6,49 €
Samuel Benton ist ein Schlagzeuger aus San Francisco, Kalifornien. Zusammen mit seinem Bruder Joshua und der gemeinsamen Band tourt er durch die halbe Welt und lebt den typischen Sex, Drugs & Rock'n'Roll-Lifestyle. Lauren Dawson ist Stormchaserin aus Norman, Oklahoma. Zusammen mit ihrer Crew tourt sie durch die Tornado Alley; immer auf der Suche nach dem perfekten Sturm, um wissenschaftliche Messungen durchzuführen. Als die beiden sich begegnen, prallen zwei Welten aufeinander. Dennoch entwickelt sich zwischen ihnen eine besondere Freundschaft, aus der viel mehr werden könnte - wäre da nicht ein Schatten in Laurens Vergangenheit, der sie davon abhielte. Und wie denkt eigentlich Sams Bandkollege Tajan darüber, dass der Schlagzeuger nur noch Augen für Lauren hat?
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Frieda Kutz
Radar Echo Pulse
A Perfect StormTest
Test
2. Auflage, Januar 2023
© 2022 Frieda Kutz – Alle Rechte vorbehalten.
Lektorat: Katja Herzmanek (www.traumwelten-lektorat.com)
Coverdesign: © 2022 Sandra Bohling unter der Verwendung von Canva und iStock by Getty Images
Illustriert von: © 2022 bheartworks, Berlin
Frieda Kutz c/o autorenglück.de
Franz-Mehring-Straße 15
01237 Dresden
Deutschland
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für den Inhalt ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung und Verbreitung ohne ihre Zustimmung ist unzulässig.
www.frieda-kutz.de
Liebe*r Leser*in,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Welche dies sind, erfährst du am Ende des Buchs.
Die Triggerwarnung enthält mögliche Spoiler.
Über die Autorin:
Frieda Kutz wurde 1985 in Bremen geboren. Nach dem Abitur lebte sie für ein Jahr in den USA, in den östlichen Ausläufern der Tornado Alley. Sie schreibt Geschichten, seitdem sie schreiben kann; vor allem Liebesromane, häufig mit queeren Figuren und ganz viel Drama, aber auch Kurzgeschichten und Erotik.
In ihrer Freizeit geht sie gerne klettern, macht die Wanderwege im Harz unsicher, betreibt Stormspotting oder probiert sich an neuen veganen Keksrezepten aus.
Sie lebt mit ihrem Mann und diversen Plotbunnies in Bremen.
Für Dagi.
Eins
Dankend nahm Samuel die Wasserflasche entgegen, die Alex ihm unter die Nase hielt. Die letzten paar Stunden hatten sie damit verbracht, auf unterschiedlichen Drums in allen Größen, sowie auf alten Ölfässern und Mülltonnen herumzutrommeln. Das ganze Gerät war eine willkommene Abwechslung zu Sams Schlagzeug, weil es eindeutig nicht so pingelig war wie seine Drums und es eher erduldete, wenn er daran hemmungslos die Sau herausließ. Genau das hatten Alex und er auch gerade getan.
Obwohl das Loft mit den kalkweißen, hohen Decken offen gestaltet war, stand die Luft darin. Es stank nach Schweiß und kaltem Zigarettenrauch. Sam trank einen Schluck Wasser und kletterte dann auf eine der großen Transportkisten für das Bühnenequipment, um die Kippfenster zu öffnen. Seufzend sank er auf dem schwarzen Pressholz nieder und ließ seinen Blick über die Stadt schweifen.
Der Proberaum, den Alex' Band angemietet hatte, war das ehemalige Büro einer Fischverarbeitungsfirma, die es schon seit Jahrzehnten nicht mehr gab. Entsprechend alt war das Gebäude, von dem aus Sam einen Blick auf Fort Mason geboten bekam. Der typische Nebel, der noch immer schwer in der Bay waberte, versperrte ihm jedoch die Sicht auf Alcatraz in der Ferne.
»Also, will ich wissen, warum du heute so dermaßen mies drauf bist?«, hakte Alex nach und reichte Sam ein Handtuch, bevor er sich neben seinem Kumpel niederließ.
Sam schüttelte den Kopf, trocknete sich mit dem Handtuch die braunen, verschwitzten Haare, sodass sie anschließend wirr in alle Richtungen abstanden. Dann legte er es sich in den Nacken.
»Komm schon, Mann. Was ist los?«
»Tay.«
»Was ist mit ihm?«
»Ich habe es beendet«, gestand Sam schließlich mit gesenktem Blick.
