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Wie ein mutiger Junge durch seine Liebe zum Radsport und seine beherzte Aktion zum Star der Tour de France wird Große Aufregung beim begeisterten kleinen Radfahrer Robbie. Die berühmte Tour de France führt genau durch das Dorf, in dem er mit seiner Familie Urlaub macht. Bereits Stunden vor dem Rennen erwachen die Straßen zum Leben – wilde Fans, Campingwagen, bunte Kostüme. Dann rauscht das Fahrerfeld heran, irrsinnig schnell und farbenprächtig. Robbie jubelt den Profis zu, bewundert das Gelbe Trikot, ein wahres Nationalheiligtum. Doch plötzlich wird er selbst zum Helden, als er sieht, dass der Nachwuchsfahrer Bruno Jöness in Schwierigkeiten gerät. Unerschrocken hilft Robbie ihm, sein Rad wieder in Gang zu bringen, rettet Brunos Rennen und erntet den Applaus der Zuschauer. Das große Abenteuer beginnt, als Robbie sich entschließt, selbst Teil der Tour de France zu werden. Denn Bruno braucht gewiss noch mal seine Hilfe, um sein großes Ziel zu erreichen und am Ende in Paris auf dem Podium zu stehen. Und so schnappt sich Robbie kurzerhand sein Rad und ein gelbes T-Shirt seiner Schwester und jagt den Profis hinterher. In den Straßen und Gassen, die er passiert, sorgt er schon bald für einiges Aufsehen. Doch wie werden seine Eltern auf das Verschwinden ihres »Rennrackers« reagieren? Und wird er es rechtzeitig nach Paris schaffen? Das turbulente Abenteuer von »Rennracker Robbie bei der Tour de France« ist eine inspirierende Geschichte über Mut, Hilfsbereitschaft und die Faszination des Radfahrens. Und zugleich eine Liebeserklärung an die Franzosen und ihr Land. Aus der Feder von Eurosport-Kommentatorin Birgit Hasselbusch und bezaubernd illustriert von Arabell Watzlawik. • Das perfekte Buch für alle Jungs und Mädchen, die gern Rad fahren und witzige Abenteuer mögen. • Eine inspirierende, kindgerecht erzählte Geschichte über die faszinierende Welt des Radsports und der Tour de France. • Wer seine Liebe zum Rennradfahren an Kinder und Enkel, Nichten und Neffen etc. weitergeben möchte, wird kaum ein schöneres Geschenk finden als dieses Buch. • Das neue Kinderbuch aus der Feder von Radio-Moderatorin und TV-Kommentatorin Birgit Hasselbusch, der »Stimme der Kultur« bei den Tour-de-France-Übertragungen auf Eurosport. • Bezaubernd illustriert von Arabell Watzlawik.
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Seitenzahl: 191
Veröffentlichungsjahr: 2024
Birgit Hasselbusch ist Buchautorin, Radio-Moderatorin und Fernseh-Kommentatorin. Bei Eurosport sitzt sie während der Tour de France mit im Sattel (oder am Mikro) und berichtet über Land, Leute, Leckeres und Lustiges. Die Hamburgerin hat bereits mehrere erfolgreiche Kinder- und Jugendbücher veröffentlicht, für »Hallo, hej und marhaba – Freundschaftsspiel mit Doppelpass« wurde sie mit dem »Lese-Kicker 2022« ausgezeichnet. Birgit hat selbst lange in Frankreich gelebt und gearbeitet – und kennt fast alle Croissants zwischen Nizza, Lyon, Paris und Straßburg. Sie spricht fließend Englisch, Spanisch, Französisch und rückwärts. Rückwärts Fahrrad fahren kann sie allerdings noch nicht …
Arabell Watzlawik wünscht sich ganz oft, ihr Leben wäre ein Comic. Dann bräuchte sie nur Buntstifte und könnte sich ganz einfach auf die Spitze des Mont Ventoux zeichnen. Oder für ihre zwei Kinder einen Pinguin und ein Einhorn als Haustiere. Da das aber im wirklichen Leben nicht geht, illustriert sie mit viel Freude, Herz und Leidenschaft Kinderbücher. Eines davon hat sogar den Deutschen Selfpublishing Buchpreis 2022 gewonnen.
