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"Ich habe Hudson überlebt, ich habe die Säuberungen unter Sato überlebt, ich habe einen Job und es gefällt mir hier. Manchmal bist du eben Polizeichef und ganz oben, manchmal bist du der letzte Privatermittler der Stadt und siehst aus wie ein übergewichtiger Penner. Und wenn Sato und die IFIS ganz ehrlich mit sich wären, müssten sie sich eingestehen, dass sie jemanden wie mich in Porterville brauchen." (Hank Parker)
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Seitenzahl: 75
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PORTERVILLE
- Folge 9 -
„14 Sekunden“
Simon X. Rost
- Originalausgabe -
1. Auflage 2013
ISBN 978-3-942261-51-7
Lektorat: Hendrik Buchna
Cover-Gestaltung: Ivar Leon Menger
Fotografie: iStockphoto
Psychothriller GmbH
www.psychothriller.de
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Ein Buch zu schreiben, dauert Monate. Es zu kopieren, nur Sekunden. Bleiben Sie deshalb fair und verteilen Sie Ihre persönliche Ausgabe bitte nicht im Internet. Vielen Dank und natürlich viel Spaß beim Lesen! Ivar Leon Menger
Prolog
„Wir waren die Ersten, die kamen. Die Könige und Königinnen. Sieben der renommiertesten Wissenschaftler des Landes. Koryphäen auf ihrem Gebiet. Und ich. Vor 44 Jahren. Als wir ankamen, war der Bau nicht mehr als ein niedriger Korridor mit dem Labortrakt an einem und acht engen Wohneinheiten am anderen Ende. Seitdem ist viel passiert. Wir haben den Bau stetig erweitert. Er wuchs wie organisches Gewebe. Je weiter wir die Forschung vorantrieben, desto mehr Budget wurde bereitgestellt. Je mehr Gelder flossen, desto mehr Möglichkeiten hatten wir. Es war ein kometenhafter Aufstieg. Bis zur Mayflower. Der ersten bemannten Reise. Seitdem ist nichts mehr so, wie es war. Projekt Zero-Zero hat seine Unschuld verloren.“
Prof. Paul Higgins
NSA-Zentrale, Maryland
- 1 -
Zuerst blinzelt sie, und die Augen werden feucht. Die Träne schimmert eine Weile in ihrem Augenwinkel, bis sie schließlich über ihre Wange läuft. Dann atmet sie tief ein, und führt den Handrücken zum Mund, so als müsse sie verhindern, dass sie zu schreien beginnt. Es ist herzzerreißend. Ich bin zwar nicht aus Zucker, aber das sind die Momente, in denen mir mein Job keinen Spaß macht.
„Ja. Tut mir leid. Es ist Ihr Vater“, sage ich. Michelle Balfour starrt noch immer auf die Fotos, die einen vierundsechzigjährigen, dünnen Mann mit schütterem, grauem Haar zeigen. Wie in einem langsamen Trickfilm sieht man auf den einzelnen Bildern, wie er eine Schreibtischschublade in einem Büro öffnet, eine Geldkassette hervorzieht und ein dickes Bündel Mac-Kingsley-Karten entnimmt. Deutlicher kann ein Beweis nicht sein. Und das weiß Michelle, so gerne sie es leugnen würde.
Michelle ist eine attraktive, blonde Frau in den frühen Vierzigern und sie ist die Geschäftsführerin von „Balfour Dry Cleaners“ mit Filialen in der Heightstreet, der Filmore und der Houston. Das Haupthaus ist am Cleeveland Drive. Und sie wollte von mir wissen, wer in ihre Kasse greift.
Michelle hatte zuerst die Sekretärin, dann den Buchhalter im Visier, aber von denen wars keiner. Ich hab mich ein paar Nächte lang auf die Lauer gelegt, schließlich habe ich Daddy Balfour in flagranti erwischt. Tja, dumm gelaufen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass er das Unternehmen erst vor zwei Jahren an seine Tochter überschrieben hat.
