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Meister Eckhart († 1328) ist die Zentralgestalt der oberrheinischen Mystik. In dem hier in neuhochdeutscher Übersetzung vorliegenden Traktat sind Überlegungen aus seiner Zeit als Prior des Erfurter Dominikanerklosters im ausgehenden 13. Jahrhundert zusammengestellt. Sie zeigen ihn weniger als spekulativen Philosophen denn als geistlichen Begleiter, der auf Anliegen und Fragen seiner Brüder einging. So behandelt Eckhart in der Perspektive mystisch-innerlicher Frömmigkeit Fragen der mönchischen und gemeinchristlichen Praxis, berührt die Sünde des Menschen ebenso wie die Frage der Nachfolge Christi und des Sakramentenempfangs. Die Erläuterungen erschließen dieses Handbuch christlicher Lebensführung in seinen historischen Dimensionen wie in seiner Bedeutung für ein gegenwärtiges Verständnis des Christlichen. [Meister Eckhart. Counsels on Discernment] Meister Eckhart († 1328) was the central figure within the so called Rhenish mysticism. When he served as the prior of the Dominican monastery at Erfurt in the late thirteenth century, he wrote the treatise presented here in modern German. Here, we find him more as a spiritual counselor than as a speculative philosopher who answers to questions and problems raised by his brothers. Against a background of mystical interior piety, he traces the issues of monastic as well as average Christian behavior. He speaks about human sinfulness as well as about imitation of Christ and the communion in the Lord's Supper. The commentaries reveal the historical context of the treatise as well as its impact on our days as a handbook of Christian life.
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Seitenzahl: 218
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Große Texte der Christenheit
8
Herausgegeben vonDietrich Korsch und Johannes Schilling
Meister Eckhart
Reden der Unterweisung
Herausgegeben,neu übersetzt und kommentiertvon Volker Leppin
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2019 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Leipzig
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Cover: makena plangrafik, Leipzig
Satz: Evangelische Verlagsanstalt GmbH, Leipzig
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2019
ISBN 978-3-374-06129-7
www.eva-leipzig.de
„Große Texte der Christenheit“ – diese Reihe lädt ein, sich intensiv mit einzelnen Schriften zu befassen, unter Bildern hindurchzutauchen, die man sich von einer Gestalt gemacht hat. Zu lesen, um zu verstehen. Nicht ohne Kontext, aber doch vor allem im konzentrierten Blick auf den Zusammenhang der Gedanken. In diese Reihe auch Meister Eckhart aufzunehmen war die Idee von Dietrich Korsch und Johannes Schilling – ihnen danke ich für die Anregung, die ich sehr gerne aufgenommen habe.
Zu ihren Ermunterungen gehört auch, den mittelhochdeutschen Text in einer eigenen Übersetzung zu präsentieren, deren Erstellung sie außerordentlich hilfreich unterstützt haben. Insbesondere Dietrich Korsch hat ihre Entstehung unermüdlich begleitet. Die Telefonate mit ihm über ein sprachlich wie theologisch angemessenes Verständnis des mittelhochdeutschen Textes gehörten zu den besonders angenehmen Seiten der Vorbereitung und haben mir dabei sehr geholfen. Die Letztverantwortung für die vorliegende Fassung trage selbstverständlich gleichwohl ich selbst. Der Text wird in einer Form präsentiert, die für unsere Gegenwart verstehbar ist – bei Gelegenheit aber verweise ich in meinen Erläuterungen auf den mittelhochdeutschen Text, dessen Sprache manchmal deutlicher ist, als es eine Übersetzung sein kann. Die Erläuterungen sollen nicht mehr leisten, als der intensiven Lektüre und dem Verständnis zu dienen. Ihnen ist gewiss anzumerken, dass es ein evangelischer Theologe ist, der sich hier Eckhart annähert und ihn zu erschließen versucht. Auch Perspektive gehört zur Lektüre dazu – und diese Perspektive jedenfalls halte ich für einen wichtigen Beitrag zum Verständnis Meister Eckharts einerseits, der evangelischen Theologie andererseits. Eckhart wollte mit seinen Reden Menschen an ihre geistlichen Grundlagen heranführen – darin mag vieles liegen, was uns Heutigen fremd ist, und doch kann der Text manchmal auch über siebenhundert Jahre hinweg noch eine Unmittelbarkeit gewinnen, die sich hoffentlich auf den folgenden Seiten erschließt.