EINE GESCHICHTE VONBIRGIT HASSELBUSCH
MIT ILLUSTRATIONEN VONARABELL WATZLAWIK
Kapitel 1: Der Tag NACH dem Rennen
Kapitel 2: Der Renntag
Kapitel 3: Der Tag NACH dem Rennen
Kapitel 4: Der Renntag
Kapitel 5: Der Tag NACH dem Rennen
Kapitel 6: Der Renntag
Kapitel 7: Der Tag NACH dem Rennen
Kapitel 8: Der Renntag
Kapitel 9: Der Tag NACH dem Rennen
Kapitel 10: Der Renntag
Kapitel 11: Der Abend nach der Etappe im Mannschaftsquartier
Kapitel 12: Der Abend nach der Etappe im Ferienhaus
Kapitel 13: Der Tag NACH dem Rennen
Kapitel 14: Vorletzte Etappe
Kapitel 15: Tour de France
Kapitel 16: Le maillot blanc
Kapitel 17: Das Finish
Französisch-Vokabeln für Einsteiger/Erstradler und Fortgeschrittene/Fortgefahrene
Tour-de-France-Fachbegriffe – kinderleicht erklärt
Genau das hätte nicht passieren dürfen. Ungeschickt rutschte ihm sein Helm aus der Hand und donnerte mit einem lauten Knall auf den Steinboden. Die Fliesen in der düsteren Küche des Ferienhauses schienen zu vibrieren. Das ging ja gut los.
Robbie hielt die Luft an und beschimpfte sich innerlich selbst. »Du Voll-Löli!«
So foppte seine große Schwester ihn gerne mal. Manchmal sagte sie auch »Depp« oder »Tölpel«. Angeblich meinte sie es nie so schlimm, wie es klang.
Nora durfte auf gar keinen Fall aufwachen. Und seine Eltern erst recht nicht. Sonst würde der ganze schöne Plan sofort auffliegen.
Er setzte sich den Fahrradhelm vorsichtig auf den Kopf, um die Hände frei zu haben für die weiteren Vorbereitungen. Nichts rührte sich im Haus. Glück gehabt!
Es war Viertel vor sechs morgens. Seine Mama Gabi und sein Papa Jan würden sich furchtbare Sorgen machen, wenn sie aufwachten und bemerkten, dass er nicht in seinem Bett lag. Aber er musste das hier tun. Großes stand auf dem Spiel. Jemand brauchte seine Hilfe.
Auch wenn Robbie mit seinen neun Jahren keine Ahnung hatte, was ihn erwartete, wusste er, dass das hier genau das Richtige war. Dass ER der Richtige für den Job war.
Er lauschte in die Stille des frühen, trägen Morgens. Um die Uhrzeit gab es nicht einmal Grillenrufe.
»Ach, ich liebe Südfrankreich«, hatte Mama noch am Abend auf der Terrasse geschwärmt. »Dieser betörende Duft vom Lavendel, dieses Zirpen der Grillen, einfach herrlich!«
»Klar, Gabi!«, hatte Papa mürrisch geantwortet und sich mit der flachen Hand auf den Oberschenkel geklatscht. »Vor allem die Mücken sind traumhaft! Was tut man nicht alles für die Tour de France!«
Mama hatte geseufzt. Sie fand ihren Mann null romantisch.
Der legte nach. »Und der Lavendel riecht wie der Kleiderschrank deiner Mutter. Davon krieg’ ich Kopfschmerzen.«
Mama nahm ein Stück von der Tarte aux Pommes, dem Apfelkuchen, stand auf und ging zu Papas Stuhl. »Die wichtigste Frage ist ja wohl mal folgende«, hatte sie langsam gesagt, während sie ihm einen Happen Kuchen in den Mund geschoben hatte. »Woher weißt du, wie es im Kleiderschrank meiner Mutter riecht?«
Beide hatten gelacht. Mama hatte ihren Mann geküsst und mit der bloßen Hand eine Mücke gefangen, die gerade auf der Klingel von Robbies Rennrad landen wollte. Die Klingel hatte »drrrrr« gemacht.
