Ray of Trust - Arizona Moore - E-Book

Ray of Trust E-Book

Arizona Moore

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Beschreibung

Fellipe Rodriguez, Sicherheitschef und bester Freund eines kolumbianischen Drogenbarons, hat ein Problem: Seitdem er die junge Fiona Pérez aus den Fängen eines sadistischen Frauenschänders befreit hat, wünscht er sich nichts sehnlicher, als der gebrochenen Frau wieder auf die Beine zu helfen. Allerdings entpuppt sich diese Herausforderung als Herkulesaufgabe, weil die traumatisierte Fiona unter extremen Angstzuständen leidet und niemanden an sich heranlässt. Dank der Hartnäckigkeit ihres Retters, beginnt Fiona mit der Zeit, Vertrauen zu Fellipe aufzubauen. Sie öffnet sich ihm und trägt unterdessen einen inneren Machtkampf mit ihrem Verstand und dem Herzen aus. Fiona fühlt sich immer stärker zu Fellipe hingezogen, will ihre Gefühle aber um jeden Preis ersticken, denn sie hat sich selbst den Eid geleistet, nie wieder einem Mann zu verfallen. Zunehmend wird spürbarer, dass zwischen Fiona und Fellipe mehr schwelt, als sich die beiden eingestehen wollen. Und während sie noch mit ihren Gefühlen hadern, wird Fiona von ihrer Vergangenheit eingeholt, die sich zu einer Bedrohung ungeahnten Ausmaßes entwickelt.

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Arizona Moore

Das Kartell: Ray of Trust (Fiona & Fellipe)

© 2022 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

© Coverfoto: Shutterstock.com

ISBN Print: 978-3-86495-536-5

ISBN eBook: 978-3-86495-537-2

Die Personen und die Handlung des Romans sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Dieser Roman darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches andere Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Epilog

Autorin

Prolog

Fellipe

„Fiona“, höre ich Grace Taylor, das Mädchen meines Bosses und gleichzeitig besten Freundes, mit letzter Kraft krächzen. Sie liegt wie ein Schluck Wasser in der Kurve in dessen Armen.

„Fiona? Wer ist Fiona?“, fragt mein Chef hektisch.

„Eine Freundin. Sie ist dort drin.“ Grace hebt ihren Arm und zeigt mit dem Finger auf eine verschlossene Tür hinter mir.

Vor wenigen Augenblicken haben mein bester Kumpel, seine Männer und ich eine Lagerhalle im Hafen von Covenas, Kolumbien, gestürmt. Dort befand sich Pablo Esteban, ein Erzrivale meines Bosses, der sein Mädchen in seine Gewalt gebracht hat, um meinem Chef den Boden unter den Füßen wegzuziehen. Na ja, eigentlich hatte mein Kumpel sie ihm ja zuerst gestohlen, aber das ist eine andere Geschichte.

Mateo López, mein Sandkastenfreund, Bruder im Geiste und Arbeitgeber, führt ein sehr erfolgreiches Drogenimperium und ist aktuell dabei, sein zweites Business, den Export von Waffen, auszuweiten. Das Geschäft boomt wie noch nie. Er scheffelt Kohle ohne Ende und nicht jeder, der in unserer Branche mitspielt, gönnt ihm diesen Erfolg. Ganz besonders Pablo Esteban nicht. Dieser lässt nichts unversucht, um Mateo zu Fall zu bringen, indem er probiert seine Geschäfte zu sabotieren oder ihm anders das Leben schwerzumachen. Warum er das macht, liegt auf der Hand. Er will um jeden Preis die Monopolstellung im Drogenhandel einnehmen und Mateo steht ihm bei der Verfolgung des Zieles im Weg.

Dabei waren Mateo und Pablo einst dicke Freunde, zwischen sie passte kein Blatt Papier. In ihrer Jugend verbrachten die zwei verdammt viel Zeit miteinander. Doch kurz nach dem Tod von Mateos Vater zerbrach die Freundschaft.

Wie es die Familientradition vorsah, nahm Mateo, als erstgeborener Sohn der Familie López, den Platz seines alten Herrn ein und widmete sich nach dessen Dahinscheiden der Leitung des Drogenimperiums. Genau wie Mateo, entstammt auch Pablo einer Gangsterfamilie, die ihren Lebensunterhalt mit Rauschgiftexporten finanziert. Die beiden Familien konkurrierten nie miteinander, sondern hatten ein Agreement, das die Vertriebsgebiete klar definierte. Doch als Pablos Moment gekommen war, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, nachdem sein alter Herr verstorben war, veränderte er sich und die Vereinbarung wurde hinfällig. Er wurde immer gieriger und machthungriger, was das Ende der Freundschaft zwischen ihm und Mateo besiegelte.

Pablo strebte nach Macht, Einfluss und Geld. Ihm reichte es nicht länger aus, Geschäfte in seinem Territorium zu tätigen, er wollte die Monopolherrschaft. Um an das Ziel zu gelangen, ist ihm jedes Mittel recht. Seit langem herrscht deswegen ein Machtkampf zwischen den beiden, der mit nicht gerade fairen Mitteln ausgetragen wird. Um den jeweils anderen vom Drogenthron zu stoßen, wird tief in die Trickkiste gegriffen: Geschäfte werden sabotiert, indem Unwahrheiten verbreitet werden, die Männer des jeweils anderen werden ausgeschaltet oder es werden eben Menschen entführt, die dem jeweils anderen nahestehen, um den Feind zur Aufgabe des Geschäftes zu zwingen.

Meiner Meinung nach ist es an der Zeit, diesen verfickten Krieg zu beenden, doch meine Ansichten spielen keine Rolle. Ich glaube jedoch, dass der Machtkampf erst zu Ende ist, wenn einer der beiden tot ist. 

Meine Aufgabe in diesem Spiel der Macht ist es, dafür zu sorgen, dass Mateo nicht derjenige ist, der ins Gras beißt. Als sein Sicherheitschef leite ich ein Team von dreißig Männern, Personenschützern und ehemaligen Soldaten, die sich ausschließlich um Mateos Unversehrtheit, die Bewachung seines Anwesens und die Absicherung seiner privaten und geschäftlichen Meetings kümmern. Mein bester Freund macht keinen Schritt ohne mich. Ich plane seinen gesamten Tagesablauf, begleite ihn auf Reisen und bin immer zur Stelle, wenn er mich braucht. Man könnte sagen, dass ich mit meinem Job verheiratet bin, denn viel Zeit für Privates, wie zum Beispiel ins Kino gehen oder einen Restaurantbesuch, bleibt da nicht übrig.

Für das Leben meines Kumpels würde ich, ohne zu zögern, mein Eigenes geben, denn er ist meine Ersatzfamilie, der letzte Mensch, den ich noch habe. Meine Eltern fielen einem Bombenanschlag zum Opfer, während sie im Dienst von Mateos Eltern standen, über die sie zu Lebzeiten wachten.

Ich schaue zu Mateo hinüber und hoffe darauf, dass er mir für Fionas Befreiung grünes Licht gibt. Bevor wir den Angriff auf das Lagerhaus starteten, indem Pablo Grace gefangen hielt und folterte, hatte er nämlich verfügt, dass wir lediglich Grace hier herausholen sollten. Andere Frauen, die möglicherweise ebenfalls hier gefangen gehalten wurden, sollten wir ihrem Schicksal überlassen.

Pablo Esteban ist neben seinen Geschäften ein sadistischer Frauenschänder, der sich, unter dem Deckmantel des BDSM, Sklavinnen hält, die er so lange fickt und foltert, bis sie ihn langweilen oder sie ihren schweren Verletzungen erliegen.

