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Rush war anders als andere Männer. Und das war gefährlich!
Raus aus New York, den Sommer in den Hamptons verbringen und endlich Zeit zum Schreiben - so lautet Gias Plan. Doch als ihr Blick auf den tätowierten Mann an der Bar fällt, ändert sich alles. Ihr Herz beginnt schneller zu schlagen, und ihre Welt wird auf den Kopf gestellt. Rush ist anders als die Männer, die die junge Frau kennt: Er ist reich, gefährlich und verschlossen. Gia ist die Einzige, die hinter seine Fassade schaut und auch seine verletzliche Seite sieht. Schnell kochen die Gefühle zwischen ihnen hoch. Doch eine falsche Entscheidung in Gias Vergangenheit holt sie ein und droht ihr Glück mit Rush zu zerstören ...
"REBEL SOUL ist großartig! Man verliebt sich im Lauf der Geschichte gleich mit. Dieses Buch hat einfach alles!" GARDEN OF REDEN
Auftakt zum RUSH-Duett von Bestseller-Autorinnen Vi Keeland und Penelope Ward
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Titel
Zu diesem Buch
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
Danksagung
Die Autorinnen
Die Romane von Vi Keeland und Penelope Ward bei LYX
Impressum
VI KEELAND / PENELOPE WARD
Rebel Soul
Roman
Ins Deutsche übertragen von Antje Görnig
Endlich ist Gia ihrem Ziel, Autorin zu werden, ein Stück näher gekommen: Sie hat einen Vertrag für ein Buch erhalten! Um ihr Manuskript in Ruhe beenden zu können, beschließt sie, New York den Rücken zu kehren und den Sommer in den Hamptons zu verbringen. Doch als ihre Mitbewohnerin sie bittet, für eine Schicht im Heights, einer der angesagtesten Bars auf Long Island, einzuspringen, nimmt Gias Leben eine völlig neue Wendung. Denn kaum fällt ihr Blick auf den gut aussehenden tätowierten Fremden, der sie nicht aus den Augen lässt, hat sie Schmetterlinge im Bauch, und ihr Herz beginnt zu rasen. Rush ist reich, kalt und abweisend – ihm gehört nicht nur die Bar, sondern die halbe Stadt. Und als er merkt, dass die junge Frau hinter der Theke keine Ahnung von Cocktails, Wein oder Whiskey hat, will er sie feuern. Doch Gia rührt etwas in seinem Inneren. Sie ist die Einzige, die hinter Rushs Fassade schaut und seine verletzliche Seite sieht. Schnell kochen die Gefühle zwischen ihnen hoch. Aber eine falsche Entscheidung in Gias Vergangenheit holt sie ein und droht ihr Glück mit Rush zu zerstören …
»Sex on the Beach hatte ich noch nie und gemixt habe ich bisher auch noch keinen!«
»Es sind zwei weitere Barkeeper hier. Sie erklären dir alles, was du nicht weißt. Bitte, bitte! Meiner Schwester ist gerade die Fruchtblase geplatzt, und ich will heute noch nach New Jersey fahren, damit ich morgen früh nicht durch den Berufsverkehr muss. Dann hast du was gut bei mir.« Ich hörte durch das Telefon, wie Riley schmollte.
»Aber ich wollte heute Abend schreiben.«
»Du warst nicht am Strand, weil du den ganzen Tag schreiben wolltest. Wie viele Wörter hast du geschafft?«
Ich schaute auf meinen Laptop. Sieben. Ganze sieben Wörter hatte ich heute geschrieben. »Mehr als gestern.« Das war die bittere Wahrheit. »Und ich bin gerade im Flow.«
»Ich flehe dich an! Es ist ein Notfall, sonst würde ich nicht fragen.«
Ich seufzte. »Na gut.«
Riley entfuhr ein Freudenschrei. »Danke!«, rief sie. »Ach, und zieh etwas mit einem tiefen Ausschnitt an, damit deine Möpse gut zur Geltung kommen. Bei deinem Vorbau interessiert es ohnehin keinen, ob du Cocktails mixen kannst oder nicht.«
»Bis dann, Riley.«
Ich sah in den Spiegel. Meine dunklen Haare hatte ich zu einem unordentlichen Knoten hochgebunden. Ich war nicht geschminkt und hatte meine Kontaktlinsen schon gegen meine Brille getauscht, weil meine blauen Augen müde waren. Ich stieß einen Seufzer aus. Zumindest hatte ich heute schon geduscht.
Meine Mitbewohnerin Riley arbeitete in einem der hippen Hamptons-Lokale unten am Strand, wo sich hochnäsige, reiche Yuppie-Typen tummelten, die Poloshirts mit kleinen eingestickten Pferden und Slipper ohne Socken trugen. Die Frauen waren alle spindeldürr und stellten übermäßig viel perfekt gebräunte nackte Haut zur Schau. Weil ich bei meinem ersten und letzten Besuch dort Ärger mit einem Typen gehabt hatte, wollte ich auf keinen Fall Aufmerksamkeit erregen. Ich trug etwas Wimperntusche auf und löste mein zusammengebundenes Haar. Das genügte. Die Kontaktlinsen setzte ich nicht wieder ein.
Der Parkplatz vor dem Heights war rappelvoll. Der Name rührte daher, dass es auf dem Dach des Gebäudes eine Bar gab. Mehrere Leute standen draußen und rauchten, und die Musik drinnen war so laut, dass die Fensterscheiben vibrierten. Ich hatte von meinem Abend hier noch in Erinnerung, dass insgesamt drei Bars vorhanden waren: eine auf dem Dach, eine drinnen und eine auf der Außenterrasse mit Aussicht aufs Meer. Ein Restaurant gehörte ebenfalls dazu, das sich offenbar größter Beliebtheit erfreute, bevor zu späterer Stunde das Barpublikum eintraf. Ich hatte keine Ahnung, wo meine Mitbewohnerin an diesem Abend arbeiten sollte.
Ein stämmiger, großgewachsener Mann öffnete die Tür, als ich darauf zuging, und ich schaute zuerst im Inneren nach.
Riley entdeckte mich sofort. Sie winkte mir zu, legte dann die Hände trichterförmig um den Mund und rief: »Komm rüber! Ich führe dich schnell rum!« Ich ging ans Ende der langen Bar und trat durch die Thekenklappe.