Alles Geräusche, die Robbie jetzt so gar nicht gebrauchen könnte. So lautlos wie möglich griff er nach seiner Fahrrad-Trinkflasche. Er öffnete ganz langsam die Kühlschranktür, nahm eine Karaffe heraus und goss das Wasser daraus wie in Zeitlupe in die Flasche. Ein wenig plätscherte daneben.
Auch dieses Geräusch machte einen Lärm, als hätte er einen Presslufthammer angeschmissen. Er wischte die kleine Pfütze mit dem Ärmel weg.
Seine Eltern waren wirklich meistens nett. Deswegen hatte Robbie auch so ein schlechtes Gewissen wegen seiner Aktion. Sie sollten sich nicht aufregen, aber was sollte er tun? Er hatte keine andere Wahl.
Robbie schnappte sich einen Reiseführer, der auf dem Tisch lag, schlug ihn auf und riss in Zeitlupe einen Fetzen Papier heraus. Mit einem roten Filzstift schrieb er in krakeliger Handschrift:
Das sollte reichen. Das Stück Papier legte er neben ein Glas, in dem in einer Wasserlache eine tote Mücke schwamm.
Durch das Fenster sah Robbie sein weißes Rennrad im Garten stehen. Wie sollte er das über den Kiesweg bringen, ohne Krach zu machen? Robbie merkte, dass sich doch einige Probleme auftaten und der ausgeklügelte Rettungsplan Lücken aufwies.
Er traute sich nicht, die Landkarte auf dem Küchentisch auseinanderzufalten, das Knistern wäre viel zu laut. Auf Papas Handy könnte er auf Google Maps nachschauen, um sich die Strecke von Cavalaire-sur-Mer bis nach Paris einzuprägen. Aber das Handy lag oben im Schlafzimmer seiner Eltern auf dem Nachttisch, direkt neben dem Kopfkissen. Davon würde sein Vater bestimmt sofort aufwachen – oder Mama – und denken, er sei krank, und ihm Wadenwickel und heißen Kamillentee machen, oder so was Ekliges.
»Ich Idiot!«, schimpfte er.
Sein eigenes Handy steckte Robbie in die Hosentasche. Er stellte es aber aus, weil der Akku sonst so schnell runterbrannte, wie sein Vater ihn immer ermahnte – und ins Internet konnte er damit eh nicht.
Gestern am Tag hatte er mit Papa noch über die Strecke gesprochen. Der hatte auch erwähnt, wie viele Kilometer es waren bis Paris. Irgendwas mit 8 und 7 hatte er gesagt, da war sich Robbie sicher, aber so genau wusste er es nicht mehr. Waren es echt 870 Kilometer? Oder doch eher 78? Acht-Komma-Sieben vielleicht? Hm …? Wie sollte man sich das auch alles merken?
Robbie musste eh so viele Zahlen im Kopf behalten. Da waren ja auch noch der Code seines Zahlenschlosses am Rad und die Uhrzeit des Sonnenaufgangs. Um 6 Uhr 19 sollte der sein. Das hatte er unauffällig bei Papa erfragt, der sich ein wenig über den Wissensdurst seines Sohnes während der Ferien gewundert hatte.
Apropos Durst: Die Trinkflasche war gefüllt, fehlte nur noch etwas mehr Proviant. Robbie griff sich einen Müsliriegel vom Tisch und stopfte ihn in seinen kleinen Rucksack.
Noch eine halbe Stunde, bis es hell wurde. Bis dahin musste er auf und davon sein. Robbie öffnete die Eingangstür. Am Abend hatte er dafür gesorgt, dass sie nicht abgeschlossen war, damit sie beim Öffnen mit dem Schlüssel nicht so knarzte. Das fand er einen grandiosen Schachzug, bemerkte in diesem Moment aber, dass ja jede Menge Einbrecher hätten reinspazieren können. Ihm wurde ganz flau im Magen bei dem Gedanken. Seinen Eltern und seiner Schwester durfte auf keinen Fall etwas passieren.
