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Wenn die Vergangenheit dich einholt und dein bisheriges Leben auf den Kopf stellt … Eigentlich will Marc ein Haus kaufen, um in Ruhe sein Buch zu schreiben. Doch daraus wird nichts, als er am Strand eine junge Frau vor dem Erfrieren rettet. Wer ist das? Und warum will sie ihr Leben beenden? Danielle trauert noch immer um ihre große Liebe Max. Viel zu früh wurde dieser aus ihrem Leben gerissen. Ein altes Foto wirft sie aus der Bahn, doch ein Unbekannter findet sie in letzter Sekunde. Dass dieser der neue Kunde ihres Arbeitgebers ist, macht die ganze Sache noch komplizierter. Gefühle, von denen beide dachten, sie verloren zu haben, bringen sie näher, doch die Vergangenheit lässt sich nicht so einfach verdrängen. Kann es eine gemeinsame Zukunft geben, wenn alles dagegen spricht? Ein winterlich romantischer Roman, der die LeserInnen zurück nach Rhode Island zu alten Bekannten bringt. Hinweis: Alle Bücher der "Rhode Island Christmas" Reihe sind in sich abgeschlossene Romane, die in beliebiger Reihenfolge gelesen werden können.
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Seitenzahl: 257
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RHODE ISLAND CHRISTMAS
BUCH 1
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Epilog
Weitere Bücher der Reihe
Danksagung
Nachwort
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Zuwiderhandlungen sind strafbar und verpflichten zu entsprechendem Schadenersatz.
Ich widme dieses Buch all denen, die noch immer die große Liebe ihres Lebens suchen oder sie verloren haben. Irgendwo da draußen gibt es jemanden, der euch für euch selbst liebt. Dem ihr es wert seid, für euch zu kämpfen, und der euch so nimmt, wie ihr seid. Und ihr seid perfekt, in all euren Fehlern und Macken. Ihr seid es wert, geliebt zu werden.
Gebt die Hoffnung nicht auf. Glaubt an die Liebe.
Vor vier Jahren ...
„Hallo Officer“, begrüße ich den verdrießlich dreinblickenden Mann am Empfangsschalter des Hauptreviers in Providence, der irgendwas auf einen Block kritzelt. „Ich habe einen Termin mit Chief Grimm. Würden Sie ihm bitte Bescheid geben, dass ich da bin?“
„Und warum sollte ich das machen? Da könnte ja jeder kommen, Miss.“ Er klappt sein Notizbuch zu und blickt endlich auf. „Selbst wenn dieser jemand so hübsch ist wie Sie.“
Ich versuche ein Lächeln, hoffe, dass es echt wirkt. „Sagen Sie ihm bitte, Miss Walter aus Toronto ist da. Er erwartet mich.“
Officer Miller, wie ich seinem Namensschild entnehme, erbarmt sich endlich und tippt eine Nummer in das antike Telefon. „Chef, da ist eine Kanadierin, die will zu Ihnen ... Okay, ich bringe sie hoch.“
Er umrundet den Tresen und winkt mir, ihm zu folgen. „Kommen Sie mit, Miss.“
Ohne auf mich Rücksicht zu nehmen, läuft er die Treppe nach oben. Dass ich einen schweren Rucksack und einen großen Koffer mitschleppen muss, interessiert ihn überhaupt nicht.
„Warten Sie, ich helfe Ihnen, Miss.“ Ein Mann mit dunklen Haaren und der Statur eines Schrankes tritt zu mir und wuchtet anscheinend mühelos meine Gepäckstücke hoch. „Das ist doch viel zu schwer für so eine zierliche Frau wie Sie.“
„Nett von Ihnen, aber ich habe die Sachen vom Bahnhof bis hierher transportiert, da werde ich sie auch diese Scheißtreppen hochbekommen.“
Mehr, als diesem riesigen Typen nachzueilen, kann ich nicht machen, denn er marschiert einfach los. In den Gepäckstücken befindet sich mein ganzer Besitz, also werde ich sie ihm sicherlich nicht überlassen.
„Miss Walter, schön, dass Sie es doch noch geschafft haben.“ Freudig strahlend begrüßt mich der Chief, als wir dessen Büro erreichen. „Sie haben sich ja ganz schön Zeit gelassen.“
„Jetzt bin ich da.“
„Darüber sind wir auch froh. Endlich jemand, der Struktur in unser Revier bringt. Matty, Max, darf ich euch unsere neue Büroleiterin vorstellen?“ Er wendet sich an die beiden Männer, die mich nach oben begleitet haben. „Unser Max wird ab kommendem Jahr nicht mehr für uns arbeiten, sondern für eine andere Abteilung. Aber noch darf ich über ihn verfügen.“
„Wir haben uns schon kennengelernt“, antworte ich und lächele den Schranktypen namens Max an. Er scheint nett zu sein, nicht so wie der Officer neben ihm.
