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Ditho steht vor einem Scherbenhaufen. Sein Vater ist tot, ein Widersacher brennt ihm die Burg nieder und will ihn hängen lassen. Hilfe naht von unerwarteter Seite: Friedrich Barbarossa, Anwärter auf den Kaiserthron, nimmt den jungen Adligen in seine Dienste. Er soll einen Meuchelmörder aufspüren, der Kaiser Konrad auf dem Gewissen hat und nun auch Barbarossa nach dem Leben trachtet ...
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Seitenzahl: 591
Simon X. Rost
Wie ein Falkeim Sturm
Historischer Roman
Lübbe Digital
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG erschienenen Werkes
Lübbe Digital in der Bastei Lübbe GmbH & Co. KG
Originalausgabe
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Copyright © 2011 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Lektorat: Dr. Stefanie Heinen
Textredaktion: Monika Hofko, München
Titelillustration: Sophonisbe Receives the Poison Cup by Simon Vouet (1590–1649), Gemäldegalerie Alte Meister, Kassel, Germany / © Museumslandschaft Hessen Kassel / The Bridgeman Art Library
Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau
Datenkonvertierung E-Book:
hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-8387-0491-3
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Für meine Eltern
I. Teil
Dunkelheit
»Der Blitz raubt ihnen beinahe das Augenlicht. Sooft er ihnen Licht gibt, gehen sie darin voran, und wenn es dunkel um sie wird, so bleiben sie stehen. Und wenn Allah wollte, hätte Er ihnen gewiss Gehör und Augenlicht genommen. Wahrlich, Allah ist über alle Dinge mächtig.«
Koran, zweite Sure, Vers 20
13. Februar 1152, Wangen
Das Lachen des hünenhaften Mannes mit der dunklen Haut dröhnte über den Marktplatz, und die Händler und Kaufleute wandten den Kopf, um den merkwürdigen Fremden besser sehen zu können. Sein ausgestreckter Finger deutete auf einen kleinwüchsigen Mann, der ihm gegenüber an einem der aufgereihten Schanktische saß. »Dem Zwerg ist Dummbeutel. Er versteht dem einfach nicht! Er hört dem nicht zu!«
Jasmo verschluckte sich an dem letzten Rest Bier aus seinem Krug. Erst hustete er, dann schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. »Selber Dummbeutel, Muselmann! Einer muss es ihm doch sagen, und wenn du nicht Manns genug bist, tu ich’s eben! Besorg uns lieber noch was von der wässrigen Plörre, die sie hier Bier nennen, bevor ich dich einen Kopf kürzer mache!«
Jasmo schob seinen leeren Krug über das grobe Holz. Der Hüne, der ihm gegenübersaß, lachte so laut auf, dass die umstehenden Besucher des Marktages noch neugieriger auf die beiden Streitenden starrten. Die Menschen traten näher, um nichts davon zu verpassen, was ein unterhaltsames Schauspiel an einem kalten Februartag zu werden versprach.
»Und wie willst du dem machen, Zwerg? Steigst du auf dem Tisch und stellst Stuhl obendrauf?«
»Ich heiße Jasmo, falls es dir entgangen sein sollte, Holzkopf, und ich bin schneller, als ein Heide wie du auf drei zählen kann, auf deine Schulter geklettert und hab dir eine Kerbe in den Hals gehauen!«
»Versuch dem doch, kleiner Mann, versuch dem! Wenn ich dir am Hals packe, kommst du mit Armen nicht bis zu mein Kopf, und Füße hängen in Luft!« Wieder lachte er schallend.
Jasmo war rot angelaufen, und die umstehenden Bauern, Handwerker, Wirte, vereinzelte Ritter und Mönche umringten sie jetzt, als wären die beiden eine bestellte Gauklertruppe. Fassungslos starrten sie auf den flachsblonden Kleinwüchsigen in der bunten Narrenkluft und auf den baumlangen Muselmanen, dessen dunkle Haut in der Wintersonne glänzte und an dessen fremdartigem Waffenrock ein reich verzierter Dolch und zwei Krummsäbel hingen.
Jasmo stieg tatsächlich auf den Tisch und presste seine kleine, spitze Nase an die dicke, wulstige des Sarazenen. »Ach ja? Ach ja? Langsam krieg ich richtig schlechte Laune, Hasan Ölauge, und ich warne dich: Wenn ich schlechte Laune habe, wirst du dir wünschen, deine Mutter hätte deinen fetten Arsch niemals auf diese Welt gepresst!«
Hasan presste die Kiefer aufeinander, und sein Hals schwoll an. Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf, sodass er den Narren um mindestens drei Köpfe überragte, obwohl dieser auf dem Tisch stand. Die Gaffer um sie herum hielten den Atem an. Hasan spie seine nächsten Worte förmlich aus. »Pass auf, was du dem von meinem Mutter redest, Zwerg, sonst siehst du heute noch deinem Gott!«
»Ach ja? Dann nimm den ›Dummbeutel‹ zurück, aber schnell!«
»Niemals.«
»Sofort! Oder ich …«
»SCHLUSS JETZT!«
Der Schrei ließ alle auf dem Marktplatz zusammenfahren. Keiner hatte dem dritten Mann am Tisch des Hünen und des Zwerges bislang Beachtung geschenkt, weil er das Gesicht in den Händen vergraben hatte, als seine Tischnachbarn zu streiten anfingen. Doch jetzt ruhten aller Augen auf ihm.
Der Mann war noch jung, doch graue Schläfen ließen ahnen, dass er bereits einiges erlebt hatte. Vor allem die lederne Augenklappe über dem linken Auge und die Narbe, die sich von der Stirn bis zu seinem rechten Jochbein zog, legten nahe, dass er kein Grünschnabel mehr war. Er trug einen schwarzen Mantel über einem ebenso schwarzen Rock, und ein Kettenhemd spannte sich über seiner breiten Brust. Doch an seiner Seite hing kein Schwert, keine Axt, ja nicht einmal ein Dolch, was vor allem den umstehenden Rittern befremdlich vorkam.