Durch die Jalousien dringt geschnittenes Licht ein, es ist knallheiß hier drin und der Ventilator an der Decke schiebt die feuchtwarme Luft durch den Raum. Michelle, die bisher stand, lässt sich kraftlos auf den hölzernen Bürostuhl sinken, der vor meinem Schreibtisch steht. Ich wusste schon, dass das nicht schön wird und habe den Bourbon griffbereit. Das Zeug kostet inzwischen ein Vermögen, wenn man es überhaupt bekommt, aber wenn es jemals jemand gebraucht hat, dann ist das hier und jetzt Michelle Balfour. Ich schenke uns beiden ein, reiche ihr das Glas.
Dankbar nimmt sie es entgegen, wischt sich die Träne von der Wange und trinkt in großen Schlucken. Dann räuspert sie sich, blickt aus geröteten Augen zu mir auf und stammelt: „A-aber, Mr. Parker, warum ... ich meine, wozu ...?“
„Ihr Vater verbringt viel Zeit im Casino, Mrs. Balfour. Ich fürchte, er hat ein handfestes Problem.“
„Sie meinen ... Spielsucht?“, fragt sie mit heiserer Stimme und ich nicke. Von dem kleinen Stricher, den ihr Vater nach dem Casino immer besucht, erzähle ich ihr nichts. Etwas Würde muss man dem alten Mann ja lassen. Und sie bezahlt mich auch nicht, um seine sexuellen Vorlieben auszuspionieren. Sie wollte nur wissen, wer in die Kasse greift. Alles andere geht mich nichts an.
„Es tut mir sehr leid, Mrs. Balfour.“, sage ich. „Aber immerhin wissen Sie jetzt dass Ihre Sekretärin und der Buchhalter Sie nicht hintergehen.“
Sie nickt matt und ich weiß, das ist ein schwacher Trost, aber es ist die beste schlechteste Überleitung, die mir gerade einfällt. „Konnten Sie im Gegenzug etwas für mich tun, Mrs. Balfour?“
Sie nickt, kramt in ihrer Handtasche. Dann zieht sie ein Tablet hervor, ein flaches, quadratisches Gerät mit einer Seitenlänge von fünf Zentimetern. Die Wäschereien scheinen gut zu laufen, kaum jemand in Porterville kann sich ein Tablet leisten. Michelle wischt ein paar Mal über den Bildschirm, dann hält sie es mir hin.
Man sieht eine Frau in den späten Sechzigern. Sie liegt zugedeckt in einem Krankenbett, scheint apathisch aus dem Fenster zu starren. Sie ist alt geworden, sie sieht verwirrt aus. Aber sie ist es. Ganz bestimmt. Martin muss es erfahren.
Ich seufze, atme tief durch, dann kopiere ich das Bild auf einen Stick und gebe Michelle das Gerät zurück.
„Vielen Dank. Wurden Sie gesehen, als Sie das Foto aufgenommen haben?“
Michelle schüttelt den Kopf. „Wir machen die Wäsche des St. Vincent Pflegeheims seit über zehn Jahren. Niemand hat mir große Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl ich die Auslieferung normalerweise ja nicht persönlich mache. Aber ich glaube, es interessiert das Personal dort auch nicht, was man macht. Ob man jemanden besucht oder nicht, meine ich. Das Heim, es ... ist nicht besonders gut. Ist die Frau eine Verwandte von Ihnen?“
Ich antworte nicht auf ihre Frage. „Vielen Dank noch mal, Mrs. Balfour. Sie haben mir sehr geholfen. Mit Ihrer Anzahlung und diesem kleinen Dienst sind wir quitt. Und nochmals: tut mir leid, dass ich Ihnen keine angenehmeren Informationen liefern konnte. Seien Sie nicht zu hart zu ihm, hm?“
Sie nickt und steht auf. Ihr hellblaues Kostüm wirkt ein wenig wie die Uniform einer Stewardess. Sie ist schlank, sehr schlank und als sie sich auf dem Weg zur Tür plötzlich umdreht, ertappt sie mich dabei, wie ich ihr auf den Hintern gucke. Aber sie lächelt matt, nimmt es wohl als ein Kompliment. Und das ist es auch.
