Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski - Ricarda Huch - E-Book

Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski E-Book

Ricarda Huch

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Beschreibung

Ricarda Huch beschreibt das Zeitalter der Glaubensspaltung: Der Zusammenbruch der mittelalterlichen Weltanschauung – Zeitalter der Glaubensspaltung im 15. Jahrhundert – Der Zustand des Reiches im 15. Jahrhundert – Drei Freunde – Der Streit um das Bistum Brixen – Humanisten und Mönche – Reuchlin und die Dunkelmänner – Die Reichreform – Die Kirchenreform – Kultur – Ritter – Luther – Die Thesen – Von Heidelberg bis Leipzig – Die Kaiserwahl – Hutten und Luther – Worms – Der Prophet – Neue Kirche – Luther und Erasmus – Sickingens und Huttens Ende – Der Bauernkrieg – Pavia – Der Abendmahlsstreit – Die Wiedertäufer – Frauen – Anfechtungen – Einigungsversuche – Die Befreiung des Adlers – Der Schmalkaldische Krieg – Der Augsburger Religionsfrieden – Tod – Aufschwung der katholischen Kirche – Calvin und der Abfall der Niederlande – Faust – Die Hexenverfolgung – Der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges – Der Krieg im Reich – Das große Sterben – Der Westfälische Frieden – Toleranz – Wissenschaft – Österreich – Im Norden – Ausklang – Rezession: Ich bin immer wieder begeistert von der "Gelben Buchreihe". Die Bände reißen einen einfach mit. Inzwischen habe ich ca. 20 Bände erworben und freue mich immer wieder, wenn ein neues Buch erscheint. oder: Sämtliche von Jürgen Ruszkowski aus Hamburg herausgegebene Bücher sind absolute Highlights. Dieser Band macht da keine Ausnahme. Sehr interessante und abwechslungsreiche Themen aus verschiedenen Zeit-Epochen, die mich von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt haben! Man kann nur staunen, was der Mann in seinem Ruhestand schon veröffentlicht hat. Alle Achtung!

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Ricarda Huch

Ricarda Huch: Deutsche Geschichte 2 Zeitalter der Glauben-Spaltung - Band 2 - bei Jürgen Ruszkowski

Band 179e in der gelben Buchreihe

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Herausgebers

Die Autorin Ricarda Huch

Deutsche Geschichte – Band II. – Zeitalter der Glaubensspaltung

Einleitung – Der Zusammenbruch der mittelalterlichen Weltanschauung

Der Zustand des Reiches im 15. Jahrhundert

Drei Freunde

Der Streit um das Bistum Brixen

Humanisten und Mönche

Reuchlin und die Dunkelmännerbriefe

Die Reichsreform

Die Kirchenreform

Kultur

Ritter

Luther

Die Thesen

Von Heidelberg bis Leipzig

Die Kaiserwahl

Hutten und Luther

Worms

Der Prophet

Neue Kirche

Luther und Erasmus

Sickingens und Huttens Ende

Der Bauernkrieg

Pavia

Der Abendmahlsstreit

Die Wiedertäufer

Frauen

Anfechtungen

Einigungsversuche

Die Befreiung des Adlers

Der Schmalkaldische Krieg

Der Augsburger Religionsfrieden

Tod

Aufschwung der katholischen Kirche

Calvin und der Abfall der Niederlande

Geldwirtschaft

Faust

Die Hexenverfolgung

Der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges

Der Krieg im Reich

Das große Sterben

Der Westfälische Frieden

Toleranz

Wissenschaft

Österreich

Im Norden

Ausklang

Die maritime gelbe Buchreihe

Weitere Informationen

Impressum neobooks

Vorwort des Herausgebers

Vorwort des Herausgebers

Von 1970 bis 1997 leitete ich das größte Seemannsheim in Deutschland am Krayenkamp am Fuße der Hamburger Michaeliskirche.

Dabei lernte ich Tausende Seeleute aus aller Welt kennen.

Im Februar 1992 entschloss ich mich, meine Erlebnisse mit den See­leuten und deren Berichte aus ihrem Leben in einem Buch zusammenzu­tragen. Es stieß auf großes Interesse. Mehrfach wurde in Leser-Reaktio­nen der Wunsch laut, es mögen noch mehr solcher Bände erscheinen. Deshalb folgten dem ersten Band der „Seemannsschicksale“ weitere.

Je weiter ich diesen Band neu redigierte, umso mehr faszinierte mich dessen Autorin Ricarda Huch. Sie verließ 1947 das sowjetisch besetzte Ost-Berlin, sehr betroffen durch ständige Kontrolle, Vorschriften und Gewalt der Regierenden und ging nach Frankfurt am Main.

Hamburg, 2021 Jürgen Ruszkowski

Ruhestands-Arbeitsplatz

Hier entstehen die Bücher und Webseiten des Herausgebers

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Die Autorin Ricarda Huch

Die Autorin Ricarda Huch

https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/huchric.html

Ricarda Octavia Huch wurde am 18. Juli 1864 in Braunschweig geboren und starb am 17. November 1947 in Schönberg im Taunus. Sie war eine deutsche Schriftstellerin, Dichterin, Philosophin und Historikerin, die als eine der ersten Frauen im deutschsprachigen Raum im Fach Geschichte promoviert wurde. Sie schrieb Romane und historische Werke, die durch einen konservativen und gleichzeitig unkonventionellen Stil geprägt sind.

