Reisegruppe Unjewiss - Mark Scheppert - E-Book

Reisegruppe Unjewiss E-Book

Mark Scheppert

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Beschreibung

Ein Traum wird wahr. Union spielt in Europa! Seit drei Jahren (2021-2023) erleben die Fans des 1. FC Union Berlin die glorreichsten Momente der Vereinsgeschichte: Einzug in die Conference League, Erreichen des DFB-Pokal-Halbfinales, Vordringen in das Achtelfinale der Europa League, etliche Stadtmeisterschaften in Berlin, Spitzenreiter der 1. Fußball-Bundesliga, wichtige Tore in den letzten Minuten und schlussendlich ... Die trinkfeste "Reisegruppe Unjewiss" ist beim unglaublichen Siegeszug ihrer Mannschaft immer dabei. El Rubio erzählt in diesem Buch die emotionalsten und lustigsten Geschichten dieser krassen Tour. "Was für eine wilde Reise durch den rot-weißen Fußballkosmos! Der Autor schafft es, Auswärtsfahrten so lebendig darzustellen, als wäre man selbst dabei!" Mikis Wesensbitter, Buchautor

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Inhalt

Endlich wieder Union

Haifa, Haifa – Duschkabine!

Janz enge Kiste

Heute ist unser Tag

Dicke Tante Bertha

König von Deutschland

Ohne Kruse

Malmö in Zwangsjacke

Auf die Fresse

Amber aus Amsterdam

FC Union International

Der Autor

Mark Scheppert wurde 1971 geboren und lebt seither in Berlin-Friedrichshain.

Er war Gärtner, Möbelträger, Student, Sachbearbeiter, Küchenhilfe, Erntehelfer, Forsthelfer, Fahrrad-Codierer, Vertreter, Postmitarbeiter, Anzeigenverkäufer und Marketingmanager. Doch all das fand er kein bisschen spannend.

Deshalb begann er irgendwann, nebenher ein paar Zeilen zu schreiben und wurde 2009 Mitglied der Lesebühne „Die Unerhörten“.

Mit seinem Buch „Mauergewinner“, welches monatelang die BoD-Bestsellerliste anführte, gelang ihm sofort ein beachtlicher Erfolg. Auch seine Fußballromane „90 Minuten Südamerika“ und „113 Minuten Brasilien“ erhielten gute Kritiken.

In „Einheit Unnormal“ drehte sich erstmals alles um den 1. FC Union Berlin und seine verrückten Fans. Mit „Reisegruppe Unjewiss“ gibt es nun mehr davon, denn Union spielt in Europa und die trinkfeste Truppe ist auch international dabei.

www.markscheppert.de

Erhältliche Titel: „Mauergewinner“; „Alles ganz simpel“; „Koalaland“; „Leninplatz“; „90 Minuten Südamerika“; „Einheit Unnormal“; „113 Minuten Brasilien“

„Das sind die Momente, wo ich, wenn ich es könnte, mir wünschen würde, dass sie nie vergehen! Liebe gute alte Zeit, bleib ein bisschen stehen. Ruh dich aus für eine Weile, denn es ist grad so schön. Lasst uns hier und heute bleiben, halt die Uhren alle an. Diesen Augenblick wollen wir die nächsten 100 Jahre lang.“

--- Dritte Wahl –--

Endlich wieder Union

Eine Katastrophe: Mein Buch „Einheit Unnormal“ endete mit den Ereignissen rund um das 2 : 2 des 1. FC Union Berlin gegen den VfL Wolfsburg im März 2020 eigentlich nur deshalb so abrupt, weil es für lange Zeit mein letztes Stadionerlebnis gewesen war.

Nein, ich war nicht plötzlich vom eisernen Weg abgekommen, oder hatte das Interesse am Fußball verloren. Es gab einfach nichts mehr zu erzählen.

Ein Virus, namens Corona, hatte sich ausgebreitet und verhinderte, neben vielen anderen lebenswerten Dingen, für schier endlose Monate, das Erlebnis eines Stadionbesuches.