»Das ist Carly.« Sie zeigte auf eine Rothaarige mit Zöpfen und bauchfreiem Top. Die Frau winkte. »Sie arbeitet mit Michael an der Außenbar und ist nur kurz reingekommen, um uns Gläser zu klauen, weil sie ihre Bar nicht ausreichend genug ausgestattet hat.«
Carly zuckte mit den Schultern und nahm sich einen Karton Gläser. »Ich bin immer spät dran!«, rief sie laut.
Als Nächstes wies Riley auf eine kleinere, jüngere Blondine, neben der selbst Carly in ihrem knappen Outfit fast matronenhaft wirkte. Eine Sekunde lang bedauerte ich, dass ich mir nichts Hübscheres angezogen oder mich wenigstens ein bisschen zurechtgemacht hatte. »Und das ist Tia. Sie arbeitet auf der linken Seite dieser Bar, während ich mich um die rechte Hälfte kümmere.«
Tia winkte.
Riley trommelte mit den Fingernägeln auf die Schanksäule, die über mehrere Zapfhähne verfügte. »Okay, wir haben hier Bud, Stella, Corona, Heineken, Amstel und Lighthouse Ale, ein regionales Bier. Wenn du gefragt wirst, musst du immer das regionale empfehlen.«
»Verstanden.« Ich nickte.
Sie drehte sich zu den verspiegelten Regalen hinter uns um. »Alles von bester Qualität! Die beliebtesten Spirituosen – Wodka, Jack Daniels, Rum, Fireball, Tequila – werden auf der linken und der rechten Seite der Bar gelagert, damit wir uns nicht ständig ins Gehege kommen.« Sie zeigte unter die Bar. »Gläser, Sirupe, Spülbecken und gekühltes Flaschenbier findest du hier unten. Auf der roten Kühltruhe liegt ein laminiertes Buch mit allen Rezepten. Da kannst du nachsehen, wenn du einen Cocktail nicht kennst.«
»Rote Kühltruhe. Alles klar.«
Riley legte den Zeigefinger an die Lippen. »Was noch? Oh! Wenn dir jemand Probleme macht, brauchst du nur zu pfeifen und Oak kümmert sich darum.«
»Oak?«
Sie zeigte auf den Mann am Eingang, der mich hereingelassen hatte. »Der Türsteher. Seinen richtigen Namen kenne ich nicht. Er wird einfach von jedem ›Oak‹ genannt. Ich nehme mal an, weil er ein Mann wie ein Baum ist. Wenn der Besitzer nicht da ist, vertritt er ihn als Geschäftsführer.« Riley holte ihre Tasche unter der Bar hervor und warf sie sich über die Schulter. »Und das müsste heute glücklicherweise der Fall sein. Er würde ausflippen, wenn er wüsste, dass ich jemanden ohne Erfahrung hinter die Bar gestellt habe.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Das müsste der Fall sein? Und wenn er doch auftaucht?«
»Entspann dich. Der reiche Scheißkerl war heute bei einer Vorstandssitzung in der City. Er wird nicht auftauchen.« Riley gab mir einen Kuss auf die Wange und lief zur Tür. »Danke, dass du für mich einspringst!«, rief sie über die Schulter. »Du hast echt was gut bei mir!«
Meine ersten paar Gäste bestellten Bier. Abgesehen davon, dass zu viel Schaum in den Gläsern war, weil ich die Kunst des Zapfens noch nicht beherrschte, ging alles glatt – bis eine Gruppe von vier Frauen an die Bar kam.
»Ich nehme einen Cosmo.«
»Ich nehme einen Paloma.«
»Für mich einen Moscow Mule.«
Einen was?
»Ich hätte gern ein Corona, bitte.«
Zumindest das Getränk der Frau, die gute Manieren hatte, würde ich nicht vermasseln. Ich zapfte ein Corona, mixte einen Cosmopolitan – weil er zufällig mein Lieblingscocktail war, kannte ich die Zubereitung sogar – und begann, in dem Rezeptebuch auf der roten Kühltruhe zu blättern. Nur fand ich weder ein Rezept für den Moscow Mule noch für den Paloma.
Ich fragte Tia. »Hey … was kommt alles in einen Moscow Mule?«
»Ernsthaft? Bei mir hat noch nie jemand einen bestellt, aber ich glaube, er besteht aus zwanzig Millilitern Wodka, vier Millilitern Ginger Beer und Limettensaft.«
»Danke. Und in einen Paloma?«
»Zum Teufel, was für Gäste hast du da?« Sie lachte. »Zwei Milliliter Tequila, sieben Milliliter Grapefruitlimonade und Limettensaft. Die ungewöhnlicheren Cocktailzutaten wie Ginger Beer und Grapefruitlimo sind ganz unten in der Kühltruhe. Da musst du ein wenig graben.«
»Alles klar, danke.«
Auf dem Rückweg ans andere Ende der Bar schenkte ich jemandem Bier nach und machte einem anderen Gast einen Geldschein klein. Die laute Musik brachte mich ziemlich durcheinander. Ich fühlte mich etwas überfordert, und als ich begann, die Cocktails für die Frauen zu mixen, war ich mir nicht sicher, ob ich die Zutaten noch richtig im Kopf hatte.
Ginger Ale, Bier, Wodka und Limette? Ich schaute unsicher in Tias Richtung. Sie hatte einen Shaker in der einen Hand, während sie mit der anderen ein Bier zapfte. Und an der Bar wurde es immer voller.
»Haben Sie unsere Drinks vergessen?«, fragte die Moscow-Mule-Liebhaberin von oben herab.
»Kommen sofort!« Und geben Sie mir nicht die Schuld, wenn sie nicht schmecken …
Ich mixte in aller Eile meine Versionen dieser dämlichen Cocktails zusammen und schenkte sie in zwei schicke Gläser ein. Aus eleganten Gläsern schmeckte einfach alles besser. Nachdem ich serviert und abkassiert hatte, kümmerte ich mich um den nächsten Gast.
»Ich nehme einen Mudslide«, sagte der Typ, der ein rosa Poloshirt trug.
»Ähm. Okay.« Ich schaute wieder zu Tia hinüber. Sie war total im Stress. Ich konnte sie unmöglich bei jeder Bestellung stören. »Der ist mit Kahlúa, oder?«
Der Typ musterte mich skeptisch. Was war bloß mit den Leuten hier los? »Wenn Sie nicht wissen, wie man einen Mudslide macht, sollten Sie vielleicht besser im Eiscafé gleich um die Ecke arbeiten.«
»Und Sie sollten vielleicht besser Bier trinken und keinen Damencocktail«, erwiderte ich.