Es war nicht kalt draußen, aber noch nicht ansatzweise so heiß wie tagsüber. Robbie trug eine kurze blaue Hose und ein dünnes Shirt. Der Hochsommer in Südfrankreich war so heiß wie ein Backofen.
»Nächstes Mal Dänemark!«, hatte Mama lapidar gesagt.
»Nächstes Mal wieder Frankreich, aber dann Haus mit Swimmingpool«, hatte Papa lächelnd geantwortet.
Gerade als Robbie aufs Rad steigen wollte, fiel ihm noch was ein.
»Mist!«, zischte er. Dass er daran nicht schon vorher gedacht hatte. Er schlich zurück ins Haus zum Zimmer seiner Schwester. Das war glücklicherweise im Erdgeschoss. Perfekt für die 13-Jährige.
»Ich brauche meine Privatsphäre«, hatte Nora am ersten Ferientag großspurig verkündet, die Tür zugeknallt und den Raum innerhalb kürzester Zeit in ein einziges Chaos verwandelt.
»Ist das ein Forschungsprojekt für den Biologie-Unterricht oder kann das in den Müll?«, fragte Mama oft, wenn sie unter Noras Bett zig leere Tüten und Becher mit schimmligen Keks- und Joghurtresten entdeckte.
Robbie vergewisserte sich, dass seine Schwester schlief. Sie wachte eh nie vor elf Uhr auf.
Auf Zehenspitzen tappte Robbie durchs Zimmer und suchte den Boden ab. Zwischen ihrem zerfledderten, lilafarbenen Tagebuch, dem metallic-grünen iPod und drei Badeanzügen von hellblau bis golden entdeckte er, was er suchte. Es leuchtete ihn gelb aus dem Klamottenberg an. Das Mädchen war so ein Farbenfreak.
Behutsam griff Robbie nach dem gelben Ding und ging rückwärts aus dem Raum, ohne dabei den Blick von seiner Schwester zu wenden. Wenn sie so schlief, nichts Blödes sagte, ihn nicht am Strand nervte oder ihm sein Eis wegaß, sah sie doch eigentlich recht friedlich aus.
»Die Nummer!«, flüsterte Robbie sich selbst zu. Wieder kam der rote Filzer zum Einsatz. Er kniete sich auf den Steinfußboden, breitete das gelbe T-Shirt aus und malte eine große rote »5« auf den Bauch. Fünf war seine Glückszahl.
Endlich hatte er alles beisammen und trat in den Garten. Dort streifte er sich das gelbe T-Shirt über, was etwas schwierig war, weil er es über den Fahrradhelm ziehen musste. Das Shirt reichte Robbie bis fast zu den Knien. Aber egal. Damit hatte er sein Maillot jaune – so hieß das berühmte Gelbe Trikot auf Französisch. Das trug der Gesamtführende bei der Tour de France.
Robbie schwitzte. Vielleicht hätte er in der Küche noch einen ordentlichen Schluck Wasser nehmen sollen. Seine Flasche jetzt schon leer zu trinken, wäre vermutlich keine gute Idee. Dann müsste er auch sofort wieder aufs Klo.
Robbie steckte die Wasserflasche in den Halter am Rad. Den Rucksack schnallte er sich auf den Rücken. Dann hob er sein Kinder-Rennrad hoch, das er zu Weihnachten bekommen hatte, und trug es ächzend über den Kies. Er befürchtete, dass sein Schnaufen noch lauter sein könnte als das von der »Murks-Madame«. So hatte Papa eine ältere Frau mit Locken genannt, die vor ein paar Tagen am Strand einen Handstand versucht hatte und kopfüber in den Sand geknallt und auf dem Rücken gelandet war.
»Die Sonne schmirgelt einem hier echt das Hirn weg! Hoffentlich trainiert die nicht für Olympia«, hatte Papa angemerkt, sich dann aber als Ersthelfer nützlich gemacht.
Seitdem fragte die ältere Frau jeden Tag am Strand, ob sie Papa zum Dank nicht mal auf ein Glas Wein einladen könne. Papa tat dann immer so, als würde er schlafen, und Mama ignorierte die Frau komplett. »Schnapsdrossel!«, zischte sie nur, wenn die Murks-Madame dann wieder weg war.
