Rheinmärchen - Clemens Brentano - E-Book

Rheinmärchen E-Book

Clemens Brentano

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Beschreibung

In den Jahren 1810 – 1812 schrieb Clemens Brenatno vier längere Erzählungen unter dem Titel „Märchen vom Rhein“, die jedoch erst 1846 veröffentlicht wurden. Die ersten beiden Geschichten gehören zusammen, die anderen Beiden sind eigenständig. Die drei Erzähler der Märchen, der Müller Radlauf, die Fischerin Marzibille und Meister Meckerling müssen Geschichten und Märchen erzählen, um ihre Kinder und die geliebte Prinzessin aus der Gewalt des Rheinkönigs zu erlösen. ...

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Die Rhein - Märchen

Inhalt

1. Das Märchen vom Rhein und dem Müller Radlauf

2. Das Märchen von dem Hause Starenberg und den Ahnen des Müllers Radlauf

3. Das Märchen vom Murmeltier

4. Das Märchen vom Schneider Siebentot

Das Märchen von dem Rhein und dem Müller Radlauf

Wie der Müller Radlauf dem Rhein ein Lied sang und einen Traum hatte.

Im Rheingau, wo jetzt Rüdesheim liegt, stand vor undenklichen Zeiten eine einsame Mühle am Rhein, umgeben von einer grünen und blumenvollen Wiese. Auf dieser Mühle wohnte Radlauf, ein junger frommer Müllerbursche. Er lebte mit der ganzen Welt in Frieden, gab den Armen gern ein Mäßchen Mehl umsonst und streute seine Brosamen den Fischen und Vögeln aus. Jeden Abend setzte er sich auf den Mühldamm hinaus und hatte da seine Freude an den schönen grünen Wellen des Rheins, an den Ufern, die sich spiegelten, und den Fischen, die vor Lust aus der Flut emporsprangen. Ehe er aber schlafen ging, flocht er immer noch einen schönen Blumenkranz und sang dem alten Rhein ein Lied vor, ihm seine Ehrfurcht zu beweisen.

Am Schlusse des Liedes warf er dann den Kranz in die Wellen, die ihn freudig hinuntertrugen, und wenn Radlauf den Kranz nicht mehr schwimmen sah, ging er ruhig nach seiner Mühle, um zu schlafen.

Das Lied aber, welches er gewöhnlich sang, lautete also:

Nun gute Nacht! mein Leben,

Du alter, treuer Rhein.

Deine Wellen schweben

Klar im Sternenschein;

Die Welt ist rings entschlafen,

Es singt den Wolkenschafen

Der Mond ein Lied.

Der Schiffer schläft im Nachen

Und träumet von dem Meer;

Du aber, du mußt wachen

Und trägst das Schiff einher.

Du führst ein freies Leben,

Durchtanzest bei den Reben

Die ernste Nacht.

Wer dich gesehn, lernt lachen;

Du bist so freudenreich,

Du labst das Herz der Schwachen

Und machst den Armen reich.

Du spiegelst hohe Schlösser

Und füllest große Fässer

Mit edlem Wein.

Auch manchen lehrst du weinen,

Dem du sein Lieb entführt;

Gott wolle die vereinen,

Die solche Sehnsucht rührt:

Sie irren in den Hainen,

Und von den Echosteinen

Erschallt ihr Weh.

Und manchen lehret beten

Dein tiefer Felsengrund;

Wer dich im Zorn betreten,

Den ziehst du in den Schlund:

Wo deine Strudel brausen,

Wo deine Wirbel sausen,

Da beten sie.

Mich aber lehrst du singen:

Wenn dich mein Aug ersieht,

Ein freudeselig Klingen

Mir durch den Busen zieht;

Treib fromm mir meine Mühle,

Jetzt scheid ich in der Kühle

Und schlummre ein.

Ihr lieben Sterne, decket

Mir meinen Vater zu,

Bis mich die Sonne wecket,

Bis dahin mahle du:

Wirds gut, will ich dich preisen,

Dann sing in höhern Weisen

Ich dir ein Lied.

Nun werf ich dir zum Spiele

Den Kranz in deine Flut:

Trag ihn zu seinem Ziele,

Wo dieser Tag auch ruht.

Gut Nacht, ich muß mich wenden,

Muß nun mein Singen enden,

Gut Nacht, mein Rhein!

Dieses Lied und der Kranz freuten den alten Rhein immer gar sehr; er gewann den Müller Radlauf darum gar lieb und trieb ihm sein Rad gar ordentlich, nicht zu langsam und nicht zu geschwind.

Einstens träumte dem Müller: er gehe auf seine Wiese und wolle dem alten Rhein den gewöhnlichen Blumenkranz winden, er finde aber auf der Wiese gar keine anderen Blumen als nur Rittersporn und Kaiserkronen und Königskerzen und Schwertlilien und Ehrenpreis und dergleichen vornehme ritterliche Gewächse; er aber scheue sich mit seinen bürgerlichen Händen nicht, breche die edlen Blumen nach Herzenslust und freue sich, seinem alten Freund, dem adlichsten der Flüsse, einen recht prächtigen Kranz daraus zu winden. Als er nun diesen im Traume in die Wellen warf, tauchte unter demselben ein alter, sehr ernsthafter und doch liebreicher Mann aus der Flut; sein grünes Schilfhaar war mit einer goldenen Rebenkrone umgeben, in deren Zweigen der Blumenkranz Radlaufs ruhte. In den Armen hielt er ein wunderschönes Jungfräulein und setzte sie vor Radlauf, der am Ufer niedergekniet war, auf den Strand. Die Jungfrau, träumte er weiter, habe sich ihm freundlich genaht, ihm eine köstliche alte Krone aufgesetzt und ihn dann an der Hand aufgehoben, um ihn nach seiner Mühle zu begleiten. Aber da er mit ihr über die Wiese gegangen, sei auch gar kein anderes Kraut mehr darauf zu sehen gewesen als nur Mausohr, worüber sie beide sehr erschrocken seien; denn das Mausohr sei dermaßen gewachsen, daß es sie ganz umklammert habe; dann aber sei ein Kraut, Katzenschwanz, emporgeschossen, und rings an allen Hecken und Bäumen so viele Weiden- und Palmkätzchen, wie sie am Palmsonntag in der Kirche eingesegnet werden, und habe das Mausohr ganz wieder verschlungen. Während alledem sah er im Traume den alten Wassermann in dem Rheine zornig herumspringen und ganze Berge von Wellen in die Höhe werfen, und seine Mühle schimmerte ihm wie ein Schloß am Bergfuß entgegen.

Darüber erwachte der Müller in großen Ängsten.

Wie des Müllers Traum wahr geworden Der Traum war so lebhaft gewesen, daß Radlauf sich die Augen nicht lange rieb. Er sprang von seinem Lager und eilte hinaus auf die Wiese, um nach den vornehmen Blumen zu sehen, von denen er geträumt hatte. Da aber war alles wie sonst: Gänseblümchen die Menge und hier und da ein frisches Maiglöckchen und viel Butterblumen, auch im Schatten noch einige Veilchen. Die Sonne guckte eben mit den äußersten Spitzen ihrer goldenen Augenwimpern über den Rochusberg, welcher der Mühle gegenüber jenseits des Rheins lag, hervor. Radlauf trat auf den Mühldamm hinaus, den Rhein zu beobachten; denn sein Traum stand ihm so klar vor Augen, daß er glaubte, es müsse alle Augenblicke der alte Wassermann hervortauchen und ihm die schöne Prinzessin entgegenreichen.

Wie er so auf die Wellen niedersah, hörte er auf einmal eine herrliche Musik; da zitterte ihm das Herz vor Freude, und er dachte schon, das könne etwas bedeuten. Als aber plötzlich Pauken und Trompeten durch die Luft tönten und aus dem Echo widerschmetterten: hob er seine Blicke den Rhein aufwärts und sah von Mainz herab ein goldenes Schiff fahren, worauf der König und die Königin von Mainz nebst ihrer Tochter, der Prinzessin Ameleya, saßen, umgeben von vielen Hofdamen, Kammerherren, Rittern und Musikanten.

