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Aus dem Werk Detlev von Liliencron wurde nur Novellen und Gedichte ausgewählt, welche die Nordsee, Inseln, Halligen und die Nordseeküste thematisieren. Diese thematisieren auch seine bekanntesten Werke wie Trutz, Blanke Hans und Pidder Lüng. Liliencron hat selber einige Jahre auf der Nordeeinsel Pellworm gelebt und war dort als Hardesvogt der Stellvertreter des Landrates.
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Seitenzahl: 99
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Detlev von Liliencron
Novellen und Gedichte
über See und Küste
Moorwolf Verlag
Detlev von Liliencron
Novellen und Gedichte über See und Küste
Moorwolf Verlag 2024
Kontakt: [email protected]
Titelbild: Alexander Eckener: Halligwarft während einer Sturmflut 1906
Vertrieb: epubli
ISBN: 978-3-759821-55-3
© Moorwolf Verlag
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie http://www.dnb.de
Inhalt
Impressum
Über Detlev von Liliencron
Auf Austernfischerjagd
Der blanke Hans
Auf der Marschinsel
Greggert Meinstorff
Gedichte
Trutz, Blanke Hans
Abschied und Rückkehr
Am Strande
Bö
Pidder Lüng
Auf dem Deiche
Hafenlegende
Verbannt
Vun de erschröckliche Springflot
Die neue Sintflut
Up de eensame Hallig
Betrunken
Detlev von Liliencron (eigentlich Friedrich Adolf Axel Freiherr von Liliencron)wurde am 3. Juni 1844 in Kiel als Sohn eines Zollbeamten geboren. Als Jugendlicher soll er sehr alleine gewesen sein und viel Zeit in Garten, Feld und Wald verbracht haben.
Nach seiner Schulzeit entschied er sich für eine Militärlaufbahn. Er trat in die Berliner Kadettenanstalt ein. Als Infanterieoffizier nahm er an zwei Kriegen teil. Wegen seiner Glücksspielsucht und den daraus entstandenen Schulden musste er den Militärdienst danach verlassen.
Er emigrierte 1875 nach Amerika, wo er seinen Lebensunterhalt als Klavier- und Sprachlehrer verdiente. Bereits 1877 kehrte er zurück und fand eine Stellung in der Verwaltung.
1882 wurde er Hardesvogt (Stellvertreter des Landrats) auf der Nordseeinsel Pellworm. Dort lernte die Inseln und das Meer kennen und schätzten. Erst jetzt, mit Mitte dreißig fing er dann auch an, Gedichte zu schreiben. Sein bedeutendstes Trutz, Blanke Hans entstand in dieser Zeit. Das Gedicht wurde mittlerweile mehrfach vertont u.a. von Achim Reichel und Santiano.
Ab 1885 lebte er als freier Schriftsteller, weil er wegen seiner Schulden aus dem Staatsdienst ausscheiden musste. Zu seinem 65. Geburtstag erhielt er zahlreiche Ehrungen wie die Ehrendoktorwürde der Universität Kiel.
Er schrieb bis zu seinem Tod am 22. Juli 1909 in Alt-Rahlstedt.
Detlev von Liliencron galt als einer der bedeutendsten Lyriker seiner Zeit, dessen Werke sehr vielgestaltig sind. Während seine Proastücke eher unbedeutend blieben, hat seine Lyrik sowohl Rainer Maria Rilke wie auch Hugo von Hofmannsthal beeinflusst. Besonders beachtet wurden Großstadtgedichte, aber auch experimentelle wie das hier ebenfalls veröffentlichte Gedicht Betrunken, welches als Bewusstseinsstrom gestaltet ist.
Aus seinen Werken sind für dieses Buch nur Novellen und Gedichte ausgewählt worden, die einen Bezug zur See und der Küste haben.
Moorwolf Verlag
Mein Freund, der Deichhauptmann, erzählte mir:
Unser Haushahn und der Erpel im Winterkleide sind mir die liebsten Vögel. Dann aber folgt für mich der Austernfischer: In den frischesten Farben des neuen Deutschen Reiches lärmt er, sein »Kaditt, kaditt, kaditt« unzählige Male im Liebestaumel ausstoßend, Tag und Nacht am Strand umher. Daß er so schwer zu schießen ist, macht ihn mir noch begehrenswerter.