Ich wurde in jener Zeit kein Querdenker, Corona-Leugner oder Wutbürger, aber als eingefleischter Fußball-Querulant konnte ich nicht leugnen, dass ich meine wilde Wut (auf den ganzen Alltagsscheiß) nun nirgendwo mehr kanalisieren konnte.

Es fehlte dieser befreiende Schrei, wenn das Spiel beginnt und der Rausch, wenn ich meinen Freunden nach einem Tor in den Armen liege. Ein geileres Erlebnis gibt es für einen Fußballfan nun einmal nicht. Und keinen größeren Rausch. Union ist eine unvergleichliche Droge.

Okay, es gab etliche „Kranke“, die die Geisterspiele des 1. FCU im Wald hinter der Alten Försterei am Radio verfolgten, lautstark Support gaben und nach Toren Leuchtfeuer zündeten. Ich gehörte nicht dazu.

Wir trafen uns – trotz Kontaktverboten – zu Fußballabenden bei jemandem zu Hause. Dort war es etwas leichter für mich, den eigenen Frust zu ertragen, weil ich spürte, dass meine Freunde auch nicht gerade glücklich waren.

Einmal fuhr ich mit dem Fahrrad und drei Bieren im Gepäck zur geschlossenen „Abseitsfalle“, setzte mich vor unserem Stammtisch in die Sonne, schloss die Augen und hörte die Bundesliga-Konferenz.

Ich sah dabei wahrscheinlich aus, wie die Amsel vor meinem Fenster, die versucht, etwas ausbrüten und nicht merkt, dass ihr Ei längst von Elstern gestohlen wurde. Unser Stadion war so nah, sah aber aus wie der Mond, den man nur mit einem Raumschiff erreichen kann.

Wir alle erleben Momente, an denen wir alles hinschmeißen wollen, an denen wir nicht wissen, wozu wir überhaupt arbeiten gehen und wir uns fragen, wie lange wir die ganze Scheiße ohne Fußball im Stadion noch durchhalten können. Das Unglaubliche daran ist, dass wir dies sehr wohl können, ohne komplett durchzudrehen. Irgendwann betrat ich den Mond!

Corona verflüchtigte sich allmählich und die „Reisegruppe Unjewiss“, wie wir uns seit 2021 nennen, durfte endlich wieder in die Alte Försterei. Selbst auswärts konnten wir alsbald marodierend um die Häuser ziehen. Es fühlte sich an wie eine Neugeburt.

Was zu diesem Zeitpunkt allerdings noch niemand ahnen konnte: Der 1. FC Union Berlin bescherte uns seither, sportlich und emotional, die größten Erfolge der Vereinsgeschichte: Einzug in die Europa Conference League, DFB-Pokalhalbfinale, Europa League Teilnahme, Dauer-Stadtmeister, Spitzenreiter der 1. Fußball-Bundesliga und unzählige Momente des krassen Augenblickglücks.

Schon klar, jeder dahergelaufene Erfolgsfan konnte unsere Mannschaft in dieser Zeit lieben und sobald Union wieder zu verlieren beginnt, werden sich einige von ihnen einfach achselzuckend abwenden.

Es geht in diesem Buch jedoch um Menschen, die den kompletten Fußballclub Union Berlin lieben, angefangen bei den Junioren, über die Frauen, den Trainer- und Betreuerstab, bis hin zu den Bratwurst-Verkäuferinnen und den Ordnern am Einlass.

Es geht um Leute, die jede einzelne Betonstufe, jeden Wellenbrecher, jeden Grashalm und jeden randvollen Bierbecher im Stadion An der Alten Försterei vergöttern.

In der „Reisegruppe Unjewiss“ gehören alle dieser Spezies an. Es sind die Menschen, die unseren Club prägen und zusammenhalten.