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Deutsche Geschichte – Band II. – Zeitalter der Glaubensspaltung

Deutsche Geschichte – Band II. – Zeitalter der Glaubensspaltung

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Zeitalter der Glaubensspaltung

https://www.projekt-gutenberg.org/huchric/dtgesch2/dtgesch2.html

Zuerst 1937 im Atlantis-Verlag Berlin erschienen

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Einleitung – Der Zusammenbruch der mittelalterlichen Weltanschauung

Einleitung – Der Zusammenbruch der mittelalterlichen

Weltanschauung

Germania fuit et nunquam erit quod fuit, hat Luther gesagt: Germanien ist gewesen und wird nie wieder sein, was es gewesen ist. Er erlebte den Zusammenbruch des mittelalterlichen Reiches, sah und fühlte, dass seine Ideale für immer der Vergangenheit anheimfielen. Es war der Untergang einer Epoche, reich an Kampf und Irrsal, aber auch überreich an schöpferischer und aufnehmender Kraft, an mannigfachem Wachstum, die eines jugendlich in die Geschichte eintretenden, freiheitliebenden Volkes Mitgift waren. Umfasst und geeint war diese Vielfalt durch den Äther einer gemeinsamen Weltanschauung, der das diesseits Erwachsene an die Ewigkeit zu binden schien.

Die Dämmerung der romanischen und der Farbenzauber der gotischen Kirchen umfluteten das steinerne Mysterium des Christentums: die Fleischwerdung des Gottmenschen, sein Erlösungswerk und seinen Tod am Kreuz. Das tragische Geschick der Menschheit zwischen Himmel und Erde, ihre Versuchungen, ihre Kämpfe und schmerzlichen Überwindungen, diese unergründlich wunderbare symbolische Geschichte war in allverständlichen Gestaltungen von den Pfeilern und Gewölben abzulesen. Die zahllos im ganzen Abendland aufgebauten Kirchen waren sichtbare Punkte eines unsichtbaren Gerüsts, das die Welt zu einem sinnvollen Gebilde machte, sie durchdrang und trug, einer Weltanschauung, die die Welt war. Denn in ihr war die Weisheit aller Zeiten eingeschmolzen, sei es auch nur, dass sie sie als Gegensatz durchglühte. Sie war ein Werk vieler Jahrhunderte, und ihr Untergang, wenn sie untergehen konnte, schien Weltuntergang zu bedeuten.

Zu Gott zu gelangen war nach mittelalterlicher Anschauung die Aufgabe des Menschen; sie konnte nur erreicht werden innerhalb der Kirche, die von Gott gegründet, göttlich und ewig war. Es war ihr verliehen, dereinst die ganze Menschheit in sich aufzunehmen; sie war gleichsam die Erscheinung des Unvergänglichen in der vergänglichen Welt. Die Mitglieder der Kirche teilten sich in die Laien und den Priesterstand, der teils durch Lehre, teils durch Beispiel die Laien ihrem jenseitigen Ziel zuführte. Wiederum war der Priesterstand geteilt in die Weltgeistlichkeit und die Klostergeistlichkeit, die nicht nur wie jene durch Keuschheit, sondern auch durch Armut und Gehorsam der Heiligkeit sich näherte, die in Gott vollendet wurde. Wer zu Gott gelangen wollte, musste die Welt überwinden. Indem die Mönche und Nonnen von der Welt abgesondert ganz der Anbetung Gottes, dem Dienst des Nächsten und der Dämpfung der Sinnlichkeit lebten, führten sie den Laien das Bild der Engel vor Augen und genossen deshalb besondere Verehrung. An der Spitze der Priesterschaft stand der Bischof von Rom, der Papst. Zusammen mit Vertretern des Priesterstandes gab er der überirdischen Wahrheit diejenige Form, die sie den Laien fassbar machte und grenzte sie ab gegen den Irrtum.

„Wer ist unter uns, der bei der ewigen Glut wohne?“ lässt Jesaias den Sünder sagen. Aber alle Menschen sind Sünder. Die Seher und Weisen aller Zeiten haben gewusst, dass der Mensch Gott in seiner Majestät nicht ertragen kann. Die göttliche Wahrheit dringt nur in gebrochenen Strahlen zur Erde, bietet sich den Menschen dar in Symbolen, Spiegeln gleichsam, die so viel vom göttlichen Wesen auffangen, wie den Menschen erträglich und verständlich ist. Niemals waren die Spiegel der Gottheit so nahe gekommen, so von Gott durchglüht und Gott angeglichen wie in der christlichen Symbolik. Sie zu lehren, auszulegen, in der Tiefe ihrer Bedeutung zu erforschen und zu begründen war die Aufgabe der Priester. Nur durch ihre Vermittlung konnte der Laie in Beziehung zu Gott treten. Sie waren Schutzengel, die den ins Weltliche verflochtenen Menschen den Flug zu Gott lehrten und zugleich wie eine schützende Wolke das furchtbare Geheimnis der göttlichen Majestät umgaben, deren unverhülltes Antlitz das irdische Geschöpf verzehren würde.

Die christliche Weltanschauung konnte das Abendland beherrschen, weil sie erwachsen war auf den Trümmern einer hohen Kultur und über der noch nicht hoch entwickelten Kultur junger Völker, die sie willig in sich aufnahm. Die Herrschaftsstellung, die sie dem Klerus zuwies, wuchs ihm zu, weil die Völker sie bei ihm suchten. Die Führer der Christen verkündigten das hohe Ideal, das die Verwilderten und Erschöpften, die Gelehrigen und Empfänglichen mit Begeisterung ergriffen. Eine neue Welt ging aus dieser Weltanschauung wie aus einem gleichen Samen und gemeinsamer Erde hervor. Alle Äußerungen des menschlichen Geistes wurzelten in ihr und waren von ihr durchdrungen. Ihr dienten die Künste und Wissenschaften, die Denker und Dichter, von ihr erfüllt war das staatliche und wirtschaftliche und häusliche Leben. Wenn auch Krieg, Verbrechen und Irrsal, woran es unter Menschen nie fehlt, das mittelalterliche Abendland wild durchtobten, es war umleuchtet von der Glorie eines einheitlichen erhabenen Glaubens. Die Gebilde der Kunst, die Gesänge in der Kirche, die ernsten und heiteren Spiele des Volkes, alles wies aus der unruhvollen Erde auf die Herrlichkeit Gottes, die dem gläubigen Glied der Kirche zuteilwerden sollte. Es wölbte sich über der Erde ein fester Goldgrundhimmel, den die Kirche errichtet hatte. Über ihn hinaus sollte der menschliche Gedanke sich nicht wagen; unter ihm war Frieden. Zweifler und Verzweifelnde beruhigte die Kirche, in ihrem Schoss gab es Antwort für die Gottsucher und Heilung für die an den Rätseln des Daseins Erkrankten. Außerhalb der Kirche waren das Chaos und die Hölle; aber es gab kein Chaos und keine Verdammnis, denen die Kirche den Unseligen nicht hätte entreißen können, der sich ihr gläubig anvertraute.

