Predigten, Traktate, Sprüche - Meister Eckhart - E-Book

Predigten, Traktate, Sprüche E-Book

Meister Eckhart

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Beschreibung

Eckhart von Hochheim, bekannt als Meister Eckhart (* um 1260 bei Gotha - Hochheim, Tambach oder Wangenheim; gestorben vor dem 30. April 1328 in Avignon) war ein bedeutender spätmittelalterlicher Theologe und Philosoph. Er gehörte dem Orden der Dominikaner an. Er wird oft als Mystiker bezeichnet, doch ist in der Forschung umstritten, ob der unterschiedlich definierte Begriff "Mystik" für Elemente seiner Lehre angemessen oder eher irreführend ist. (aus wikipedia.de)

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Predigten, Traktate, Sprüche

Johannes Eckhart

Inhalt:

Meister Eckart – Biografie und Bibliografie

Vorwort.

I. Predigten.

1. Vom Schweigen.

2. Vom Unwissen.

3. Von der Dunkelheit

4. Von stetiger Freude.

5. Von der Stadt der Seele.

6. Vom namenlosen Gott.

7. Vom innersten Grunde.

8. Von der Vollendung der Zeit.

9. Ein Zweites vom namenlosen Gott.

10. Von guten Gaben.

11. Von unsagbaren Dingen.

12. Vom Leiden Gottes.

13. Von der Einheit der Dinge.

14. Wie Jesus am Stricke zog.

15. Von der Erkenntnis Gottes.

16. Von der Armut.

17. Von Gott und der Welt.

18. Von der Erneuerung des Geistes.

19. Von der Natur.

20. Von Gott und Mensch

21. Vom Tod.

22. Was ist Gott?

23. Vom persönlichen Wesen.

II. Traktate.

1. Von den Stufen der Seele.

2. Gespräch zwischen Schwester Kathrei und dem Beichtvater.

3. Von der Abgeschiedenheit.

4. Von der Ueberfreude.

5. Die Seele auf der Suche nach Gott.

6. Von der Ueberfahrt zur Gottheit.

7. Vom Zorn der Seele.

III. Fragmente und Sprüche.

Fragmente.

Sprüche.

Predigten, Traktate, Sprüche, Meister Eckhart

Meister Eckart – Biografie und Bibliografie

Auch genannt Eckehart oder Eckhard, deutscher Mystiker, geb. um 1260 zu Hochheim bei Gotha, Dominikaner, war 1303–11 nach längerem Aufenthalt in Paris Provinzial seines Ordens für Sachsen, seit 1312 als Prediger, zeitweise in Straßburg (nicht in Frankfurt) tätig und 1325 Lesemeister am Studienhaus der Dominikaner zu Köln. Seit 1326 ward E. Gegenstand der Verdächtigungen und Klagen seines Erzbischofs, die sich auf die Beschuldigung pantheistisch gerichteter Mystik gründeten. In der Tat bewegten sich Eckarts mit paradoxer Kühnheit ausgedrückte Gedanken in einer Richtung, die sie als denen der häretischen Mystiker verwandt erscheinen lassen konnten. E. selbst protestierte 13. Febr. 1327 öffentlich gegen solche Auslegung. starb aber bald darauf. 26 seiner Sätze wurden 27. März 1329 von Papst Johann XXII. verurteilt. E. ist der geisteskräftigste und trotz der besonders in seinen lateinischen Schriften deutlichen Anlehnung an Thomas von Aquino selbständigste unter den deutschen Mystikern. Seine deutschen Schriften gaben Pfeiffer (»Deutsche Mystiker des 14. Jahrhunderts«, Bd. 2, Leipz. 1857) und Jostes (Freib., Schweiz, 1895) heraus; einen Teil der lateinischen Denifle, dessen Arbeit: »Meister Eckarts lateinische Schriften und die Grundanschauung seiner Lehre« (im »Archiv für Literatur- u. Kirchengeschichte des Mittelalters«, 1886) der Forschung neue Wege gewiesen hat. Hochdeutsche Übertragungen veröffentlichten G. Landauer (»Meister Eckarts mystische Schriften«, Berl. 1903) und Büttner (Leipz.1903 f.). Vgl. außerdem Lasson, Meister E. (Berl. 1868); Jundt, Essai sur le mysticisme spéculatif de Maître E. (Straßb.1871); Preger, Geschichte der deutschen Mystik im Mittelalter (Bd. 1, Leipz. 1874).