Der Mann schüttelte entnervt den Kopf, wobei sein schulterlanges schwarzes Haar aus dem Gesicht fiel und seine scharf geschnittenen Züge zeigte. Er sah aus wie ein Prinz. Ein Prinz mit einer Augenklappe.
Der Ritter stand auf, legte jedem der beiden Streithähne eine Hand auf die Schulter und drückte sie zurück auf ihren Platz. »Ihr haltet jetzt den Mund! Beide! Verstanden?«
Sein eines Auge funkelte in eisigem Blau, und der Hüne und der Zwerg schluckten, als der Blick sie traf. Schweigend setzten sie sich hin, und die Schaulustigen zerstreuten sich langsam und traten in den schmatzenden Matsch zwischen den Marktständen.
Es herrschte Tauwetter, und die Eiszapfen an den Dächern tropften auf die aufgespannten Leinenbahnen über den Auslagen der Tuchhändler und Fleischer. Vogelhändler standen vor gestapelten Käfigen und boten Finken, Dompfaffen und Nester mit Eiern an. Mit ihrem Geschrei versuchten sie die Seiler nebenan zu übertönen, die lautstark Hanf und Flachs, Bindfäden und Zeltplanen anpriesen. Der Geruch von Zwiebeln, Knoblauch, gebratenem Schwein und gekochtem Fisch, gemischt mit dem Duft von Honigkuchen und Bier, hing in einer dichten Wolke über dem Platz.
»Weißt schon, hab’s nicht so gemeint …« Jasmos Murmeln war zwar für ihn selbst kaum zu hören, aber der Sarazene wusste die zerknirschte Miene des Narren zu deuten, und auch seine Züge entspannten sich.
»Ich bitte um dem Verzeihung. Ich vergesse dem Manieren.« Hasan neigte das Haupt zu einer kleinen Verbeugung, und der Zwerg tat es ihm nach.
Wieder trat Schweigen ein. Bis Jasmo aus tiefer Seele seufzte. »Und doch ist es eine Schande, Ditho, eine gottvergessene Schande, was du tust!«
»Und warum?«
»Weil du ein Ritter bist, zur Hölle!«
Einige Bauern und Handwerker merkten auf, als der kleine Mann von der Hölle sprach, und bekreuzigten sich.
Jasmo senkte die Stimme. »Du kannst nicht im Ernst ein Unfreier werden. Warum zum Henker solltest du das wollen?«
»Das habe ich dir schon gesagt. Weil ich ein Ministeriale werden will. Ich ziehe nicht mehr in den Kampf. Ich werde lesen und schreiben lernen und meine Dienste König Konrad anbieten. Er will nach Rom und Kaiser werden. Er wird lange weg sein und braucht Leute, die sein Reich verwalten.«
»Er braucht vor allem Krieger, und du bist ein Krieger, Ditho von Ravensburg! Dein Vater ist noch keine Woche unter der Erde, und er dreht sich schon jetzt im Grabe um, wenn er dich reden hört!«
»Red keinen Unsinn, Jasmo. Ich habe einen Boten mit einem Brief an einen alten Freund geschickt, der sich für mich beim König verwenden soll.«
Jasmos Augen weiteten sich in Entsetzen. »Das hast du nicht!«
Hasan schmatzte ärgerlich. »Dem Zwerg ist Dummbeutel. Hört nicht zu, was du dem sagen, Ditho.«
Augenblicklich schwoll Jasmos Schlagader wieder an, und sein ohnehin gerötetes Gesicht nahm die Farbe eines gekochten Flusskrebses an. »Du wagst es, Heide? Du willst es wirklich wissen, oder?«
Jasmo sprang auf die Bank, und Hasan richtete sich wieder auf, als Dithos Hände blitzschnell nach vorne schossen und beide an den Ohren packten, worauf der Sarazene und der Narr schmerzhaft das Gesicht verzogen. Ditho sprach sehr leise, ohne die Ohren seiner Tischnachbarn loszulassen. »Ruhig, Männer. Ganz ruhig. Jasmo: Der Herr dir gegenüber heißt Hasan ibn Saud al Umara, aber ich denke, er wird sich mit Hasan begnügen. Und Hasan: Der Mann zu meiner Rechten heißt Jasmo. Nicht mehr und nicht weniger. Einfach Jasmo, und ich kenne und schätze ihn als Freund, seit wir als Kinder zusammen in der Burg meines Vaters gespielt haben. Ich bin mir sicher, ihr werdet beide bald genauso gute Freunde werden, und ich rate euch, es von ganzem Herzen zu versuchen. Sonst setzt’s was, verstanden?«
Als der Zwerg und der Hüne etwas murmelten, das Ditho mit viel gutem Willen als Zustimmung deuten konnte, ließ er sie los.
Hasan versenkte sich verschämt in seinen Humpen Milch, und Jasmo stand grunzend auf, um sich ein neues Bier zu holen.
Der Mann mit der Augenklappe ließ den Blick über die zahlreichen Marktstände schweifen, die man in Wangen aufgebaut hatte. Um das Kloster der Mönche aus dem fernen Sankt Gallen herum war im Laufe der Jahre ein Marktflecken mit Kaufmannshäusern und Handwerkerhütten entstanden. Über dem Ort thronte eine wehrhafte Schutzvogtei, von der aus man mit dem Bau einer Mauer begonnen hatte, die das Dorf schon bald umfassen würde. Viel hatte sich verändert in Wangen, seit er vor fünf Jahren zum letzten Mal hier gewesen war. Nicht einmal mehr den Turm der Neuravensburg konnte man jenseits der Hügel im Südwesten sehen, weil neue Häuser den Blick darauf verstellten.
