Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Auf Moran bahnt sich eine Katastrophe an. Lichtjahre davon entfernt wagt sich die Promet erstmals in ein neues Sternsystem. Doch draußen im All lauert Gefahr und Verderben für Arn Borul und seine Freunde.Die wohl kultigste deutsche Space Opera mit neuen Texten!
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 153
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Vanessa Busse
ANGRIFF AUS DEM NICHTS
In dieser Reihe bereits erschienen:
5001 Christian Montillon Aufbruch
5002 Oliver Müller Sprung ins Ungewisse
5003 Vanessa Busse Dunkle Energie
5004 Vanessa Busse
Vanessa Busse
ANGRIFF AUS DEM NICHTS
Raumschiff Promet
Band 4
© 2014 by BLITZ-Verlag
Redaktion: Jörg Kaegelmann
Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati
Titelbildgestaltung: Mark Freier
Satz: Winfried Brand
All rights reserved
www.BLITZ-Verlag.de
ISBN 978-3-95719-494-7
„Arn!“ Peet zuckte zurück, als ihm gleißend helles Licht entgegenschlug. Das Schott auf dem obersten Deck des Kugelraumers! Eben noch hatte es den Moraner in der Energiefalle gefangen gehalten. Nun schob es sich träge beiseite. Mit letzter Kraft hatte Arn Borul nur eine Sekunde zuvor die Strahlwaffe aus der Schleusenöffnung gehebelt. Was dann passiert war, konnte sich Peet Orell lebhaft vorstellen. Gleißend grell tropften die Reste dessen, was die moranische Waffe zerstört hatte, nach unten. Der zerstörerische Energiefluss war versiegt.
Peet zögerte keinen Moment. Die Männer der HTO-234 hielten ihn nicht auf, den Raum zu betreten. Sein Freund lag leblos auf dem Boden. Mit beiden Händen griff er nach Arns Körper und zerrte ihn aus der Gefahrenzone. Helm und Raumanzug waren von einer schwarzen, leicht glühenden Schicht überzogen. Sie ließ keinerlei Rückschluss auf seinen Zustand zu. Doch Peet wusste, dass er den Moraner sofort zur Promet bringen musste. Ein winziges Leck im Anzug konnte ihm zum Verhängnis werden.
„Peet! Was ist passiert?“ Atemlos lief Vivien Raid dem Trupp entgegen, dicht gefolgt vom Team der HTO-234. „Oh mein Gott, Arn.“ Sie stockte, als sie sah, was Peet Orell und ein weiterer Mann nach oben hievten.
Ohne seiner Kameradin Beachtung zu schenken, drängte Peet an ihr vorbei. Nur kurz warf er einen Blick zurück, bevor er in den Helm sprach. „Worner, kümmern Sie sich um die Toten. Ich muss sofort zur Promet.“
Vivien folgte ihm wortlos. Auch die Crewmitglieder der 234 schwiegen. Gemeinsam eilten sie in das Dunkel des schmalen Schachts.
„Jörn, Rückzug zur Promet!“ Peet kam den stummen Fragen seines Freundes zuvor, dessen Scheinwerfer ihm entgegenflackerte.
Die Lichter stoppten abrupt. „Okay, verstanden, Peet!“
Sie durften keine Zeit verlieren. Zwar hatten die Mörder, die den Kadetten auf Worners Schiff getötet hatten, ihre gerechte Strafe erhalten. Aber zu welchem Preis? Peet gab dem Mann auf der anderen Seite des Moraners ein Zeichen, dann rannten sie los.
*
„McPhilis und Craig. Verdammt.“ Worner ächzte, nachdem er den letzten Toten identifiziert hatte.