»Fuck. Und wie geht's ihm?«
»Ich dachte, du wolltest wissen, wie es mir geht.«
»Dass es dir beschissen geht, sehe ich auch so«, stellte Alex fest. »Was hat er gesagt?«
»Nicht viel.« Sam zuckte mit den Achseln und friemelte eine Zigarette aus Alex' Schachtel, die neben ihm lag. Er zündete die Kippe an und nahm einen tiefen Zug, bevor er seine Haare wieder ein wenig glattstrich. »Nur die berühmten drei Worte. Die, die ich auf keinen Fall jemals von ihm hören wollte. Dann habe ich meine Klamotten geschnappt und bin abgehauen.«
»Moment, du hast dich nach dem Sex von ihm getrennt? Das ist echt hart.«
»Ich habe mich nicht getrennt!«, stellte Sam klar. »Wir waren nicht zusammen. Das war nur– «
»… nur eine Affäre, ich weiß. Hast du oft genug betont.«
»Nicht mal das so wirklich«, gab Sam zu und hob den Blick wieder. »Wir waren nicht exklusiv und das wusste er auch. Er hat Becky, ich habe dich und … na ja, noch ein paar andere.« Er machte eine Pause. »Nur, weil es so lange ging, bedeutete das nicht, dass irgendwann mehr daraus werden sollte. Und auch das wusste er. Er war damit einverstanden. Ich verstehe nicht, wieso er mir jetzt so kommen muss.«
Alex schürzte die Lippen und fuhr sich durch die langen Haare, bevor er Samuels Blick aus dem hohen Bogenfenster folgte. »Was sagt dein Bruder dazu?«
Sam rollte mit den Augen. »Er ist … nicht glücklich, um es mal vorsichtig auszudrücken. Ich versuche gerade, so wenig Zeit wie möglich zuhause zu verbringen, um seinen vorwurfsvollen Blicken zu entgehen.«
»Ah, deswegen wolltest du heute hier proben!« Alex grinste und steckte Sam damit für einen Augenblick lang an. »Aber mal ehrlich, ich kann Josh verstehen. Er hat Angst um seinen Job.«
Sam schnaubte. Nur weil sein Bruder Frontmann der gemeinsamen Band ›Echoes of Mania‹ war, gab es ihm noch lange nicht das Recht, sich wie ein Boss aufzuführen und im Privatleben der anderen Bandmitglieder herumzuschnüffeln. »Ich weiß, dass er von Anfang an gegen die Sache zwischen Tay und mir war, aber es war nun einmal keine Beziehung. Es war rein körperlich. Keine Gefühle, niemand wird verletzt.«
»Mhm, schöne Wunschvorstellung.«
»Ach, leck mich.« Sam drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus und rutschte von der Kiste herunter, Alex hielt ihn jedoch zurück.
»Sorry, so war das nicht gemeint«, meinte er versöhnlich und wartete, ob Sam etwas entgegnete. Tat er nicht. »Was hast du jetzt vor?«
Samuel zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Wir sind gerade in Gesprächen für ein neues Album, aber bei dem Gedanken, dass wir uns demnächst monatelang im Studio auf die Pelle rücken, würde ich am liebsten mit Anlauf in eine Kreissäge rennen.«
»Beste Voraussetzungen für ein konstruktives Miteinander.«
Sam sparte sich eine Antwort auf Alex' sarkastischen Kommentar.
»Vielleicht wäre es ein guter Zeitpunkt, um aus dem gemeinsamen Haus auszuziehen.«
»Und wie soll mir das mit Tajan weiterhelfen?«
»Tut es nicht«, gab Alex zu, »aber es würde zumindest etwas Distanz zwischen dir und Josh schaffen. Dann hockt ihr immerhin nicht 24/7 aufeinander.«
Sam sank zurück auf die Transportbox und dachte einen Augenblick lang nach. Er wollte nicht ausziehen. Das gemeinsame Haus war nicht nur praktisch, sondern er lebte gerne mit seinem älteren Bruder zusammen. Als er Josh einst von der Ostküste nach Kalifornien gefolgt war, stand außer Frage, dass Sam nach seinem Entzug bei ihm unterkommen würde. Dabei waren sie geblieben, und das inzwischen seit fünfzehn Jahren. Einzig die Räumlichkeiten hatten sich nach und nach immer mehr vergrößert. Zuerst war es ein muffiges Single-Bedroom-Studio mit Trennwand, weil sie sich mit Mitte zwanzig nichts anderes leisten konnten. Dann waren sie in ein kleines Appartement mit zwei Schlafzimmern gezogen, nachdem Josh einen Werbespot für Hämorrhoidensalbe und einen für Diet-Coke gedreht und Sam Arbeit auf dem Bau gefunden hatte. Zumindest gab es dort im Wohnzimmer genug Platz für Schlagzeug und Gitarre – wenn auch nicht für sehr viel mehr.
Mit ihrem ersten Plattenvertrag folgte der Umzug von Los Angeles nach San Francisco, in ein kleines Haus in Glen Park, und nach dem Erfolg ihres Debütalbums in die Western Addition. Mittlerweile lebten sie in einem stattlichen Haus im Presidio. Dort hatten sie ein eigenes Tonstudio im Keller, vier Schlafzimmer, einen Garten mit beheiztem Pool – und eigentlich jede Menge Raum, um sich aus dem Weg zu gehen. Allerdings nur, bis einer von ihnen es darauf anlegte, Psychospielchen mit dem anderen zu treiben, um ihn langsam mürbe zu machen.
»Ich liebe Josh, aber manchmal treibt er mich in den Wahnsinn«, kam es unvermittelt über Sams Lippen.