Möglichst lautlos versuchte Robbie, die Schritte und das Schieben auf den kleinen Steinchen hinter sich zu bringen. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte er das Tor zum Weg, der hinunter zum Dorf führte.
Er setzte seinen linken Fuß aufs Pedal. Ein großes Abenteuer lag vor ihm. Er wusste, dass nur er der einzig Wahre für den Auftrag war. Egal, ob nun 870 oder 78 oder 8,7 Kilometer vor ihm lagen.
Robbie schwang sich auf den Sattel und strampelte los. Dabei fiel ihm ein, dass er etwas Wichtiges vergessen hatte. Eine Flasche mit einer weißen schmierigen Flüssigkeit. Zurück konnte er jetzt aber nicht mehr. Er musste es einfach durchziehen.
*Gut zu wissen: Rennradfahrer haben spezielle Trinkflaschen aus Kunststoff. Denn das ist sicherer als Flaschen aus Glas oder Metall, wenn sie aus Versehen mal runterfallen sollten. Praktisch ist der Verschluss mit Trinknippel: Wenn man daran saugt, kommt die gewünschte Menge raus, aber sonst wird nichts verschüttet – sogar wenn man mit dem Rad über eine holprige Straße rattert.
»Vergesst auf keinen Fall die Sonnencreme!«, rief Mama aufgeregt. »Wenn man den ganzen Tag da an der Strecke steht, holt man sich ratzfatz einen Sonnenbrand. Alle noch mal einschmieren.«
Robbie blickte seinen Vater achselzuckend an. Er sah im Gesicht und an den Armen aus, als wäre er in Mehl getunkt worden. Kalkweiß am ganzen Körper. »Ich bin doch längst eingecremt!«, flüsterte er seinem Papa zu.
»Mach es einfach«, raunte der zurück. »Sonst kommen wir nie los.«
Papa versuchte, einen Sonnenschirm und eine riesige Kühltasche auf seinem Gepäckträger zu verstauen. Die Tasche war voll mit Sandwichs, Kekspackungen und Melonenstückchen.
»Ich wusste gar nicht, dass wir auch alle Tour-de-France-Fahrer mit verpflegen«, neckte er seine Frau.
»Du wirst mir noch dankbar sein!«, gab sie lächelnd zurück.
»Dir dankbar!?«, nölte Nora, die gähnend und mit verstrubbelten Haaren in den Garten trat. »Ej, wir haben Ferien, wieso muss ich da so früh aufstehen?«
Mama schob sie fröhlich in Richtung Bad. »Weil, Nori, wir es sonst nicht rechtzeitig zur Strecke schaffen, keinen Platz mehr kriegen und das große Spektakel verpassen.«
Nora verdrehte die Augen. »Nenn mich nicht immer Nori«, antwortete sie genervt. »Und was soll ich da? Kann mir was Besseres vorstellen, als mich an die Straße zu stellen und zu warten, bis da irgendwelche Fahrradfahrer vorbeirollen.«
»Irgendwelche?« Papa war entrüstet. »Das ist DIE TOUR! Das sind die besten Radrennfahrer der Welt. Und heute ist schon die 19. Etappe, also der 19. Tag, an dem gefahren wird.«
»Wie? 19 Tage Radfahren? Das klingt nach verdammt viel Arbeit. Das soll Spaß machen?«, nörgelte Nora weiter.
»Na ja, insgesamt sind es sogar 21 Etappen«, erklärte Papa ungerührt von der schlechten Laune seiner Tochter. »Drei Wochen lang sind die Fahrer unterwegs, quer durch Frankreich. Jeden Tag ein anderes Rennen, jeden Tag eine andere Strecke. Es ist immer genau vorgegeben, wo jeweils langgefahren wird – abkürzen kann da keiner.«
»Und wer gewinnt dann?« Robbie war durchaus begeisterter als seine Schwester.