Ganz gleich was Mateo verfügt hat, ich werde die Mädchen retten. In diesem Moment ist es mir total egal, dass er mein Boss ist, das Sagen hat und mir derbe den Arsch aufreißen wird, wenn ich mich über seine Befehle hinwegsetze, aber ich kann es nicht mit meinem Gewissen vereinbaren, eine Frau schutzlos bei diesem Sadisten zurückzulassen. Nicht, nachdem ich gesehen habe, was man Grace angetan hatte.

Pablo, dieser elende Hurensohn, hat sie auf einem Operationstisch festschnallen lassen, damit sein Folterknecht ihr mit einem Skalpell Schnitte an den Innenseiten der Oberschenkel zufügt.

„Fellipe wird sich um Fiona kümmern“, sagt Mateo zu seinem Mädchen, woraufhin ich erleichtert ausatme, weil es genau die Worte sind, die ich von ihm hören wollte. „Männer, holt alle Gefangenen hier raus!“ Mein Kumpel nickt mir zu. „Bringt jeden Mann um, der sich noch in diesem Gebäude befindet. Verschont niemanden“, verfügt er streng und trägt Grace durch den Flur hinaus ins Freie, woraufhin meine Truppe ausschwärmt, um seiner Anweisung Folge zu leisten.

Ich mache mich unverzüglich an die Erfüllung des Auftrages und laufe zu der Tür, auf die Grace soeben gedeutet hat, und öffne sie. Kaum, dass ich in die Kammer gestürmt bin, sehe ich sie: Fiona! Zumindest vermute ich, dass sie es ist.

Die junge Frau liegt nackt und schwer verletzt in ihrem eigenen Blut auf dem Fußboden. Ihr schlanker Körper wurde übel zugerichtet. Die Finger stehen in einem unnatürlichen Winkel von ihrer Hand ab, das Gesicht ist kaum mehr als solches zu erkennen, weil es komplett zugeschwollen ist. Sie hat unzählige Brand- und Schürfwunden, sowie dunkelblaue Hämatome am ganzen Leib. Der Anblick, der sich mir bietet, erschüttert selbst einen Bastard wie mich zutiefst, der schon weitaus Krasseres gesehen hat, wie zum Beispiel die Enthauptung oder Ausweidung eines Feindes.

Eine unbändige Wut strömt durch meine Adern. Hätte Mateo dem Wichser, der den Frauen in Pablos Auftrag die Verletzungen zugefügt hat, nicht vor ein paar Minuten eine Kugel ins Hirn geschossen, würde ich nun auf ihn losgehen, um ihm den Schwanz abzuschneiden und in seinen fetten Arsch zu schieben.

Wie ich bereits eingehend erwähnte, ist Pablo dafür bekannt, sich Sklavinnen zu halten, um seine Gelüste in Bezug auf Gewalt- und Vergewaltigungsfantasien zu stillen. Seine perversen Handlungen haben jedoch nichts mit einvernehmlichen BDSM zu tun. Für mich sind die Damen wehrlose Opfer seiner sadistisch-kranken Perversionen.

Allerdings fehlen Pablo die Eier, die Frauen, die er auf illegalen Auktionen ersteigert, selbst zu brechen und gefügig zu machen. Dafür hat er seinen Folterschergen. Dessen Aufgabe war es, die Frauen so lange zu quälen, bis sie gefügig waren. Erst wenn die Sklavinnen nur noch ein Schatten ihrer selbst und ihres Willens beraubt waren, legte Pablo selbst Hand an und vergewaltigte sie auf brutalste Weise. Die Methoden, auf die sein Folterknecht gerne zurückgriff, waren unter anderem Waterboarding, das tagelange Einsperren in viel zu engen Boxen oder Walling. Beim Walling wird eine flexible Wand gebaut und der Gefangene wird so davor gestellt, dass er sie mit den Fersen berührt. Dann zieht der Folterer seinen Gefangenen zunächst schnell nach vorne, nur um ihn dann schnell und fest gegen die Wand zu stoßen, so dass die Schulterblätter gegen die Wand schlagen. Die Wand ist so gebaut, dass sich der Aufprall besonders laut anhört, um den Schock oder die Überraschung zu verstärken.

Schnaubend schiebe ich meine Hassgefühle gegenüber Pablo an die Seite, eile auf Fiona zu und knie mich neben sie. Mit der rechten Hand streiche ich ihr vorsichtig eine blutverkrustete Haarsträhne aus dem Gesicht. „Hey Kleines, kannst du mich hören?“

Während ich meine Fingerspitzen über ihre Wange gleiten lasse, versucht sie, ihre zugeschwollenen Augenlider zu öffnen. Am ganzen Leib zitternd, bewegen sich dabei ihre Lippen. Sie versucht, mit mir zu sprechen, doch es kommt kein Ton aus ihrem Mund.

„Schon gut, schon gut. Du musst mir nicht antworten, wenn dir das Sprechen schwerfällt. Hör mir einfach nur zu, okay? Ich bin gekommen, weil ich dir helfen will“, sage ich mit sanfter Stimme.

„Nein. Nein. Bitte … Bitte nicht schon wieder. Ich … Ich … Ich kann nicht mehr. Töte mich“, stottert sie nun leise und scheint nicht verstanden zu haben, weshalb ich bei ihr bin.

Verdammte Scheiße, was mache ich denn jetzt? Wie überzeuge ich sie nur davon, dass ich einer von den Guten bin und ihr kein Haar krümmen werde? Na ja, dass ich einer von den Guten bin, ist vielleicht etwas zu hochgestapelt, denn das bin ich keineswegs. Ich bin ein Mann, der, ohne die Hintergründe meines Bosses zu hinterfragen, Befehle ausführt. Befehle, die hin und wieder den Tod eines Menschen bedeuten. Doch in diesem Moment sind meine Absichten die Richtigen.

„Ich heiße Fellipe Rodriguez und bin gekommen, um dich zu befreien. Ich will dir nichts tun“, rede ich ganz ruhig auf sie ein. „Das wird jetzt bestimmt verdammt wehtun, aber ich muss dich hochheben, damit ich dich hier heraustragen kann. Okay?“

So vorsichtig wie möglich, schiebe ich einen Arm unter ihrem oberen Rückenbereich hindurch und lege den anderen unter ihre Beine. Dann hebe ich sie an, woraufhin sie schmerzerfüllt wimmert. Der Laut geht mir durch Mark und Bein, doch ich muss das Gefühl von Mitleid, das sich in meinem Inneren breitmacht, ignorieren. Für Gefühle habe ich gerade keine Zeit, weil ich fokussiert und konzentriert bleiben muss. Mein Ziel ist es, sie von hier wegzuschaffen.

Ihr geschundener Körper liegt schlaff in meinen Armen. Ihr fehlt jedwede Kraft, sich zu rühren. Sogar zum Wimmern ist sie zu erschöpft, denn es kommt ihr nun kein Laut mehr über die Lippen. Lediglich ihre in Falten gelegte Stirn zeigt mir, dass sie Schmerzen hat.

„Ich verspreche dir, dass es dir bald wieder besser gehen wird, Fiona. Niemand wird dir je wieder wehtun oder dich verletzen, denn du stehst nun unter meinem Schutz.“

„Danke“, flüstert sie mir jetzt doch leise zu.