Die Burg, auf der er seine Kindheit verbracht hatte, verfiel seit Jahren. Ditho war zutiefst erschrocken, als er sie nach seiner langen Abwesenheit zum ersten Mal wiedergesehen hatte. Das Dach war undicht, Steine brachen aus der Mauer des Palas, und die Deckenbalken im Rittersaal waren morsch. Nach der Beerdigung seines Vaters hatte er die Burg abgeschritten, hatte sich die Schäden angesehen und beschlossen, sie wieder aufzubauen, soweit seine Mittel es erlaubten. Deswegen war er mit seinen Freunden nach Wangen auf den Markt geritten und hatte mit Handwerkern gesprochen. Wangen, weil es sehr viel näher lag als Ravensburg, die Stadt seiner Vorfahren. Doch Wangen war nicht ungefährlich.
Wangen gehörte den anderen.
Ditho erinnerte sich, wie sein Vater ihn als Knaben zum ersten Mal mitgenommen hatte, als der mit dem staufischen Vogt der Stadt wegen der Flurgrenzen gestritten hatte. »Verhandeln« hatte sein Vater es genannt. Die Flurgrenzen zwischen Welfen und Staufern waren stets ein willkommener Anlass gewesen, den Händel, den die beiden Fürstengeschlechter im ganzen Reich blutig austrugen, auch noch in den letzten Winkel zu tragen. Dass Wangen und Ravensburg die letzten Winkel der Welt waren, daran hatte Ditho nie gezweifelt. Er wollte schon weg aus dieser Gegend, als er gerade einmal gehen konnte.
»Was ist hinter dem Hügel, Vater?«, hatte er gefragt, als er mit acht Jahren zum ersten Mal mit seinem Vater auf die staufische Besitzung zugeritten war.
Sein Vater hatte den Kopf schräg gelegt, überlegt und dann ausgespuckt. »Da sind Staufer. Dann kommt der See.«
»Und hinter dem See?«
»Kommen die Berge. Und dann Italien.«
»Und dahinter?«
»Das Meer.«
»Und was kommt hinter dem Meer?«
»Hinter dem Meer kommt das Heilige Land, und jetzt halt den Mund, Herrgott noch mal!«
Das Heilige Land. Ditho hatte es gesehen. Und mit einem Auge dafür bezahlt. Er wischte den Gedanken beiseite, als er sah, wie Jasmo zurückkam. Der übellaunige Hofnarr seines Vaters war zusammen mit der baufälligen Burg, mit Magda, der betagten Köchin, und mit Walther, dem stämmigen Schmied, seine einzige Erbschaft gewesen.
»Er ist da. Wir sollten verschwinden, bevor es Ärger gibt.« Jasmo war sichtlich aufgeregt. Er wies mit dem Kinn in Richtung der Marktstände.
Ein feister Ritter schritt in Begleitung einiger bewaffneter Büttel über den Platz und machte dabei einen weiten Bogen um die großen Haufen Schweinekot, die allenthalben herumlagen. Über einem roten Rock, der von einer kostbaren goldenen Tassel zusammengehalten wurde, trug er ein Kettenhemd, und ein Schwert baumelte an seinem Gürtel. Er war kahlgeschoren, und sein massiger Kopf schien direkt in den muskulösen Körper überzugehen. Der Ritter führte die kleine Truppe an, ging von Stand zu Stand und griff in die Auslagen der Händler, bediente sich nach Belieben an Geräuchertem und Pasteten, während er einem ihn begleitenden hohlwangigen Mönch etwas in dessen Wachstafel diktierte.
Die junge Marktfrau, bei der er stehen geblieben war, sah ihm mit versteinerter Miene zu, als der Ritter, ohne zu zahlen, nach ihren Waren griff. Er sagte etwas zu ihr, und sie lief rot an, genauso wie der Mönch. Die Büttel lachten.
Dithos Auge verengte sich zu einem schmalen Schlitz. »Wir gehen. Wir können das Baumaterial auch ein anderes Mal besorgen.«
Hasan war den Blicken seiner Begleiter gefolgt. »Wer ist dem Ritter?«
»Gernot von Wangen, er ist der staufische Schutzvogt hier. Dithos Vater lag mit ihm in Fehde, seit ich denken kann. Er ist streitsüchtig, unberechenbar und ein Hundsfott sondergleichen. Gehen wir.« Im Gegensatz zu seiner heißblütigen Streitlust von eben war Jasmo nun die Ruhe selbst.
Hasan entging dennoch nicht, dass der kleine Hofnarr Angst hatte. »Und dem Vater ist von Armbrustpfeil von Feigling aus Gebüsch angeschossen worden. Hat diesem Mann geschossen?« Hasan nickte fragend zu Gernot von Wangen, schloss die Faust über dem Knauf seines Schwertes und erhob sich.
Ditho legte seine Hand über die von Hasan und drückte das Schwert zurück in die Scheide. »Wir wissen es nicht. Niemand weiß es. Wir gehen jetzt zu den Pferden. Ich will keinen Ärger. Die Zeit ist noch nicht reif dafür.«
Hasan schmatzte, dann nahm er die Hand vom Schwertknauf und nickte schweren Herzens. Die drei Männer wandten sich zum Gehen, nachdem Ditho einige Münzen auf den Tisch hatte fallen lassen. Sie drückten sich durch die Bankreihen vor der Marktschänke, wo zahlreiche Viehhändler ein gutes Geschäft mit lautstarkem Gezeche feierten.
Ditho sah aus den Augenwinkeln, wie der Vogt die junge Marktfrau gepackt hatte und sie an sich drückte. Er hatte seine fleischigen Lippen dicht an ihre Wange gepresst, als würde er ihr etwas ins Ohr flüstern, während er gleichzeitig an ihrer Haut zu riechen schien. Die junge Frau versuchte sich von Gernot loszureißen, aber dessen Griff war eisern.
Ditho blieb stehen.
»Was machst du, um Himmels willen? Lass uns gehen, Ditho!«
Ditho antwortete nicht. Er starrte weiter auf den Vogt, der seine Hand inzwischen auf das Mieder der Marktfrau gelegt hatte. Ein Bauer war zu ihr getreten, offensichtlich ihr Mann. Der schmächtige Rotschopf im rissigen Leinenhemd trat forsch auf den Vogt zu, doch er wurde von den Bütteln gepackt und zu Boden geworfen. Die Frau brach in Tränen aus, und der Vogt schnaubte höhnisch.
