Psychs of New Pretoria - T. W. Scipio - E-Book

Psychs of New Pretoria E-Book

T. W. Scipio

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Beschreibung

Renn! Sonst kommen sie dich holen ... PSYCHS OF NEW PRETORIA erforscht in fünf Kurzgeschichten die Abgründe der Menschheit. Mit seiner ersten großen Veröffentlichung entführt euch T. W. Scipio in die Welt von PSYCH und präsentiert psychologischen Horror vom Feinsten. Die Kurzgeschichtensammlung umfasst: DIE SCHÖNE UND DER DIEB, NACHTS IN DER BIBLIOTHEK, PSYCH, ANNA und STIMMEN IM KOPF. Wir schreiben das Jahr 2400 und die Menschheit bevölkert seit knapp 100 Jahren die erste menschliche Kolonie auf dem Planeten ELON. Konzerne haben das Sagen und setzen sich mithilfe von privaten Militärunternehmen durch. Wer nichts hat, wird auch nichts bekommen. Es ist eine Welt der Schönen und Reichen und einfaches Gesindel hat dort keinen Platz. Ein Menschenleben ist nichts wert. Doch die Konzerne haben Angst, denn eine unerklärliche Mutation verleiht einzelnen Menschen psionische Kräfte, gegen die nicht einmal Spezialeinheiten ankommen. Doch wer ist der Feind? Sind es die ausbeuterischen Firmen? Die mutierten Psychs? Oder sind es doch die einfachen Bürger, die tagtäglich um ihr Leben fürchten und alles tun werden, um ihre Lage zu verbessern? PSYCHS OF NEW PRETORIA ist die passende Kurzgeschichtensammlung für Esoteriker, Okkultisten und Science-Fiction Fans. Hinterfragt die menschliche Moral, hinterfragt die bestehenden Systeme und die falsche Ordnung, bevor es zu spät ist. Die Kurzgeschichtensammlung begleitet eine Vielzahl an unterschiedlichen Personen. Wo sonst findet man einen Junkie, der vor dem Gesetz flieht und die Liebe seines Lebens trifft? Wo sonst wütet eine soziopathische Mörderin in einer Schule? Trefft einen Kommissar, dessen Moral und Prinzipien durch einen PSYCH auf den Kopf gestellt wird. Lernt Anna, die Tochter reicher Unternehmer, kennen. Oder fiebert beim Einsatz des gefürchteten Infiltrationskommandos mit. Taucht ein in eine Welt voller Psychopathen, Egoisten und Mördern. PSYCHS OF NEW PRETORIA ist die perfekte Einführung in das PSYCH-Universum von T. W. Scipio. Es verfolgt keine Helden, keine Ritter in weißer Rüstung. Die Geschichten konfrontieren auch den gutgläubigsten Menschen mit der bitteren Realität unserer Zeit. Ihr glaubt, die Szenerien und Vorstellungen sind frei erfunden? Dann schaut doch mal in unsere Welt, schaut euch das wahre Leben an und lasst die gruseligen Kurzgeschichten auf euch wirken. Die Realität holt uns alle ein.

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Inhaltsverzeichnis

Die Schöne und der Dieb

Nachts in der Bibliothek

Psych

Anna

Stimmen im Kopf

Die Schöne und der Dieb

Es fühlte sich so an, als würde der blaue Rauch in meiner Lunge alles in meinem Inneren verätzen. Haze schlug mir den Joint irgendwann aus der Hand. Seine glasigen Augen starrten mich an. „Komm jetzt endlich.“, forderte er mich auf und ging mit zitternden Knien voran. Nur weil dieser Bastard sich vorher irgendwas anderes reingeballert hatte, durfte ich nicht mal was rauchen, um runterzukommen. Dabei hatte ich uns den Auftrag besorgt. Ich hatte mit Yura verhandelt, während Haze in der Gosse hockte und bei den Nutten um Stoff bettelte. Doch nach diesem Job sollten wir beide genügend Kohle für die nächsten Monate haben.

Wir schlichen durch eine Seitengasse und hielten uns fürs erste vom Tageslicht fern. Alles stank nach Pisse, vergammeltem Essen und verwesenden Ratten. Doch wenn wir nicht direkt auffallen wollten, blieb uns keine Wahl. Wir waren durch die Gassen gekommen und würden auch wieder durch diese verschwinden.