Papa war jetzt in seinem Element. »Insgesamt sind am Anfang der Tour rund 180 Fahrer dabei. Bei den allermeisten Etappen fahren sie alle gleichzeitig los, und wer später als Erster über die Ziellinie rollt, hat die Etappe gewonnen. Und dann werden die Zeiten aus allen Etappen zusammengerechnet. Das heißt, wer insgesamt am schnellsten ist, kriegt das Gelbe Tri-Trikot. Derjenige ist dann der Gesamtführende der Tour de France. Und das ist für einen Radsportler das Allergrößte.«
»Puh, gerade erst aufgewacht und schon mehr Informationen als in der Schule«, sagte Nora gähnend.
»Wenn ein Fahrer übrigens so langsam ist wie du morgens, Nori«, fuhr Papa fort, »dann kann es sein, dass er ganz aus der Tour rausfliegt. Nur die Fahrer, die in einer bestimmten Zeit nach dem Sieger ins Ziel kommen, dürfen am nächsten Tag weiterfahren, sonst sind sie raus.«
»So ein Stress!«, fand Nora.
»Cool!«, meinte Robbie. »Dann muss man ja ordentlich Gas geben und rechnen.«
»Ja, es gibt ganz unterschiedliche Fahrer, die verschiedene Stärken und Spezialgebiete haben. Das erklär’ ich euch später noch einmal. Es gibt nämlich Flachetappen, Bergetappen für die Kletterer, Sprintetappen. Und dann auch noch Einzelzeitfahren, da fahren nicht alle zusammen los, sondern jeder allein gegen die Stoppuhr.« »Darf man sich auch irgendwann mal ausruhen?«, wollte Nora wissen.
»Ja, an zwei Ruhetagen. Aber da gibt es auch Teambesprechungen. Jeder Fahrer fährt nämlich für eine Mannschaft. Also, die arbeiten schon zusammen und unterstützen sich. Jedes Team möchte, dass einer seiner Fahrer möglichst weit vorne landet.«
»Und was haben wir damit zu tun?«, erkundigte sich Nora.
»Na ja, die Etappe heute führt hier ganz in der Nähe vorbei, durch unser Dorf. Die Fans kommen von sonst wo her, um zuzuschauen. Perfekt geplant also, dass wir hier unser Ferienhaus haben.« Papa strubbelte Nora durch die Haare.
»Spinnst du?« Sie schlug die Hand ihres Vaters weg. »Du hast meine Frisur kaputtgemacht.«
»Das Vogelnest war ’ne Frisur?«, fragte Robbie neckend.
»Ihr habt echt alle keinen Plan.« Nora riss beleidigt die Badtür auf schnitt im Spiegel Grimassen. Sie war dann aber doch zu neugierig, um nicht noch einmal nachzuhaken.
»Und was heißt: die besten Fahrradfahrer der Welt?«
Mama schleppte gerade noch einen Korb an, aus dem vier Baguettes und drei Flaschen lugten. Wie sollten sie das auf den Rädern alles mitbekommen?
»Das ist so, als würden Harry Styles, Ed Sheeran und Bad Bunny da mitfahren«, meinte Robbie.
»Wie? Die sind da?« Auf einmal war Nora hellwach. »Voll fame diese Tour!«
»Na ja, fast«, murmelte Papa. »Große Namen sind da auch dabei, auch wenn sie besser sprinten als singen können. Jedenfalls ist es gleich hier um die Ecke. So, alle aufs Rad, los geht es!«
Noras Laune war wie eine Achterbahnfahrt, mal ganz oben, mal komplett im Keller. Jetzt gerade war ihre »Mood«, ihre Stimmung, ganz nice, merkte man am Gekicher.
»Papa, das ist kein Schieb-, sondern ein Fahrrad!«
Ihr Vater sah aber auch wirklich zu komisch aus. Auf den Sattel hatte er es wegen des ganzen Gepäcks nicht geschafft. Er balancierte die riesige Kühltasche und einen Klappstuhl, auf seinem Bauch rutschte der Rucksack auf und ab und verhedderte sich immer wieder im Lenker, außerdem steckte er mit dem Kopf unter dem halb offenen Sonnenschirm. Zwischen den Zähnen klemmte eine Klatschpappe.
»Bo ein Bist, ber braucht ben banzen Bram bier!«, kam dumpf seine Stimme unter dem Sonnenschirm hervor.
