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Wenn Menschen Sauereien machen, haben Schweine nichts zu lachen.
Dörthe Miller gibt den Schweinen, die sie vor dem Schlachthaus retten konnte, ein Zuhause. Aber ein ruhiges Leben haben die Tiere auf dem Hof keineswegs: Ganz in der Nähe werden zwei Morde verübt, und die Killer machen selbst vor Tieren nicht halt. Eine saumäßige Erpressung kostet einen Schwan das Leben, und dann muss auch noch eines der Schweine dran glauben. Jetzt ist der Trog voll bis zum Überlaufen: Das kluge Hausschwein Kim ruft Keiler Lunke zu Hilfe, und gemeinsam legen sie einer absoluten Charaktersau das Handwerk …
Ein neuer Fall für die Saubande - Hausschwein Kim und Keiler Lunke sind zurück!
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Seitenzahl: 307
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Arne Blum ist seit Jahren in der Verlagsbranche tätig und schreibt erfolgreiche Kriminalromane. Seine Schweinekrimireihe um die kluge Ermittlerin Kim mit der unfehlbaren Spürnase machte ihn nicht nur zu einem bekennenden Freund aller Schweine, sondern veranlasste ihn auch, ein Pseudonym für diese andere Seite in seinem kreativen Schaffen zu wählen.
Wenn Menschen Sauereien machen, haben Schweine nichts zu lachen! – Ein neuer Fall für die Saubande
Hausschwein Kim und Keiler Lunke sind zurück – und geraten in einen Kriminalfall, in dem es einem Mitschwein an den Kragen geht … Ein Drogenkurier wird ermordet, ein Fotograf stürzt mit einem Heißluftballon ab, und ein Killer bringt ein Schwein um. Jetzt werden die Schweine selbst aktiv!
Dörthe Miller gibt den Schweinen, die sie vor dem Schlachthaus retten konnte, ein Zuhause. Aber ein ruhiges Leben haben die Tiere auf dem Hof keineswegs: Ganz in der Nähe werden zwei Morde verübt, und die Killer machen selbst vor Tieren nicht halt. Eine saumäßige Erpressung kostet einen Schwan das Leben, und dann muss auch noch eines der Schweine dran glauben. Jetzt ist der Trog voll bis zum Überlaufen: Das kluge Hausschwein Kim ruft Keiler Lunke zu Hilfe, und gemeinsam legen sie einer absoluten Charaktersau das Handwerk …
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Arne Blum
Rampensau
Ein Schweinekrimi
Inhaltsübersicht
Über Arne Blum
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Die Schweine
Die Menschen
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Epilog
Impressum
Eine Sau riecht den Dreck über neun Zäune hinweg.
ALTES SPRICHWORT
Männer sind Schweine.
DIE ÄRZTE
Kim – Deutsche Landrasse, hat die Neigung, Schwierigkeiten zu wittern, tummelt sich gerne im Wald bei den wilden Schwarzen, verabscheut Fleischfresser, erstaunt über sich selbst, dass sie mit Toten spricht.
Che – Husumer Protestschwein, träumt von der großen Schweinerevolution, hat insgeheim Angst vor starken Sauen, verabscheut die wilden Schwarzen.
Brunst – Deutsches Sattelschwein, träumt unaufhörlich vom Fressen, verabscheut es, nachzudenken und sich zu bewegen.
Doktor Pik – Deutsche Landrasse, der Methusalem unter den Schweinen, hat schon alles gesehen und ist im Zirkus aufgetreten, berühmt für seinen Kartentrick, liebt es, den Wolken nachzublicken, verabscheut Schwierigkeiten jeder Art.
Cecile – Minischwein, wurde aus dem Fenster einer Zoohandlung gerettet, liebt es, zu reden und den anderen nachzulaufen, überaus neugierig und ohne jedes Gespür für Gefahren, hasst es, nicht ernst genommen zu werden.
Hans-Hubert – auch Bertie genannt, Neuankömmling auf der Wiese, ein Schwein mit ein paar Besonderheiten, dazu gehört seine penetrant gute Laune und sein Verständnis und seine Liebe für jedermann.
Lunke – eigentlich Halunke, gehört zu den wilden Schwarzen, liebt es, große Reden zu schwingen und allein durch den Wald zu streifen, behauptet, vor nichts und niemandem Angst zu haben, hält sich auch für sexuell attraktiv. Ist in Kim verliebt.
Eine Rotte wilder Schwarzer
Dörthe – Lebenskünstlerin, Schauspielerin, eingefleischte Vegetarierin, verliebt sich gerne, ist schwanger, ohne genau zu wissen, von wem.
Carlo May – Schriftsteller und Stückeschreiber, zeigt gerne mit dem Finger auf andere, plant den großen Coup: ein Stück, mit dem er seinen Verleger Bornstein vernichten will.
Bornstein – Verleger und Geschäftsmann, hässlich, benutzt ekelhaftes Parfüm, mag es nicht, wenn ihm jemand Schwierigkeiten macht.
Edy – Träumer und Schweinehirt, kümmert sich um die Schweine, hat aber eigentlich nur Musik im Kopf.
Marcia Pölk – Hauptkommissarin, Katzenliebhaberin, mag Schweine und ihren Kollegen David Bauer.
Swara – ein blondes Mädchen, das sich angeblich für Kunst interessiert, hat mehr als ein Geheimnis.
Doktor Michelfelder – Rechtsanwalt, Möchtegern-Politiker, verheiratet, hatte eine Affäre mit Dörthe, vielleicht ist ihr Kind von ihm, das Wort »Saukerl« steht ihm in Großbuchstaben auf die Stirn geschrieben.
Sven – weißhaarig, wortkarg, ein Mann fürs Grobe.