»Nur manchmal?« Alex lachte knapp auf. »Wenn Reid und ich zusammenwohnen würden, könnten wir uns schon mal eine Zelle im Knast reservieren, weil einer von uns garantiert früher oder später dort landen würde.«
Sam nickte zustimmend. Er und Alex teilten das Los des jüngeren Bruders und wie er und Josh spielten auch Alex und Reid zusammen in einer Band. So hatte er die beiden Hale-Brüder ein paar Jahre zuvor überhaupt erst kennen gelernt: Beim jährlichen Drum-Off in Los Angeles. Sam hatte sich den Auftritt von ›Dystopian Brigade‹ angesehen und im Anschluss daran das Gespräch mit der Band gesucht, weil er so fasziniert von ihnen war. Die Art und Weise, wie sie den brutalen, rohen Sound ihrer Trommeln, Fässer und Tonnen mit psychedelischer Rockmusik kombinierten, suchte ihresgleichen. Im Gespräch hatten sie herausgefunden, dass ›Dystopian Brigade‹ ebenfalls aus der San Francisco Bay Area stammten, und Sam ließ seine Beziehungen spielen, um der Band zu helfen, unter Vertrag genommen zu werden. Mittlerweile hatte er sich aber zurückgezogen, um die Jungs ihr eigenes Ding machen zu lassen. Vor allem aber auch, damit er sich wieder auf seine eigene Band konzentrieren konnte.
»Früher oder später müssen wir uns wieder zusammenraufen«, murmelte Samuel und schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Wer jetzt genau? Josh und du oder Tay und du?«
»Wir alle. Aber fürs erste Josh und ich. Tay ist zu seinen Verwandten nach Milwaukee geflogen.«
»Aber er kommt wieder, oder? Ich meine, das ist nur eine Auszeit für ihn, weil er gerade etwas Abstand braucht, richtig?«
Sam schürzte die Lippen und seufzte. »Das hoffe ich.«
»Mann, wenn ich gewusst hätte, mit welchen Problemen du hier aufschlägst, hätte ich Wodka anstatt Wasser besorgt.«
»Es ist elf Uhr vormittags.«
»Irgendwo auf der Welt ist es elf Uhr abends.« Alex musterte Sam aus dem Augenwinkel, was Sam aber versuchte, zu ignorieren. Alex kannte ihn gut genug, um zu erkennen, wie sehr die ganze Sache an ihm nagte, auch wenn Sam das niemals zugegeben hätte. Das abrupte Ende der Affäre hatte nicht nur Tay und und ihn in eine verzwickte Situation gebracht, sondern auch Josh und alle anderen, die mit der Band zusammenarbeiteten. Das Damoklesschwert schwebte an einem seidenen Faden über den ›Echoes‹, weil derzeit nicht einmal sicher war, ob sie in dieser Konstellation überhaupt weiterarbeiten konnten – und zumindest das ließ Sam auf keinen Fall kalt. Die Band war sein ein und alles; er und Josh hatten so viel Herzblut in dieses Projekt gesteckt und dass nun die Möglichkeit im Raum stand, das alles könne den Bach heruntergehen, ließ Sam kaum noch schlafen. Unter seinen grün-braunen Augen zeichneten sich dunkle Schatten ab und sein Bart war deutlich länger als gewöhnlich. »Kann ich dich was fragen?«
»Hast du gerade«, gab Sam heiser zurück.
»Wieso gibst du Tajan nicht mal eine Chance?«
Überrascht hob Sam den Kopf und schaute Alex fragend an. »Ist das dein Ernst?«
»Klar.«
»Ist in deinen Zigaretten irgendwas Anderes drin als Tabak?«
Als wäre das sein Stichwort, griff Alex nach seiner Zigarettenschachtel und zündete sich ebenfalls eine Kippe an. »Ausnahmsweise nicht. Also?«
Sam atmete tief durch. »Weil ich nun mal nicht in ihn verliebt bin. So einfach.«
»Aber vielleicht könntest du dich in ihn verlieben, wenn du ihn mal näher als eine Schwanzlänge an dich heranlassen würdest.«
»Hm, kommt darauf an: Mein Schwanz oder seiner?«
»Ich meine es ernst, Sam.«
Samuel schüttelte den Kopf. »Das wird nicht passieren. Es ist noch nie passiert.«
Überrascht zog Alex die Augenbrauen in die Höhe. »Was, du warst noch nie verliebt?«
Entschuldigend zuckte Samuel mit den Achseln. »Zumindest nicht in einen Typen. Bei Frauen ist das was Anderes.«
»Wow, das wusste ich nicht.«
»Wieso auch? Du bist ein Kerl; das zwischen uns ist nur Sex.«
»Okay, lass mich das mal kurz sortieren …« Alex fuhr sich durch die dunklen Haare und schaute Samuel dann offen an. »Beim Sex ist es dir also egal, aber Beziehungen hast du nur mit Frauen?«
»Mhm, und selbst dazu fehlen mir gerade die Nerven.« Sam schüttelte den Kopf und ließ seinen Blick wieder über die Marina schweifen.
So, wie er es momentan hielt, war es definitiv leichter: Immer, wenn die Band ein neues Album aufnahm – was hieß, sie würden wochenlang im Studio sein und nicht herumtouren – pflegte er sogar so etwas wie Beziehungen. Die meisten waren allerdings eher kurzlebig, da sie nach ein paar Monaten für gewöhnlich in Arbeit ausarteten. Dabei fiel es ihm nicht mal schwer, seine Verpflichtungen zu priorisieren: An erster Stelle kamen die ›Echoes‹. Genau daran zerbrachen seine Liebeleien meistens, weil er bisher keine Frau gefunden hatte, die sich damit zufriedengegeben hätte, die zweite Geige zu spielen. Wenn sie auf Tour waren, war es fast noch leichter für Sam. Da versuchte er das mit den Beziehungen gar nicht erst. Stattdessen umgab er sich mit den zumeist jüngeren Frauen, die sich ihm bei After-Show-Partys eindeutig an den Hals warfen. Einerseits erforderte es so gut wie keinen Aufwand seinerseits und andererseits erfüllten die Damen optisch alle Punkte, in der Hoffnung, dem deutlich älteren Musiker aufzufallen. Im Grunde war es eine Win-win-Situation: Er bekam einen schnellen Fick (oder auch mehrere), und die Mädchen erhielten ein bisschen was von seiner Aufmerksamkeit und landeten mit Glück sogar noch in irgendwelchen Klatschspalten.