Selten haben wir auf den Nordseeinseln einen ganz stillen Tag im Frühling. An einem solchen gehe ich nicht ins Bureau, sondern nehme meinen Lefaucheux aus dem Schranke und bin von morgens bis abends unterwegs.
Ich komme in den Krug an der Nordermühle, um mir bei der hübschen Sieck, dem Töchterchen der Wirtin Witwe, ein Mittagessen zu bestellen. Wie frisch das Mädel aussieht, wie sie lacht! Wir sprechen friesisch miteinander. Nachdem der Speisezettel, Bohnensuppe und gekochtes Rindfleisch, festgestellt ist, begleitet mich Sieck vor die Haustür. Ich verspreche ihr, einen »Kaditt« für sie mitzubringen.
Mitten auf dem Deich bleibe ich stehen, nehme meinen Krimstecher und lasse die Augen längs des Strandes laufen. Ah, nun gilt es, vorsichtig zu sein. Genau, oder so gut es gehen will, merke ich mir die Telegraphenstange, in deren Nähe am Ufer einige Austernfischer herumzanken, und gehe dann innerhalb des Deiches vorwärts, bis ich die gemerkte Stange habe. Nun heißt es behutsam die Krone erklimmen. Meine Hündin folgt mir fast trübsinnig; Vorsicht! Vorsicht! langsam, langsam den Kopf über den Deich. Aber die Hundeblume (Löwenzahn) steht schon in ungeheurer Zahl und versperrt mir die Aussicht. Höher muß ich den Kopf heben und – klatsch! nimmt sich der Flug auf, um sich bald vor meinen Augen einige hundert Schritte zurück, woher ich kam, wieder niederzulassen, um ihr Gezänk von neuem zu beginnen.
Aber was ist das? Menschen kommen mir, sich lebhaft unterhaltend, entgegen. Ein großer Arbeitsmann geht direkt auf mich zu und redet mich plattdeutsch an: »Rickmer Slachter is't.« »Nu, wat is mit Rickmer Slachter?« (er heißt eigentlich Rickmer und ist Schlächter). »He is in de Pütten« (zum Deichbau ausgehobene Erde) »verdrunken; wie hemm em vör'n Stunn fun'n.«
Ich gehe mit den Leuten zur Stelle, wo Rickmer, hart am Strande des Wassers, das nicht zwei Fuß tief ist, liegt. Stroh bedeckt seinen Körper, nur die großen, mit Schilf und Schlamm beschmutzten Wasserstiefel gucken hervor. »Ist der Distriktskommissar schon benachrichtigt?« fragte ich. Und ehe ich Antwort habe, sehe ich einen unendlich langen Herrn heranstürzen. Auf dem rechten Arm trägt er noch den Bureauärmel; hinter ihm folgt der Schreiber, ebensolang wie der Kommissar. Beide haben unterwegs in Gedanken schon zwölf bogenlange Berichte über den »Mord« an die Staatsanwaltschaft geschrieben. Nun sind sie bei uns und der Leiche. Das Stroh wird entfernt. Rickmer Slachter sieht aus, wie alle Ertrunkenen aussehen, widerlich. Der Kommissar wühlt an dem Toten herum, um »Merkmale« für den Mord zu finden. Umsonst. Ich wage, dem hohen Herrn die Bemerkung zu machen, daß hier kein Mord oder Totschlag vorliegen dürfte. Die fast ganz geleerte Branntweinflasche liege als Beweis am Ufer. Rickmer, der vom Schilfschneiden gekommen, sei betrunken gewesen und infolgedessen beim Ufererklimmen zurückgefallen, oder ihn habe der Schlag gerührt. Er habe keinen Feind gehabt, wie jeder der Umstehenden wisse.
»Ich bitte nunmehr« (o du süßes Bureauwort), »mich nicht zu stören,« sagt ärgerlich der Polizeiherr.