Das kleine Büchlein konnte dank vielfältiger Hilfe entstehen: Isabell Väth und Michael Neumaier haben mich in philologischen Zweifelsfällen beraten. Anna Henheik und Anja Bork (alle Tübingen) haben den Text auf verschiedenen Stufen seiner Entstehung durchgesehen und korrigiert. Pfarrerin Jenni Berger (Unterhausen) hat ihn noch einmal kritisch und anregend gegengelesen. Ihnen allen danke ich für die Unterstützung und Beratung. Michael Mergarten, Katja Schmidt und Joele Weil (alle Tübingen) danke ich für die gründliche Korrektur vor der Drucklegung. Dem Verlag, namentlich Frau Dr. Annette Weidhas, danke ich für die wie stets freundliche und professionelle Begleitung des ganzen Projektes von Beginn an.
Volker Leppin
Tübingen, Pfingsten 2019
Cover
Titel
Impressum
Vorwort
ADer Text
BErläuterungen
1. Meister Eckhart: Theologe, Mystiker, Philosoph
1.1Bilder von Meister Eckhart
1.2Spuren eines Lebens zwischen Erfurt, Straßburg und Paris
1.3Der Dominikanerorden als geistliche Heimat Meister Eckharts
1.4Erfurt 1294–1298: Die Reden der Unterweisung
2. Gelassenheit (Kapitel 1–8)
2.1Ordensgehorsam als Gottesgehorsam
2.2Gebet
2.3Von allem lassen
2.4Die Schöpfung als Abbild Gottes
2.5Sein in Gott – Gott in uns
3. Sünde und Buße (Kapitel 9–16)
3.1Der Wille zur Sünde
3.2Christus der Erlöser
3.3Wahre Buße
4. Neues Leben: Nachfolge Christi (Kapitel 17–23)
4.1Seinsethik: Sein und Tun
4.2Tugendethik: Willentliche Ausrichtung auf Gott
4.3Werkethik
4.3.1Von der Schau Gottes zum Wirken in der Welt
4.3.2Vielfältige Wege
4.3.3Des Menschen Werk und Gottes Lohn?
4.4Begegnung mit Gott im Abendmahl
4.5Ziel und Grund: Die Vernichtung des Selbst
5. Zusammenfassung: Eckhart als christlicher Lese- und Lebemeister
6. Wirkung
CAnhang
1. Literatur
2. Zeittafel
Weitere Bücher
Endnoten
Das Folgende sind die Reden, die der Vikar von Thüringen und Prior des Dominikanerkonvents in Erfurt, Bruder Eckhart, Mitglied des Predigerordens, denjenigen geistlichen Kindern gehalten hat, die ihn rund um diese Reden vieles gefragt haben, wenn sie abends beim Gespräch beieinander saßen.
Wahrer und vollkommener Gehorsam ist eine Tugend, die über alle anderen Tugenden hinausgeht. Kein noch so großes Werk kann ohne diese Tugend geschehen oder getan werden. Ein Werk mag noch so klein und verächtlich sein, so wächst sein Nutzen doch, wenn es in wahrem Gehorsam getan wird – ganz gleich, ob es Messelesen oder -hören ist, Beten, Kontemplieren oder was immer du dir vorstellen kannst. Stelle dir ein noch so verächtliches Werk vor, was immer es sei: Wahrer Gehorsam macht es dir edler und besser. Gehorsam wirkt immer das Allerbeste in allen Dingen. Auch hindert der Gehorsam nichts und lässt nichts unbeachtet, was jemand tut. Das tut er in keiner Tätigkeit, die aus wahrem Gehorsam hervorgeht, denn er lässt nichts Gutes unbeachtet. Gehorsam braucht sich nie zu sorgen, denn es fehlt ihm an keinem Gut.