»Ditho! Wir gehen! Das ist nicht unsere Sache!« Jasmo griff nach Dithos Mantel und wollte ihn weiterziehen.
Ditho nickte, blieb aber dennoch stehen. Er verschränkte die Arme vor der Brust. Hasan stellte sich neben Ditho, verschränkte ebenfalls die Arme und blickte in die gleiche Richtung. Jasmo seufzte, dann stellte er sich vor den riesigen Sarazenen und seinen jungen Herrn und verschränkte gleichfalls die Arme vor der Brust.
Die Kaufleute an den Schanktischen verstummten, als sie die drei schweigenden Männer in der seltsamen Pose wahrnahmen. Alle blickten zum Vogt, zu Ditho, Hasan und Jasmo und wieder zum Vogt.
Gernot von Wangen lachte laut, während die junge Frau seine breite Brust mit hilflosen Schlägen traktierte. Als Gernot die Blicke der Menge auf sich spürte, drehte er sich hastig um. »Was glotzt ihr so?«, schrie er.
Die Menschen auf dem Markt wichen seinem Blick aus, und die Kaufleute an den Tischen beugten sich über ihre Bierkrüge.
Gernot entdeckte das seltsame Dreiergespann mit den verschränkten Armen. Er ließ die Marktfrau los und schritt langsam, die Daumen in den Gürtel gehakt, auf die drei Männer zu. Die Büttel und der Mönch folgten ihm, während die Marktfrau zu ihrem am Boden liegenden Mann rannte und ihm aufhalf. Gernot blieb drei Schritte vor Ditho stehen und stemmte die Hände in die Hüften. Er wiegte den Kopf und starrte in das eine Auge seines Gegenübers. »Ditho? Ditho von Ravensburg?«
Ditho schwieg.
In Gernots Gesicht erschien ein breites Grinsen, das seine kleinen, stumpfen Zähne entblößte. »Gott, siehst du heruntergekommen aus! Sieh dich nur an! Kaum zu glauben, dass du mal ein ganz ansehnlicher Knabe warst. Was hat dich hierher verschlagen? Wir haben schon alle gehofft, du wärst im Heiligen Land verreckt!«
Gernot stieß ein meckerndes Lachen aus, doch Ditho blieb ganz ruhig. »Tut mir leid, wenn ich Euch enttäuschen muss, Vogt, aber ich lebe noch. Ich habe meinen Vater zu Grabe getragen. Irgendein Feigling hat ihn aus dem Hinterhalt erschossen, wie Ihr bestimmt wisst.«
»Jaja, dein Vater …« Gernot senkte den Blick zu Boden und nickte. Das höhnische Grinsen verschwand nicht aus seinem Gesicht.
»Sind wir mal ehrlich, Ditho. Dein Vater war ein Streithammel, niemand konnte ihn leiden, und am Ende hat er dafür bezahlt. Bis zuletzt hat er behauptet, der Wald zwischen der Argen und dem Schuppenberg gehöre ihm und nicht mir.« Gernot blickte auf. »Er war ein Lügner, Ditho, aber sein Tod hat ihm wenigstens erspart, seinen Sohn als einäugigen Bettler zurückkehren zu sehen, mit nichts als einem hässlichen Zwerg und einem ebenso hässlichen Heiden als trauriger Gefolgschaft.«
In einer flüssigen Bewegung zog Hasan seine beiden Schwerter und trat drohend einen Schritt vor. »Wen nennst du dem hässlich, Franke?«
Die Menge auf dem Marktplatz stöhnte auf, die Büttel wichen erschrocken zurück, doch Gernot blieb reglos stehen.
Ditho griff rasch nach Hasans Arm und hielt ihn zurück. »Das ist mein Streit«, sagte er leise auf Arabisch, »nicht deiner, mein Freund.«
Hasans Kiefer mahlten aufeinander, aber er blieb stehen. »Sag mir wann, und ich bringe ihn mit Freuden um.«
Ditho nickte, auch Hasan hatte in seiner Sprache geantwortet.
Die Umstehenden steckten die Köpfe zusammen, flüsterten und bekreuzigten sich. Gernot grinste noch immer. »Was hat der Heide gesagt, Ditho? Schämt er sich, weil du kein Schwert hast und kneifen willst?«
Auf Dithos Gesicht erschien nun ebenfalls ein Lächeln. »Mein Vater war kein Lügner, Vogt«, sagte er fest. »Der Wald zwischen der Argen und dem Schuppenberg gehört uns und wird immer uns gehören. Und ich habe kein Schwert dabei, denn ich bin nicht hergekommen, um mich mit Euch zu schlagen. Ich habe genug Männer getötet, und es waren weit bessere darunter, als Ihr einer seid, glaubt mir.« Er wandte sich an Hasan und Jasmo. »Wir gehen.«
Jasmo nickte eifrig und drückte sich durch die Menge hinüber zu dem Brunnen, wo Hasan und Ditho ihre Pferde und er selber sein Pony festgemacht hatten, als Ditho noch einmal die Stimme erhob.
»Und wenn Ihr es genau wissen wollt, Vogt: Hasan hat aus dem Koran zitiert, dem heiligen Buch der Sarazenen. Dort sagt der Prophet in der einunddreißigsten Sure: ›Schreite gemessenen Schrittes und dämpfe deine Stimme, denn wahrlich, die widerwärtigste der Stimmen ist die Stimme des Esels‹, was für einen Dorftrottel wie Euch übersetzt so viel bedeutet wie: ›Was kümmert es die Eiche, wenn sich eine staufische Sau an ihr reibt!‹ Gott zum Gruße, die Herren.«
Ditho und Hasan wandten sich um und begaben sich durch die Menge zu ihren Pferden.
Gernot war aschfahl geworden. Seine Lippen bebten, als er sein Schwert zog. Er nahm die blitzende Klinge im Rennen hoch, hob sie weit über seinen Kopf und ließ sie auf den Nacken des Einäugigen niedersausen.