Merkwürdig war in dieser Gesellschaft, daß der größte Teil der Dienerschaft keinen Anteil an der Musik zu nehmen schien; denn der ganze Hofstaat hatte nur Ohren für das Schnurren und Spinnen einer großen Katze mit funkelnden Augen, die auf dem Schoße der Königin ruhte und mit dem Schweife wedelte. Alle schienen hierin eine Vorbedeutung großer Ereignisse zu sehen.

Die mächtigen Leute hatten damals den Brauch, gewisse bedeutungsvolle Tiere als Hof- und Leibtiere mit sich herumzuführen, welche lebendige Würdeträger innerlicher Eigenschaften und Geistesrichtungen ihres Stammes oder ihrer Person waren. Manche führten Löwen, Adler, Bären, Leoparden, Falken, Schwäne, Kraniche und dergleichen Tiere bei sich, diese alte Königin aber eine Katze.

Diese Tiere waren zu einer großen Ruhe und Gleichmütigkeit erzogen und durften nur im äußersten Fall durch ein bescheidenes, vieldeutiges Zeichen ihre innere Gemütsstimmung bemerklich machen. Denn von ihrem Betragen hing Glück und Leben von Land und Leuten ab; weil sie als Barometer für den Erfolg einer jeden Staatsangelegenheit betrachtet wurden, nach deren Äußerungen man Krieg und Frieden, Bündnisse und Heiraten schloß. Ging aber ein solcher Handel schief: so setzte man das Tier ab, jagte es in den Wald oder brachte es sonst beiseite und nahm ein anderes an dessen Stelle. Manchmal bei großen Veränderungen nahm man größere, mächtigere Tiere an die Stelle; so kamen Tiger, Leoparden und Löwen an die Stelle der Katzen. Es waren diese Gebräuche mit der alten Zeichendeuterei verwandt, nach welcher berühmte Helden vor jedem wichtigen Geschäft erst aus dem Fluge der Vögel, dem Lauf der Tiere, dem Fressen der Hühner Glück und Unglück vorhersehen wollten. In späteren Zeiten wuchsen die Leidenschaften der Menschen so, daß kein Tier mehr groß genug war, sie vorzustellen. Auch waren die Löwen, Adler und Elephanten wegen ihrer Unbändigkeit und Größe unbequem und unanständig; denn die Menschen wurden äußerlich zahmer und weichlicher. Da machten gelehrte Leute die Erfindung, nur die Abbildung der ehemaligen Hofund Leibtiere mit herumzuführen und statt derselben geschickte, wohlerzogene Menschen anzustellen, welche sich nicht gleich alles merken ließen, damit man sich erst auf jeden Fall gehörig vorbereiten konnte. Es war dieses gewiß eine vortreffliche Erfindung, der wir Ruh und Frieden zu verdanken haben. Aus diesen Abbildungen der Hofund Leibtiere entstanden die Wappen, und man kann aus den seltsamen Figuren der auf denselben abgebildeten Tiere sich eine Vorstellung machen, wie wunderbar Erziehung und Hofbrauch die ehemaligen Hoftiere zugestutzt hatten. Zu dieser wohltätigen Veränderung sollen die traurigen Begebenheiten mit beigetragen haben, welche durch die wenige Zurückhaltung der großen Katze auf dem Schoße der Königin von Mainz in dieser Geschichte veranlaßt wurden. Wenngleich alle diese abergläubischen alten Händel längst vergessen sind, so ist doch hie und da noch eine Spur übrig geblieben, wie man an den Wollflocken, welche die Vögel zu ihren Nestern von den Dornhecken sammeln, sehen kann, daß vorübergezogene Schafherden sie daran hängen ließen, und so soll das Sprüchwort: ›Es kommt Besuch, denn unsre Katze putzt sich‹, noch von der prophetischen Gewohnheit jener Katze herkommen, sich vor jeder Ankunft hoher Gäste fein sauber zu belecken und zu putzen.

Heute aber war die Aufmerksamkeit nicht ohne Ursache auf das Betragen der Katze gerichtet; denn die königliche Familie fuhr dem versprochenen Bräutigam ihrer einzigen Tochter, der Prinzessin Ameleya, entgegen, dem Prinzen Rattenkahl von Trier, der mit der alten Königin von Trier den Rhein herauffahren sollte.

Es war nicht ganz unbekannt geblieben, daß diese Familie ein Hofund Leibtier von sehr verschiedener Gemütsart mit sich führte; aber ein altes Staatslied enthielt die Prophezeiung, daß am Bingerloch durch Zusammenkunft von Katz und Ratz eine hohe glückliche Verbindung und eine neue glückliche Zeit eintreten sollte.

Das Liedlein sagte folgendes:

Gute Zeit! wenn Ratz und Katz

Einig auf des Rheines Flut

Hingeleiten Schatz zu Schatz,

Alles wird dann werden gut.

Glück, dann hält des Rades Lauf

Hochzeitskranz und Krone auf.

Weil nun die Familie des Prinzen Rattenkahl eine ausgezeichnete Ratze mit sich zu führen pflegte: so hielt man das heutige Begegnen der beiden Schiffe, welche Ratz und Katz und auch den herzallerliebsten Schatz, die Prinzessin Ameleya, mit sich führten, für die Erfüllung jenes alten Reims, und die Hofmusikanten spielten gar keine andere Melodie, was schier langweilig war.

Die schöne Ameleya war sehr begierig, ihren Bräutigam zu sehen, mit welchem ihr ein so großes Glück kommen sollte, und sie hatte sich ganz vornhin auf den Schnabel des Schiffes gesetzt, so daß ihre blonden Locken wie ein goldenes Wimpel wehten. Sie trug ein grünsamtenes Kleid, mit goldenen Träublein gestickt, und spielte mit einem goldenen Ruder nachlässig in den Wellen, während sie dann und wann durch die hohle Hand in das dunkle Felsental hineinsah, in welches sich der Rhein aus dem heiteren und lichten Rheingau ergießt, als wolle er mit seinem feurigen Wein einen kühlen Keller suchen. Radlauf wendete kein Auge von der schönen Prinzessin; denn ihm schien nicht anders, als daß sie die nämliche sei, welche ihn im Traum so sehr erfreut hatte. Dazu kam noch, daß er in dem Gesange von dem Schiffe her, in den Worten ›Schatz, Glück, Rades Lauf‹ immer von einem besonderen Glück zu hören glaubte, das dem Radlauf begegnen sollte.

Da erhob sich aber auf einmal ein starker Wind, und das Schiff der Königin von Trier strich mit vollen Segeln bei dem Binger Loche heraus und war in wenigen Minuten dem Mainzer Schiff sehr nahe.

Der Bräutigam, Prinz Rattenkahl, saß auch auf dem Schiffsschnabel, seine Braut desto eher zu erblicken. Aber er sah nicht zum besten aus.

Wenn er gleich ein guter Herr von großen persönlichen Eigenschaften sein mochte: so stand ihm doch sein kahler spitzer Kopf, sein sehr dünner aber langer Schurrbart und der enge Pelz von schwarzen und weißen Mäusefellen mit einem langen Rattenschwanz daran sehr unvorteilhaft. Hinter ihm saß auf einem ledernen Stuhl seine Mutter, die Königin von Trier, eine sehr alte Dame, die so beschäftigt war, die große Staatsratze, die ihr auf einem großen Samtkissen im Schoße lag, mit Zuckerbretzeln zu füttern, daß sie von allem um sie her nichts hörte und nichts sah; denn die Ratze schien besonders unruhig und wollte sich immer verstecken. Nun kamen sich die Schiffe sehr nah, und die Mainzer Musikanten machten einen gewaltigen Lärm mit ihrem alten Staatsgesang, den sie mit Pauken und Trompeten begleiteten.

Nun war der wichtige Augenblick der Erfüllung des alten Staatsreims herangekommen: keine Miene verzog sich auf den beiden Schiffen; hier schaute alles nach der Katze, dort nach der Ratze, welche sich beide auch in äußerster Stille verhielten; man erwartete das große Glück.

Die schöne Ameleya, etwas über das Aussehen ihres Bräutigams verlegen, wendete ihr Köpfchen gegen Radlaufs Mühle hin, und Radlauf rückte auf den äußersten Rand seines Mühldamms. Nun ertönte der alte Staatsreim noch einmal, und die Erfüllung stand nicht länger auf dem Sprung.