Was konnte diese Weltanschauung erschüttern? Das Grandiose selbst, das darin lag, war eine Gefahr; denn es erforderte eine ständige Anspannung menschlicher Kraft. Lange Zeit hindurch wurde das natürliche Sinken der religiösen Inbrunst ausgeglichen durch das Auftreten begeisterter Führer, die die Kirche mit neuer Glaubensglut erfüllten. Seit dem 14. Jahrhundert blieben diese Aufschwünge aus; es begann eine Umwälzung im Sinne von Verweltlichung, die fortwährend zunahm. Die Bestimmung des Menschen zum Jenseitigen wich einer skrupellosen Vertiefung in das Irdische. Immer waren die Menschen sinnlich und genusssüchtig gewesen, und sie wurden es desto mehr, je mehr die Möglichkeit bequemer, sogar üppiger Lebenshaltung zunahm; der Unterschied war, dass auch die Geistlichkeit an den Ausschweifungen teilnahm, sich mit Behagen darin gehen ließ, so dass, wo einst an Bischofshöfen, in Stiften und Klöstern, ein Vorbild der Heiligkeit geleuchtet hatte, nun ein Beispiel sinnlicher Lust und sittlicher Verworfenheit gegeben wurde. Das untergrub die Achtung vor dem Klerus und löste den Schimmer von Unantastbarkeit auf, der die Kirche umgeben hatte; sie wurde für das Volk der Laien ein Gegenstand des Hohnes und der Verachtung. Damit wuchs für den mächtigen Gegner der Kirche, den Staat, die Möglichkeit, sie zu besiegen.

Wenn der Mensch zum Bewusstsein kommt, findet er sich in Beziehung zu Gott und in Beziehung zu den Menschen: aus diesen Beziehungen entstehen die Kirche und der Staat. Weil die Beziehung zu Gott die höchste ist, pflegt die Kirche einen Vorrang vor dem Staat zu fordern, wogegen der Staat seine näherliegenden und greifbareren Ansprüche geltend macht. Im Mittelalter gab es einen Staat im eigentlichen Sinne nicht; die Beziehungen zwischen Lehnsherren und Vasallen bildeten das den Körper der Nation zu einem bewussten Ganzen einigende Netz, dessen Mittelpunkt der Kaiser war. In den gewaltigen Kämpfen zwischen Papst und Kaiser, die das Mittelalter erfüllten, erwies sich das Band der Treue als zu schwach gegenüber der Kirche, der Erbin römischer Staatskunst, und der Kaiser unterlag. Inzwischen aber hatte sich, zuerst in den Städten, denen dann die Territorien folgten, ein festeres Regiment herausgebildet, und der Staat, die in einem Punkt zusammengefasste Gesamtkraft einer Nation oder eines Gebietes, nahm den Kampf erfolgreich auf. Wie die Kirche beide Schwerter, das der geistlichen und das der weltlichen Herrschaft, in ihre Hand bringen wollte, so trachtete auch der Staat nach beiden. Für die Staatsmänner war die Kirche, die sich so viele Blößen gab, nicht die Führerin der Seelen zu Gott, sondern eine Art Gegenstaat, ein Block, der ihre Bestrebungen, alle Kräfte des ihnen unterstellten Gebietes in einem Mittelpunkt zu sammeln, hemmte. War ja doch die Kirche ein Staat und zwar ein ungemein verfeinerter, mit einem Beamtenapparat und einer Finanzverwaltung, wie die weltlichen Staaten sie noch nicht besaßen, aber inständig anstrebten.

Die Verstaatlichung wie die Verweltlichung überhaupt empfing Nahrung von der Antike. Keine Weltanschauung vermag weder ihren eigenen Gehalt vollkommen auszuprägen, noch den unendlichen Gehalt der Geisteswelt vollkommen zu umfassen, deshalb ist einer jeden der Trieb zur Wandlung eingeschlossen. Für das Abendland ist eine von der christlichen verschiedene von Bedeutung: die der Antike. Sie kennt nicht die Spannung zwischen Gott und Mensch, zwischen Gottesreich und Welt, zwischen Gut und Böse, kennt den Gott nicht, der zum Menschen spricht: Du sollst heilig sein, denn ich bin heilig! Was es hier an Forderungen gab, war die Entfaltung des Natürlichen in schöner Harmonie. Nicht das Sittliche, aus dem Keim der Liebe erwachsend, war der Maßstab bei der Erziehung des Menschen, sondern die Tüchtigkeit, das Schöne und Maßvolle. Da nicht das Jenseits, sondern die Erde als Heimat des Menschen betrachtet wurde, wandte sich der strebende Geist ganz ihr zu, und da man an die unbegrenzte Kraft und die Zuständigkeit der menschlichen Vernunft glaubte, überließ man sich der Durchforschung des Universums und dem Aufbau einer vernunftgemäßen Gedankenwelt. Das freie und stolze Sichhingeben an die Vernunft und die Sinne hatte eine Kultur von hoher Vollendung geschaffen, die in Italien unter christlichen Idealen und Formen verborgen weitergelebt hatte und immer mächtiger, wenn auch nicht unverändert, hervorzubrechen begann. Niemals war die antike Bildung in Italien ganz verlorengegangen; sie hatte sich in den Schulen, in der Kirche und auch in einer für die Italiener charakteristischen klaren, auf das Wesentliche und Praktische gerichteten Denkweise erhalten. Nachdem die germanische Flut, die Italien überschwemmt hatte, aufgesogen war und aus verschiedenen Bestandteilen ein italienisches Volk, ein unerhört begabtes, sich gebildet hatte, besann dies Volk sich auf seine ruhmvolle Vergangenheit, und zwar mit umso leidenschaftlicherer Hingebung, als seine politische Zerrissenheit und Machtlosigkeit in der Gegenwart es nicht befriedigte.