Vorwort.

Mit der Freiheit, die Liebe und Verehrung gibt, habe ich in dieser Ausgabe der Mystischen Schriften Meister Eckharts alles weggelassen, was uns nichts sagt. Meister Eckhart ist zu gut für historische Würdigung; er muss als Lebendiger auferstehen.

Johann Eckhart oder Eckehart ist zwischen 1250 und 1270 wahrscheinlich in Hochheim bei Gotha geboren. Er war Prior des Dominikanerordens in Erfurt und Vikar in Thüringen; 1300 an der Pariser Universität; 1304 Provinzialprior von Sachsen, 1306 Generalvikar von Böhmen, 1314 Magister und Professor der Theologie in Straßburg, später in Köln, 1317 wird er nach Frankfurt versetzt. 1326 leitet der Kölner Bischof v. Ochsenstein den Inquisitionsprozess gegen ihn ein; er appellierte an den Papst und beeilte sich 1327 zu sterben. 1329 erschien eine päpstliche Bulle, in der 26 Sätze Eckharts als ketzerisch verdammt wurden.

Die Lehrer, auf die er sich hauptsächlich stützt, sind: Dionysius Pseudareopagita, Augustinus, Thomas von Aquino; vermutlich hat er auch die verbotenen Schriften des Scotus Erigena gekannt. Durch Dionysius berührt er sich mit den Lehren der Neuplatoniker. Thomas und der ganze Geist seiner Zeit verbindet ihn mit den „Realisten“, so dass er wie sie die letzten und leersten Abstrakta für konkrete Dinge hält. Anderseits bringt ihn aber das auch dazu, die Gattung und Art als eine höhere Wirklichkeit anzusehen als die Individuen; so hat er starke Vorahnungen — trotz ganz primitiver Naturkenntnisse — der Theorien, die teils infolge, teils entgegen den Lamarck-Darwinschen Aufstellungen bei uns im Werden sind.

Er ist ebenso sehr Erkenntnistheoretiker und Kritiker als Mystiker. Er ist Pantheist, aber fast im umgekehrten Sinne als das, was man seit Spinozas Wiedererweckung darunter versteht. Dieser letztere Pantheismus löst — nicht im Sinne Spinozas freilich — den Gottesbegriff in der materiellen Welt auf; Eckhart dagegen löst die Welt und den Gott in dem auf, was er manchmal Gottheit nennt, was unaussprechbar und unvorstellbar ist, was aber jedenfalls etwas jenseits von. Zeit, Raum und Individualisierung und etwas Seelenhaftes ist. An die Stelle des Dinges setzt er eine psychische Kraft; an Stelle von Ursache und Wirkung ein Fließen. Sein Pantheismus ist Panpsychismus; zugleich aber erklärt er, nicht zu wissen, was die Seele sei. Seine Mystik ist Skepsis; freilich aber auch umgekehrt.

Die christlichen Dogmen und Überlieferungen haben für ihn fast nur symbolische Bedeutung; nur erlaubt es ihm der Zeitgeist nicht zu fragen, wie es, mit dem Verhältnis dieser Symbole zur Wirklichkeit bestellt sei. Die in der Kirche üblichen Vorstellungen betrachtet er als einer niedrigeren Stufe angehörig; aber es gelingt ihm nicht zu erkennen, dass diese Vorstellungen überhaupt keine Realität haben; vielleicht wird die Zukunft von unserm Verhältnis zu gewissen wissenschaftlichen Begriffen einmal dasselbe sagen. — Manchmal übrigens hat auch — wie wohl noch später bei Spinoza — die Vorsicht seine Einkleidung wählen helfen.

Er ist der Schöpfer der deutschen wissenschaftlichen Prosa und einer ihrer größten Meister. Immer schreibt er als Sprechender, immer persönlich; nie fehlt der begrifflichen Darlegung der Gefühlston, und ebenso wenig seinem Gefühlsüberschwang und seiner Versenkung ins abgründlich Dunkle der Zügel der Nüchternheit. Das Fernste hat er uns nah gebracht; das Nächste und gewöhnlich Scheinende hat er uns entfremdet, fragwürdig gemacht und vertieft. Er war ein Dichter, der aufs größte aus war und dem größten gewachsen. Perioden findet man bei ihm, die zum Hinreissendsten gehören, was irgend in Sprachen zu finden ist.