Mats – bewundert Sven, führt sich oft großspurig auf, dabei voller Angst.
Finn Larsen – fällt buchstäblich vom Himmel, ein Dauerlächler, macht sich an Dörthe heran.
David Bauer – Polizist mit langen Haaren und dunkler Haut, hat mit Finn noch eine Rechnung offen.
Ein Priester – für den Schweine Teufel sind.
»Ich habe einen genialen Plan«, sagte Che. Mit ernster Miene schaute er sie einen nach dem anderen an, als könnte er so seine Worte unterstreichen.
Kim hatte sich zur Seite gerollt. Sie hatte den Tag mit Fressen und Schlafen verbracht und hatte überhaupt keine Lust, sich jetzt eine von Ches weitschweifigen Reden anzuhören, die sie im Übrigen alle zu kennen glaubte. Draußen ging die Sonne unter – ein letztes rotes Glühen lag in der Luft, und ein paar Vögel sangen ein Abendlied.
»Was hast du für einen Plan?«, quiekte Cecile.
Klar, die Kleine fiel immer auf solche Manöver herein – so eine Behauptung war wie eine Mohrrübe, die man ihr vor den Rüssel hielt und der sie, neugierig, wie sie war, einfach nicht widerstehen konnte.
Che straffte sich – Kim konnte es hören, ohne hinzusehen. Seine Klauen kratzten über den Boden. Che hatte einen breiten weißen Streifen quer über den Rücken, er war ein Husumer Protestschwein, deshalb würde er gleich wieder über die unvermeidliche Revolution sprechen, vom Aufstand der Schweine gegen ihre Unterdrücker, die Menschen. Kim gähnte so laut, dass es die anderen hören mussten.
»Wir müssen die Menschen davon abbringen, Schweine zu essen. Vielleicht müssen wir sie dazu anregen, uns besser kennenzulernen, zu begreifen, wer wir wirklich sind«, erklärte Che feierlich.
Kim war versucht, sich aufzurichten. Da hatte Che sich endlich einmal etwas Neues einfallen lassen.
»Und wie willst du das anstellen?«, knurrte der fette Brunst. Wie immer kaute er an einem harten Stück Brot oder einem Kohlkopf. Fressen war sein großes Thema. Seine Kiefer waren ständig in Bewegung.
»Ja, wie?«, quiekte Cecile, das Minischwein.
Wieder scharrte Che mit den Klauen. »Wir müssen es ihnen mitteilen«, sagte er und fuhr nach einem tiefen und irgendwie gewichtig klingenden Atemzug fort. »Wir müssen ihnen unsere Botschaft verkünden: ›Menschen, esst mehr Brot!‹«
»Mehr Brot?« Cecile klang enttäuscht. »Wieso mehr Brot?«
»Und wie willst du ihnen das verkünden?«, fragte Brunst.
Kim konnte hören, dass er Cecile einen Knuff verpasste, weil das Minischwein ihm zu vorlaut gewesen war.
»Zeichen«, sagte Che. »Es gibt diese Zeichen, mit denen die Menschen sich verständigen.«
Gegen ihren Willen drehte Kim sich um. »Du meinst Buchstaben?«, rief sie überrascht und war plötzlich hellwach. »Du willst es ihnen aufschreiben?« Sie wusste, dass Dörte manchmal mit einem Buch in den Stall gekommen war, aus dem sie laut vorgelesen hatte.
Che nickte mit seinem schweren, unförmigen Kopf. »Ganz recht – aufschreiben«, erklärte er. »›Menschen, esst mehr Brot!‹«
»Aber wer soll denn diese Zeichen lernen?«, fragte Kim entgeistert. »Kein Schwein kann so etwas!« Sie erinnerte sich, dass sie einmal einen Blick in ein Buch geworfen hatte, als Dörte sich zu Beginn des Sommers, zu ihnen auf die Wiese gelegt hatte, aber es war unmöglich gewesen, diesen Strichen und Punkten einen Sinn zu entnehmen.
»Wir Schweine können viel mehr, als wir denken!«, deklamierte Che und kratzte wieder mit den Klauen über den Boden. »Wir könnten es alle versuchen – sogar Cecile, obwohl sie den kleinsten Kopf von uns allen hat.«
Cecile quiekte kurz auf, sie war nicht so dumm, um nicht zu bemerken, dass Che sie soeben beleidigt hatte.
»›Menschen, esst mehr Brot!‹ – das ist die Botschaft«, wiederholte Che und schickte seinen Worten einen tiefen Grunzer hinterher.
»Selbst wenn die Menschen es kapieren würden – wie soll uns das helfen?« Brunst klang gegen seine Natur recht nachdenklich.
Plötzlich regte sich auch Doktor Pik in seiner Ecke. Er war der Älteste und Schweigsamste von ihnen. »Es muss heißen: ›Esst mehr Fisch!‹ So lautet der Satz. Jedenfalls war das bei Petro Ronnelli so. Ich musste drei Klappen mit Buchstaben umlegen – ein großes E, ein kleines m und ein großes F, und dann kam der Satz: ›Esst mehr Fisch!‹ Das war der Abschluss unserer Show, und die Menschen haben erst gelacht und dann applaudiert.«
Kim blickte Doktor Pik erstaunt an. Er war eine Zeitlang mit einem Wanderzirkus durch das Land gezogen, bevor Dörthe ihn gerettet und auf den Hof gebracht hatte, aber bisher hatte sie nur gewusst, dass er vor allem Kartentricks in einer Manege vorgeführt hatte.
»Du kannst lesen?«, fragte sie atemlos.