Wo der Mensch in Gehorsam aus sich herausgeht und sich von dem Seinen löst, gerade da muss Gott notwendigerweise wieder hineingehen; denn wenn etwas nicht für sich selbst will, muss Gott ebenso sehr für es wollen wie für sich selbst. Wenn ich mich von meinem Willen gelöst, ihn in die Hand meines Prälaten gelegt habe und nicht mehr für mich selbst will, dann muss Gott für mich wollen, und wenn er mich darin vernachlässigt, dann vernachlässigt er sich selbst. So ist es in allen Dingen: Wo ich nicht für mich will, da will Gott für mich. Jetzt pass auf! Was will er für mich, wenn ich nicht für mich will? Wenn ich mich loslasse, so muss er notwendigerweise für mich alles wollen, was er für sich selbst will, nicht weniger und nicht mehr, und auf dieselbe Weise, wie er für sich will. Und verhielte Gott sich in der Wahrheit, die Gott ist, nicht so, so wäre Gott nicht gerecht, ja, er wäre nicht einmal Gott, was doch sein naturgemäßes Wesen ist.
In wahrem Gehorsam soll man kein „Ich will es so oder so“ oder „dies oder das“ finden, sondern ein reines Hinausgehen aus dem Deinen. Darum soll es in dem besten Gebet, das ein Mensch beten kann, weder ein „Gib mir die und die Tugend oder die und die Lebensweise“ geben noch ein: „Ja, Herr, gib mir dich selbst oder das ewige Leben“, sondern nur: „Herr, gib nur, was du willst und tu, Herr, auf jegliche Weise, was und wie immer du willst“ (vgl. Mt 26,39). Das übertrifft die vorgenannten Gebete wie der Himmel die Erde. Und wenn man das Gebet so vollzieht, dann hat man gut gebetet, weil man in wahrem Gehorsam ganz und gar aus sich heraus- und in Gott eingegangen ist. Und ebenso wie es im wahren Gehorsam kein „Ich will es so“ geben soll, so soll man darin auch nie: „Ich will nicht“ hören, denn „Ich will nicht“ ist für allen Gehorsam wahres Gift. Denn so spricht der heilige Augustin: „Der treue Diener Gottes strebt nicht danach, dass man ihm das sagt oder gibt, was er gerne hörte oder sähe. Denn sein allererstes und höchstes Bemühen richtet sich darauf zu hören, was Gott am allermeisten gefällt.“
Das wirksamste Gebet, das beinahe das allmächtigste ist und alle Dinge erlangen kann, und das über alle Dinge hervorragende allerwürdigste Werk ist dasjenige, das aus einem gelösten Sinn (ledigen gemüete) hervorgeht. Je mehr es gelöst ist, um so wirksamer, würdiger, nützlicher und lobenswerter und vollkommener ist es. Der gelöste Sinn vermag alle Dinge.
Was ist ein gelöster Sinn?
Ein gelöstes Gemüt ist eines, das in nichts verstrickt und an nichts gebunden ist, auch sein Bestes an keine bestimmte Lebensweise gebunden hat und in keiner Angelegenheit auf das Seine ausgerichtet, sondern ganz und gar in den liebsten Willen Gottes versunken ist und sich von dem Seinen gelöst hat. Der Mensch kann niemals irgendein Werk vollbringen, das noch so ärmlich wäre, ohne dass es daraus Kraft und Können zöge.