»Guten Morgen, Herr Kommissar.«
Ich schlendere wieder auf dem Deich, um mich nach Austernfischern umzusehen. Statt diese zu erblicken, bemerke ich, zufällig in die Insel schauend, nicht weit von mir aus einem Bauernhause eine ganz feine Rauchwolke steigen, die plötzlich dick und schwarz wird. Herr Gott! Das ist ja Feuer!
Fort! Hin!
Als ich ankomme, steht das ganze Haus in Flammen. Die nächsten Nachbarn sind schon mit Eimern und Haken zur Stelle. Alles geht schweigsam, ruhig und anständig zu. Der Friese verleugnet sich nie.
Der Besitzer steht im Garten wie versteinert; fort und fort murmelt er: »Wo kan't angohn, wo kan't angohn.«
Wir retten, was zu retten ist. Einen helfenden Greis sehe ich in der tüchtig brennenden Stube; er hat ein Paar alte, verschlissene Morgenschuhe in der Hand, die er hin und her wendet, ob es auch der Mühe wert sei; er vertieft sich immer mehr in seine Betrachtungen. »Na, nu man rut, Jan,« rufe ich ihm zu.
Ein kleiner, rotbackiger Bauernjunge steht in der Küche; er hat einen auf dem Herde bretzelnden Pfannekuchen erobert und stopft und stopft, höchst unbekümmert um das ihn schon umprasselnde Dach.
Ein in der Landschaft just anwesender, sehr blaß aussehender Tanzlehrer, der ein Gesicht wie eine Untertasse hat, gibt sich die äußerste Mühe, einen Gardinenhalter zu fünfzig Pfennig abzuschrauben, statt sich an der Rettung des großen Leinenschrankes zu beteiligen, den wir mit größter Mühe hinauszuschaffen suchen.
Endlich müssen wir aus dem Hause, es ist die höchste Zeit.
Fast alle Möbel sind in Sicherheit gebracht.
Draußen steht schon der Polizeiherr. Es ist der zweite »Fall« heut'. Er diktiert seinem Schatten. »Schreiben Sie,« wiederholt er oft.
Zwei Stunden später, als von mir angesagt, komme ich zu Sieck. Die Bohnensuppe ist noch nicht verbrannt. Sie schmeckt ausgezeichnet.
Während ich meinen Kaffee trinke, nehme ich ein auf der Bank liegendes Büchlein in rotem Papierbande:
Nr. 44
Des Pfarrers Tochter von Taubenheim
oder
Herr, führe uns nicht in Versuchung.
Ich finde entzückend schöne Stellen darin, z. B.: Röschen traute der eminenten Ausrede, hoffte von Woche zu Woche auf Nachricht von dem Geliebten, aber – vergebens. Indessen spürte sie die Folgen ihrer nächtlichen Zusammenkünfte mit Rudolf und – war der Verzweiflung nahe. Wie Schnee lag die Blume der gebrochenen Unschuld auf den sonst so blühenden Wangen...
Mit geballter Faust, rollenden Augen, fliegenden Haaren (der Regen klatschte wimmerlich an die Fenster) schnellte Röschen, wie von einer Viper gestochen, vom Sessel auf, trat vor ihren Verführer und schäumte ihm entgegen: »Geh, Elender, ich verachte dich, denn du bist ein ehrloser Mensch. Geh, herzloser Mädchenschänder, verflucht seist du vor meinen Augen.«
Rudolf zitterte vor diesem Fluche der von ihm gemordeten Unschuld...
Und so geht es fort.
Der Verfasser schließt, um seinen an Bürger begangenen Diebstahl doch wenigstens zu gestehen:
Allnächtlich herunter vom Rabenstein,
Allnächtlich herunter vom Rade,
Huscht bleich und molkicht ein Schattengesicht,
Will löschen das Flämmchen und kann es doch nicht,
Und wimmert am Unkengestade.
Man mag denken über diese Ballade Bürgers, wie man will; aber »Zug« ist drin.