Aus diesem politisch ohnmächtigen Volk gingen im 14. und 15. Jahrhundert so viel herrliche, vorbildliche Schöpfungen auf dem Gebiet der Kunst, Musik, Dichtung und Wissenschaft hervor, wie sie kaum jemals außer Griechenland ein verhältnismäßig so kleiner Bezirk in so kurzer Zeit hervorgebracht hat. Das zum großen Teil von Fremden teils beherrschte, teils verwüstete Land beherrschte und speiste geistig mit dem leuchtenden Gehalt seiner Kultur das Abendland.

Italienische Denker und Künstler lenkten den Blick der abendländischen Menschen von dem jenseitigen Himmel ab, zu dem die kirchliche Erziehung ihn hingewendet hatte, so dass es war, als sehe er nach langem Schlaf und Traum zum ersten Mal die Erde im Morgenglanz. Der Zauber der Schönheit überströmte das Tal der Tränen. Die Herrlichkeit göttlicher Marmorleiber, die mit den heidnischen Tempeln versunken waren und nun ausgegraben wurden, führte einen Menschen vor Augen, dessen Urbild einst, so meinte man, auf diesem Boden gewandelt hatte, dem ähnlich zu werden die heutigen Bewohner dieses Bodens berufen waren. Wie vielseitig und harmonisch erschien der antike Mensch, verglichen mit dem einseitig der himmlischen Verklärung entgegengezüchteten gotischen! Dieser erschien als ein unnatürlich verrenktes Gewächs gegenüber dem, der sich frei nach dem Maß seiner angeborenen Wachstumskraft entfalten konnte. Ausbildung aller Keime, die die Natur zur Gestaltung eines vollkommenen Menschentums dem Menschen verliehen hat, erkannte man als Aufgabe und nannte diese Richtung Humanismus. Nicht dass man den Menschen seinen natürlichen Trieben überlassen wollte; nur sollte nicht mehr Gut und Böse, Heilig und Weltlich die Norm seines Werdens sein, sondern man glaubte ihn den Mächten der Schönheit, der Weisheit, Freiheit, Tüchtigkeit anvertrauen zu dürfen. Es war etwas Gewaltiges, dass neben der christlichen Kultur, die bisher die einzige gewesen war, eine neue erstand, die sich durch die Fülle wertvoller Erscheinungen überzeugend beglaubigte, dass Menschen wie aus einer heidnischen Taufe auftauchten, die stolz auf sich selbst gestellt, nicht nach der Palme des Überwinders, sondern nach dem Lorbeer des Siegers strebten. Die antike Weltanschauung wurde in Italien und auch in Deutschland, wohin von dieser Bewegung zuerst nur ein verwehter Duft wie aus fernen Gärten drang, nicht als Gegensatz, vielmehr als Ergänzung des Christentums aufgefasst. Waren doch mit dem auf dem Boden der Antike erwachsenen Kirchenglauben zugleich edle Trümmer antiker Kultur in die von der Kirche beherrschten Länder eingedrungen, die man verehrend übernahm und weiterbildete. Überall kam die Christenheit den Einflüssen der Renaissance vertrauensvoll entgegen, überzeugt, sie könne sich ihre Schätze aneignen, ohne ihr eigenes Wesen aufzugeben. In Deutschland war das umso mehr der Fall, als eine aus dem Norden des Reiches kommende Lebensrichtung die Empfänglichkeit für die fremden Anregungen vorbereitet hatte. Die Reformideen der Brüder vom gemeinsamen Leben, die im 14. Jahrhundert in den Niederlanden wirkten, hatten sich allmählich, von geistvollen jungen Männern getragen, über ganz Deutschland, namentlich über das westliche, ausgebreitet. Sie bezweckten eine veredelte Erziehung der Jugend in der Weise, dass nicht mehr Formeln und leerer Gedächtniskram die Schulen beherrschten, sondern zur Ausbildung des ganzen Menschen der Grund gelegt werde. Es ist nicht mit Bestimmtheit nachzuweisen, woher der Name Humanismus kommt; wahrscheinlich geht er auf Cicero und dessen Übersetzung des griechischen Wortes παιδεια zurück. Die Humanisten widersetzten sich den Scholastikern, die im Laufe des letzten Jahrhunderts mit ihrer Begriffsspaltung und Begriffsakrobatik die Erde ganz verlassen und von den Gedanken alles lebendige Fleisch abgeschabt hatten. Da das Latein die Sprache der Studierenden war, begann man damit, sie aus guten lateinischen Schriftstellern zu lehren und den Schüler auch den Inhalt der betreffenden Bücher sich aneignen zu lassen. So wurde man in Deutschland allmählich von ähnlichen Problemen erfasst, wie sie die gebildete Welt Italiens bewegten. Gemessen an der vielseitigen, Überschwengliches verheißenden neuen Bildung erschienen die Tüftelei der Scholastik sowie die seelenlose Frömmelei der Kirche unerträglich abgestanden, verwest. Aber nicht nur gegen die Kirche, der jedermann etwas vorzuwerfen hatte, gegen die Religion überhaupt stumpfte sie ab; in der Helligkeit, die die neuen Anschauungen über das Bewusstsein verbreiteten, gingen die jenseitigen Sterne unter.

Es gab aber in Deutschland einen unmittelbar gefährlicheren Feind der Kirche als die Verweltlichung, die sie von innen, und den Staat, der sie von außen bedrohte, das waren die gläubigen Christen. Einst wären vielleicht manche von ihnen Heilige geworden oder hätten Orden gegründet, jetzt lebten sie, Mystiker oder ‚Brüder vom gemeinsamen Leben‘ oder Ketzer oder Einsame im Schosse der Kirche oder außerhalb der Kirche, jedenfalls fern von ihr und sie nicht beachtend. Der unterirdische Strom der Sehnsucht nach dem Göttlichen konnte anschwellen und ihre Fundamente erschüttern, wenn unter ihrer Kuppel kein Raum für seine Hochflut war.

