Professorin werden - Regula Kyburz-Graber - E-Book

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Regula Kyburz-Graber

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Wie wird man Professorin? Regula Kyburz-Graber (Jg. 1950) berichtet autobiografi sch und anschaulich von ihrem Karriereweg: Nach ihrem Biologiestudium an der ETH Zürich realisiert sie, dass sie anders tickt als die Männer in ihrem Umfeld. Statt sich anzupassen, sucht sie einen eigenen Weg, befasst sich mit Fragen des Lernens und der Teamarbeit und wählt die Umweltbildung als Forschungsthema. Die Beschäftigung mit diesem damals neuen Feld macht sie zur Pionierin. Die Wissenschaftlerin wird auch Mutter dreier Kinder und erzählt, wie die Karriere nicht zuletzt deshalb gelang, weil sie Beruf, Haushalt und Familie partnerschaftlich mit ihrem Mann aufteilte. 1998 wird Regula Kyburz- Graber die erste Professorin an einem Höheren Lehramt in der Schweiz und erste ordentliche Professorin für Gymnasialpädagogik an der Universität Zürich. Dass dieser Weg nicht nur einfach war, wie viel Entschlossenheit und Durchsetzungskraft es in dieser Männerdomäne brauchte, darüber berichtet sie. Mit wachem Blick erzählt sie von Vorurteilen und Stereotypen - und wie sie mit ihrer weiblichen Perspektive neue Wege beschritt.

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FÜR PETER,ANDREA, DENISE, STEPHAN

VORWORT

IDER WEG ZUR FORSCHUNG

IIFAMILIE UND FORSCHUNG

IIIDIE GROSSE CHANCE

IVAUFBAU DES LEHRSTUHLS

VINSTITUTSDIREKTORIN

VIFRAU UND KARRIERE

NACHWORT

VORWORT

Als ich im Sommer 1970 als 20-jährige ETH-Studentin volljährig wurde, durfte ich weder an kantonalen noch an eidgenössischen Abstimmungen teilnehmen. Das Stimm- und Wahlrecht war den Frauen noch verwehrt. Nur auf Gemeindeebene und in der evangelisch-reformierten Kirche war ich stimm- und wahlberechtigt. Eine Abstimmung der Männer zur Einführung des Frauenstimmrechts im Kanton Zürich stand kurz bevor, und im darauffolgenden Frühling 1971 sollte die eidgenössische Abstimmung folgen. Ich spürte in jenem Jahr die verhaltene Hoffnung, dass die Zustimmung endlich gelingen möge und fieberte mit. Auf der anderen Seite entnahm ich aus Leserbriefen und Berichten zu öffentlichen Veranstaltungen, dass es noch immer zahlreiche Männer gab, die der Meinung waren, Frauen sollten sich besser um Haushalt und Kinder kümmern statt um politische Probleme. Bei uns im Zürcher Oberland waren solche Stimmen besonders präsent.

Meine sensible Wahrnehmung von konservativen gesellschaftlichen Wertvorstellungen hängt gewiss mit einem markanten Erlebnis in meiner Kindheit zusammen. Ich wurde 1950 in der Stadt Zürich geboren und verlebte die ersten knapp zehn Jahre am Rand der Stadt in Zürich Höngg als Zweitälteste zusammen mit zwei Schwestern und einem jüngeren Bruder. 1960 bezogen wir als Familie ein neugebautes Einfamilienhaus in Grüningen, im Zürcher Oberland. Alles war hier anders: die sehr ländliche Umgebung, die Kinder, die Erwachsenen, die Sprache. Und vor allem die Schule. Der Anfang in der neuen Klasse war sehr schwierig für mich. Ich trauerte dem modernen neuen Schulhaus in Höngg nach. In Grüningen gingen wir in einem Schulhaus mit Baujahr 1920 zur Schule.1 Wir sassen auf Holzbänken, die durch einen Fussrost mit den Tischen verbunden waren. Die Tische waren mit eingelassenen Tintenfässchen bestückt. Die Kinder sprachen langsamer als in der Stadt, und die Buben verwendeten viel öfter grobe Ausdrücke. Ich fühlte mich nicht wohl. Zum Glück hatten wir eine junge Lehrerin, die meine Nöte verstand und versuchte, mich nach Kräften zu unterstützen und zu fördern. Die Klasse war mit dem Schulstoff sehr viel weniger weit als meine damalige Klasse in Höngg. So war ich in den Fächern Sprache und Rechnen oft Schritte voraus. Ich wollte keine Aussenseiterin sein und blieb es dennoch. Dazu trug auch die Situation meiner Familie bei. Wir waren die Städter, die Fremden, meine Eltern die Studierten. Zudem trat meine ältere Schwester schon ein Jahr später ins Gymnasium in Wetzikon ein. Zwei Jahre später folgte ich ihr, später dann auch die beiden anderen Geschwister.