So kraftvoll soll man also beten, dass man wünschte, alle Glieder und Kräfte des Menschen, Augen ebenso wie Ohren, Mund, Herz und alle Sinne wären darauf ausgerichtet; und man soll damit nicht aufhören, bis man empfindet, dass man im Begriff ist, sich mit dem zu vereinigen, der einem gegenwärtig ist und an den man seine Bitten richtet, nämlich Gott.
Die Menschen sagen: „Ach, Herr, ich wünschte, dass ich mit Gott ebenso gut stünde und ich ebenso viel Andacht aufbrächte und Friede mit Gott hätte wie andere Leute, und ich wünschte, dass es mir ebenso ginge [wie ihnen] oder ich ebenso arm wäre“, oder auch: „Ich werde nie zufrieden sein, wenn ich nicht da oder dort bin und so oder so handle. Ich will unbedingt in der Fremde sein oder in einer Einsiedelei oder in einem Kloster.“
In Wirklichkeit geht es dir dabei nur um dich selbst und um überhaupt nichts anderes. Daraus spricht dein Eigenwille, nur weißt und ahnst du das nicht: In dir entsteht niemals Unruhe, ohne dass sie durch den Eigenwillen bewirkt ist, gleich ob man es merkt oder nicht. Nicht das, was wir damit meinen, dass der Mensch bestimmte Dinge meiden und andere anstreben soll – das heißt Orte, Leute und Lebensweisen oder die Masse oder ein bestimmtes Werk –, ist schuld daran, dass dich eine bestimmte Lebensweise oder Umstände behindern. Du selbst bist es in allen Dingen, was dich behindert, denn dein Verhalten in den Dingen entspricht nicht der rechten Ordnung.
Darum beginn mit dir selbst und lasse dich. Tatsächlich ist es so: Wenn du dich nicht als Erstes von dir löst, so findest du, wohin auch sonst du dich wendest, nur Hindernisse und Unruhe, wo immer es auch sei. Die Leute mögen in äußeren Dingen Ruhe suchen, sei es an bestimmten Orten oder in Lebensweisen oder bei Leuten oder in Werken oder sei es in der Fremde, der Armut oder der Verächtlichkeit – all das schenkt, ganz gleich, wie groß oder was es ist, keine Ruhe. Wer so sucht, sucht auf falsche Weise. Je weiter diese Leute in die Ferne schweifen, desto weniger finden sie, was sie suchen. Es geht ihnen wie jemandem, der seinen Weg verfehlt hat: Je weiter er [auf dem falschen Weg] geht, desto mehr geht er in die Irre. Aber was soll er tun? Er soll als erstes sich selbst lassen, dann hat er alles gelassen. Tatsächlich: Wenn ein Mensch ein Königreich oder die ganze Welt ließe, sich selbst aber behielte, so hätte er nichts gelassen. Ja, und wenn ein Mensch sich selbst lässt, so hat er alles gelassen, ganz gleich, was er noch behält: Reichtum oder Ehre oder was auch immer.
Ein Heiliger sagt über das Wort des heiligen Petrus: „Siehe Herr, wir haben alles gelassen“ (Mt 19,27) (und er hatte doch nichts mehr gelassen als ein bloßes Netz und sein Boot), darüber also sagt der Heilige: Wer willentlich etwas Kleines lässt, der lässt nicht nur das, sondern er lässt alles, was weltliche Leute gewinnen könnten, ja sogar, was sie begehren könnten. Denn wer seinen Willen und sich selbst lässt, der hat alles so wirklich gelassen, als wäre es sein frei verfügbares Eigentum und er hätte es mit voller Verfügungsgewalt besessen. Denn alles, was du nicht begehren willst, das hast du durch Gott hingegeben und gelassen. Daher sagte unser Herr: „Selig sind die Armen im Geiste“ (Mt 5,39), das heißt: im Willen. Und daran soll niemand zweifeln: Gäbe es irgendeine bessere Lebensweise, so hätte unser Herr sie mitgeteilt, so wie er auch sagte: „Wer mir nachfolgen will, der verzichte als Erstes auf sich selbst“ (Mt 16,24). Daran hängt alles. Achte auf dich selbst, und wo du dich findest, da lasse von dir! Das ist das Allerbeste.