Seine Syntax, die er sich vermutlich vielfach im Anschluss an die gesprochene Sprache selbst geschaffen hat, habe ich nach Möglichkeit beizubehalten gesucht; ebenso wäre es verfehlt, an Stelle seiner technischen Ausdrücke, die er nach dem Muster lateinischer Scholastik hergestellt hat, die uns geläufigen blutlosen Wissenschaftsausdrücke zu setzen; bei ihm hat alles Farbe, Temperament, Ursprünglichkeit; seine Ausdrücke sind des Metaphorischen noch nicht entkleidet, sind noch nicht ausgelaugt; sie schaffen sich ihren Sinn erst während der Rede. Vielfach aber war es doch wieder nötig, die von ihm aus der Sprache der Wissenschaft in die Volkssprache übersetzten Termini wieder zurückzuübersetzen, damit das scharf in die Augen springt, was mich an dieser Ausgabe das Entscheidende dünkt: dass Meister Eckhart in all seiner Genialität nie ein mystizierender oder moralisierender Pietisterich war, dass er sich nie süßlicher Gottesminne ergeben hat, dass er nie perverser Askese gefrönt hat: sondern dass er ein kühner Erschütterer war, der Hirne wie der Herzen, einer, der um die Welterkenntnis gerungen hat und der, lebensfreudig und urkräftig, die Grenzen der Sprache als ein Wissender überschritt, um jenseits seines Ichbewusstseins und des Begriffsdenkens stark und innig in der unsagbaren Welt zu versinken.

**

*Das allermeiste, was von ihm überliefert ist, ist für uns völlig wertlos geworden, da es nur logisches Wortgetiftel ist, das damals die Naturwissenschaft ersetzen musste, weil es an Beobachtungen und Kenntnissen fehlte. Wenn man bedenkt, wie viele angeblich philosophische, naturwissenschaftliche, medizinische Bücher aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts uns völlig unlesbar und Theologie geworden sind, wird man das besser verstehen, als wenn man glaubt, die Scholastik sei eine Spezialität des Mittelalters gewesen. Die folgende Auswahl bietet also etwa den fünften oder sechsten Teil dessen, was auf uns gekommen ist. Nichts, was Bedeutung hat, ist weggelassen.

Die Abteilung: Fragmente habe ich selbst geschaffen; es sind Bruchstücke aus Predigten, die im übrigen die Übertragung nicht lohnten. — Die Titel der einzelnen Stücke stammen meist von mir; die mittelhochdeutsch überlieferten dürften auch nicht von Eckhart selbst gewählt sein.

An dieser Stelle philologisch über meine Weglassungen und Textauslegung Rechenschaft zu geben, ist nicht meine Absicht, weil es für den Leser keinen: Wert hätte. Wer meine Übersetzung kritisch prüfen will, kann von mir Auskunft erhalten.

Eine ausführlichere Einleitung wäre entweder nur eine geschickte Gruppierung dessen, was in längst vorhandenen Werken zu lesen ist; oder sie wüchse sich zu einer Geschichte der Erkenntniskritik des Mittelalters aus. Das könnte ein wunderschönes Buch werden, das sehr not tut; aber zunächst kann ich nur wünschen, dass ich es einmal schreiben werde. Dem Leser empfehle ich einstweilen, Jundts „Histoire du panthéisme populaire au moyen âge“ zu lesen; daraus wird er erfahren, dass unser Meister nicht vom Himmel gefallen ist, sondern von einer starken Zeitströmung getragen wurde.

I.Predigten.

1.Vom Schweigen.

Wir begehen das Fest von der ewigen Geburt, die Gott der Vater geboren hat und ohne Unterlass in der Ewigkeit gebiert, während dieselbe Geburt jetzt in der Zeit und in der Menschennatur sich ereignet. Der heilige Augustin sagt, diese Geburt geschehe immer. So sie aber nicht in mir geschieht, was hilft es mich dann? Denn dass sie in mir geschehe, daran liegt alles.

Wir haben ein Wort des Weisen: „Da alle Dinge mitten in einem Schweigen waren, da kam in mich von oben hernieder von dem königlichen Stuhle ein verborgenes Wort.“ Von diesem Wort soll diese Predigt handeln.