Rubinstheyn und Batista lagen etwas abseits davon. Ihre Überreste waren nahezu unkenntlich, die Raumanzüge teilweise verschmolzen mit dem deformierten Metallboden. Es berührte den Captain der 234 nicht. Der alte Orell konnte sich für ihr Ableben eine nette Geschichte ausdenken. Letztendlich erwartete sie dasselbe Schicksal, das ihrem Opfer, dem jungen Kadetten, zuteilgeworden war; für alle Zeiten, in einen Container gepresst, in der Kälte des Alls treibend. Während Worners Blick noch auf den Leichnamen ruhte, dachte er an Peet Orell. Im Antigrav-Schacht waren sie sich begegnet, hatten sich kurz zugenickt. Arn Borul musste es schlimm erwischt haben.
Gedankenverloren sah Worner nach oben und richtete sich auf. Etwas erregte seine Aufmerksamkeit. Ein kaum wahrnehmbarer, blasser Rotschimmer. In einem abgelegenen Bereich der langen Halle. „Forster, ich will mich hier mal umsehen“, meldete er knapp seinem ersten Offizier, der mit den Männern der 234 die Opfer der Energiefalle auflas.
„Klar, Captain. Aber seien Sie vorsichtig.“ Mit dem Kopf machte Forster eine eindeutige Geste, woraufhin zwei aus der Crew hervortraten, um sich Worner anzuschließen.
Eilig entfernten sich Worner und seine Begleiter von der Gruppe. Der Kommandant der 234 hoffte, dass der Tod nun hinter ihm lag und nicht aufs Neue vor ihm. Je näher er dem unwirklich pulsierenden Glimmen kam, desto mehr wichen seine Befürchtungen jedoch der Neugier. Was hatten die Fremden durch ihre grausamen Vorrichtungen geschützt? Er wollte es finden.
Worner blieb fasziniert stehen. Das Licht der zurückbleibenden Männer sah er nur noch in der Ferne. Quader, ähnlich denen, die Peet Orell und Arn Borul wenige Decks weiter unten entdeckt hatten, erleuchteten nun schwach die Halleninnenseiten. Wie hatte man die mannshohen und mehr als doppelt so breiten Aggregate in diesen Raum geschafft? Was war ihre Funktion? Worner wusste keine Antwort. Er drängte weiter. Bis zu einer riesigen leeren Fläche. Direkt dahinter befand sich der monumentale Abschluss der Halle, an dessen Enden sich blasses Rot im Nichts verlor.
„Captain!“ Einer der Männer stand unmittelbar vor einer der Stellen, an der die Energie in der Wand verschwand. Achtsam betastete er die Seitenwand. „Hier ist einer dieser Öffnungsmechanismen.“
Noch bevor Worner reagieren konnte, legte sich ein Raumhandschuh auf das unscheinbar hervortretende Rechteck. Es passierte nichts. Erleichtert atmete der Kommandant auf.
„Da ist auch einer.“ Das zweite Crewmitglied der HTO-234 stand auf der anderen Seite der Halle. „Wenn wir beide Frequenzschalter gleichzeitig bedienen, tut sich vielleicht was.“
Worner trat einen Schritt zurück. Seine Lungen füllten sich mit Sauerstoff, als er tief einatmete. „Gut. Dann los!“
Unter Eric Worners Füßen begann es zu beben. Stumm blickten die zwei Männer der 234 auf ihr Werk. Innerhalb von Sekunden öffnete sich ein gigantisches Schleusentor nach oben und unten. Vor ihnen lag das All. Sterne funkelten im unendlichen Schwarz. Und zwischen all dem lag die Promet. Die HTO-234. Und die XP-3, die direkt daneben angelegt hatte. Eine Einflugschneise! Das muss die manuelle Steuerung sein. So haben sie die Aggregate hier reinbekommen, schoss es Worner durch den Kopf. Gleichzeitig war er erleichtert, die Crew der XP-3 nun endlich zur Verstärkung hinter dem Pluto zu haben. Captain Emerts war ein guter Mann, der ihm die vollste Unterstützung zugesichert hatte. Weiter kam er nicht. In seinem Helm erschien die Holo-Übertragung des ersten Ingenieurs von Bord der 234. Aufgeregt informierte der seinen Captain darüber, dass sich auf dem Kugelraumer gerade ein riesiges Schott über mehrere Decks geöffnet hatte. Dass die XP-3 zwischenzeitlich eingetroffen war, vergaß er dabei fast zu erwähnen.