Du musst wissen, dass es keinen Menschen gibt, der in diesem Leben so sehr von sich gelassen hätte, dass er nicht die Möglichkeit spürte, noch mehr von sich zu lassen. Nur wenigen Leuten ist das richtig klar, und wenige haben darin Bestand. Dabei handelt es sich geradezu um eine ausgleichende Rückerstattung und ein angemessenes Kaufgeschäft: Genau so viel, wie du dich von allen Dingen löst, nicht weniger und nicht mehr, geht Gott mit all dem Seinen hinein, ganz so wie du dich in allen Dingen von dem Deinen löst. Damit fang an und lass es dich alles kosten, was du aufbringen kannst. Darin findest du wahre Ruhe und nirgendwo anders.
Die Leute bräuchten gar nicht so sehr darüber nachzudenken, was sie tun sollen; sie sollten eher darüber nachdenken, was sie sind. Wären die Leute und ihre Lebensweise gut, dann könnten ihre Werke hell erstrahlen. Wenn du gerecht bist, dann sind auch deine Werke gerecht. Man soll nicht auf den Gedanken kommen, Heiligkeit auf irgendein Tun zu bauen. Man soll Heiligkeit auf Sein bauen, denn nicht die Werke heiligen uns, sondern wir sollen die Werke heiligen. Wie heilig die Werke auch sein mögen, so heiligen sie uns doch überhaupt nicht, insofern sie Werke sind, sondern: Insofern wir heilig sind und Sein haben, sofern heiligen wir alle unsere Werke, gleich, ob es nun Essen, Schlafen, Wachen oder was auch immer sei. Denen es an bedeutendem Sein fehlt, die können alle möglichen Werke tun, es wird doch nichts daraus. Beachte hier, dass man alle Anstrengung darauf richten soll, dass man gut sei, und nicht so sehr darauf, was man tue oder von welcher Art die Werke sind, sondern, wie der Grund der Werke beschaffen sei.
Die Ursache dafür, dass das Sein und der Grund des Menschen in höchstem Maße gut seien, so dass auch die Werke des Menschen gut sind, liegt darin, dass der Sinn des Menschen ganz auf Gott ausgerichtet ist. Richte all dein Bemühen darauf, dass Gott für dich Bedeutung hat und dass all dein Einsatz und deine Anstrengung ihm gilt in all deinen Werken und all deinem Lassen. Ganz gewiss: Je mehr das geschieht, desto besser sind alle deine Werke, ganz gleich, welche es sind. Sei ganz bei Gott, dann überträgt er dir alle Güte. Suche Gott, dann findest du Gott und alles Gute. Du könntest wirklich in dieser Gesinnung bloß auf einen Stein treten, dann wäre das eher ein gottgefälliges Werk, als wenn du, um dich selbst zu erbauen, den Leib des Herrn nähmest, deine Gesinnung dabei aber weniger abgeschieden wäre. Wer ganz bei Gott ist, bei dem ist Gott und jegliche Tugend. Was du zuvor gesucht hast, das sucht nun dich. Wonach du zuvor jagtest, das jagt nun dir nach, und wovor du vorher fliehen wolltest, das flieht nun vor dir. Darum gilt: Wer in höchstem Maße bei Gott ist, bei dem ist alles, was göttlich ist, und den flieht alles, was Gott ungleich und fremd ist.