Doktor Pik schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Die Zeichen auf den Klappen habe ich nie verstanden – ich habe mir nur die Reihenfolge gemerkt, nach der ich sie umwerfen musste. Das war schwer genug.«
»Trotzdem«, erklärte Che, dem es stets wichtig war, im Mittelpunkt zu stehen. »Kim ist klug, und ich bin klug, und ihr anderen …« Er brach ab. »Nun ja, wir sollten es jedenfalls versuchen.«
Brunst hatte sich schmatzend umgewandt. Sein Interesse war bereits erloschen. Auch Doktor Pik hatte die Augen geschlossen und war zurück ins Stroh gesunken. Nur Cecile scharrte in ihrem kleinen Lager. Sie brachte ein Stück Papier zum Vorschein, das sie in die Schnauze nahm und Che wie ein Geschenk präsentierte.
»Das ist so ein Papier mit Zeichen«, piepste sie. »Edy hat es weggeworfen, und ich hab’s mitgenommen. Ist schön bequem zum Liegen.«
Edy war ihr Stallbursche, ein Junge aus dem Dorf, den Dörthe vor kurzem als Gehilfe angestellt hatte. Er brachte ihnen Futter und sorgte für Wasser und dafür, dass sie immer sauberes Stroh hatten.
Kim richtete sich auf und trabte zu Che hinüber. Gegen eine gewisse Neugier war auch sie nicht gefeit, wie sie sich eingestehen musste. Cecile hatte einen Fetzen Zeitungspapier herangebracht. Da standen in der Tat ganz viele Zeichen – manche waren dick und rot, andere klein und schwarz. Einen Sinn konnte Kim in ihnen allerdings nicht erkennen – allein, wie die Zeichen über das Papier verteilt waren, verwirrte sie.
»Interessant«, grunzte Che vor sich hin, während er sich das Papier besah, aber seinem wandernden Blick war anzumerken, dass auch er mit den Zeichen nichts anfangen konnte.
Plötzlich jedoch erregte etwas anderes Kims Aufmerksamkeit. Da waren nicht nur Zeichen, sondern auch ein Foto. Zwei Männer standen sich gegenüber – der eine hatte eine Glatze und einen Bart, der sein ganzes Gesicht umgab. Er lachte breit, so dass man seine Zähne sehen konnte, und er hatte einen Finger erhoben; der andere war jünger, er hatte kurze schwarze Haare und grinste überheblich.
Den ersten Mann hatte Kim noch nie gesehen, aber den zweiten kannte sie. Seit ein paar Tagen hockte er bei Dörthe im Haus und ging nur abends vor die Tür, um in der Dunkelheit eine Zigarette zu rauchen. Fast wirkte es, als würde er sich verstecken.
»Diesen Mann«, sagte sie und deutete mit dem Kopf auf das Bild, »kennt ihr ihn?«
Che kniff die Augen zusammen und schüttelte dann den Kopf. »Wieso sollten wir ihn kennen?«
Kim antwortete nicht – es war vergebliche Mühe, aber sie wusste genau, dass sie sich nicht irrte. Oben im Haus gab es ein Zimmer, wo den ganzen Tag die Vorhänge zugezogen waren. Genau dort hatte dieser Mann die letzten Tage zugebracht.
Aber wieso gab es dieses Foto von ihm und dem anderen Mann? Und warum hatte Edy ausgerechnet diese Seite weggeworfen?
»Habe ich etwas falsch gemacht?«, piepste Cecile in ihre Gedanken hinein. »Du guckst so ernst.«
»Nein, das war eine gute Idee, die Zeitung herzubringen«, erwiderte Kim. Nun hätte sie doch zu gern gewusst, was die Striche und Kreise und Punkte um das Foto herum zu sagen hatten.
Als Kim aus dem Schlaf schreckte, hatte sie für einen Moment das Gefühl, neben ihrer Mutter gelegen zu haben. Die fette, meistens gutmütige Paula hatte nach Milch und Wärme gerochen, und irgendwie schien dieser Geruch noch in der Luft zu hängen, aber warum war sie aufgewacht? Brunst lag ein Stück von ihr entfernt und schnaubte vor sich hin. Selbst im Schlaf mahlten seine Kiefer und verursachten ein leises schnarrendes Geräusch.
Dann, nachdem sie sich aufgerichtet hatte, hörte sie es – ein fernes, unangenehmes Geräusch, das die Nacht zerriss. Töt-Töt-Töt … Was war das? Die Alarmanlage, die Dörthes Haus und ihre kostbaren Bilder schützte, klang anders, schriller und gefährlicher, aber irgendwie war dieses Geräusch genauso nervtötend.
Kim warf den anderen einen Blick zu – sie schienen noch selig zu schlafen, nur bei Doktor Pik wusste man nie, ob er nur so tat.
Die Tür zur Wiese stand offen. Edy schloss sie lediglich bei schlechtem Wetter, offenbar weil er fürchtete, dass es sonst in dem kleinen Stall zu stickig werden könnte.
Draußen, vor der Tür war das schreckliche Geräusch noch deutlicher zu hören. Das Töt-Töt kam eindeutig nicht vom Haus, in dem Dörthe und dieser Mann aus der Zeitung schliefen, sondern aus dem Wald jenseits des Zauns.
Sollte sie nachschauen – über die Wiese laufen und sich durch den kleinen Durchschlupf zwängen, den Dörthe übersehen hatte?
Nein, irgendwie hatte Kim das Gefühl, dass dieses Geräusch Ärger bedeuten könnte, und nichts war ihr in den letzten Wochen wichtiger gewesen, als in Ruhe auf der Wiese ihre Runden zu drehen.
Doch der Mond schwebte hoch oben am Himmel, und es roch nach feuchtem Gras, und das Geräusch hörte gar nicht auf …
Plötzlich stand Kim vor dem schmalen Durchlass und zwängte sich hindurch. Sie würde nur kurz nach dem Rechten sehen und sofort wieder verschwinden – sich gleich in den Stall zurückzuziehen, dazu war ihre Neugier einfach zu groß.