Die (für mich) emotionalsten Geschichten, seit den Geisterspielen, habe ich in diesem Buch festgehalten. Tausend Dank an meine Freunde und die gesamte Unionfamilie für diese fantastische Zeit.

Eisern Union!

El Rubio

Haifa, Haifa – Duschkabine!

Ich drehe durch: Der glorreiche 1. FC Union spielt nach 20 Jahren wieder auf internationaler Bühne! 2001 schaffte der Club, als DFB-Pokalfinalist, den Einzug in den UEFA-Cup. Die Europareise endete damals (mit den volltrunkenen Herren Rührer und Stoni vor Ort) in der zweiten Runde bei den Bulgaren von Litex Lovech.

In der Saison 2020/2021 landete Union sensationell auf Platz 7 der 1. Fußball-Bundesliga, wodurch man sich erneut international qualifizierte. Allerdings hat das diesmal ein paar Schönheitsfehler.

Zum einen handelt es sich um einen neu geschaffenen Wettbewerb. Max Kruse sagte im Vorfeld: „Europa League hätte ich Bock drauf. Europa Conference League hätte ich keinen Bock drauf. Ich weiß noch nicht einmal, was das ist.“

Die neue internationale Liga der UEFA soll (angeblich) auch kleineren Ländern die Möglichkeit geben, sich mit anderen Nationen zu messen. Union muss sich zunächst sogar für die Vorrunde gegen Kuopion PS aus Finnland qualifizieren, was jedoch problemlos gelingt.

Die zugelosten Gegner sind dann mit Slavia Prag, Feyenoord Rotterdam und Maccabi Haifa aber überraschend attraktiv.

Das zweite Problem: Wir befinden uns gerade in der Hochphase einer Pandemie, namens Corona, welche das Reisen in andere Länder immens erschwert. Und gerade die Auswärtspartien sind Sehnsuchtsorte.

Drittes Manko: Alle Heimspiele werden im Berliner Olympiastadion ausgetragen. Selbst die Fans der dicken Tante Bertha wollen dort längst nicht mehr spielen und Union muss hier antreten, weil die Auflagen der UEFA besagen, dass die Alte Försterei zu wenig Sitzplätze hat.

Auswärts gibt es sportlich bei Slavia und Feyenoord (dort auch von den Bullen) auf die Fresse, aber zumindest in Prag fackeln tausende Unioner die Hütte fast ab.

Daheim sind die Partien im zugigen Olympiastadion gar nicht mal so kacke. Viele tragen in der „Schüssel“ das gegen die Finnen verteilte Motto-Shirt mit der Aufschrift: „Auf zum Schüsselspiel“. Die LED-Lampen im Stadion sind auf Rot programmiert und auch die Stadionlaufbahn ist rot, statt blau. Wir bringen die rot-weiß-beflaggte Arena im Westend, trotz Kapazitäts-Beschränkung, ordentlich ins Wanken. Und fast so laut wie in Köpenick, sind wir eigentlich auch.

Dennoch ist vor dem Spiel in Haifa, nach nur drei gewonnenen Punkten klar, dass Union dort unbedingt gewinnen muss, um sich die Chance aufs Weiterkommen zu bewahren.

Fünf Tage vor der Abreise erhalte ich ein Paket. Darin ist ein rotes T-Shirt mit der weißen Aufschrift: „Reisegruppe Unjewiss“. Geil! Haue hatte es an alle Mitreisenden gesandt. Die Vorfreude steigt maßlos.

Leider wird das Teil von Trueman in Frage gestellt: „Unjewiss“ könnte auch als „Unjewish“ (nicht jüdisch) interpretiert werden, was gerade in Israel für Unmut sorgen würde. Schweren Herzens lassen wir das Oberteil zu Hause.

Am 24.11.2021 klingelt um 3 : 30 Uhr der Wecker. Um 3 : 50 Uhr habe ich drei Anrufe in Abwesenheit, weil ich duschen war. Ich erfahre, dass der aufgeregte Rührer spontan über Carsharing ein Auto gemietet hat und Zille, Trueman, Rambo und mich einsammeln will.