Eric Worner lächelte verzeihend.
*
Thosro Ghinu schloss die Augen. Wie er es jeden Tag tat, um dieselbe Uhrzeit, im selben Raum. Er hob die Hände nach oben, atmete tief ein. Wenn er nur ein Signal seines Zöglings empfangen könnte. Ein Lebenszeichen von Arn. Einen einzigen Gedanken. Um den Körper des gealterten Moraners strahlten die Holografien Tausender Sterne, großer Planeten. Die des Kyl-Systems. Und wie jeden Tag empfing Thosro nichts. So sehr er es auch versuchte. Schedo war zu viele Lichtjahre entfernt. Manchmal jedoch glaubte Thosro, es spüren zu können, dass Arn Borul noch lebte, dass er nicht aufgegeben hatte. Er war weiter auf der Suche nach ihnen, den Zurückgebliebenen, seinem Volk. Seelen, die dringend Rettung benötigten. Die Zeit, die seit dem Abflug der Tira und der letzten Nachricht vergangen war, mehrte sich ohne Unterlass. Ghinu flehte die Cegiren an, diesen Zustand zu ändern. Doch etliche Moraner beteten nicht mehr, hofften nicht länger. Sie gingen an die Oberfläche, stiegen aus dem Leben, das kein Leben war. Thosro wusste nur zu gut, dass die Selbstmorde nicht aufzuhalten waren. Nicht, wenn die Hoffnung täglich schwand. Deshalb gab er nicht auf. Er schickte seine Gedanken erneut auf die Reise, unterwarf sie den Strömen des Alls, versuchte, etwas von Arn Borul wiederzufinden. Tira.
Thosro Ghinu öffnete die Augen, blickte in das künstliche Blau, das die Holografien des Sternensystems umspielte. Er befand sich in einem kleinen kuppelförmigen Raum. Nur er durfte ihn betreten. Es war der einzige Rückzugsort, in dem er seinen Geist ausreichend sammeln und loslösen konnte, ihn befreien konnte für die anstrengende Suche. Denn dunkle Bilder verfolgten ihn. Verbrannte Leiber. Die schwarzen Raumer, die Tod und Verderben über Moran gebracht hatten. Die den blühenden Planeten in eine leblose Flammenhölle verwandelt hatten. Dessen Land vergiftet war, brach lag, wie der Lebensmut der weniger als dreitausend Moraner, die dem Albtraum entkommen waren. Nur, um in einem neuen gefangen zu sein: Low, der unterirdischen Forschungsstation in den Tiefen des Paily-Massivs. Wie ein gieriger Schlund fraß die Eintönigkeit ihre Leben, ihre Herzen. Immer gleiche Tagesabläufe, Tätigkeiten, Umgebungen, Gesichter, synthetisches, vorportioniertes Essen, künstliches Licht. Nur die Hoffnung auf Rettung verhieß Abschied von diesem Einerlei. Thosro Ghinu seufzte und verließ die Einsamkeit. Es waren seine mentalen Fähigkeiten, die ihm jeden Tag neuen Lebensmut schenkten. Sie waren denen eines durchschnittlichen Moraners bei Weitem überlegen. Und es gab noch einen Grund: Der Rückweg in sein Privatquartier führte ihn unwiderruflich an der Hyperanlage vorbei. Zwar konnten dort keine psychischen, doch digitale Signale jeglicher Art empfangen werden. Ein zweiter Hoffnungsschimmer, den Thosro Ghinu auf seinem täglichen Gang nie ausließ. Bevor er die Tür in den technisch hervorragend ausgestatteten Raum öffnete, wusste er bereits, wen er antreffen würde. Die junge Moranerin, die seinem Zögling ihr Herz geschenkt hatte. Junici verbrachte Stunden an der Anlage. Manchmal deckte er sie zu, wenn sie schlafend in der Ecke kauerte, weil sie wieder einmal nicht aufgeben wollte. Sie war es, die mindestens so sehr an Arn Borul glaubte, wie Thosro selbst. Und auch das gab ihm die Kraft.