Kaum hatte sie den schmalen Pfad betreten, der in den Wald führte, sprang schon ein mächtiger Schatten aus dem Gebüsch. Kim gelang es, einen Schreckensschrei zu unterdrücken.
»Dachte schon, du kommst gar nicht mehr, kleine Kim«, sagte Lunke. Er schaffte es, spöttisch und vorwurfsvoll zugleich zu klingen.
Lunke gehörte zu den wilden Schwarzen, die im Wald lebten – und, nun ja, sie waren befreundet … irgendwie. Kim war sich über ihre genaue Beziehung nicht ganz im Klaren. Lunke war ein Großmaul, ein Lügner, ein Muttersöhnchen, aber er war auch groß und stattlich und ging keinem Abenteuer aus dem Weg. Kurz, er spielte in einer anderen Liga als die Schwachköpfe Che und Brunst. So viel ließ sich immerhin zu seinen Gunsten sagen.
»Was ist das für ein merkwürdiges Geräusch?«, fragte Kim, weil es klüger war, über Lunkes Tonfall einfach hinwegzugehen.
»Bist neugierig, was?« Er lächelte. »Ja, wir haben Besuch bekommen. Eine Überraschung – sollten wir uns ansehen.« Mit einem fetten Grinsen stieß er ihr seine Schnauze in die Flanke und trabte los. Immerhin hatte er aufgepasst, dass er sie nicht mit seinen scharfen Eckzähnen erwischte – am linken fehlte nach einer Keilerei ein Stück.
Kim folgte ihm und hatte Mühe, Schritt zu halten. Vielleicht hätte sie doch nicht so viel fressen sollen, überlegte sie, während sie immer kurzatmiger wurde. Lunke war eindeutig in besserer Form.
Das nervige Töt-Töt wurde immer lauter, und beim Näherkommen konnten sie noch ein anderes Geräusch ausmachen – ein leises, weniger aufdringliches, rhythmisches Rattern.
Was war das? Kim wusste es und kam doch nicht darauf.
Lunke wurde immer schneller, nicht weil er besonders neugierig war, sondern weil er seine Kraft und Überlegenheit vorführen wollte. O, wie hasste sie sein eitles Getue!
Kim blieb stehen. Ja, wollte sie schreien, du bist wirklich der Schönste und Stärkste im Wald – kommst gleich hinter deiner fetten Mutter. Emma, die Bache, führte bei den wilden Schwarzen ein strenges Regiment – da kniff selbst Lunke den Schwanz ein. Leider war Kim so außer Atem, dass sie nicht den leisesten Laut hervorbringen konnte. In ihrem Kopf dröhnte es. Für solche Läufe durch die Nacht war ein einfaches Hausschwein nicht gebaut.
Dann, inmitten des Lärms, fiel es ihr ein. Es war ein Motor. Irgendwo im Wald stand ein Auto mit laufendem Motor – das war das Geräusch, das unter dem Töt-Töt zu hören war.
Lunke war gnädigerweise auch stehen geblieben.
»Wir müssen noch ein Stück weiter«, raunte er ihr zu. »Dahin, wo der Feldweg endet.«
Kim nickte. Das Geräusch war nun so laut, dass man sich hätte anschreien können, ohne fürchten zu müssen, entdeckt zu werden.
Ein Mensch war mit seinem Auto in den Wald gefahren und machte dieses furchtbare Geräusch – aber warum?
Langsam ging Kim weiter. Ihr Herz klopfte, allerdings nun nicht mehr wegen der Anstrengung, sondern weil sie aufgeregt war. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Kein einziges Tier war ihnen über den Weg gelaufen, und von der Rotte der wilden Schwarzen schien auch keiner in der Nähe zu sein.
Umkehren, sagte eine Stimme in ihrem Kopf, die sich ganz nach ihrer Mutter Paula anhörte. Umkehren – zu Cecile, Doktor Pik, Brunst und Che. Umkehren – oder du gerätst ernsthaft in Schwierigkeiten, Kim.
»Was ist?«, raunte Lunke vor ihr und entblößte sein Gebiss. »Willst du nun wissen, was los ist? Oder willst du hier stehen bleiben und Bäume anstarren?«
Bäume anstarren ist jedenfalls nicht gefährlich, sagte die Stimme, und dann flüsterte sie: Fordere das Schicksal nicht heraus, Kim!
Kim schüttelte den Kopf. Nun war es besser, wenn die Stimme ihrer Mutter sie für eine Weile in Ruhe ließ.
Nach drei, vier zaghaften Schritten sah Kim ein grelles, weißes Licht, das durch die Bäume blitzte. Nein, es waren zwei Lichter – Scheinwerfer genauer gesagt. Ein paar Schweinslängen vor ihnen stand ein Auto mit laufendem Motor, und von diesem Blechding kam auch das nervtötende Geräusch. Töt-Töt-Töt – ohne jedes Erbarmen, als gälte es, alle Lebewesen aus dem Wald zu vertreiben.
»Wir müssen uns von hinten nähern«, zischte Lunke. Er lief nachts oft ins Dorf zu den Menschen, buddelte dort in den Vorgärten Blumenzwiebeln aus und glaubte daher, nun den Oberschlauen spielen zu müssen.
Kim schob sich an ihm vorbei, endlich einmal wollte sie die Führung übernehmen, doch gleich war er wieder neben ihr.
»Bist heute so schweigsam, Babe«, raunte er ihr zu und grinste.
»Sei einfach still – Fritz«, raunte Kim zurück.
Lunke verzog das Gesicht. Dass sie herausgefunden hatte, dass er eigentlich Fritz hieß und nicht Lunke – die Kurzform für Halunke – ärgerte ihn zutiefst.