Wenn wir am grossen Tisch im Esszimmer versammelt waren, sprachen die Eltern oft über die bevorstehenden Abstimmungen. Gleichstellung in beruflichen Tätigkeiten war zwar noch kein Thema. Meine Mutter, ausgebildete Primarlehrerin, war seit der Heirat ausschliesslich im Haushalt tätig, abgesehen von ein paar kurzen Einsätzen als Stellvertreterin in der Schule, wenn «Not am Mann» war. Mein Vater, ursprünglich ebenfalls Primarlehrer, studierte weiter, um Sekundarlehrer zu werden, dann in Zoologie zu promovieren, als rechte Hand des Zoodirektors zu wirken und schliesslich Biologielehrer und Lehrerbildner zu werden. Mutter und Vater setzten sich beide vehement für die Einführung des Frauenstimmrechts ein. Sie waren zwar nicht politisch tätig, aber dieses Thema führte bei ihnen zu energischen Diskussionen. Bei uns zu Hause las man die Tat, die Tageszeitung des Landesrings der Unabhängigen. Für uns Kinder wurde die Forderung zur Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Stimm- und Wahlrechtsfragen eine Selbstverständlichkeit.

Von 1963 bis 1969 besuchte ich das Gymnasium an der Kantonsschule Zürcher Oberland. Die Schule war jung, genau an meinem Geburtstag, am 14. Juli 1950, hatte die Gemeindeversammlung Wetzikon dem Bau der Schule zugestimmt. Das erfuhr ich zwar erst, als ich die Schule schon längst abgeschlossen hatte. Aber irgendwie fühlte sich die Schule über all die Jahre als «meine» Schule an. Ich lernte gerne und schätzte die vielen Besonderheiten des damals ersten Landgymnasiums im Kanton. Und hier nun war das Oberland fortschrittlicher als die grosse Stadt. Die Stadtzürcher Gymnasien waren damals noch alle nach Geschlechtern getrennt. Wie stolz waren wir auf unsere fortschrittliche Schule.

Jeweils im 11. Schuljahr wurden staatsbürgerliche Arbeitstage durchgeführt. 1967 organisierte die damals einzige Mathematiklehrerin an der Kantonsschule Zürcher Oberland zusammen mit Kollegen die staatsbürgerlichen Arbeitstage. Das Thema lautete «Die Stellung der Frau in der Schweiz». Nicht alle unseres Jahrgangs beurteilten dieses Thema als dringend. Einige lachten versteckt oder offen über die Mathematiklehrerin, wenn sie sich in den Diskussionen ereiferte. Für mich aber waren es eindrückliche, prägende Tage. Namhafte Rednerinnen und Redner aus den Bereichen Recht, Wirtschaft und Politik boten uns eine breite Palette von Wissen, und in den Diskussionen konnten wir die Themen mit eigenen Erfahrungen und Meinungen vertiefen. Ich erinnere mich an eine Mitschülerin, die selbstbewusst verkündete, dass sie kein grosses Interesse an einem Studium oder an einer anderen Ausbildung nach der Matura habe, weil sie sicher Mutter werden und dann als Hausfrau zu Hause bleiben würde. Sie war nicht die Einzige, die eine solche Position vertrat. Ich war entsetzt. Mit der Matura in der Tasche würden uns alle Möglichkeiten der beruflichen Ausbildung offenstehen. Und da gab es Mitschülerinnen, die diese nicht nutzen wollten? Dafür hatte ich keinerlei Verständnis. Die Mathematiklehrerin hielt dann zwei Jahre später die Maturarede für unseren Jahrgang, natürlich zum Thema Gleichberechtigung. Sie sprach über die Geschlechterdiskriminierung in der Gesellschaft und zeigte dies an Gesetzmässigkeiten in der Berufswelt auf: Frauen würden je nach Konjunktur in den Arbeitsmarkt geholt beziehungsweise wieder ausgeschlossen; das Prestige eines Berufes sinke, je höher der Frauenanteil sei (typisch zum Beispiel bei den Lehrberufen); und die Anzahl Frauen in leitender Position sei kleiner, je höher die Hierarchiestufe sei. Gegen Ende ihrer Rede sprach sie uns nochmals eindringlich an: «Liebe Maturandinnen und Maturanden, es wird eine Zeit kommen – und vielleicht viel früher, als wir alle denken –, in der die Geschlechtsdiskriminierung nur noch im Geschichtsunterricht einen Platz haben wird, wie die Kinderarbeit und das Sklaventum.»2

Das war vor fünfzig Jahren. Die grossen Frauenrechtlerinnen und Politikerinnen der ersten Stunde gehörten unserer Müttergeneration an. Mit meinem Geburtsjahrgang gehöre ich zu den Frauen, die mit der Volljährigkeit 1970 noch kurze Zeit erlebten, was es bedeutete, kein politisches Stimmrecht zu haben. Das Brodeln in der Gesellschaft vor der denkwürdigen kantonalen und der eidgenössischen Abstimmung im November 1970 und im Februar 1971, die unbeschreibliche Freude, als ein deutliches Ja zustande kam, und schliesslich die neu erlangten Rechte nahm ich deshalb besonders bewusst wahr. Diese Jahre haben mich geprägt. Von jener Zeit an betrachtete ich politische und soziale Entwicklungen durch die Brille der Gleichberechtigung. Mein Blick wurde geschärft für Schwierigkeiten, die sich mir in meiner beruflichen Ausbildung und Tätigkeit ergaben, weil ich eine Frau bin.

