Reisetagebücher - Franz Grillparzer - E-Book

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Franz Grillparzer

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Beschreibung

Dieser Band beinhaltet die Aufzeichnungen, die der österreichische Nationaldichter auf seinen Reisen nach Deutschland, Frankreich, England und Griechenland verfasst hat.

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Reisetagebücher

Franz Grillparzer

Inhalt:

Franz Grillparzer – Biografie und Bibliografie

Reisetagebücher

Tagebuch auf der Reise nach Deutschland.

Tagebuch auf der Reise nach Frankreich und England.

Tagebuch auf der Reise nach Griechenland

Reisetagebücher, F. Grillparzer

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

ISBN:9783849626488

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Franz Grillparzer – Biografie und Bibliografie

Hervorragender Dichter, geb. 15. Jan. 1791 in Wien, gest. daselbst 21. Jan. 1872, war der Sohn eines geachteten Advokaten, der schon 1809 starb und seine Familie in Not zurückließ. Er studierte 1807–11 in Wien die Rechte, mußte sich aber frühzeitig nach Erwerb umsehen und trat 1813 als Konzeptspraktikant bei der niederösterreichischen Bankal-Gefällsadministration in den Staatsdienst, den er auch nicht wieder verließ, als er ein berühmter Dichter geworden war. 1823 wurde G. Hofkonzipist bei der Hofkammer (dem späteren Finanzministerium), 1832 ihr Archivdirektor, 1856 trat er als Hofrat in den Ruhestand. Verheiratet war er nie, obwohl er verlobt gewesen war und mit seiner Braut (Kathi Fröhlich, s. d.) bis zum Tode befreundet blieb. So einfach dieser Lebenslauf äußerlich zu sein scheint, so reich und merkwürdig ist Grillparzers innere und seine literarische Lebensgeschichte, die erst im letzten Jahrzehnt durch die Veröffentlichung seiner Tagebücher, Jugendwerke, Fragmente und kritischen Studien genauer bekannt geworden ist. Das Amt betrachtete G. wesentlich nur als Schutz für seine materielle Unabhängigkeit im dichterischen Schaffen, es legte ihm aber manchen Zwang auf und bestimmte vielfach auch sein literarisches Schicksal. Als G. heran wuchs, konnte er schon die Früchte der großen Blütezeit der deutschen Literatur genießen; Lessing, Herder, Schiller und Goethe wurden ihm vertraut, ihr Humanitätsideal wurde das seine, und er studierte auch eifrig die Kantsche Philosophie, deren Anhänger er zeitlebens blieb. G. wuchs ferner als Wiener in josephinisch-liberalen Traditionen auf, war ein eifriger Theaterbesucher, und die volkstümliche Literatur der Wiener Vorstadttheater wurde für die Bildung seines Geschmacks von nicht geringerer Wichtigkeit als das Studium der großen Tondichter Haydn, Mozart, Beethoven, das er mit Talent und Eifer pflegte. G. versuchte sich schon früh mit Kleinigkeiten in der dramatischen Kunst. 1807–1809 schrieb er ein weitschichtiges Trauerspiel. »Blanca von Kastilien«, das noch ganz im Banne Schillers (»Don Carlos«) steht (vgl. Hafner, Die Nachahmung Schillers im Erstlingsdrama Grillparzers »Blanca von Kastilien«, Meran 1901). Später ging ihm Sinn und Verständnis für die Kunst Goethes und Shakespeares auf, bis er seinen eignen Ton in dem prächtigen Torso einer (erst 1888 gedruckten) »Spartacus«-Tragödie fand, die seinem patriotischen Schmerz über die Franzosenherrschaft in Österreich vortrefflichen Ausdruck gibt. Auch mit der deutschen Romantik wurde G. vertraut; obgleich er sich später polemisch zu ihren Führern und Theorien stellte, so blieben sie doch nicht ohne Einwirkung auf ihn, indem sie ihm zum Studium der Spanier und zu seiner Anschauung der Geschichte die Anregung gaben. 1817 wurde in Wien seine erste Tragödie: »Die Ahnfrau«, ausgeführt und errang mit der stürmischen Leidenschaft ihrer Handlung und mit dem Zauber ihrer Sprache hier wie bald darauf in ganz Deutschland außerordentlichen Erfolg (vgl. Wyplel, Ein Schauerroman als Quelle der. Ahnfrau', im »Euphorion«, Bd. 7, Wien 1900; Kohm, Grillparzers Tragödie. 'Die Ahnfrau' in ihrer gegenwärtigen und frühern Gestalt, das. 1903). Nach diesem Werk zu urteilen, schien G. zur Gruppe der sogen. Schicksalsdichter zu gehören, und die »Ahnfrau« war in der Tat eine Schicksalstragödie. Aber schon ein Jahr später, 1818, lieferte er mit seinem klassisch vollendeten Trauerspiel »Sappho« den Beweis, das Eine Schicksalstragödie noch nicht den Charakter seines ganzen Dichtens bestimme. Daß dies aber von maßgebenden Kritikern seiner Zeit nicht bedacht wurde, und daß man ihn, ohne seine andern Werke zu prüfen, in die Reihe der Müllner und Houwald schob: das verdroß G. mit Recht sein lebelang und wurde der Grund für seine vielen bittern Urteile über deutsche Kritiker. In der »Sappho« stellte G. die Kluft zwischen Leben und Dichten, zwischen naiver Natur und reflektierender Genialität dar, »le malheur d'être poëte«, wie er selbst sagte. Mit diesem Seitenstück zu Goethes »Tasso« trat er in die Reihe der ersten dramatischen Dichter. Schon 1822 folgte seine große Trilogie. »Das Goldene Vlies«, bestehend aus den Dramen: »Der Gastfreund«, »Die Argonauten« und »Medea«, in denen G. wiederum das idyllische Glück der Natur und Naivität dem (ebenso natürlichen und eben darum tragischen) Streben nach bewußter Kultur, nach Größe und Ruhm gegenüberstellt. Denselben Gedanken verkörpert sein prächtiges dramatisches Märchen »Der Traum ein Leben« (1834): »Eines nur ist Glück hienieden,-Eins: des Innern stiller Frieden – Und die schuldbefreite Brust«. G. war nicht (wie Schiller) der Dichter der heroischen Tat, sondern des Zwiespalts zwischen Wollen und Können, den er auch persönlich am schmerzlichsten empfand; er war keine Kämpfernatur, sondern mied den politischen und literarischen Kampf in allzu scheuer Empfindlichkeit. Die Hinfälligkeit menschlicher Größe ist das tragische Grundmotiv auch seiner großen historischen Tragödie »König Ottokars Glück und Ende« (1825), welche eine Reihe österreichischer Historien eröffnen sollte. Im vormärzlichen Österreich, unter der Zensur- und Polizeiherrschaft, konnte jedoch solche Kunst nicht gedeihen, sie fand gar keine Unterstützung, ja, sie wurde geradezu unterdrückt. 