Ich bilde mir ein, dass ein kleines Lächeln ihre Mundwinkel umspielt, was natürlich Blödsinn ist. Was gibt es aus ihrer Perspektive zu lachen? Wahrscheinlicher ist es, dass sie die Lippen aufgrund ihrer Schmerzen verzogen hat. Trotzdem sorgt die Vorstellung eines Lächelns von ihr dafür, dass ein warmes, irgendwie angenehmes Kribbeln meine Brust flutet und für einen kurzen Augenblick genieße ich den Moment, ehe ich sie aus ihrem Verlies trage.

Als im Flur das grelle Licht des Deckenfluters auf ihr Gesicht trifft, zieht Fiona die Augenbrauen blitzschnell nach unten, woraufhin sich eine tiefe Furche auf ihrer Stirn bildet. Ich vermute, dass sie schon eine ganze Weile nicht mehr in den Genuss von Licht oder gar der Sonne gekommen ist und sie den Großteil ihrer Gefangenschaft im Dunklen verbringen musste. Deshalb beuge ich den Oberkörper etwas vor, soweit mir das mit ihr auf den Armen möglich ist, damit mein Kopf ihr Schatten spendet.

„Ist es so besser?“, frage ich sie, was sie mit einem leisen Brummen bestätigt.

Sie zittert wie Espenlaub in meinen Armen. Ihre Zähne schlagen völlig unkontrolliert aufeinander. Ich würde ja meinen Hoodie ausziehen und ihn ihr überlegen. Dafür müsste ich sie jedoch auf ihren Füßen abstellen und obwohl sie schätzungsweise nicht mehr als sechzig Kilogramm auf die Waage bringen wird, würden ihre kraftlosen Beine ihrem Gewicht wohl im Moment nicht standhalten können. Daher gebe ich Hackengas, beeile mich und trage sie so schnell es geht zum Auto, das vor der Lagerhalle in Poleposition auf uns wartet.

Meine Jungs leisten gute Arbeit und schalten einen Mann nach dem anderen von Pablos Gefolge aus. Fuck, ich würde verdammt gerne selbst eine Knarre in der Hand halten, um ein paar Schädeln Löcher zu verpassen. Es ist immer wieder aufs Neue ein verdammt geiles, berauschendes Gefühl, den Abzug zu drücken und dem Rückstoß standzuhalten. Natürlich nur, wenn man auf jemanden schießt, der es verdient hat. Und diese Bastarde sind ganz gewiss keine Unschuldslämmer. Doch heute habe ich eine wichtigere Aufgabe, als ein paar Wichsern eine Ladung Blei zu verpassen. Um selbst nicht von einer umherfliegenden Kugel oder einem Querschläger getroffen zu werden, halte ich die Augen offen und manövriere uns geschickt aus der Gefahrenzone.

Einer meiner Männer, der den Fluchtwachen bewacht und schützt, öffnet mir die hintere Fahrzeugtür, als ich durch den Ausgang ins Freie trete, weshalb ich Fiona auf der Rücksitzbank ablegen kann. Sofort eile ich zum Kofferraum und hole eine Decke heraus, um ihr diese über ihren geschundenen Körper zu legen. Dann schließe ich die hintere Wagentür, umrunde das Auto, öffne die Fahrertür und lasse mich hinter dem Steuer nieder.

Mateo sitzt mit Grace auf dem Schoß auf dem Beifahrersitz und redet leise und besonnen auf sie ein. Auch ihr Körper zittert und bebt. Das Gleiche würde ich gerne auch für Fiona tun, doch das muss warten. Bevor ich mich um die Kleine kümmern kann, habe ich noch einen Job zu erledigen. Dieser lautet: Grace und Mateo zu Hause abliefern.

Sollten sich noch mehr Mädchen in dem Gebäude befunden haben, werden sich unsere Männer ihrer annehmen und sie in Sicherheit bringen.

Nachdem ich den Motor gestartet und den Wagen aus dem Hafenbereich gelenkt habe, wird mir erst so richtig bewusst, was die beiden Frauen, die in diesem Auto kauern, mitgemacht haben müssen. Nämlich die Hölle auf Erden. Im Vergleich zu Fiona sieht Grace zumindest noch wie ein Mensch aus. Ich will ihre Verletzungen nicht herunterspielen oder kleinreden, denn Fuck, sie hat sicher eine Menge über sich ergehen lassen müssen, sondern will lediglich hervorheben, dass es Fiona um einiges schlimmer erwischt hat. Ich mag gar nicht daran denken, was Pablo und seine Leute den Frauen alles angetan haben.

Die Wut, die mich bereits zu Beginn der Befreiungsaktion fest im Griff hatte, bringt mich abermals auf die Palme. Mir gelingt es nicht, meinen Zorn herunterzuschlucken, weshalb ich mir selbst auf die Eier gehe. Wenn ich nämlich angepisst bin, nimmt meine Stimmung Einfluss auf meine Fahrweise, weswegen ich wie ein Irrer über die Straßen heize. Und das ist gar nicht gut, denn wir alle wollen heil zu Hause ankommen. Daher gebe ich mein Bestes, um mein erhitztes Gemüt herunterzukühlen und mich ausschließlich auf den Straßenverkehr zu konzentrieren. Das Wissen, dass meine Männer Pablos Jungs in diesem Moment den Garaus machen, die Frauen vorerst sicher sind und Mateo sich etwas einfallen lassen wird, damit das auch in Zukunft so bleibt, hilft mir dabei, mich wieder zu entspannen.

Kapitel 1

Fellipe

Als ich aus meinem Gäste-WC im Erdgeschoss komme, in dem ich mir Fionas Blut von den Händen gewaschen habe, treffe ich im Flur auf Mateo, der, da er einen Schlüssel zu meiner Villa besitzt, hier ein- und ausgehen kann, wie es ihm passt. Ich ziehe fragend die Augenbrauen in die Höhe. „Was machst du hier? Solltest du nicht zu Hause bei Grace sein?“

„Sie schläft. Der Arzt hat ihr ein Schlafmittel gespritzt, weswegen sie vor morgen Früh sicherlich nicht wieder zu sich kommt. Ich habe ihm aufgetragen, auch nach Fiona zu sehen. Er sollte auf dem Weg hierher sein, wollte aber noch einen Boxenstopp in der Praxis einlegen, um seinen Arztkoffer wieder neu zu bestücken“, antwortet er. „Wie geht es ihr überhaupt?“

„Gegenfrage: Wieso bist du hier und nicht bei deiner Süßen?“, will ich wissen. Er sollte lieber bei ihr sein, als nach mir und Fiona zu sehen.

„Weil du mir wichtig bist, Bruder.“ Mateo seufzt. „Für Grace kann ich im Moment nichts tun, denn die Medikamente haben sie ausgeknockt. Außerdem bewachen zehn Männer ihre Schlafzimmertür, weshalb sie in Sicherheit ist. Nochmal, wie geht es ihr?“

„Hombre de mierda. Scheiße Mann, wie soll es ihr gehen?“ Stöhnend massiere ich mir die Schläfen, da mein verdammter Schädel kurz vorm Explodieren ist. „Als ich die Kleine ins Haus trug, flehte sie mich heulend an, sie nicht zu bestrafen. Sie versprach mir, von nun an ein braves, gehorsames Mädchen zu sein. Kurz darauf öffnete sie den Mund, als wollte sie mir nonverbal zu verstehen geben, dass ich meinen Schwanz aus der Hose holen kann, um ihn ihr tief in den Rachen zu schieben. Ich habe das ignoriert und sie im Gästezimmer ins Bett verfrachtet, wo sie erschöpft eingeschlafen ist.“

Mein Freund runzelt die Stirn, sodass sich auf ihr ein tiefes V bildet. „Dann waren die verfickten Hunde schon weit mit ihrer Dressur. Die Bastarde haben sie wie einen Hund abgerichtet und gefügig gemacht.“

„Ihren Verletzungen nach zu urteilen, habe ich daran nicht den geringsten Zweifel.“

„Und was hast du jetzt mit ihr vor?“, will Mateo wissen.