»Der ist für meine Freundin. Nicht dass Sie das was angeht.«
»Oh.«
Ich sah im Rezeptebuch nach. Warum waren die Cocktails eigentlich nicht alphabetisch geordnet? Der Mudslide kam an vorletzter Stelle: Wodka, Baileys, Kahlúa, Milch – alles zu gleichen Teilen.
Zwei weitere Gäste bestellten bei mir, während ich den Cocktail mixte. Ich musste lernen, erst dann Augenkontakt herzustellen, wenn ich auch bereit war, die nächste Bestellung aufzunehmen. Wegen der Ablenkung gab ich nämlich zwei Schuss Baileys dazu und vergaß die Milch.
Als ich den Drink des Mudslide-Schnösels bongte, kehrten die vier Frauen, die ich bedient hatte, an die Bar zurück. Sie drängelten sich nach vorn durch und knallten zwei Gläser auf den Tresen, die prompt überschwappten.
»Die sind nicht in Ordnung! Ich weiß nicht, was Sie da reingetan haben, aber sie schmecken entsetzlich!«
»Okay. Einen Moment Geduld bitte, ich mache Ihnen neue.«
Die Anführerin des Zickenclubs verdrehte die Augen.
Ich legte den Zwanzig-Dollar-Schein des Mudslide-Schnösels in die Kasse und gab ihm fünf Dollar zurück. Fünfzehn Dollar für einen Cocktail – die reinste Abzocke!
»Bitte sehr.«
Der Typ hatte einen Baileysbart, nachdem er meine Mixtur probiert hatte. »Der hier ist auch nicht in Ordnung. Haben Sie überhaupt die leiseste Ahnung von der Materie?«
»Nein!«, herrschte ich ihn an. »Ich bin für eine Freundin eingesprungen. Sie müssen wirklich nicht so unhöflich sein! Ich gebe mein Bestes.«
Ich nahm mir Zeit, um in aller Ruhe drei neue Cocktails zu mixen, und diesmal ließ ich die Gäste kosten, bevor sie mit ihren Getränken abzogen. Währenddessen spürte ich, dass mich jemand vom Ende der langen Bar aus beobachtete, aber es dauerte eine Weile, bis ich mich zu ihm vorarbeiten konnte.
Erst nachdem ich zwei andere Gäste bedient hatte, begegnete ich kurz dem Blick, der mir permanent folgte. Ich musste zweimal hinsehen. Der Typ war umwerfend! Er sah rasend gut aus, und zugleich stach er aus den Gästen hervor wie ein Pitbull aus einer Schar Pudel: schwarze Biker-Lederjacke, sonnengebräunte Haut, Dreitagebart und zerzauste dunkelblonde Haare, die aussahen, als hätte er gerade Sex gehabt. Richtig guten Sex. Seine Augen waren meergrün, und sein intensiver Blick machte mich nervös. »Ich bin gleich für Sie da.«
Er nickte.
Nachdem ich den Gast neben ihm bedient hatte, richtete ich meine Aufmerksamkeit auf den Rebellen inmitten der zahllosen Schnösel in ihren pastellfarbenen Poloshirts.
»Was kann ich Ihnen bringen?«
»Was können Sie denn machen?« Gott, seine Stimme war genauso atemberaubend wie sein Gesicht: tief, klangvoll und sexy.
Offensichtlich hatte er inzwischen mitbekommen, dass ich nicht gerade die beste Barkeeperin war.
»Bier«, sagte ich grinsend. »Ich kann Ihnen ein Bier machen.«
Seine Lippen zuckten – oder hatte ich es mir nur eingebildet? »War dem Besitzer klar, dass Sie sich nicht mit Cocktails auskennen, als er Sie eingestellt hat?«
»Im Grunde hat er mich gar nicht eingestellt. Ich springe für eine Freundin ein und habe ehrlich gesagt keinen Schimmer, was ich hier tue. Dem letzten Gast habe ich höchstwahrscheinlich sogar falsch rausgegeben.«
Der Mann schwieg. Er musterte mich eingehend, was mich ziemlich verunsicherte. Ich kannte nicht viele knallharte Typen, aber dieser Mann war ganz offensichtlich einer.
»Also, was kann ich Ihnen bringen?«
Statt zu antworten, stand er auf und zog seine Lederjacke aus. Ich schluckte, als ich die Muskeln sah, die sich unter seinem weißen T-Shirt wölbten. Seine Arme waren von oben bis unten tätowiert. Verrückterweise hätte ich mir die Tattoos furchtbar gern aus der Nähe angeschaut und ihn gefragt, was jedes einzelne bedeutete.
»Wie heißen Sie?« Er ließ mich keine Sekunde aus den Augen, und dennoch hatte ich eigentlich nicht das Gefühl, dass er mich abcheckte. Es war verwirrend und faszinierend zugleich.
»Gia.«
»Gia«, sprach er mir nach. »Sagen Sie mir, Gia, was würde der Besitzer wohl denken, wenn er wüsste, dass Sie hier arbeiten und dabei falsch herausgeben und seine Gäste vergraulen?«
Der Typ war zwar unheimlich sexy, aber die Schärfe, die plötzlich in seiner Stimme lag, ließ bei mir alle Alarmglocken schrillen. Trotzdem ging ich nicht weg, und ich rief auch nicht nach Oak. Ich stand wie angewurzelt da und antwortete wie ein Idiot auf seine Fragen. Besser gesagt wie eine dusselige Kuh, die immer die Wahrheit ausspuckte, sobald sie nervös wurde. »Der Besitzer wäre wahrscheinlich ziemlich sauer. In seinen Augen ist es sicher keine gute Tat, dass ich meine Freundin vertrete, die wegen eines Notfalls wegmusste.«
»Und warum wäre er sauer?«
»Nun … er soll ein echter Scheißkerl sein, habe ich gehört.«
Er zog eine Augenbraue hoch. »Ja, ich kenne ihn und kann das nur bestätigen.«
Obwohl er mir beipflichtete, klang es ganz und gar nicht, als wäre er auf meiner Seite. Ich musste dieses bizarre Gespräch unbedingt beenden. »Möchten Sie also meine Spezialität haben – ein Bier?«
»Ja.«
»Welches?«
Er schüttelte den Kopf. »Suchen Sie eins aus.«
Froh, ihm für ein paar Minuten entkommen zu können, ging ich zur Schanksäule, nahm ein Bierglas aus der Kiste unter der Bar und ließ das regionale Bier hineinlaufen, das ich laut Riley empfehlen sollte. Ich spürte wieder seinen Blick im Rücken, drehte mich zu meinem rebellischen Gast um und stellte fest, dass er mich unverhohlen anstarrte. Er besaß nicht einmal den Anstand, es zu vertuschen, als ich ihn erwischte.