1828 folgte »Ein treuer Diener seines Herrn«, eine Charaktertragödie, die lange Zeit ganz mißverstanden wurde und den Dichter, der mit Freimut einen Fürstenspiegel schuf, in den Verruf eines Fürstenknechtes brachte. Der Unverstand, mit dem diese, und die Kälte, mit der seine weihevolle Liebestragödie »Des Meeres und der Liebe Wellen« (1831) aufgenommen wurden, steigerten Grillparzers Neigung zur selbstquälerischen Schwermut ins Maßlose, so daß er an sich verzweifelte und sogar Selbstmordgedanken hegte. Mehrere Reisen, die er machte (1823 war er in Italien, 1826 in Deutschland und besuchte bei dieser Gelegenheit Goethe in Weimar, 1838 in Frankreich und England, 1843 in Athen und Konstantinopel), konnten sein Gemüt nicht befreien, und als 1838 sein geistvolles Lustspiel »Weh' dem, der lügt« in wenig ehrenvoller Weise abgelehnt wurde, da zog sich G. gänzlich von der Öffentlichkeit zurück und ließ kein neues Stück mehr ausführen. Doch trat er in den Stürmen des Jahres 1848 wieder Aufsehen erregend mit seinem Gedicht »An Radetzky« hervor. Denn wie sehr er auch unter dem Metternichschen System gelitten haben mochte, so schien ihm der Bestand und die Einheit seines geliebten Österreich von den Revolutionären gefährdet, und er rief dem Heerführer zu: »In deinem Lager ist Österreich!« Als Heinrich Laube Direktor des Wiener Hofburgtheaters war (1849–68), zog er die halbvergessenen Tragödien des vergrämten Dichters wieder aus Licht, und nun gelangten sie zu bleibender Geltung auf der deutschen Bühne. Grillparzers fernere Dichtungen von großer Bedeutung: »Die Jüdin von Toledo«, »Ein Bruderzwist im Hause Habsburg« und »Libussa«, gelangten erst nach seinem Tod in die Öffentlichkeit. nur das Fragment seiner herrlichen »Esther« erschien 1861 im »Dichterbuch« von Emil Kuh (ergänzt wurde[339] es von N. Krauß, Stuttg. 1903). Seine langjährige Zurückgezogenheit füllte der Dichter mit literarischen Studien und mit der Abfassung von Epigrammen aus, die viel Bitterkeit, aber auch sehr viel Weisheit enthalten. Seine wundersam schöne Novelle »Der arme Spielmann« fand bei ihrer ersten Publikation 1848 keine große Verbreitung, une man sich überhaupt des hohen Wertes seiner Poesie, die auch be deutende lyrische Dichtungen (»Tristia ex Ponto« u. a.) enthält, erst nach seinem Tode bewußt wurde, als ihre Gesamtausgabe (10 Bde., Stuttg. 1871; 5. vermehrte Aufl., besorgt von A. Sauer, das. 1892–1894, 20 Bde.; 1902, 8 Bde.) erschien. Eine Ergänzung dazu bilden die »Briefe und Tagebücher«, herausgegeben von Glossy und Sauer (Stuttg. 1903, 2 Bde.). Sorgfältig kommentierte Ausgaben lieferten R. Franz (Leipz. 1903, 5 Bde.) und M. Necker (das. 1903, 16 Bde.). Die Zeitgenossen überhäuften den greifen Dichter mit Ehren: 1847 wurde er Mitglied der Akademie der Wissenschaften, 1361 Mitglied des österreichischen Herrenhauses, sein 30. Geburtstag wurde in außerordentlicher, Weise, als ein Fest von ganz Österreich gefeiert; aber alle diese späten Auszeichnungen konnten wenig an der Stimmung des Greises ändern. Die Nachwelt sucht sich in liebevoller Hingabe seiner geistigen Hinterlassenschaft zu bemächtigen. Am 23. Mai 1889 wurde im Wiener Volksgarten sein Denkmal (modelliert von Kundmann, mit Reliefs von Weyr; vgl. Tafel »Wiener Denkmäler«) errichtet. Aus der reichen Literatur über G. heben wir hervor: August Sauers biographische Einleitung zu Grillparzers sämtlichen Werken (Stuttg. 1892); das »Jahrbuch« der 1890 in Wien gegründeten Grillparzer-Gesellschaft (redigiert von Glossy, Wien 1890 ff.; enthält Briefe, Tagebücher, Abhandlungen etc. von und über G.); H. Laube, F. Grillparzers Lebensgeschichte (Stuttg. 1884); Lange, G., sein Leben, Dichten und Denken (Gütersl. 1894); W. v. Wartenegg, Erinnerungen an Franz G. (Wien 1901); Sittenberger, G., sein Leben und Wirken (Berl. 1903) und Studien zur Dramaturgie der Gegenwart (Münch. 1898); vortrefflich ist Ehrhard, Franz G. Le théâtreen Autriche (Par. 1900; deutsch von Necker, Münch. 1902); Auguste v. Littrow-Bischoff, Aus dem persönlichen Verkehr mit F. G. (Wien 1873); J. Minor, Rede auf G. (Leipz. 1892); Volkelt, Franz G. als Dichter des Tragischen (Nördling. 1888); Reich, Grillparzers Kunstphilosophie (das. 1890) und F. Grillparzers Dramen (Dresd. 1894); Schwering, F. Grillparzers hellenische Trauerspiele auf ihre literarischen Quellen und Vorbilder geprüft (Paderborn 1891); Farinelli, G. und Lope de Vega (Berl. 1894) und G. und Raimund (Leipz. 1897); Lichtenheld G.-Studien (Wien 1891); A. Klaar, König Ottokars Glück und Ende (Leipz. 1885); Schiller, Bilder aus G. (Wien 1902). Vgl. auch Tomanetz, Studien zur Syntax in Grillparzers Prosa (Wien 1894); Küchling, Studien zur Sprache des jungen G. (Leipz. 1901).