Die Katze fuhr wie ein Blitz über die schöne Ameleya weg nach der Ratze in das andere Hochzeitsschiff hinüber, die ebenso geschwind vor ihr in einen Winkel schoß; die alte Königin war mit ihrem Stuhle umgefallen; aber, o Unglück! der schönen Ameleya entfiel das goldene Ruder, sie bückte sich darnach und stürzte in die Flut, und, plumps! sprang Radlauf mit gleichen Beinen in den Rhein, sie zu retten.

Auf den beiden Schiffen war alles in der größten Verwirrung. Die alte Königin von Trier schrie wie rasend: »Staatsratz! o Staatsratz!« – Die alte Königin von Mainz aber schrie: »Staatskatz! o Staatskatz!« denn der Prinz Rattenkahl trieb diese dermaßen mir dem Ruder im Schiff herum, daß sie sich endlich auf den Mastbaum rettete. Diese Verwirrung mehrten die Musikanten noch, die wie toll und rasend drauflos paukten und trompeteten, worüber der König von Mainz endlich so unwillig ward, daß er den Pauker und zwei Trompeter ins Wasser stieß. Da ward es etwas geräumiger und stiller, und er konnte das Jammern der Hofdamen über das Unglück der Prinzessin Ameleya erst verstehen, und nun erhob er ein großes Wehgeschrei. Er trat auf die Spitze des Schiffs, wo sie hinabgestürzt war, und rief dem Trierischen Prinzen Rattenkahl zu: »O, teuerster Herr Schwiegersohn! retten Sie Ihre Braut!« Rattenkahl aber hörte und sah nichts vor Zorn über die Katze, die er noch immer herumhetzte, um sie aus dem Schiffe zu bringen, und schrie immer mit seiner Mutter zugleich: »Ins Wasser mit der Katze, sie soll ertrinken!«

Da warf der König von Mainz ihm aus Zorn die Krone an den Kopf, aber sie traf ihn nicht und flog in den Rhein.

Nun wendete sich der König zu seinem Gefolge und rief aus: »Wer mir meine Tochter rettet, der soll sie zur Frau haben und meine Krone dazu!«

Die Musikanten wollten platterdings nicht retten und schützten vor: das Wasser verderbe das Gehör, verstimme die Geigen, stehe gar zu tief unter dem Kammerton, habe keine Resonanz und könne man leicht in den tiefen Noten aus dem Takt kommen. Einige Ritter sprangen in den Fluß, aber ihre Waffen zogen sie alle in den Grund. Mehrere Hofdamen jagte der verzweifelte König nun selbst hinein; aber ihre breiten, steifen Röcke hielten sie oben wie Fischkasten, dabei jammerten sie, es komme ihnen kalt an die Beine und sie würden von Fischen gebissen. Hierzu raste der König um seine Tochter, die Königin jammerte um die Katze, die Musikanten spielten und schrieen den Staatsreim in einem betrübten Ton toll durcheinander; denn die Damen und Pauker und Trompeter, die um das Schiff herumschwammen, faßten sie an den Haarzöpfen, um sich herauszuhelfen. Da tat die gehetzte Staatskatze plötzlich einen Satz nach dem Mainzer Schiff, sie hatte aber nicht gut gemessen und fiel ins Wasser, worüber Rattenkahl lachte, daß ihm der Mäusepelz auf den Schultern tanzte, seine Mutter aber, die alte, böse Königin von Trier, vor Freuden in die Hände patschte. Sie hatte sich die ganze Zeit mit ausgebreiteter Schürze in den Winkel des Schiffs vor die Staatskatze gesetzt und, um die Katze von sich zu scheuchen, wie ein Hund gebellt. Die Katze aber wurde von einem schwimmenden Edelknaben mit dem Ellenbogen wieder in das Schiff geschleudert und ist später aus dieser Tat ein ganzer Landesname, Katzenellenbogen, entstanden.

Als aber Rattenkahl noch mit dem Ruder so nach ihr schlug, daß das Wasser dem König von Mainz die ganze Frisur verdarb, kam dieser in einen solchen Grimm, daß er ausrief:

»So wollt ich dann, daß dich das Bingerloch mit Mann und Maus verschlänge und die Felsensteine rings dazu lachten!«

Darauf aber erwiderte die Königin von Trier nichts als mit einer recht spitzigen feinen Stimme: »Ei, daß dich das Mäuschen beiß!«

Die Königin von Mainz herzte und trocknete indes ihre Lieblingskatze, und der König wendete seinen ganzen Zorn nun auf sie, weil er behauptete: diese verwünschte Katze habe all das Unglück herbeigeführt; und sie begannen beinahe schon zu raufen, als der alte Rhein das unartige Betragen all dieser häßlichen Herrschaften nicht mehr länger mit ansehen konnte und plötzlich einen heftigen Sturm in seinen Wellen zu erheben begann. Da flogen die beiden Schiffe wie Spreu auseinander. Das Mainzer Schiff flog gegen Mainz, das Trierische gegen Koblenz zurück. Da das letzte aber bei Bingen um die Ecke herum fuhr, ward die Verwünschung des Königs von Mainz schon an ihm wahr: der Strudel faßte das Schifflein und drehte es herum wie einen Kreisel, immer geschwinder und geschwinder; da lautete es, als wenn sich ein Riese gurgelte, und auf einmal war das Schiff voll Wasser, und Rattenkahl, seine Mutter und die Ratze verschwanden mit ihm. Die Felsen aber lachten rings dazu: »Klick, klack, klack!« als wenn man mit tausend Peitschen knallte.

So ward der Fluch des Mainzer Königs wahr und der Traum des frommen Müllers Radlauf auch und der alte Staatsreim auch; denn sein Freund, der alte Rhein, trieb dem schwimmenden Radlauf den Schatz, die schöne Ameleya, richtig in die Arme.

Mit ungemeiner Anstrengung arbeitete er, die schon halbtote Prinzessin nach seinem Mühldamm hinzubringen, und da er merkte, daß er selbst auch die Besinnung zu verlieren begann, umfaßte er die Prinzessin fest mit beiden Armen und rief in Gedanken den Vater Rhein um Hülfe an, der ihn nicht verließ und mit Ameleya gleich neben seiner Mühle, auf der schönen Wiese, ans Land warf, wo sie beide ohnmächtig wie tot nebeneinander lagen.

Wie Radlauf die schöne Ameleya in seine Mühle führt.

Der Rhein war schon wieder ganz ruhig und spiegelglatt, und die Sonne schien warm hernieder; da erwachte Radlauf aus seiner Betäubung.

Ach! wie war er verwundert, als er die schöne Prinzessin in ihrem grünen goldgestickten Samtrock neben sich im Grase liegen sah.

Schnell sprang er auf und kniete wieder vor ihr nieder und flüsterte: »Ach, allerholdseligste Prinzessin! wollen Sie nicht aufstehen und sich in meine Mühle bemühen?« Da sie aber kein Zeichen von sich gab, kam er in die größte Angst, und dachte erst, daß sie wohl gar könne ertrunken sein.

Nun besann er sich hin und her, was er für Mittel gehört hatte, Ertrunkene wieder zu sich selbst zu bringen. Aber es wollte ihm keines recht gefallen; er wagte keines aus Schüchternheit anzuwenden; so sehr unwürdig fühlte er sich, die Prinzessin zu berühren.

Das gewöhnliche Mittel, sie auf den Kopf zu stellen, fiel ihm zuerst ein; aber wie konnte er, dem es schon durch Mark und Bein ging, wenn er einen Laib Brot auf der oberen Seite liegen sah, auch nur den Gedanken ertragen, eine Prinzessin auf den Kopf zu stellen? Dann fiel ihm ein, daß man solchen Betäubten Federn unter der Nase verbrenne, um sie durch den scharfen Geruch zu sich zu bringen; aber auch dieses Mittel schien ihm erschrecklich; er hätte sich nie verzeihen können, einer so schönen Nase etwas Häßliches in die Nähe zu bringen. Da er also gar nichts wußte, fing er, neben ihr knieend, von ganzem Herzen zu beten an: der liebe Gott möge die schöne Ameleya doch wieder zum Leben zurückrufen.