„Ich zeige Ihnen mal Ihr Büro, Danielle.“ Der Chief geht voraus und bleibt zwei Türen weiter stehen. „Das ist ab sofort Ihr Reich. Richten Sie es sich so ein, wie Sie es möchten.“
Ich betrete mein neues Büro und staune nicht schlecht. Der Raum ist sonnig mit großen Fenstern. In den Regalen an den Wänden stehen ordentlich beschriftete Ordner. Die Bilder an den Wänden sind nicht so toll, aber die kann man ja austauschen. Mit ein paar Accessoires könnte es wirklich schön werden.
Ein paar Tage später komme ich in mein neues Büro und entdecke einen bunten Strauß Blumen auf dem Tisch. „Damit du dich bei uns wohlfühlst. Max“, steht auf der Karte, die dabei liegt.
Wie aufmerksam. Ob ich ihn mal anrufen soll? Irgendjemand wird doch seine Telefonnummer haben, selbst wenn er nicht mehr hier im Revier arbeitet. Vielleicht kann mir Lucas helfen, unser IT-Experte. Was würde ich ohne ihn machen? Unzählige Anrufe und Besuche bei ihm waren nötig, damit mein Laptop endlich ordentlich lief. Er ist nett, wie die meisten Kollegen hier, aber so gar nicht mein Typ. Dann schon eher Max. Ja, er ist nach meinem Geschmack. Groß, breit und mit einem Lächeln, das das Eis am Nordpol schmelzen lässt.
Gesagt, getan. Natürlich kennt Lucas Max‘ Nummer, die ich sofort wähle. Wir verabreden uns für den Abend im „Petit Paris“, einem Lokal unweit des Reviers.
Ich habe ein Date mit einem heißen Mann. Dabei lebe ich noch nicht mal eine Woche in Rhode Island.
Wie kam ich bloß auf die Idee, ausgerechnet am Arsch der Welt nach einer neuen Bleibe zu suchen? Irgendwo näher an New York hätte ich mir auch vorstellen können zu leben, doch hier auf dem Land ist nichts, was mich reizt. Okay, die Kombination von Meer und Kleinstadt hat ihren Reiz, aber das war es auch schon. Dabei habe ich in den letzten fünf Jahren nahezu überall auf der Welt gelebt und beileibe nicht immer in vornehmen Hotels oder schicken Apartments. Manchmal war es eine einfache Hütte oder auch nur ein Zelt. Das gehört zu meinem Leben als Journalist halt dazu. Jetzt jedoch will ich mich niederlassen und in Ruhe mein Buch schreiben. Genug Fotos habe ich auf dem Speicherstick gesammelt. Das reicht locker für mehrere Bücher.
Nach der Ankunft am Theodore Francis Green Airport in Providence steige ich in den geräumigen Mietwagen und fahre zur Pension von Miss Julie. Zum Glück hat das Auto Alljahresreifen und ein Navi. Ohne das wäre ich aufgeschmissen. Die Unterkunft hat mir mein Verleger in New York empfohlen. Ebenso Liam Davis, der als DER Immobilienmakler der Ostküste gilt. Mit ihm habe ich später am Tag einen Termin.
Müde und ausgelaugt von dem langen Flug, der mich von Buenos Aires in den hohen Norden brachte, falle ich wenig später in mein Bett und schlafe sofort ein. Wenigstens ist das bequem und weich.
Das leise Klopfen an der Tür reißt mich aus wilden Träumen. Wo bin ich? Was mache ich hier?
„Mr. Pearson? Sind Sie wach? Sie wollten doch um vier Uhr geweckt werden“, dringt die Stimme meiner Gastgeberin zu mir herein. „Kommen Sie runter, ich habe frische Muffins gebacken und Kaffee ist auch schon fertig.“
Umständlich entwirre ich meine langen Beine aus der dicken Decke und tapse ins Badezimmer. Der Kerl im Spiegel über dem Waschbecken sieht furchteinflößend aus. Die dunklen Augenringe erinnern an einen Panda und der Bart an einen Schiffbrüchigen irgendwo in der Südsee. So kann ich unmöglich zu meinem Termin gehen. Der denkt ja, ich wäre ein Penner und wolle ihn überfallen und ausrauben.
Nach einer ausgiebigen Dusche und Rasur fühle ich mich wieder wohl in meiner Haut. Das Leinenhemd noch in die Hose stopfend steige ich die schmale Treppe zum Gemeinschaftsraum hinab. Ein unglaublicher Duft empfängt mich, lässt meinen Magen heftig knurren. Gott, wann habe ich das letzte Mal etwas gegessen? Ich kann mich schon nicht mehr daran erinnern.