»Das macht dann sechs Dollar«, sagte ich und stellte den vollen Krug vor ihm ab.
»Acht.«
»Wie bitte?«
»Das Bier. Es kostet acht Dollar, nicht sechs.« Er wirkte verärgert.
»Oh. Sie korrigieren mich zu Ihren Ungunsten?«
Der Türsteher / Geschäftsführer / Baum von einem Mann kam an die Bar und trat neben meinen Gast. »Die Spirituosenlieferung kam heute zu spät, und es fehlten vier Flaschen. Die Quittung ist unter der Kassenlade, Chef.«
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff, was ich gehört hatte. Meine Augen weiteten sich. »Haben Sie gerade … Chef gesagt?«
Der knallharte Kerl starrte mich grimmig an. »Richtig, Gia. Ich bin der Scheißkerl. Mir gehört der Laden hier.« Er verzog den Mund zu einem Lächeln, das alles andere als freundlich wirkte. »Und jetzt verschwinden Sie gefälligst aus meiner Bar und sagen Ihrer Freundin, dass sie entlassen ist!«
Verflixt!
Er war der Chef!
Ich hätte ihn eher für einen Motorradfreak auf der Durchreise gehalten als für den Besitzer des Lokals.
Alle starrten mich an, während ich nach Worten suchte. »Das können Sie nicht machen! Sie dürfen Riley nicht einfach so rauswerfen. Lassen Sie es nicht an ihr aus, dass ich keine Ahnung von Cocktails habe. Dafür kann sie nichts. Sie wollte das Richtige tun, als sie mich bat, wegen des Notfalls in ihrer Familie als Vertretung einzuspringen. Sie hätte Sie auch einfach im Stich lassen können. Sie dürfen Riley nicht für meine Unfähigkeit bestrafen!«
Als der Türsteher etwas sagen wollte, hob der Scheißkerl die Hand, ohne seinen Blick von mir abzuwenden. »Jetzt nicht, Freddie.«
»’tschuldigung, Chef. Aber du musst wissen, dass Elaina gerade angerufen hat. Sie kommt nicht mehr zur Arbeit, weil sie mit ihrem Freund auf dem Weg in die Stadt ist. Sie sprechen da beide für irgendein Stück vor. Es tut ihr wirklich leid, meinte sie, aber sie hat gekündigt.«
Der Scheißkerl fuhr sich frustriert mit den Händen durch die Haare und blies die Wangen auf. »Verfluchter Mist!« Er sah aus, als würde er jeden Moment platzen. Doch dann stieß er einen tiefen Seufzer aus und schloss die Augen, um sich zu beruhigen. Als er sie wieder öffnete, starrte er mich schweigend an.
Ich fand ihn ziemlich einschüchternd, aber er sollte mich nicht schwitzen sehen. Auf keinen Fall durfte ich mich unterkriegen lassen und von dem abweichen, was ich im Grunde meines Herzens für richtig hielt.
Ich ließ ihm einen Moment Zeit, damit er die Nachricht verarbeiten konnte, die seine Wut noch geschürt hatte, dann bat ich inständig: »Sie müssen Ihre Entscheidung noch einmal überdenken. Bitte! Ich werde erst gehen, wenn Sie mir versichert haben, dass Riley wegen dieser Sache nicht ihren Job verliert. Das ist doch nicht fair!«
Er musterte mich von Kopf bis Fuß. »Als Barkeeperin sind Sie eine Niete … aber können Sie vielleicht rumstehen, ein freundliches Gesicht machen, Gästen ihre Plätze zuweisen und im Notfall auch mal ein Tablett mit Essen an einen Tisch bringen?«
»Wovon reden Sie?«
»Die Hostess für die Abendschicht hat offensichtlich gerade gekündigt. Bis zum großen Freitagsansturm werde ich wohl keinen Ersatz finden. Der geht nämlich jeden Moment los. Wenn Sie mir aushelfen, behält Ihre Freundin Riley ihren Job.«
Er wollte mich einstellen?
»Gerade wollten Sie mich noch loswerden, und jetzt soll ich für Sie arbeiten?«
»Ja, nun, ich sitze völlig unerwartet in der Klemme und hatte ein paar Minuten Zeit, um Ihre erbärmliche Entschuldigung zu verdauen. Anscheinend haben Sie Ihrer Freundin in guter Absicht geholfen, auch wenn es ziemlich dämlich von ihr war, Sie überhaupt darum zu bitten.«
»Und wenn ich den Job nicht annehme?«
»Dann fliegt Riley raus, weil sie jemanden hinter meine Bar gestellt hat, der da nichts zu suchen hat. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.«
Ich brauchte eine Weile, um ernsthaft über sein Angebot nachzudenken. Oder war es ein Erpressungsversuch? Im Grunde hatte ich eine Finanzspritze dringend nötig. Mit dem Zehntausend-Dollar-Vorschuss, den ich vom Verlag des Buchs bekommen hatte, an dem ich schrieb, hatte ich die Miete für ein Zimmer in einem Haus bezahlt, das ich mir über den Sommer mit mehreren Leuten teilte. Deshalb hatte ich sowieso schon daran gedacht, mir einen Nebenjob zu suchen, der mir zusätzliches Geld einbrachte. Das hier war vielleicht genau das Richtige für mich.
»Gilt das Jobangebot nur für heute oder bis Sie einen Ersatz gefunden haben?«
»Keine Ahnung, so weit habe ich noch nicht gedacht. Also, was ist? Sind Sie dabei?«
»Ich nehme den Job … aber ich will eine dauerhafte Anstellung. Und das nicht etwa, weil ich erpressbar bin, sondern weil ich gern ein Nebeneinkommen hätte. Ich schreibe zurzeit ein Buch und habe fast den kompletten Vorschuss ausgegeben, und so …«
Er kniff die Augen zusammen. »Sie schreiben ein Buch? Doch hoffentlich nicht ›Cocktails mixen für Dummies‹?«
»Sehr witzig. Nein. Es ist ein Liebesroman, der in einem Sommerhaus spielt. Ich habe mich zu Recherchezwecken hier in den Hamptons eingemietet und lebe momentan über meine Verhältnisse. Der Job wäre genau das Richtige für mich: Ich könnte tagsüber schreiben und abends arbeiten.«
»Eine Liebesgeschichte in einem Sommerhaus. Klingt ziemlich bescheuert.« Er zündete sich eine Zigarette an und blies mir den Rauch ins Gesicht.