Reisetagebücher

Tagebuch auf der Reise nach Deutschland.

(1826.)

Am 21. August abends um halb zehn Uhr von Wien abgereist. Mit traurigem Gemüt. Vorzüglich angeregt durch die unwillkürliche Vergleichung des gegenwärtigen Zustandes mit jenem, in dem ich Wien vor sieben Jahren zur Reise nach Italien verließ. Damals voll Hoffnung und Blüte, »im Uebermut des Wagens und der That« –jetzt beinah verwelkt und kleinlaut. Weiß Gott, ich zwinge mich zu dieser Reise, und ich appliziere sie mir wie eine Vesikatur als letztes Mittel, um zu sehen, ob's noch zieht und ob noch ein Rest von Lebenskraft vorhanden.

Ich beginne diese Reise mit einem eigenen unangenehmen Vorgefühle.

Im Wagen ein Kaufmann aus Wien und zwei Juden. Höchst unangenehm.

Die Nacht hindurch gefahren. Aufgang der Sonne in der Nähe von Znaim. Erinnerung an die fatalen Reisen, die ich auf derselben Straße mit dem nunmehr verstorbenen Graf Stadion gemacht. So wenig angenehm nun der gegenwärtige Ausflug ist, so soll er doch, will ich hoffen, besser ausfallen, als jene Fronfahrten.

Den Tag im Wagen zugebracht, wie man ihn nach einer durchwachten Nacht, zerschüttelt, von Hitze und dem ungeheuersten Staube gequält, vis-à-vis von zwei Juden zubringen kann. Mittags in Budwitz. Gegen Abend glücklicherweise vor Iglau die Achse gebrochen. Glücklicherweise, da der Zufall doch Gelegenheit gab, ein wenig sich zu erholen.

Komisch war anzusehen, wie eine Station vor Iglau der Schmied des Ortes den Kondukteur auf den Bruch der Achse aufmerksam machte. Der Mann hatte auf eine fast unbegreifliche Weise das am unteren Teile der Achse befindliche Gebrechen im Vorbeigehen sogleich bemerkt. Kaum aber hatte er es ausgesprochen, als alles über ihn herfiel, ihn mit Schimpfworten überhäufte, seine angebotenen Dienste zurückwies, und doch war die Achse wirklich gebrochen und wir waren ihm eher Dank schuldig. Ich erkundigte mich und erfuhr nun, daß der Mann, wie gesagt, Schmied des Ortes, und wohl oft ohne Arbeit, sich ein eigenes Geschäft daraus mache, den ankommenden Wagen aufzulauern und den Leuten die gute Laune durch Entdeckung eines Gebrechens an denselben zu verleiden. Daher ist der Mann bekannt und verhaßt. Niemand läßt etwas bei ihm reparieren, sondern man fährt aus Abgunst lieber mit Gefahr eine Station weiter, und doch setzt der Schmied sein odiöses Geschäft immer fort.

Ich bewunderte, wie ruhig er fortging, wie er auf alle Schmähungen nicht ein Wort erwiderte, als ob die anderen ein Recht hätten, sie ihm zu sagen. Er souteniert wenigstens seinen Charakter,

In Iglau zwei Stunden, während der Wiederherstellung der Achse herumgeschlendert. Die Stadt nicht übel, der Menschenschlag hübsch. Ein Haus nahe dem Thor von oben bis unten mit beinahe ganz geschwärzten Malereien bedeckt. Oben und unten biblische Geschichten, in der mittleren Reihe den Einzug eines großen Herrn darstellend, Karls V., wie man mir sagte. Das ganze recht gut gemalt; besonders scheinen in dem Festzuge die Gesichter all dieser Ritter und Herren meist mehr Ausgedrücktes und Bezeichnendes gehabt zu haben, als von einer solchen Schilderei zu erwarten ist.

Bei einbrechender Dunkelheit abgereist, die Nacht durch gefahren. Gewitter und Regen. Sobald man die böhmische Grenze überschritten hat, fährt man schlechter, langsamer. – Tagesanbruch, Bilde ich's mir ein, oder ist die, im Grunde nicht so üble Gegend wirklich – wie soll ich's nennen? – ernster, herber, rauher als in Oestreich und Mähren, Straßenbettler häufiger und unverschämter. Einem meiner Reisegefährten fiel der Mantel vom Wagen; der Postillon stieg ab und holte ihn, der etwa zehn Schritte zurücklag.

Da wir in der Station angekommen waren, begehrte der Postillon ein eigenes Trinkgeld für das Holen des Mantels.

Endlich erblickt man Prag, herrlich gelegen im Umkreise seiner Berge.