„Inmitten des Schweigens ward mir zugesprochen ein verborgenes Wort.“ Ach, Herr, wo ist dies Schweigen und wo ist die Stätte, in der dieses Wort gesprochen wird?

Es ist in dem Lautersten, das die Seele aufweisen kann, in dem Edelsten, in dem Grunde, ja, in dem Wesen der Seele! Das ist das Mittel: Schweigen; denn da hinein kam nie eine Kreatur oder ein Bild, und die Seele hat da nicht Wirken noch Verstehen, und weiß kein Bild davon, weder von sich selbst noch von irgend welcher Kreatur.

Alle Werke, die die Seele wirkt, wirkt sie mit den Kräften. Alles, was sie versteht, versteht sie mit der Vernunft. Wenn sie denkt, tut sie es mit dem Gedächtnis. Wenn sie begehrt, tut sie es mit dem Willen, und dergestalt wirkt sie mit den Kräften und nicht mit dem Wesen. All ihr Wirken nach außen haftet immer an einem Mittel. Die Kraft des Sehens bewirkt sie nur durch die Augen, anders kann sie kein Sehen bewirken oder zu Stande bringen. Und ebenso ist es mit allen andern Sinnen. All ihr Wirken nach außen bewirkt sie durch ein Mittel. Aber in dem Wesen ist kein Werk, daher hat die Seele im Wesen kein Werk als die Kräfte, mit denen sie wirkt, die fließen aus dem Grunde des Wesens, oder vielmehr: in diesem Grunde ist das Mittel Schweigen, hier ist allein Ruhe und eine Wohnung für diese Geburt und für dieses Werk, dass Gott der Vater allda sein Wort spreche, denn dieses ist von Natur nur dem göttlichen Wesen ohne irgend ein Mittel zugänglich. Gott geht hier in die Seele mit seinem Ganzen, nicht mit seinem Teil. Gott geht hier in den Grund der Seele hinein. Niemand rührt an den Grund der Seele als Gott allein. Die Kreatur kann nicht in den Grund der Seele, sie muss in den Kräften außen bleiben. Da mag sie ihr Bild betrachten, mit Hilfe dessen sie eingezogen ist und Herberge empfangen hat. Denn jedes Mal, wenn die Kräfte der Seele mit der Kreatur in Berührung kommen, nehmen und schöpfen sie Bilder und Gleichnisse von der Kreatur und ziehen sie in sich. Auf diese Weise entsteht ihre Kenntnis von der Kreatur. Die Kreatur kann nicht näher in die Seele kommen, und die Seele nähert sich jeder Kreatur nur dadurch, dass sie zunächst willig in sich ein Bild empfängt. Und von dem gegenwärtigen Bild aus nähert sie sich den Kreaturen, denn das Bild ist ein Ding, das die Seele mit den Kräften schöpft. Mag es ein Stein, ein Pferd, ein Mensch oder was immer sonst sein, das sie kennen lernen will, immer nimmt sie das Bild hervor, das sie von ihnen abgezogen hat, und auf diese Weise kann sie sich mit ihnen vereinigen. Aber immer wenn ein Mensch auf diese Weise ein Bild empfängt, muss es notwendigerweise von außen durch die Sinne hereinkommen. Darum ist der Seele kein Ding so unbekannt, wie sie sich selbst. Es sagt ein Meister, die Seele könne von sich kein Bild schöpfen oder abziehen. Darum kann sie sich selbst ganz und gar nicht kennen lernen. Denn Bilder kommen alle durch die Sinne herein: daher kann sie kein Bild von sich selbst haben. Daher kennt sie alle andern Dinge, nur sich selber nicht. Von keinem Ding weiß sie so wenig, wie von sich selbst, um des Mittels willen. Und das müsset ihr auch wissen, dass sie innen frei ist, und ohne alle Mittel und Bilder auskommt, und das ist auch die Ursache, dass sich Gott frei mit ihr vereinigen kann ohne Bilder oder Gleichnisse. Du darfst das nicht lassen, du musst die Möglichkeit, die du einem Meister zugestehst, Gott ohne alle Schranken zugeben. Je weiser aber und mächtiger ein Meister ist, um so unmittelbarer geschieht auch sein Werk und um so einfacher ist es. Der Mensch hat viele Mittel in seinen äußeren Werken; bis er diese Werke hervorbringt, wie er sie in sich gebildet hat, dazu gehört viel Vorbereitung. Die Meisterschaft und das Werk des Mondes und der Sonne sind Erleuchten; das tun sie gar schnell. Sobald sie ihren Schein ausgießen, in demselben Augenblick ist die Welt an allen Enden voller Licht. Aber über ihnen ist der Engel, der bedarf noch weniger der Mittel für seine Werke und hat auch weniger Bilder. Der alleroberste Seraphim hat nur noch ein Bild. Alles was die unter ihm Stehenden in Mannigfaltigkeit wahrnehmen, nimmt er in einem wahr. Aber Gott bedarf keines Bildes und hat auch kein Bild: Gott wirkt in der Seele ohne alles Mittel, Bild oder Gleichnis, ja, tief in dem Grunde, wo nie ein Bild hinkam, als er selbst mit seinem eigenen Wesen. Das kann keine Kreatur tun.