Bewusst wählte ich eine Studienrichtung und eine Hochschule, die nicht als angemessene Vorbereitung für eine gängige Frauenkarriere galten: Naturwissenschaften an der ETH, der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Ich hatte zwar noch keine Ahnung, wo mich der berufliche Weg hinführen sollte. Aber ich wollte meinem Umfeld beweisen, dass Frauen genauso gut wie Männer ein naturwissenschaftliches Studium bewältigen konnten. Die Wahl fiel auf die ETH und nicht auf die Universität Zürich, an der damals schon bedeutend mehr Frauen als an der ETH Biologie studierten, weil ich rasch zu einem Diplom kommen wollte. An der ETH war dies nach einem vierjährigen Studium möglich. Man konnte ja nie wissen, wie es weitergehen würde.

Mit 27 Jahren begann ich, Tagebuch zu schreiben, um meine Erfahrungen und Beobachtungen zu verarbeiten. Damals war das Schreiben ein Bedürfnis, um immer wieder Orientierung zu finden. Was geschah? Was bedeutete mir das Erlebnis? Wo stand ich jetzt? Wo wollte ich hin? Diese Fragen begleiteten mich durch all die Jahre. Erst nach der Pensionierung reifte der Gedanke, dass ich meine Erfahrungen als Studentin, Forscherin, Mutter und Professorin festhalten und erzählen könnte. Ich beschloss zu berichten, wie das war, sich in einem neuen wissenschaftlichen Fach – der Umweltbildung – zu etablieren, zu heiraten und drei Kinder zu haben mit einem Partner, der die Familienaufgaben arbeitsteilig mittrug. Ich war im Wissenschaftsbetrieb nicht eine der Pionierinnen der allerersten Stunde, aber ich war eine der noch immer wenigen Frauen, die es auf einen Lehrstuhl schafften und eine der noch selteneren Frauen, die das mit einem Familienleben mit Kindern vereinbaren konnten. Nicht, dass das immer einfach gewesen wäre. Wenn wir heute unsere Enkelin hüten, sind die sehr anstrengenden Phasen in der Vergangenheit zwar nicht vergessen, aber die Dankbarkeit, dass das alles so möglich gewesen war, überwiegt.

Und so hoffe ich, dass diese autobiografische Erzählung, in der mein beruflicher Werdegang den roten Faden bildet, jungen Frauen – und jungen Männern – Mut macht, Familie und Karriere nicht als Gegensatz zu konstruieren, sondern als gemeinsam gestaltbare Lebensaufgabe anzupacken.

Regula Kyburz-Graber leitet 1986 den Weiterbildungskurs «Integrierte Naturlehre für Sekundarlehrer» im Kanton Freiburg. Die Lehrergruppe untersucht Bodenproben.

IDER WEG ZUR FORSCHUNG

Studium zwischen Leuchttürmen und Grautönen

Die erste Vorlesung am 20. Oktober 1969 am «Poly» war ein magischer Moment. «Poly», so wurde damals das Polytechnikum, die ETH, genannt. Da sass ich in einem vollen Hörsaal der Chemieabteilung, umgeben von einem Meer junger Männer, durchsetzt nur ab und zu mit wenigen Studentinnen. Wir Frauen setzten uns nicht zusammen, wir kannten uns nicht, und zudem waren wir an die ETH gekommen, um uns in diesem Umfeld zu behaupten. Ich hatte mir lange vorher versucht vorzustellen, wie es als Studentin am «Poly» sein würde, wie es sich anfühlen würde, an der für naturwissenschaftlichtechnische Fächer renommierten Hochschule ein Studium zu beginnen.

In unserem Biologiestudiengang waren wir fünf Frauen und rund dreissig Männer. Frauen waren an der ETH zwar schon seit ihrer Eröffnung 1855 ausdrücklich zum Studium zugelassen. Aber erst 1877 schloss die erste Studentin, eine Russin, das Studium der Land- und Forstwirtschaft ab. 1968, ein Jahr vor meinem Studienanfang, war die erste Titularprofessorin, im Fach Geobotanik, ernannt worden. Erst 1985 wurde die erste ordentliche Professorin, eine Architektin, gewählt und 1992 die erste Frau zur Ehrendoktorin ernannt. Es war die amerikanische Umweltschützerin und Mitautorin des Club-of-Rome-Berichts «Grenzen des Wachstums» (1972), Donella H. Meadows. Und 2007 schliesslich wurde Heidi Wunderli-Allenspach, Professorin für Biopharmazie, zur ersten Rektorin der ETH gewählt.