23. Ich kam mit einer Art Vorurteil gegen Prag hier an. Das wahrhaft läppische Mißverstehen meines Ottokar, die lächerliche Wut, in welche der beschränkte Nationalsinn der hiesigen Einwohnerschaft über dieses unschuldig gemeinte Stück geriet, hatte mich höchst ungünstig vorbereitet. Demungeachtet aber konnte ich mich des grandiosen Eindruckes nicht erwehren, den diese Stadt auf jeden Beschauenden machen muß. Die Lage im Kessel von schönen und reich bepflanzten Bergen, überall vorteilhafte Linien bildend, der breite Fluß mitten durch die Stadt, das Häusergewühl durch sonderbare Türme und hervorragende Gebäude aller Art wohlthuend unterbrochen und in Partien gesondert, der Hradschin das Ganze krönend, alles trägt dazu bei, diese Stadt, recht gemäldehaft, zu einer der schönsten für den Beschauer zu machen. Es ist hier etwas, das an Venedig erinnert; das Fortlebende nämlich, das Altertümliche zwischen und neben dem Neuen. Rathaus und die Türme an der Brücke rufen Florenz zurück, und im ganzen machte mir Prag wirklich einen ähnlichen Eindruck mit letztgenannter Stadt.

Der schönste Ueberblick ist vom sogenannten Lorenzberge, Ich war mit Pußwald gegen Abend in dem dort oben gelegenen Gasthause, die Hasenburg genannt, und ich muß gestehen, daß ich mir etwas Reizenderes kaum denken kann, als Prag von diesem Standpunkte. Die Bauwerke aus früherer Zeit haben hier durchaus etwas Phantastisches, das in einem sonderbaren Einklange mit dem Geiste der ältesten Geschichte Böhmens, der romanhaftesten, die ich kenne, steht. Diese vielen Türme mit vielfachen Spitzen, jeder anders und nur in der Seltsamkeit übereinstimmend; diese Kirchen, kaum eine schön, aber alle auffallend, mitunter wunderlich, z. B. die Domkirche mit ihren Schnörkeln und Säulchen, mit ihren Strebepfeilern, die nichts tragen, und ihren Bögen, die nichts stützen, ein treffendes Bild der Willkürlichkeit, jedes Glied gleichsam ohne Zweck, wie nur um seiner selbst willen hingestellt, und doch im Gesamteindruck so wunderbar. Kurz, diese Stadt trägt nicht das Gepräge des befriedigten Bedürfnisses, sondern der freien schaffenden Geisteskraft, sie besteht nicht aus Wohnungen, sondern aus Gebäuden. Wenn dieses letztere freilich nur von den Ueberbleibseln der älteren Zeit gilt, so reihen sich die neueren Häuser ihnen doch so an, daß sie den würdigen Eindruck durchaus nicht stören, und man kann Prag wirklich eine schöne Stadt nennen.

Die Brücke etwas derb, aber schön, die angebrachten Bildsäulen, sonst überall plump, stimmen zum Ganzen; dieser ärmliche Fluß dehnt sich hier zum breiten Strome aus, freilich ebenso seicht als er breit ist. Verhüte Gott, daß er je ein Symbol der Nationalbildung sei!

24. Auf dem Hradschin gewesen. Das königliche Schloß sehr unter meiner Erwartung, Ich ziehe die Wiener Burg vor. Dort sieht man doch die Generationen, die daran gebaut haben und freut sich, daß so unumschränkte Herrn sich behelfen und begnügen; hier sind Summen verschwendet und doch nichts erreicht. Das Ganze weitläufig und doch nicht groß; kasernenartig, ohne architektonische Bedeutenheit. Ueberhaupt ist der Hradschin der Ort nicht, von dem aus sich Prag im Glanze zeigt; der Aussicht vom Hradschin fehlt das Beste, der Hradschin selbst nämlich, der den Anblick von Prag erst zu dem macht, was er von jedem andern Standpunkte aus ist. Von der Ferne stellt sich auch das Schloß herrlich dar, in der Nähe, wie gesagt, gefällt es mir nicht.

Die Domkirche besehen. So viel Merkwürdiges, daß man kaum weiß, wo man Hinsehen solle. Ottokars Grabmal. Die Figur verstümmelt, die Nase fort, kaum eine Physiognomie erkennbar. Der Körper tüchtig, nicht allzu groß, Ich habe den Mann aufrichtig um Verzeihung gebeten, wenn ich ihm irgend worin unrecht gethan haben sollte. Uebrigens zeichnet sein Grab nichts aus und er liegt ununterschieden unter den Spitihniev und anderen Tröpfen, vor denen er so ausgezeichnet war. Die Preußen haben einen Teil dieser Kirche zusammengeschossen, gegenwärtig nimmt sie sich von dieser Kehrseite und im Innern (als Ganzes) nicht zum besten aus.

Diese Stadt bringt mir, außer einem wirklich ausgeführten (Ottokar), auch noch zwei entworfene Trauerspiele ins Gedächtnis: Drahomira und Rudolf II. Von ersterem, besonders dem heiligen Wenzel, ist namentlich diese Domkirche übervoll. Gemälde, seine Lebensgeschichte darstellend, sein Helm und Panzerhemde, der Ring, an den sich haltend, er getötet wurde (wenn man anders damals in Böhmen Messing schon kannte); alles erinnert an ihn und an seinen Bruder Boleslav.

Hingegen kaum eine Spur von Rudolf II. zu finden, und doch muß er für Prag so viel gethan haben.

Das königliche Schloß trägt seines Bruders Mathias Namen an der Stirne. Hat es denn nicht schon Rudolf bewohnt? Der stille Kaiser Rudolf.

In der Judenstadt gewesen. Schmutz, Schmutz, Schmutz! Man begreift, warum dieses Volk keine Schweine ißt.