Oder lächelt sie nur nachsichtig über einen dicken, alten Ex-Polizisten, der mit einer Frau wie ihr gar nichts anfangen könnte? Wie dem auch ist, ich lächle zurück.
„Bitte empfehlen Sie mich in Ihrem Bekanntenkreis, falls jemand ein ähnliches oder ein ganz anderes Problem haben sollte. Sie wissen ja: ich bin sehr diskret. Niemand muss zur IFIS gehen, wenn er oder sie nicht will.“
Sie nickt erneut, dann geht sie grußlos aus meinem Büro. Mein Telefon klingelt.
- 2 -
„Sind Sie Parker? Hank Parker? Der ehemalige Polizeichef von Porterville?“
Eine weibliche Stimme. Nicht mehr jung, noch nicht alt. Etwas rauchig aber auf eine angenehme Art.
„Wer will das wissen?“, belle ich ins Telefon. Ich kann mir nicht leisten, zu freundlich zu sein. Die IFIS weiß, dass es mich gibt. Aber sie weiß nicht, was ich mache. Ich schätze, man hat zwar das Interesse an mir verloren, aber das kann schnell wieder erwachen, wenn man herausfindet, in welcher Branche ich tätig bin.
Die Frau atmet hörbar tief durch. Sie räuspert sich, dann sagt sie: „Mein Name ist Denise. Denise Fitzgerald. Meine Eltern haben früher in der Stadtverwaltung gearbeitet. Damals. Noch für Hudson, wissen Sie?“
Sie stockt. Ist das ein Zittern ihrer Stimme? „Sheryl und Oliver Norrington, sie war im Katasteramt und er –“
„Er war in der Finanzverwaltung, ich weiß, Mrs. Fitzgerald. Ich kannte Ihre Eltern. Feine Leute. Schlimmes Ende. Mein Beileid.“
„Danke“, höre ich sie sagen, dann schweigt sie.
Das ist gut. Nicht das Schweigen. Das mit ihren Eltern. Ehemalige Mitarbeiter Hudsons und ihre Angehörigen sind die vertrauenswürdigsten Kunden. Sie reden nicht gern über die alten Zeiten. Aber sie wissen, wer ich war und dass man mir vertrauen kann, weil ich auch nicht darüber rede.
„Wie kann ich Ihnen helfen, Mrs. Fitzgerald?“, frage ich sie.
„Man sagt, Sie können Probleme lösen. Helfen bei Rätseln, wenn man nicht zur IFIS gehen kann.“
„Das ist richtig, Mrs. Fitzgerald. Und Sie können nicht zur IFIS gehen?“
„Nein, kann ich nicht.“ Sie seufzt. Dann ist es still am anderen Ende der Leitung, als sei damit alles gesagt.
„Mrs. Fitzgerald? Wollen Sie mir nicht erklären, um was für eine Art Problem es sich handelt?“
Wieder Stille. Sie denkt nach. „Nein“, klingt es schließlich aus dem Hörer. „Nicht jetzt ... nicht am Telefon, meine ich. Es ist ... es ist nicht einfach, manchmal denke ich, ich bin verrückt oder albern oder beides, wissen Sie?“
„Ja“, sage ich und habe keine Ahnung, wovon sie redet. „Das kommt vor.“
„Können Sie zu mir kommen, Mr. Parker? Hier in mein Haus, meine ich? Auch wenn Sie mich dann auslachen und den Fall ablehnen, bezahle ich Ihnen Ihre Zeit.“
„Das ist nett von ihnen, Mrs. Fitzgerald. Wir werden sehen, ob es nötig ist.“