Professor Zamorra 1223 - Simon Borner - E-Book

Professor Zamorra 1223 E-Book

Simon Borner

0,0
1,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das alte Haus von Hangman’s Hill!
Nacht liegt auf seinen Mauern, Dunkelheit haftet an seinen Decken und Böden. Die leeren Fenster starren ins Nichts wie die Augen hirntoter Zombies.
Nichts rührt sich hier. Nicht einmal der Wind wagt sich ins Innere des Gebäudes, um die mit staubigen Laken abgedeckten Möbel zu berühren oder mit dem alten Kronleuchter zu spielen. Selbst die Ratten machen seit gefühlten Äonen einen Bogen um das verfallene alte Haus.
Sie wissen, warum.
Jeder in Clifton Falls weiß es.
Nur die Teenager nicht ...
Es zu betreten, gilt als harmlose Mutprobe -
bis die Legende blutige Wirklichkeit wird!


Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 141

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Das Haus des Mister Blood

Leserseite

Vorschau

Impressum

Das Haus des Mister Blood

von Simon Borner

Das alte Haus von Hangman's Hill!

Nacht liegt auf seinen Mauern, Dunkelheit haftet an seinen Decken und Böden. Die leeren Fenster starren ins Nichts wie die Augen hirntoter Zombies.

Nichts rührt sich hier. Nicht einmal der Wind wagt sich ins Innere des Gebäudes, um die mit staubigen Laken abgedeckten Möbel zu berühren oder mit dem alten Kronleuchter zu spielen. Selbst die Ratten machen seit gefühlten Äonen einen Bogen um das verfallene alte Haus.

Sie wissen, warum.

Jeder in Clifton Falls weiß es.

Nur die Teenager nicht ...

Wir sind alle verflucht, jeder auf seine eigene Weise. Wir alle tragen eine Last mit uns herum, die wir hilflos akzeptieren müssen. Ich zum Beispiel drehe Horrorfilme ...

Wes Craven, Regisseur

Leinwand 1:Haus der verlorenen Schreie

»Hast du etwa Angst?« Steve Carrington grinste, als er die Scheibe des Kellerfensters einschlug. »Komm schon, sei jetzt nicht prüde. Niemand wird es je erfahren.«

Shelly Kramer schluckte. Mit einem Mal war ihr ganz kalt. Wollte sie das wirklich tun? »Steve«, sagte sie. »Warte. Das ... das ist verboten. Wir können nicht einfach in ein altes Haus einsteigen.«

Er sah zu ihr. »In das Haus hier? Auf jeden Fall!« Dann streckte er den Arm durch die kaputte Scheibe, entriegelte das Fenster und kletterte voraus in den dunklen Keller.

Shelly schlang die Arme um den Oberkörper. Vom Knistern der vergangenen Stunde war wenig übrig, jedenfalls bei ihr. Nun, da das alte Haus von Hangman's Hill vor ihnen aufragte, stand ihr der Sinn absolut nicht mehr nach neckischen Spielchen.

Steve hingegen ...

»Was ist?«, rief er aus der Dunkelheit herüber. »Willst du da draußen Wurzeln schlagen, oder willst du mir zeigen, dass du kein kleines Mädchen mehr bist? Ich warte, Shelly.«

Sie wusste nicht, wovor sie mehr Angst hatte: vor dem, was sie und Steve tun wollten, oder vor dem Haus als solchem. Es stand auf einem Hügel außerhalb der Ortsgrenzen und war uralt. Schon Shellys Eltern hatten sich in Jugendjahren Gruselgeschichten darüber erzählt. Das dreigeschossige Haus mit seinen dunklen Mauern, seinen hohen Fenstern und seinen seit gefühlten Äonen verrammelten und verriegelten Türen war wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten, um das sich schon seit Generationen nur noch die Ratten und das Unkraut kümmerten.

Wann immer Shelly an ihm vorbeifuhr, kamen ihr die Schatten zwischen seinen Mauern schwärzer vor als überall sonst. Nicht selten hatte sie sich auch eingebildet, eine Gestalt an einem der Fenster zu sehen. Einen grinsenden Schemen, der ihr zuwinkte. Der sie zu sich locken wollte. In die Finsternis.