Es wäre eine eigentliche Hyophagie (Anthropophagie). Und doch sah ich drei der schönsten Mädchen, die ich je gesehen, in dieser Judenstadt, und alle drei offenbar Jüdinnen. Die eine beinahe griechisch und ideal, die andern menschlich, leiblich, fleischlich, was man will; aber äußerst hübsch.

Diese Stadt hat mich einigermaßen mit der böhmischen Nation ausgesöhnt, die ich nie habe leiden mögen. Eigentlich sollte man über kein Volk aburteilen, bevor man es in seiner Heimat gesehen. Ist nicht der Italiener, daheim klug wie keiner, in der Fremde häufig die eigentlichste Karikatur? Gewisse Eigenschaften bedürfen gewisser Unterlagen und Umgebungen, außer dem Zusammenhange wird das Konsequenteste absurd.

25. Von Prag abgereist. Mit Lohnkutscher, ein alberner alter Mann mit seiner häßlichen, aber offenbar gutmütigen Frau im Fond des Wagens; ich und ein Goldschmied, geborner Böhme, jetzt zu Berlin etabliert, auf dem Rücksitze; eine Art Student als blinder Passagier auf dem Kutschbocke. Staub und Hitze. Langweilige Reise. Die Landschaft unbedeutend, die Staffage (unsere Gesellschaft) ganz analog. Der alte Mann, der nach Töplitz geht, um sich heilen zu lassen (offenbar mit Rücksicht auf das punctum puncti, wie abgebrochene Seufzer und Reden zu seiner Frau andeuten), ist von einem Leichtsinn, wie man ihn in diesen Jahren wohl selten findet, hierin nur mit dem alten F. vergleichbar.

Mittagbrot in ***. Das Essen schlecht, die Zeche verhältnismäßig ungeheuer. Meine Gesellschaft erboste sich, mich amüsierte das Unverschämte der Forderung und das Benehmen der Kellnerin, eines hübschen und offenbar klugen und bestimmten Mädchens. Seitdem feindet mich der alte Pantalon an und richtet seine Reden vorzugsweise im Wagen an den böhmischen Berliner. Der Mann ist offenbar Beamter und rechnet sich doch wohl zu den Gebildeten; das hindert ihn aber nicht, Urinen statt Ruinen zu sagen, und von einem Gemälde zu erzählen, das der berühmte Maler Raphael oder Gabriel gemalt habe.

Bei Tische die Bekanntschaft einer hübschen Sächsin gemacht, die mit ihrem Mann da war. Schöne blaue Augen, das übrige freilich weniger bedeutend.

Gegen Abend die schönen Grenzberge ins Auge bekommen. Das Herz ging mir auf bei dem Anblicke. Sie sind nicht sehr hoch, aber von den reizendsten Formen, Die Sonne im Sinken, einige Wölkchen am Himmel, folglich die Beleuchtung, wie sie eine Berglandschaft erfordert. Ich stieg aus und ging der wehenden Luft entgegen, die Körper gewinnt und trinkbar wird. Die Schönheit der Berge nimmt aber keineswegs zu im Fortschreiten, wie man mir früher glauben gemacht; die ersten Massen mit ihrem herrlichen Abstich gegen das flache Land sind und bleiben die schönsten.

Die hübsche Sächsin in der Schenke wieder gesehen, gesprochen. Der Mann scheint eifersüchtig.

Die Dunkelheit nimmt zu, die Berge werden formlos, es ist Nacht. Wir fahren noch immer. Endlich beleuchtete Fenster von Töplitz.

26. Gut geschlafen. Früh morgens fort. Hier ward ich das erste Mal in meinem Leben verkauft, und zwar für einen Thaler courant. Der Fuhrmann aus Prag, ein Spitzbube, erklärte nämlich hier erst, daß er nicht bis Dresden fahren könne, statt seiner aber einen andern stellen wolle. Er brachte auch auf der Stelle einen Sachsen im blauen Fuhrmannshemde, der sich mit einigen Späßchen als »ein Franzose« ankündigte, und den ich mir endlich gefallen ließ. Bei der Abreise zeigte sich aber erst, daß sein Wagen schon besetzt sei; und nun erhob er den Kutschersitz zum Kabriolett für zwei Personen, indem er sich selbst auf einem schmalen Brettchen querüber hart an der Deichsel setzte. Der Kutscher widerte mir anfangs mit seiner Gernklugheit, seiner Sprechseligkeit, in der Folge zeigte er sich aber doch als ein tüchtiger, zwar geldliebender, aber nicht gerade habsüchtiger Mann, Belehrungen teilte er überall aus. Den Buben, die die Vorspann führten, predigte er gegen den Eigennutz: Hier habt ihr zwei Groschen mehr, rief er ihnen zu, aber verkauft nicht Leib und Seele für ein paar Dreier! Eure Herzen müßt ihr bilden. Ja, sagten die Knaben, und nahmen das Geld. Hierauf beschloß er, seine Passagiers zu unterhalten und hub ein Lied von einem braven Mann ganz gräßlich zu blöken an. So ging's fort. Die Gegend nicht so schön, als ich sie mir aus Beschreibungen vorgestellt. Die Lage, die Aussicht nicht überraschend, wenn man in Salzburg gewesen ist. Mittags in Gießhübel. Da hörte ich zuerst dieses Volk seine blökende E-Sprache ausbreiten. Ein ältlicher Mann vom Stande quäkte und näselte so, daß mir bald wirklich schlimm geworden wäre. Endlich aufgebrochen und fort durch das schöne, ich möchte sagen gebildete Land, Der Abstich zwischen Böhmen und Sachsen ist wirklich ungeheuer.

Angehalten. In der Wirtsstube ein Mädchen, das mich durch die Unverschämtheit, mit der sie sich alles bieten ließ, wirklich empörte, und dazu die reine, gebildete Sprache. Ein sonderbarer Eindruck.