»Wiiiie bitte? Was ist mit Bier?«, rief Robbie seinem Vater zu.
Nora neckte: »Doch nicht um die Uhrzeit!«
Nora und Robbie grinsten sich zu. Als Team waren sie nicht schlecht.
»Jan, nun warte mal!« Mama blieb neben ihrem Mann stehen und versuchte, ihm die Kühltasche abzunehmen. Sofort knallte der mit seinem Rad zur Seite weg und landete auf dem Hosenboden.
Papa blickte in drei lachende Gesichter und schimpfte glücklicherweise nicht los. »Das hättet ihr wohl gern, dass ich der Murks-Madame Konkurrenz mache!«
»Wie wäre es mit Pannen-Père?«, schlug Mama vor. Père war das französische Wort für Vater.
Ein Campingwagen näherte sich auf dem Weg langsam der Familie. Kleine blau-weiß-rote Fähnchen waren an den Außenspiegeln befestigt und flatterten im Wind. Auf der weißen Seitentour prangte in gelber Farbe: »C’est mon tour!«
»Was heißt das?«, wollte Nora wissen.
»Irgendwas mit der Tour de France bestimmt!«, blieb ihre Mutter vage.
»Ist auch ein Wortspiel«, meinte Papa. »Das bedeutet auch: Ich bin dran!«
In dem Moment lehnte sich ein Kopf aus dem Beifahrerfenster. Eine riesige Lockenpracht erschien. Die Haare ebenfalls blau-weiß-rot gefärbt, wie die Trikolore, die französische Nationalflagge.
»Oh nein!«, brachte Papa nur raus.
Die Murks-Madame zeigte im Vorbeifahren auf Papa, der halb unter dem Sonnenschirm hervorlugte, und rief: »C’est mon tour!«
Robbie und Nora bekamen einen Lachanfall, vor allem auch weil Mama dem Campingvan so entsetzt nachblickte. »Nur Verrückte hier!«, meinte sie.
»Ja, und das war erst der Anfang!« Jan strahlte. »Da wird es noch ein paar Fans mit ausgefallenen Ideen geben.«
Robbie wusste, dass sein Vater schon ein paar Mal bei Etappen der Tour de France am Straßenrand gestanden hatte. Er hatte ihm so viel davon erzählt, dass Robbie unbedingt auch mal live dabei sein wollte.
Zu Weihnachten hatte Robbie das Kinder-Rennrad geschenkt bekommen, und sobald die genaue Strecke der Tour raus war, hatte Papa Mama vorgeschlagen, doch nach einem Ferienhaus zwischen Saint-Tropez und der Côte d’Azur zu suchen. »Dann kannst du jeden Tag im Meer baden, Gabi«, hatte er gesagt. Die inoffizielle Begründung, nämlich dass die Tour de France nur einen Katzensprung entfernt vorbeiführen würde, hatte Papa erst mal für sich behalten.
Sie hatten es wirklich nicht weit bis zu der besten Anfeuer-Stelle. Nachdem Mama die Kühltasche übernommen hatte, schafften sie es auch unfallfrei weiter.
Robbie war wahnsinnig aufgeregt. So viele Menschen, die schon am Straßenrand standen. Viel mehr, als in seiner Klasse waren. Vielleicht sogar auf der ganzen Schule.
»Von hier aus fahren sie dann durchs Dorf«, erklärte Papa und zeigte in Richtung der Boulangerie, der Bäckerei, wo sie jeden Morgen einkauften. »Danach geht es noch etwa 40 Kilometer weiter bis zum Ziel.«
»Aha!«, merkte Nora an. »Und wann gehen wir heute zum Strand?«
»Das wird heute ni…«
Robbie rammte seinem Vater seinen Ellbogen in die Seite, woraufhin der sofort verstummte. »Sag ihr bloß nicht, dass das nichts mehr wird und dass wir hier stundenlang stehen«, flüsterte Robbie. »Sonst rastet die aus!«
Papa gab Robbie High-Five. Aus einer Box dröhnte laute Musik, irgendwas Französisches.
