Und Friedrich boxen mit Napoleon; Und, interessant, mit Fauststoß und Finessen Sucht jeder Lorbeer sich und Ruhmeslohn.     Der Brandenburger schlug den Franzenstreiter,     Die andern stritten unentschieden weiter.

Da schrie dem Clown ich zu: Halt ein, du Schuft! Und riß das Pfeifchen ihm von seinen Zähnen. Weg da! Halt ein! Und alles schwand in Duft; Erschöpft muß ich mich an ein Bäumchen lehnen. Rings um mich her wards still wie Grab und Gruft, Und nichts mehr ließ mich jenes Spukbild wähnen.     Nur schwang den Krückstock noch der alte Fritze:     Laß er hinfüro solche Schelmenwitze!

Zweiter Kantus: Panorama um Golgatha.

Motto:

Tod ist des Lebens höchstes Unterpfand.

Richard Dehmel.

                        Spring an, mein Roß aus Alessandria! Ein sonderbarer Anfang, ich gestehs. Wie jeder weiß, ist Freiligrath Papa Des Verses. Ach, mein Singsang fängt, ich sehs, Wie Diebstahl an; Fluch! in absentia Von Eigenem. O weh des Dichterwehs,     Wenn die Gedanken fehlen und die Reime;     Doch wächst der Baum auch aus gestohlnem Keime.

Aus meinem Fenster, einer Straße zu – Nein, erst muß ich in Schulung mich befinden, Dann läuft die Karre munter, und in Ruh Kann Stanze sich bequem an Stanze binden. Auch möcht ich vorher noch ein Rendezvous (Ich bitte: Stelldichein) in Frühlingswinden     Abmachen. Schade, wir sind im Oktober;     So bleib ich denn Ottave-rime-Tober.

Ich muß es leider sagen: Reichlich bleiern Und blechern klappert ein Ottavenlied. Doch kann es schreien auch, ein Heer von Geiern, Das eine Schlacht eräugt, hoch vom Zenit, Und kann sich wieder senken wie aus Schleiern, Wie letztes Abendrot auf Rohr und Ried.     Trag mich hinaus, du mächtige Ozeanstrophe,     Sei Fürstin mir, und sei auch Kammerzofe!

Auf italienisch fährt der Achterzug Vollendet anmutig durch alle Stege. Auf deutsch ist er beinah schon ein Betrug, Er holpert, stolpert, knarxt, knurxt durch die Wege. Auf italienisch tönts wie Himmelsflug, Auf deutsch wie eine stumpfe irdische Säge.     Nur Byron noch und Goethe, die Husaren,     Durften es wagen, ihn uns vorzufahren.

Wir andern Stümper, ach, du liebe Zeit, Wir sollten bloß den »deutschen Ton« gebrauchen; Der ist des Vaterlandes Kleidsamkeit, Man kann damit »so ins Gemüt« sich tauchen, Sich stets erinnern der Bescheidenheit, »Gott grüß dich, Alter, schmeckt das Pfeifchen« schmauchen.     Ob überhaupt der Vers nicht ganz verschwindet?     Die Prosa diesen »Luxus« überwindet?

Ich mache ziemlich viele »Gänsefüßchen«, Anführungsstriche »offiziell« genannt. Die Muse ist dann »mit Verlaub« ein Müschen, Das manchen »anführt« mit der »hehren« Hand. Wer sich »chokiert« fühlt durch »derartige« Grüßchen, Der »findet« »Gänsefüßchen« »degoutant«.     Sie hießen dann gescheiter: Teufelsschwänzchen.     Und nun lies weiter, liebes deutsches Hänschen.

Von meinem Fenster eine Straße schau ich – Nein, noch geht nicht die Kutsche wie geschmiert; Noch immer, glaub ich, bin zu plump, zu rauh ich, Und eh mein »Sang« unsterblich mich blamiert, Versuch ich, fingerüb ich, bild ich, bau ich, Bis alles gut gereiht ist und gruppiert.     Dann soll ein kleines Schlachtbild sich entrollen,     Bis dahin bitt ich nicht zu laut zu grollen.

In dreien Kriegen war ich; in Gefechten, Ich rechne nach, es können fünfzig sein. Die Ruhmesgöttin sah ich Kränze flechten, Aus Rosen nicht, aus Eingeweid, Gebein, Zerschossenem; ich will nicht mit ihr rechten, Denn großes Ziel verlangt auch große Pein,     Bevor es durch des Geistes Macht errungen,     Durch Lanzenstich und Kolbenstoß erzwungen.