Bei Männern waren Sams Ansprüche jedoch ein wenig anders. Klar spielte Aussehen auch hier eine Rolle, aber Verschwiegenheit und Diskretion waren deutlich wichtiger. Er wollte seine Sexualität einfach nicht gerne an die große Glocke hängen. Gegen die Gerüchte, die es durchaus gab, konnte er sowieso nichts tun. Letztendlich gingen seine Liebschaften auch niemanden etwas an und Sam sah nicht ein, warum er sich dazu öffentlich äußern sollte. Aus diesem Grund nahm er sich nicht wahllos irgendwelche Männer mit ins Bett, sondern es handelte sich bei seinen Bettgefährten meist um Freunde mit gewissen Vorzügen.
So hatte es auch bei Tajan angefangen und so hätte er es gerne weitergeführt, aber der Gitarrist musste ihm ja unbedingt einen Strich durch die Rechnung machen.
Alex schnalzte mit der Zunge; nur ein kleiner Laut, aber er riss Sam damit aus seinen Gedanken. »Okay, Romeo. Deinen Mercutio hast du in die Wüste geschickt und eine Julia willst du nicht. Ich habe versucht, dich mit Trommeln auf andere Gedanken zu bringen, aber das hat auch nicht so wirklich geklappt. So langsam gehen mir die Ideen aus.«
Ein zweideutiges Grinsen breitete sich auf Sams Gesicht aus. »Du bist doch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Mir würde da schon noch was einfallen.«
Ebenfalls grinsend schüttelte Alex den Kopf. »Ich fürchte, das muss ich aus zweierlei Gründen ablehnen. Erstens, weil wir beide tierisch müffeln. Darüber könnte ich vielleicht noch hinwegsehen, wenn wir den Körperkontakt minimieren, aber viel wichtiger ist zweitens: Ich habe nichts hier.«
»Echt nicht?«
»Das ist unser Proberaum, Benton. Normalerweise bin ich hier nur mit meinem Bruder und Frankie. Da brauche ich weder Kondome noch Gleitgel.«
»Du hast ja recht«, lenkte Sam ein, wirkte dabei aber dennoch enttäuscht.
Alex drückte seine Zigarette aus und seufzte. »Okay, jetzt will ich wirklich, dass du Freitag mit uns feiern gehst.«
»Ich weiß nicht.«
»Komm schon. Reid besorgt uns ein bisschen was, damit die Party etwas ausgelassener wird und du könntest beim Veranstalter deinen Namen fallen lassen, um uns einen VIP-Bereich zu sichern.«
»Daher weht der Wind.« Sam grinste und zündete sich eine weitere Zigarette an. »Ihr möchtet euch in meinem unermesslichen Rockstardasein sonnen«, fügte er ironisch hinzu und nickte schließlich. »Von mir aus. Kann ja nicht schaden, mal einen Abend auf andere Gedanken zu kommen.«
Zwei
Schwarzlicht und wummernde Bässe, die so heftig in ihren Eingeweiden vibrierten, dass Lauren beinahe schlecht wurde. Auf der Tanzfläche eine wogende Masse schwitzender Körper und Knicklichter.
»Ich kann nicht fassen, dass du mich dazu überredet hast!«, rief Lauren über die dröhnende Housemusic hinweg zu ihrer Kollegin, die neben ihr an der Bar saß und an ihrem Martini nippte.
Steph knuffte sie grinsend in die Seite. »Ach, komm schon. Mach dich locker – zumindest für einen Abend. Nur weil wir zum Arbeiten hergekommen sind, bedeutet das nicht, dass wir an den Wochenenden keinen Spaß haben dürfen.«
Lauren wog den Kopf hin und her, entgegnete jedoch nichts und trank stattdessen einen Schluck Bier. Sie war nicht wirklich der gesellige Typ Mensch, aber Steph lag ihr schon seit Wochen mit dieser Party in den Ohren und so ließ sie sich irgendwann breitschlagen.
Zusammen unterrichteten sie für ein Semester ein Zusatzmodul in Atmosphärenwissenschaften an der University of San Francisco. Laurens Schwerpunkt bestand in Meteorologie, Steph vermittelte klimatische Inhalte. Da ihre Kurse im Wechsel stattfanden, arbeiteten sie nie zur gleichen Zeit und sahen sich meist nur abends und am Wochenende. Das war Lauren auch ganz recht so. Sie kam mit Stephs quirliger Art nicht gut klar und freute sich bereits darauf, nach dem Semester wieder zu ihrem testosteronbeladenen Team nach Oklahoma zurückzukehren.