27. Drääsden. Gestern abend hier angekommen. Die Nacht hier geschlafen. Nichts kann mit dem unangenehmen Gefühle verglichen werden, mit dem ich mich hier empfinde. Diese quäkenden Frösche mit ihrer äußern Höflichkeit und innern Grobheit, mit ihrer Bereitwilligkeit und Thatlosigkeit, ihrer schwächlichen Großthuerei, all das ekelt mich an. Wir mußten erst vor zwei Gasthöfen anfahren, bis ich hier, im Engel, endlich Platz fand. Mein Hut war aus Versehen im Gasthause zur Stadt Wien zurückgeblieben. Ich gab gestern zweien von den Hausburschen den Auftrag, ihn zu holen; jeder von beiden war so bereitwillig, daß ich fast fürchtete, die Leute könnten sich durch zu große Eile Schaden thun, aber am Ende war keiner gegangen. Zu Abend bei Tische waren mehrere junge Offiziere, die von nichts anderem sprachen, als wieviel Flaschen Champagner sie nun getrunken hätten, dabei sprachen sie einige: Gott verdamm mich und andere derlei Phrasen, und am Ende hatten sie zu vieren drei Flaschen getrunken.

Die Sprache dieser Leute beleidigt mein Ohr. Ein Oestreicher kann mit seinem Jargon einem Fremden bäurisch vorkommen, die Sprache dieser Leute aber ist unleidlich. Sie ist unmännlich, geckenhaft, wie von und für Kopflose. Alle scharf denkenden und lebhaft fühlenden Nationen sprechen nicht sowohl schnell (das thun die Sachsen im Uebermaß) als abbreviert. Sie ziehen zusammen, verschlucken einen Teil der Buchstaben, z.B. Franzosen, Engländer; aber die Leute dahier dehnen jede Silbe, verlängern jedes Wort, hängen überall ein Lieblings-E an, so daß ihre Sprache endlich ein förmliches Mäh, Mäh von Schafen wird.

Indem ich schreibe, werde ich ruhiger. Ich hatte gestern abends mich geärgert, die Nacht schlecht geschlafen und mich mit den unleidlichsten Gedanken im Bette herumgewälzt. Mir war, als müsse ich auf der Stelle wieder umkehren und wieder nach Hause reisen. Was will ich denn eigentlich hier? Was will ich im übrigen Deutschland? – Mich zerstreuen? Ich bin zerstreut genug. Wissenschaftliche und Kunstanstalten kennen lernen? – Dazu wird mein Aufenthalt an jedem Orte zu kurz sein. Die Gelehrten, die Künstler kennen lernen? – Gehöre ich denn noch unter sie? Hier ist die Quelle meiner Marter, der Mittelpunkt meines Lebensüberdrusses: daß ich nicht fähig bin zu schaffen und ein dunkles Gefühl mir die Fratze vorhält, ich werde es nie mehr werden, das jagt mich wie ein gehetztes Wild. Mit welcher Empfindung werde ich den hiesigen Litteratoren entgegentreten? Nicht als ob ich sie scheute, dazu achte ich sie zu wenig, und erst bei Goethe wird mir Bangigkeit ankommen, aber am Ende sind sie doch thätig, sind doch was sie sein können, was sie immer waren; und wenn ich mich trotz allem für besser halte, als sie sind, was nützt mir das? Selbstschätzung war mir immer fremd, und ich kann nicht begreifen, wie einer dadurch besser sein kann, weil ein anderer schlechter ist, aut Caesar aut nihil. Deutschland ist von meiner Seite sicher vor den welken Früchten eines erkaltenden Talents.

Tieck besucht. Voll Geist ist der Mann und gut spricht er, aber es gibt einen διχαιοσ und einen αδιχοσ  λογοσ. Bald unterbrach uns der Buchhändler Schlesinger aus Berlin und schmusete bis ich fortging. Manchen Leuten bleibt es unbegreiflich, daß sie ennuyieren könnten. Als an einem Sonntage die katholische Kirche besucht, Instrumentalmusik und Chöre sehr gut, erstere doch einigemal gefehlt, Flöten verstimmt. Ein trefflicher Bassist. Zwei Kastraten, der Altsänger sehr gut, der Sopran schneidend, in der Höhe falsch, ohne Verbindung der Fistel- und Mitteltöne, wenig Gesangbildung. Der König und das ganze königliche Haus in großer Andacht zugegen. In den Gängen der Kirche zwei gallonierte Thürsteher des Königs, die, indem sie jede Störung hindern wollten, selbst die größte Störung verursachten. Nachmittags im Linkeschen Bade. Hübscher Ort. Großes Konzert gegen einen Groschen Einlage. Uebrigens weniger schlecht, als der Preis vermuten ließ. Die Weiber alle mit der Strickerei in der Hand. Diese Leute sehen sehr gutmütig, aber langweilig aus. Noch kein schönes, kaum ein paar hübsche Mädchen gesehen. Ich glaube, die Dresdenerinnen kommen mit 30 Jahren zur Welt, bis jetzt sah ich beinahe noch keine junge. Verhältnismäßig viel Mißgestaltete und Zwerge.

Abends bei Tieck, Er las den Kaufmann von Venedig vortrefflich. Sein Vorlesen bringt die Wirkung der besten Darstellung auf der Bühne hervor. Da er aber während der Akte nicht absetzte und die Aufmerksamkeit immer gespannt blieb, so ward bei der großen Hitze das Ganze zuletzt in hohem Grade ermüdend, und ich hatte Mühe, die Augen offen zu behalten.

28. Konnte nachts nicht schlafen. Der kleine Kerl mit seiner Vorlesung hatte mich ganz wirblicht gemacht. (Es regnet.)

Die Galerie besehen, Himmel, welcher Reichtum! Ich dachte immer, die Gemäldesammlung in Wien wäre bedeutend, aber was ist das gegen diese. Ich habe in vier Stunden 413 Nummern besehen und mich absichtlich genau nach der Ordnung der Gemälde gehalten, obschon es mich drängte, einen Blick auf den Raphael zu anticipieren. In die äußere Galerie sind die Holländer, Deutschen und Franzosen verwiesen, das innere Heiligtum haben die Italiener. Mit Recht, deucht mir, wenn man schon nach Schulen und Nationen sondert, was gleichfalls recht ist, wie ich glaube.