Mein greiser Kaiser Wilhelm, dir Hurra! Bei Königgrätz einst küßt ich dir die Hände. Dein gütig Herz, wie stand es jedem nah, Gutes zu tun, daß jeder Hilfe fände. Dein gütig Herz! säng ich ihm Gloria, Ich müßte schreiben Bände über Bände.     Zu deinen Siegeskränzen, die mich grüßen,     Leg einen Dankeskranz ich dir zu Füßen.

Wer zieht heran? Wer bringt mir seltne Kunde? Was seh ich: meine alten Kameraden. Seid mir willkommen aus dem Schlachtenbunde! Zu einem Becher Blut seid eingeladen! Du da, mein Hans, mit deiner Todeswunde, Und du, und du: und weiter spinnt der Faden,     Der lang sich dehnt: und mehr und immer mehr:     Wie kommt ihr jetzt, in dieser Stunde, her?

Gezogen sind wir durch die Sommerhitze, Gelagert haben wir im Winterwald. Ein Rattenfänger, lockt die Helmturmspitze Im Städtchen an die Fenster Jung und Alt. Und Schritt vor Schritt, ob Sonne oder Blitze, Ob sich der Nebel in den Tälern ballt,     Wir fragten nicht: warum, wohin, wozu?     Ein frisch Marschieren, gernbegrüßte Ruh.

Wie klopft mein Herz! Kommt, setzt euch hin im Kreise. Die Trommeln hör ich, hör die Hörner rufen. O Gott, das ist die nie vergessene Weise. Die Erde bebt. Gestampf von Fuß und Hufen. Gewiehr. Musik. Das All geht aus dem Gleise. Die Fahnen senken sich zu Siegesrufen.     Ich schwenke meinen Helm. Hurra, hurra!     Mein fressiger Degen blitzt Viktoria.

Wenn wir durch frohe Ehrenpforten ziehn, Durch blattgeschmückte, putzt uns mancher Orden. Nicht allen ist die Auszeichnung verliehn, Doch alle waren gleich beherzt beim Morden, Gleich tapfer, bis die Feinde mußten fliehn. Auch mir sind einige davon geworden,     Mit Blut bespritzt, nicht etwa für Gedichte.     Warum auch? das ist keine Weltgeschichte.

Für einen Dichter, doch ich schweige lieber, Sonst käm ich gar in den Verdacht noch – halt: Aus meinem Fenster blick ich oft im Fieber, Im Fieber der Erinnerung. Es knallt; Auf jener Höhe die Geschützeschieber, Der Pferde Sturz, Mannschaft hilft aus, es galt.     Und immer bin ich noch nicht recht im Schuß,     Ich stanzle weiter. Muse, einen Kuß.

Die Deutschen nennen keinen Dichter Künstler; Künstler sind Maler, Musiker, Athleten. Und wär er auch des größten Königs Günstler, Ein Dichter »schadt nix«: Künstler sind vertreten Im Zirkus, Flohtheater, und ein dümmster (Der Reim ist falsch) Tenor wird dem Poeten     Stets vorgezogen. Klagt nicht! Eine Zeit     Kommt auch für euch einst. Atmet auf! Bereit.

Und wann, ich frag euch, kommt einmal die Zeit, Daß man statt eines Leitartikels Öde (Bleibt mir mit Politik vom Hals!) Neuheit Von einem neuen Dichter hinnimmt? Spröde Erwägt der Redakteur die Nützlichkeit. Poet, du bist vertagt, verlassen, schnöde     Wie einer, der in Hamburg wohnt, verloren,     Wenn, Fluch, er ohne Regenschirm geboren.

Poet, ich würde sagen: Je m'en fiche, Wenn Hinz und Kunz an dir herum bekehren Mit ihrem staubzerfressenen Flederwisch. Laß nicht von jedem Laffen dich belehren; Sei du du selbst, dein eigen, frech und frisch, Und laß den Teufel dich die Sache scheren,     Wenn sie dir sagen, daß nach Schiller, Byron,     Und Gott weiß wem, die deutschen Dichter leiern.

Nur gar zu gern ist das ihr Bettelwort, Wenn sie mit dir nichts anzufangen wissen. Und schreien die Familienblätter Mord Vor dir, so laß sie schrein, du kannst sie missen. Denn die Familienblätter sind verdorrt, Weil sie Geschlechtslosem die Fahnen hissen.     Sei stolz, sei frei! Schreib Dich! Vergiß das nie!     Und schreibst du Poesie, schreib Poesie.