Das Schlimmste war, dass sie einander so ähnlich sahen, dass die Studierenden entweder Witze über sie rissen, oder Probleme hatten, sie auseinanderzuhalten. Sie beide trugen ihre langen, braunen Haare in weichen Wellen bis über die Schultern und waren eher zierlich. Sie unterschieden sich nur darin, dass Laurens Teint durch die viele Arbeit an der frischen Luft ein wenig sonnenverwöhnter war, und durch ihren Kleidungsstil. Unwillkürlich musterte Lauren ihre Kollegin. Die strengen Blusen und engen Bundfaltenhosen hatte Steph für diesen Abend gegen einen knappen Rock und ein glitzerndes Bandeautop getauscht. Lauren hatte sich nicht dazu hinreißen lassen können, ihr Tanktop und ihre Jeans hinter sich zu lassen. Immerhin hatte sie sich für ihre einzige Skinnyjeans entschieden. Sie hoffte inständig, dass sie hier nicht auf irgendwelche Studierenden treffen würde, da sie ohnehin schon Probleme hatte, von ihnen ernst genommen zu werden. Immerhin war sie mit ihren gerade mal dreißig Jahren kaum älter als sie.
»Ich hab' dafür was gut bei dir, ich hoffe, das weißt du«, mahnte Lauren und schaute Steph erwartungsvoll an. »Ich hasse solche Clubs.«
»Ich habe das Gefühl, du hasst alles, was auch nur im entferntesten Spaß macht.«
»Stimmt doch gar nicht.«
»Seitdem du hier bist, warst du nicht einmal im Kino. Oder beim Football, dabei ist gerade Saison – das weiß sogar ich. Du wolltest nicht mal mit mir shoppen gehen.«
Lauren wandte den Blick ab. »Für sowas hab' ich gar keine Zeit«, sagte sie so leise, dass es problemlos von der lauten Musik übertönt wurde. Als sie sich Steph wieder zuwandte, schaute die sie fragend an. »Ach, nichts«, sagte Lauren nun lauter, damit Steph sie auch verstehen konnte.
»Ich sag' doch: Mach dich locker. Es ist nur ein Abend. Morgen darfst du wieder die arbeitswütige Forscherin sein.«
»Forscherin, hm?«, tönte es zu ihnen und automatisch drehten sich ihre Köpfe in die Richtung, aus der die Stimme kam. Sie gehörte zu dem Typen, der neben Steph an der Bar stand und der sie beide nun eingehend musterte. »Woran forschst du denn so?«
Lauren konnte sich nur mit Mühe ein Augenrollen verkneifen. Der Kerl sah zwar nicht übel aus, hatte aber schon eindeutig mehr als einen über den Durst getrunken. Vermutlich hatte er auch noch ein paar andere Substanzen intus und selbst wenn es nicht so wäre, war sie nicht an irgendwelchen Disco-Bekanntschaften interessiert. Andererseits war er mit seiner untersetzten Bauarbeiterstatur, die in einem Harley-Davidson-Muskelshirt steckte, auch nicht der Typ Mann, den sie gerne verärgern wollte. Automatisch flog ihr Blick zu dem bunten Tattoo, das seinen kompletten linken Oberarm überzog. Auf die Schnelle konnte sie nur ein paar Planeten, einen Würfel und ein paar Noten erkennen. Das Ganze auf einem bunten Hintergrund, der sie an die Bilder von Keith Haring erinnerte. Sie wandte ihren Blick ab und ließ ihn zu dem Tattoo an der Innenseite seines rechten Unterarms wandern, obwohl sie damit auf Anhieb noch weniger anfangen konnte: Es sah ein bisschen aus wie stilisierte Schallwellen, die in einem undefinierbaren Symbol mündeten.
Sie strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn, bevor sie antwortete: »Meteorologie.« Sie sah, wie er fragend die Augenbrauen zusammenzog, und setzte ein »Wetter und so« hinterher.
Er grinste breit. »Du bist aber nicht eins von diesen Wettermädchen, die man nachts im Fernsehen sieht, oder?«
Nun rollte sie doch mit den Augen. »Seh' ich etwa so aus?«
Er musterte sie langsam von oben bis unten und wieder zurück, bevor er den Kopf ein wenig schief legte. »Du könntest eins sein.«
Steph räusperte sich und mischte sich in die Unterhaltung ein, weil sie sah, wie unwohl Lauren sich fühlte. »Können wir sonst noch was für dich tun?«
Sein Blick flog zunächst zu Steph, und dann zwischen den beiden Frauen hin und her. »Wow, okay. Entweder habe ich sehr viel mehr getrunken, als ich dachte, und sehe doppelt, oder ihr seht euch unheimlich ähnlich.«
»Wie wäre es mit beidem?« Steph grinste und warf ihre Haare zurück.
»Hey, wollt ihr mit uns feiern?« Er deutete über seine Schulter zu den abgesperrten Logen im hinteren Teil des Clubs, welche ein halbes Vermögen kosteten. »Mit ein paar Freunden und mir. Ihr würdet der Party definitiv guttun. Lange nicht so viel Gedränge, und Wodka-Energy bis zum Abwinken.«
Stephs Blick wanderte zu Lauren, die kaum merklich den Kopf schüttelte. »Das ist nett, aber wir verzichten.«
»Darf ich wenigstens eure Drinks übernehmen?«
»Auch das ist nicht nötig«, sagte Steph mit Nachdruck und wandte sich demonstrativ von dem Rocker ab und wieder Lauren zu.