Jahrhunderte während vollzog sich die Auflösung und Umschmelzung des tragenden Weltgerüstes in schmerzlichem Untergang und verhängnisvollen, großartigen Befreiungen. Irdisches und Himmlisches, jenseitige und diesseitige Zwecke waren dabei so ineinander verschlungen, dass keins ohne das andere erstrebt und angegriffen werden, keins unbeschattet siegen konnte. Die Erhabenheit der Ziele, um die gerungen wurde, der Ernst und die Opferfreudigkeit, mit der viele von den Kämpfern ihr Leben einsetzten, das Schicksalhafte der Wendung und die Zwiespältigkeit aller Beteiligten, von denen keiner seine Idee rein vertrat, machen das 15., 16. und 17. Jahrhundert unvergleichlich groß und bedeutungsvoll und unheilbar tragisch.

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Der Zustand des Reiches im 15. Jahrhundert

Der Zustand des Reiches im 15. Jahrhundert

König Nobel beruft einen Reichstag, zu dem sich seine Vasallen, große und kleine, geistliche und weltliche, gehorsam einfinden.

„Reineke Fuchs“

Da ist Braun der Bär, treuherzig brummend, obwohl er sich als der wahre König fühlt, Isegrim der Wolf, der unersättliche, Bellin der Schafbock, der des Königs Kanzlei, das Urkunden- und Schriftenwesen unter sich hat, Lampe der Hase, Hinze der Kater, Henning der Hahn und viele andere, und alle scharen sich in Ergebenheit um Nobel, der pompös auf dem Thron sitzt und eine von den Grundsätzen der Gerechtigkeit und Fürsorge aufgeblähte Ansprache hält. Nicht erschienen ist Reineke Fuchs, weil er, vieler Missetaten und Gesetzesübertretungen sich bewusst, voraussieht, es werde ein übles Ende mit ihm nehmen. Alle Tiere, einige Fuchsverwandte, Dachs, Affe ausgenommen, hassen, fürchten ihn, der viel klüger und listiger ist als sie, und seine Listigkeit benutzt, um die kleinen zu fangen und die großen, plumpen Herrschaften in die ärgsten Ungelegenheiten zu verstricken. Es gelingt endlich, ihn zu Hof zu bringen, und schon ist ihm die Schlinge um den Hals gelegt, da kommt er noch einmal zu Worte und erweckt des Königs Gelüsten nach einem Schatz, den er irgendwo versteckt zu haben vorgibt. Argwöhnisch verlangt Nobel, dass Reineke selbst ihn zur Stelle geleite; aber Reineke wendet vor, dass er im Bann sei und dass es sich für die Majestät des Königs nicht zieme, sich mit einem Gebannten öffentlich zu zeigen; er wolle zuerst nach Rom gehen und sich vom Bann lösen. Das leuchtet Nobel ein; denn mit den römisch-päpstlichen Angelegenheiten ist nicht zu spaßen.

Nobel trägt seine Löwenperücke mit so viel Würde, und die gefährlichen Vasallen agieren ihre Dienstbeflissenheit und schwärmerische Verehrung für das Oberhaupt so glatt, dass wir ein Bild der Eintracht und wohlerworbener Rechte vor uns sehen. Im Grunde sind sie allesamt räuberische Bestien, je stärker, desto skrupelloser, während die Schwachen, Kleinen, die es gern den Mächtigen gleichtäten, durchzuschlüpfen suchen, wie es eben geht. Nobel treibt es in seinem Bezirk so wie sie; wenn er als König inmitten seiner Großen auftritt, deren er nicht Meister werden kann, hat er etwas Hohles, etwas von einer grimmigen Larve an sich, hinter der ein ratloser Schwachkopf steckt, und seine Neigung gilt eigentlich dem Schelm Reineke, dessen erfinderische Schliche ihm zugutekommen könnten, wenn es den großen Hansen einfallen sollte, die Zähne gegen ihn zu fletschen.

Eine bewundernswerte Dichtung ist das auf uralter Tiersage aufgebaute Epos von Reineke Fuchs, das um das Ende des 15. Jahrhunderts in niederdeutscher Sprache aufgezeichnet wurde. Kaum ist eine beißendere Satire denkbar, die die höchsten Gewalten im Reich im Bilde gefräßigen Viehs erscheinen lässt, zugleich aber so kindlich gutartig, so naturgemäß, so spielerisch treffend und vor allen Dingen so lustig, dass eine satirische Absicht kaum empfunden wird. Können doch Kinder das Gedicht wie ein Märchen lesen. Nur an einer einzigen Stelle trägt es den Zorn des Verfassers über den Künstler davon, als er Reineke sich über die verrotteten Verhältnisse am päpstlichen Hofe aussprechen lässt, und dem Affen Märten, der mehrere Jahre hindurch Schreiber bei einem Bischof war und in Rom gut bekannt ist, Beziehungen zum Doktor Greif, zu den Herren Losefund, Wendemantel, Schalksund hat, eine Schilderung des schändlichen Treibens an der Kurie in den Mund legt.

Man schwätzt dort wohl vom Recht sehr viel; ja Quark! Geld ist das was man will! Ist eine Sache noch so krumm, mit Geld dreht man sie bald herum. Wer blechen kann, für den wird Rat. Weh dem, der nichts im Säckel hat.

Bei allem Spott und Zorn, die das Gedicht erfüllten, ist doch etwas ererbte Anhänglichkeit an Papst und Kaiser geblieben: der Papst ist ein armer alter Mann, der nichts von den Gräueln weiß, die um ihn her im Schwunge sind, der Kaiser ist fromm und gut, wenn auch zu schwach, um das Böse zu hindern.

Die beiden von Gott eingesetzten Mittelpunkte der Ellipse ließ man gelten, außer ihnen fast nichts mehr von dem, was einst unerschütterlich gültig gewesen war.