***
Ditho sah Jasmos weit aufgerissene Augen und sprang zur Seite, einen Lidschlag bevor das Schwert ihm den Kopf von den Schultern getrennt hätte. Er spürte den Luftzug der vorbeisausenden Klinge.
Gernot wurde von der Wucht des eigenen Schlages mitgerissen, und die Spitze des Schwertes fuhr tief in den matschigen Boden. Die Menge stob auseinander und bildete einen Kreis um den Vogt und Ditho.
Hasan zog seine Schwerter, doch Ditho warf ihm nur einen kurzen Blick zu. »Mein Streit, nicht deiner«, zischte er auf Arabisch. Dann sah er, wie sich die Büttel um Gernot von Wangen aufbauten. »Sorg dafür, dass seine Männer sich nicht einmischen.«
Auf Hasans Gesicht erschien ein Lächeln der Vorfreude, während sich auf Jasmos Zügen Bestürzung breitmachte. »Er hat kein Schwert, Sarazene! Das wird eine Hinrichtung! Mach etwas, du musst ihm helfen!«, kreischte er und drückte sich neben den Hünen, während er gleichzeitig nach einem kurzen Dolch an seinem Gürtel nestelte.
»Muss ich nicht helfen, Zwerg. Ditho will dem nicht.«
Verständnislos starrte Jasmo zu Hasan hinauf und dann zu seinem Herrn.
Gernot umkreiste Ditho, während Ditho regungslos im Matsch des von der johlenden Menge gebildeten Kampfringes stand. Der Vogt atmete schwer, als er das Schwert wieder erhob. Ditho schien völlig unbeeindruckt. »Ich will nicht mit Euch kämpfen, Vogt. Geht nach Hause, bevor Ihr nicht mehr gehen könnt.«
Gernot schnaubte und spie aus. »Du hast einmal Glück gehabt, Ravensburger, du wirst es nicht noch einmal haben. Auf meinem Grund und Boden beleidigt mich niemand ungestraft. Vor allem kein welfischer Feigling!« Er schlug zu, diesmal von der Seite, er zielte auf Dithos Arm.
Ditho blieb stehen, wo er war, doch er bog den Oberkörper blitzschnell zurück, sodass Gernots Klinge haarscharf über ihn hinwegzuckte. Der Körper des Vogts folgte wieder dem Schwung der schweren Klinge, und diesmal setzte Ditho nach. Er trat dem Vogt mit voller Wucht den Absatz seines Stiefels in die Wade.
Ein gellender Schrei tönte über den Marktplatz, Gernot ging in die Knie, sein Gesicht vor Schmerz verzerrt. Der Menge entfuhr ein Laut des Staunens. Gernot stützte sich auf sein Schwert und zog sich langsam daran hoch.
»Beim Schweiße Goliaths!« Jasmos Augen weiteten sich ungläubig. Ditho hatte keinen Schlag hinterhergeschickt, obwohl er die Zeit dazu gehabt hätte. Er stand einfach ruhig da, als würde er auf den anderen warten.
Die Büttel hoben die Pike, wollten sich schützend vor ihren Herrn stellen, doch Hasan trat einen Schritt vor. »Mann gegen Mann.« Hasan bleckte die strahlend weißen Zähne. »Nicht vier Mann gegen ein Mann!«
Dann dröhnte ein Schrei über den Marktplatz. Gernot warf sich mit blinder Wut auf Ditho, stieß die Klinge vor, um den Gegner in den Bauch zu treffen.
Ditho drehte sich in einem eleganten Schwung um die eigene Achse, und das Schwert fuhr ins Leere. Der Mann mit der Augenklappe packte pfeilschnell das Handgelenk des Vogts, drückte es hinunter und stieß gleichzeitig mit dem Knie von unten dagegen. Es knackte vernehmlich, und der Vogt schrie auf. Ditho hielt ihn weiter an dem gebrochenen Handgelenk fest, rammte ihm das Knie in die Seite, senkte das Bein und ließ es wieder hochschnellen, um dem Kopf seines Gegners mit dem Stiefel einen heftigen Tritt zu verpassen. Die drei Schläge hatten keinen Atemzug lang gedauert. Der Vogt schwankte. Die Menge hielt den Atem an.
Jasmo schüttelte den Kopf und blickte hilfesuchend zu Hasan. »Was macht er da? Wo zur Hölle hat er das gelernt?«
»Pankration«, der Sarazene grinste, »dem Ditho braucht kein Schwert für dummen Franken.«
»Pankar-was?« Jasmo starrte noch immer ungläubig auf den wie betäubt an Dithos ausgestrecktem Arm taumelnden Vogt.
»Pankration. Ditho hat dem in Byzanz gelernt. Alte Kampfkunst von Griechen. Haben die schon bei Olympischen Wettkampf gemacht.«
»Was für ein Wettkampf?«
Hasan stöhnte. Franken waren im Allgemeinen schon barbarisch ungebildet, wenn nicht schlicht strohdumm, aber dieser Zwerg schien besonders wenig von der Welt zu wissen, in der er lebte. Er hob das Kinn in Richtung der beiden Kämpfenden. »Vergiss dem, Jasmo, und guckst du zu.«
Der Vogt schwitzte. In seinen Augen mischten sich Verwirrung und blanker Zorn. Er hatte eine Platzwunde am Kopf, dort, wo Dithos Stiefel ihn getroffen hatte. Dennoch war Gernot nicht am Ende. Blitzartig ließ er seine gesunde Linke nach vorn schnellen.
Ditho duckte sich unter dem Schlag weg und warf sich zugleich mit der Schulter gegen die Hüfte des anderen. Er hielt das Handgelenk des Vogtes umklammert, dann richtete er sich auf und hob den Vogt mit der Schulter von den Beinen. Der massige Körper schlug mit dem Kopf voraus in den Schlamm. Gernot stöhnte auf, schloss die Augen und blieb reglos liegen. Winzige Schneeflocken flogen vom Wind getragen durch die Luft und legten sich auf seine erschlafften Züge. Erschrocken schrie die Menge auf, dann wurde es still.