Leise betrat er den dunkel gehaltenen Raum. Leuchtende Bildschirme und Hologramme zeigten Wellen, Daten, Linien. Bis auf das Rauschen der Geräte und den langsamen Atem der Anwesenden herrschte absolute Stille. Müde drehte sich einer der Hyperingenieure in seine Richtung. Er sagte nichts, doch sein Schweigen war für Thosro eindeutig.
Der zweite Moraner, der die Frequenzwertanalysen durchging, stöhnte auf. „Nichts, Meister Ghinu. Und jeden Tag fühle ich mich schlechter und hoffnungsloser. Obwohl ich weiß, dass jederzeit ein Signal von Arn Borul eintreffen könnte, ist die Arbeit eine Qual. Es brennt mir in der Seele.“
Junici räusperte sich. Sie saß in ihrer Ecke hinter den Ingenieuren. „Genauso tut mir das Herz weh, Ter. Auch ich erzähle es dir ständig. Und dennoch hoffe ich, weil ich spüre, dass Arn noch lebt.“ Sie nickte Thosro kurz zu. Es bedurfte keiner Worte. Sie wusste, dass er und sie dasselbe fühlten.
„So sehr wir glauben, es müssen Taten folgen. Die Stimmung ist angespannt. Jeden Abend wird mir vorgehalten, nicht mein Bestes zu geben. Man sagt, dass die Tira und Arn Borul längst nicht mehr existieren.“ Ran, der zweite Ingenieur, hatte gesprochen. Er fuhr sich durch das silberne Haar und wandte den Blick zurück auf die Hologramme, die fahl vor ihm leuchteten. Flache, ungestörte Linien. Kein Signal, keine Unterbrechung. Nichts.
„Gebt den Glauben …“ Thosro stockte. Hinter ihm wurde es laut. Licht durchdrang das Grau. Ein Arm riss ihn nach unten.
Wie Daktylen, die mit Berserkern zu vergleichen waren, rannten drei Moraner schreiend in den Raum und begannen, die Hyperanlage mit Strahlwaffen zu zerstören. Die Projektionen lösten sich im Bruchteil einer Sekunde auf. Der Geruch verschmorter Technik durchzog die Luft. Funken und Blitze folgten der Zerstörungswut. Ein Strahlenschuss traf Ter in die Brust. Langsam rutschte er vom Sitz. Ran konnte rechtzeitig zur Seite ausweichen und stürzte sich auf einen der Angreifer. Thosro hievte sich benommen nach oben. Er wusste für einen Moment nicht, was er denken oder fühlen sollte. Die einzige technische Möglichkeit, Kontakt zu Arn oder anderen Zivilisationen aufzunehmen, war für alle Zeit verloren. Wut erfüllte seinen Geist. Er kannte sie gut, diese drei Moraner. Sie waren dem Irrsinn verfallen, gehörten zu seinen schärfsten Gegensprechern.
Geistesgegenwärtig warf sich Junici auf denjenigen, der erneut auf Thosro losgehen wollte.
„Ein Lügner bist du, Thosro, ein verfluchter Lügner, ein Shakk!“, fluchte der Gegner laut, während seine Versuche, die hartnäckige Moranerin zu Boden zu ringen, scheiterten.
„Halt den Mund!“ Junici legte ächzend ihre Arme um seinen Hals. Sie hatte sich ihm auf den Rücken geworfen und drückte ihn mit aller Kraft nach unten. Er röchelte.
Thosro wich nach hinten. Der Dritte im Bunde, Soril, schoss auf ihn. Nur knapp verfehlte er sein Ziel. Zornentbrannt schlug der Attentäter mit der Faust zu. Und genauso entschlossen holte Ghinu aus, schlug zurück und traf.