Wie er so betend ihr in das liebliche Angesicht schaute, summte eine kleine goldene Biene um sie her und wollte sich eben auf ihren roten Mund, den sie für eine duftende rote Nelke hielt, niederlassen. Da vergaß Radlauf in der Angst, die Biene möge die Prinzessin stechen, alle seine vorige Schüchternheit und gab der schönen Ameleya, als er die Biene verjagen wollte, eine ziemliche Ohrfeige, nach welcher sie mit einem tiefen Seufzer die Augen aufschlug und erwachte.

Radlauf kniete noch zitternd neben ihr und sprach in der tiefsten Ehrerbietung: »O allerholdseligste Prinzessin! verzeihen Sie mir, daß ich Ihnen eine Ohrfeige gegeben, aber ich versichere Dieselben, der Schlag war allein auf eine unverschämte Biene gemünzt, welche Dero lieblichen Mund für etwas anderes, z.B. eine rote Blume ansah und Honig darauf sammeln wollte. Als ich diese nun erschlagen wollte, entwischte sie unter meiner Hand, und diese hatte das Unglück, der allerholdseligsten Prinzessin Wange nur allzuderb zu berühren. Ich flehe nun um Verzeihung; ist aber mein Verbrechen wirklich so groß, als ich es fühle, so bitte ich Dieselben, mir alsogleich den Tod zu geben.«

Die schöne Ameleya hörte diese Worte des Müllers kaum, so betäubt war sie noch, und da sie sich endlich aufrichtete und auf ihren Füßen fest wie eine schöne Bildsäule am Rhein dastand und gar nichts von der Ohrfeige zu wissen schien, tat er auch weiter keine Erwähnung davon.

Die Prinzessin sah bange den Rhein hinauf, da hörte sie noch in weitester Entfernung eine Trauermusik erschallen, mit welcher das Schiff ihrer Eltern nach Mainz zurückruderte. Das beruhigte einigermaßen ihr Herz; denn wo ihr Bräutigam, der Prinz Rattenkahl, hingekommen sein möge, das kümmerte sie gar nicht, weil sie eigentlich aus Schrecken über dessen unangenehmes Aussehen in das Wasser gefallen war.

Nun kniete sie nieder und dankte Gott von Herzen, daß er sie so wunderbarlich errettet habe, und wandte sich dann zu Radlauf, dem sie nun auch von Herzen dankte und ihn bat, sie in seine Mühle zu führen, damit sie ein wenig schlafen könne.

Radlauf konnte vor Freuden und Entzücken, als die schöne Prinzessin mit ihm sprach, gar kein Wort vorbringen. Er machte bloß eine untertänige Verbeugung, und als sie nach der Mühle zu wandelte, ging er hinter ihr her, teils aus Ehrerbietung, teils damit ihr die vom Rheinwasser noch sehr nasse Schleppe nicht so kalt an die Beine schlagen sollte. Der Prinzessin gefiel diese Artigkeit des Müllers gar sehr, und sie sah dann und wann um und nickte ihm freundlich mit dem Kopf. Er aber sah ganz beschämt an den Boden, und wie erstaunte er nicht, als er überall, wo die schöne Ameleya ihren Fuß auf der Wiese hinsetzte, lauter Ehrenpreis und Königskerzen und Rittersporn und andere adelige Blumen aufblühen sah, worauf er wieder sehr an seinen Traum gedachte.

So traten sie in die klappernde und stäubende Mühle, und als er sie in seine Stube gebracht, redete sie mit großer Freundlichkeit einige Worte zu ihm; doch konnte er ihre Stimme nicht verstehen vor dem Mühlgeräusch, und er wollte sich schon wegbegeben, die Mühle festzustellen, aber sie blieb in demselben Augenblick von selbst stehen, was ihn zu einer andern Zeit gewiß sehr verwundert hätte, ihm jetzt aber gar nicht auffiel, so beschäftigt war er mit seinem vornehmen Besuch und besonders mit dem Gedanken, was in aller Welt er ihr wohl für eine Mahlzeit auftischen sollte.

Radlauf verbeugte sich vor Ameleya und bat sie, sich es bequem zu machen; er legte ihr weiße Tücher über sein Bett, setzte ihr frisches Wasser hin und feine Kleie zum Waschen, auch sein bestes Handtuch und einen ganz neuen buchsbaumenen Kamm, den er selbst geschnitten hatte, wie auch das Brauthemd seiner verstorbenen Mutter und die Hochzeitkleider derselben, damit sich die Prinzessin umkleiden könne; dann machte er ein Feuer auf den Herd, teils ihr etwas zu kochen, teils auch die durchnäßten Kleider zu trocknen.

Alles das tat er still, ohne ein Wörtchen zu sagen. Die Prinzessin war auch ganz still und sah ihm zu, wie er alles so fleißig und bedachtsam und bescheiden besorgte, was ihr etwa angenehm sein könnte. Nun nahm er noch seine eigenen Sonntagskleider aus dem Kasten, hängte sie über den Arm, legte ein Stückchen Kreide auf den Tisch, ließ sich dann auf ein Knie nieder und sprach: »Allerholdseligste Prinzessin! wenn Sie sich der wenigen Bequemlichkeit in der Stube eines armen Müllers bedient haben, geruhen Sie mit dieser Kreide hier an die schwarze Küchentüre Ihre sämtlichen Leibspeisen aufzuzeichnen, damit ich hernach wieder hereinkomme und sehe, womit ich Sie in der Eile zu erquicken vermag.«

Die Prinzessin war durch die Artigkeit des Müllers sehr gerührt, brach die Kreide entzwei und gab dem Müller ein Stück mit den Worten: »Nimm hin, mein lieber Radlauf! begebe dich in die Küche und schreib auf die andre Seite der Türe deine Leibspeisen, und diejenigen, welche wir beide zugleich werden aufgeschrieben haben, sollst du mir dann bereiten.« Radlauf nahm die Kreide und sprach: »Nicht allein dieses, sondern auch alles andere, was Sie wünschen könnten, schwöre ich Ihnen zuzubereiten, wenn es in meinem Vermögen steht.« Nun machte er eine Verbeugung und begab sich nach der Küche.

Wie Radlauf den Küchenzettel macht und der schwarze Hans dabei sein will.

Kaum war Radlauf in der Küche, als er ein hübsches Feuer auf dem Herd machte und alles Geschirr recht reinlich ausscheuerte, wobei er sich immer besann, was er für Lieblingsgerichte aufschreiben sollte; aber es wollte ihm auch gar nichts anderes einfallen als gebrannte Mehlsuppe und Rühreier, denn er hatte sein Lebtag nichts anders gegessen und kannte auch kein anderes Gericht.

Unter diesen Geschäften und Sorgen horchte er dann und wann nach der Türe hin, ob die Prinzessin etwa schon auf der andern Seite ihre Lieblingsspeisen daran schreibe; aber er vernahm noch nichts; sie schien beschäftigt sich umzukleiden.

Mit allem war er nun bereit, nur besann er sich noch immer auf irgend eine andere Speise und rieb sich die Stirne, indem er auf und ab ging.

Er hatte aber am Fenster einen zahmen Star im Vogelbauer hängen, den er trotz langer Bemühung noch nicht hatte sprechen lehren können, wenngleich der Vogel eine besondere, ja beinah menschliche Klugheit verriet; als er nun den guten Vogel ganz tiefsinnig auf seiner Stange sitzen sah, als ob er sich auch auf einen Küchenzettel besänne, fragte er ihn, wie er gewöhnlich pflegte, wenn er seine Mahlzeit zubereitete:

Schwarzer Hans, du meine Freude!

Was kocht der weiße Müller heute?

Da antwortete der Star zum erstenmal, aber mit sehr trauriger Stimme:

Gebranntes Mehl und Rührei,

Der schwarze Hans ist auch dabei!

»Wohlan, so soll es auch dabei bleiben«, rief Radlauf aus, voll Freude, daß sein Vogel zum erstenmale gesprochen. Fröhlich ging er zum Vogelbauer, streute schönen Weizen hinein und füllte das Tröglein mit frischem Wasser; aber Hans blieb immer traurig, er wollte nicht fressen und nicht saufen; das Herz schlug ihm, als wenn er einer Katze gegenübersäße, und die Flügel ließ er hängen wie ein Leichenbitter.