Wie gebiert Gott Vater seinen Sohn in der Seele? Wie die Kreaturen tun, in Bildern und in Gleichnissen? Wahrlich, nein! sondern: ganz in der Weise, wie er in der Ewigkeit gebiert, nicht minder und nicht mehr. Ja freilich, wie gebiert er da? Merket auf. Seht, Gott Vater hat eine vollkommene Einsicht in sich selbst und ein abgründliches Durchkennen seiner selbst, ohne jedes Bild. Und so gebiert Gott Vater seinen Sohn in wahrer Einsicht göttlicher Natur. Seht, in derselben Weise und in keiner andern gebiert Gott der Vater seinen Sohn im Grunde der Seele und in ihrem Wesen und vereinigt sich also mit ihr. Denn wäre da irgend ein Bild, so wäre keine wahre Einheit da, und an der wahren Einheit liegt all ihre Seelheit und Seligkeit.

Es kann gefragt werden, ob diese Geburt besser im Menschen geschehe und vollbracht werde, wenn er sein Werk tue und sich so in Gott hineinbilde und hineindenke, oder wenn er sich in einem Schweigen oder in einer Stille und in einer Ruhe halte und so Gott in ihm spreche und wirke, wenn er also allein auf Gottes Werk in ihm warte?

Ich weise darauf hin, meine Reden und Werke sind allein guten und vollkommenen Menschen gewidmet, in denen vor allem das würdige Leben und die edle Lehre unseres Herrn Jesu Christi lebendig ist. Die sollen nun erfahren, dass das Allerbeste und Alleredelste, wozu man in diesem Leben kommen kann, das ist, dass du schweigest und Gott allda wirken und sprechen lassest. Wo alle Kräfte von allen ihren Werken und Bildern abgezogen sind, da wird dies Wort gesprochen. Darum sprach er: „Mitten im Schweigen ward zu mir das heimliche Wort gesprochen.“ Und darum, so du alle Kräfte allermeist einziehen kannst und in ein Vergessen aller Dinge und ihrer Bilder geraten, die du je in dich zogst, und je mehr du der Kreatur vergissest, um so näher bist du diesem und um so empfänglicher. Könntest du aller Dinge zumal unwissend werden, ja könntest du in ein Unwissen deines eigenen Lebens kommen, wie es Sankt Paulus geschah, als er sprach: „Ob ich in dem Leib war oder nicht, das weiß ich nicht, Gott aber weiß es wohl“ — da hatte der Geist alle Kräfte so ganz in sich gezogen, dass er des Körpers vergessen hatte, da wirkte weder Gedächtnis noch Verstand, noch die Sinne, noch die Kräfte; ebenso geschah es Moses, da er die vierzig Tage auf dem Berge fastete und doch nicht schwächer wurde — so sollte der Mensch allen Sinnen entweichen und all seine Kräfte nach innen kehren und in ein Vergessen aller Dinge und seiner selber kommen. In diesem Sinne sprach ein Meister zur Seele: zieh dich zurück von der Unruhe äußerer Werke, flieh also und verbirg dich vor dem Gestürm äußerer Werke und inwendiger Gedanken, sie schaffen nur Unfrieden. Aber wenn Gott sein Wort in der Seele sprechen soll, muss sie in Friede und Ruhe sein, und dann spricht er sein Wort und sich selbst in der Seele, nicht ein Bild, sondern sich selbst. Dionysius spricht: Gott hat kein Bild oder Gleichnis seiner selbst, denn „gut“ oder „wahr“ gehört zu seinem Sein. Gott wirkt alle seine Werke in sich selbst und aus sich selbst in einem Augenblick. Du darfst nicht glauben, Gott habe, als er Himmel und Erde und alle Dinge machte, heute eines gemacht und morgen das andre. Zwar schreibt Moses so. Er wusste es gleichwohl viel besser: er tat es nur um der Leute willen, die es nicht anders verstehen und fassen konnten. Gott tat nicht mehr dazu als das eine: er wollte und sie wurden. Gott wirkt ohne Mittel und ohne Bilder. Je mehr du ohne Bild bist, je mehr du seines Einwirkens empfänglich bist, und je mehr du in dich gekehrt und selbstvergessen bist, um so näher bist du diesem.