„Da sind Sie ja.“ Die hübsche Wirtin lächelt mir entgegen. „Wer hätte gedacht, dass solch ein attraktiver Mann unter dem ganzen Dreck steckt. Sorry, das klingt jetzt irgendwie seltsam, aber so gefallen Sie mir viel besser.“
Überrascht sehe ich sie an. Flirtet sie etwa mit mir? Sie ist nett und nicht gerade hässlich, aber trotzdem so gar nicht mein Fall.
„Na ja, wo ich herkomme, da gibt es nicht so komfortable Unterkünfte und fließendes Wasser ist eher selten zu finden“, versuche ich ihr zu erklären.
Die Kaffeekanne noch in der Hand haltend dreht sie sich zu mir um. „Das klingt trotz allem aufregend. Sie haben bestimmt viel von der Welt gesehen, nehme ich an.“
„Ich bin weitgereist, das stimmt.“ Herzhaft beiße ich in das duftende Gebäckstück, das sie auf den Teller vor mir gelegt hat. Wow! So etwas Leckeres habe ich schon lange nicht mehr gegessen. Der Schokomuffin ist weich und saftig, die Füllung im Inneren zart schmelzend. Einfach perfekt. Daran könnte ich mich wirklich gewöhnen. Aufseufzend streiche ich über meinen flachen Bauch. Wenn ich nicht aufpasse, verwandelt sich dieser rasch in eine runde Kugel.
Die urige Kuckucksuhr in der Diele schlägt fünf Mal. Verdammt, so spät schon? Jetzt muss ich mich aber sputen. Liam, der Makler, hat sich freundlicherweise bereit erklärt, mich noch am Abend zu empfangen. Dafür wird er allerdings auch eine dicke Summe einstreichen.
„Ich muss los“, rufe ich meiner Wirtin zu, bereits in die warme Jacke schlüpfend. „Ich weiß nicht, wie lange es dauert, es könnte später werden.“
„Machen Sie sich keine Sorgen. So früh gehe ich nicht ins Bett. Viel Glück Ihnen. Bei Mr. Davis sind Sie in den besten Händen“, ruft sie mir noch nach.
Dank des Navis finde ich ohne langes Suchen das Büro von Liam. Beim Betreten der Büroräume kommt mir eine hübsche Blondine entgegen, die mich überrascht anschaut. Irgendwie kommt sie mir bekannt vor, nur will mir so schnell nicht einfallen, woher. Auf der anderen Seite ... Im Laufe der Jahre habe ich so viele Menschen getroffen, da wird sie mir auf einer Party oder einem Empfang über den Weg gelaufen sein.
Hinter ihr entdecke ich einen großgewachsenen Mann, vermutlich der vielgepriesene Makler. Wie ein erfolgreicher Geschäftsmann sieht er nicht aus, eher wie ein Rockstar, denke ich schmunzelnd. Die langen Beine stecken in einer schmalgeschnittenen Jeans, die obersten Knöpfe des weißen Hemdes sind offen.
„Willkommen in Rhode Island, Mr. Pearson. Ich freue mich schon, mit Ihnen das passende Objekt zu finden“, begrüßt er mich mit einem strahlenden Lächeln. Er ist mir sofort sympathisch. „Dann wollen wir mal schauen, ob wir etwas Schönes und auch Bezahlbares für Sie finden.“
Er deutet auf eine gemütlich aussehende Sitzgruppe aus dunklem Leder. Auf dem niedrigen Tisch stehen Gläser und Wasserflaschen.
„Sie wurden mir wärmstens empfohlen“, erkläre ich ihm und lasse mich in den Sessel fallen. „Angeblich sind Sie in der Lage, für jeden Kunden das passende Zuhause zu finden.“
„Bis jetzt hat es noch immer geklappt, warum nicht auch bei Ihnen“, antwortet er, den Blick bereits auf den Laptop vor sich gerichtet.
Nach und nach erkläre ich ihm, was mir wichtig und was unwichtig ist und der Makler erfasst alle Details. Es dauert eine Weile, doch dann schaut er mich freudig strahlend an.
„Ich glaube, ich habe etwas gefunden, was Ihnen gefallen könnte und jeden Cent wert ist.“
„Jetzt bin ich aber gespannt. Wann darf ich die Immobilien besichtigen und noch wichtiger: Wann kann ich einziehen?“
„Ich verstehe dich ja, Liebes, aber du musst nach vorne schauen.“ Lucas sieht mich eindringlich an. „Max hätte es so gewollt.“
Aufseufzend schließe ich die Augen. Doch sofort kommt mir das Bild meines Mannes in den Sinn. Lachend steht er auf der Leiter und versucht krampfhaft, die pastellgelbe Lampe aufzuhängen. Natürlich schaffte er es, so wie er alles erledigte, was ich ihm auftrug.
„Ich weiß ... doch es tut so weh“, flüstere ich, die Fäuste in den Bauch drückend.