Zwar vieles Geld kannst du von da erlangen, Sie zahlen gut, die »Über Land und Meer« Und wie sie heißen; brauchst dann nicht zu bangen, Trägst du nach diesem, jenem heiß Begehr. Zum Beispiel einen Hummer einzufangen, Ich rate bei Jan Cölln, ist dann nicht schwer.     Bei Ehmke singen ich und Fuhrmann Psalmen     Und schleckern demütig Fasan und Salmen.

Noch lieber aber im Hotel »zur Sonne«, Da wirtschaftet mit Energie Frau Meyer. Der Grogk ist da wie eitel Lust und Wonne. Trinkst du zu viel davon, sitzt du im Schleier, Sitzt wie Diogenes in seiner Tonne, Als Philosoph natürlich und Kasteier.     Unübertrefflich ist das Beefsteak dort,     Auch »Münchner Kindl« fand da sichern Port.

Mit Fuhrmann sitz ich auch bei Schmidts zu Zeiten, In Petersens Hotel, da lebt sichs gut; Der edle Karpfen wird den Freund verleiten, Ich wähle Schellfisch à la Prince d'Auboutte. Ein Citran rieselt dort, o Himmelsweiten, Wer möchte nicht ertrinken in der Flut.     Der Wirt, der liebe Schmidt, ist Temperenzler;     Ich werde, täuscht nicht alles, Abstinenzler.

Maximilianus Fuhrmann ist ein Friese, Hartknochig, ruhig, streng und kühl im Schmerz. Und ist er auch im Widerstand ein Riese, Er hat, so klug er ist, ein Kinderherz. Auf seinem Schilde leuchtet die Devise: Ein immer treuer Sinn in Ernst und Scherz.     Wie kann man besser denn der Welt vertrauen,     Als fest auf eines Mannes Wort zu bauen.

Zu Deeke, schlag ich weiter vor, zu gehn, Wenn wir nach gründlich liederlicher Nacht Auf Kaviar Hunger haben. Gegen Zehn Wird dort ein warmes Plättchen angebracht, Um das sogar die Götter lungernd stehn; Magnetisch übt es seine Zaubermacht.     Lebendige Wirtin, liebenswürdiger Wirt;     Es hat sich oft mein Fuß dahin verirrt.

In Altona, nicht in Altohna, wohnt Herr Deeke, und in seiner Nähe lastet Sanft über unsers Klopstocks Grab und thront Die Linde, wo gern jeder Fremde rastet, Der diese Straße kommt; er ist belohnt Durch heilig Land. Und in der Weste tastet     Sein Finger nach dem Blei, um zu Papier     Zu bringen, was die Steine reden hier.

(Hier schmuggl ich eine Stanze ein in Klammer: Herr Deeke ist nach Hamburg hingezogen, Für Altona und Ottensen ein Jammer, Obschon sie unter einem Friedensbogen Mit Hamburg schwingen ihren Arbeitshammer. Aus Ottensen hat Rückert uns gesogen     Die rührend schöne Gräberkranzgeschichte.     Im Alter schrieb er täglich zwölf Gedichte.)

Am Denkmal unsers großen Klopstocks fand ich Einmal ein hübsches Mädchen stehn, die schrieb Den Spruch sich ab. Ein irgendetwas band mich, Sie länger anzuschaun: hab ich dich lieb? Und eine schwere Rosenkette wand sich Sofort um uns, gefangen sitzt der Dieb.     In Ottensen, im Hause ihrer Tante,     War sie, so jung sie war, schon Gouvernante.

Wie alle Weiber, wußte sie blitzschnell, Weils Liebe galt, die Bahn sich frei zu machen. Wir sahen uns zuerst im Dämmerhell, Dann hörten uns verschwiegne Wege lachen Und glücklich sein. Und Amor ist Rebell, Dreist überrennt er Hindernis und Wachen.     Wir trafen uns und waren überselig     In meinen Räumen, jeder Schranke ledig.

Wie las sie vor! Zum erstenmal im Leben Versenkt ich mit Entzücken mich in Goethe. Wie hat sie Odem jedem Wort gegeben. Die Sonne schien aus früher Wolkenröte So »morgenschön«. Anmutig sah ich schweben Der Grazien Schritt zu einer Hirtenflöte.     Bei solchen literarischen Genüssen     Sind Adam, Eva aufgelegt zu Küssen.

Zuweilen nahm ich sie als Pagen mit Im Knabenanzug; meist in ferne Teile Der Riesenstadt verlor sich unser Schritt. Und frischgemut, durch vollgedrängte Zeile, Durch leere Gassen, trieb sich unser Tritt Ohn jede Fährnis und besondre Eile.     Des langweiligen Tages zu genesen,     Half Leichtsinn uns, das lag in unserm Wesen.