Immerhin schien er den Wink zu verstehen und gab seinen Flirtversuch auf. Er nickte und winkte dann knapp ab. »Ich wünsche euch noch einen schönen Abend.«
»Danke, ebenso.«
Sie warteten, bis er verschwunden war, dann schüttelten sie beide den Kopf. »Siehst du? Das ist der Grund, wieso ich so selten ausgehe«, sagte Lauren.
»Es hätte aber bestimmt ganz witzig werden können.«
»Wir beide allein mit keine Ahnung wie vielen betrunkenen Typen von der Sorte? Wohl eher nicht.«
»Ach komm, ein paar Drinks für umsonst und ein harmloser Flirt fürs Ego – da ist doch nun wirklich nichts dabei.«
»Und wenn es nicht bei den paar Drinks und 'nem Flirt bleibt? Solche Typen laden Frauen nicht ohne Hintergedanken in ihren VIP-Bereich ein. Sie versprechen sich etwas davon.«
Steph bemerkte sofort, wie sich Laurens Blick verfinsterte und sie nervös auf ihrem Barhocker herumrutschte. »Ich hätte schon auf dich aufgepasst. Und wir hätten jederzeit gehen können. Du weißt schon: ›wir müssen mal eben zur Toilette‹ und dann wären wir halt einfach nicht wiedergekommen. Es wäre schon nichts passiert, glaub mir.«
Lauren kniff die Lippen zusammen, bevor sie sich wieder an einer freundlicheren Miene versuchte. Sie stürzte den restlichen Inhalt ihrer Bierflasche in einem Zug herunter und rutschte von ihrem Barhocker. »Also dann … wollen wir tanzen, oder was?«
Tatsächlich war sie so ausgelassen wie schon lange nicht mehr. House war eigentlich so gar nicht ihre Musik, aber zumindest war sie tanzbar. Ein paar weitere Flaschen Bier hatten ihr übriges getan und so feierten sie und Steph ausgelassen mit dem restlichen Partyvolk auf der Tanzfläche.
Irgendwann in den frühen Morgenstunden tauchte der Typ von zuvor wieder in ihrem Blickfeld auf. Bei ihm waren drei tätowierte Männer, die Lauren unterbewusst als seine, vorhin von ihm erwähnten, Kumpels erkannte. An seinem Unterleib rieb sich aufreizend eine zierliche Schwarzhaarige, auf deren schmalen Hüften seine großen Hände ruhten. Ihre Freundinnen arbeiteten sich derweil an seinen Kumpels ab. Offenbar hatten er und seine Kumpels keine Probleme gehabt, Ersatz für Steph und Lauren zu finden.
Als er Laurens Blick bemerkte, zwinkerte er ihr grinsend zu und sofort schaute sie beschämt weg. Nicht zu fassen, dass sie sich dabei hatte ertappen lassen, wie sie ihn unverhohlen anstarrte. Obwohl … warum sollte sie eigentlich auch nicht? So konnte sie ihn zumindest mit Blicken wissen lassen, was sie von seinem Verhalten hielt. Sie drehte sich um und schaute wieder in seine Richtung, direkt in sein Gesicht, das er ihr noch immer zuwandte. Abschätzig hob sie eine Augenbraue und kniff die Lippen zusammen, bevor sie langsam den Kopf schüttelte und dann demonstrativ wegsah. Aus den Augen, aus dem Sinn. Dafür, dass sie eigentlich gar nicht zu der Party wollte, hatte sie jetzt viel zu viel Spaß, um ihn sich von so einem Typen verderben zu lassen.
Es ging bereits gegen halb sechs, als Steph und Lauren kichernd, mit wundgetanzten Füßen, auf den Rücksitz eines Taxis fielen. Sie nannten dem Fahrer die Adresse des Campusgebäudes, in dem die Universität sie für das Semester untergebracht hatte, und Lauren hatte Mühe, nicht auf der Stelle einzuschlafen.
Gähnend zog sie die Tür zu ihrem kleinen Appartement hinter sich zu, holte ihr Handy aus der kleinen Handtasche und warf sie dann auf die Couch, bevor sie zu der Küchenzeile schlurfte, um sich noch rasch ein großes Glas Wasser einzugießen. Immerhin war sie nicht mehr Anfang zwanzig; ihr Kopf würde es ihr morgen auf jeden Fall danken. Sie hatte noch immer das Fiepen der lauten Musik im Ohr, als sie endlich die enge Jeans von den Hüften streifte und unter ihre Bettdecke rutschte.
Unsanft, und vor allem viel zu früh, wurde sie nur ein paar Stunden später von dem Outdoor-Zumba-Kurs, welcher natürlich direkt auf der Grünfläche vor ihrem Schlafzimmerfenster stattfand, aus dem Schlaf gerissen. Obwohl sie sich sofort aus dem Bett hoch quälte und das Schlafzimmerfenster schloss, war es für Lauren danach unmöglich, wieder einzuschlafen. Sie sprang unter die Dusche (kalt; nicht, weil sie es bevorzugte, sondern weil sie hoffte, so ihren Kreislauf zumindest ein bisschen in Gang zu bringen), band ihre Haare zusammen und warf sich in ihre bequemsten Klamotten. Im Gehen schnappte sie sich ihren Laptop vom Küchentresen, griff sich einen Apfel aus der Obstschale und schlüpfte in ihre Chucks. Sie wusste zwar noch nicht so recht, wie sie es in ihrem jetzigen Zustand schaffen sollte, aber die Daten, die ihr Teammitglied Dan ihr einen Tag zuvor aus dem Labor in Oklahoma geschickt hatte, musste sie irgendwie aufbereiten.