Radlauf konnte gar nicht begreifen, was den Vogel nur so betrüben möge. Endlich dachte er: er ist vielleicht erschrocken, als ihm auf einmal der Verstand aufgegangen und die Sprache gekommen, nun weiß er jetzt seines Studierens kein Ende, weil er vor lauter Gedanken gar nicht weiß, was er zuerst sagen soll.

Um ihn ein wenig aufzumuntern, sprach er zu ihm:

Friß und sauf und bade dich

Und pfeife eins, Hans ohne Sorgen,

Weil ich zum Schmause lade ich;

Hast du kein Geld, ich will dirs borgen.

Worauf ihm aber der Star noch viel betrübter antwortete:

Was hilfts, wenn ich viel fresse,

Es ist mein Leichenschmaus;

Mich speist doch die Prinzesse,

Denn meine Zeit ist aus.

Was hilfts, wenn ich viel saufe,

Es ist mein Sterbetrunk;

Dem Tod ich nicht entlaufe,

Mich ißt ihr roter Mund,

Was hilfts, wenn ich viel bade

Mein Trauermäntelein;

Ich sterb heut ohne Gnade,

Ich muß gefressen sein.

Dabei legte er den Kopf ganz betrübt auf sein Freßtröglein, als wollte er ihn abgehackt haben. Radlauf bemitleidete ihn herzlich und machte ihm den Bauer auf und das Fenster, damit er sich eine Bewegung machen möge; denn er glaubte, er sei von vielem Studieren und Einsitzen so tiefsinnig geworden. Indem hörte er die Prinzessin mit der Kreide an der Türe schreiben, und schnell sprang er mit seiner Kreide auch an die Türe; sie schrieb von außen und er schrieb von innen, und sie schrieb noch lange, als er längst fertig war. Endlich machte sie die Türe auf und sprach; »Jetzt will ich lesen, was ich alles aufgeschrieben; wenn du es nicht hast, so gieb mir ein Zeichen.«

Da las sie:

»Gebackene Pflaumen von Wolfenbüttel?«

Der Müller mit dem Kopf schüttelt.

»Ein verzuckerter Schweinskopf?«

Der Müller schüttelt mit dem Kopf.

»Eine Schneckenleber-Pastete?«

Der Müller mit dem Kopf drehte.

»Ein vergoldetes Kalbshirn?«

Der Müller schüttelt mit der Stirn.

»Lämmerschwänzchen in Honig gebacken?«

Der Müller schüttelt mit den Backen.

»Ein kandierter Wasserhase?«

Der Müller schüttelt mit der Nase.

Endlich sagte sie:

»Gebrannte Mehlsuppe und Rührei?«

Der Müller sprach: »Es bleibt dabei.«

Dann las die Prinzessin noch:

»Einen frischen Starenbraten?«

Der Müller sprach: »Ach ja, Ihr Gnaden!«

und die Tränen liefen ihm in die Augen, denn der Star sprach einmal übers anderemal laut und vernehmlich, aber mit sehr betrübter Stimme dazu: »Der schwarze Hans ist auch dabei«; und Radlauf merkte wohl, daß der gute Vogel vorausgefühlt haben müsse, daß ihn die Prinzessin aufessen werde. Warum er das wußte und wie er es wußte und wozu es gut war, daß es geschah, das wußte damals kein Mensch und kein Star; vielleicht wird es im Fortgang dieser Märchen noch einmal bekannt. So viel ist gewiß, daß Radlauf wohl fühlte, er könne der Prinzessin keine Einwendung machen, so leid es ihm auch tat, den schwarzen Hans zu schlachten; denn er hatte ihr geschworen, alles, was in seinem Vermögen sei, für sie als Speise anzurichten, so sie es begehrte. Er verbeugte sich demütig vor der schönen Ameleya und sagte: »Sogleich werde ich die Ehre haben, Euer Holdseligkeit zu bedienen«, und somit zog er die Küchentüre wieder zu.

Wie sich der schwarze Hans selbst umbringt, Radlauf und Ameleya ihn essen und nach Mainz ziehen.

Nun band sich Radlauf einen ganz neuen Mehlsack als Küchenschürze vor und nahm seinen Schleifstein und sein Messer zur Hand; denn er wollte dem Hans den Kopf mit einem recht scharfen Messer abschneiden, damit er nicht viel Schmerzen haben möge. Da er nun mit seinem Messer auf dem Wetzstein hin und her fuhr, fing der Star an, dazu zu sprechen:

Messer, Messer, wetz, wetz, wetz,

Ist der Lohn für mein Geschwätz:

Hätt ich nicht so sehr geschwätzt,

Wäre ich ein Fürst bis jetzt.

Als Radlauf diese bedeutungsvollen Worte des schwarzen Hansen hörte, hielt er mit Wetzen ein und redete sogleich, denn er hatte eine besondere Hochachtung vor Standespersonen in andern Umständen, den Vogel mit folgenden Worten an: »Ihro Durchlaucht waren also ein Fürst, ach vielleicht gar von Geblüt; o dann getraue ich mich nicht, meine Hand an Ihr gesalbtes Haupt zu legen, und so Euer Durchlaucht geruhen, werde ich Dieselben der Prinzessin Ameleya vorstellen.« Der Vogel antwortete hierauf:

Einst war ich Fürst von Starenberg,

Mein Maul stand damals überzwerg;

Doch ich habe so viel geschwätzt,

Daß es ein Schnabel ward zuletzt.

Dann bat er den Müller noch, ihn zu der Prinzessin zu lassen; er wolle nur die Ehre haben, sie vor seinem Tode noch einmal zu sehen, worauf er sich wieder einstellen wolle, um geschlachtet zu werden.

Sein Testament sei bereits gemacht, er habe es mit Kienruß vermittelst seines Schnabels auf einen Mehlsack vor einigen Tagen geschrieben, und werde es Radlauf zu seiner Zeit finden. Hierauf machte der gerührte Müller Tür und Fenster auf und sprach: »Ihro Durchlaucht können sich begeben, wohin Sie wollen.« Der Star aber flog nicht etwa zu dem Fenster hinaus; das fühlte er tief unter seiner Würde; er begab sich vielmehr zu Fuß mit langsamen anständigen Schritten in die Stube zu der Prinzessin, und Radlauf schloß die Türe bescheiden hinter ihm zu, horchte auch nicht am Schlüsselloch, weil ihn Staatssachen damals gar nicht interessierten.

Als Ameleya den Vogel hereintrippeln hörte, wendete sie sich zu ihm, und er flog vor ihr auf den Tisch, an welchem sie mit aufgestützten Armen nachdenkend saß. Er machte da mehrere Komplimente und rührende Stellungen vor ihr; die Prinzessin sah ihm verwundert zu und wollte eben über seine wunderlichen Manieren lachen, als der Vogel mit beweglicher Stimme zu ihr sprach:

Gott grüß dich, schöne Ameley!

Der schwarze Hans ist auch dabei,

und mit seinem Schnabel eine goldene Nadel unter seinem Flügel hervorzog, die er sich so heftig in das Herz stieß, daß das Blut der Prinzessin auf den Arm spritzte. Als er niedersank, sagte sie mit Tränen: »Ach, armer Hans! was hast du getan?«

Da sprach der Vogel mit sterbender Stimme:

Ade, du schöne Ameley!

Verzeih mir meine Schwätzerei;

Das schönste Grab wird mich beehren,

So du mich willst sogleich verzehren;

Der Müller soll auch essen mit.

Ich wünsch euch guten Appetit.

Nach diesen Worten streckte er die Beine aus, schloß die Augen, sperrte den Schnabel auf und war mausetot.