Das Töt-Töt war nun so laut, dass es in ihrem Kopf widerhallte. Lange war ein solcher Lärm nicht auszuhalten. Obwohl nur wenig Mondlicht in den Wald fiel, konnte man sehen, dass der Wagen sehr kantig und groß war – viel größer als das Kabriolett, das Dörthe besaß und in dem Kim schon einmal mitgefahren war, als man sie in eine Tierklinik verfrachtet hatte.
Kim strich mit der Nase an einer langen Chromleiste entlang. Es roch merkwürdig nach … War das Blut? Ja, als sie einmal in dem Schlachthaus von Kaltmann, dem Dorfmetzger, gewesen war, hatte es ähnlich gerochen. Hinten leuchteten zwei rote runde Lichter, und aus einem Rohr wurde Dreck geblasen.
Kim musste husten.
»Still!«, zischte Lunke ihr zu, obwohl das Töt-Töt nicht aufgehört hatte. Nun wirkte auch er angespannt.
Sie waren inzwischen einmal halb um den Wagen herum geschritten. Der Geruch von Blut wurde immer intensiver. Die beiden Scheinwerfer warfen zwei lange Lichtstreifen in den Wald, der in den kalten weißen Strahlen irgendwie bleich und krank aussah.
Lunke stieß sie an. »Da ist es!«, flüsterte er.
Kim hielt inne. Die eine Tür des Wagens stand offen – nun war zu erkennen, dass der Wagen eine Farbe wie Eigelb hatte. Außerdem fiel auf, dass die Glasscheibe in der Tür fehlte – nein, sie war kaputt, ein paar Glasscherben steckten noch in dem Rahmen.
Das grauenhafte Töt-Töt überdeckte alles. Morgen würde sie furchtbare Kopfschmerzen haben. Migräne nannte Dörthe so etwas.
»Lass uns wieder gehen!«, sagte Kim laut zu Lunke. »Ich halte diesen Krach nicht mehr aus.«
»Das ist die Hupe«, flüsterte er und zog die Brauen in die Höhe, als wolle er auf eine Gefahr hinweisen. »Er liegt auf dem Lenkrad und rührt sich nicht mehr.«
Er? Kim kniff die Augen zusammen. Sie hatte nicht aufmerksam genug hingeschaut. Lunke hatte recht – da war ein zusammengesunkener Schatten in dem Wagen.
Kim machte vorsichtig zwei Schritte nach vorn. Sie konnte die Gefahr förmlich riechen, die aus dem Wagen stieg – Gefahr, Angst und … der Geruch von Blut kamen von dem Menschen, der hinter dem Lenkrad hockte.
Noch zwei Schritte, dann konnte sie in das Innere blicken.
Lunke war ganz nah neben ihr, er atmete in kleinen, kurzen Stößen. So angespannt hatte sie ihn noch nie erlebt.
Kim sah zuerst schwarze Stiefel, dann eine blaue Jeans, wie Edy sie bei der Arbeit trug, danach ein schwarzes Hemd, das voller Blut war. Den Menschen hatte es an der Flanke übel erwischt. Sie hob ihren Rüssel und kniff die Augen zusammen. Ein Gesicht, noch nicht sehr alt, mit schwarzen Haaren und schwarzen Bartstoppeln lag auf dem Lenkrad. Die Augen des Mannes waren geschlossen, sein Mund war leicht geöffnet. Atmete er noch? Sosehr Kim sich anstrengte – sie konnte es nicht erkennen. Sie spürte, wie ihr übel wurde. So viel Blut hatte sie noch nie gerochen. Ihr drehte sich der Magen um.
»Tot«, sagte Lunke tonlos und ohne jedes Mitleid. »Der kriegt nichts mehr hoch.« Er wollte wohl locker wirken, aber die Anspannung ließ seine Stimme ganz rau klingen.
Im nächsten Moment öffnete der Tote die Augen. Kim wich zurück. Der Mann sah sie an, ohne sich zu rühren, kein Muskel in seinem Gesicht verzog sich. Ein winziges Licht blinkte in seinen Augen auf. Verdammt, kleines Schwein, die Welt ist böse – pass auf dich auf!, sagte dieses winzige, flackernde Licht. Dann erlosch es, und dem Mann fielen die Augen wieder zu.
Lunke stieß sie an. »Was ist?«, fragte er heiser. »Kapierst du, was hier passiert ist?«
Kim starrte den Mann an. Hatte sie sich getäuscht? Hatte er die Lider tatsächlich geöffnet, und war da ein winziges Lebenslicht in seinen Augen gewesen? Sie wandte den Kopf und begegnete Lunkes Blick. Nein, sie kapierte nicht, was hier passiert war. Ein Mann, der aus seiner Flanke blutete, war mit einem unförmigen gelben Auto, an dem ein Fenster kaputt war, in den Wald gefahren, um zu sterben.
Mehr kapierte sie nicht – aber auf klügere Gedanken konnte man bei diesem Gedröhne auch nicht kommen.
Langsam zog sie sich von der offenen Tür zurück, und sofort nahm der widerwärtige Blutgeruch ab, und sie konnte wieder atmen.
»Dachte, du würdest wissen, was passiert ist, kluge Kim«, sagte Lunke und wirkte tatsächlich ein wenig beleidigt. »Aber wenn wir schon mal hier sind, können wir ja ein Bad nehmen, der See ist gleich da drüben.« Seinen Worten schickte er ein dreistes Grinsen hinterher.
Wovon träumst du eigentlich nachts, wollte Kim sagen, dann fiel ihr ein, dass es ja Nacht war, und außerdem wollte sie gar nicht so genau wissen, wovon er träumte. Ihre Vermutung reichte ihr.