Ditho ging in die Hocke und kniete neben Gernot nieder. Er fasste ihm an den Hals und tastete nach dem Puls, wie man es ihn vor Jahren in Akkon gelehrt hatte. Dann nickte er und wandte sich an die verschreckten Büttel. »Er lebt. Aber er hätte nach Hause gehen sollen, als er es noch konnte.«
***
Ditho wandte sich in Richtung der einsetzenden Dunkelheit über den bewaldeten Hügeln, hinter denen sich der große See erstreckte. Die Handflächen zum Himmel geöffnet, verneigte er sich, richtete sich wieder auf, kniete nieder, führte die Stirn zum Boden und richtete sich wieder auf. »Bismillahi-r-Rahmani-r-Raheem Laa ilaaha il-Allahul-haleemul-Kareem. Laa ilaaha il-Allahul-’aliyul-’adheem …«
Die Worte schwebten über die schneebedeckten Baumwipfel, die sich endlos bis zum Horizont ausbreiteten, während in seinem Rücken die Sonne hinter den Zinnen der Burg unterging. »Al-’afwa«, flüsterte er immer wieder, »vergib mir.«
Vor dem Gebet hatte er die Augenklappe abgelegt, das gesunde Auge geschlossen und mit dem anderen direkt in die Abendsonne geblickt.
Und er hatte gesehen.
Trüb und nicht so gut wie zuvor, aber Ditho hatte das Licht immer noch deutlich wahrgenommen und auch den dunklen Fleck davor, die Neuravensburg. Es wurde nicht besser, es würde nie wieder werden wie zuvor.
Als er nach seiner Verwundung in Damaskus von Hasans Leuten gepflegt worden war und der Heiler in Akkon ihm nach Wochen der Dunkelheit den Verband abgenommen hatte, glaubte Ditho, es würde alles wieder so werden wie früher. Nicht nur das Dunkel in seinem linken Auge, auch das in seinem Herzen. Er hoffte, die Erinnerung an das, was in Damaskus geschehen war, würde zurückkehren. Doch obgleich das Auge wiederhergestellt schien, blieb ein Teil seines Herzens in tiefer Dunkelheit.
Etwas war da, etwas Unaussprechliches, das er nicht sagen, von dem er nicht erzählen konnte, nicht einmal sich selbst. Und die Finsternis im Herzen hatte einen Weg gefunden, zu ihm zurückzukehren.
Das verheilte Auge ließ ihn wieder im Stich.
Ganz langsam.
Vor ein paar Wochen hatte er die ersten Schlieren bemerkt und noch geglaubt, sie wegblinzeln zu können. Als er Kopfschmerzen bekam und sein Blick immer öfter verschwamm, hatte er die Augenklappe wieder angelegt, die er eigentlich nur noch als Erinnerungsstück in seiner Satteltasche mit sich führte. Hasan hatte davon gehört. Auch andere Veteranen mit einer verheilten Augenverletzung litten darunter. Man nannte es Star.
Ditho ließ seinen Freund in dem Glauben, es handele sich um eine normale Krankheit und nicht um das Ergebnis der Finsternis in seinem Herzen oder um eine Strafe Gottes. »Al-’afwa«, flüsterte Ditho wieder, dann legte er die Augenklappe an und verknotete die ledernen Schnüre hinter dem Kopf.
Vergib mir.
»Er wird dir nie vergeben, wenn du ihn zwar anbetest, aber den Namen des Propheten dabei nicht rühmst, geschweige denn aussprichst!«
Ditho wandte sich um und lächelte. Hasan hatte ihn auf Arabisch angesprochen, wie er es immer tat, wenn sie unter sich waren. Sein Freund hatte sein Gebet ebenfalls beendet und saß nun auf einem großen Felsen hinter ihm. Er hielt eines seiner Schwerter ins Licht der untergehenden Sonne und ließ einen prüfenden Blick über die Klinge gleiten.
Hasan war der Sohn eines Stammesfürsten, eines Sheikhs, der mit seinen Kriegern dem Heer Nur ad-Dins gefolgt war, um Damaskus vor dem Ansturm der Kreuzfahrer zu retten. Es war jedoch nie zu einer Schlacht zwischen Nur ad-Din und den Kreuzrittern gekommen. Das Kreuzfahrerheer hatte zwar eine Bresche in die Stadtmauer geschlagen, war aber am verzweifelten Widerstand der Damaszener unter der Führung ihres Statthalters Unur gescheitert. Die christlichen Könige waren unverrichteter Dinge abgezogen, bevor Nur ad-Dins Entsatzheer in Damaskus eintraf.
Hasan hatte Ditho im verwaisten Heerlager der Kreuzfahrer gefunden, zurückgelassen von den eigenen Leuten, weil sie glaubten, er sei tot. Hasan hatte sich Dithos angenommen, ihn pflegen lassen und ihm nach seiner Gesundung das Arabische beigebracht. Im Gegenzug hatte er Dithos Sprache gelernt. Die Männer waren Freunde geworden, und als für Ditho die Zeit gekommen war, in die Heimat zurückzukehren, hatte Hasan sich ihm angeschlossen. Er wollte mehr lernen über die Menschen, die sein Land mit Hass und Krieg im Namen ihres Gottes überzogen hatten.