„Keine Ahnung, Alter.“ Ratlos ziehe ich die Schultern in die Höhe. „Erstmal werde ich dafür sorgen, dass sie zur Ruhe kommt und wieder gesund wird. Alles weitere sehe ich dann.“

„Bist du sicher, dass du ihr so lange Asyl gewähren willst? Versteh mich nicht falsch, denn ich schätze dein Engagement, aber du bist der Kleinen nichts schuldig. Du hast bereits mehr als nötig für sie getan, indem du sie aus dieser verdammten Zelle geholt hast. Kümmere dich meinetwegen um sie, bis sie wieder bei Kräften ist, und sieh zu, dass du sie dann wieder loswirst. Wir haben alle Hände voll damit zu tun, Pablo zu erledigen und können uns keine Ablenkung erlauben.“

Was zur Hölle … das ist ja wohl nicht sein fucking Ernst?!

Mein Kumpel braucht mir wirklich nicht zu erzählen, dass wir bis zum Hals in der Scheiße stecken, denn das weiß ich selbst. Und er ist dafür verantwortlich, weil er seinen verdammten Schwanz nicht in der Hose behalten konnte und sich ausgerechnet in Pablos Lieblingsspielzeug vergucken musste. Damit erreichte die Rivalität der beiden ein ganz neues Level.

Dass die zwei seit Jahren verfeindet sind und einander nicht einmal den Dreck unter den Fingernägeln gönnen, ist kein Geheimnis. Der Hass und der Neid aufeinander sind so krass ausgeprägt, dass die zwei zu immer heftigeren Methoden greifen, um den anderen in die Knie zu zwingen. Ich erinnere mich noch daran als wäre es gestern gewesen, als Pablo Mateos Verlobte entführte und meinen Kumpel mit ihr erpresste. Pablo zielte mit der Geiselnahme darauf ab, die Geschäfte meines Freundes zu übernehmen. Und Mateo, der bis über beide Ohren in seine Angebetete verliebt war, ist bereit gewesen, sich für die Liebe seines Lebens aus dem Business zurückzuziehen. Jedoch scheiterten die Verhandlungen und Pablo erschoss Mateos Herzensdame direkt vor dessen Augen.

Verständlicherweise ist seit dem Tag das Verhältnis der zwei Kampfhähne unwiderruflich zerrüttet. Seither spielen die beiden nun schon das Spiel, einander das Leben zur Hölle zu machen. Die Regeln sind ganz simpel: Pablo nimmt Mateo etwas weg und umgekehrt. Derjenige, der daran zerbricht oder aufgibt, verliert alles.

Vor ein paar Monaten erfuhr Mateo, dass sein Erzfeind auf ein Mädchen scharf ist, das bei einer illegalen Versteigerung unter den Hammer kommen sollte. Das Objekt der Begierde war Grace, die von ihrem Stecher an einen Menschenhändlerring verkauft wurde, damit dieser die Schulden bei seinem Drogendealer tilgen konnte. Als Mateo Wind davon bekam, wie besessen Pablo von Grace war, sah er seine Zeit gekommen, um den Tod seiner Verlobten zu rächen.

Gemeinsam schmiedeten wir den Plan, Pablos Sexspielzeug zu entführen und zu töten. Natürlich hätte Grace Tod nicht im Ansatz die gleiche Bedeutung wie der Verlust von Mateos Verlobten gehabt, trotzdem hätte es Pablo hart getroffen. Sein Bankkonto wäre dann nicht nur um ein paar Millionen leichter gewesen, sondern er hätte zudem auch mitansehen müssen, wie mein Boss seinem liebsten Toy die Kehle durchschneidet. Die Idee war nämlich, die Tat für die Ewigkeit auf Video festzuhalten. Und da Pablo noch nie solch ein reges Interesse an einer Sklavin gezeigt hat, bin ich mir sicher, dass ihm das hart zugesetzt hätte. Jeder im Auktionshaus wusste, wie zwingend er Grace für sich wollte, denn er sprach von nichts anderem mehr.

Dummer- oder besser gesagt glücklicherweise hatte Mateo bei der Ausführung des Plans seine eigenen Gefühle nicht mit einkalkuliert. Nachdem wir Grace in unsere Gewalt gebracht hatten, verliebte sich mein Freund Hals über Kopf in sie, was ich ihm nicht vorwerfen kann, denn diese Frau ist wirklich eine Wucht. Als ich zum ersten Mal auf den blonden Wirbelwind traf, konnte auch ich nicht mehr an unserem Vorhaben festhalten. Grace hat sich mit ihrer unschuldigen, liebenswerten, vorlauten und freundlichen Art sofort einen Platz in meinem Herzen erschlichen. Besonders hat es mir imponiert, dass sie wie eine Löwin gegen Mateo angekämpft hat, nie den Mut verlor und ihm immerzu die Stirn geboten hat. Selbst wenn sie wegen ihres störrischen Verhaltens Konsequenzen in Form von Strafen zu erwarten hatte. Ich glaube, dass ihre Willensstärke der ausschlaggebende Faktor war, weshalb Mateo letztlich seine Pläne in den Wind geschossen und sein Herz an sie verloren hatte.

Heute sind die beiden so etwas wie ein Paar. Mein Kumpel hat ihr zwar noch nicht gesagt, dass er sie liebt, aber dass er es tut, sieht selbst ein Blinder. Sobald Grace den Raum betritt, strahlt Mateo bis über beide Ohren. Die Luft beginnt zu knistern und ihm fliegen kleine rosarote Herzchen aus dem Arsch. So habe ich ihn noch nie gesehen. Nicht einmal als er mit seiner Verlobten noch glücklich liiert war.

Und so stehen wir nun vor einem großen Problem, denn auch Pablo will Grace für sich. Dementsprechend muss man kein Hellseher sein, um zu wissen, wie der Kampf um sie ausgehen wird. Mateo und Pablo hassen einander so abgrundtief, dass der ewig währende Krieg erst endet, wenn einer der beiden Grace für sich alleine hat, während der andere in einer Holzkiste endet.

Doch ganz unabhängig davon, kann Mateo von mir weder verlangen noch erwarten, dass ich Fiona fortschicke und sie ihrem Schicksal überlasse, zumal ich nicht weiß, wieso Pablo sie gefangen gehalten hatte. War sie eines seiner Spielzeuge? Wurde sie verkauft? Gibt es jemanden, neben Pablo, der ihr gefährlich werden könnte? Bevor ich auf diese Fragen keine Antworten habe, werde ich sie nicht gehen lassen.

Jedoch hat Mateo in einem Punkt Recht: Ich bin weder für sie verantwortlich noch schulde ich ihr etwas. Aber nichtsdestotrotz fühlt es sich einfach richtig an, für sie da zu sein. Als ich sie auf dem Fußboden ihrer Zelle liegen sah, hat das etwas mit mir gemacht. Ihr Anblick tat so verdammt weh, als hätte man mir mit voller Wucht einen Dolch ins Herz gerammt. Wieso ich in dem Moment so empfunden habe, ist mir ein Rätsel. Ich schätze, weil ich der Ansicht bin, dass keine Frau es verdient hat, dass man sie wie ein wildes Tier gefangen hält und quält.