»Buuuuh!« Steve war wieder am Kellerfenster. Er grinste breiter denn je zuvor. Sein Tonfall war pure Geisterbahn. »Ich bin Mister Blood. Buuuuuuhhh ...«

»Steve, das ist nicht nett.« Shelly versuchte gar nicht erst, ihre Gänsehaut zu überspielen. »Erschreck mich nicht immer so.«

»Zum letzten Mal, Shelly«, sagte er mit einigem Tadel. Dabei fuhr er sich durch das kurze blonde Haar. »Ich bin nicht hergekommen, um Moos anzusetzen oder mich mit den Ratten zu unterhalten. Komm jetzt rein, oder wir fahren zurück nach Clifton Falls. Dann bringe ich dich zu deiner Mami, und wir vergessen die ganze Sache.«

Ihr war sofort klar, was er mit ›die ganze Sache‹ meinte: nicht nur den unüberlegten Ausflug nach Hangman's Hill, sondern sie beide. Ihre komplette Beziehung. Carrington war der Quarterback ihrer High School und gehörte zu den beliebtesten – okay, und attraktivsten – Jungs der ganzen Schule. Er war es nicht gewöhnt, zu warten. Er konnte haben, was immer er wollte – und wen immer er wollte. Shelly hatte wochenlang darauf hingefiebert, dass er sie überhaupt wahrnahm. Und nun, da sie endlich zu zweit unterwegs und ungestört waren, bekam ausgerechnet sie kalte Füße.

Also gab sie sich einen Ruck.

Ignorierte die Angst.

Und kletterte ebenfalls in den dunklen Keller.

Sofort fiel ihr die Stille auf. Draußen hatte sie wenigstens noch die Blätter rascheln hören, das Heulen einer Eule, den leisen Verkehr unten an der Straße. Aber hier? Für einen kurzen Moment glaubte sie fast, sie sei taub geworden. Nichts drang mehr an ihre Ohren. Absolut gar nichts.

Dann spürte sie Steves Hände auf den Schultern. »Mmmmh«, brummte er zufrieden. »Wusste ich's doch. Die kleine Shelly Kramer hat es faustdick hinter den Ohren. Komm, ich zeig dir was.«

Er lief voraus ins Dunkel.

»W... warte!«, rief sie ihm nach und folgte ihm.

Nicht, weil sie noch tiefer in diesen unheimlichen Keller eindringen wollte. Sondern aus Angst, allein zu sein.

Sie kamen durch mehrere Räume, die leer standen. Im Licht des Feuerzeugs, das Steve hochhielt, sah Shelly nacktes, unverputztes Mauerwerk und alte Rohre. Kaputte Lampen hingen in vergitterten Halterungen, schwere Türen hingen schief in rostigen Scharnieren. Die Luft roch abgestanden und staubig.

Nach etwa fünf Minuten erreichten sie die schmale Treppe.

»Es ist gleich da oben«, wusste Steve. »Komm.«

»Hey, wo ... wo wollen wir denn überhaupt hin?« Hilflos und überfordert zuckte sie mit den Achseln. »Ich dachte, du möchtest ...« Dabei deutete sie an sich hinab, als müsse sie sich ihm anbieten.

Er grinste. »Und ob ich möchte. Aber zuerst muss ich dir etwas zeigen.«

Sprach's und lief die schmalen Stufen hinauf. Abermals folgte sie ihm aus purer Notwendigkeit.

Das Erdgeschoss des alten Hauses war dunkel und weit. Ein großes Foyer, von dem mehrere Korridore abgingen. Shelly sah mit weißen Tüchern abgedeckte Möbel, wurmstichige Bodendielen, einen verstaubten und halb zerfallenen Kronleuchter ... und die große Freitreppe.

»Das ist sie, Shel.« Steve war direkt vor der Treppe stehengeblieben. Seine Hand mit dem Feuerzeug deutete voraus wie die eines Museumsführers. »Genau hier hat er's getan. Da vorn auf den Stufen hat er seine Frau aufgeschlitzt, da oben seine Kinder. Und dann hat er sich selbst erhängt, siehst du? Er muss vom Geländer im ersten Stock gebaumelt sein, gleich hier über uns.«

Wieder zog Shelly ein eiskalter Schauer über den Rücken. Ihr ganzer Körper schrie danach, wegzurennen. Panisch zu fliehen, solange sie es noch konnte. Doch ausgerechnet ihr Mund schwieg. Vor lauter Entsetzen brachte sie kein Wort mehr über die bibbernden Lippen.

Denn sie wusste genau, von welchem Er Steve da sprach. Jeder Teenager in Clifton Falls wusste, wer »Mister Blood« war. Und jeder Teenager wusste, warum man einen weiten, weiten Bogen um das verlassene Haus auf Hangman's Hill machte.

Weil es vor langer, langer Zeit ihm gehört hatte: Alan Bluth. Dem zum Mörder mutierten Familienvater. Mister Blood. Dem einstigen Metzger von Clifton Falls.