Ditho setzte sich neben den Hünen auf den kalten Fels. Ein Schwarm Krähen flog krächzend vorüber und verlor sich in der einsetzenden Dunkelheit zwischen den sanft wogenden Baumkronen. Ihre Pferde standen stumm und dampfend neben einem kahlen Strauch, an dem sie angeleint waren, und kauten auf welken Blättern, die noch vereinzelt an den Ästen hingen. »Warum sollte ich in meinem Gebet von Muhammad reden?«, fragte er in tadellosem Arabisch. »Ich dachte, das sei Schirk, der Anbetung von Allah dem Einzigen noch jemanden beizugesellen?«
Hasan schüttelte ungehalten den Kopf. »Da sieht man einmal, wie wenig du erst weißt, Dhimmi. Ihr Christen sagt, ihr glaubt an nur einen Gott, und doch verehrt ihr dazu Îsâ und Maryam und Ruuh-ul-Qudus wie gleichwertige Götter, obwohl sie nur Schöpfungen des Einzigen sind!«
»Und der Prophet? Ist der keine Schöpfung?«
Hasan seufzte. Sein Atem kam als Dampfwolke aus dem Mund. »Doch. Aber durch Muhammad hat Allah direkt zu uns gesprochen, verstehst du? Nicht wie bei anderen Propheten, nicht wie bei Îsâ, der mit Gleichnissen und Geschichten von Gott erzählt hat. Sondern mit seiner Stimme! Der Koran ist das gesprochene Wort Allahs! Deswegen hat Muhammad eine Sonderstellung!«
»Also muss ich ihn doch anbeten? Und nicht Allah allein?«
Hasan wurde wütend, als Ditho grinste. »Du treibst deinen Spott mit mir. Du nimmst es nicht ernst! Das ist eine Sünde!«
»Oh doch, mein Freund. Ich nehme es sehr ernst. So ernst, dass ich in zwei Sprachen zu Allah bete. In deiner und in meiner.«
Hasan rieb sich über die Nasenwurzel, als verursachten Dithos Aussagen genau dort einen brennenden Schmerz. »Ich habe dir doch gerade erklärt, dass der Koran das gesprochene Wort Allahs ist! Man kann seine Verse nicht in einer anderen Sprache sagen, ohne den Sinn zu verfälschen. Und die ganze Schönheit von Allahs Worten ist dahin, wenn du sie in eure stumpfe, glanzlose Sprache zu übertragen versuchst!«
Dithos Belustigung hielt an. Er liebte den kehligen und doch melodiösen Klang des Arabischen, aber es schöner als Deutsch oder Latein oder irgendeine andere Sprache zu empfinden fiel ihm schwer. Er legte dem Sarazenen eine Hand auf die Schulter und lächelte. »Ich glaube, du unterschätzt Allah, wenn du denkst, er würde nur eine einzige Sprache verstehen, Hasan. Ich glaube, der Schöpfer der Welt spricht alle Sprachen.«
Hasan seufzte und wandte sich ab. Ditho war mutig, schlau, ein geschickter Kämpfer und ein heller Kopf dazu. Aber die Feinheiten des Islam würden die Ahl al-kitah, die »Leute des Buchs«, wie man Christen und Juden nannte, die wie die Muslime ebenfalls im Besitz eines Teils der göttlichen Offenbarung waren, nie verstehen. Selbst wenn sie beten konnten wie ein Muslim. Aber Allah hatte ihn an die Seite Dithos gestellt, und er würde nicht weichen, bis er seine Pflicht erfüllt hatte. »Du hättest ihn töten sollen«, sagte er unvermittelt.
»Wen? Gernot?« Ditho blickte forschend in das Gesicht seines Freundes. »›Du sollst nicht töten!‹ Steht so in der Bibel und im Koran auch, wenn ich nicht irre. Und ich will nicht töten.«
»Manchmal muss es sein. Um ihn wäre es nicht schade gewesen. Du wolltest nicht töten? Jetzt hast du einen Todfeind. Er wird nichts unversucht lassen, diese Demütigung von sich abzuwaschen.«
»Ein Feind meiner Familie war Gernot schon, als ich noch ein Kind war, Hasan. Ich habe nichts daran geändert, und es ist auch nicht meine Schuld.«
Hasan nickte und rieb sich die kalten Finger. Dieses Land war grausam. Bei seiner Ankunft hatte ihn der Schnee fasziniert; wie ein Kind war er durch das weiße Pulver gerannt und hatte sich hineinfallen lassen. Jetzt empfand er nur noch Mitleid für die Menschen, die in dieser fühllosen Kälte leben mussten. Kein Wunder, dachte er, dass sie so sind, wie sie sind. »Dennoch. Hüte dich vor seiner Rache. Sie wird kommen. Du hättest ihn töten sollen oder zumindest zulassen, dass ich ihn töte.«
Ditho nahm Hasans Schwert, das dieser neben sich gelegt hatte, und ließ den Daumen prüfend über die Klinge gleiten. »Jasmo hätte mir nie verziehen, wenn ich dir den Vortritt gelassen hätte, meinst du nicht?« Ditho grinste und reichte Hasan das Schwert.
Doch Hasan nahm es nicht entgegen. Seine Augen verengten sich.
»Was ist los, Hasan?«
Hasan hob den Arm und deutete mit dem Finger auf etwas hinter Dithos Rücken. »Behalte das Schwert«, murmelte er, »du wirst es brauchen.«
Ditho wandte sich um. Erst hörte er ein Knistern, dann sah er den Rauch. Aus dem Dach des Palas schlugen Flammen in das Rotblau des dämmernden Himmels. Die Neuravensburg brannte.
***
Die Pferde preschten über den engen Pfad durch das Unterholz. Ihre Hufe ließen Schnee, Erde und Blätter zur Seite stieben, während die Reiter ihre Zügel auf die verschwitzten Flanken der Tiere klatschten. Dichte Rauchwolken waberten zwischen den verschneiten Bäumen wie zäher Nebel.
Hasan hatte Mühe, mit Ditho mitzuhalten. Die ausladenden Äste der großen Bäume hingen tief, die Männer mussten sich über den Rücken ihrer Pferde ducken, um sich den Kopf nicht anzuschlagen. Es ging bergauf, dann teilten sich die Bäume und gaben den Blick frei auf eine verschneite Ebene, auf der die Neuravensburg thronte.
Ditho griff in die Zügel, und das Pferd bäumte sich wiehernd auf. Das Dach des Palas stand lichterloh in Flammen, schwarze Rauchschwaden krochen aus den schmalen Fenstern die zerklüftete Burgmauer hinab. Jemand schrie. Die Hitze des Feuers war bis auf das verschneite Feld vor der Burg zu spüren. Als Hasan zu ihm aufschloss, gab Ditho seinem schwarzen Hengst wieder die Sporen. Die Hufe trommelten über die Zugbrücke; im Tor unter der wuchtigen Schildmauer standen zwei Soldaten mit Lanzen und versperrten den Weg. Staufer, Männer von Gernot.