Der Beginn am «Poly» war nicht spektakulär. Trotzdem spürte ich ein erhabenes Gefühl in mir, fast wie beim Start meiner ersten Velotour, als ich eine neue Freiheit entdeckt hatte. Jetzt war der Moment der Selbstbestimmung gekommen, der Beginn eines Hochschullebens, für das ich ganz alleine zuständig war. Kein lästiger, dauernder Prüfungsdruck mehr, keine kleinschrittigen Vorgaben der Unterrichtsthemen, keine Eingrenzung auf genau fixierte Inhalte. Grosszügigkeit, grundlegende Einblicke, taufrische Forschungserkenntnisse, das erhoffte ich mir. Ich würde entscheiden, worauf ich Gewicht legen wollte, was ich interessant und faszinierend fand. So malte ich mir das Hochschulstudium aus. Wie oft hatten wir von unseren Lehrern am Gymnasium gehört, dass mit dem Studium das eigentliche Leben beginnen würde, dass wir dann auf uns allein gestellt sein würden und konsequent arbeiten müssten, um erfolgreich zu sein. Ich fürchtete mich nicht vor diesem neuen Anfang, im Gegenteil, ich fühlte mich erlöst und frei. Das Studium würde ich schaffen, daran hatte ich nicht den geringsten Zweifel. Respekt vor dem Unbekannten hatte ich dennoch. Aber Freude, Glück, Stolz und Selbstüberzeugung dominierten meine Gefühlslage.

Die ersten Worte des Chemieprofessors holten mich dann aber auf den Boden der Realität. Was ich hörte, klang nicht abgehoben, auch nicht besonders klug, sondern sehr pragmatisch: Einführung ins Studium, was uns alle erwarten würde, dass wir vor allem das Laborpraktikum, das immerhin zwölf Stunden pro Woche ausmachen würde, ernst nehmen sollten. Dann folgte der Einstieg in die Anorganische Chemie, der für mich nichts Neues beinhaltete. Wir hatten am Gymnasium einen – aus meiner Sicht ausgezeichneten, in den Augen anderer eher zu anspruchsvollen – Chemieunterricht genossen, den ich so spannend gefunden hatte, dass ich mir eine Zeit lang auch ein Chemiestudium überlegt hatte. Schliesslich hatte ich mich aber dann für die Biologie entschieden, weil mich in diesem Fachgebiet, abgesehen von der Naturnähe, die damals aktuellen Forschungen in der Molekulargenetik zur DNA-Struktur und zur Biosynthese der Proteine faszinierten. Chemie gehörte aber dennoch zu den ersten Vorlesungen im Biologiestudium. Doch stärker als die Inhalte der Chemievorlesungen im ersten Studiensemester blieben mir die regelmässigen Anspielungen des Professors auf die «Nicht-Wissenden» in Erinnerung. Zum Beispiel auf die Hausfrauen, die keine Ahnung hätten, wie viel Gift sie mit der Zitronenschale in den Kuchen rieben, oder die nicht wüssten, warum Blaukohl mit Essig zu Rotkohl würde. Es gab viele Seitenhiebe gegen diejenigen «da draussen», die mehr ironisch als ernst gemeint waren. Trotz oder gerade wegen der Ironie störten mich diese zur Auflockerung gedachten Bemerkungen, weil ich sie als Geringschätzung der Alltagpraxis jenseits der hehren Hochschule empfand. Warum wurden wir als «Elite» in den Himmel gehoben? Ich mochte dieses Wort nicht, schon am Gymnasium war es oft gefallen. Ich war nicht so aufgewachsen, dass ich Menschen mit praktischen Berufen, wie Handwerker oder Hausfrauen, gering geschätzt hätte. An der ETH schien mir aber die Überheblichkeit geradezu zelebriert zu werden. Der Alltag schien weit weg zu sein, ausserhalb dessen, was die Hochschulwelt interessierte. Hier zählte nur die akademische Welt, die mir tatsächlich so abgehoben vorkam, wie man es sich ausserhalb dieser ehrwürdigen Gottfried-Semper-Mauern erzählte. War es doch mehr als ein Vorurteil? Meine ersten Erfahrungen schienen es zu bestätigen.

Später erlebte ich ganz andere Begegnungen, mit Dozenten, die den Funken mit ihrer Leidenschaft für die Forschung in den Lehrveranstaltungen auf uns Studierende überspringen liessen. Da war der Professor für Pflanzenphysiologie, der jeweils nach der Vorlesung bewusst im Hörsaal blieb, um mit uns diskutieren zu können. Er wartete geradezu auf Studierende, die nach vorne kamen, um Fragen zu stellen. So waren wir gelegentlich auch eine halbe Stunde später noch dort und tauschten uns über die aktuelle Forschung in der Pflanzenphysiologie und über kontroverse Sichtweisen auf forschungsmethodisch neue Ansätze aus, als ob wir Forschungserfahrung gehabt hätten. Der Dozent liess uns wohl bewusst in dieser Überzeugung, um unseren Forschergeist zu wecken. Hier wurde Forschung für mich lebendig. Was in den allermeisten Vorlesungen als Konserven präsentiert wurde, lebte hier dank den Menschen, die ich mit der Forschung in Verbindung bringen konnte. Und es blitzte auf, dass auch naturwissenschaftliche Forschung keineswegs nur in wissenschaftstheoretisch gesicherten Bahnen verlaufen musste. Es war die Zeit, als man den biologischen Landbau zum Forschungsgegenstand machte und versuchte, den Unterschied zwischen konventionell produzierten und biologisch-organisch oder biologisch-dynamisch gewachsenen Pflanzen auch biochemisch nachzuweisen. Mich interessierten die Forschungszugänge viel mehr als die Ergebnisse. Genau darüber entspannen sich die Diskussionen. Alle Diskussionsbeiträge von uns Studierenden, mochten sie auch noch so ungelenk formuliert sein, wurden vom Professor interessiert aufgenommen und im Gespräch weiter verwertet. Wir wurden ernst genommen. Das war für uns eine Erfahrung, die wir nicht oft machen konnten.