Steve Carrington trat einen Schritt vor. »Was meinst du, Shelly?«, sagte er, und ein Funkeln lag dabei in seinen braunen Augen. »Wir tun es genau hier. Genau vor dieser Treppe. Wäre das nicht obergeil?«

Schon streifte er sich die Footballjacke von den breiten Schultern und öffnete seinen Gürtel.

Shelly fand absolut nichts daran obergeil. Aber sie verstand, dass er die Geschichte – »Ich hab sie genau an der Stelle genommen, Jungs! Vor Mr Bloods gottverdammter Treppe!« – in der Umkleidekabine seinen Teamkollegen erzählen wollte. Vermutlich bis ans Ende seiner Tage. Sie würde ihn zum Helden seiner Kumpels machen, zur lebenden Legende ihrer High School.

»Steve, ich weiß nicht«, sagte sie kleinlaut. »Wir sollten besser wieder gehen. Hier ... Hier ist es so ...«

Es gab kein Nein, nicht für Steve Carrington. Bevor sie den Satz beenden konnte, presste er ihr seine Lippen auf den Mund und küsste sie. Lang. Hart. Dabei nestelten seine Finger bereits an der Knopfleiste ihrer Bluse.

Shelly erschauerte, als seine Hände wie beiläufig über ihre Brüste glitten. Aber aus anderen Gründen als er dachte.

»Siehst du?«, verstand Steve sie prompt falsch. Er zwinkerte ihr zu. »Du willst das genauso wie ich. Also mach dich locker, Shel. Wir tun nichts, was die ganze Welt nicht auch schon getan hätte. Etwas vollkommen Natürliches. Nur tun wir's eben hier und ...«

Nun war er es, der nicht zu Ende sprach. Steve hatte sich erneut zur breiten Freitreppe umgedreht und verstummte plötzlich mitten im Satz. Gleichzeitig zuckte er zusammen.

Einen Sekundenbruchteil später sah auch Shelly den Grund dafür. Auf der Treppe stand jemand!

Die Gestalt war groß. Ein Mann mit zerzaustem schwarzen Haar und einem irren Funkeln im Blick. Alan Bluth trug eine weiße, blutbeschmierte Metzgersschürze. Blutbeschmiert war auch sein weißes Hemd ... und das lange Schlachtermesser in der ausgestreckten Hand!

Shelly Kramer schrie, als die Klinge Steve Carringtons Kehle traf. Dann ging der Quarterback zu Boden, gefällt wie ein blutender, gurgelnder Baum.

Und das wahre Grauen begann ...

Gegenwart

Kevin Dante zuckte zusammen, als die Pringles-Rolle ihn am Hinterkopf traf. »Au!«, beschwerte er sich. Wütend drehte er sich um. »Was soll das? Ich dachte, du wolltest das hören.«

»Ich wollte eine Gruselgeschichte«, klagte sein bester Freund. Eric Craven lag auf dem alten Sofa und zog eine unzufriedene Grimasse. »Oder eine Sexgeschichte. Oder sogar beides. Was du uns da aber auftischst, ist furzlangweilig, Kev.«

»Ja, genau«, meinte seine Freundin Thalia Romero. Die Vierzehnjährige, die sich gern älter gab und auf erfahren machte, saß auf dem Erdboden, genau wie Kevin und die anderen. Doch auch ihr Gesicht, das der Junge im Flackern des Lagerfeuers sah, war tadelnd. »Das war furzlangweilig, Dante. Da hab ich ja im Kindergarten schon bessere Storys gehört. Die ganze Zeit laberst du, und am Ende hat diese Shelly noch nicht mal die Bluse auf. Wie soll man denn da auf Touren kommen.«

Kevin verschränkte die Arme vor der Brust. Er war beleidigt. »Dann erzählt ihr doch eine, Menno. Ich muss hier nicht den Unterhalter geben. Nur zu. Freiwillige vor. Macht's besser.«

Elena Carpenter legte ihm eine Hand auf den Arm. »Ich mochte deine Geschichte«, sagte die Neue an seiner Schule. Ihr Lächeln war aufrichtig, ihr Ton freundlich. »Für mich war die gerade gruselig genug.«

Klar, seufzte Kevin innerlich. Du bist ja auch ein Weichei.

Er mochte Elena. Sie war cool – auf ihre ganz eigene, zurückhaltende Art. Sie hielt ihn nicht für das schwächste Glied in der Kette, so wie es die anderen taten.

Die anderen, das waren seine übrigen Freunde. Diejenigen, mit denen Kevin schon sein ganzes Leben lang in Clifton Falls abhing: Eric Craven, das Sport-Ass mit den braunen Locken und der kurzen Lunte. Thalia Romero, die Tochter des Supermarktbesitzers.