Ich musste husten. »Wie bitte? Was ist daran bescheuert?«
»Ich kenne mich nicht besonders mit Liebesromanen aus, aber das klingt verdammt klischeehaft.«
Vielen Dank, Scheißkerl, dachte ich, für den Hinweis auf das Offensichtliche!
Eine originelle Liebesgeschichte zu entwerfen war genau mein Problem.
Am Anfang war alles glattgelaufen. Die ersten drei Kapitel waren so gut gewesen, dass ich den Verlagsvertrag bekommen hatte. Und nun kam nichts mehr aus mir heraus – oder so wie heute nur jämmerliche sieben Worte.
Er aschte auf den Boden. »Sie fangen übrigens in fünfzehn Minuten an, Shakespeare.«
»Ich heiße Mirabelli, Gia Mirabelli … für Ihre Unterlagen.«
Er stieß eine Rauchwolke aus und nickte. »Rush.«
»Was? Haben Sie gerade ›rasch‹ gesagt? Warum soll ich mich beeilen, wenn ich noch eine Viertelstunde Zeit habe? Jetzt kommen Sie mal runter!«
Er richtete den Blick gen Himmel, als wollte er die Götter fragen, wie ich nur so dumm sein konnte. »Rush ist mein Name, Sie Genie, und passen Sie auf, was Sie sagen. Ich bin Ihr Chef, schon vergessen?«
Ich weiß nicht, wo meine Großspurigkeit herkam, aber in diesem Moment wollte ich mir einfach nichts mehr von ihm gefallen lassen. Ich straffte die Schultern und legte los. »So, wie es aussieht, scheinen Sie mich gerade mehr zu brauchen als ich Sie. Der Job würde mir zwar weiterhelfen, aber ich kann ihn annehmen oder auch nicht. Also schlage ich vor, wir respektieren uns von nun an gegenseitig. Wenn Sie mir keinen Respekt entgegenbringen, werde ich Ihnen gerne wieder Bescheid geben!« Ich beugte mich vor. »Und dann können Sie mich mal kreuzweise!«
Ich machte mich darauf gefasst, tüchtig zusammengestaucht zu werden. Doch stattdessen grinste er nur bis über beide Ohren. Er nahm mich am Arm und führte mich von der Bar weg, die nun unbesetzt war. »Heben Sie sich Ihre derben Sprüche für mich auf und benehmen Sie sich bitte vor den Gästen.«
Eine merkwürdige Wortwahl. Er ermunterte mich dazu, ihn zu beschimpfen?
Ich erschauderte, als mich der Geruch von Zigarettenrauch und Eau de Cologne umfing. Mein Körper reagierte unwillkürlich auf seine Nähe, obwohl ich den Männern nach einem schiefgelaufenen One-Night-Stand vor ein paar Wochen abgeschworen hatte. Aber meine Reaktion auf diesen Mistkerl war ein gutes Beispiel dafür, dass man es sich nicht unbedingt aussuchen kann, zu wem man sich körperlich hingezogen fühlt. Manchmal ist es ausgerechnet derjenige, der absolut nicht gut für einen ist.
Ich räusperte mich und fragte: »Wie werde ich bezahlt?«
»Machen Sie sich frisch. Erledigen Sie Ihren Job, und ich kümmere mich um den Rest.«
»Gibt es eine offizielle Einweisung?«
Er drückte seine Zigarette aus und blies den letzten Rauch in die Luft. »Nein.«
»Nein?«
»Nein. So schwierig ist das nicht.« Er zeigte auf das Stehpult am Eingang. »Sehen Sie das Pult da drüben? Da stehen Sie, begrüßen die Gäste und führen sie zu einem Tisch, wenn sie nicht an eine der Bars gehen wollen. Wenn jemand vom Personal Probleme mit einem Gast hat, wird sich derjenige möglicherweise an Sie wenden, weil Sie von allen am wenigsten zu tun haben. Improvisieren Sie einfach. Für den Job sind keine besonderen Fähigkeiten erforderlich, was nach Ihrem Scheitern als Barkeeperin ja auch ganz gut ist. Meiner Meinung nach ist Learning by Doing sowieso das Beste. Ich werfe die Leute gern ins kalte Wasser, ohne viel Zeit mit langen Erklärungen zu vertun. Na ja, abgesehen davon, dass ich Sie von der Bar abziehen musste, weil Sie meine Gäste vergrault haben.«
»Klingt nach einem gesunden Arbeitsumfeld.«
»Lächeln nicht vergessen, Shakespeare«, entgegnete er mit einem Augenzwinkern.
Eigentlich hatte ich im Heights nichts zu tun. Als Besitzer des Ladens musste ich nicht permanent da sein. Dafür gab es den Geschäftsführer und die Angestellten. Aber ich war ein ziemlicher Kontrollfreak. Außerdem mochte ich das Lokal mit seiner lebhaften Atmosphäre am liebsten von allen anderen Unternehmen, die mir gehörten. Hier fühlte ich mich am lebendigsten. Also hatte ich es zu meiner Homebase gemacht.
Heute gefiel es mir im Heights allerdings noch viel besser als sonst, und das nervte mich. Jedes Mal wenn ich mich dabei erwischte, wie ich meine neue Angestellte Gia beobachtete, schalt ich mich innerlich. Aber es fiel mir schwer, sie nicht anzusehen. Mit ihren langen, wilden dunklen Haaren, ihrem ansteckenden Lächeln und ihrer feurigen Ausstrahlung war sie mir sofort aufgefallen. Und sie trug eine Brille, was ich aus irgendeinem Grund extrem heiß fand.
In meinem Leben gab es nicht viele Regeln. Im Wesentlichen machte ich, was ich wollte – ohne Rücksicht auf Verluste. Rauchen zum Beispiel. Ich wusste, dass es nicht gut für mich war, aber ich tat es trotzdem, auch wenn ich mir immer wieder sagte, dass ich eines Tages aufhören würde.
Ich konnte es mir weiß Gott leisten, alles zu tun, wonach mir der Sinn stand. Es war schon verrückt, wenn man so etwas mit neunundzwanzig sagen konnte. Mir stand die ganze Welt offen, was jedoch leicht dazu führte, dass man über die Stränge schlug und alles vermasselte. Ich hatte mir allerdings geschworen, die Chance nicht zu verspielen, die mir mein Großvater vor einigen Jahren gegeben hatte, als er mir die Hälfte seines Besitzes hinterließ, darunter mehrere Immobilien hier in den Hamptons. Es gab also nicht viele Einschränkungen in meinem Leben, und ich bemühte mich, nicht totalen Mist zu bauen.