An Niederländern nun hat diese Galerie den unglaublichsten Reichtum. Historien und Stillleben, Schlacht-, Blumen-, Fruchtstücke, Landschaften in höchster Vollendung, alles ist da aufgehäuft, obwohl meistens mehr dem Bezeichnenden huldigend als dem Schönen.

Alles überragend, was ich heute gesehen, steht die Verstoßung der Hagar von Adrian van der Werff, ein Bild, das nach meinem Gefühle dem Herrlichsten an die Seite gestellt werden kann, was die Kunst je hervorgebracht,

29. Ich wollte über diese Hagar noch größere Lobeserhebungen niederschreiben; nun trifft sich's aber, daß von allen, mit denen ich über dies Bild gesprochen, niemand in meine Meinung einstimmen will. Das ist schlimm, bei mir wenigstens immer von großem Gewicht, vornehmlich in Dingen, von denen ich mir keine vollständige Kenntnis zuschreiben kann. Nun denn also, das Fleisch dieser Hagar mag elfenbeinern sein, die Formen sind aber demungeachtet vortrefflich, dieser Nacken, dieser Rücken, diese Arme überbieten sich an Schönheit. Der Faltenwurf ist kleinlich? Warum sollte er hier grandios sein? Daß der kleine Ismael garstig ist, sah ich wohl auf den ersten Blick selbst. Aber nun, welche Wahrheit in der Komposition! Das Gesicht Hagars ist abgewendet, und doch liest man den ganzen Gehalt des Augenblickes in jeder der reizenden Wendungen des Halses, des Kopfes. Wie sie sich nach Abraham hinkehrt, klagend, vorwerfend und offenbar zugleich lauernd, ob nicht ein Wink, eine Bewegung anzeigen werde, daß er nur gezwungen handle, daß sein Herz nicht sei bei seinem grausamen Ausspruch. Und Abraham hat wirklich so viel Gedrücktes, die Wendung der Entfernung gebietenden Hände hat so viel Entschuldigendes, daß ohne die lauernde Sara die Scene wohl eine andere Wendung nähme,

30. 31. Wie leicht vorauszusehen war, die Lust zu diesen Kritzeleien verloren. Vor- und Nachmittag auf der Galerie. Den Enthusiasmus für meine Hagar zum Teil verloren, nachdem ich die unendlichen Werke der italienischen Schule gesehen, Correggio: Die Nacht, wurde eben kopiert und war daher nur Teil für Teil, nicht als Ganzes zu betrachten. Hat (vielleicht nur wegen dieses Umstandes) nicht all die Wirkung auf mich gemacht, die ich erwartete. Das Licht, das vom Kinde ausgeht, gibt in seiner nicht von der Natur hergenommenen Weiße dem Ganzen etwas Sonderbares, besonders wird die Jungfrau dadurch für mich beinahe entstellt. Die Hirten in der Entfernung, viel gelber bestrahlt, machen sich lebhafter. Der heilige Joseph vortrefflich. Wie gesagt, wäre es möglich gewesen, das Bild in gehörigem Abstände und als Ganzes zu betrachten, so würde das Urteil vielleicht anders ausgefallen sein. Alle Erwartungen erfüllte jene zweite Madonna mit Johannes, Katharina u. s. w. Auf dem dritten Bilde fand ich besonders den heiligen Rochus mit seinem Helldunkel außerordentlich. Zum heiligen Georg. Dieser Heilige so schön man sich nur denken kann, dagegen der heilige Johannes viel zu häßlich, die Engel kolossal. Die Madonna, unangenehm hingekauert und wohl gar zu irdisch, das Ganze nach meinem Gefühle zu bunt.

Durch besondere Güte Raphaels Madonna di S. Sisto gesehen, die eben unter den Händen des Restaurateurs sich befindet.

Was ist da viel zu sagen! Die übrigen Bilder und Maler sind unter sich der Stufe nach verschieden, Raphael der Gattung nach. Dieser Bube, mehr ein Erschaffer als Erlöser. Die Augen brennen ihm im Kopfe, dagegen die Jungfrau, die menschliche Mutter des jungen Gottes. Auf allen Kupferstichen und Kopien hat die heilige Katharina etwas widerlich Kokettes, auf dem Bilde selbst, wie so anders, wie verschämt zierlich. Der heilige Papst zeigt offenbar mit dem Finger der rechten Hand aus dem Bilde heraus, das Kind schaut bestimmt, die Mutter etwas obenhin in der Richtung des zeigenden Fingers; Katharinas gesenkte Augen blicken beinahe verstohlen ungefähr nach derselben Gegend. Zeigt nicht der Papst den beiden Himmlischen die Kirche, die er gestiftet, und ist nicht etwa diese Kirche es oder etwa nur ein Altar darin, der heiligen Katharina gewidmet, die beschämt und still erfreut über so viel Ehre verstohlen danach hinblickt? Ich wäre begierig, das Eigentliche der Sache zu wissen.

Die Antiken besehen mit schmerzlichen Empfindungen. Es brachte mir die Tage in Rom ins Gedächtnis, die damalige Lage, die damaligen Entwürfe. Was stand alles zu hoffen, wie wenig hat sich erfüllt! Der Welt ward ein Dichter geboren und die Prosa hat ihn getötet. Ich glaube bald, diese Begeisterung war bloß physisch und hat sich mit den physischen Ursachen zugleich aus dem Wege gemacht. Wohlan! Man muß ausharren bis ans Ende.