Jemand hat mir folgende Frage gestellt: Es gebe viele Leute, die sich weit von den anderen Menschen zurückzögen und gerne die ganze Zeit allein wären. Sie fänden darin ihre Ruhe und darin, dass sie in der Kirche seien – ob das das Beste wäre? Da habe ich geantwortet: Nein! Und pass auf, warum! Mit wem es wirklich recht steht, mit dem steht es an allen Orten und bei allen Leuten recht. Mit wem es aber unrecht steht, mit dem steht es an allen Orten und bei allen Leuten unrecht. Mit wem es aber recht steht, der hat Gott wirklich bei sich. Wer aber Gott wirklich recht hat, der hat ihn an allen Orten, auf der Straße und bei allen Leuten genauso wie in der Kirche oder in einer Einöde oder in einer Mönchszelle. Einen Menschen, der ihn sonst recht hat und ihn allein, den kann niemand behindern.
Warum?
Er hat dann allein Gott und richtet sich allein auf Gott aus, und so werden ihm alle Dinge durch und durch göttlich. Ein solcher Mensch führt Gott mit sich in allen seinen Werken und an allen Orten. Und alle Werke dieses Menschen wirkt Gott allein. Denn das Werk kommt im eigentlichen Sinne und viel wirklicher von dem her, der es verursacht, als von dem, der das Werk unmittelbar wirkt. Wenn wir wirklich rein und ausschließlich nach Gott streben, dann muss er unsere Werke wirken, und niemand, keine Menge und kein Ort, kann ihn an irgendeinem seiner Werke hindern. Daher kann diesen Menschen niemand hindern, denn er strebt nach nichts anderem, sucht nichts anderes und ihm gefällt nichts anderes als Gott. Denn er wird mit diesem Menschen in seinem ganzen Bestreben vereinigt. Wie daher keine Vielfalt Gott zerstreuen kann, so kann auch diesen Menschen nichts zerstreuen oder vervielfältigen, denn er ist eines in dem einen, in welchem alle Vielfalt eins, eine Nicht-Vielfalt ist.
Der Mensch soll Gott in allen Dingen ergreifen und soll seinen Sinn daran gewöhnen, dass er alle Zeit Gott im Sinn, in seinem Bestreben und seiner Liebe gegenwärtig habe. Achte darauf: Den Sinn, mit welchem du nach Gott strebst, wenn du in der Kirche oder der Mönchszelle bist, den bewahre. Führe ihn mit dir unter die Menge, in die Unruhe und die Ungleichheit. Und wie ich schon häufiger gesagt habe: Wenn man von Gleichheit spricht, bedeutet das nicht, dass man alle Werke, alle Orte oder alle Menschen als gleich ansehen soll. Das wäre ganz unangemessen, denn Beten ist ein besseres Werk als Spinnen, und die Kirche ist ein edlerer Ort als die Straße. Aber dein Sinn soll bei den Werken gleich sein, das Vertrauen, die Liebe zu deinem Gott und die Aufrichtigkeit. Tatsächlich: Wenn in dir alles so gleichgesinnt wäre, dann würde niemand ein Hindernis zwischen dich und die Gegenwart deines Gottes legen.
Aber in wem Gott nicht in dieser Weise wirklich ist, wer stattdessen Gott immer äußerlich hier oder dort ergreifen will und ihn auf eine unangemessene Weise durch Werke oder Menschen oder Orte sucht, der hat Gott nicht. Diesen Menschen kann leicht etwas behindern, denn er hat Gott nicht, und er sucht nicht ihn allein, liebt nicht ihn allein und strebt nicht allein nach ihm. Darum behindert ihn nicht nur schlechte Gesellschaft, sondern auch gute, auch nicht nur die Straße, sondern auch die Kirche, nicht nur böse Worte und Werke, sondern auch gute Worte und Werke. Denn das Hindernis liegt in ihm, weil in ihm Gott nicht alles geworden ist. Wäre das nämlich so, dann stünde es mit ihm an allen Orten und bei allen Menschen recht und gut. Denn er hat Gott, und den kann ihm niemand nehmen, und niemand kann ihn an seinem Werk hindern.