Meine Eltern – Gott hab sie selig –, die Mateos Familie stets loyal ergeben waren und für ihren Schutz sorgten, stellten die Bedürfnisse der Familie López immer über ihre eigenen und ließen letztlich ihr Leben, als sie von Feinden der Familie ermordet wurden. Zu ihren Lebzeiten haben sie mir regelmäßig gepredigt, dass man trotz der Gefahr und der unschönen Aufgaben, wie dem Foltern, dem Erpressen oder dem Morden, die der Job als Sicherheitsbeauftragter eines Drogenbarons nun mal mit sich bringt, seinen Prinzipien treubleiben und sich einen Funken Gutes bewahren muss. Auch wenn die Welt, in der wir nun mal leben, größtenteils schlecht ist. Hinter jeder Ecke könnte eine potenzielle Gefahr lauern, zum Beispiel ein Messerstecher, ein Bombenattentäter oder ein Scharfschütze, der meinem Boss ans Leder will. Es gibt einfach zu viele Neider, die Mateo den Erfolg nicht gönnen, die ihn aus dem Weg haben möchten, die nach seinem Platz an der Spitze des Drogenimperiums streben. Oder Leute, denen er mal vor den Karren geschissen hat und die sich jetzt rächen wollten.

Meine Aufgabe ist es, auf jede Eventualität eingestellt zu sein. Das erfordert natürlich ein wachsames Auge, einen ausgeruhten Körper sowie einen kühlen Kopf. Ablenkungen, ganz gleich in welcher Form, kann ich mir nicht leisten. Ein Fehler meinerseits könnte meinem Freund das Leben kosten. Nichtsdestotrotz versuche ich, meinen persönlichen Grundsätzen treu zu bleiben. Eine meiner Grundregeln lautet: keine Gewalt gegenüber Frauen. Das ist für mich unumgänglich.

Auf Mateos Order hin, habe ich schon einige Männer gefoltert und getötet. Männer, die uns schaden wollten oder uns im Weg standen. Das ist natürlich nicht spurlos an mir vorbeigegangenen, denn ich bin auch nur ein Mensch mit Gefühlen. Doch bevor ich einen Befehl ausführe, wäge ich stets richtig und falsch gegeneinander ab, weswegen ich mir gelegentlich Stress mit Mateo einhandele, da wir in dieser Beziehung unterschiedlicher Meinung sind. Jedoch konnte ich ihn schon oft mit den passenden Argumenten überzeugen, einen anderen Weg einzuschlagen. Das hat einigen Menschen das Leben gerettet und mir ein schlechtes Gewissen, inklusive schlafloser Nächte, erspart.

Fiona vor die Tür zu setzen, ist in meinen Augen nicht das Richtige. „Tut mir leid, aber in diesem Fall lasse ich mir nicht von dir vorschreiben, was ich zu tun oder zu lassen habe“, lehne ich mich gegen meinen Chef auf, was ihm ganz gewiss nicht schmeckt. „Wohin haben uns denn deine jüngsten Entscheidungen geführt? Wir befinden uns mitten in einem Krieg mit Pablo, der uns bereits verdammt viel gekostet hat. Wie viele Männer haben wir heute während des Schusswechsels verloren? Ein Drittel? Und die Sache ist noch lange nicht ausgestanden. Wir konnten Pablo nicht erledigen, der nun alles tun wird, um dich für den Überfall auf das Lagerhaus zur Rechenschaft zu ziehen. Außerdem wird er die Frauen zurückhaben wollen.“

„Genau das versuche ich dir doch begreiflich zu machen. Eben wegen Pablo solltest du Fiona aus dem Land schaffen. Du kannst deine Pflichten mir gegenüber nicht erfüllen und gleichzeitig für deine und ihre Sicherheit sorgen. Päppele die Kleine meinetwegen auf, wenn du meinst, dass du das tun musst, und dann schaff sie hier weg.“

„Keine Sorge, ich werde meinen Job schon nicht vernachlässigen“, versichere ich ihm. „Glaub mir, wenn du gesehen hättest, wie sie in ihrem eigenen Blut kauerte, kaum in der Lage, ihre zugeschwollenen Augen zu öffnen und am Ende ihrer Kräfte, würdest du nicht von mir erwarten, sie auf die Straße zu setzen.“ Ich raufe mir die Haare, weil es ein verdammt nervenaufreibendes Unterfangen ist, ihn zur Einsicht zu bewegen. Obwohl wir beide zwei Arschlöcher sind, für die Worte wie Recht oder Gesetz Fremdwörter sind, haben wir dennoch Gefühle. Ich zumindest. „Was denkst du, wie lange wurde Fiona schon misshandelt?“

„Keine Ahnung.“ Er zieht die Schultern in die Höhe. „So, wie du von ihren Verletzungen sprichst, schätze ich mal eine ganze Weile.“

Das glaube ich auch. „Es wird sicher eine Zeit dauern, bis sie sich von den Misshandlungen erholt hat. Ihr Körper ist von Hämatomen übersät und bestimmt sind auch mehrere Knochen gebrochen. Deshalb lasse ich sie hier wohnen, bis sie wieder gesund ist. Was danach mit ihr passiert, überlege ich mir, wenn es so weit ist.“

„Also hast du schon eine Entscheidung getroffen?“, fragt er vorwurfsvoll und schaut mich mit einem skeptischen Blick an. „Bist du dir absolut sicher, dass du mit der Doppelbelastung aus Job und Pflege klarkommst? Ich muss mich darauf verlassen können, dass du, wenn du zur Arbeit erscheinst, zu einhundert Prozent mit dem Kopf bei der Sache bist und nicht pausenlos an Fiona denkst. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen Pablo auf Rache sinnt, bringt mir ein zerstreuter Sicherheitschef nichts.“

„Ich liebe dich, Mateo. Du bist der Bruder, den ich nie hatte und den ich mir immer gewünscht habe. Das weißt du, oder?“ Ich warte ab, bis er nickt. „Gut. Dann kannst du dir sicher sein, dass ich alles tun werde, um für deine und auch für Grace‘ Sicherheit zu sorgen. Euer Schutz ist nämlich für mich weder ein Job noch eine lästige Verpflichtung, sondern eine Herzensangelegenheit. Du bist meine Familie. Und die Familie steht immer an erster Stelle. Wenn wir untergehen, dann zusammen. Allerdings wird das dann nicht passieren, weil ich unachtsam oder abgelenkt bin.“

„Danke, Bruder. Ich weiß deine Worte zu schätzen. Einer für alle und alle für einen“, stimmt er mir zu. „In Ordnung, ich gebe dir meinen Segen, auch wenn dir der vermutlich ziemlich egal ist. Du hättest auch ohne meine Zustimmung deinen Dickkopf durchgesetzt und die Kleine hierbehalten, oder?“ Als ich bestätigend grinse, schüttelt er mit dem Kopf und ich meine, ihn Arschloch murmeln zu hören. „Um auch mal etwas für dich zu tun, werde ich meinen Schnüffler anrufen, den ich seinerzeit auf Grace angesetzt hatte, und ihn um Hilfe bitten. Vielleicht findet er etwas raus, was dir in Bezug auf Fiona weiterhilft. Wo sie herkommt oder warum sie bei Pablo gelandet ist. Je mehr wir über die Kleine wissen, desto besser.“

„Perfekt. Vielen Dank, Kumpel.“ Ich klopfe ihm freundschaftlich auf die Schulter, weil ich seine Unterstützung sehr zu schätzen weiß. „Wo bleibt eigentlich der verdammte Arzt? Müsste er nicht schon längst hier sein?“

Kaum habe ich die Frage laut ausgesprochen, klingelt es auch schon an meiner Haustür, weswegen ich Mateo im Flur stehenlasse und die Tür öffne.