Ich rufe zurück: „Rührer! Ich laufe fünf Minuten zum Ostkreuz, fahre 17 Minuten mit dem Regio und steige direkt am Terminal 1 wieder aus. Danke der Nachfrage, bis später!“

Ich mag es nicht, wenn mein morgendlicher Plan durcheinandergerät.

25 Minuten vor der Carsharing-Crew bin ich am neuen Hauptstadtflughafen.

Dort treffe ich die „Sektion Erfurt“. Ich kenne sie bisher lediglich aus legendären Geschichten, die über die Strolche im Umlauf sind. Über Glitter hörte ich, dass er ununterbrochen labern soll und ich weiß nicht, ob er mir damit schon am ersten Tag auf den Sack geht. Jedenfalls trägt er lustige Gary-Glitter-Klamotten aus den 80igern, inklusive Schiebermütze und ein rotes T-Shirt mit der Aufschrift: „Reisegruppe Unjewiss“. Grandiose Kommunikation!

Außerdem sieht er verpennt aus und trinkt eine Dose Berliner Pilsner. „El Rubio, ich freu mich so dermaßen, dich kennenzulernen. Du willst auch eins, gell?“, fragt er. Ich muss lachen, schüttele aber um 4 : 40 Uhr den Kopf.

Auch Jaschin scheint, trotz Jogginghose, ein angenehmer Zeitgenosse zu sein. Seine Eltern sind Russland-Deutsche, daher der Spitzname. Er fragt: „Wos flonnsd nor?“ (Warum lachst du?), im tiefstem Thüringischen Dialekt. „Na guck dir mal Glitter an, der säuft schon!“ Jaschin versteht nur Bahnhof und zieht sich selbst eine Bierdose auf.

Auch Jaschins hübsche, schwarzhaarige Freundin Nina ist ein Goldstück, besonders wenn sie lächelt, was jedoch erst zwei Stunden vor Abflug geschieht, als ihr PCR-Test endlich da ist. Wird trotzdem hart für sie als einzige Frau‘, denke ich, als die restliche Berliner Bande freudestrahlend eintrifft.

Am Easyjet-Schalter lassen wir unsere „Unterlagen“ abzeichnen, da wir (bis auf Glitter) alle nur Handgepäck haben und am Gate dann nicht mehr kontrolliert werden. „Nur für ein Land braucht man derzeit mehr Dinge zur Einreise“, erklärt uns der Typ vom Check-In, ohne dieses zu nennen. Wir haben alle acht (!) benötigten Bescheinigungen zur Hand.

Durch die Sicherheitsschleusen kommen wir halbwegs zügig und im Duty-Free kauft jeder noch eine Literflasche hochprozentigen Alkohol und eine Stange Zigaretten, da diese Güter in Israel arschteuer sein sollen.

Natürlich trödeln wir danach, weil es im BER eine Raucher-Lounge gibt. Was wir nicht wissen: Bei Flügen nach Israel muss man durch eine zweite Sicherheitsschleuse, die es in sich hat.

Ausgerechnet meine Flasche Wodka wird dort als „hochgefährlich“ vom Scanner eingestuft. Eine bewaffnete Beamtin muss sie zur Überprüfung in eine Apparatur legen, die auch für Atomsprengköpfe geeignet wäre – und lässt sie beim Entnehmen versehentlich fallen. Splitter! Knall!

Ich bin aufgrund der vorangeschrittenen Zeit angespannt, aber der Rührer brüllt: „Jetzt holst du dem El Rubio mal fix ’ne neue Pulle, Kollegin!“

Die Kontrolleurin sprintet tatsächlich los und besorgt mir aus dem Duty-Free Ersatz. Als zum Boarding aufgerufen wird, bin ich endlich am Gate.