Ursprünglich aus den fünf Stammesherzogtümern Franken, Sachsen, Schwaben, Bayern, Lothringen bestehend, teilte sich das Deutsche Reich gemäß dem deutschen Hang nach individueller Besonderheit und Unabhängigkeit allmählich in einzelne selbstständige Herrschaften, deren es mehr als dreihundert gab. Aus der Reihe der Fürsten sonderten sich zuerst durch Gewohnheit, dann durch Gesetz als bevorzugt und einflussreich die sieben Kurfürsten, auf die sich das Recht der Kaiserwahl beschränkt hatte und denen gleich zu werden die Standesgenossen eifersüchtig strebten. Der niedere Adel der Grafen und Herren konnte hoffen, gefürstet zu werden; hatten doch mehrmals Grafen den kaiserlichen Thron bestiegen. Hoher und niederer Adel teilten sich in den Besitz der zahlreichen geistlichen Bistümer, Abteien und Propsteien, die sich reich und ansehnlich zwischen den weltlichen ausbreiteten. Überall verstreut hausten in ihren Burgen die Ritter, als Kinder schon mit dem Pferd verwachsen, mit der Waffe vertraut, verpflichtet, dem Kaiser auf seinen Kriegszügen zu folgen. Als ein im Rang niedrigeres, aber durch Tüchtigkeit und Reichtum ausgezeichnetes Element erblühten daneben die Reichs- und Freistädte, Sitze einer ebenso gebildeten wie gewerbstätigen und kriegerischen Bürgerschaft, mit denen manche Landstadt, obwohl dem Namen nach irgendeinem Fürsten untertan, an Selbständigkeit wetteiferte. Die Freiheit der Landgemeinden ging unglücklicherweise bald unter, nur wenige im Gebirge und am Meer erhielten sie oder erwarben sie in schweren Kämpfen wieder; immerhin beruhte die Dienstbarkeit der Bauern auf Verträgen, welche die gegenseitigen Rechte und Pflichten von Herrschaft und Untertan regelten, so dass eigentliche Leibeigenschaft nicht vorkam. Die Spitze des reichgegliederten Körpers bildeten zwei Häupter, Papst und Kaiser, die die Staatslehre mit Sonne und Mond zu vergleichen pflegte. Beide waren auf der Höhe des Mittelalters grundsätzlich absolut, nur von Gott abhängig, tatsächlich aber mannigfach beschränkt, sowohl durch die Beziehung zu ihren Wählern wie durch ihre Beziehung zueinander, die wie alles in diesem lebendig strömenden Gebilde nur durch Gewohnheit oder durch auf den jeweiligen Fall berechnete Bestimmungen geregelt wurde. Beide strebten nach Unabhängigkeit voneinander und nach Herrschaft übereinander, woraus sich ein dauernder, nur gelegentlich durch Friedensschlüsse unterbrochener Kampf ergab, unendlich, weil diese beiden Mächte durch ihre Stellung im Reich unauflöslich miteinander verbunden und einander unentbehrlich waren. Wenn der Papst die Fülle der geistlichen Macht besaß, so nannte sich der Kaiser Herr des Erdkreises, dominus mundi, insbesondere war er Herr des Reiches, Inhaber des gesamten Bodens und aller Rechte, was alles er besaß, um davon auszuteilen; es strömte von ihm aus, um wie zum Herzen des Körpers zu ihm zurückzufließen. Diejenigen, welche am meisten Empfänger seiner Gnaden waren, trachteten, je reicher sie wurden desto mehr danach, unabhängig und selbständig zu werden, und wurden dadurch zu einer dem Kaiser entgegenwirkenden Macht. Indem sie sich auf den stets zur Intrige bereiten Papst stützten und sich mit sehr wirksamen geistigen Waffen ausrüsteten, waren sie ihm oft überlegen, und der Herr des Reiches musste sich dies Reich mit der Waffe erobern.

Wie auf dem Papst die Einheit des Glaubens, so beruhte auf dem Kaiser die Einheit der inneren und äußeren Politik. Das Zusammenwirken der Reichsglieder wurde bewirkt durch die Gefolgschaft, die bei Reichskriegen dem Kaiser zu leisten war, und durch den Reichstag, auf dem allerdings nicht alle Stände vertreten waren: die Bauern und Ritter fehlten ganz, die Städte wurden nur dann zugezogen, wenn die Fürsten ihrer bedurften; erst gegen das Ende des Mittelalters erreichten sie die eigentliche Reichsstandschaft, und auch dann nicht unbestritten.

Wie im menschlichen Körper geistiges und leibliches Leben einander stetig durchdringen, so verband sich im Körper des Reiches kirchliche Betätigung mit jeder staatlichen und gesellschaftlichen; in Krieg und Frieden, in Handel und Handwerk, auf dem Markt und beim Geldverkehr, im Hause und im Stalle leuchtete die goldene Ader des Ewigen auf, das Alltagstreiben der menschlichen Begierden adelnd. Soweit es auf Erden möglich ist, kann man von dem Reich sagen, dass es in seiner Mannigfaltigkeit und Gelenkigkeit, in der Fülle seiner aufeinander bezogenen Individualitäten, die Sternen und Sternbildern gleich durcheinanderschwärmten und sich gelten ließen, in der Großartigkeit und Freiheit seiner Anlage, wo es ohne Zwang stetigen Umschwung um den Mittelpunkt, ohne mechanische Verkettung Zusammenhang gab, wo Macht sich segensreich ausblühen konnte, weil keine ohne gegenwirkende Macht blieb, den Kosmos spiegelte.