„Buenas noches, Guten Abend, Señor Rodriguez”, begrüßt mich Mateos Arzt, der immer auf Abruf für ihn bereitsteht, um ihn im Notfall wieder zusammenzuflicken. „Señor López schickt mich, um nach Ihrem Gast zu sehen.“

„Ich weiß, kommen Sie rein.“ Ich trete zur Seite und gebe die Tür frei. „Fiona ist im Gästezimmer im ersten Stock. Soll ich Sie dorthin begleiten?“

„Nicht nötig. Warten Sie ruhig hier unten. Ich melde mich, wenn ich Ihre Unterstützung benötige“, entgegnet er und rauscht auch schon an mir vorbei. Da der Doc jedoch schon etliche Male hier war, um mich nach einem Schusswechsel oder einer Prügelei medizinisch zu versorgen, kennt er sich in meinem Haus aus. Als er Mateo am Ende des Korridors stehen sieht, begrüßt er ihn mit einem knappen Nicken und geht anschließend über die Treppe in den ersten Stock.

Da ich nicht weiß, was ich machen oder tun kann, während der Arzt nach Fiona schaut, und das ein verdammt beschissenes Gefühl ist, laufe ich im Flur auf und ab. Meine innere Unruhe lässt mich nicht stillstehen. Auf der einen Seite wäre ich gerne dabei, wenn der Doc sie untersucht, um mir selbst ein Bild von ihren Verletzungen zu machen, auf der anderen Seite will ich ihre Privatsphäre nicht verletzen. Ich gehe nämlich davon aus, dass es ihr nicht gefällt, sich vor zwei gänzlich fremden Kerlen entblößen zu müssen.

Ich persönlich habe kein Problem mit meinem Körper und dem Nacktsein, denn ich bin verdammt stolz darauf, was ich mit viel Sport und gesunder Ernährung erschaffen habe, aber ich wurde auch nicht von einer Truppe Flachwichsern misshandelt. Und dennoch sind Ärzte ein rotes Tuch für mich. Seitdem ich vor ein paar Monaten für mehrere Wochen im Krankenhaus zu Gast war, weil meine eigenen Leute mich zu Babybrei verarbeitet hatten, kann ich keinen Weißkittelträger mehr ausstehen. Ich habe es gehasst, wenn ich im Rahmen der Visite betatscht und verhätschelt wurde. Der Frauenwelt hingegen, stelle ich meinen Body liebend gerne weiterhin als Anschauungs- und Berührungsmaterial zur Verfügung.

Vor einer Weile kam uns die Idee, einen Spitzel in Pablos Crew einzuschleusen, der Mateo mit Informationen zu dessen Tagesabläufen, Strukturen, Gewohn- und Gepflogenheiten sowie seinen Geschäften versorgen sollte. Jemand sollte sich das Vertrauen unseres Feindes erschleichen, um seine Schwachstellen zu identifizieren. Diese Schwachstellen wollten wir gegen Pablo verwenden, um Mateos Durst nach Rache, für den Mord an seiner Verlobten, zu stillen. Ich habe mich freiwillig für diese Aufgabe gemeldet, da ich meinem Freund noch etwas schuldig war.

Nachdem meine Eltern getötet wurden und ich ganz alleine dastand, hat Mateo mich aufgefangen, mir ein Zuhause gegeben und mich wie einen Bruder behandelt. Wäre er nicht gewesen, wäre ich an dem Verlust zerbrochen und hätte mich ganz gewiss selbst zerstört. Mit Drogen, Alkohol oder illegalen Faustkämpfen. Mir wäre jedes Mittel recht gewesen, um meine Trauer zu betäuben.

Da Pablo jedoch weder dumm noch naiv, sondern extrem paranoid ist, was seine Sicherheit betrifft, mussten wir verflucht tief in die Trickkiste greifen, damit er mir vertraut und mich in sein Team aufnimmt. Er musste glauben, dass das Band der Freundschaft und Loyalität, das mich mit der Familie López verbindet, unwiderruflich zerstört ist. Und das ging nur, indem ich mich von meinen eigenen Leuten krankenhausreif prügeln ließ. Für den Schauplatz des Geschehens wählten wir einen belebten Ort, damit es Zeugen gibt und das Instrument der Mundpropaganda greift.

Mateo war, wie nicht anders zu erwarten, gegen den Plan gewesen, doch ich ließ mich nicht davon abbringen. Er hielt ihn für zu riskant. Ich pfiff auf seine Bedenken und traf mich mit meinen Männern an dem bekanntesten Drogenumschlagplatz in der Stadt, wo ich mich nach vorheriger Absprache vermöbeln ließ. Wie von mir gewünscht, traten meine Jungs auf mich ein, bespuckten und beleidigten mich. Als ich blutüberströmt am Boden lag, ließen sie von mir ab und fuhren davon. Kurz darauf verlor ich das Bewusstsein, weshalb ich mich nicht mehr daran erinnere, wie ich ins Krankenhaus gekommen bin. Dafür habe ich aber noch genau im Gedächtnis, welche Schmerzen ich nach dem Aufwachen hatte. Heilige Scheiße, Santa mierda, jeder Atemzug war die Hölle und ich wünschte mir, auf der Stelle zu sterben. Jedoch war jeder Schmerz die Sache wert, denn nur so konnte unsere Geschichte glaubwürdig rüberkommen.

Wie von mir erhofft, ging der Plan auf. Ein paar von Pablos Drogendealern bekamen die Szene in der Stadt mit und erzählten ihrem Boss, dass Mateo seinen besten Freund und rechte Hand verstoßen hätte. Das war meine Eintrittskarte in seine Organisation, denn Pablo witterte sofort seinen Vorteil. Mein Wissen über Mateos Geschäfte sollte zu seinem Trumpf werden. Das Ass im Ärmel, das er brauchte, um seinen Widersacher ein für alle Mal zu vernichten.

Nachdem ich mich von den Verletzungen erholt hatte, nahm einer von Pablos Leuten Kontakt zu mir auf, woraufhin ich mich mit unserem Feind traf und sogleich meinen Nutzen unter Beweis stellte. Ich gab ihm Insiderinformationen über Mateos Business, die ich im Vorfeld mit meinen Jungs besprochen hatte, weswegen Pablo eine Bereicherung in mir sah. Er glaubte, dass er mit meiner Hilfe Mateo das Genick brechen könnte. Das Geschäft, das Pablo Dank meines Hinweises sabotieren konnte, tat Mateo nicht weh. Die Zahlungsmoral der Israelis war ziemlich mies, sodass mein bester Freund sie sowieso nicht länger beliefern wollte.

Dadurch, dass ich bereits nach wenigen Wochen zu Pablos innerem Zirkel gehörte, konnte ich Mateo über einen Mittelsmann Nachrichten zuspielen, die für ihn von Nutzen waren. Ich ließ ihn wissen, mit wem Pablo sich traf, welche Politiker er für seine Zwecke bestach und welche Kunden er aus Mateos Gebiet abzuwerben versuchte. Zudem übermittelte ich ihm auch eine Information von ganz besonderem Wert. Nämlich die, dass Pablo auf einer illegalen Auktion eine Frau ersteigern will, von der er vom ersten Moment an, seit er ihre Fotos in dem Versteigerungskatalog gesehen hat, wie besessen gewesen ist. Seitdem er das Bild von Grace zu Gesicht bekam, konnte er an nichts anderes mehr denken, als sie zu ersteigern und zu seinem Besitz zu machen. Es war eine richtige Obsession. Obwohl Pablo ein Sadist der übelsten Sorte ist und meines Erachtens keinen Funken Menschlichkeit in sich trägt, schwärmte er von Grace wie ein liebeskranker Teenager.