Eine wichtige Regel hatte ich allerdings, an die ich mich konsequent hielt: Ich wilderte nicht in meinem eigenen Revier. Meine Angestellten waren grundsätzlich tabu für mich. Da zog ich für mich die Grenze, und bisher hatte ich noch nie mit einer Frau geschlafen, die für mich arbeitete. Und das sollte auch so bleiben. Deshalb war Gia Mirabelli ab dem Moment, in dem ich sie eingestellt hatte, für mich tabu.
Normalerweise hatte ich keine Probleme damit, Arbeit und Vergnügen zu trennen. Aber als dieser kleine Feuerwerkskörper mit seiner frechen Klappe auf mich losgegangen war, hatte ich wahrhaftig einen Steifen gekriegt, als sie meinte, ich könne sie mal kreuzweise. Es hatte mir gefallen, weil sonst niemand so mit mir redete. Ganz abgesehen davon, dass solche Worte aus dem Mund einer schönen Frau tausendmal netter klangen.
Ich wusste, dass die Leute mich einschüchternd fanden, vor allem diejenigen, die für mich arbeiteten. Außer Freddie, alias »Oak«, der aufgrund seiner Größe niemanden fürchten musste, hatten sie wohl regelrecht Angst vor mir. Gia hingegen nicht. Sie redete frei Schnauze, und das war so ziemlich das Erfrischendste, was ich in diesem Jahr erlebt hatte.
Als es im Verlauf des Abends ruhiger im Lokal wurde, ließ ich sie ihre persönlichen Angaben für die Gehaltsabrechnung aufschreiben, und wie sich herausstellte, wohnte sie in einem meiner Häuser, das sich mehrere Leute über den Sommer teilten. Da sich eine Immobilienverwaltung um die Mieter kümmerte, würde sie sicher nicht so schnell herausfinden, dass es mir gehörte. Ich nahm mir vor, sie bei passender Gelegenheit darüber zu informieren.
Dass es eine solche Verbindung zwischen uns gab, war keine große Überraschung für mich. In diesem Teil der Hamptons besaß ich eine ganze Menge Immobilien. Mein Vater und mein Bruder blieben weitgehend in der City und leiteten dort das Familienunternehmen. Die Hamptons waren in erster Linie mein Territorium, zumindest aus operativer Sicht.
Das Heights war tagsüber eine legere Strandbar und verwandelte sich abends in einen Club plus Restaurant mit Livemusik auf der Dachterrasse. Und an diesem Freitagabend war es drinnen und draußen brechend voll.
Ich erwischte mich noch einmal dabei, wie ich Gia beobachtete. Sie machte ihren Job tatsächlich verdammt gut. Ich hatte die Funktion der Hostess heruntergespielt, als wir darüber geredet hatten, aber die Arbeit war nicht so leicht, wie ich sie dargestellt hatte. Gia begrüßte jeden Gast mit einem strahlenden Lächeln, als wäre er der Allererste, der zur Tür hereinkam. In den kurzen Pausen, in denen es keine Warteschlange vor ihrem Pult gab, ging sie sogar von Tisch zu Tisch und fragte nach, ob die Gäste zufrieden waren. Glücklicherweise schien sie nicht zu bemerken, dass ich sie im Visier hatte.
Der Laden leerte sich erst nach Mitternacht. Es fing an zu regnen, und das nahe gelegene Meer war nun aufgewühlter. Als ich mit einer Zigarette vor der Tür stand, spazierte Gia schnurstracks in meine Rauchwolke hinein.
»Sie sind ja immer noch hier«, sagte sie.
»Tut mir leid, Sie zu enttäuschen«, entgegnete ich.
»Das ist es nicht. Ich dachte nur, Sie wären längst gegangen.«
»Das war gute Arbeit heute.«
»Wow.« Sie strahlte. »Ist das ein Kompliment?«
»Ich nenne die Dinge gern beim Namen. Wenn Sie versagt hätten, hätte ich es Ihnen auch gesagt. Als Barkeeperin sind Sie ungeeignet, aber Sie waren eine verdammt gute Hostess.«
»Und das bei dem Stress!« Sie zwinkerte mir zu. »Ich habe ein wenig Erfahrung. Ich hatte mal einen Job als Hostess in der City.«
»Man merkt, dass es nicht Ihr erstes Mal war.« Mein Blick fiel unwillkürlich auf ihre Brüste, die sich gleichmäßig hoben und senkten. Ihr schwarzer BH zeichnete sich unter dem schlichten weißen T-Shirt ab. Ich zwang mich, ihr ins Gesicht zu sehen.
Unsere Blicke kreuzten sich, und auf einmal hatte sie es sehr eilig. »Ja, also, gute Nacht dann. Ich werde morgen pünktlich da sein.« Als sie den Parkplatz hinter sich ließ, wurde mir erst klar, dass sie nicht mit dem Auto gekommen war. Sie wollte allem Anschein nach zu Fuß nach Hause.
In diesem Outfit? Mitten in der Nacht?
Ich sprang in meinen Mustang, fuhr los, und als ich bei ihr war, ließ ich das Fenster herunter. »Ist es nicht ein bisschen spät, um als Frau allein unterwegs zu sein?«
»Ist schon okay. Ich laufe gern.«
»Es ist stockdunkel, und bis zu Ihnen nach Hause gibt es nicht viele Straßenlampen.«
»Woher wissen Sie, wo ich wohne?«
Äh, richtig. Sie wusste nicht, dass mir das Haus gehörte, in dem sie wohnte.
»Sie haben mir doch Ihre Adresse gegeben, schon vergessen? Ich kenne diese Stadt wie meine Westentasche.«
»Verstehe.« Sie ging weiter, während ich langsam neben ihr herfuhr.
»Ich bringe Sie nach Hause.«
»Nicht nötig.«
»Doch! Sie sind meine Angestellte. Sie haben bis in die Nacht für mich gearbeitet, und wenn Ihnen deswegen etwas auf dem Heimweg passiert, würde ich mich mitverantwortlich fühlen. Und damit will ich mein Gewissen nicht belasten.«
Sie blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften. »Ich habe zurzeit kein Auto und werde nach der Arbeit so gut wie immer nach Hause laufen. Sie können mich ja schlecht jedes Mal fahren, warum also erst damit anfangen?«
Ich wollte keine Zeit mit unnützen Diskussionen vergeuden. »Steigen Sie verdammt noch mal ein!«, sagte ich nachdrücklich.