Der Flug ist unspektakulär. Mit an Bord sind ein paar Ultras, einige echte Kanten und viele ältere Unioner, die sich das Spiel auf keinen Fall entgehen lassen wollen. Die meisten schlafen, weil sie in der Nacht kaum dazu gekommen waren, die Erfurter sowieso nicht. Niemand gibt sich dem Teufel Alkohol hin, außer die zwei Typen direkt hinter mir, die sich eine komplette Pulle Whiskey reinknallen mit der Begründung: „Beim Saufen muss man die Maske wenigstens nicht tragen.“

Danach seiern die vollsteifen Jungs nur noch sinnfreies Zeug. Sie scheinen keine Sorge, vor der Einreise in Israel zu haben.

Zurecht, denn diese ist, entgegen allen Berichten, ein Witz. Man muss sich an einem Scanner-Automaten einen Visums-Schnipsel ziehen und diesen zusammen mit seinem Reisepass an der Passkontrolle vorlegen.

Okay, wir werden gefragt: „Warum reisen Sie nach Israel?“ Der Typ vor uns sagt: „Ich will Gott begegnen“, und wird in ein dunkles Kämmerchen zur weiteren Klärung geleitet.

Zille antwortet entspannt: „Wir wollen zum Fußball nach Haifa“, was wohl schon etliche Unioner vor uns gebeichtet hatten. „Die hinter dir auch?“, fragt die freundliche Beamtin. Wir nicken und dürfen alle zusammen die Pässe abstempeln lassen.

Kein PCR-Test, keine Auslands-Krankenversicherung, kein Green-Pass und auch nicht der Impf-Status werden hinterfragt. Witz komm raus, du bist umzingelt.

Den Corona-PCR-Test nach der Einreise wollen wir dennoch nicht umgehen, weil wir nicht wissen, wie ernst sie die Kontrollen im Land nehmen. Außerdem dürfen wir unser Hotel eigentlich erst nach einem negativen Bescheid wieder verlassen.

In der riesigen Halle verlieren wir uns aus den Augen, aber nach erfolgter Rachenbohrung treffen wir uns alle hinter dem Ausgang wieder. Wir sind in Israel. Erste Etappe geschafft. Eisern!

Überraschenderweise sitzt Glitter dort schon auf einer Bank, obwohl er Aufgabegepäck hatte und trinkt mit Haue, der aus Wien eingetroffen war, leckeres Berliner Pilsner aus der Dose.

Ich schaue Glitter mit fragendem Blick an. „Das Bier gibt’s dort hinten am Automaten!“, ruft er richtungsweisend – und ich laufe im Wachkoma tatsächlich zum Getränke-Glaskasten, bis ich kapiere: Er hat mich verarscht. Berliner Pilsner!

Das Bier hatte er in seinem braunen 80er-Jahre Koffer eingeführt.

Der wiederum ist komplett im Arsch. Das Ding sieht aus, als hätten sie ihn von außen aufgeschlitzt. Aber der israelische Geheimdienst scheint cool zu sein: Die Pulle Rum, alle drei Schlüpfer und die beiden Dosen Bier wurden nicht konfisziert. Rambo kommt als Letzter und sagt: „Moin!“ Immerhin sein erstes Wort auf dieser Reise.

Nina, Jaschin, Trueman und der Rührer gehen zu SIXT, um den Bus abzuholen, während wir uns eine Zigarette anstecken und warten.

Eine hübsche, blonde Frau haut mich von der Seite an und ruft: „Schön dich zu sehen!“ Ich kenne sie nicht.

„Wir haben uns doch letzten Samstag nach dem 2 : 0 gegen Hertha an der Abseitsfalle kennengelernt!“, murmelt sie ein wenig enttäuscht.

Nach all den „Stadtmeister“-Bieren hätte an diesem Tag auch eine junge Pamela Anderson neben mir stehen können und ich wäre mir dessen heute nicht mehr bewusst.