Lucas war damals dabei, als Max ums Leben kam. Sie hatten den Einsatz geplant, wobei Lucas zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, wer der bullige Mann an seiner Seite wirklich war. Niemand ahnte, dass Max kein Gauner war, sondern als undercover Cop für die Staatsanwaltschaft arbeitete und dafür sorgen sollte, den kriminellen Anwalt aus dem Verkehr zu ziehen. Der Rechtsverdreher wurde verhaftet, doch vorher erschoss er Max und nahm mir damit die Liebe meines Lebens.
Gerade will Lucas etwas sagen, da wird die Wohnungstür des gemütlichen Apartments aufgerissen und eine hübsche, zierliche Blondine wirbelt herein. Wohnt sie auch hier? Wer ist das?
„Ich muss dir unbedingt erzählen, was Mr. Jefferson ...“, setzt sie an, verstummt dann aber, als sie mich sieht. „Wir haben einen Gast. Warum hast du nichts gesagt, Lucas?“
„Mein Besuch war nicht geplant und ich entschuldige mich für den Überfall. Ich sollte wieder gehen“, sage ich leise, bereits aufstehend.
„Das musst du nicht. Kiki, darf ich dir Danielle vorstellen? Sie ist Max‘ Frau. Bei seiner Beerdigung warst du damals ja nicht dabei.“ Lucas deutet auf mich und ich erkenne, wie seine Freundin mich überrascht anstarrt.
„Von unserem Max? Der ...“, wispert sie kaum hörbar.
„Ja, genau der. Wir haben früher zusammen im Revier gearbeitet und ich habe ihr angeboten, zu uns zu kommen, wenn sie Hilfe braucht oder einfach nur reden will.“
Lucas steht ebenfalls auf und zieht seine Freundin hinter sich her in Richtung Küche. Dort flüstern die beiden über etwas, was ich aber nicht verstehen kann. Müde setzte ich mich wieder.
„Sag, dass das nicht wahr ist“, schluchzt Kiki schließlich auf. „Wie schrecklich. Und ich bin daran schuld.“
„Nein, bist du nicht und das weißt du auch.“
Mit weitausholenden Schritten kommt Lucas zurück und lässt sich neben mich auf das breite Sofa fallen. Wenige Minuten später folgt Kiki, mit geröteten Augen und bleich im Gesicht.
„Es tut mir so leid, was passiert ist.“ Mit Tränen in den Augen blickt sie mich an. „Ich hätte doch niemals zugestimmt, wenn ich gewusst hätte ...“
„Es ist nicht deine Schuld. Nichts von alledem ist deine Schuld. Max, also mein Mann, kannte das Risiko und hat sich freiwillig gemeldet.“
Ich greife nach ihrer schmalen Hand und drücke sie fest. „Danke, dass ihr in den letzten Minuten bei ihm wart. So musste er nicht allein sterben.“
Ja, genau das beruhigt mich. Denn genauso gut hätte er irgendwo in einer dunklen Gasse verrecken können und niemand hätte etwas davon mitbekommen. So war jemand bei ihm, dem er etwas bedeutete. Und das hat er wohl, wenn ich die Reaktionen der beiden richtig interpretiere.
Eine Weile sitzen wir einfach nur da und lauschen der sanften Musik aus den versteckten Lautsprechern.
Plötzlich hüpft etwas sehr Großes, Schwarzes und Flauschiges auf das Sofa und nähert sich auf weichen Pfoten. Was für eine wunderschöne Katze, denke ich und strecke langsam meine Hand aus. Vorsichtig schnuppert sie und reibt schließlich ihren Kopf an meinen Fingern.
„Sie mag dich.“ Lucas lächelt mich an. „Du kannst dich geehrt fühlen, denn normalerweise kommt sie nicht raus, wenn wir Besuch haben.“
„Sie ist wirklich bezaubernd“, wispere ich. „Und so weich. Wie heißt denn die Prinzessin?“
„Ihr Name ist Lilly. Sie ist der Schrecken aller Bewohner dieser Anlage.“ Kiki sieht mich schmunzelnd an.