Ein Professor der Molekularbiologie brachte nach einer Einführung in verschiedene Themenstellungen aktuelle Fachzeitschriftenbeiträge in seine Seminarveranstaltung. Da brüteten wir in der Diskussionsvorbereitung über den englischsprachigen Fachtexten und versuchten zu verstehen, was darin präsentiert wurde. Ohne die Hilfe des Professors im Seminar wären wir wohl mit unserem Verständnis nicht weit gekommen. Aber er schaffte es, uns den Fachartikel verständlich zu machen. Auch hier wurden wir in der Diskussion der Artikel ernst genommen, und wir spürten den Hauch der Wissenschaft. Wir bekamen ein Gefühl, als ob wir einen grossen Schritt in Richtung eigene Wissenschaftstätigkeit gemacht hätten. Auch die Entomologie, die Insektenkunde, begann mich zunehmend zu faszinieren. Hier wurden uns in den Vorlesungen ebenfalls neue Erkenntnisse präsentiert. Es waren weniger die Forschungswege, die wir dargestellt bekamen, als aktuelle Forschungsergebnisse, die Einblick gaben in die Evolution der unbeschreiblichen Vielfalt der Insektenarten. Vielleicht war es in diesen Stunden, dass ich mich für das Unterrichten zu interessieren begann.

Neben solchen Leuchttürmen plätscherte der Vorlesungsbetrieb eher eintönig dahin. Ich sah mich in einer passiven Rolle, abgesehen davon, dass ich gewissenhaft alle Arbeitsunterlagen laufend verarbeitete und für mich durch farbig gestaltete Zusammenfassungen dokumentierte. Ich häufte Wissen an, befasste mich mit biologischer Forschung und aktuellen Erkenntnissen. Aber wozu? Das begann ich mich immer häufiger zu fragen. Seit der Zeit am Gymnasium beschäftigte ich mich mit Sinnfragen. Da waren die Aufsatzthemen gewesen, die schliesslich stets zu Fragen nach dem Sinn des Lebens geführt hatten. Die Suche danach hatte ich verinnerlicht. Wie naheliegend, dass mich die Frage bereits in den ersten Semestern wieder einholte: Was war für mich der Sinn meines Biologiestudiums?

Hinzu kam, dass ich nach lukrativen Möglichkeiten des Geldverdienens Ausschau hielt. Der Grund war meine neue Lebenssituation. Ich wollte mich unabhängig von meinen Eltern machen, das Studentinnenleben in vollen Zügen geniessen, ohne stets daran denken zu müssen, wann am Abend jeweils die nächste Möglichkeit für die Rückfahrt nach Hause möglich sei. Schon in der dritten Woche des Studiums hatte ich Peter kennengelernt. Zufällig. Beide waren wir nicht auf der Suche nach einer Partnerschaft, sondern wollten uns aufs Studium konzentrieren, wie wir uns später lachend versicherten. Peter kam auf dem zweiten Bildungsweg an die ETH. Als Ältester war er zusammen mit vier Geschwistern auf einem aargauischen Kleinbauernbetrieb aufgewachsen. Sein grösster Stolz war, dass er nach der Bezirksschule eine Berufslehre als Maschinenzeichner bei der für Vermessungsinstrumente und Reisszeuge renommierten Firma Kern in Aarau absolvieren konnte. Anschliessend besuchte er drei Jahre das Technikum in Biel (die heutige Fachhochschule) und arbeitete dann als Maschineningenieur HTL (Höhere Technische Lehranstalt) in Genf und später in Chippis bei der Alusuisse. Dort reifte in ihm der Wunsch nach einer tiefgreifenden Veränderung in der Berufsausrichtung. In nur sechs Monaten bereitete er sich selbstständig mit den Unterrichts- und Prüfungsmaterialien der Akademikergemeinschaft auf die Aufnahmeprüfung an die ETH vor. Für HTL-Absolventen war diese Prüfung reduziert, das heisst ohne Mathematik, Physik und Chemie. Die Prüfungsanforderungen entsprachen denjenigen der eidgenössischen Matura. Peter schaffte die Aufnahmeprüfung und konnte mit 26 Jahren das Studium im Herbst 1969 starten. Da er noch den militärischen Wiederholungskurs zu absolvieren hatte, trat er erst in der dritten Semesterwoche ins Studium der Agronomie ein. Und genau am ersten Montag in jener dritten Woche sassen wir zufällig nebeneinander. Auf seine Frage, was wir in den beiden vergangenen Wochen im betreffenden Fach, der Speziellen Botanik, behandelt hätten, erläuterte ich ihm die Inhalte der verpassten Vorlesungen. Von da an trafen wir uns jeden Tag, denn es stellte sich heraus, dass die Agronomen eine ganze Reihe von Fächern gemeinsam mit den Biologiestudierenden belegten. Es funkte zwischen uns, und unser Studium bekam unerwartet eine gemeinsame Perspektive. Unsere Beziehung war es, die mich dazu bewog, finanziell und räumlich selbstständig zu werden. Meine Eltern waren nicht erfreut, dass ich mich in einen sieben Jahre älteren Mann verliebt hatte. Sie fürchteten, ihre Tochter würde vielleicht bald ein Kind bekommen und das Studium aufgeben. An der Ernsthaftigkeit unserer Studienabsichten hatten aber weder Peter noch ich Zweifel. Ich wollte einfach unabhängig sein und die Freiheit geniessen.