Die schöne Ameley zog ihm die Nadel aus der Brust und erkannte dieselbe als eine ihrer Haarnadeln, die sie vor mehreren Jahren einem Edelknaben zu Mainz geschenkt hatte, der bald darauf verschwunden war. Über sein Verschwinden ging das Gerücht unter den übrigen Edelknaben, er habe ihnen erzählt, daß die Prinzessin Ameleya ihm eine ihrer Haarnadeln geschenkt, und da sei er plötzlich in einen Star verwandelt worden und davongeflogen. Jetzt erkannte Ameleya nur zu gut die Wahrheit jenes Gerüchts und vergoß bittere Tränen des Mitleids um den armen Hans und weinte und schluchzte so laut, daß Radlauf nach seinem Mühlrad ging, welches vorhin stehengeblieben war, um zu sehen, was es am Gange hindere; denn das Jammern der Prinzessin ging ihm so zu Herzen, daß er wünschte, er möge es vor dem Mühlgeklapper nicht mehr hören.

Da fand er nun zu seiner großen Verwunderung die Krone des Königs von Mainz, die, als der alte Herr sie in seinem Zorn dem Prinzen Rattenkahl an den Kopf hatte werfen wollen, in den Rhein gefallen war, in dem Getriebe seiner Räder hängen, wodurch sie stillgestanden waren. Kaum hatte er sie herausgenommen, so ging die Mühle wieder munter darauf los.

Als er nun wieder in die Mühle gehen wollte, sah er jenseits des Rheins einen Trompeter auf dem Rochusberg stehn; der blies, daß es in die Felsen hinein schmetterte, und rief dann etwas mit lauter Stimme aus. Auch sah er viele Fischer und Taucher auf dem Rheine herumfischen und schwimmen und tauchen und suchen. Einer von diesen sagte ihm nun: der König von Mainz habe dem seine Tochter, die Prinzessin Ameleya, zur Gemahlin versprochen, der sie lebendig wiederbrächte, und wer sie tot brächte, der solle ein Schloß am Rhein haben, und wer sie samt der verlornen Krone zurückliefere, der solle sein Nachfolger sein.

Radlauf konnte ihn vor Freude gar nicht zu Ende hören; er versteckte die Krone in seinen Busen und hüpfte freudig nach der Mühle über die Wiese hin. Da er in die Küche kam, hätte er beinahe vor Freuden der Prinzessin: »Juchheh! mein herzallerliebster Schatz!« zugerufen; aber das Wort im Munde erstarrte ihm, denn er sah die Prinzessin beschäftigt, den verstorbenen Herrn von Starenberg zu rupfen. Sie pflückte so zärtlich an seinen Federn, die sie alle in ihr seidenes Schnupftuch tat, als fürchte sie, ihm wehzutun, und unterdessen erzählte sie dem Müller den ganzen Selbstmord des schwarzen Hansen, salzte ihn mit ihren Tränen und steckte ihn an ihren großen silbernen Schnürnestel, um ihn zu braten; seine Eingeweide aber tat sie in eine Büchse, um sie in seinem Familienbegräbnis beisetzen zu lassen. Aus den Federn machte sie ein seidenes Kissen, welches sie immer auf ihrem Herzen trug.

Die gebrannte Mehlsuppe und die Rühreier waren auch fertig geworden, und der Herr von Starenberg, der gutes Futter bei dem Müller genossen hatte, gab einen delikaten Bratengeruch von sich. Die schöne Ameley nötigte den Müller zu Tisch und aß vor allem unter bittern Tränen ihr Teil von dem schwarzen Hans. Das Herz schnitt sie entzwei und gab die Hälfte dem Müller; aber kaum hatten beide davon gegessen, als es ihnen sehr wunderbar zu Mut wurde und sie eine große Liebe zueinander empfanden. Sie sahen sich immer einander an, und die schöne Ameleya sagte:

»Mein lieber Müller, es ist mir niemals so wohl gewesen als bei dir, und wenn du von Adel wärest, wollte ich mit niemand mein Leben zubringen als mit dir.« Radlauf aber sagte zu ihr:

»Allerschönste Ameley, ich habe einen reichen vornehmen Freund, den alten Rhein, er soll uns wohl helfen, er hat Euch mir in die Arme gegeben und wird wohl weiter Rat schaffen. Jetzt aber rüstet Euch, daß ich Euch zu Eurem Vater zurückführe.«

»Ach!« sagte die schöne Ameleya, »mein Vater ist sehr stolz und geizig, er wird uns gewiß nicht helfen, und wenn er unsere Liebe merkt, sind wir verloren.«

»Seid nur ruhig,« sagte Radlauf, »ich habe ein ganz anderes Glöcklein läuten hören«, und somit ging er mit Ameley, die ihn nicht mehr verlassen wollte, hinaus auf die Wiese, und bat sie, ihm zu helfen, allerlei Kränze zu machen.

Während sie das tat, holte er seinen schönsten Esel und zäumte ihn mit bunten Bändern und schmückte ihn mit den Kränzen. Auch die schöne Ameleya wurde mit Blumen geziert, und setzte sich dann auf den Esel. Er selbst setzte die Krone des Königs auf, tat seine Feierkleider an und führte, in der einen Hand eine blühende Königskerze tragend, den Esel mit der schönen Ameley nach Mainz.

Ihre Gespräche unterwegs waren von lauter Liebe und Freundlichkeit, und sie übereilten sich gar nicht; der Esel machte einen Schritt nach dem andern. In den Dörfern entstand die größte Freude; jedermann, der ihnen begegnete, pries den guten Müller Radlauf selig und schloß sich dem Zuge an; viele aber eilten mit der frohen Nachricht voraus.

Kaum hatte nun der König gehört, ein Müller habe die schöne Ameleya gerettet und bringe sie, als er bekannt machen ließ: kein Mensch solle bei Todesstrafe ein Wort davon sprechen, daß er die Tochter dem Finder zur Braut versprochen.

Wie Radlauf betrogen ward, dem König von Mainz den Krieg erklärte, was er nachher in seiner Mühle träumte, und wie er die Königin und Rattenkahl von Trier begräbt.

Der Zug kam Mainz immer näher, und als die schöne Ameleye die Fenster des Schlosses in der Abendsonne spiegeln sah, weinte sie vor Traurigkeit, und als sie über die lange Rheinbrücke zogen, weinte sie noch viel mehr, und sagte zu dem Müller: »Lieber Radlauf, nimm diesen Ring zum Angedenken,« und gab ihm einen Ring, »und diesen Kranz, wirf in den Rhein, daß er uns helfe.« Das tat der Müller, und sie zogen in die Stadt ein, vom Volke begrüßt, und vor das Schloß.

Der König lag mit der Königin am Fenster, und als Radlauf sie sah, machte er mit dem Esel halt, schwenkte die Krone und rief hinauf:

»Ich wünsche Euch einen guten Abend, Herr Schwiegervater und Frau Schwiegermutter! Hier bringe ich Euch meine Braut, Eure Tochter, die schöne Ameleya, lebendig: nun sagt mir öffentlich vor dem Volke zu, was Eure Trompeter ausgeblasen haben, so sollt Ihr Euer Kind wieder in Eure Arme schließen.«

Die schöne Ameley ward rot bis über die Ohren, als Radlauf so mutig hinaufschrie; der König und die Königin wurden aber vor Bosheit totenbleich, und plötzlich drangen mehrere Trabanten aus dem Schlosse, rissen die schöne Ameley vom Esel und brachten sie ins Schloß, dessen Tore sie dem nacheilenden Radlauf vor der Nase zuschlugen; zugleich wurden auch alle Fenster des Schlosses zugemacht, und der betrogene Radlauf mochte pochen und jammern, wie er wollte, er bekam keine Antwort.

Er hatte aber den schwarzen Hansen halb im Leibe und war voll Mut und erklärte, auf seinen Esel steigend, dem König von Mainz laut den Krieg, worüber die Mainzer Bürger ihn höhnisch auslachten, und die Kinder ihn den Eselsritter nannten. Da aber einige brave Leute ihm beistanden und laut den König wortbrüchig nannten, ließ der König sogleich ausrufen: jedermann solle sich nach Hause begeben, und man solle den wahnwitzigen Müller ruhig heimziehen lassen. Weil sich nun das Volk noch nicht verlor, ließ er einen hohen Galgen vor dem Schlosse aufrichten, vor welchem die Mainzer mit großem Respekt nach Hause gingen.