Worauf beruht nun dieses wahre Haben Gottes, dass man ihn wirklich hat?
Dieses wahrhafte Haben Gottes hat seinen Ort im inneren Sinn (gemüete) und in einem innerlichen verstandesgemäßen Zuwenden und Ausrichten auf Gott, nicht aber darauf, beständig in gleicher Weise an ihn zu denken. Das nämlich könnte die Natur unmöglich anstreben. Es wäre sehr schwer und auch nicht das Allerbeste. Der Mensch soll nicht einen gedachten Gott haben und sich damit nicht begnügen, denn wenn der Gedanke vergeht, vergeht auch ein solcher Gott. Man soll vielmehr einen seienden Gott haben, der weit über den Gedanken des Menschen und aller Geschöpfe steht. Dieser Gott vergeht nicht, wenn sich der Mensch nicht willentlich von ihm abkehrt.
Wer so Gott im Sein hat, der ergreift Gott auf göttliche Weise, und dem leuchtet er in allen Dingen. Denn alle Dinge haben für ihn göttlichen Geschmack, und Gottes Bild formt sich ihm aus allen Dingen. In ihm erstrahlt Gott alle Zeit, in ihm findet eine abgeschiedene Abkehr statt und sein geliebter gegenwärtiger Gott bildet sich in ihn hinein. Es geht ihm wie einem, den vor lauter Durst heftig dürstet: Der könnte zwar anderes tun als zu trinken und auch an andere Dinge denken; aber den ließe doch, ganz gleich, was er tun oder bei wem er sein mag, was er anstrebte, dächte oder wirkte, das Bild des Trankes nicht los, solange der Durst dauert. Und je stärker der Durst ist, um so tiefer im Innern, gegenwärtiger und dauerhafter ist das Bild des Trankes. Oder man denke an einen, der etwas mit aller Kraft so heftig liebt, dass ihm nichts anderes als genau das gefällt und zu Herzen geht und er allein danach strebt und nach überhaupt nichts anderem – es ist doch wahr: Wo immer oder bei wem immer dieser Mensch ist, was er auch beginnt oder tut, so vergeht in ihm das, was er so sehr liebt, niemals. Er findet in allen Dingen das Bild dieses geliebten Gegenstandes, und es ist ihm um so mehr gegenwärtig, je größer und größer die Liebe wird. Ein solcher Mensch sucht keine Ruhe mehr, denn ihn behindert keine Unruhe.
Dieser Mensch findet viel stärkeres Lob bei Gott, weil er alle Dinge von Gott her begreift und das in höherem Maße, als es bei ihnen selbst der Fall ist. Dazu gehört, wie es sich versteht, Anstrengung und Liebe, Aufmerksamkeit für das Innere des Menschen und ein waches, wahres und wirkliches Wissen im Verstand, worauf der Sinn inmitten der Dinge und bei den Menschen fußt. Das kann ein Mensch nicht durch Flucht lernen, indem er vor den Dingen flieht und sich äußerlich in die Einöde zurückzieht. Vielmehr muss er erlernen, eine innere Einöde zu finden, wo oder bei wem er sich auch immer befinden mag. Er muss lernen, die Dinge aufzubrechen und darin seinen Gott ergreifen. Den muss er kraftvoll und so, dass er wirklich da ist, in sich bilden können. Das ist so, wie wenn jemand schreiben lernen will. Wenn der diese Fertigkeit wirklich beherrschen will, muss er sich oft und intensiv aktiv darin üben, es mag ihm noch so sauer und schwer ankommen oder ihm gar unmöglich erscheinen. Ist er bereit, eifrig und oft zu üben, so lernt er es und erlangt die Fertigkeit. Zuerst muss er sich wirklich auf jeden Buchstaben konzentrieren und den sehr gründlich in sich bilden. Wenn er dann aber später über die Fertigkeit verfügt, wird er das Bild ganz und gar los und muss nicht mehr an den Buchstaben denken. Er schreibt dann gelöst und frei. Genauso wäre es auch mit Geige spielen oder jeder anderen Betätigung, die ein Können voraussetzt. Für den Betreffenden reicht es völlig zu wissen, dass er die seinem Können entsprechende Tätigkeit ausüben will. Auch wenn er dann keine besondere Aufmerksamkeit mehr nötig hat; woran immer er auch denken mag, er tut, was er tut, aufgrund seiner Kunstfertigkeit.