Ich schaute mich also um und informierte mich, ob ich mit Unterrichten Geld verdienen könnte. Und siehe da, schon kurz nach den ersten scheuen Gedanken entdeckte ich ein Inserat am Anschlagbrett beim Zoologischen Institut der ETH. Es wurde eine Lehrperson – vermutlich damals explizit ein Lehrer, aber daran erinnere ich mich nicht mehr – für die Bezirksschule Baden gesucht, für die Fächer Mathematik, Naturkunde und Chemie. Ohne lange zu überlegen, bewarb ich mich um die Stelle. Ich war noch nie vor einer Schulklasse gestanden, war aber überzeugt, dass ich das Unterrichten im Blut hätte, war doch meine Mutter ausgebildete Primarlehrerin, und mein Vater unterrichtete damals als Gymnasiallehrer an der Oberrealschule Rämibühl. Zudem hatten mein Grossvater und meine Grossmutter bereits um 1900 eine Ausbildung zum Lehrer, zur Lehrerin gemacht. Und auch mein Urgrossvater war Lehrer gewesen. Diese Lehrerdynastie erwähnte ich natürlich nicht im Detail, aber vermutlich nahm ich in meinem Bewerbungsbrief Bezug auf meine Verankerung im Lehrberuf. Noch wichtiger aber war mir, meine eigenen Qualifikationen vorlegen zu können, das Maturitätszeugnis und das Zeugnis des ersten Vordiploms, das ich 1970 erworben hatte. Weiter reichte mein Studiennachweis Anfang 1971 noch nicht, aber ich hoffte, dass diese Dokumente genügend Eindruck machen würden.

Unterrichten aus dem Stand

Und die Bewerbung glückte. Ich wurde zum Vorstellungsgespräch eingeladen und gleich eingestellt, ohne dass man einen Beweis meiner Lehrfähigkeit sehen wollte. So dringend suchte man damals in den 1970er-Jahren nach Lehrpersonen, dass man sogar auf eine 20-jährige Studentin setzte, die erst ein Vordiplom an der ETH vorweisen konnte. Auch als ich dann meine Unterrichtsstunden an der Bezirksschule hielt, am Anfang noch reichlich unsicher in der neuen Rolle, kam nie jemand von der Schulleitung zu einem Unterrichtsbesuch vorbei. Vertraute man mir blind? Nur einmal stellte ich während einer Unterrichtsstunde fest, dass sich die Türe in der hinteren Wand des Schulzimmers leicht öffnete und später wieder schloss. Hatte man mir schon mehrmals auf diese Weise zugehört? Ich wollte es nicht glauben. Jedenfalls hörte ich nie etwas zu meinem Unterricht, weder negativ noch positiv. So blieb ich an der Schule, reiste zwei- bis dreimal wöchentlich mit dem Zug nach Baden zum Unterrichten, liess mir von einer Studienkollegin die Vorlesungsnotizen mit einer Blaupause kopieren und schuftete fast Tag und Nacht für das Studium, das damals gegen fünfzig Präsenzstunden umfasste.