Als ich alle Details über die Auktion hatte, wo und wann sie über die Bühne gehen soll, rief ich in einem günstigen Moment meinen Freund an. Er sollte der Veranstaltung beiwohnen und sich selbst ein Bild machen. Nachdem Mateo sich mit eigenen Augen von Pablos Besessenheit überzeugt hatte, leiteten wir die zweite Phase des Plans ein: Grace in unsere Gewalt bringen und töten.

Um Pablo hart zu treffen, wollten wir den Mord auf Video festhalten und unserem Feind das Material zuspielen. Meine Mission galt als beendet, als Mateo die Entführung von Grace gelang.

Pablo und Grace besuchten das Theater in der Stadt und fuhren anschließend in einen Unterschlupf von Pablo, um den Abend ausklingen zu lassen. Dort warteten bereits meine Männer auf sie. Unsere Jungs beseitigten Pablos Wachposten und drangen in das Haus ein, um Grace zu holen. Im Anschluss an die erfolgreiche Aktion, kehrte ich nach langen Wochen als Pablos Arschkriecher und Speichellecker endlich wieder nach Hause zurück.

„Alter, kannst du mal stehen bleiben? Du machst mich ganz kirre mit deinem nervösen Herumgerenne“, herrscht Mateo mich an und reißt mich aus den Erinnerungen. „Entspann dich und atme locker durch die Hose. Der Doc weiß, was er zu tun hat.“

„Ach ja? Bist du dir da sicher?“, blaffe ich zurück, als ich Fionas laute Schreie durch das Haus hallen höre. „Was macht der dämliche Wichser mit ihr?“

„Keine Ahnung. Aber wenn es dich so brennend interessiert, dann geh hoch und sieh nach.“

So schnell es meine Beine zulassen, jage ich die Treppe hoch. Wie ein Berserker renne ich durch den Flur und stürme auf das Gästezimmer zu.

Ich bin so ein verdammter Hornochse, denn ich hätte den Arzt nicht alleine zu ihr lassen sollen. Bestimmt hat Fiona eine Heidenangst vor dem, ihr fremden, Mann. Ob meine Anwesenheit es besser gemacht hätte, wage ich zu bezweifeln, aber ich hätte zumindest versuchen können, sie zu beruhigen.

„Was zur Hölle ist hier los?“, frage ich den Doktor, nachdem ich die Tür aufgerissen habe und eingetreten bin. Dieser steht völlig ratlos im Zimmer und schüttelt den Kopf.

Mein Blick gleitet sofort zum Bett, wo Fiona, trotz ihrer offensichtlich gebrochenen Finger, die in einem üblen Winkel von ihrer Hand abstehen, die Bettdecke so fest umklammert hält, als würde ihr Leben an ihr hängen. Wild tritt sie mit den Füßen um sich. In ihren Augen, aus dessen Winkeln Tränen fließen, erkenne ich blanke Panik.

Ich muss hart schlucken, weil mir der Anblick einer völlig außer sich zu sein scheinenden Fiona, heftig an die Nieren geht. Sie soll sich in meinem Haus sicher, aber ganz gewiss nicht bedroht fühlen. Und der Arzt scheint etwas in ihr zu triggern, das ihr Angst macht.

„Alle sofort raus hier! Gebt uns einen Moment“, verfüge ich. „Ich rufe Sie, wenn ich die Kleine beruhigt habe, Doc“, wende ich mich an den Mediziner, der unverzüglich aus dem Raum geht.

Nachdem Mateo, der mir nach oben gefolgt ist, die Tür hinter sich zugezogen hat, dimme ich die helle Deckenbeleuchtung und gehe langsam auf das Bett zu, um mich auf die Bettkante zu setzen. Vorsichtig strecke ich eine Hand aus und wische ihr mit dem Daumen die Tränen aus dem Gesicht, was sie zu meinem Erstaunen, ohne zu protestieren geschehen lässt.

„Entspann dich, Liebes. Niemand möchte dir etwas tun. Wir sind alle hier, um dir zu helfen. Doch damit du wieder gesund werden kannst, musst du dich von einem Arzt untersuchen lassen.“ Ich bemühe mich, meine Stimme ruhig und gelassen klingen zu lassen, obwohl es in meinem Inneren mächtig brodelt. „Lass den Doc sich deine Verletzungen anschauen, okay?“

„Ich … Ich … Ich habe Angst“, stammelt sie. „Der … Der … Der Mann … er … er wird mir wehtun. Genau wie all die anderen Kerle. Ich kann das nicht mehr. Lieber … Lieber sterbe ich.“

„Niemand wird dich jemals wieder verletzen. Versprochen. Du musst mir vertrauen, Fiona. Du bist nun in Sicherheit“, garantiere ich ihr.

„Und Pablo?“

„Der ist uns leider entwischt, doch wir arbeiten mit Hochdruck daran, ihn aufzuspüren und auszuschalten. Mein bester Freund, Mateo, nimmt sich der Sache an“, lasse ich sie wissen. „Solange du dich unter meinem Dach befindest, wird er dir nichts anhaben können, weil ich auf dich aufpasse. Darauf gebe ich dir mein Wort. Aber im Gegenzug dafür musst du auch etwas für mich tun. Lass dich bitte von dem Arzt untersuchen.“

Nach ein paar Momenten des Nachdenkens, nickt sie mir zu und beginnt, sich zu entspannen. Mein Blick ruht auf ihren Händen, die den Klammergriff um die Bettdecke langsam lösen. Ich senke den Kopf, um ihr einen sanften Kuss auf die Stirn zu geben und hoffe, dass diese Geste nicht zu viel für sie ist. Doch anstatt sich gegen die ihr entgegengebrachte Zärtlichkeit zur Wehr zu setzen, schließt sie die Augen und seufzt.

„So ist es gut, Kleine. Atme tief durch und entspann dich“, sage ich. „Ich werde jetzt den Arzt zurückholen.“ Ein letztes Mal streichele ich ihr über die Haare, dann stehe ich auf und gehe zur Zimmertür.

„Bitte … Bitte komm wieder zurück … und … und bleib bei mir. Lass mich nicht mit dem Mann allein“, fleht sie, während ich die Tür öffne.

„Alles, was du willst“, erwidere ich und lächele ihr zu.

Kapitel 2

Fiona

Als ich aufwache, ist es taghell im Raum. Ich reibe mir mit den Armen den Schlaf aus den Augenwinkeln, weil ich glaube, noch zu träumen. Wie kann es sein, dass ich nicht mehr auf dem eisigen, harten Fußboden meiner fensterlosen Zelle liege, sondern in einem weichen Bett? Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal den Luxus einer Matratze genossen habe. Die vergangenen Wochen oder Monate – ich habe das Gefühl für Zeit verloren – musste ich ausschließlich auf Fußböden zubringen. Nackt und ohne eine Decke oder ein Kissen.