Auf meinem Heimwege gehe ich an einem Hause vorbei, das seit vielen Jahren leer steht; der Besitzer ist verschollen. Nachdem die gesetzliche Frist abgelaufen ist, hat es eine alte Schneiderwitwe aus Kiel geerbt. Sie will es morgen öffentlich verkaufen lassen. Das Haus gehörte dem Schiffer Hinrich Petersen, Hinrich Schipper genannt, auch Hinrich Glücksteert, denn er verstand es, Taler auf Taler zu legen, ohne daß sie ihm wieder davonliefen.
Hinrich und Heinrich.
Der alte Schiffer Hinrich Petersen saß im kleinen Inselhafen auf seinem Schiff und nähte an Säcken. Die Beine ließ er in den oben geöffneten Lagerraum baumeln. Eine große Hornbrille bedeckte die Augen; über den Hinterkopf war sie mit einem Bindfaden befestigt.
Er saß tief gebückt, wie ein geborener Schneider, über seiner Arbeit. Trifft sich schlecht, wenn ein Seemann nicht gute Augen hat; Hinrich Glücksteert hinderte es nicht. Ein so gewiegter Geschäftsmann und berechnender, kluger Kopf er war, zeigte er sich als Führer seines Schiffes nicht minder tüchtig. Dazu kam ihm doppeltes Glück: als Kornmakler und Handelsmann und– daß er beispiellos von Wind und Wetter begünstigt wurde. Bei zweifelhaften Aussichten verließ kein Kapitän eher den Hafen als Hinrich Petersen. Wie eine kleine Flotte sah es dann aus, vornweg das Admiralschiff Peter Glücksteerts.
Zuweilen sah er heut' über die Brille fort nach dem Knopf einer dicht neben dem Ewer ragenden hohen Stange, an dem ein alter, verbrauchter Torfkorb hing: ein Zeichen für die Insel nah und fern, daß Hinrich Petersen von Altona zurückgekehrt sei mit den tausend bestellten Bedürfnissen. Und scharenweise kamen denn auch die Leute, um sich Rosinen, Torf, Besen, Holz, Seife und was weiß ich, abzuholen. Dann freilich mußte er von seiner Näharbeit abstehen, um das Verlangte aus den unteren Räumen herauszunehmen. Er sprach wenig dabei, nahm das Geld ohne Dank und machte sich wunderliche Zeichen in sein Notizbuch; Schreiben und Lesen hatte er nicht gelernt.
Von der Insel nach Altona hin brachte er Korn, Kartoffeln und Winterbutter. In der großen Stadt hatte er nur einen Abnehmer, den reichen Kaufmann Senator M. H. Regentropf. Mit diesem, einem alten, geriebenen »Schlaumeier«, saß er stundenlang im Kontor, beide rechnend, beide sich betrügen wollend, beide grenzenlos vorsichtig, und beide – sich verstehend.
Und Taler auf Taler häufte sich bei Hinrich Petersen.
Der alte Schiffer, aus einer katholischen Familie Nordstrands stammend, unterließ nie, nach glücklich vollendeter Fahrt der Heiligen Jungfrau eine Kerze zu weihen. Zuweilen auch, und das hatte ihm der gute Priester van der Roiten erlaubt, schenkte er die Kerze der protestantischen Kirche auf seiner Insel, wo er seit Jahren wohnte. Und der liebenswürdige alte Pastor nahm sie lächelnd und freundlich für seinen Altar an.
Nie auch unterließ er es, einen Tag nach seiner Rückkehr im Gotteshaus seine Gebete zu murmeln. Der greise Prediger war innig gerührt.
Lange schon war Hinrich Glücksteert Witwer; auf der Insel wurden tolle Geschichten aus seinem ehelichen Leben erzählt: er habe sein Weib so lange mit seinem Geiz, mit seinen Nörgeleien einerseits, mit seiner Wortkargheit andererseits, gequält, bis sie wahnsinnig geworden sei. Ja, es wurde sogar davon geredet, daß er sie erdrosselt habe. Soviel stand fest: die arme geistesschwache, kränkliche Frau war in einer Winternacht plötzlich gestorben, und schon, ganz gegen die Sitte der Insel, am zweiten Tage beerdigt worden.
Aber das war lange her.