»Halt! Stehen bleiben!«, schrie der eine ihn an und reckte das kantige Kinn vor. Ditho preschte an den mächtigen schwarzen Gliedern der Zugketten vorbei und ritt beide Söldner nieder. Er zog den Kopf ein, um von den Spitzen des Fallgitters nicht aufgespießt zu werden, und riss die Zügel seines Pferdes herum.
Der Burghof glich einer apokalyptischen Vision. Brennende Dachbalken und Fensterläden stürzten zusammen mit Ziegeln krachend auf das Pflaster vor dem Palas. Pferde, Kühe und Hühner rannten in wilder Angst über den Hof, während die Luft von Schreien, von dickem Qualm und Myriaden von Funken erfüllt war, die wie teuflische Glühwürmchen auf die Dächer der Ställe und der Schmiede schwebten.
Die Söldner, gut ein Dutzend schwerbewaffnete Männer, traten Türen ein, hielten Fackeln an das Stroh und schleppten Truhen und Teppiche die Treppe vom Palas herunter. Sie hatten Magda, die Köchin, und Walther gepackt und in den Hof geschleppt. Gefesselt knieten sie vor ihren Bewachern, die ihnen ein Schwert in den Nacken drückten. Jasmo lag reglos im Schmutz.
»Jasmo!« Ditho schrie auf und sprang vom Pferd. Hasan kam hinter ihm durch das Tor gesprengt und zügelte seinen laut wiehernden Gaul. Grimmig schritt Ditho auf seine gefesselte Dienerschaft zu, als zwei der Söldner sich ihm in den Weg stellten und das Schwert erhoben.
»Ergib dich! Leg das Schwert weg!«
Ditho beschleunigte seinen Schritt, ließ sich mit einer Rolle vorwärts fallen und trat dem Linken der beiden die Beine weg. Der Soldat schrie auf, klappte nach vorn und schlug mit dem Gesicht auf das Pflaster. Bevor der andere sich noch umgedreht hatte, war Ditho wieder auf den Beinen und ließ seine Faust gegen dessen Kehlkopf krachen. Der Mann kippte leblos nach hinten.
Hasan packte einen Eimer und schleuderte ihn einem Söldner, der mit gezücktem Schwert von den Stufen zum Palas auf ihn zustürmte, ins Gesicht. Der Staufer wurde von der Wucht des Aufpralls von den Füßen gerissen und ging zu Boden. Ditho wandte sich blitzschnell um, und die Bewacher von Magda und Walther warfen sich ängstliche Blicke zu.
»Bleib stehen, oder sie sind tot. Alle!«
Ditho erstarrte. Gernot war zu den Gefesselten getreten. Er zog ein Bein nach, seine rechte Hand steckte in einer Holzschiene, die mit grobem Hanf am Arm befestigt war. Über dem geschwollenen Auge prangte ein tiefroter Bluterguss. Der Vogt atmete schwer, und seine kleinen, dunklen Augen funkelten Ditho hasserfüllt an. »Wirf das Schwert weg! Sofort!«
Gernot packte Jasmo am blonden Schopf und riss ihm den Kopf nach hinten, während er seine Klinge an den Hals des Hofnarren presste.
Immerhin: Jasmo lebte. Blut lief ihm über die Stirn, er öffnete benommen die Augen und stöhnte. Ditho blickte sich um. Hasan war von vier Staufern eingekreist. Sie hielten ihn mit ihren Piken auf Abstand.
Der Mann mit der Augenklappe ließ das Schwert sinken. »Was willst du, Gernot?«
Gernot legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Funken tanzten über seinem kahlgeschorenen Schädel, aber er schien es nicht wahrzunehmen. Er sog die rauchgeschwängerte Luft tief in die Lungen. Als Gernot die Augen öffnete, glaubte Ditho etwas von dem Blutdurst und dem Wahn darin zu erkennen, den er im Heiligen Land so oft vor dem Sturmritt in die Schlacht gesehen hatte. »Ich will dich, Ditho. Nur dich, dann lass ich die anderen gehen.«
Ditho blickte in die vor Furcht geweiteten Augen Jasmos. Sie waren in der Unterzahl, selbst zwei so erfahrene Kämpfer wie er und Hasan konnten es nicht mit zwölf Mann aufnehmen. Ditho ließ das Schwert fallen, und scheppernd ging die kunstvoll geschmiedete Waffe zu Boden.
Gernots Grinsen wurde eine Spur breiter. »Gut. Das war schlau von dir, Ditho.« Gernot nahm das Schwert von Jasmos Hals und ließ den Hofnarren los, sodass der zu Boden sank. Dann trat er vor, langsam und hinkend. Zwei Fuß breit vor dem Mann mit der Augenklappe blieb er stehen.
Ditho wusste, was kommen würde, er spürte es an der Körperspannung des anderen, sah es an den Sehnen an dessen Hals, an der Haltung der Schultern, bevor sein Gegner überhaupt zu einem Schlag ansetzte. Man hatte ihm beigebracht, auf diese Zeichen zu achten. Das konnte man lernen.
Was man nie lernte, war, den Schmerz nicht zu spüren.
Gernot hieb den Knauf seines Schwertes mit Wucht gegen Dithos Schläfe. Ditho sackte zu Boden, und die Dunkelheit umfing ihn wie der vertraute Freund einer fernen, fast vergessenen Vergangenheit.
13. Februar 1152, Bamberg
Wie ein langsam krabbelnder Käfer schoben sich ihre Finger nach vorn. Sie streckte den Arm so weit, dass es in der Schulter schmerzte, aber es reichte noch nicht. Das kleine, bunt schimmernde Ding aus Holz war noch gut eine Handbreit von ihren Fingerspitzen entfernt. Adela atmete erschöpft aus, entspannte den Arm und zog die Hand zurück.
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