Unser Ziel war ein Mann mittleren Alters namens Jensen. Er trug eine Speicherkarte bei sich, auf welcher sich geklaute Daten befanden. Wir sollten die Karte um jeden Preis besorgen. Ob wir Jensen dabei töteten, war Yura egal. Wichtig war nur, dass es nur diese eine Chance gab. Der Typ zeigte sich nicht oft in der Außenwelt, und dass er heute an der Transportstation auf ein öffentliches Shuttle warten würde, hatte Yura so eingefädelt.

Wir lauerten ihm stundenlang in der Gasse auf, immer wieder brach das wenige Sonnenlicht durch die vorbeigehenden Passanten.

„Können wir nicht direkt an der Station warten?“, fragte Haze mich irgendwann, doch ich schüttelte nur den Kopf.

Wir sahen aus, als hätten wir unsere Kleidung von einem Obdachlosen gestohlen, was bei Haze vielleicht sogar zutraf. Die Menschen außerhalb der Gasse waren schick gekleidet, rannten mit glitzernden Smartwatches, Kontaktlinsen und all dem Kram herum. Hätten wir die schützende Dunkelheit der Gasse verlassen, wären wir sofort jedem Cop, jeder besorgten Mutter und jeder verschissenen Kamera aufgefallen.

Wir sollten noch eine gefühlte Ewigkeit in dem stinkenden Loch hocken, bis wir das Signal bekamen. Mein Pieper vibrierte, was bedeutete, dass einer von Yuras Männern Jensen gesehen hatte.

Ich zog eine kleine Pistole aus meiner Hose und überprüfte, ob genügend Schuss vorhanden waren. Haze tat es mir gleich und ich sah, wie ihm der Schweiß durchs Gesicht lief. Meine Hände fingen an zu zittern, denn wenn etwas schief ging, hätte niemand um uns getrauert. Es wäre einfach vorbei gewesen.

Wir legten uns auf die Lauer und ich merkte, wie mein Magen sich langsam verdrehte. Ich trug das erste Mal eine Waffe, die dazu in der Lage war mit einem Schuss zu töten. Außerdem hatte ich tagelang nichts gegessen, mein Körper dankte es mir, indem ich mehrmals aufstieß. Glücklicherweise musste ich mich nicht übergeben.

„Bekomm jetzt keine kalten Füße.“, flüsterte Haze und biss sich selbst auf die Hand, um sein Zittern zu unterdrücken.

Dann war es so weit. An der Gasse lief eine Person vorbei, die auf die Beschreibung von Jensen passte. Wir verließen unser Versteck und hingen uns mit strammen Schritten an die Zielperson. Das Licht der Sonne blendete mich für einen Moment. Es fühlte sich an, als würde sich das Sonnenlicht in meine Haut einbrennen. Violette und blaue Streifen trübten meine Wahrnehmung. Ich spürte, wie Haze nach meiner Hand griff, damit wir das Ziel nicht aus den Augen verloren.

Jensen bog ab, überquerte die Straße und lief zu einem Ticketautomaten. Wir stellten uns hinter ihn und warteten auf den richtigen Moment. Wir wussten nicht, wo er die Karte versteckt hatte, aber wir hofften darauf, dass er dumm genug war, um diese in seinem Portemonnaie zu verstecken. Er kramte im Inneren seines Mantels herum und wir verloren langsam die Geduld. Mit jeder Bewegung löste sich eine kleine Duftwolke seines stechenden Rasierwassers, die nach hinten zog. Es brannte schon fast in der Nase und ich spürte, wie sich Wasser in meinen Augen anstaute.

Doch dann geschah es: Jensen zückte sein Portemonnaie. Noch im selben Moment warf sich Haze mit seinem ganzen Gewicht von hinten gegen ihn. Es gab einen lauten Knall, als beide gegen den Automaten krachten. Ein Kampf am Boden brach aus. Haze versuchte ihn schnell auszuknocken, doch Jensen wehrte sich mit aller Kraft.