Sie öffnete widerspruchslos die Beifahrertür. »Danke«, sagte sie, nachdem sie eingestiegen war, und sah mich an.
Ihr Geruch und die Wirkung, die er auf mich hatte, machten mich nervös. Ich konnte mir nicht erklären, warum ich so auf eine Frau reagierte, die ich gerade erst kennengelernt hatte. Sie kam mir irgendwie vertraut vor, obwohl ich sicher war, dass wir uns vor dem heutigen Tag noch nie begegnet waren.
Ich war schon mit vielen Frauen im Bett gewesen. Es waren so viele, dass ich dachte, immun gegen derartige Gefühle zu sein. Aber Gia war irgendwie anders, auch wenn ich es nicht genauer benennen konnte.
Das war gefährlich.
Ich brauchte noch eine Zigarette, also nahm ich eine aus der Packung und zündete sie an.
»Könnten Sie hier drin vielleicht nicht rauchen?«, sagte sie.
»Nein. Ich kann nicht nicht rauchen.«
Die Zigarette trotzdem anzustecken, obwohl sie mich gebeten hatte, es zu lassen, war eine ziemlich miese Nummer. Ich hätte rücksichtsvoller sein sollen, aber mit ihr auf dem Beifahrersitz … ich brauchte das einfach. Ich öffnete das Fenster und bemühte mich, den Rauch nach draußen zu blasen.
»Wie lange gehört Ihnen das Heights schon?«
»Meine Familie hat es vor zehn Jahren gebaut. Seit ein paar Jahren habe ich hier das Sagen.«
»Es ist wirklich ein tolles Lokal. Aber vor heute war ich nur ein Mal da und habe leider schlechte Erinnerungen an diesen Besuch. Freiwillig wäre ich nicht wiedergekommen.«
Ruckartig wandte ich den Kopf zur Seite und fragte sie: »Was für eine schlechte Erinnerung?«
»Oh … Es hatte nichts mit der Bar zu tun oder so.«
»Womit denn dann?«
»Ich habe dort einen Mann kennengelernt und … die Sache hat kein gutes Ende genommen. Ich denke mal, ich assoziiere das Heights mit dieser Erfahrung. Deshalb wollte ich auch zuerst gar nicht für Riley einspringen, als sie mich darum bat.«
Die Vorstellung, dass sie in meinem Laden jemanden kennengelernt hatte, der sie schlecht behandelt hatte, brachte mich auf die Palme. Ich fuhr langsamer und sah sie wieder an. »Hat er Ihnen etwas angetan?«
»Nein.«
»Was ist passiert?«
Ihre offene Antwort überraschte mich. »Ich habe mich von ihm vögeln lassen, und danach hat er mir eine falsche Telefonnummer gegeben.«
Ich war nicht so leicht aus der Fassung zu bringen, aber als ich das hörte, war ich sprachlos. Ich konnte nicht begreifen, wie es jemand fertigbrachte, diese Frau ins Bett zu kriegen und ihr dann eine falsche Nummer zu geben.
Abgesehen davon schockierte mich ihre Offenheit. Wie viele Frauen würden ihrem Chef so etwas gestehen? Man konnte über Gia sagen, was man wollte, aber sie war auf jeden Fall eine ehrliche Haut. Vielleicht war es das, was mich zu ihr hinzog? Sie hatte allem Anschein nach nichts zu verbergen.
Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Gott, warum erzähle ich Ihnen bloß so was? Manchmal platzt die Wahrheit einfach so aus mir raus.«
»Man muss sich nicht für die Wahrheit entschuldigen, hat meine Mutter immer gesagt, sondern nur für seine Lügen.« Ich warf ihr einen schiefen Blick zu. »Der Kerl war wahrscheinlich verheiratet. Wir haben viele von diesen City-Typen in der Bar, die sich durch die Hamptons vögeln und dann zu ihren Frauen nach Manhattan zurückkehren, als wäre nichts passiert.«
»Wissen Sie … Vermutlich haben Sie recht. Er war eindeutig nicht der, für den er sich ausgegeben hat.«
Ich konnte es mir nicht verkneifen, sie zurechtzuweisen. »Sie müssen vorsichtiger sein! Sie sollten nicht mit Männern nach Hause gehen, die sie in Bars kennenlernen.«
»Ich bin keine Schlampe! Ich hatte monatelang mit niemandem geschlafen. Ich fühlte mich ein wenig allein und hatte Lust drauf, also dachte ich, warum nicht? Der Typ … er machte einen soliden Eindruck. Er war gut gekleidet und redegewandt. Natürlich hat er mir nicht die Ehe versprochen, aber wir haben den ganzen Abend geredet, bevor ich ihn mit zu mir genommen habe. Wir haben sogar Pläne für das nächste Wochenende geschmiedet. Ich hätte nie gedacht, dass er mir eine falsche Telefonnummer gibt. Er hat mir Honig um den Bart geschmiert und mich dann verarscht. Wenn ich es ungeschehen machen könnte, würde ich es auf der Stelle tun!«
Ich hielt vor ihrem – meinem – Haus an, einem geräumigen Fünf-Zimmer-Strandhaus im viktorianischen Stil, das zurzeit mehreren Großstädtern, die Manhattan einen Sommer lang entflohen waren, als Partybude diente.
Als ich den Motor abstellte, rührte sich Gia nicht.
»Ich wünschte, ich hätte Ihnen das alles nicht erzählt. Ich will nicht, dass Sie mich verurteilen oder denken, ich würde so etwas noch mal mit einem Gast machen.«
Wer war ich, dass ich sie verurteilen könnte? Ich hatte selbst schon mehr als genug Mist gebaut.
»Wenn ich Sie deshalb verurteilen würde, wäre ich ein großer Heuchler. Wir alle machen Fehler«, sagte ich und steckte mir die nächste Zigarette an. Ich blies den Rauch aus dem Fenster. »Ich will nur, dass Sie im Heights auf sich aufpassen. Das ist die reinste Fleischbeschau.«
»Oh, das ist mir klar. Ich wurde den ganzen Abend lang angegraben.«
Ich biss die Zähne zusammen. Ich hatte es mit eigenen Augen gesehen und mich mehrmals bremsen müssen, damit ich am Ende nicht in meinem eigenen Lokal festgenommen wurde.