Im nächsten Moment, gerade noch rechtzeitig, um Lunke einen Stoß zu versetzen, damit er die Schnauze hielt, bemerkte sie die Gestalt, die auf den Waldpfad stapfte und geradewegs auf den Wagen zuhielt.
Hab’s dir ja gesagt, meldete sich die Stimme in ihrem Kopf. Nun gibt es richtig Ärger.
Konnte das sein? Wo sollte mitten in der Nacht ein Mensch herkommen? Vielleicht konnte sie nicht mehr klar denken und klar sehen, da sich das dröhnende Töt-Töt immer weiter in ihren Kopf fraß.
Nein, sie irrte sich nicht. Ein Mensch hielt auf den Wagen zu, er bewegte sich ohne jede Angst und schien es eilig zu haben, oder vielleicht war es die Neugier, die ihn antrieb. Vermutlich hatte er die Hupe auch gehört.
Kim und Lunke schafften es gerade noch, sich ins nächste Gebüsch zu schlagen, bevor der Mann an dem Wagen angelangt war. Nebeneinander kauerten sie hinter einem ausladenden Farn und spähten zu der Gestalt hinüber, wobei Lunke die Gelegenheit nutzte und sich ein wenig an ihr rieb.
»Lass das!«, raunte sie ihm ärgerlich zu.
»Ich habe Angst, da gehe ich immer auf Tuchfühlung«, flüsterte er und lachte leise.
»Fritz – das Muttersöhnchen«, zischte sie, und er verstummte sofort und rückte ein wenig von ihr ab.
Vorsichtig schritt der Mann um den Wagen herum, genau wie sie vor ein paar Momenten. Das laute Töt-Töt störte ihn offenbar nicht, jedenfalls stachelte es ihn nicht zur Eile an.
Kim konnte nicht erkennen, ob der Mann eine Waffe in der Hand hielt. Hatte er den anderen Mann im Auto verletzt? Nein, so wie er sich näherte, wusste er offenbar nicht, was ihn erwartete.
Kurz darauf erreichte der Mann die offene Wagentür. Trotz des Gehupes meinte Kim zu verstehen, wie er »Alles klar, Kumpel?« sagte und abwartete, ob der andere ihm antwortete.
Als keine Reaktion kam, tippte er den Verletzten leicht an und wartete wieder. Dann drehte er sich abrupt um und starrte genau zu der Stelle hinüber, wo sie und Lunke sich versteckt hielten. Hatte er sie bemerkt? Aber das war bei diesem Gedröhne völlig ausgeschlossen, und die menschliche Nase funktionierte im Allgemeinen so schlecht, dass er sie auch nicht gerochen haben konnte.
Der Mann schaute sich nach allen Seiten um, dann streckte er beide Hände vor und berührte den Verletzten an den Schultern. Einen Moment später hörte das Hupen auf. Der letzte Nachhall des Dröhnens zog durch den Wald und erstarb.
Eine seltsame, tödliche Stille trat ein, die auch das leise Rattern des Motors nicht durchdringen konnte.
Der Mann im Wagen war tot, begriff Kim. Lunke hatte recht. Vielleicht hatte er noch einmal die Augen geöffnet, um sie anzuschauen, vielleicht hatte sie es sich auch nur eingebildet.
»O Mann, das Gehupe hat mich ganz schwindlig gemacht«, sagte Lunke neben ihr und seufzte.
Kim bedeutete ihm mit einem strengen Blick zu schweigen. Nun mussten sie erst recht leise sein.
Der Mann am Wagen zögerte. Überlegte er, was zu tun war? Wollte er Hilfe holen und wusste nicht, wie? Er kehrte zur Rückseite des Wagens zurück und öffnete langsam den Kofferraum. Ein winziges Licht flammte auf, das den Mann geradezu unförmig groß wirken ließ. Nachdem er einen Blick hineingeworfen hatte, klappte er den Kofferraum wieder zu und wischte anschließend mit dem Hemd über das Blech.
Was hatte er vor? Er sah nicht aus, als würde er Hilfe holen wollen.
»Der Kerl macht es ganz schön spannend«, flüsterte Lunke neben ihr. Er war wieder ein Stück an sie herangerückt. Sie glaubte, sein Herz schlagen zu hören.
»Er sucht was«, erwiderte Kim leise.
Einen Augenblick später öffnete der Mann die Beifahrertür. Er beugte sich vor, verharrte über dem Sitz und hatte, als er wieder hervorkam, etwas in der Hand – einen Sack oder einen Beutel. Aufmerksam blickte er hinein, und dann entwich ihm ein leiser Pfiff – vor Überraschung.
»Großer Gott!« Diese Worte waren selbst bis zu ihrem Versteck hinter dem Farn zu hören.
Leise, als hätte er Angst, er könnte den Toten aufwecken, schlug er die Tür wieder zu und wischte erneut mit seinem Hemd über das Blech.
Dann konnte Kim hören, wie der Mann tief einatmete. Er wandte sich zum Gehen. Mit dem Beutel unter dem Arm strebte er auf das dunkelste Dickicht zu.
Er hat wirklich nicht vor, Hilfe zu holen, begriff Kim. Der Mann machte sich davon.
Für einen winzigen Moment geriet der Mann in das Licht der Scheinwerfer, bevor er im Wald verschwand.
Kim stockte der Atem. Sie kannte ihn – am Abend noch hatte sie ihn in der Zeitung gesehen, die Cecile angeschleppt hatte. Es war der Kerl, der seit ein paar Tagen bei Dörthe im Haus wohnte.