Die Leute um uns herum fingen an zu schreien. Ich drehte mich hin und her, um Ausschau nach Sicherheitskräften zu halten. Einige Passanten rannten mit ihren Kindern an der Hand davon, andere blieben auf der Stelle stehen und schauten uns zu. Ich zog meine Pistole, fuchtelte wie verrückt damit herum, um auch den letzten Schaulustigen zu vertreiben. Währenddessen hörte ich hinter mir, wie sich Haze und Jensen abwechselnd die Faust ins Gesicht rammten. Ich dachte immer mehr daran diesen verfickten Geschäftsmann einfach abzuknallen.

„Fallen lassen!“, schrie plötzlich eine Stimme und ich drehte mich panisch zur Seite. Ich sah, wie zwei Pistolenläufe auf mich gerichtet waren. Zwei Männer in Anzügen kamen vorsichtig auf uns zu. Sie waren noch weit genug entfernt, dass wir hätten abhauen können, doch Haze hatte Jensen immer noch nicht ausgeschaltet.

Ich tat das Einzige, was mir in den Sinn kam. Ich richtete meine eigene Waffe in Richtung der beiden Männer und eröffnete blind das Feuer. Ich sah, wie beide zur Seite sprangen. Einer flüchtete hinter eine Säule, während der andere sich hinter einem Automaten verschanzte.

„Haze!“, schrie ich und hoffte, dass es ihm genügend Ansporn war, seinen Bodenkampf endlich zu gewinnen. Ich hatte vier Mal geschossen, es blieben also nur noch drei Schuss.

„Verreck endlich, du Hurensohn!“

Noch im selben Moment hörte ich, wie sich ein Schuss hinter mir löste.

Ich drehte mich um und schaute in das versteifte Gesicht von Jensen. Seine Augen waren aufgerissen, sein Mund stand offen. Ich konnte beobachten, wie das Licht aus seinen Augen schwand und das kräftige Braun verblasste. „Weißt du, wo die Karte ist?“, fragte ich und trat Haze, um ihn aus seiner Schockstarre herauszuholen. Gleichzeitig sah ich, wie einer der Männer hinter seiner Deckung hervorkam. Fast wäre ihm seine Brille von der Nase gefallen. Ich eröffnete sofort wieder das Feuer und zwang ihn, seinen Kopf wieder wegzustecken.

„Scheiß drauf.“, sagte Haze und fing an Jensen die Jacke auszuziehen. „Irgendwo hier wird sie schon sein.“

Ich stand weiter Schmiere und sah, wie sich der Mann hinter dem Automaten nicht wegbewegen konnte. Doch was mit dem Typen im Anzug hinter der Säule war, wusste ich nicht.

„Los, los!“, forderte Haze mich auf und schlug gegen meine Schulter.

Wir wollten losrennen, doch der Anzugträger sprang hinter einer Mauer hervor. Er musste außen herumgelaufen sein. Ich richtete meine Waffe auf ihn, doch er war schneller. Ich sah, wie ein Blitz den Lauf seiner Waffe verließ. Mein ganzer Körper verspannte. Ich stand regungslos da und dachte, dass es nun vorbei wäre. Doch dann sah ich, dass noch ein zweiter Blitz aus dem Lauf schoss und realisierte, dass beide Male auf Haze geschossen wurde. Ich drehte mich zu ihm und sah, wie er mit dem Portemonnaie und dem Mantel in der Hand auf den Asphalt knallte.

„Verpiss dich endlich!“, schrie der Anzugträger mich an und richtete seine Waffe auf mich.

Alles Adrenalin in meinem Körper, wurde zeitgleich ausgeschüttet. Ich sprang zur Seite, drückte gegen den Abzug meiner Waffe und fing an, in die entgegengesetzte Richtung zu sprinten. Ich hörte, wie der Typ im Anzug aufschrie, doch wagte es nicht, mich umzudrehen. Sein Kollege rief mir hinterher, gab sogar Schüsse ab, doch ich entkam durch eine Seitenstraße.

Ich rannte drauflos und lief in die verschiedensten Gestalten hinein. Ängstliche, wütende, hasserfüllte Blicke wurden mir entgegengeworfen, doch sie konnten mich nicht stoppen. Ich wusste, dass mich jede beschissene Sicherheitskamera von diesen ganzen Sicherheitsunternehmen auf dem Schirm hatte, aber mir blieb keine andere Möglichkeit.