Sie angelte nach ihrer Umhängetasche, die lieblos neben der Tür lag und eilte nach draußen. Dankbar für die Carsharing-Station direkt um die Ecke auf dem Campus, warf sie sich auf den Fahrersitz eines Mini Coopers und steuerte schnurstracks den nächstbesten Starbucks an.
»Du wusstest doch, dass wir heute einen Termin beim Label haben.« Sam zählte schon gar nicht mehr mit, zum wievielten Mal sein Bruder diesen Satz bereits wiederholte. Er nickte lediglich gehorsam. »Und trotzdem gehst du die halbe Nacht lang feiern.« Ebenfalls die x-te Wiederholung. Sam nickte erneut. Langsam kam er sich vor wie ein Wackeldackel. »Ich kann nicht glauben, dass du mich so hängen lässt.« Josh klang ernsthaft enttäuscht.
»Ich bin doch hier, oder nicht?«
»Ja, körperlich. Zumindest halbwegs.« Josh ließ einen missfälligen Blick über Sam gleiten, der wie ein Schluck Wasser in der Kurve auf dem Beifahrersitz von Joshs Geländewagen saß; eine große Sonnenbrille auf der Nase und eine Baseballcap tief ins Gesicht gezogen.
»Können wir vorher noch irgendwo Kaffee holen? Bitte?«
Josh entgegnete nichts, sondern ordnete sich rechts ein, um einen Starbucks anzusteuern. »Aber nur, weil du ohne Koffein noch unausstehlicher bist. Zeit haben wir dafür eigentlich nicht.«
Sam nahm seinen großen Filterkaffee und einen Frischkäsebagel an sich, während Josh noch auf dessen entkoffeinierten Latte mit Sojamilch und ein Blaubeerscone wartete. In dem Moment, als Sam sich zu dem kleinen Tresen umdrehte, auf dem Milch, Zucker und Süßstoff aufgereiht waren, stieß er unsanft mit jemandem zusammen. Zunächst vernahm er ein erschrockenes »Uff«, dann ein »Scheiße«, dicht gefolgt von einem »Kannst du nicht aufpassen, du Arschloch?« Da sich noch kein Deckel auf seinem Becher befand, war die Sauerei entsprechend groß. Wie groß, wurde ihm jedoch erst bewusst, als er sah, wie sein Kaffee vom Laptop der jungen Frau, mit der er zusammengestoßen war, auf den Boden tropfte. »Oh nein! Nein, nein, nein …« Sie setzte sich an den nächsten Tisch und versuchte, den Laptop hochzufahren. Vergeblich. Sie versuchte es erneut, wieder ohne Erfolg. »Fuck!« Erst jetzt drehte sie sich zu ihrem Widersacher um, und sofort schienen ihre Gesichtszüge ein gutes Stück zu entgleisen. »Das ist doch wohl ein verfluchter Scherz.«
Drei
Lauren starrte in das verdatterte Gesicht des Kerls, der sie und Steph am Abend zuvor wenig galant angebaggert hatte. Nicht, dass sie allzu viel von seinem Gesicht erkannte. Das Meiste davon verbarg er hinter einer dunklen Sonnenbrille, der Rest wurde durch eine Schirmmütze und seine Bartzotteln verdeckt. Seine bunten Tattoos auf der linken Schulter und dem rechten Unterarm erkannte sie jedoch sofort wieder. Eindeutig eine Angewohnheit, die sie den ganzen True-Crime-Serien im Abendprogramm zu verdanken hatte, die nebenbei über ihren Fernseher flimmerten, während sie oft bis in die Nacht Daten auswertete. Besondere Merkmale prägte sie sich gut ein – insbesondere von zwielichtigen Typen in dunklen Clubs. »Verdammter Vollidiot«, entfuhr es ihr, als ihr Rechner auch beim dritten Versuch nicht startete.
»Sorry, ich habe dich nicht gesehen«, entschuldigte er sich, nahm seine Baseballcap ab und fuhr sich durch die Haare.
»Wie auch, mit der lächerlichen Brille auf deiner Nase.«
Er schürzte die Lippen und entgegnete nichts.
»Hey, was ist passiert?«, klinkte sich die Begleitung des Kerls in den Disput zwischen ihnen ein.
»Dein Kumpel hat meinen Laptop geschrottet.«
»Bruder«, erklärte der Gefährte, nahm seine nicht minder dunkle Sonnenbrille ab und nagte nachdenklich an seiner Unterlippe. »Können wir das irgendwie regeln?«
»Das will ich für euch hoffen. Seid ihr versichert?«, fragte Lauren geradeheraus und musterte die abgetragenen Outfits der beiden. Ihr Casanova vom letzten Abend trug ein löchriges Led-Zeppelin-Shirt und eine Motorradhose aus schwarzem Leder, sein Bruder ein Holzfällerhemd, das schon deutlich bessere Tage gesehen hatte, und eine zerrissene Jeans.
»Klar. Warum gibst du uns nicht deine Kontaktdaten, und wir melden uns bei dir?«, schlug der Bruder vor.