»Na ja, wie auch immer …«, fuhr sie fort. »Woher wussten Sie eigentlich, dass ich genau in diesem Haus wohne? Sie haben nicht mal das Navi benutzt.«
»Ich sagte doch, ich kenne mich in dieser Ecke aus.«
Sie schwieg eine Weile, dann sagt sie: »Kann ich Ihnen eine Frage stellen?«
»Kommt auf die Frage an.«
»Wie sind Sie überhaupt der Besitzer des Heights geworden? Ich meine, Sie sind jung und …« Sie zögerte.
»Was?«
»Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber Sie sehen nicht so aus, wie ich Sie mir vorgestellt habe.«
»Ich sehe nicht so aus, als würde ich regelmäßig bei Sitzungen der örtlichen Handelskammer auftauchen?«
Sie lachte. »Ja, so ungefähr.«
Wollte ich das wirklich preisgeben?
Ach, scheiß drauf!
»Um Ihre Frage zu beantworten: Ich habe nichts dafür getan! Ich habe das Heights und alles andere, das mir heute gehört, nicht selbst aufgebaut oder verdient. Ich wurde nur als uneheliches Kind eines schwerreichen Mannes geboren, den ich nicht ausstehen kann. Es ist keine besondere Leistung, vermögend zu sein, ohne dafür gearbeitet zu haben.«
»Sie kommen nicht gut mit Ihrem Vater aus?«
»Wenn es nach ihm ginge, wäre ich gar nicht in seinem Leben und bekäme nicht einen Cent von ihm. Als mein Großvater von der Existenz eines weiteren Enkels erfuhr – was später per DNA-Test bestätigt wurde –, änderte sich alles. Er war der Ansicht, dass mir genau das Gleiche zustand wie meinem Bruder, dem ehelichen Kind. Also wurde ich unerwartet sehr reich, ohne darauf vorbereitet zu sein. Aber dazu kam es erst, als ich schon über zwanzig war.«
»Wow. Dann sind Sie nicht als reiches Kind aufgewachsen?«
»Nein, ich wuchs in einfachen Verhältnissen auf, bei meiner Mutter und meiner Großmutter auf Long Island. Es war schwer für meine Mutter, mich allein großzuziehen. Wir hatten nicht viel. Also sehe ich das alles nicht als selbstverständlich an.«
Mein Blick blieb an ihren Beinen hängen, als sie sie übereinanderschlug. Ich fragte mich, wie es wäre, diese Beine um meinen Körper zu spüren. Bei der Vorstellung, Gia nackt unter mir zu haben, nahm ich einen tiefen Zug von meiner Zigarette.
»Wenn Sie also gewissermaßen einer von uns sind … warum haben dann alle so viel Angst vor Ihnen, Rush?«
»Wie kommen Sie auf die Idee, dass die Leute Angst vor mir haben?« Ich wusste, dass etwas Wahres daran war, aber ich wollte hören, was sie dazu zu sagen hatte.
»Na ja, in Ihrer Anwesenheit scheinen alle total nervös zu werden. Das ist mir heute sofort aufgefallen.«
»Weil sie wissen, dass ich keine Mätzchen dulde. Sie haben erlebt, dass ich Leute rauswerfe, weil sie gefaulenzt oder sich bei der Arbeit mit Gästen eingelassen haben. Sie wissen, dass ich nicht lange herumfackele. Also seien Sie gewarnt.«
»Und warum haben Sie ständig diesen finsteren Blick drauf? Als ich Sie an der Bar bedient habe, sahen Sie aus, als wollten Sie jemanden umbringen.«
»Das wollte ich auch … Ich hätte Sie am liebsten umgebracht. Ich war sauer auf die Frau, die meine Gäste vergrault.«
»Aber unter dem Strich hatte doch alles sein Gutes … oder?«
»Das Urteil ist noch nicht gesprochen.«
Sie lächelte, weil sie wusste, dass ich sie nur aufziehen wollte. Offensichtlich spürte sie, dass sie nichts von mir zu befürchten hatte und ich sie niemals feuern würde – selbst dann nicht, wenn sie den ganzen Laden abfackelte. Und sie hatte vollkommen recht. Was für eine beschissene Erkenntnis.
»Warum haben Sie kein Auto, Gia?«
»Ich habe eins.« Sie zeigte auf den Schrotthaufen, der in der Einfahrt stand. »Es ist nur gerade kaputt. Es hat einen Platten und braucht dringend neue Bremsen.«
»Kaputt? Das Ding sieht aus, als würde es jeden Augenblick auseinanderfallen.«
»Erinnern Sie mich bloß nicht dran!« Sie öffnete abrupt die Wagentür. »Also dann … danke fürs Fahren.«
Ein Gefühl der Enttäuschung stieg in mir auf, und mir wurde bewusst, dass ich nicht wollte, dass sie ging. Und wie lange es schon her war, seit ich mich zuletzt jemandem geöffnet hatte. Es war beunruhigend, wie gern ich diese Frau hatte.
Nachdem sie ausgestiegen war, drehte sie sich noch mal zu mir um. »Ich hatte den Eindruck, dass es Ihnen vorhin fast gefallen hat, als ich Sie so angefahren habe.«
Verdammt, das hat es!
»Wie kommen Sie darauf?«
»Nur so ein Gefühl.« Sie beugte sich vor. »Vielen Dank noch mal, dass Sie mich nach Hause gebracht haben, Rush. Ich wünsche Ihnen verdammt schöne Träume.«
Da, schon wieder! Eine schmutzige Andeutung, und mein Schwanz zuckte sofort.
Sie war fast an der Haustür, als sie sich ein letztes Mal zu mir umdrehte. »Und nur damit das klar ist: Sie machen mir überhaupt keine Angst mehr!«
»Und warum nicht?«, rief ich aus dem Fenster.
»Weil jemand, der einen kleinen Engel am Rückspiegel hängen hat, gar nicht so böse sein kann.« Damit lief sie lachend ins Haus.
Die ganze Zeit hatte ich es mir verkniffen, aber sobald sie außer Sichtweite war, grinste ich breit und lehnte den Kopf gegen die Nackenstütze.
Der Engel an meinem Rückspiegel hatte meiner Großmutter gehört, bevor sie gestorben war. Er hatte als Schutzengel in ihrem Buick gehangen, bis sie zu alt zum Fahren wurde. Meine Großmutter war der netteste Mensch der Welt gewesen und hatte immer eine viel höhere Meinung von mir gehabt, als ich verdient hatte. In ihren Augen konnte ich nichts falsch machen. Der Engel diente mir als mahnende Erinnerung, mich jeden Tag zu bemühen, diesem Bild gerecht zu werden – obwohl ich von meiner Persönlichkeit her mehr mit dem Teufel gemein hatte.