Im Wintersemester war in der ersten Klasse Menschenkunde angesagt. Als Lernmittel diente eine Mappe mit einzelnen Arbeitsblättern. Gegen Ende des Semesters hatten wir alle Themen bearbeitet. Das etwas verstaubte Bild, das ich vom Lernmittel erhalten hatte, zeigte sich unter anderem darin, dass die Fortpflanzungsorgane nicht vorkamen und damit auch keine Sexualkunde. Als ich die Klasse fragte, ob ihnen Themen im bisherigen Unterricht fehlten, meldete sich ein kecker Junge, der bemängelte, dass wir die Fortpflanzungsorgane bisher nicht besprochen hätten. Die Klasse nickte zustimmend und kicherte, in gespannter Erwartung, was ich dazu sagen würde. Ganz selbstverständlich ging ich auf die Antwort des Jungen ein und fragte die Klasse, ob sie das Thema gerne besprechen würde. Alle nickten. Ich traute mir das Thema selbstbewusst zu, war doch Sexualität in den Jahren nach 1968 für unsere Generation kein Tabu mehr. Ich informierte den Schulleiter, dass ich Fortpflanzung und Sexualkunde im Unterricht besprechen würde. Den Eltern schrieb ich einen Brief. Niemand beschwerte sich, niemand war dagegen. Und so unterrichtete ich in den nächsten Stunden Sexualkunde, ohne Lehrmittel, nur mit selbst zusammengestellten Arbeitsunterlagen. Die 12- bis 13-jährigen Jungen und Mädchen wollten viel wissen, natürlich nicht nur über die Biologie der Fortpflanzung, sondern auch über die körperliche Liebe. Ich ging mit grosser Selbstverständlichkeit darauf ein und war überzeugt, den Jugendlichen etwas fürs Leben mitgegeben zu haben. Ein paar Jahre später, als ich – selbst hochschwanger – zwei Mädchenklassen in einem Gymnasium über den Menstruationszyklus unterrichtete, sagte mir ein Vater, dass ich den Schülerinnen etwas mitgegeben hätte, was unbezahlbar sei.

Nach dem zweiten Vordiplom, im Frühjahr 1972, wurde mir das Unterrichten in Baden neben dem Studium zu viel, und ich reichte die Kündigung ein, aber nur, um in der Stadt Zürich eine neue Lehrtätigkeit an einem Gymnasium annehmen zu können. Auch das gelang problemlos, ohne Mühe fand ich einen neuen Lehrauftrag, zunächst an der neu gegründeten Dependance der Kantonsschule Freudenberg in Urdorf, die dann später zur selbstständigen Kantonsschule Limmattal wurde. Später bekam ich eine Stelle als Lehrbeauftragte an der damaligen Töchterschule Stadelhofen, an der ich fast zehn Jahre lang blieb. Zwischendurch unterrichtete ich auch Maturanden an der Oberrealschule Rämibühl, dem heutigen Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Gymnasium, an dem mein Vater Biologielehrer war. Als er ein Sabbatical nahm, übertrug er mir eine Klasse, jedoch nicht, ohne mich vorher in das Unterrichten am Gymnasium eingeführt zu haben. Denn es hatte ihm nicht gefallen, wie ich ohne Ausbildung an der Bezirksschule Baden zu unterrichten begonnen hatte. Neben seiner Tätigkeit als Gymnasiallehrer unterrichtete mein Vater auch angehende Biologielehrerinnen und -lehrer an der Universität Zürich. So verwendete er seine Didaktikkonzepte, um mir die Prinzipien des Unterrichtens zu zeigen und meine Unterrichtsweise in zwei Übungslektionen zu prüfen. Mit meinen Unterrichtsstunden war er sehr zufrieden. Mir schien, dass er gar überrascht war, wie gut ich bereits unterrichtete. Jedenfalls hatte ich die väterliche Prüfung bestanden und durfte eine seiner Klassen unterrichten. Die Aufgabe war nicht leicht. Die jungen Männer wollten der nur wenig älteren Biologielehrerin ganz offensichtlich mit herausfordernden Fragen auf den Zahn fühlen. Mein Ziel, einen anspruchsvollen Biologieunterricht für Maturanden zu bieten, war ambitioniert und fordernd. Die Reaktionen der Schüler liessen mich mehr als einmal an meinen Fähigkeiten als Lehrerin zweifeln. Es war für mich deshalb eine Erlösung, als ich nach dem Semester Stellvertretung die Klasse wieder abgeben konnte. Wie viel unkomplizierter und vertrauter gestaltete sich das Unterrichten der Schülerinnen an der Töchterschule Stadelhofen.

Als Schülerin und zu Beginn des Studiums war ich schüchtern und zurückhaltend gewesen. Die Erfahrungen, die ich als Lehrerin machen konnte, hoben mein Selbstvertrauen. Ich konnte mein neu gewonnenes Wissen aus dem Studium nutzen, nicht direkt für die Unterrichtsinhalte, aber als Hintergrundwissen, wenn im Unterricht Fragen gestellt wurden – was in der Biologie sehr oft der Fall ist: Wie lange schläft ein Siebenschläfer?, zum Beispiel. Ich wurde durch das Unterrichten selbstsicherer, lernte, Verantwortung zu übernehmen, tauschte die Rolle der Studentin mit einer beruflichen Tätigkeit. Ich hatte auch das Gefühl, dass ich mit der Unterrichtserfahrung besser erkannte, was im Studium wirklich wichtig war. Man konnte sich leicht in den unzähligen Details, die geboten wurden, verlieren. Mit dem Unterrichten wurde ich sicherer in der Schwerpunktsetzung.