Und eine stürmische Dezembernacht: Die Luft ist dumpf und feucht und ungesund, Die Seuche hat sich hämisch aufgemacht, Sie nimmt den Sarg in ihren bösen Bund, Ein Winterwetter und Gewitter kracht, Geängstigt heult vom Kirchhof her ein Hund.     Des Windes Harfenspiel treibt seine Hetze     Durch Telephon- und Telegraphennetze.

Was focht uns an, daß wir in diesen Graus Hinaus uns wagten? Wars nur Übermut, Wars unbewußter Drang, daß wir das Haus Verlassen mußten? Her mit Handschuh, Hut! Und Gutenabend, kleine Fledermaus. Es trieb geheimnisvoll uns unser Blut.     Und kurz, der nächste Zug führt uns ins Land,     Wir steigen aus auf Rastort Unbekannt.

Ein Städtchen nimmt uns auf. Vor einem Gitter Stehn, uralt, eine Esche, eine Eiche; Aus einer Schenke klimpert eine Zither. Hinein! wir sind gewillt zu lustigem Streiche. Hinein! Nur keine Furcht, ich bin dein Ritter; Der Weg zu dir geht über meine Leiche.     Wir lachen, und zwei Freunde, Arm in Arm,     Sind gleich wir mitten unterm Gästeschwarm.

Arbeiter sinds, die hier behaglich trinken; Verständig ist ihr Reden und Benehmen. Der dort spielt Skat, der gabelt seinen Schinken, Und keiner läßt den Abend sich vergrämen. Der eine, der Musik macht, nimmt die flinken Finger nicht von den Saiten. So bequemen     Wir uns in diesen Kreis und hören froh     Bald Tingeltangellied, bald Bolero.

Der Spieler sieht uns unablässig an, Und einmal nickt er uns vertraulich zu; Zuweilen lächelt er. Was will der Mann? Sein Auge läßt uns garnicht mehr in Ruh, Bis ich die Sache ernstlich übersann: Am Besten wärs, wir schnallten uns die Schuh.     Da steht er plötzlich auf, o schlimmer Stern,     Zeigt auf uns, lacht, und sagt: Kiek, das 's 'n Deern!

Und alles schweigt, und alles stutzt und staunt. Herr Wirt, die Zeche bitte. Komm, Dorette. Der Musikant, gleichmäßig gut gelaunt, Setzt sich und trällert eine Chansonette. Und während ein Getuschel rinnt und raunt, Entwinden wir uns rasch der lästigen Kette.     Schon sind wir an der Tür, da hebt die Hand     Ein wüster, finnenübersäter Fant.

Platz da, ruf ich. Doch frech höhnt er uns an. Platz da, weg, oder! und schon warnt mein Stock. Sein Messer blitzt im Nu, und es begann Der Kampf. Getümmel um uns, und ein Schock Von Fäusten droht und drängt an uns heran. Zurück! Es fliegen Krüge, Bank und Bock.     Da trifft der Stahl, statt mich, den Pagen tödlich;     Ich weiß nicht: Farben? schwimmt es schwärzlich, rötlich?

Ich steh allein da; auf dem Gasttisch liegt Mein Page ausgestreckt mit bleichem Munde, Liegt zwischen schmutzigen Karten, Würfeln, liegt Inmitten umgestoßener Gläserrunde, In Bier und Branntwein, Salz und Tellern, liegt In all dem Schlamm mit unrettbarer Wunde.     Erloschen ist ihr Leben und verloren,     Und meine Augen wollen sich umfloren.

Die Linke hängt ihr schlaff vom Rande nieder, Mein rechter Arm hält sie umkrampft, umspannt. Das Lämpchen trübt auf die erstarrten Lider; Rock, Weste, Hemd sind aufgerissen, Band Und Schlips blutig, es schimmern weiß die Glieder, Die zarten Brüste, weiß wie Marmorwand.     Der Sturm gibt draußen lärmend, laut ein Fest;     Mein Kopf liegt auf ihr stummes Herz gepreßt.

Nun keine Störung mehr! Endlich Bataille! Der Tuben Schreckenston. Von meinem Fenster Auf eine Straße seh ich; glaubts, auf Taille! Ein Höhenzug, ein abendglanzbeglänzter, (Wasch ich den Reim auch aus in meiner Balje?) Von blassen Cirruswölkchen ein bekränzter,     Blaut vor mir, den von mir zwei Meilen trennen;     Des Heerwegs Bäume sind kaum zu erkennen.

Die Landstraße weckt mir Erinnerung,