Und dann war da natürlich noch Paul, Kevins kleiner Bruder, der immer mitmusste, obwohl – oder gerade weil – niemand sonst ihn leiden konnte. Auch am heutigen Abend hatte Paul mal wieder durch seine unmögliche Art geglänzt. Erst hatte er die Clique mit lauten Furzgeräuschen belustigen wollen, dann hatte er zwei Flaschen Coke auf Ex geleert und gerülpst, dass man es sicher noch in Cleveland hörte. Und als all das nicht fruchtete, war er einfach eingeschlafen – direkt am Feuer.

»Ach, Scheiß auf Geschichten.« Thalia trat gegen den Schlafenden. »Ich will was erleben, verflucht. Wir sitzen hier rum, und mir ist langweilig.«

»Ja, genau«, stimmte Eric ihr zu. »Total langweilig.«

Kevin schwieg. Sie alle wussten, dass der Abend am Feuer Erics Idee gewesen war. Kommt alle zu mir nach Hause, hatte er gesagt. Meine Eltern sind nicht da, und wir schleppen die Couch hinters Haus und erzählen uns gegenseitig Gruselgeschichten. Aber es war mal wieder typisch: Sobald Kevin einstieg, war das Coole plötzlich nicht mehr cool. Erst recht, wenn Thalia es sagte.

»Dann schlagt halt was Besseres vor«, brummte er.

In dem Moment wurde Paul wach. »Ich hab's«, sagte er und schoss hoch wie von der Tarantel gestochen. »Wir gehen da hin.«

»Wo da?«, erwiderte Eric schroff. »Was redest du, Mann?«

»Na, nach Hangman's Hill«, meinte Kevins dummer fetter Bruder. »Ins alte Haus von Mister Blood. Wie in Kevins Geschichte.«

»Zum letzten Mal, Paul: Ich mach nicht mit dir rum, klar?« Thalia lachte. »Auch nicht in Mister Bloods alter Hütte. Du bist eklig.«

»Ich meine das ernst«, beharrte Paul. »Ständig hören wir die alten Geschichten. Immer die gleichen. Und ständig fahren wir an Hangman's Hill vorbei und fragen uns, wie es wohl wäre, selbst mal da hochzugehen und sich die Bude aus nächster Nähe anzusehen.«

»Das kann ich dir sagen«, warf Kevin ein. Er sprach schnell, denn der Vorschlag missfiel ihm, und er wollte ihn unterdrücken, bevor er Wurzeln schlug. »Es wäre dunkel und dreckig und doof. Die Bruchbude ist keine Reise wert, Paul. Es sei denn, du hast Lust, dir an irgendwelchen rostigen Nägeln eine Blutvergiftung einzufangen. Oder in Rattenkot zu baden.« Er stutzte. »Okay, das Letzte traue ich dir sogar noch zu ...«

»Na komm, Brüderchen.« Paul knuffte ihn in die Seite. So fest, dass Kevin fast umfiel und im Feuer landete. »Ich rede doch nur von einem kleinen Ausflug. Wir fünf, zusammen auf Hangman's Hill.«

»Mit den Rädern wären wir in zwanzig Minuten da«, wusste Thalia.

»Ich weiß nicht«, sagte Kevin und verpasste Paul eine Kopfnuss. »Es ist spät, Leute. Und dunkel. Und ... und überhaupt.«

»Ke-vin ist fei-ge«, begann Eric einen höhnischen Singsang. »Ke-vin ist fei-ge.«

Thalia stimmte sofort ein. Auch Paul ließ sein vom Stimmbruch gezeichnetes Organ hören.

»Okay, okay!« Kevin stand auf und hob abwehrend die dünnen Arme. »Ein Vorschlag: Lassen wir Elena entscheiden. Sie ist neu in der Stadt. Sie kennt Hangman's Hill weniger als wir alle zusammen.«

Alle verstummten und sahen die Neue an.

Enttäusch mich jetzt nicht, flehte Kevin innerlich. Bitte. Sei vernünftig.

Doch Elena wollte nicht die Spaßbremse sein. Vermutlich gerade weil sie noch neu in Clifton Falls war

»O... okay?«, sagte sie.

Paul klatschte in die Hände. Thalia riss die Arme in die Höhe. Eric sprang vor Begeisterung von der alten Couch.

»Geil!«, rief er und zeigte Kevin den Stinkefinger.

Kurz darauf radelten sie los.