Soril taumelte kurz. Verächtlich spuckte er das Blut, das ihm aus den Mundwinkeln rann, zu Boden. „Verflucht sollst du sein, Thosro Ghinu. Du hältst uns nicht länger zum Narren! Du bist der, der uns verdammt hat, hier unten zu leben! Und nur deine Lügen bestärken die nutzlose Hoffnung, die uns von der Erlösung abhält. Die Tira existiert nicht mehr!“ Erneut stürmte er auf Thosro zu.
Ran war es, der Thosro im letzten Moment zur Seite zog. Er schlug dem Angreifer die Strahlwaffe aus der Hand, packte seinen Gegner und wuchtete ihn nach unten. Wieder und wieder trat er zu. Thosro Ghinu stoppte Ran und zog ihn erschrocken zurück. Soril blieb leblos liegen.
Auch Junicis Eingreifen zeigte Erfolg. Noch immer lag sie auf dem Körper unter ihr. Als sie keine weitere Gegenwehr spürte, erhob sie sich, ohne den Blick von dem auf dem Boden liegenden Mann abzuwenden.
„Ter!“ Vorsichtig drehte Ran den befreundeten Ingenieur auf den Rücken. Dann wandte er sich ab. „Er ist tot. Warum nur? Diese Mörder!“
Thosro war dabei, die Schäden an der Hyperanlage zu begutachten.
Mit zusammengekniffenen Augen prüfte Junici die Vitalzeichen der Attentäter. „Sie haben dafür bezahlt, Ran. Wir sollten sie aus Low schaffen. Niemand darf davon erfahren, dass die Anlage …“ Sie zögerte auszusprechen, was Thosro dann zu Ende brachte.
„… irreparabel zerstört ist. Wir haben nicht die Mittel, sie wieder instand zu setzen.“ Die Stimme des alten Moraners zitterte. Seine Hände verharrten einen Moment über den geschmolzenen Bedienfeldern. Dann drehte er sich entschlossen um. „Ran, kannst du die Anlage optisch aufbereiten? Kannst du diese drei Saboteure und Mörder aus Low bringen, auch den armen Ter? Wir dürfen nicht zulassen, dass den letzten Moranern durch das Bekanntwerden dieser Umstände alle Hoffnung genommen wird. Wir dürfen das nicht. Damit wäre alles verloren.“
Ran nickte stumm. Er wusste, was zu tun war, und auch, dass Thosro mit jedem Wort recht hatte. Das hier konnte eine Selbstmordwelle auslösen, die das moranische Volk auslöschen konnte.
Junici blickte vorsichtig durch den Türspalt. „Es ist niemand in der Nähe. Wir haben Glück. Die Götter sind mit uns.“ Unter ihrem langen Silberhaar verbarg sie Wut und Tränen. Sie wollte nicht daran denken, Arn durch die Zerstörung der Hyperanlage vielleicht nie wiederzusehen. Nie mehr seine Stimme zu hören oder in seine Augen zu blicken. Arn musste zurückkehren.
*
Fasziniert berührte Leslie Stewart, Expertin für Robotik auf der XP-3, das dunkelrot glänzende Metall. Mithilfe dieser Grundlage sollte sie die Forschungsroboter der HTO so modulieren, dass sie den Fremdraumer zeitsparender zerlegen konnten. Sie fasste es kaum, eine dermaßen wichtige Entdeckung unter den Fingerspitzen zu fühlen und absolut machtlos zu sein. Hilflos mit ansehen zu müssen, wie sich die HTO sämtliches Wissen unter den Nagel riss. Und nicht die Space Rockets Company.
„Hey, Nicole, Lust, mit Essen zu kommen?“ Kevin Newhall betrachtete die Rothaarige interessiert.