„Wieso das? Ich kann mir nicht vorstellen, dass so etwas Hübsches jemanden erschrecken kann.“
„Du hast keine Vorstellung.“ Kikis helles Lachen bringt auch mich zum Lächeln. „Lilly liebt es, sich den Bewohnern in den Weg zu stellen, wenn diese nachts nach Hause kommen. Und dabei plustert sie ihr Fell auf, wodurch sie nochmal so groß wirkt. Dazu ihre dunkle Farbe. Man sieht sie erst, wenn man schon fast über sie drüber gefallen ist. Zum Glück macht sie es bei mir und Lucas nicht.“
„Sie ist halt intelligent und würde es sich nicht mit ihren Dosenöffnern verscherzen.“ Erneut streichele ich die Katzendame, die nun neben mir liegt und dabei ihren Kopf auf meinem Oberschenkel positioniert. „Du bist clever, Prinzessin. Das sehe ich sofort.“
Eine Weile sitzen wir einfach nur zusammen, hängen unseren Gedanken nach. Draußen fängt es irgendwann an zu schneien. Kleine, fluffige Flocken segeln stumm zum Boden. Noch ist es nicht kalt genug, damit sie auch liegen bleiben, aber die Wetterprognosen sagen voraus, dass sich dies bald ändern wird. Dann verwandelt sich unsere Gegend wahrscheinlich in ein Winterwonderland. Für mich gehört Schnee und Kälte einfach zum Winter dazu. In Toronto, wo ich geboren wurde, hatten wir oft Schnee und ich habe es als Kind immer geliebt. Schlittenfahren, Schneeballschlachten ... Die Erinnerungen daran versetzen meinem Herz einen kleinen Stich.
„Ich sollte fahren. Wenn der Schneefall zunimmt, wird es auf den Straßen schnell ungemütlich“, sage ich schließlich in die Stille. „Danke, dass ich euch besuchen durfte und dass ihr so wundervolle Menschen seid.“
„Du kennst mich doch noch gar nicht richtig.“ Kiki blinzelt mich mit schräg gelegtem Kopf an.
„Vielleicht nicht, aber ich mag dich jetzt schon. Ich spüre einfach, dass du nett bist“, erkläre ich ihr.
„Schreib mir kurz, wenn du zu Hause bist. Nur damit ich dich in Sicherheit weiß.“ Lucas hat zwischenzeitlich meine Jacke geholt und hält mir diese nun hin. Schnell schlüpfe ich hinein und beuge mich zum Abschied in Richtung Lilly.
„Bis bald, du Flauschi“, flüstere ich.
„Sie freut sich, wenn du sie wieder besuchen kommt, da bin ich sicher.“
Lucas zieht mich in eine kurze Umarmung und auch seine Freundin drückt mich an sich.
„Pass auf dich auf.“
Die Fahrt nach Hause dauert nicht lange und ich erreiche den Wohnblock, in dem mein Apartment liegt, gerade noch rechtzeitig.
In meiner Wohnung ist es still und dunkel. Niemand, der mich empfängt oder der den restlichen Abend mit mir verbringt. So viele Kleinigkeiten erinnern mich an Max und an das Leben, das wir gemeinsam hatten. Doch das wird es nie geben. Eine Tür habe ich abgeschlossen und den Schlüssel in einem Blumentopf auf dem Balkon vergraben. Den Raum werde ich nie wieder betreten. Es schmerzt einfach zu sehr.
Das Glas mit Rotwein in der Hand haltend, kuschele ich mich auf das Sofa, während draußen die Stadt vom Schnee bedeckt wird.
Bevor ich auch der Couch einschlafe, puste ich vorsorglich die Kerze aus. Einen Brand will ich bestimmt nicht riskieren.
Es kann nur ein Scherz sein! Fassungslos starre ich den vielgerühmten Makler an, bevor mein Blick auf das unscheinbare Haus zurück schwenkt. Das soll das passende Objekt für mich sein? Liam ist wohl nicht ganz bei Trost. Ich zweifle ernsthaft an seinem Verstand. Wobei ... Das zweigeschossige Gebäude hat irgendetwas, was mich anspricht. Noch kann ich nicht sagen, was, aber fast zieht es mich magisch an.
„Sagen Sie mir, dass das nicht das ist, wonach es aussieht“, brummele ich, bereits die schief in den Angeln hängende Gartentür aufdrückend. „Es sieht eher wie ein Albtraum denn wie ein Traum aus. Wer hat hier vorher gewohnt? Eine der Hexen aus Grimms Märchen?“
„Nein“, lacht Liam, sich an mir vorbeidrängend. „Es gehörte einer alten Dame, die vor etwa drei Monaten verstarb. Zuletzt war sie nicht mehr in der Lage, ihr Häuschen in Schuss zu halten. Erben gibt es keine, also wurde ich von der Stadt beauftragt, einen zahlungskräftigen Käufer zu finden. Ganz so schlimm, wie es hier draußen aussieht, ist es innen nicht. Allerdings werden Sie ein paar Dollar investieren müssen. Dafür ist der Kaufpreis gering und die Lage einfach ein Traum.“
Auf der vorderen Terrasse bleibe ich stehen und drehe mich um, lasse den Blick über die Nachbarschaft schweifen. Ja, er hat recht. Der Ausblick ist unbezahlbar. Man muss nur über die Straße gehen und schon ist man am Strand. Das Rauschen der Wellen ist deutlich zu hören. Ein paar verirrte Möwen segeln über die Promenade und lassen sich auf der Holzbank vor diesem Grundstück nieder. Der Vorgarten oder das, was mal ein Garten war, sieht nun im Winter armselig aus, aber ich kann mir gut vorstellen, wie die vielen Rosenbüsche geblüht haben. Seitlich bietet die Auffahrt zur niedrigen Garage Platz für mindestens zwei Autos.