Als sie alle fort waren, stand der arme Radlauf mit seinem Esel allein da. Er sah die Sonne untergehen ganz rot in den Rhein und blickte an die Fenster, ob er seine schöne Ameleye nicht sehen könnte: da warf man plötzlich alle die Kränze oben herab, mit denen er die schöne Ameley geziert hatte. Er las sie sorgsam auf und hängte sie an seinen Esel, und da es bereits dämmerte, ging er an den Galgen, und hängte des Königs Krone daran, und schrieb dazu:

Zum ewigen Angedenken

Häng ich hier deine Krone,

Wo du, meineidiger König!

Zu deines Undanks Lohne

Heut selber müßtest henken.

Dann drehte er seinen Esel herum und ritt ruhig wieder nach Haus.

Unterwegs dachte er, wie er es anfangen sollte, den König zu bestrafen; aber immer kamen seine Gedanken auf die schöne Ameley, und er vergaß allen Zorn und fiel in eine tiefe Schwermut. Als ihm seine Mühle entgegenklapperte, fiel ihm seine Armut und seine heutige Hoffnung recht aufs Herz, und als er seinen Esel eingestellt und seine Stube betreten hatte, wurde er sehr betrübt.

Alles lag, wie die schöne Ameleya es verlassen, und sein Bett war noch eingedrückt von ihr. Alles ließ er, nichts getraute er sich zu verrücken, es war ihm alles heilig.

Als er in die Kammer trat, wo ihm sonst sein Star entgegengeschrieen, und er nun den leeren Käfig ansah, rief er aus: »Ach armer, schwarzer Hans! kaum war dir der Adel über den Schnabel gekommen, so konntest du nicht anders, du mußtest aus Höflichkeit sterben und gefressen werden; ach ich armer Müller! kaum nenne ich den König Schwiegervater, so läßt man mir den Galgen vor die Nase bauen; aber ich lasse nicht ab, bis mir mein Recht gehalten wird, und sollt ich beim Kaiser selbst drum appellieren.« Nun ging er auf seinen Mühldamm; es war zwölf Uhr in der Nacht; aber er wollte doch noch seinem alten Freund, dem Rhein, gute Nacht sagen, und sang ihm folgendes Lied, indem er ihm die Kränze der schönen Ameley zuwarf:

Wie oft ich dir gesungen,

Weißt besser du als ich;

Wie manchen Kranz geschlungen,

Weißt besser du als ich.

Wie froh mein Herz geschlagen,

Weißt besser du als ich;

Wie ich mein Leid soll klagen,

Weißt besser du als ich.

Die hohen Sterne schwanken

So düster heut in dir;

Es schwanken die Gedanken

So düster heut in mir.

Du gabst mir in den Wellen

Die schöne Ameley:

O wolle mir gesellen

Die schöne Ameley.

Sie schickt dir Blumenketten,

Die schöne Ameley;

O helfe mir erretten

Die schöne Ameley.

Gute Nacht, tu dich bedenken,

Was mir das Beste sei;

Tu in dem Traum mir schenken

Die schöne Ameley.

Da er dies gesungen, ging er nach Hause und legte sich auf die bloße Erde neben das Bett, wo heute die schöne Ameley geruht; denn er wollte dies nicht verändern, und so schlief er ein und hatte folgenden Traum. Er sah den alten Rhein wieder, der saß im Rohr und schnitt eine Pfeife, und als er ihn fragte: »Für wen ist die Pfeife?« sprach der Rhein: »Für dich und deine Armee, du sollst sie in dem Kriege blasen, den du dem König von Mainz angekündigt.« Als er ihn aber fragte, woher er die Soldaten erhalten sollte, sagte der Rhein: »Vom Prinzen Rattenkahl im Bingerloch.«

Da erwachte der Müller, und dachte seinem Traum lange nach und konnte nicht klug daraus werden; doch hatte er einen großen Glauben an den Traum und ging am Rhein hinab an das Bingerloch spazieren, und da er dort ein schönes Rohr fand, schnitt er sich eine Rohrpfeife und setzte sich auf eine Felsenspitze und pfiff ein lustiges Lied. Kaum hatte er ein Stückchen gepfiffen, als er wieder ein großes Gepfeife hörte und eine Menge schwarzer Mäuse um den Felsen heraufkriechen sah; an ihrer Spitze stand eine große Ratze, welche sich auf die Hinterbeine setzte und also zu ihm sprach: »Mein lieber Müller Radlauf,[31] was steht zu deinen Diensten?« Da sagte Radlauf: »Ein paarmal hunderttausend Mann gegen den König von Mainz, der mir die schöne Ameley nicht geben will.« – »Von Herzen gern,« sagte die Ratze, »aber du mußt mir auch einen Gefallen tun und den Prinzen Rattenkahl und seine Frau Mutter, bei der ich bis jetzt in Diensten gestanden, und die im Bingerloch verunglückt sind, begraben.« – »Das ist nicht mehr als Schuldigkeit«, sagte Radlauf. »Ihre Körper«, erwiderte die Ratze, »liegen bei dem Bingerloch auf der Insel, wo du sie begraben kannst, bis die Leute von Trier es erfahren und sie abholen; wenn du das verrichtet hast, so gehe nach Mainz mit deiner Pfeife, und sobald du pfeifst, komme ich mit allen Mäusen der ganzen Welt, denn ich bin der Rattenkönig, und helfe dir.« – »Aber der schönen Ameleya dürft ihr nichts tun«, sagte Radlauf. »Behüte Gott«, sagte die Ratze, und so war der Bund geschlossen.

Nun setzte sich der Müller auf seinen Kahn und fuhr hinüber auf die Insel mit Hacke und Spaten. Da fand er den Prinzen Rattenkahl und seine alte Mutter, die Königin von Trier, auf dem Sande liegen, und eine Menge Ratten um sie herum, welche sie bewachten. Er machte in die Mitte der Insel zwei schöne Gruben nebeneinander, die er mit Kräutern und Blumen ausstreute, wobei ihm die Ratten sehr fleißig halfen. Dann legte er die beiden hinein und faltete ihnen die Hände. Bei dem Prinzen gelang es ihm, aber bei der Königin ging es nicht; denn sie hatte zwei Fäuste gemacht, und die konnte er nicht aufkriegen. Er ließ ihnen allen Schmuck; ja er putzte ihnen noch ihre Kronen mit Rheinsand wieder blank, da sie von dem Schlamm trüb geworden waren. Auf das Grab aber legte er einen Stein, auf welchen er folgende Inschrift machte:

Hier ruht

Die Königin von Trier,

Prinz Rattenkahl auch neben ihr.

Sie zogen auf die Freierei

Nach der schönen Ameley;

Im Bingerloch ertranken sie;

Der Müller Radlauf begräbt sie hie;

Er hat sich eine Pfeif geschnitten

Und ist nach Mainz in Krieg geritten,

Der Rattenkönig steht ihm bei,

Daß Gott gepfiffen und getrommelt sei.

Wie Radlauf die Mäuse zu Mainz zusammenpfeift, das Testament des schwarzen Hans auf seiner Mühle findet und in den Schwarzwald abreiset.

Als Radlauf das Begräbnis vollendet hatte, war es schon Abend geworden; aber er ritt dennoch nach Mainz, und es schlug zwölf Uhr in der Nacht, als er allein vor dem Schlosse stand. Ach Gott! dachte er, wenn ich nur die schöne Ameley noch einmal sehen könnte, ehe ich meinen Krieg anfange, vielleicht könnte noch alles gut gehen.

Mehreremal wollte er seine Pfeife an den Mund setzen, aber immer unterbrach ihn irgend ein Geräusch, und er glaubte immer, das könnte Ameley sein, und er blies nicht. Aber endlich hörte er ein Fenster aufgehen und folgendes Lied singen:

Da drunten in jenem Tale

Da treibet das Wasser ein Rad,

Das treibet nichts als Liebe

Von Morgen bis wieder zur Nacht.

Das Rad das ist zerbrochen,

Die Liebe hat ein End,

Und wenn zwei Liebchen scheiden,

So reichens einander die Händ.