»Er ist weg.« Lunke seufzte erleichtert. »Wollen wir jetzt suhlen gehen? Im Mondlicht – nur du und ich. Wenn du willst, kann ich auch ein Lied dazu singen.«
Kim bemerkte, dass er sie wieder dreist anlächelte. »Du musst dich leider allein vergnügen«, sagte sie und lächelte honigsüß zurück. »Ich muss dem Mann nach – auch wenn ich schon weiß, wo er hingeht.«
Klar, dass Lunke sich nicht abschütteln ließ. Missmutig trabte er neben ihr her.
»Wieso nutzen wir die Gelegenheit nicht?«, nörgelte er. »Der Wald ist leer – jeder ist abgehauen. Der See gehört uns, niemand würde uns stören. Ich singe und du …«
»Ich habe was Besseres vor«, grunzte Kim ihm im spöttischen Tonfall zu.
»Was Besseres als Suhlen gibt es nicht«, erwiderte Lunke noch mürrischer.
Kim achtete gar nicht mehr auf ihn. Der Mann vor ihnen schien richtig gute Laune bekommen zu haben – er summte leise vor sich hin, als würde er mitten im Sonnenschein einen Spaziergang machen.
»Kannst du riechen, was er da in dem Beutel trägt?«, fragte Kim ernst und blickte Lunke an.
Er hob seinen Rüssel in den leichten Wind. »Nichts zu fressen jedenfalls«, sagte er nach einem kurzen Schnuppern.
»Vielen Dank – du bist eine echte Spürnase.« Darauf war Kim schon von allein gekommen.
Zu ihrer Überraschung schlug der Mann nicht den Weg zum Haus ein, sondern zu ihrem Durchlass, als wollte er sich da hindurchzwängen. Dann aber kletterte er über den Zaun und schaffte es sogar, nicht an den Metallstacheln hängen zu bleiben. Er überquerte die Wiese – ein riesiger Schatten im Mondlicht – und steuerte geradewegs auf ihren Stall zu.
»Was macht der Kerl da?« Lunke klang noch überraschter als vorhin im Wald, als der Mann aufgetaucht war. »Er rennt zu euch – zu den Schlappschwänzen.« So nannte er Che, Brunst und Doktor Pik, die in seinen Augen keine richtigen Schweine waren.
Kim blieb vor dem Durchschlupf stehen und wartete. Der Mann nahm den Hintereingang. Einen Moment später flammte im Stall das helle Deckenlicht auf, wie in dem kaputten Fenster gut zu erkennen war.
Was sollte das? Darauf konnte es nur eine Antwort geben.
Ein paar gespannte Atemzüge später erlosch das Licht wieder. Der Mann kehrte auf die Wiese zurück, blickte sich um und lief zum Haus.
»Wo ist der Beutel?«, fragte Lunke ehrlich überrascht. »Er hat keinen Beutel mehr dabei.«
Kim bedachte ihn mit einem anerkennenden Blick. War es ihm also auch aufgefallen!
»Er hat den Beutel im Stall versteckt«, sagte sie tonlos. »Wahrscheinlich auf dem kleinen Heuboden. Auf die Schnelle ist ihm nichts Besseres eingefallen. Kommt mir nicht besonders schlau vor.«
Der Mann öffnete das Gatter zum Hof, schloss es, ohne ein Geräusch zu verursachen, und schlich durch den Vordereingang ins Haus. Er hatte also einen Schlüssel, und er wollte nicht, dass Dörthe etwas von seinem nächtlichen Ausflug mitbekam, folgerte Kim.
»Warum tut er das?«, fragte Lunke.
»Weil er etwas Wertvolles bei …« Bei dem Toten gefunden hat, wollte Kim sagen, doch dann fuhr sie fort: »… in dem Beutel entdeckt hat.«
»Hör zu, Kim«, sagte Lunke und stieß sie so zart mit der Schnauze an, dass seine Eckzähne sie nicht berührten. In seinen braunen Augen spiegelte sich Mondlicht. »Das sieht gefährlich aus! Ich komme mit in euren Stall und passe auf dich auf.«
Na, großartig – was sollte dieser Quatsch! Lunke zwischen Che und Brunst – das würde man ihr zeit ihres Lebens nicht verzeihen.
»Lunke«, sagte sie, »ich weiß dein Angebot zu schätzen, aber das kommt nicht in Frage. Es würde dir auch nicht gefallen … eingesperrt zu sein und auf hartem Beton mit nur wenig Stroh zu liegen.«
Lunke verzog das Gesicht und grunzte leise vor sich hin. Kim konnte sehen, dass er nachdachte.
»Also gut«, sagte er, »aber ich bringe dich zum Stall, und dann suche ich mir auf der Wiese ein ruhiges Plätzchen. Ich würde mir ewig Vorwürfe machen, wenn …« Er wollte zu einer längeren Erklärung anheben, doch Kim unterbrach ihn barsch. »In Ordnung – gehen wir.« Damit zwängte sie sich durch das Loch im Zaun und trabte über die Wiese, ohne auf Lunke zu achten.
Im Haus war kurz ein Licht angegangen, aber gleich darauf erlosch es wieder. Der Mann war zurück in sein Bett gekrochen – in sein eigenes, wie Kim feststellte, denn Dörthe schlief in einem anderen Zimmer, das nicht direkt zur Wiese, sondern zum Hof und zur Zufahrt hinausging.
»Träum was Schönes, Babe«, raunte Lunke ihr hinterher, als sie den Stall fast erreicht hatte.
»Ja, vielleicht kommst du auch drin vor«, erwiderte Kim, bevor sie durch die Tür schritt.
Aus dem Stall antwortete ihr lautes Schnarchen, das von Che stammte. Brunst schnaubte, als müsse er im Schlaf Schwerstarbeit erledigen, und Cecile quiekte ängstlich. Sie hatte oft Alpträume, wahrscheinlich weil sie die Kleinste von ihnen war.