Ich tausche mit Conny Telefonnummern aus. Die süße Endzwanzigerin ist allein unterwegs, bleibt für eine Nacht in Tel Aviv und reist dann erst morgen nach Haifa zum Unionspiel.

Nach einer Stunde kommt Trueman endlich mit einem weißen Renault-Transporter vorgefahren und sackt uns ein. Obwohl sich der Rührer vorgedrängelt hatte, mussten sie unfassbar viel Zeugs ausfüllen und den Wagen dann auch noch außerhalb des Flughafens abholen. Egal, jetzt sind sie ja da. Ein Unionschal wird an den rechten Außenspiegel gebunden. Die Auswärtstour der „Reisegruppe Unjewiss“ kann beginnen!

Trueman fährt mit der Begründung: „Sonst schieße ich mich ja sofort ab“, was nicht ganz stimmt, denn wir anderen haben auch kein Fahrtbier. Spätestens im zweiten Stau vor Netanja wird das zum echten Problem.

Der Rührer ruft so laut, als säße er auf dem Rücksitz einhundert Meter vom Fahrer entfernt, dass er Durst habe. Alsbald brüllen sieben Jungs, dass Trueman endlich mal rausfahren soll. Als Jaschin dann fast ins Lenkrad greift, biegen wir ab.

Wir haben Glück, denn es ist ein Rastplatz mit Kiosken, wo man auch Gerstensaft kaufen kann. Die Bierpreise sind mit vier Euro pro 0,33 Liter Pulle allerdings sportlich, wobei das situationsbedingt keine Rolle spielt. Mehrere Sixpacks wechseln den Besitzer.

Ich schaue auf mein Handy: Eine neue Nachricht – allerdings auf Hebräisch. ‚Bestimmt mein PCR-Test-Ergebnis‘, denke ich. Euphorisch laufe ich zu einem Pärchen, das mit uns auf dem Parkplatz rumlungert und frage, ob sie es übersetzen können.

Ihre Antwort: „Also eigentlich steht dort, dass du dich in Israel gerade in Quarantäne befindest und dich erst nach Erhalt deines PCR-Tests nach draußen begeben darfst.“ Aua! „Deine Freunde sicherlich auch?“, fragen sie. Zum Glück grinsen die beiden und meine Truppe bekommt sich gar nicht mehr ein, ob meiner Blödheit.

Haue ruft derweil: „Ich habe gerade mein PCR-Ergebnis bekommen. Aus Österreich. Negativ!“ Nach vorsichtiger Nachfrage erklärt er, dass sie ihn weder in Wien am Flughafen noch in Tel Aviv danach gefragt hätten, aber jetzt wäre es ja da. Rambo murmelt: „Ist nicht wahr“, sein erster vollständiger Satz in Israel.

Gut gelaunt erreichen wir das hügelige Haifa und können von einer kurvigen Highway-Konstruktion einen ersten Blick auf das beleuchtete Sammy-Ofer-Stadion erhaschen. Unser Hostel Roks liegt oberhalb der Altstadt und wird mit Handy-Navi recht bald gefunden.

Das Haus, in dem wir die nächsten zwei Tage nächtigen wollen, sieht von außen schäbig aus. Alex (der Vermieter) hatte dem Rührer für die Tür einen Zahlencode geschickt, den er natürlich nicht gleich findet. Er lautet: 1-2-4-8. Eigentlich leicht zu merken, wenn man mal kurz darüber nachdenkt.

Und dann die Überraschung im 4. Stock: Die Bude ist wunderschön! Sie hat nur sieben Zimmer, wovon wir fünf belegen. Die modern eingerichteten Räume gehen von einem gemütlichen Gemeinschafts-Wohnzimmer ab und eine Küche gibt es auch.

Alle Klos und Duschen sind zwar auf dem Gang, aber wir haben jeweils drei davon.

Von zwei unserer Zimmer gelangt man auf eine bestuhlte Außenterrasse mit Blick auf die Dächer der Altstadt. Sogar eine Palme und mediterranes Grün gibt es hier. Der Rührer und ich tauschen Blicke aus, nach dem Motto: „Schwein gehabt“, da wir die Hütte im Vollrausch im Berliner „RockZ“, nur wegen des Namens gebucht hatten.