Aufseufzend wende ich mich dem Makler wieder zur. „Lassen Sie uns das Innere des Hexenhäuschens begutachten. Ich hoffe, es gibt keinen Ofen, in dem Menschen gebrutzelt wurden.“
Das laute Knarren der Eingangstür schmerzt in meinen Ohren, doch dann bleibe ich wie angewurzelt stehen. Was für eine Offenbarung! Niemals hätte ich mit solch einem Innenleben gerechnet.
Die helle Diele erstreckt sich über beide Etagen, die dunkle, breite Holztreppe windet sich nach oben und gibt dem hohen Raum einen gemütlichen Flair.
„Und, was meinen Sie?“ Das breite Grinsen im Gesicht des Maklers spricht Bände. Er weiß, er hat mich gefangen. „Habe ich zu viel versprochen?“
„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Und das kommt echt selten vor, müssen Sie wissen.“ Staunend drehe ich mich um meine eigene Achse. Was für ein Kleinod. „Kann ich den Rest sehen?“
„Natürlich. Dort entlang bitte.“ Mit der Hand weist Liam zur Rechten. „Gleich hier befindet sich die Küche. Sie hat zwar schon bessere Tage gesehen, aber, geben Sie es zu, sie hat ihren eigenen Charme.“
Die Möbel sind im Landhausstil gehalten, jedoch weiß gestrichen. Die Fußbodenfliesen sind dunkelgrau und bilden somit einen schönen Kontrast. Die Fliesen entlang der Arbeitsplatte, in die ein Gasherd und eine große Spüle eingelassen wurden, sind ebenfalls weiß, jedoch mit blauem, dezentem Muster. Der Holztisch vor dem bodentiefen, breiten Fenster Richtung Garten bietet Platz für sicherlich acht Personen. Die Lampe darüber ist leider kaputt, aber ich hätte sie eh ausgetauscht. Rüschen sind eher nicht so meines.
„Gefällt mir sehr gut. Funktioniert der Herd noch? Es gibt nichts Besseres, als mit Gas zu kochen. So etwas findet man heute kaum noch.“ Fast liebevoll streichle ich über die metallene Oberfläche.
„Soweit ich weiß, arbeitet er einwandfrei. Sicherheitshalber sollten Sie aber einen Fachmann kommen lassen, falls Sie sich für das Haus entscheiden. Er kann dann alles durchchecken und notfalls austauschen. Wenn Sie wollen, empfehle ich Ihnen jemanden. Ich arbeite mit einigen Handwerkern in der Gegend zusammen.“
„Hmm.“ Nachdenklich trete ich an die Fenster zum Garten. Die Bäume darin sind zwar jetzt kahl und die Beete leer, aber man kann die Schönheit dieses Platzes erahnen. „Ich würde gern auch den Rest des Hauses sehen, bevor ich mich entscheide.“
„Selbstverständlich. Würde ich genauso machen.“ Freundlich lächelt mich der Makler an. „Hier drüben“, wir durchqueren die Diele, „ist das Wohnzimmer. Es ist geräumig, hat ebenfalls Fliesen und“, er deutet grinsend in eine Ecke des Raumes, „einen Kamin. Allerdings schwöre ich, darin wurde niemand gegrillt.“
Erneut komme ich aus dem Staunen nicht heraus. Klar, die Sofas würde ich entsorgen, aber der Raum ist perfekt. Er hat die richtige Größe und das Licht, das durch die vielen Fenster fällt, lässt ihn leuchten.
„Ich muss meine Meinung revidieren: Das Haus gefällt mir. Sie scheinen doch was von Ihrem Beruf zu verstehen.“
Liam lacht nur und schüttelt leicht den Kopf. Was er jetzt wohl von mir denkt?
Auch die Zimmer in der oberen Etage bestätigen meinen Entschluss. Das Schlafzimmer, oder der Raum, den ich mir als solches vorstellen könnte, ist so, wie ich es gern hätte. Das Bad muss komplett saniert werden, denn auf himmelblaue Fliesen stehe ich wirklich nicht. Die zwei Gästezimmer lassen sich mit wenig Aufwand in gemütliche Rückzugsorte verwandeln. Oder ein Büro und ein Kinderzimmer?
Schließlich stehen wir auf der rückwärtigen Terrasse und ich lasse alles noch einmal auf mich wirken.