Je länger ich rannte, desto besser konnte man mich anhand meines Bewegungsmusters finden. Ich ging die wenigen Möglichkeiten, die ich hatte, im Kopf durch und bog in die nächste stinkende Gasse ein, in der Hoffnung, dass man hier nicht das Geld für eine Kamera verschwendet hatte. Ich warf die Knarre bis ans andere Ende der Gasse und sprang in einen Müllcontainer. Dann zwängte ich mich zwischen den Abfall der gehobenen Gesellschaft. Es roch nach schimmligen Essen, Fäkalien und Tod.

Ich konnte die vergehende Zeit nicht auf die Minute zählen, aber ich wusste, dass ich mehr als einen Tag und eine Nacht in diesem materialistischen Friedhof verbracht hatte. Doch so sehr ich mich auch verkriechen wollte, übermannte mich der Ekel doch irgendwann. Er zwang mich dazu, aus meinem Loch zu steigen.

Das rötliche Licht der Sonne stach mir ins Auge. Blind stolperte ich nach vorne und fiel über irgendeinen Müllsack. Ich landete in einer Pfütze und mir wurde klar, dass ich nicht wissen wollte, worin ich gerade lag. Was ich aber durchaus wissen wollte war, ob die Sonne auf- oder unterging.

Ich beschloss mich aufzuraffen und trotz meiner stinkenden Kleidung und meinem vermeintlich verwahrlosten Aussehen, wieder auf die Straße zu gehen.

Als ich das Ende der Gasse erreichte, sah ich eine gewaltige Masse an Menschen, in der jeder in verschiedene Richtungen marschierte. Sie hielten Becher in der Hand und mindestens jeder dritte zog an einer Zigarette. Wie gern ich in diesem Moment eine geraucht hätte, doch hatte ich kein Geld, um mir Zigaretten zu besorgen … hätte ich den Auftrag mit Haze erfolgreich durchgezogen, hätte Yura uns bestimmt welche besorgt …

Ich weiß nicht, ob es Mut oder Verzweiflung war, aber ich schloss mich dem Strom der paralysierten Fische an und schlenderte den Bürgersteig entlang. Ich bemerkte, dass um mich herum viele junge Leute in Schuluniformen waren, was mich zu dem Schluss brachte, dass es Morgen sein musste. Es war wohl noch so früh, dass die Schule nicht einmal angefangen hatte.

Ich verlor mich in Gedanken und schlenderte ziellos in der Masse umher, als sich irgendein Vollidiot in meinen Weg stellte und wir zusammenstießen. Ich spürte, dass ich meine Handflächen am Boden aufgeschrammt hatte und mit meinem gesamten Gewicht auf meine Knie gefallen war. Ich drehte mich um und setzte mich hin. Ich wollte den Wichser sehen, der die Frechheit besaß, sich in meinen Weg zu stellen.

Doch statt eines gutgekleideten, reichen Schnösels, schaute ich in die violetten Augen eines Engels. Sie beäugten mich von oben bis unten und mein verwahrlostes Gesicht spiegelte sich in ihnen wider. Eine Naturschönheit saß mir gegenüber. Eine ihrer Strähnen fiel ihr ins Gesicht. „Es tut mir so leid, Mister …“, sagte sie plötzlich und ließ sich auf ihre Knie nieder.

Ich sah, dass sie Schmerzen haben musste, denn es sammelten sich Tränen in ihren Augen. „Nein, nein … mir tut es leid.“, antwortete ich ihr und stand trotz der Schmerzen auf, als ob nichts wäre. Sie griff nach ihrer Handtasche, darin sah ich ein Tablet mit der Aufschrift University of Northeurope. University? Dann sah sie deutlich jünger aus, als sie war. „Sie sollten sich beeilen, sonst kommen sie noch zu spät zu ihren Vorlesungen.“

„Hä?“, antwortete sie mir und schaute mich wie ein Kleinkind an. Erst als ich auf ihre Tasche zeigte verstand sie, was ich meinte. „Ach, das Tablet. Das ist das Alte meines Vaters. Ich gehe noch zur Schule.“

„Ach so, in welche Klasse denn?“ Dann war sie doch so alt wie ich. Sie sah so unschuldig aus. Bestimmt war sie eine Überfliegerin in der Schule. Das letzte Mal, dass ich eine Einrichtung für Bildung von innen gesehen hatte, war vor beinahe acht Jahren gewesen.

„Elfte, nächstes Jahr ist es endlich so weit.“, sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen und machte keine Anstalten sich von der Stelle zu rühren.