Nachdem sich alle verteilt haben, gehen drei Jungs verbotenerweise raus, um zwei Stiegen Bier zu kaufen. Danach gammeln wir in der November-Abenddämmerung bei 20 Grad auf der Terrasse herum und warten auf das PCR-Ergebnis. Alle strahlen vor Glück, bis das Telefon von Billy klingelt.

Der Vermieter ist dran und erklärt ihm, dass seine Kreditkarte nicht funktioniert. Irgendwann heißt es: Er kommt kurz vorbei.

Alex ist jünger als wir und eingewanderter russischer Jude. Jaschin kann mit ihm perfekt kommunizieren. Er erklärt, wo wir kostenneutrale Kaffee-Pads und Milch finden und auch, dass die Dusche Nummer 1 derzeit geschlossen ist, da es dort ein Problem gab. Kein Ding: Zwei Duschen und drei Klos reichen locker für die verschwitzte Kackbande.

Der Rührer hatte eine abgelaufene Kreditkarte bei „Booking“ hinterlegt, doch Zille kramt seelenruhig 720 € in bar aus seiner Jacke und überreicht sie Alex. So werden in Israel Geschäfte gemacht! Nach einem von uns spendierten 100-Gramm-Wodka düst er wieder ab.

Bei einem Pegelstand von 1,5 Promille bekommen alle ihren (negativen) PCR-Bescheid. Nur Haue erhält nichts. Egal – wir haben jetzt Hunger!

Trueman hat derweil alkoholtechnisch aufgeholt und uns beschwipst einen Tisch in einem Restaurant reserviert. In Tel Aviv (statt in Haifa!), wie sich alsbald herausstellt, als wir den Laden bei Google Maps suchen. Rambo schüttelt den Kopf und murmelt erneut: „Ist nicht wahr.“

Plan B ist ein arabischer Imbiss, 100 Meter vom Hostel entfernt. Die neun Schawarma mit scharfer Soße, zu 7 € pro Fleischfladenbrot, munden vorzüglich und der zuvorkommende Inhaber erlaubt uns sogar, mitgebrachtes Bier an den Plastiktischen zu trinken. Es ist das Touristen-Geschäft seines Lebens im Jahr 2021, da wir anscheinend die ersten Ausländer seit vielen Monaten bei ihm sind.

Wenngleich besonders die Sektionen Erfurt und Österreich müde sind, überzeugen wir sie, auf einen Absacker in die Altstadt mitzukommen. Wir realisieren erstmals, dass wir direkt an einer U-Bahn-Station wohnen. Dennoch laufen wir hinunter nach Downtown und machen auf dem Weg erste Poser-Fotos für die Daheimgebliebenen.

Siebzig Höhenmeter tiefer sind wir auf Meeresniveau. Ich entdecke an einer grauen Häuserwand ein Graffiti mit dem Schriftzug: „Maccabi Haifa“. Auch dieses Foto geht viral mit dem Spruch: „Hier regiert der FCU!“

In der Altstadt gibt es etliche Kneipen und Bars. Wir entscheiden uns für eine Art Irish Pub, weil wir dort für alle draußen Platz finden. Auch hier ist die gemischte Belegschaft herzallerliebst.

Haifa gilt als Stadt, in der Juden und Araber vergleichsweise friedlich zusammenleben. Die arabischstämmigen Jungs drücken sogar Union die Daumen, weil sie Anhänger von Hapoel Haifa sind und Maccabi ablehnen.

Nur ein paar versprengte Berliner laufen vorbei, da die Mehrzahl heute in Partytown Tel Aviv abhängt. Die Jungs erkennen ihresgleichen und grüßen mit: „Eisern!“

Es ist noch immer eine laue Nacht in der nun Raki geordert wird, weil er mit vier Euro pro Glas günstiger als Bier ist. „Hätte ich mir teurer vorgestellt“, ruft Haue. „Du darfst noch gar nicht draußen sein“, antworte ich grinsend.