»Krass, Stromae!«, rief Nora und sofort war der mürrische Gesichtsausdruck in der Achterbahn auf dem Weg nach oben.
Sie sahen, dass Polizisten schon mit einem Absperrband zugange waren. Bald kam hier gar keiner mehr durch. Nur eine Locken-Lady im Van diskutierte mit der Polizei. Sie wollte unbedingt noch durch. Robbie hatte keine Ahnung, wo sie sich noch hinquetschen wollte mit ihrem Gefährt.
Die Straße glich einem Ameisenhaufen auf Rädern. Fahrräder lagen im Gebüsch, lehnten an Zäunen oder dienten zum Aufstützen. Überall Massen, Menschen, Musiker. Und die Murks-Madame. Die stieg jetzt aus und fuchtelte wild mit ihren Armen. Soweit dies überhaupt möglich war.
Sie trug nämlich ein Hahnenkostüm und konnte sich nur schwer bewegen. Als sie Papa sah, winkte sie ihm hektisch zu.
Schnell lenkte Jan seine Truppe – Robbie, Nora und Gabi – an dem Polizeiwagen vorbei. Aus dem Augenwinkel sah er noch, dass die Polizisten komplett unbeeindruckt von dem Hahn mit den Trikolore-Locken waren. Sie hatten schon ganz anderes gesehen. Motto: Wer zu spät kommt, kräht zuletzt!
Jetzt, da sie in dem abgesperrten Bereich waren, nahm Robbie das ganze Tamtam noch viel besser wahr. Etliche Sicherheitsleute trugen Westen mit dem Aufdruck »Tour de France«. Sie kontrollierten, dass niemand seine Räder, Bollerwagen, Heuballen oder Kostümkisten zu dicht an der Straße parkte.
»Das könnte sonst richtig gefährlich werden«, erklärte Papa. »Nicht, dass sich die Rennfahrer was tun.«
Aus dem Augenwinkel nahm Robbie einen Crêpes-Wagen wahr. Sofort bekam er einen Mega-Schmacht auf die leckeren Dinger. Am liebsten mit Schoko.
Robbie zog seinen Vater an sich ran. »Krieg ich einen Crêpe?«
Papa blickte auf die Uhr, es war noch nicht mal Mittag. »Gleich«, wisperte er zurück. »Wenn Mama nicht guckt!«
Robbie wusste, dass seine Mutter stundenlang Sandwichs geschmiert hatte und bestimmt uuuuunglaublich begeistert wäre, wenn sich ihr Sohn anstatt der mit viel Liebe zubereiteten Brote was Süßes reinziehen würde. Aber Robbie wusste auch, dass auf seinen Vater Verlass war.
Mehrere Campingwagen standen am Straßenrand. Eine junge Frau in einem Wohnwagen baute eine Leinwand auf und warf darauf die Bilder von ihrem Rechner. Die Live-Übertragung der Tour-de-France-Etappe. Alle, die hier warteten, konnten verfolgen, wie weit die Fahrer schon waren. Die Frau bekam tosenden Applaus, einige machten eine »La Ola«-Welle.
Zwischen ihrem Wohnwagen und einem anderen war eine Wäscheleine gespannt, an der eine Menge Trikots hingen. Ein Sicherheitsmann redete auf die Besitzerin der Wäscheleine ein. Die Murks-Madame stellte sich taub. Sie hatte sich diesen Platz hier erkämpft und verdient und würde ihre Trikots so hängen, wie sie wollte.
Ihr Campingwagen-Nachbar saß gemütlich in einem Klappstuhl und futterte ein Croissant. Aus dem Radio neben ihm hörte man Reporterstimmen. Bestimmt kommentierten sie gerade die Tour de France.
»Bonjour, jeune homme, ça va?«
Robbie lächelte den Mann mit dem Radio an, der ihn angesprochen hatte. Er verstand aber nicht wirklich, was er wollte.
»Ob es dem jungen Mann gut geht, möchte er wissen«, übersetzte Papa.
»Oui, merci!«, antwortete Robbie. Was »ja« und »Danke« hieß, hatte er inzwischen gelernt.
»Wann sind die denn hier?«, erkundigte sich Robbie.