„Nein danke. Du siehst doch, dass ich zu tun habe.“ Leslie seufzte. Dieser verfluchte Kevin! Zuerst hatte sie noch angenommen, er könnte ihr dienlich sein. Immerhin war er jahrelang bei der HTO beschäftigt. Allerdings hatte sich rasch herausgestellt, dass er nicht mehr wusste als sie selbst.
„Na ja, vielleicht ein anderes Mal.“ Der junge Mann zog mit hängenden Schultern ab, während Leslie energisch zwei Chipsätze aneinandersteckte.
Die Demontage des Fremdraumers lief seit Tagen auf Hochtouren. Die Frachträume füllten sich konstant, obwohl es bei Weitem nicht so zügig voranging, wie man sich das bei der HTO vorgestellt hatte. Das unbekannte Metall war in seinen Eigenschaften dermaßen starr, dass es sich nur schwer trennen ließ. Dennoch schneller, als es Leslie lieb war. Sie hätte sich längst mit Coleman in Verbindung setzen müssen. Diesem Choleriker würde das ganz und gar nicht passen. Und ihr selbst auch nicht. Sie hatte in Erfahrung gebracht, dass bald die nächsten Frachter kamen, um die ersten Konverter der fremden Kultur zur Erde zurückzubringen. Wenigstens das hatte ihr Kevin sagen können. Und damit hatte die HTO einen Vorsprung, der nicht einzuholen war. Einen Moment dachte die Rothaarige an die Fehlschläge der letzten Tage. Ein weiteres Gespräch mit Randall, dem Offizier der Kommunikationszentrale, hatte nichts genutzt. So rührselig sie das Märchen um ihre sehnsüchtige Liebe aufbauschte, er gab nicht nach. Ein zweiter Fehlalarm war ihr ebenfalls misslungen. Nach dem ersten hatten Sicherheitsexperten die Algorithmen umprogrammiert. Deutlich zugriffsgeschützter.
„Ich geh jetzt auch mal essen. Du arbeitest zu viel, Nicole.“ Leslies blonde Assistentin verließ den Raum als Letzte.
Na endlich! Stewart sah sich verstohlen um. Ihre Kollegen hatten sich allesamt in die Mittagspause abgesetzt. Diesen Moment wollte sie nutzen. Aus ihrem Spind zog sie etwas, das sie während einsamer Nachtschichten zusammengebastelt hatte. Einen kleinen, spinnenartigen Roboter. Sie wusste, dass das Entwicklungslabor nicht ständig unter Überwachung stand. Nachdem sie die Tür von innen per Code verriegelt hatte, entfernte sie die gitterartige Abdeckung des Lüftungsschachts. Dort ließ sie ihrer Entwicklung freien Lauf. Es hatte sie Stunden gekostet, die Koordinaten einzuprogrammieren, um Spider, wie sie das Gerät nannte, über die Sauerstoffversorgungsschächte bis zum Schacht der Kommunikationsanlage zu leiten. Die Energieversorgung reichte bis dorthin und zurück. Kamera und Mikrofon sorgten für alles, was sie wissen musste: den achtstelligen Code, den sie benötigte, um die Anlage freizuschalten und als Bonus die Aufzeichnungen verschlüsselter Meldungen während des Zeitraums. Wer ahnte schon, was die HTO noch entdeckt hatte? Vielleicht war dieser Raumer erst der Anfang. Surrend setzte sich der Roboter in Bewegung. Leslie atmete auf. Morgen wusste sie mehr. Dann konnte sie Coleman informieren.
*
„Ich vermute, du hast nicht die geringste Ahnung, was mich das kostet, Peet.“ Harry T. Orell sah dem Hologramm seines Sohnes in die Augen.
„Doch. Ein Vermögen. Aber es wird sich lohnen.“ Peet Orell warf seinem Vater einen ebenso entschlossenen Blick zurück.
„Ich werde darüber nachdenken, Sohn.“ Harry seufzte, denn im Grunde genommen wusste er, wie diese Entscheidung ausfallen würde.
Auch Peet schien das zu ahnen, er grinste. „Okay, dann warte ich. Ich melde mich morgen wieder.“