Zille kippt mit seinem Plastikstuhl nach hinten um, rappelt sich wieder hoch und setzt sich hin, als wäre nichts geschehen. Trueman wedelt derweil mit den Armen in Richtung Kellner, zum Zeichen, dass er nichts mehr trinken will. Es wird als eine neue Runde Raki missinterpretiert. Jaschin ruft „Nastrowje!“, Rambo grinst nur noch.

Zurück fahren wir mit der einzigen U-Bahn, die es in Israel gibt. Eigentlich ist es eine Standseilbahn, welche auf sechs Stationen 275 Höhenmeter am Nordhang des Karmel-Gebirges zu bewältigen hat. Sie ist damit eine der kürzesten Untergrund-Bahnen der Welt. Wir werden nur eine Station am Seil hochgezogen, weil wir dort wohnen. Die Thüringer staunen trotzdem, wie Ossis nach dem Genuss ihrer ersten Banane.

Noch immer grüßen uns alle Einheimischen mit einem eingemeißelten Lächeln. Trueman, der voran wankt, hat sich den Code für die Eingangstür weggesoffen. „Einfach nur verdoppeln, 1-2-4-8“, meckert Haue. Zeit für einen Absacker auf unserer Terrasse.

Glitter bekommt einen Laberflash. Die alten Geschichten, in denen Zille und der Rührer bei Erfurter Partys aufgetaucht und meistens (insbesondere frauentechnisch) komplett freigedreht sind, finde ich ausnahmslos lustig.

Auch Nina muss ansteckend lachen. Sie war früher wohl auch kein Kind von Traurigkeit. Gegen 2 Uhr dann endlich: Schlaf der Gerechten.

Am nächsten Morgen ist es unangenehm, dass ausgerechnet Trueman und ich im Durchgangszimmer zur Terrasse pennen, da schon ab 8 Uhr die ersten Wachkoma-Patienten durchtrampeln.

Und Nina, so gerne ich sie mag, kann um diese Zeit schon ordentlich sabbeln. Wie auch immer, der ruhige Jaschin holt vom Araber fantastisch riechendes Brot, Nina versorgt uns mit Kaffee und die Sonne strahlt uns schon wieder ins hässliche Unioner-Gesicht.

Plötzlich gibt es einen urst lauten Knall. Es klingt so, als wäre gerade jemand durch eine große Fensterfront geflogen, die dabei implodiert ist. Zehn Sekunden später kommt Glitter angerannt: „Da ist gerade richtige Scheiße passiert. Haue hat sich …“

Wir springen auf und rennen ihm hinterher. Im Bad steht unser Freund nackt in der Dusche und blutet aus mindestens 50 Wunden. In seinem Körper stecken unzählige Glasscherben. Duschkabine 1 ist komplett zertrümmert. Ein episches Schlachtfeld. „Ich wollte doch nur wieder rauskommen“, ruft Haue und dann: „Gibt’s noch Kaffee?“

Letztendlich war folgendes geschehen: Zille hatte, weil „ihm das alles zu blöd war“, die verschlossene Duschkabine 1 mit einem 10-Cent-Stück aufgeschlossen. Er hatte sich der Körperhygiene gewidmet und danach war Haue dort hineinspaziert.

Dieser ist – nach seinem Starkstrom-Unfall vor ein paar Jahren – nicht mehr im Vollbesitz aller Gliedmaßen. Egal, auch ich hätte an der gläsernen Tür mit allen zehn Fingern, wie behindert, gezogen, wenn ich sie von innen nicht mehr aufbekommen hätte. Das Ende vom Lied: 10.000 Scherben.

Ein Verletzter noch weit vor Spielbeginn des glorreichen FCU – und es ist nicht einmal der Rührer!