Wollte sie sich etwa mit mir unterhalten? Ich durfte nicht zu lange am selben Ort sein, sonst hätten die Bastarde, die Haze erschossen hatten, mich in weniger als einer Stunde geschnappt. Doch sie war süß. Die Mädchen in der Autonomen-Zone hatten mit etwas Glück noch ihre Haare … oder alle Zähne. Was hatte sie nochmal gesagt? „Was genau meinst du?“

„Na, mein Abschluss?“, antwortete sie fragend. „Ich habe nächstes Jahr hoffentlich meinen Abschluss, dann kann ich endlich studieren.“

„Ach so, ja, eh, tut mir leid.“ Ich war so ein Vollidiot. „Dann will ich dich nicht länger aufhalten.“ Ich drehte mich von ihr weg und ging einen Schritt, als ich spürte, dass mich jemand an meinem Ärmel festhielt. Ich drehte mich wieder um und sah das, was ich sehen wollte. Das süße Mädchen hielt mich an einem Fetzen meiner Jacke fest. Sie lächelte mich an. „Kann ich dir noch irgendwo bei helfen?“, fragte ich verunsichert.

„Genau das wollte ich dich eigentlich fragen. Was ist mit dir passiert?“

„Ach, ehm … Ich bin eben ausgerutscht und naja. Aber mir geht’s gut.“

„Hast du denn kein Zuhause, wo du dich umziehen kannst?“

Ich biss mir auf die Zunge, als ich die Wahrheit sagen wollte. Aber konnte und wollte ich ihr überhaupt sagen, dass die Autonome-Zone mein Zuhause war? Dieselbe Autonome-Zone mit all den Junkies … den Pennern … und den Psychs? Dieselbe Autonome-Zone, in der sie mich kalt gemacht hätten, wenn Yura erfuhr, dass wir es verbockt hatten …? Fuck. Ich spürte, wie meine Lippen anfingen zu zittern. Ich konnte nicht anfangen zu heulen, ich fiel sowieso schon auf wie ein bunter Hund.

Das Mädchen legte ihre Hand auf meine Schulter. „Ist schon gut. Willst du erstmal mit zur Schule kommen? Da machen wir dich frisch und können erstmal in Ruhe reden.“

War dieses Mädchen wirklich ein Engel? Aber nein, das konnte ich nicht tun. Ich wurde gesucht. Ich hatte keine Ahnung, wer diese Männer waren, die unseren Job versaut hatten, aber vielleicht hatte ich einen von ihnen getötet. Ich wusste es nicht. Aber allein, dass ich an dem Überfall an Jensen und indirekt auch an seinem Tod beteiligt war, war Grund genug mich von Kangals Spürhunden jagen zu lassen. Als Sicherheitsunternehmen, machte Kangal einen wirklich guten Job und hatte den europäischen Distrikt in New Pretoria gut im Griff, ich war keine Herausforderung für sie.

Bevor ich dem Mädchen eine vernünftige Antwort geben konnte, zog sie mich schon hinter sich her. „Ich bin übrigens Melody. Wie heißt du?“

„Ehm.“ Ich schaute um mich herum und mir fiel die Aufschrift eines T-Shirts ins Auge. „Paul.“, antwortete ich.

„Paul?“ Sie kicherte und schaute mir direkt in die Augen. „Der Name ist süß. Kommst du aus Deutschland?“

Ich hatte keine vernünftige Antwort auf ihre Frage. „Ich weiß nur, dass meine Eltern aus Europa kommen.“ Natürlich wusste ich nicht, woher meine Eltern kamen, ich kannte sie nicht.

„Meine Mama kommt aus Nordamerika. Papa ist aus Britannien.“, erzählte sie mir, während wir eine Straße nach der anderen überquerten.

„Du, Melody, kommt es für deine Mitschüler und Lehrer nicht komisch, wenn man mich mit dir sieht?“

„Der Unterricht hat schon längst angefangen. Ich schwänze die ersten Stunden. Erstmal kümmere ich mich um dich.“

Ich spürte, wie sich meine Brust zusammenzog. Mir wurde warm und es fühlte sich an, als hätte ich eine Überdosis von irgendeiner gestreckten Scheiße genommen. Dieses Mädchen wollte sich also wirklich um mich kümmern?