Anfang der 1970er-Jahre war es unmöglich, als «Konkubinatspaar», wie damals ein unverheiratetes Paar genannt wurde, eine Wohnung in der Stadt Zürich zu bekommen. Denn das Konkubinat war rechtlich nicht anerkannt. Wer unverheiratet zusammenleben wollte, musste in den Kanton Aargau ausweichen, wo das Konkubinat nicht ausdrücklich verboten war. So zogen damals nicht wenige der Studierenden nach Spreitenbach, in eine Gemeinde nahe bei Zürich, aber dennoch bereits im Kanton Aargau. Peter und ich entschieden uns für eine andere Lösung: Wir heirateten 1972, noch vor Abschluss des Studiums. Das brachte Peter zudem den Vorteil, dass er zusätzlich zum Stipendium von jährlich 4800 Franken – was dem Maximum für Einzelpersonen im Kanton Aargau entsprach – 1200 Franken erhielt, also insgesamt 6000 Franken jährlich, ergänzt durch ein Darlehen, das wir später während zehn Jahren abzahlten. Mit der Heirat musste ich meinen Namen wechseln, so schrieb es das geltende Eherecht vor. Es war unvorstellbar für mich, dass ich meinen Familiennamen Graber verlieren sollte. Meine Herkunft war mir sehr wichtig. Ich befürchtete auch, dass meine Identität mit dem angeheirateten Namen Kyburz verloren ginge und ich nach aussen nicht mehr wiedererkennbar wäre. Männern, die nicht verstehen konnten, warum es mir so wichtig war, meinen Herkunftsnamen behalten zu können, schlug ich jeweils vor, sie sollten sich vorstellen, sie müssten den Namen ihrer Frau annehmen. Dann war die Diskussion jeweils rasch beendet. Seit meiner Heirat nutzte ich also konsequent, in Schriftstücken und Publikationen und oft auch im mündlichen Umgang, den Doppelnamen Kyburz-Graber. So schwer fiel mir die Namensumstellung 1972, dass ich 1988, bei der Einführung des neuen Eherechts, auf die Möglichkeit einer neuerlichen Umstellung verzichtete. Ich hätte den Doppelnamen Graber Kyburz beantragen können, blieb aber bei meinem selbst gewählten, rechtlich nicht verbindlichen Doppelnamen mit Bindestrich, Kyburz-Graber, mit dem ich mich national und international in der Umweltbildung bekannt gemacht hatte.

Enttäuschende Forschung

Für meine Diplomarbeit und das vorgelagerte Forschungssemester bewarb ich mich um einen Studienplatz in der Molekulargenetik bei dem Professor, den ich bei der Diskussion von publizierten Zeitschriftenartikeln in den ersten Jahren des Studiums kennengelernt hatte. Innerhalb der Naturwissenschaften hatte mich die Molekulargenetik schon während meiner Gymnasialzeit besonders fasziniert. Deswegen hatte ich mich schliesslich für ein Studium der Biologie entschieden. Zur Matura hatte ich das Buch «Die Doppelhelix» von der Schule geschenkt bekommen. Die beiden Forscher James Watson und Francis Crick begeisterten mich mit ihrer Geschichte der DNA-Entdeckung. Ich konnte damals noch nicht ahnen, dass es nicht sie allein gewesen waren, die der Struktur der DNA auf die Spur gekommen waren, sondern dass es Teamarbeit, aber auch ein erbitterter Konkurrenzkampf gewesen war, der schliesslich zur Veröffentlichung der Ergebnisse über die DNA führte. Viel später erst erfuhr man, dass die Arbeiten von Rosalind Franklin wesentlich zum Erfolg beigetragen hatten.3 Sie war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schwer krank geworden und wenig später an ihrer Krebserkrankung gestorben. Ob dies der Grund gewesen war, dass die beiden Kollegen Watson und Crick sie aus der Autorenschaft ausgeschlossen hatten und ihr deshalb auch der Nobelpreis versagt blieb? Wohl kaum war es die Krankheit allein gewesen. Rosalind Franklin schien nicht eine Frau gewesen zu sein, die hart für ihre Rechte kämpfen wollte. Vielleicht war sie auch zu gutgläubig gewesen. Viel später erst wurde mir bewusst, wie die Geschichte der DNA-Entdeckung und der Ausschluss der hervorragenden Forscherin Rosalind Franklin die knallharte Konkurrenz in der Wissenschaft abbildete, die nicht zuletzt mit der Konkurrenz zwischen Männern und Frauen zu tun hatte. Vielleicht hätte es mir in der Zeit meiner ersten Forschungserfahrungen geholfen, wenn ich die Geschichte von Franklin gekannt hätte.

Mein Wunsch nach einem Diplomarbeitsplatz in der Molekulargenetik ging nicht in Erfüllung. Der angefragte Professor war kurz zuvor in eine Leitungsfunktion der ETH gewählt worden und stand als Betreuer nicht mehr zur Verfügung. Er empfahl mir, einen jüngeren Kollegen in der Mikrobiologie anzufragen, den ich selbst aber kaum kannte. Dieser schien überrascht zu sein, dass sich eine Frau für die Mitarbeit in seinem Forschungslabor interessierte, gab mir aber sofort eine Zusage. Bisher hatte er nur mit jungen Männern zusammengearbeitet. Ausnahmen bildeten damals, wie überall an der ETH, die Laborantin und die Sekretärin, die jedoch untergeordnete Funktionen ausübten.