Kaum hatte Kim ihre Ecke erreicht und ein wenig Stroh zusammengescharrt, um sich darauf niederzulassen, sagte Doktor Pik laut in die Dunkelheit: »Der Mann, der bei Dörthe wohnt, war da, er ist auf den Heuboden geklettert und hat etwas versteckt. Kommt mir nicht geheuer vor – die Sache.«
»Gibt wahrscheinlich eine einfache Erklärung dafür«, erwiderte Kim, weil sie den alten Eber nicht beunruhigen wollte. Dann gähnte sie laut und übertrieben.
»Du riechst nach einem bestimmten wilden Schwarzen«, erklärte Doktor Pik mit strenger Stimme. »Und nach Ärger – nach mächtig viel Ärger.«
Wenn Edy mit der Stallarbeit anfing, war Kim meistens schon auf und hatte eine erste Runde über die Wiese gedreht. Sie liebte es, über die noch vom Tau feuchte Wiese zu traben und den Rüssel in den warmen Morgenwind zu halten.
Doch nach dem nächtlichen Ausflug mit Lunke war alles anders – sie hatte ganz gegen ihre Gewohnheit verschlafen.
Laut pochte Edy mit der Faust gegen das hölzerne Gatter.
»Aufstehen, Kim!«, rief er. »Was ist los mit dir, du Schlafmütze?«
Edy war groß, viel größer als Dörthe, er trug sein langes schwarzes Haar zu einem Zopf zusammengebunden und erzählte gelegentlich, dass er einmal ein richtig berühmter Musiker sein würde, aber bis die Menschen begriffen hatten, dass er der beste Gitarrist aller Zeiten war, musste er morgens ihren Stall saubermachen. Wenn Edy seine Wasserpfeife dabeihatte, ein merkwürdiges Gefäß mit einem langen Schlauch, konnte er sogar lachen, was er sonst niemals tat. Meistens trug er zwei silberfarbene Knöpfe im Ohr und war für nichts und niemanden empfänglich.
Mühsam rappelte Kim sich auf. Die anderen waren schon auf der Wiese – sogar Doktor Pik, dem das Aufstehen von Tag zu Tag schwerer fiel, hatte sich bereits aufgerafft.
Nach einem kurzen, freundlichen Begrüßungsgrunzer in Edys Richtung trabte Kim hinaus und erstarrte in der Tür. Lunke? War er etwa noch da? Sein Geruch lag jedenfalls in der Luft, und die anderen vier standen wie festgefroren auf einem Fleck und starrten geradeaus.
Lunke brachte das fertig – ihnen dreist einen guten Morgen zu wünschen und zu erzählen, dass Kim und er sich in der Nacht vergnügt und dann einen toten Menschen gefunden hatten.
Kim blinzelte in die Sonne, die schon ein gutes Stück über den Horizont gekrochen war, und lief zu den anderen. Hört nicht auf ihn!, wollte sie ihnen zurufen, er redet nur Unsinn, um sich wichtigzutun, aber da stand gar kein wilder Schwarzer, der eine Rede hielt. Etwas anderes hatte die Aufmerksamkeit von Che und Co. gefesselt.
Vorsichtig trabte Kim in Richtung Hof über die Wiese. Keiner der anderen wandte sich zu ihr um, nicht einmal Cecile. War etwas mit dem Haus nicht in Ordnung? War Dörthe vielleicht krank? Plötzlich bekam Kim einen Riesenschreck. Hatte der Kerl, der sich bei ihr versteckt hielt, ihr etwas angetan?
Rüde zwängte sie sich an Cecile und Doktor Pik vorbei, um endlich sehen zu können, was die Schweine so in Bann hielt. Der alte Eber nickte ihr wortlos zu, während sie sich neben ihn schob, und deutete mit dem Kopf zum Tor hin.
Jemand hatte ein Bündel Federn auf einen der Holzpfosten gelegt. Nein, Irrtum, ein Vogel lag da, ein mächtiger Schwan mit einer grau-weißen Brust, dessen Flügel in schwarzen Federn ausliefen.
Unwillkürlich musste Kim an den toten Mann in dem Auto denken. Nun war es ein toter Schwan, der vor ihr lag, aber er sah nicht weniger furchterregend aus. Sein Hals hing verdreht herab, und seine winzigen schwarzen Augen starrten vor sich hin. Ein schrecklicher Schmerz war in ihnen festgefroren.
»Ein Schwan«, piepste Cecile, die sich als Erste gefangen hatte, »hat wohl das Fliegen verlernt und ist vom Himmel gestürzt.«
Brunst schnaubte verächtlich, anscheinend war er anderer Meinung als das Minischwein. Dann nahmen seine Kiefer ihre mahlenden Bewegungen wieder auf, und er wandte sich ab. »Muss auf den Schreck was fressen«, murmelte er vor sich hin und trabte davon.
»Menschen«, sagte Che mit bitterer Stimme. »Menschen haben das getan – Menschen sind allesamt Mörder, sie haben es nicht nur auf uns abgesehen.«
Kim nickte. »Abgestürzt ist der Schwan bestimmt nicht. Jemand hat ihn hier hingelegt, genau auf diesen Pfosten, damit man ihn vom Haus aus sehen kann.« Eine Warnung, wollte sie hinzufügen, tat es allerdings nicht – sonst hätte sie womöglich von dem Toten sprechen müssen, den sie in der Nacht gefunden hatte.
Sie reckte ihren Rüssel vor und schnüffelte. Das Gefieder roch lediglich nach Wasser und Wind, jedoch nicht nach Blut. Der Vogel wirkte unverletzt in seinem schwarzen Gewand – wenn man von dem grausam verrenkten Hals absah. War ein Mensch stark genug, so einem stattlichen Tier den Hals umzudrehen? Unwillkürlich musste Kim schlucken.