Dasselbe kosmische Allumspannen, wie dem staatlichen Teil des Reiches eigen war, zeichnete den kirchlichen aus. Wie der Staat republikanische, monarchische, aristokratische und demokratische Bildungen in sich duldete, ja aus sich hervorbrachte und ineinandergreifen ließ, so litt die Kirche die verschiedensten Ausprägungen der Beziehung zum Göttlichen. Sie pflegte die Askese und Weltabgeschiedenheit der Mönche neben der Pracht und Weltfreudigkeit der Weltgeistlichen, nebeneinander die ackerbautreibenden und die gelehrten Klöster, die Prediger und die Bettelmönche, sie schützte die freien Vereinigungen von Männern und Frauen, die im Nordwesten des Reiches entstanden, gegen die Angriffe der Fanatiker, sie schonte die Frömmigkeit der Mystiker, die auf dem Wege der Verinnerlichung oder der Ekstase die Vereinigung mit Gott suchten, und schritt erst dann gegen sie ein, wenn sie die Grenze zwischen Schöpfer und Geschöpf zu verwischen, Gottverwandtschaft mit Gottgleichheit zu verwechseln schienen. Auch über die große Masse derer, die ganz in der Lust oder den Sorgen der Welt aufgingen, wenig um den Willen Gottes bekümmert, ließ sie die segnende Sonne leuchten, zufrieden, wenn sie die vorgeschriebenen Gebräuche mitmachten und Glieder des geheiligten Körpers blieben, innerhalb dessen sie von dem Strom der göttlichen Gnade, der ihn durchflutete, ergriffen werden konnten. Gehorsam gegen den Organismus, der der Idee nach die gesamte Christenheit umfasste und in dem allein die Seligkeit erlangt werden konnte, war das einzige, was die Kirche unbedingt von jedem verlangte: es war gleichbedeutend mit dem Gehorsam gegen Gott. Ungehorsam war Ketzerei, die unerbittlich bestraft wurde; denn mit der Ausrottung des Ketzers war eigentlich nur die Verdammnis vollstreckt, der derjenige, welcher aus der Kirche heraustrat, verfiel. Diesen unbedingten Gehorsam nun, der der Kirche geschuldet wurde, nahm mehr und mehr der Papst als Inhaber der kirchlichen Gewalt für sich in Anspruch. Während Kaiser und Reich, anfangs eine Einheit, im Verlauf des Mittelalters immer mehr auseinandertraten und sich sogar gegeneinander wenden konnten, verschlang der Papst die Rechte der Kirche in seine Person. Der Papst war die Kirche, der Kaiser war keineswegs das Reich; insofern entwickelte sich die Stellung des geistlichen Herrn des Erdkreises umgekehrt wie die des weltlichen. Es war, als ob das ewige Rom seinen gegenwärtigen Herren den Imperialismus der Cäsaren mitteilte, deren Nachfolger sie sich mit ganz anderer Berechtigung hätten nennen können als die deutschen Kaiser. Zwar war die Macht des Papstes eine rein geistige; aber gerade deshalb konnte keine Überlegenheit der Waffen sie vernichten. Weil das Abendland an ihn glaubte, konnte er seine Könige gegeneinander ausspielen und konnte er innerhalb der Kirche Kardinäle und Bischöfe, die ursprünglich seinesgleichen waren, seiner Herrschaft unterwerfen.

Diesem wie ein gigantischer Baum gewachsenen Reichskörper war die Neigung zum Verwildern, die nach einem Worte Goethes der Natur eigen ist, die Neigung zur Ausartung und Entartung angeboren. Nur in einzelnen Höhepunkten seiner Geschichte erfüllte er seine Idee ganz; sehr bald machten sich störende, zerstörende Schäden bemerkbar. Jede menschliche Einrichtung erfordert, um sich blühend und fruchtbar zu erhalten, den immer neuen Einsatz menschlicher Kräfte unter der Führung der Idee, die sie entstehen ließ. Ist es immer selten, dass ein solcher dauernd erfolgt, so standen ihm gewisse Eigenschaften der Deutschen besonders im Wege: Streben nach Unabhängigkeit und maßloses Wuchernlassen aller Triebe auf der einen Seite, auf der anderen Bequemlichkeit, die lieber Lasten trägt, als sich wehrt. Das Verfolgen eigener Interessen auf Kosten der Gesamtheit nicht selten bis zum Verrat, woran fast alle Reichsstände, hauptsächlich die höchsten und mächtigsten, sich gewöhnten, und die Unfähigkeit der kaiserlichen Zentralgewalt, die der stete Kampf mit dem Papst lähmte, sich Gehorsam zu verschaffen, führten dahin, dass die Reichsglieder nur noch mit Mühe und oft gar nicht zu einem produktiven Zusammenwirken zu bringen waren. Anstatt dessen drohte der Krieg aller gegen alle.

Allen Forderungen des Kaisers misstrauisch gegenüberstehend, gingen die Fürsten ganz auf in dem Streben, aus den vereinzelten Gebieten und Rechten, die ihnen zustanden, ein zusammenhängendes Territorium zu bilden, dessen unumschränkte Herren sie wären. Dabei standen ihnen im römischen Recht erfahrene Räte zur Seite, die das fein durchdachte, der Zentralisierung günstige fremde Recht auf die fließenden Verhältnisse des Reiches anwendeten, bei dem es mehr als auf Herrschaft auf zu erkämpfende Ausgleichung ankam. Noch waren sie fern davon, eine absolute Herrschaft über ihre Untertanen ausüben zu können: die Geistlichen, Herren, Ritter und Städte, die ihr Gebiet umfasste, hatten sich im Maße, wie die Lehensbeziehungen an Kraft verloren, zu den sogenannten Landständen vereinigt, ohne deren Zustimmung der Fürst weder Steuern erheben noch Krieg führen konnte. Neben den Landständen stellte sich dem Machtstreben der Fürsten das Gegengewicht der Reichsritter und Reichsstädte entgegen, deren Selbständigkeit durch sie bedroht war. Wie es dem Fürsten untertänige Landstädte gab, so gab es auch landsässige Ritter; die Reichsritter, unmittelbar dem Kaiser unterstellt, eingeteilt in eine fränkische, eine schwäbische und eine rheinische Gruppe, waren stolz darauf, selbständige Reichsstände zu sein wie die Fürsten, und hätten ihre Herrschaft, mochte sie noch so armselig sein, nicht gegen ein reichlicheres Dasein in der Untertänigkeit unter einem Fürsten getauscht. Vereinigt hätten Reichsritter und Reichsstädte vielleicht etwas gegen die Fürsten ausrichten können; allein zwischen ihnen bestand ein ebenso scharfer Gegensatz wie zwischen ihnen beiden und den Fürsten, da die verarmende Ritterschaft die reich gewordenen Bürger hasste und verachtete und sich nicht selten an ihnen schadlos zu halten suchte.