»Nee, nee. So läuft das nicht. Wer weiß, ob ihr auch wirklich anruft, oder ob ich auf meinem kaputten Laptop sitzen bleibe? Ihr gebt mir eure Daten, und ich melde mich.«
»Wie viel kostet ein neuer Laptop? 800 Dollar? Tausend? Wenn du willst, stell ich dir einen Scheck aus«, mischte sich auch der Biker-Typ wieder ins Gespräch ein.
»Und woher weiß ich, ob der gedeckt ist?« Sie wartete eine Antwort ab, aber es kam keine. »Wie heißt du?«
Der Anflug eines Lächelns, das sie so schnell nicht deuten konnte, umspielte seine Lippen. »Sam.«
»Gib mir einfach deine Nummer, Sam, dann melde ich mich, wenn ich weiß, was die Reparatur gekostet hat.«
»Wieso Reparatur? Kauf dir einen neuen. Geht auf meinen Deckel.«
»Weil ich die Daten brauche, die auf diesem Laptop drauf sind. Du weißt schon. Forscherin und so.«
Er reagierte nicht auf ihre Anspielung und auf einmal dämmerte Lauren auch, wieso. Sie konnte sich zwar an ihn erinnern, aber er wusste nicht, wer sie war. Klar. Vermutlich waren Frauen für ihn komplett austauschbar und eine war so gut wie die andere.
Sie schaute zwischen den Brüdern hin und her und stellte fest, dass sie einander auf den ersten Blick nicht wirklich ähnlich sahen. Sie hatten zwar beide braune Haare, aber dort endeten die Gemeinsamkeiten auch schon. Sam war deutlich kräftiger, hatte hellbraune Augen und sah objektiv betrachtet durchschnittlich attraktiv aus. Sein Bruder hingegen konnte problemlos als Model durchgehen. Er war deutlich schmaler und einen halben Kopf größer. Seine Augen waren so blau wie der grenzenlose Himmel über den Weizenfeldern Oklahomas und zogen Lauren so sehr in ihren Bann, dass sie Mühe hatte, ihre Gedanken zu sortieren. Rasch räusperte sie sich. »Also, wie machen wir's?«
Sams Bruder zog schließlich eine Visitenkarte aus seiner Geldbörse und hielt sie Lauren hin. »Hier. Amelia arbeitet für uns. Melde dich bei ihr und sie wird alles Weitere regeln.«
Lauren studierte die Karte genau und nickte schließlich, auch wenn sie mit der Firmenbezeichnung ›Quijote‹ nichts anfangen konnte. So, wie die beiden aussahen, war es vermutlich eins dieser hippen Startups, die in San Francisco wie Pilze aus dem Boden schossen.
»Wie heißt du?«, fragte Sams Bruder schließlich.
»Lauren.«
»Du bekommst dein Geld zurück, Lauren. Versprochen. Wir müssen jetzt los. Wichtiger Firmentermin.«
Sie nickte erneut und schaute den beiden dann hinterher, als sie den Starbucks verließen. Sie wusste, dass sie ihr Geld nie wiedersehen würde.
»Ich hätte ihr meine Nummer geben können«, murmelte Sam nach einer Weile des Schweigens.
»Ja, wohl kaum«, spottete Josh, stellte aber bei einem flüchtigen Blick auf seinen Bruder fest, dass er es durchaus ernstgemeint hatte. »Wie ist es noch mal ausgegangen, als du das letzte Mal einer Frau nach einem Stelldichein deine Nummer gegeben hast?«
»Sie wirkt aber nicht, als wäre sie so eine Frau. Und sie wusste nicht mal, wer wir sind. Sie hat mich nach meinem Namen gefragt.«
»Das könnte auch gespielt gewesen sein«, sagte Josh.
»Wieso siehst du eigentlich immer nur das Schlechte in Menschen?«, wollte Sam wissen.
»Wieso siehst du immer nur das Gute?«
»Mach ich nicht. Ich will nur nicht als ein so mürrischer Misanthrop durchs Leben gehen wie du.«
»Wenn du nur halb so viele nervige Fans hättest wie ich, wärst du doppelt so mürrisch.«
»Wir spielen in einer Band – wir haben die gleichen Fans«, gab Sam zu bedenken. »Und sie ist keiner von denen, da bin ich mir sicher. Nach heute wird sie wahrscheinlich auch keiner mehr werden.« Er klang beinahe enttäuscht.
»Ha, sie gefällt dir, habe ich recht?«, hakte Josh grinsend nach. »Und das, obwohl sie bestimmt schon älter ist als fünfundzwanzig.«
»Haha, sehr witzig. Davon abgesehen habe ich derzeit weiß Gott ganz andere Probleme …«
»Genau, da könnte eine Frau dir ja weiterhelfen, oder nicht? So, wie sie dich angesehen hat, könnte das Interesse sogar auf Gegenseitigkeit beruhen – oder sie hat dich nur so angestarrt, weil sie dich doch erkannt hat.«
»Tja und falls doch, lesen wir sicher demnächst irgendeinen schnippischen Blogeintrag darüber, wie ›Sam Benton meinen Laptop geschrottet und sich wie ein komplettes Arschloch verhalten hat‹.« Er malte Anführungszeichen in die Luft. »Damit hätte sich das Thema sowieso erledigt. Egal, wie hübsch ich sie finde.«
»Soso, ganz andere Probleme, hm?«
»Noch mal haha. Wenn du so weitermachst, setzt es was.«
»Du hättest schon etwas feinfühliger zu ihr sein können, das musst du zugeben«, warf Josh ein.