„Was meinen Sie? Könnten Sie sich vorstellen, hier zu wohnen?“, erkundigt sich Liam nach einer Weile. „Ich weiß, es ist nicht super stylisch und modern, aber gerade deswegen finde ich es wunderschön. Man spürt noch die Liebe, die die Vorbesitzerin in ihr Haus gesteckt hat. Der Garten muss im Frühling und Sommer ein Traum sein, haben mir die Nachbarn erzählt. Sie hat wohl etliche Preise damit gewonnen.“
„Mit Gartenarbeit kenne ich mich nicht aus, Rasen mähen bekomme ich allerdings noch hin.“
Fast schon kann mich dabei sehen, wie ich die Beete umgrabe, und diese Vorstellung lässt mich lachen.
„Ich nehme es. Sagen Sie den Preis und wann ich einziehen kann.“
Freudig strahlend strecke ich Liam meine Hand hin, nachdem er mir den absoluten Schnäppchenpreis genannt hat. Für nur 15.000 Dollar gehört dieses Schmuckstück demnächst mir.
Von seinem Handy aus schickt er mir noch eine Liste mit Handwerkern und einem Möbelverleiher. Schließlich besitze ich nichts außer meiner Kleidung, der Kamera und einem Laptop.
Eine Schachtel mit Pizza auf dem Tisch vor mir starte ich von der Pension aus, in die ich ziemlich verfroren wieder zurückkehrte, mein erstes Hausprojekt. Schon übermorgen könnten die alten Möbel abgeholt und neue geliefert, wenn alles klappt. Dass ich so schnell einziehen kann, dafür hat Liam gesorgt. Üblich ist das nicht, aber ich freue mich sehr darüber. Hoffen wir also, dass es hinhaut.
Der Besuch bei Lucas und seiner hübschen Freundin hat gutgetan. Ich sollte öfter wieder unter Menschen gehen und mich nicht nur zu Hause verkriechen. Vielleicht kann ich auch wieder arbeiten, das würde mich auf andere Gedanken bringen.
Die Tasse mit wohltuendem Tee in der Hand stehe ich am Fenster und beobachte das Fallen der Schneeflocken. Während der Nacht sind einige Zentimeter Neuschnee dazugekommen und alles sieht aus wie frisch gezuckert. So könnte es bleiben, finde ich. Langsam wird es heller, aber die Sonne ist nicht zu sehen. Appetit verspüre ich nicht, auch wenn meine letzte Mahlzeit schon länger her ist. Wann zuletzt eigentlich? Gestern Mittag? Ja, genau. Ich habe mir eines dieser superleckeren Sandwiches mit Tomate und Mozzarella in dem kleinen, französischangehauchten Lokal unweit des Reviers geholt. Der Inhaber, ein Texaner mit riesigen Händen, hat es extra für mich gemacht. Shane, so sein Name, kümmert sich immer rührend um mich. Sein Mann Tony, ein gefürchteter Strafverteidiger mit italienischen Wurzeln, hat mich damals, nach Max‘ Tod juristisch beraten, auch wenn es absolut nicht in sein Fachgebiet fiel, aber da er bei der Aktion dabei war, die Max das Leben kostete, wollte er mir einfach nur helfen.
Das Klingeln des Telefons reißt mich aus meinen Gedanken. Erschreckt lasse ich beinahe die Tasse fallen. Wer könnte das sein?
„Hallo?“, frage ich und setze mich dabei auf das Sofa.
„Mrs. Sonderberg? Hier ist James Hendersen. Ich war ein Kollege von Max bei der Staatsanwaltschaft. Es tut uns allen sehr leid, was mit ihm passiert ist, das müssen Sie uns glauben.“ Ich kann die Betroffenheit direkt hören, auch wenn mir der Name rein gar nichts sagt.
„Was kann ich für Sie tun, Mr. Henderson?“ Ich lehne mich zurück und nippe an dem mittlerweile abgekühlten Tee.
„Ich ... also wir ... wir haben noch Sachen von Max gefunden, und wollten Sie bitten, auf das Revier zu kommen, wo Sie gearbeitet haben, und alles abzuholen. Viel ist es ja nicht, aber ein paar Fotos von Ihnen beiden und einige private Gegenstände.“
„Sie haben aber schon gesehen, dass draußen Schnee liegt?“, erkundige ich mich verwundert. Das Unglück, das mein Leben derart auf den Kopf gestellt hat, ist bereits fünf Monate her. Warum also meldet sich die Staatsanwaltschaft erst jetzt?
„Ja ... das ist mir klar. Aber der neue Kollege hat jetzt die Sachen ins Max‘ altem Schreibtisch gefunden und wusste nicht, wohin damit. Es eilt auch nicht so sehr, aber wenn Sie in den nächsten zwei Tagen rüberkommen könnten, wäre das perfekt“, bittet mich der Kollege von Max.
„Okay, wenn es am Mittag oder Nachmittag aufhört, mache ich mich auf den Weg zu Ihnen. Wo muss ich mich melden?“
Aufmerksam beobachte ich wieder das Schneetreiben vor meinem Fenster. Die Flocken fallen nicht mehr ganz so dicht. Vielleicht hört es tatsächlich bald auf.