Der Müller erkannte bald die Stimme der schönen Ameley und war sehr gerührt, denn er merkte wohl, daß sie mit der Mühle, von der sie sang, seine Mühle meinte, und er sang ihr wieder:

Da droben auf jenem Schlosse,

Da singet ein Jungfräulein,

Das hab ich wohl gestern gezogen

Aus dem tiefen blauen Rhein;

Sie ists, um die ich freie,

Der Vater versaget sie mir;

Gott grüß dich, schön Ameleye!

Der Müller steht vor der Tür.

Man kann sich wohl denken, wie die schöne Ameley erfreut wurde, als sie Radlaufs Antwort hörte; ach leider hatte sie ihm nichts Gutes zu sagen, und sang ihm wieder:

Ach Radlauf! lieber Radlauf!

Ich bitt dich, zieh nach Haus;

Mein Väterlein will dich henken

An dem hohen Galgen hinaus!

Mein Mütterlein will dir schenken

An den Hals einen Mühlenstein

Und dich, mein Lieb! versenken

Wohl in den tiefen Rhein.

Dieser Vers gefiel dem Müller gar nicht, und er sang wieder hinauf:

Ich hab einen Traum geträumet

Von blauen Rittersporn,

Von goldnen Kaiserkronen,

Der wird mir zu Disteln und Dorn.

Mausöhrlein trägt nun mein Garten,

Gut Nacht, schön Ameley;

Nun steig ich auf die Warte

Und mach ein Feldgeschrei.

Mein Völklein soll nun ziehen

In des Königs Land einher;

Er wird ihm nicht entfliehen,

Sie sind wie der Sand am Meer;

Sie tragen graue Pelze

Und führen scharfe Zähn;

Kein Hälmlein auf dem Felde

Soll ihnen sicher stehn.

In deiner Mutter Speiskammer

Solln sie zur Tafel gehn;

In deines Vaters Krautgarten

Solln sie spazieren gehn;

Den Thron ihm ganz verderben

Und seines Hauses Schwell,

Und wenn auch hundert sterben,

Stehn tausend auf der Stell.

Solang, bis er wird halten

Sein hohes Königswort,

Solln meine Landsknecht schalten

Mit Rauben und mit Mord;

Dich werden sie verehren,

O schöne Ameley!

Das tu den König belehren;

Leb wohl und bleibe treu!

Als er dies gesungen hatte, sagte ihm Ameley weinend gute Nacht und machte das Fenster zu; denn sie wurde von ihrer Mutter gerufen. Radlauf ging hinauf auf einen Felsen, der Eichelstein genannt, und pfiff einen lustigen Marsch, und kaum hatte er einige Minuten gepfiffen, als er in der Ferne ein großes Gezwitscher hörte. Der Nachtwächter ging vorbei und sagte: »Ei! was pfeift der Wispelwind heut närrisch im Rheingau!« Die Schildwache aber sagte: »Nein! ich glaube, es sind die Grillen.« Da machte ein Bäcker seinen Laden auf und sagte: »Ei! was zwitschern die Schwalben heute wunderlich!«

Dann guckte ein Schneider zum Fenster heraus und sagte: »Wie heut dem Scherenschleifer sein Rad seltsam zischt!« Der Nachtwächter sagte dann wieder: »Es pfeift wie hunderttausend neue Schnupftabaksdosen!« Die Schildwache sagte: »Ich glaube, das wilde Heer wetzt die Jagdmesser«; und so kamen sie in einen lauten Streit, was es sei.

Aber das Pfeifen ward immer stärker, und die Leute wachten alle auf und in allen Fenstern ward Licht; Radlauf aber zog ruhig zur Stadt hinaus und sagte hie und da, wo ihn die Leute fragten, was wohl das entsetzliche Gepfeif sei: das werde wohl des Müllers Kriegsvolk sein, dem der König nicht Wort gehalten.

Als das Pfeifen immer stärker wurde, glaubte der König im Schlaf, es sei die Königin, die so mit der Nase pfeife, und er gab ihr einen Schlag, daß sie aufwachte und bös ward und ihn wieder schlug. Er sagte, sie solle nicht so pfeifen; aber bald merkten sie es wohl, denn die ganze Stadt war in Alarm, und alles schrie: Mäuse! Mäuse!

Nun konnte weder der König noch die Königin eine Maus sehen, ohne in Ohnmacht zu fallen, solchen Widerwillen hatten sie gegen diese Tierchen; aber das half hier nichts, denn in wenigen Minuten liefen sie schon außen an den Schloßfenstern in die Höhe, und es war ein solch Geknister und Gepfeife in allen Wänden, daß man in steter Todesangst war.

Nun waren zwar viele Katzen in Mainz; aber der König ließ sie alle wegfangen und um seine Stube herum setzen, und das Volk war ganz hilflos. Es war ein Geschrei, daß man sein eigen Wort nicht mehr hörte; denn nun kamen noch die Bauern aus den ringsum liegenden Dörfern und schrieen, daß die Mäuse ihnen alles Getreide abfräßen und das Korn auf den Speichern.

In solcher Angst war die Sonne aufgegangen, und es ward von den Mäusen etwas stiller; denn sie lieben das Licht nicht. Der geängstigte König und die Königin steckten den Kopf unter der Bettdecke hervor, und die schöne Ameleya trat herein und sagte, wie sie gar nichts von den Mäusen gelitten habe, und wie ihr der Müller Radlauf heut nacht im Traum erschienen sei und ihr gesagt habe, ehe der König sein Wort nicht halte, werde er seine Kriegsvölker nicht zurückziehen.

Als der König dies hörte, erinnerte er sich auch an die Worte der Königin von Trier, die ihm auf dem Rhein zugerufen hatte: »Ei! daß dich das Mäuschen beiß!« und er befahl nun, es sollten gleich zwei Trompeter zu Radlauf reiten und ihn höflich einladen, zu einer Unterredung nach Mainz zu kommen.

Als die Trompeter nach Radlaufs Mühle kamen, stand dieser vor der Türe und schrie ihnen entgegen: »Schon gut, ihr Herren! ich komme schon; ich kann mir schon denken, was ihr wollt«, und ohne sie nur anzuhören, sattelte er seinen Esel und ritt mit ihnen nach Mainz. Seine Pfeife hatte er umhängen, und als er zum Tor einritt, pfiff er einige Töne, worüber alle Mäuse sich verkrochen und still wurden.

Als er vor dem Schloß stand, sah der König zum Fenster heraus und konnte vor Zorn kaum reden; aber endlich sammelte er sich und sprach: »Müller Radlauf! wie hast du mir die Mäuse ins Land gebracht?« – »Mein gnädigster Herr Schwiegervater!« sagte Radlauf, »mit dieser Pfeife.« – »Und wo hast du die Pfeife her?« – »Die hat mir mein Freund, der alte Rhein, im Rohr geschnitten.« – »Müller Radlauf! du willst mich zwingen, dir die schöne Ameley zu geben, und ich will es auch tun; schicke mir zu einem Zeichen deines Vertrauens deine Pfeife herauf.« Sogleich nahm nun der Müller seine Pfeife und gab sie den königlichen Bedienten, die sie in das Schloß trugen; sodann kamen einige Trabanten und führten den Müller auch in das Schloß und machten die Tore zu. Aber der arme Radlauf, welcher froh die Treppen hinauf zur schönen Ameley springen wollte, wurde auf Befehl des falschen Königs in einen finstern Kerker geworfen. Die schweren eisernen Riegel rasselten hinter ihm zu, und er war in seinem Elend allein.

Kaum daß er eine halbe Stunde unter bitteren Klagen auf dem Stroh gesessen, raschelte etwas zu seinen Füßen, und er sah den großen Rattenkönig, mit dem er zuerst den Bund geschlossen, vor ihm sitzen und also sprechen: »Mein guter Freund und Bundesgenosse! du hast deine Sache schlecht gemacht, durch deine Treuherzigkeit hast du mich und mein ganzes Volk in des falschen Königs Hände gebracht; mich allein, bitte ich dich, wenigstens zu retten; halte mir die Ohren zu, daß ich es nicht höre, wenn man mein Volk fortpfeift. So bleibe ich bei dir, und dann wollen wir sehen, was weiter zu tun ist.« Unter bitteren Tränen hielt nun Radlauf dem Rattenkönig die Ohren zu; denn er hörte schon die Pfeife klingen und das entsetzliche Geschwirre der Mäuse.