Hierzu ermahnte Dionysius seinen Jünger Timotheus und sprach: Lieber Sohn Timotheus, du sollst mit unbekümmerten Sinnen dich über dich selbst hinaus schwingen und über alle deine Kräfte und über Weisen und über Wesen in die verborgene stille Finsternis, auf dass du zu einer Erkenntnis des unbekannten übergöttischen Gottes kommest. Es muss ein Wegsehen von allen Dingen sein. Gott verschmäht es in Bildern zu wirken.

Nun könntest du fragen: was wirkt denn Gott ohne Bild im Grund und im Wesen? Das kann ich nicht wissen, denn die Kräfte können nur in Bildern wahrnehmen und müssen alle Dinge in ihrem eigenen Bild wahrnehmen und erkennen. Sie können nicht einen Vogel in eines Menschen Bild erkennen, und darum, da alle Bilder von außen hereinkommen, ist es ihr verborgen, und das ist das allernützlichste. Denn Unwissen bringt sie zum Wundern, und bewirkt es, dass sie diesem nachjagt, denn sie findet wohl, dass es ist, sie weiß nur nicht, wie und was es ist. Wenn aber der Mensch die Ursache der Dinge kennt, sofort ist er auch der Dinge müde und sucht wieder ein andres zu erfahren und hat doch immer einen Jammer, diese Dinge zu wissen und hat doch kein Dabeibleiben, darum: die unerkannte Erkenntnis hält sie bei diesem Bleiben und lässt sie doch nicht zur Ruhe kommen.

Davon sprach ein heidnischer Meister ein schönes Wort zu einem andern Meister: Ich werde etwas in mir gewahr, das glänzet in meiner Vernunft; ich merke wohl, dass es etwas ist, aber was es sei, das kann ich nicht verstehen, aber es dünkt mich, wenn ich es begreifen könnte, dann kennte ich alle Wahrheit. Da sprach der andere Meister: Wohlauf, dem folge nach! Denn könntest du es begreifen, so hättest du alles Gute beisammen und hättest ein ewiges Leben. In diesem Sinne sprach auch Sankt Augustin: Ich werde etwas in mir gewahr, das meiner Seele vorspielt und vorschwebt: würde das in mir vollendet und befestigt, das müsste ewiges Leben sein. Es verbirgt sich und tut sich doch kund; es kommt aber auf eine verstohlene Weise, als wolle es der Seele alle Dinge nehmen und stehlen. Aber damit, dass es sich ein wenig zeigt und offenbart, wollte es die Seele reizen und nach sich ziehen und sie ihres Selbst berauben und benehmen. Davon sprach der Prophet: „Herr, nimm ihnen ihren Geist, und gib ihnen dafür deinen Geist.“ Das meinte auch die liebende Seele, als sie sprach: „Meine Seele zerschmolz und zerfloss, als die Liebe ihr Wort sprach: als sie einging, da musste ich hinschwinden.“ Das meinte auch Christus, als er sprach: „Wer etwas um meinetwillen lässt, der wird hundertfältig wieder nehmen, und wer mich haben will, der muss auf sich selbst und auf alle Dinge verzichten, und wer mir dienen will, der muss mir folgen, er darf nicht dem Seinen folgen.“

2.Vom Unwissen.

„Wo ist, der geboren ist als König der Juden?“ — Höret nun, wie diese Geburt vor sich geht.