„Fragen Sie einfach nach mir. Ich bin die nächsten Tage im Haus, Mrs. Sonderberg.“
„Alles klar. Dann bis später.“
„Passen Sie auf sich auf“, bittet er mich zum Abschied.
Was immer das für Sachen sind, es scheint den Kollegen wichtig zu sein, dass ich sie bekomme.
Die gerade wieder errichtete Schutzmauer um mein Herz droht erneut einzustürzen. Mir ist klar, dass mit diesen sicherlich banalen Gegenständen Emotionen und Erinnerungen hochkommen, die mich wieder aus der Bahn werfen. Vielleicht sollte ich einfach nicht hingehen, überlege ich. Einfach alles so lassen, wie es ist.
Doch die verdammte Neugier treibt mich, kaum dass es aufhört zu schneien, aus dem Haus. Mit hastigen Schritten eile ich die Straße hinunter und biege schließlich ab zur Polizeizentrale.
Bevor ich eintrete, bleibe ich einen Moment vor dem beeindruckenden Gebäude stehen. Was erwartet mich? Will ich es überhaupt wissen? Sollte ich nicht alles ruhen lassen?
Nein, was immer es ist, es war Max wichtig genug, dass er es aufgehoben hat.
Ich atme tief ein und aus und betrete das Revier. Drinnen ist es warm und es riecht leicht muffig. Am Empfangsschalter erkundige ich mich nach James Hendersen, der wenig später mit einer Schachtel, nicht größer als ein Schuhkarton, zu mir tritt.
„Dass wir uns unter diesen Umständen wiedersehen, hätte ich auch nicht gedacht“, sagt er mit belegter Stimme.
Jetzt erinnere ich mich an den älteren Mann. Er hat damals auf Max‘ Beerdigung eine sehr schöne Rede über meinen Mann gehalten. Seinen Namen wusste ich allerdings bis eben nicht.
„Ich danke Ihnen trotzdem, dass Sie mich angerufen haben. Wirklich.“ Der Versuch zu lächeln, scheitert kläglich. Die Anspannung krallt sich bereits in mein Herz, presst es heftig zusammen.
„Dann bringen wir es hinter uns.“ Er überreicht mir die Kiste. „Wenn Sie jemanden zum Reden brauchen ... Ich bin vielleicht nicht dahingehend ausgebildet, aber zuhören kann ich.“
Ohne die Kiste zu öffnen, stopfe ich diese in meinen Rucksack. Hier ist nicht der richtige Ort, den Inhalt zu betrachten.
„Danke, das weiß ich zu schätzen.“ Ich drücke seine hingestreckte Hand und eile aus dem Gebäude. Ohne lange darüber nachzudenken, renne ich los. Immer weiter. Als das Seitenstechen nicht mehr auszuhalten ist, werde ich langsamer. Überrascht schaue ich mich um. Wie bin ich an den Strand gelangt?
Wegen des Wetters ist weit und breit niemand zu sehen, nur ein paar Möwen hüpfen auf der Suche nach etwas Fressbarem über den feuchten Sand. Fündig werden sie jetzt im Winter wohl nicht werden. Auch die Häuser entlang der Straße scheinen aktuell unbewohnt. Nirgends erhellt warmes Licht die nahe Dämmerung. Man könnte fast meinen, ich wäre ganz allein auf der Welt.
Langsam laufe ich weiter und lasse mich auf die nächstbeste Bank fallen. Der Schmerz in meinem Inneren will mich erdrücken, zerreißt meine Seele. Obwohl ich neugierig bin, was sich in der Kiste befindet, habe ich auch Angst davor. Angst vor den Erinnerungen, die dann unweigerlich wieder hochkommen.
„Okay, Danielle“, spreche ich mir irgendwann selbst Mut zu, „los geht es. Erst etwas trinken, dann auf in die Schlacht.“
Entschlossen schraube ich die Whiskyflasche auf, nehme einen großen Schluck. Ja, ich weiß, so sollte man ein derart gutes Getränk nicht trinken, aber an ein Glas habe ich nicht gedacht. Der rauchig schmeckende Alkohol rinnt in mich und augenblicklich wird mir warm. Warum ich die Flasche eingepackt habe, weiß ich nicht, es war mehr ein Reflex, als ich vor dem Regal stand.
Jetzt ist er also da, der Moment der Wahrheit. Die noch geöffnete Flasche stelle ich neben mich, ziehe die Kiste aus dem Rucksack, atme tief ein und aus und hebe den Deckel ab.
Neben einigen Bögen Papier, die ich später studieren werde, sehe ich ganz unten einen braunen Bilderrahmen. Ich erinnere mich noch, wie ich ihn Max gegeben habe. Er enthält unser Hochzeitsfoto.