Wenn ein eigentlicher Dichter durch nähere Bekanntschaft leicht verliert, so kann dagegen ein schlechter nur gewinnen. Theodor Hell (Winkler) scheint ein gutmütiger Mensch; er ist als Familienvater höchst glücklich und ich habe die Fähigkeit, glücklich zu sein, immer unter die Tugenden gezählt. Kleinlich sind die Leutchen hier wohl ein wenig, aber nicht bösartig. Ich mußte lachen, wie die Tochter des Hofrat Böttiger ihrem Vater etwas zu melden kam, und während sie sprach, ihren Augen gegenüber ein Stellbrett voll Phallen und ägyptischen Götterscheusalen ... hatte.

Ich bin krank. Das Herumjagen in den Galerien, der ungewohnte Wein und vielleicht ein Abendessen, das Advokat Kuhn gab, haben übel auf mich gewirkt.

2. Sept. Mißmutig beschloß ich um elf Uhr nach Tharandt zu fahren, um doch etwas von der gerühmten schönen Natur um Dresden zu genießen. Einige Götterstunden verlebt! Die Gegend ist paradiesisch, die Aussicht von den Ruinen über allen Begriff. Ich weiß nicht, war es die Gewohnheit der letzten Tage, in Galerien heimisch zu sein, oder liegt es im Eigentümlichen der hiesigen Natur, daß jede einzelne Aussicht sich mir so sehr als ein Gemälde darstellte. Ich habe das wohl nie in so hohem Grade erfahren,

3. Sept. Nach Leipzig abgegangen. Abends fünf Uhr angekommen. Im Theater »Die Italienerin in Algier«. Guter Tenor Vetter. Die anderen schlecht. Taddeo, ein sächsischer Spaßmacher. Die Leipziger lachten zum Ausschütten, mir aber war der Patron so abgeschmackt, daß ich ihm hätte Nasenstüber geben können. Herr Genast hieß er, denk' ich. Das Innere des Theaters bis auf einen gewissen Grad imposant, mit vor- und übereinander gebauten Galerien, in einem seltsamen Geschmacke, fast an eine türkische Moschee erinnernd, mit dünnen goldenen Säulchen zu hellen bunten Farben. Die Studenten etwas abgeschmackt herausgestutzt, sonst aber ziemlich gesittet. Zwei von ihnen, nicht jung mehr, mit aufgedunsenen leeren Gesichtern, hatten sich aufs malerischste in schwarze Anzüge gekleidet, auf dem Kopfe aber trugen sie weiß und blaue kleine Käppchen, auf die Art, wie ehemals die Kurfürsten sie trugen. Hier fängt wohl das Land des Scheines an, obwohl nicht zu leugnen ist, daß sie auch in manchem Wesentlichen uns arme Oestreicher weit zurücklassen.

4. Aus langer Weile Hofrat Wendt besucht. Das ist nun so ein Scheinmensch, ein aufgedunsenes Nichts. In Oestreich hielte der Mann sein Maul und verlöre sich unter der Menge, hier schwatzt er und schreibt und gilt.

Abends mit Wendt, Justizrat Blümner und Graf Hohenthal im Rosenthale. Blümner, ein offenbar sehr gescheiter Mann, übrigens vielleicht etwas intolerant, denn er wurde zusehends kälter, als ich über einige Dinge mein Urteil gesagt, das offenbar nicht das seinige war.

Mein Uebel verschlimmert sich; die vergangene Nacht nicht geschlafen, mich verkühlt; weil ich's im Federbett nicht aushalten konnte und daher auf dem bloßen Stroh schlief ...

Hofrat Küstner wiegt wohl nicht schwer. Ein litterarischer petit maître.

Leipzig hat einen offenbaren Vorzug vor Dresden, nämlich die wunderbare Anzahl hübscher Mädchen, die hier auf den Straßen herumlaufen, indes das weibliche Geschlecht in Dresden zu dem unbegabtesten gehört, die mir noch vorgekommen.

5. Ueble Nacht, Kaum eine Stunde geschlafen ... Ich will demungeachtet noch heute fort nach Berlin, dort kann ich länger bleiben, dort will ich mich pflegen.

Wenn ich meiner innersten Neigung folgte, so würde ich auf der Stelle umkehren und wieder nach Hause reisen. Die Natur in diesen Gegenden ist nicht anziehend genug und die Leute beengen mich. Es war ein Teil des Zweckes meiner Reise, die namhafteren Männer kennen zu lernen, und ich besuche sie mit einer Art Pflichtgefühl, aber nur, damit ich dort war, nicht als ob es mir Vergnügen machte, hinzugehen. Diese Leute haben eine Art Rührigkeit des Geistes, die meine wienerische Trägheit zu Schanden macht und einschüchtert. Ich rede, wenn ich etwas zu sagen habe, und schweige still, wenn ich nichts weiß; diese Leute aber wissen immer etwas; die meisten Gespräche machen mir Langeweile.

Es ist vier Uhr, um sieben Uhr geht's nach Berlin. Weiß Gott, ich möchte lieber umkehren!

Wir fuhren die ganze Nacht. Nachdem ich drei Nächte schlaflos gewesen, schlummerte ich nun aus äußerster Ermattung fast die ganze Nacht hindurch im Wagen. Ich befinde mich äußerst unwohl, und unter diesen Umständen ... eine Reise von 23 Meilen im Eilwagen zu machen, der nirgends anhält, ist wohl ein wenig gewagt. Aber mich drängt es weiter. In Berlin kann ich ausruhen. Mein Uebel wird während der Reise vor der Unmöglichkeit Respekt haben.

Preußische Grenze. Visitiert. Anständig behandelt.

Bei grauendem Morgen Wittenberg. Die alte Stadtkirche trat neblig hervor. Luthers Denkmal leider wegen des Dunkels nicht sehen können. Abgeschmackte Gegend, Heide, Heide. So schlimm, so sandig, als man mir es beschrieben hatte, fand ich es denn doch nicht. Treuenbritzen, Potsdam