Die ewige Geburt bringt allweg großes Licht in die Seele, denn es ist die Art des Guten, dass es sich ergießen muss, wo immer es ist. In dieser Geburt ergießt sich Gott mit solchem Licht in die Seele, dass das Licht so groß wird im Wesen und im Grunde der Seele, dass es sich hinausschleudert und in die Kräfte und auch in den äußeren Menschen überfließt. Dieses Lichtes wird der Mensch wohl gewahr. Stets wenn er sich zu Gott kehrt, gleißt und glänzt in ihm ein Licht und gibt ihm zu erkennen, was er tun und lassen soll, und viel gute Lehre, wovon er vorher nichts wusste und verstand. „Woher weißt du das?“ Merk auf. Dein Herz wird mächtig angefasst und von der Welt abgekehrt. Wie anders könnte das geschehen als durch diese Erleuchtung? Die ist so zart und wonnig, dass dich alles verdrießt, was nicht Gott oder göttlich ist. Sankt Augustin sagt: Es gibt viele, die Licht und Wahrheit gesucht haben, aber nur immer draußen, wo sie nicht war. Und dann sind sie zuletzt so weit abgekommen, dass sie nimmermehr heim und nicht mehr hineinkommen. Wer also Licht finden will und Unterscheidung aller Wahrheit, der warte auf diese Geburt in sich und im Innern und nehme ihrer wahr: so werden alle Kräfte und der äußere Mensch erleuchtet. Denn sowie Gott das Innere mit der Wahrheit berührt hat, so wirft sich das Licht in die Kräfte und der Mensch versteht alsdann mehr als ihm jemand lehren könnte. Daher spricht der Prophet: „Ich habe mehr gewusst als alle, die mich je lehrten.“

Hier erhebt sich eine Frage. Da Gott Vater allein im Wesen und im Grund der Seele gebiert und nicht in den Kräften, was geht es die Kräfte an? Was soll ihr Dienst hier, dass sie sich herbemühen und feiern helfen sollen! Wozu ist das not, da in den Kräften nichts geschieht? Das ist gut gefragt. Aber beachte die folgende Unterscheidung. Eine jede Kreatur wirkt ihr Werk um eines Zweckes willen. Der Zweck ist jederzeit das erste in der Meinung und das letzte im Werke. Daher beabsichtigt Gott mit allen seinen Werken einen seelischen Zweck, das heißt: sich selbst, und will die Seele mit all ihren Kräften zu ihrem Zweck führen, das heißt: zu Gott selbst. Darum wirkt Gott all seine Werke, darum gebiert der Vater seinen Sohn in der Seele, dass alle Kräfte der Seele zu ihrem Zwecke kommen. Er trachtet nach allem was in der Seele ist, und ladet es alles zur Bewirtung und zu Hofe. Nun hat sich aber die Seele mit den Kräften nach außen zerteilt und zerstreut, jede in ihr Werk: die Sehkraft in das Auge, die Kraft des Gehörs in das Ohr, die Kraft des Schmeckens in die Zunge, und daher sind ihre Werke um so weniger im Stande inwendig zu wirken: denn jede zerteilte Kraft ist unvollkommen. Darum muss sie, wenn sie inwendig kräftig wirken will, alle ihre Kräfte wieder heimrufen und sie von allen zerteilten Dingen zu einem inwendigen Wirken sammeln. Sankt Augustin sagt: Die Seele ist mehr, wo sie liebt als wo sie dem Leib Leben gibt. Ein Gleichnis: Es war einmal ein heidnischer Meister, der hatte sich der Rechenkunst zugewandt, und saß vor Stäben und zählte sie und ging seiner Wissenschaft nach. Da kam einer und zog sein Schwert (er wusste nicht, dass es der Meister war) und sprach: „Sprich schnell, wie du heißest, oder ich töte dich.“ Der Meister war so sehr in sich gekehrt, dass er den Feind nicht sah noch hörte, noch merken konnte, was er wollte. Und als der Feind lange und viel gerufen hatte und der Meister immer noch nicht sprach, da schlug ihm jener den Kopf ab. Dies war um eine natürliche Kunst zu gewinnen. Wie ungleich mehr sollten wir uns allen Dingen entziehen, und alle unsere Kräfte sammeln, um die einige, grenzenlose, ungeschaffene ewige Wahrheit zu schauen und zu erkennen! Hierzu sammle alle deine Vernunft und all dein Nachdenken: kehre das in die Tiefe, worinnen dieser Schatz verborgen liegt. Wisse, wenn dies geschehen soll, musst du allen anderen Werken entfallen und musst in ein Unwissen kommen, wenn du dies finden willst.