Genau so soll der Mensch von göttlicher Gegenwart durchdrungen, von der Form seines geliebten Gottes durchformt und in vollem Sein in ihm sein. Dann leuchtet ihm seine Gegenwart ohne alle Mühe. Ja, noch mehr: Er empfängt Leere in allen Dingen und kommt gänzlich von den Dingen los. Dazu, das zu erreichen, gehört zuerst, sich zu konzentrieren und spürbar in sich Bilder zu erwecken, wie bei einem Schüler, wenn er eine Kunstfertigkeit erlernt.
Man findet viele Menschen, die erreicht haben, wohin der Mensch tatsächlich, wenn er nur will, leicht kommt: dass ihn die Dinge, mit denen er umgeht, nicht behindern und sie keine dauerhaften Bilder in ihm entstehen lassen. Denn wo das Herz voll von Gott ist, da können die Geschöpfe keinen Platz haben oder finden. Aber damit sollen wir uns noch nicht begnügen. Wir sollen alle Dinge so gut es geht nutzen, ganz gleich, worum es sich handelt, wo wir sind, was wir sehen oder hören, wie fern etwas sei oder wie unangemessen. Erst dann ist es richtig für uns, vorher nicht. Und der Mensch soll niemals damit fertig werden. Er soll beständig darin wachsen und im wahren Wachstum immer mehr erlangen.
Und der Mensch soll bei allen seinen Werken und in allen Dingen erkennbar seinen Verstand gebrauchen. In allen Dingen soll er ein vernunftgemäßes Bewusstsein von sich selbst und seinem Innern haben und in allen Dingen Gott auf die höchste Weise ergreifen, die nur möglich ist. Denn der Mensch soll sein, wie es unser Herr gesagt hat: „Ihr sollt wie Leute sein, die alle Zeit wach sind und auf ihren Herrn warten“ (Lk 12,36). Menschen, die warten, sind wirklich wachsam und schauen sich um, woher der kommt, auf den sie warten. Und sie achten auf ihn in allem noch so Fremden, was kommt, ob er etwa darin sei. Genau so sollen wir in allen Dingen bewusst unseren Herrn wahrnehmen. Dazu muss man viel Mühe aufbringen. Es muss alles kosten, was man mit Sinnen und Kräften zu leisten vermag. Dann wird es recht mit den Leuten und sie ergreifen Gott in allen Dingen auf gleiche Weise und finden Gott in allen Dingen im gleichen Maß.
Da ist durchaus das eine Werk anders als das andere. Aber wenn einer seine Werke aus gleichem Sinn täte, so wären tatsächlich auch seine Werke alle gleich. Und mit wem es wirklich recht stünde, dem leuchtet Gott ebenso unverhüllt im Weltlichen wie im Allergöttlichsten, wenn Gott so für ihn gegenwärtig geworden ist. Es ist dann nicht etwa so, dass der Mensch selbst etwas Weltliches oder Unangemessenes wirkte, sondern alles, was von außen durch Sehen oder Hören auf ihn einströmt, soll er auf Gott ausrichten. Nur wenn einem Gott so in allen Dingen gegenwärtig ist und man in höchstem Maße über den eigenen Verstand verfügt und ihn gebraucht, dann kennt man die wahre Ruhe und erlangt das rechte Himmelreich.