Während meiner Gefangenschaft habe ich immerzu gefroren. Mir war so entsetzlich kalt, dass ich geglaubt habe, dass mir die Zehen abfrieren. Doch die Kälte war nur ein Fliegenschiss im Vergleich mit der Angst, die ich vor Pablo und seinen Männern hatte. Es war grausam, nie zu wissen, wann sie mich zur nächsten Foltersession abholen oder was sie mir als nächstes antun würden. Jeden gottverdammten Tag habe ich mich gefragt, wann sie meinem Leben endlich ein Ende setzen. Schon innerhalb der ersten vierundzwanzig Stunden meiner Gefangenschaft hatten sie mich so weit, dass ich mir den Tod herbeiwünschte. Andauernd habe ich darüber nachgedacht, was ich falsch gemacht, warum ausgerechnet ich diesen Albtraum durchleben muss. Nun ja, ich vermute, weil mein Ehemann dahintersteckt.

Als ich sechzehn Jahre alt war, lernte ich Carlos, meinen Mann, kennen. Auf einer Collegeparty, die ich gemeinsamen mit meinen Freundinnen besuchte, sprach er mich an. Eigentlich war er überhaupt nicht mein Typ, aber trotzdem ließ ich mich auf einen unverbindlichen Flirt mit ihm ein.

Carlos war ein Nerd wie er im Buche steht. Er trug eine auffällige schwarz-braun gemusterte Hornbrille, einen karierten Strickpullunder, hatte strubbelige dunkelbraune Haare und redete ununterbrochen von Computern. Ich wollte schnell das Weite suchen, denn die Programmiersprache sowie Ego-Shooter Spiele sind für mich böhmische Dörfer. Doch je mehr Zeit ich mit ihm verbrachte, desto interessanter fand ich ihn. Es war nicht sein äußeres Erscheinungsbild, das mich von ihm überzeugte, sondern sein Charakter. Carlos war nett, aufmerksam und feinfühlig. Zudem machte er mir ständig Komplimente und gab mir das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Bei und in ihm fand ich etwas, das ich zu Hause schon ewig nicht mehr bekam: Aufmerksamkeit und Liebe.

Kurz nachdem ich eingeschult wurde, trennten sich meine Eltern. Es stellte sich heraus, dass mein Dad meine Mutter mit seiner Assistentin betrog und dass meine Mom seit mehreren Wochen eine Affäre mit ihrem Tanzlehrer hatte. Quid pro quo, sozusagen. Dementsprechend erleichtert mussten die beiden wohl gewesen sein, als sie reinen Tisch machten und einander ihre Fehltritte beichteten. Während die zwei neue Wege einschlugen, ging für mich die Welt unter. Tagelang verschanzte ich mich in meinem Kinderzimmer und weinte. Wie ein Kartenhaus brachen die Lügen und Heimlichtuereien meiner Eltern über mir zusammen. Ich weiß noch, wie mies ich mich fühlte, als Mom und Dad mir erzählten, ihr Leben fortan getrennt zu bestreiten. Es war, als hätten sie mir bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust gerissen.

Nachdem die Trennung offiziell vollzogen war, ging meine Mama mit ihrem zehn Jahre jüngeren, argentinischen Lover in dessen Heimat. Nach ihrer Ausreise habe ich sie nie wieder gesehen. Ich weiß bis heute nicht, in welcher Stadt sie lebt, ob es ihr gut geht, ob sie vielleicht wieder geheiratet hat, ob sie überhaupt noch in Argentinien ist oder ob ich vielleicht Stiefgeschwister habe. Der Kontakt ist irgendwann eingeschlafen. In den ersten Jahren, nachdem sie mich verlassen hatte, schickte sie mir zumindest noch an Geburtstagen oder zu Weihnachten eine Postkarte, doch nach einer Weile, war ihr anscheinend selbst das zu viel.

Mein Dad mutierte nach der Scheidung zu einem Workaholic, der sich voll in die Arbeit hineinkniete und munter weiter seine blonde Assistentin mit den gemachten Brüsten und den aufgespritzten Lippen bumste. Das Resultat der Bürovögelei war eine Schwangerschaft. An der Redewendung dumm fickt gut, scheint tatsächlich etwas dran zu sein. Ich habe nämlich nie verstanden, was mein Dad an der strohdoofen, gekünstelten Barbiepuppe gefunden hat. In ihren Charakter oder ihre Intelligenz kann er sich keineswegs verschossen haben, denn Miss Möchtegern-Universe kann weder von morgens bis mittags denken, noch strahlt sie auch nur einen Hauch von Sympathie aus. Allerdings ist sie ganz hervorragend im dämlich Grinsen und genervten Stöhnen.

Kurz nachdem er Blondie geschwängert hatte, wurde geheiratet. Da meine neue Stiefmutter nicht das blöde Blag einer anderen Frau großziehen wollte, stellte mein Dad nach langem Betteln und Quengeln seiner geliebten Ehefrau eine Nanny für mich ein und ich bekam ihn immer seltener zu Gesicht. Obwohl wir unter einem Dach lebten, war die Distanz zwischen uns so groß wie noch nie. Er hatte nunmehr eine neue Familie, in der es für mich keinen Platz mehr gab. Zumindest ließ mich seine Frau das jeden Tag spüren.

Ich fühlte mich wie Cinderella, weil der ganze Haushalt an mir hängen blieb, an mir nur herumgenörgelt und herumkritisiert wurde und ich zur Krönung des Ganzen auf den Dachboden umziehen musste, weil die Neue meines Vaters mein Zimmer zu einem Fitnessraum umgestalten wollte.

Carlos platzte genau zu der Zeit in mein Leben, als ich es daheim kaum noch aushielt. Der Stiefdrachen tat alles, um mir das Leben so schwer wie nur eben möglich zu machen. Tanzte ich nicht nach ihrer Pfeife oder war anderer Meinung als sie, wurde ich in meinem Zimmer eingesperrt, um über meinen Starrsinn nachzudenken. Hatte ich das Badezimmer nicht penibel genug geputzt, war ich mein Handy los. Und kam ich auch nur eine Minute später als vereinbart nach Hause, fing ich mir Ohrfeigen ein oder musste wochenlang aufs Fernsehgucken verzichten.

Carlos machte die Situation daheim für mich erträglicher, indem er für mich da war, mir zuhörte und mich aufmunterte. Jedoch glaube ich mittlerweile, dass ich mich bloß auf ihn eingelassen und seinen Heiratsantrag, den er mir nach nur zwei Jahren Beziehung gemacht hat, angenommen habe, weil er mir ein Stück Normalität, Geborgen- und Sicherheit zurückgegeben hat.

Nachdem er mir an meinem achtzehnten Geburtstag den Verlobungsring an den Finger gesteckt hatte, heirateten wir ein paar Tage später in Las Vegas. Es war eine unromantische Trauung, vollzogen von einem schlechten Elvis Presley Imitator, mit ganz viel Kitsch und Glitzer. Nach den Flitterwochen, die wir in der Wüste Nevadas verbrachten, zog ich bei ihm ein und lernte nun sein wahres Ich kennen. Kaum, dass ich seinen Nachnamen trug, war der liebenswerte Nerd Geschichte.

Nichts erinnerte mehr an den jungen, liebevollen Mann, in den ich mich verliebt hatte. Carlos war ständig schlecht drauf und ich konnte ihm nichts mehr rechtmachen. An allem hatte er etwas auszusetzen: meinem Äußeren, meiner Kleidung, meiner Art und Weise zu atmen. Und ich? Ich verstand die Welt nicht mehr. Was war passiert, dass er sich so grundlegend von einem auf den anderen Tag verändert hatte?