Es war ein warmer Abend in Clifton Falls. Die Zwanzigtausend-Seelen-Gemeinde im Herzen von Ohio saß dennoch bereits in ihren Wohnzimmern oder lag sogar schon in den Betten. Kein Wunder, fand Kevin, dem seine verschlafene Heimatstadt immer schon zu übersichtlich vorgekommen war. An diesem Abend sehnte er sich allerdings nach ein wenig mehr »Schnarchigkeit«.

»Wollt ihr wirklich ...«, begann er abermals.

»Kevin!«, tadelten Paul, Thalia und Eric ihn im Chor.

Und er verstummte. Schweigend näherte sich die Clique dem Ortsrand. Dahinter folgten satte Wiesen und das Bett des leise plätschernden Okona River, hinter dem sich der Hangman's Hill emporreckte. Der Hügel war auch ohne das Haus von Mister Blood ein unheimlicher Ort, fand Kevin. Immerhin hatte er seinen Namen, weil dort früher ein Galgen stand. Das wurde zumindest behauptet. Ob es wirklich stimmte, wusste er so wenig, wie er die Existenz eines Metzgers namens Bluth in den Annalen von Clifton Falls belegen konnte. Das waren alles Geschichten.

Weswegen sie aber trotzdem wahr sein können, dachte er.

Gott, was hatte er keine Lust auf einen Besuch im alten Haus ...

Schon von Weitem sahen sie das dunkle Gebäude. Kevins Blick wanderte über altes Mauerwerk und morsches Holz, wild wucherndes Unkraut. Einige Fenster waren zerstört, andere mit Brettern vernagelt. Dennoch wirkten sie alle, als müsse jeden Moment ein wahnsinniger Axtmörder in ihnen erscheinen und den Freunden zuwinken. Genau wie in der urbanen Legende von Shelly und Steve.

»Da wären wir.« Thalia stieg ab und ließ ihr Rad ins hüfthohe Gras fallen. »Hier spielt Kevins ach so gruselige Gruselstory.«

»Ich finde, er sollte sie für uns nachspielen«, forderte Eric grinsend. »Pass auf, Kev. Du steigst da ein, rennst durch das Haus bis zu diesem kaputten Fenster hier oben und winkst uns dann. Wenn du das machst, nehmen wir dir deine ultralahmen Geschichten auch nicht mehr übel.«

»Leck mich, Eric.«

»Nein, im Ernst. Du wolltest uns unterhalten. Also?« Er deutete auf das alte Haus. »Ihre Bühne ist bereit, Mr C.K.«

Paul hob beide Brauen. »C.K.? Du kommst uns hier echt mit Louis C.K.? Das ist ein ganz mieser, übler ...«

»Leck mich, Paul«, fiel Eric ihm ins Wort. Dabei blieb sein Blick auf Kevin gerichtet – anklagend und fordernd zugleich. »Was ist jetzt, Dante? Mann oder Maus?«

Kevin stöhnte innerlich. Er verfluchte den Tag, an dem er seinem ehemals besten Freund gestanden hatte, dass er Elena mochte. Denn genau deswegen packte Eric ihn jetzt bei seiner Mannesehre.

Es war Elena, die ihn schließlich rettete. Zumindest in Ansätzen. »W... warum gehen wir nicht alle?«, schlug sie zögernd vor. Man sah ihr an, wie wenig auch sie davon hielt, nachts in ein Spukhaus einzubrechen. Aber man sah auch, dass sie wegen Kevin ein schlechtes Gewissen hatte. »Alle fünf. Das ist doch bestimmt viel lustiger.«

»Genau!« Paul jubelte, als hätte sie es ernst gemeint. Dann rempelte er Thalia tadelnd an. »Endlich mal eine Frau nach meinem Geschmack.«

»Leck mich, Paul«, brummte sie.

Doch damit war es beschlossene Sache. Sie würden Mister Bloods Haus betreten – sie alle fünf.

Heilige Scheiße, dachte Kevin, seufzte innerlich und ergab sich seinem Schicksal.

Verflucht, wo sind die anderen denn?, dachte Kevin zum gefühlt tausendsten Mal.

Er hatte seine Freunde verloren, kurz nach Betreten des Hauses. Zunächst hatten sie sich noch in der Gruppe vorgewagt und waren dabei minütlich leiser geworden, kleinlauter. Sie hatten die Eingangstür geöffnet, das alte Foyer betreten und so getan, als mache ihnen das Knarren der Bodendielen und das Funkeln des Mondlichts in dem alten Kronleuchter gar keine Angst. Obwohl das gelogen gewesen war.

Doch schon bald hatten sie sich aus den Augen verloren.

Nur wegen Eric.