Das deutsche Recht gab jedem freien Mann die Befugnis, den, von dem er sich verunrechtet glaubte, zu befehden, wenn er bei den zuständigen Gerichten vergeblich Recht gesucht hatte. Als nun die Ritterschaft infolge der veränderten Kriegsweise überflüssig und zum Teil infolge wirtschaftlicher Veränderungen arm geworden war und auf ihren Burgen wie in Wolfshöhlen ein verwildertes Dasein führte, benutzte sie wohl das Fehderecht, nicht um sich Recht zu verschaffen, sondern um unter dem Vorwand der Fehde Angehörige des bekämpften Gebietes zu überfallen und zu berauben und sich von der geängstigten Herrschaft den Frieden abkaufen zu lassen.

Da zu diesen Fehden noch die Kriege kamen, die der Kaiser führen musste, um sich Gehorsam zu erzwingen, und die die Fürsten untereinander führten, um ihre Besitzungen auszudehnen, gab es jederzeit irgendwo im Reich Krieg, wurde bei der Art der damaligen Kriegführung irgendwo deutsches Land verwüstet. Denn die Kriege bestanden hauptsächlich darin, dass die dem Gegner gehörenden Dörfer geplündert und verbrannt, seine Untertanen vertrieben, getötet, verstümmelt wurden. Die schrecklichsten Folgen des Krieges hatten demnach die Bauern zu tragen, die er gar nichts anging. Überhaupt war die Lage des Bauernstandes ein besonders hässlicher Makel im Bild des Reiches.

Längst mit wenigen Ausnahmen vom Kaiser durch die Mittelmächte getrennt, hatten die Bauern keine Möglichkeit, bei einem höheren Gericht gegen Bedrückung Schutz zu suchen. Steuern zahlen zu müssen wurde von den Deutschen als Zeichen der Knechtschaft betrachtet, von Adel und Geistlichkeit mit Entrüstung abgelehnt, einzig in den Städten bestand ein ausgebildetes Steuerwesen. Der geistliche und der weltliche Adel nährten sich hauptsächlich von den Leistungen und Abgaben der Bauern, die allerdings während des Mittelalters nicht allzu hoch waren, aber gesteigert wurden, als die Lebenshaltung anspruchsvoller wurde. Aber nicht nur, dass das schwächste Glied des Reiches die Pyramide tragen musste, es wurde ihnen nicht Dank, sondern Verachtung zuteil, wie denn immer der Stärkere den Schwächeren erst auszunützen und herabzudrücken und, wenn die Knechtung gelungen ist, als geborenen Sklaven zu verhöhnen pflegt. Nur um Anforderungen des Kaisers abwehren zu können, gedachten die Fürsten und Herren wohl des armen Mannes, wie der Bauer genannt wurde, der ohnehin unter Lasten fast zusammenbräche und nicht noch mehr beladen werden könne.

Ein bedrohliches Zeichen war es, dass der Umfang des Reiches nicht nur nicht mehr wuchs, sondern dass auf allen Seiten von ihm abbröckelte. Italien löste sich fast ganz ab, es blieb nichts übrig als einige leere Ansprüche, die hie und da ein Kaiser geltend machte, der Osten war durch Hussiten und Türken bedroht, denen nur kümmerlich widerstanden wurde, geschweige denn, dass es zu einem erfolgreichen Gegenangriff gekommen wäre. Wo war die einst so gefürchtete Kriegstüchtigkeit der Deutschen geblieben, die doch auf diesen Ruhm hin die höhere Bildung der romanischen Nachbarn geringschätzen zu dürfen glaubten? Die Ritter hielten sich zwar für befreit von allen Lasten, weil sie mit ihrem Blut steuerten, wie sie sagten; aber sie entschuldigten sich nun oft, wenn der Kaiser sie rief, mit ihrer Armut, die es ihnen unmöglich mache, Pferd und Harnisch zu halten; die Fürsten fürchteten Überfall von Seiten ihrer Feinde, wenn sie abwesend wären, und außerdem hatte der Süden kein Interesse für die Bedürfnisse des Nordens, der Westen keines für die des Ostens. Niemand rührte sich, um den Übergang der Lande des Deutschen Ordens an das Königreich Polen zu verhindern, im Norden hielt sich die Hansa mühsam gegen Skandinavien und Holland, im Westen zog das Herzogtum Burgund die blühenden Niederlande an sich. Frankreich, von jeher der eifersüchtige Nebenbuhler, drängte mit Macht an den Rhein, strebte offen nach der Kaiserkrone und machte die rheinischen Fürsten mit Geldzuwendungen von sich abhängig. Denn wie allmählich die Naturalwirtschaft in Geldwirtschaft überging, die Ansprüche an die Bequemlichkeit des Lebens und die Lust am Luxus zunahmen, ergriff gerade in Deutschland, wo noch wenig Geld im Umlauf war, eine unbändige Gier nach Geld alle Kreise. „Ja Quark! Geld ist das, was man will“, der Vers des Affen Märten galt nicht minder für Deutschland als für Rom. Man zog es sich gegenseitig aus den Zähnen, schabte es sich von den Knochen und hätte es der Hölle aus dem Rachen gerissen.

Die Deutschen haben einen ausgeprägten Sinn für Gemütlichkeit an reichbesetzter Tafel, für langausgedehntes Sichauslärmen beim Trunk. Nicht nur ihre Zunge genießt, ihre seelische Schwerfälligkeit verlangt nach Berauschung. Auch in der Liebe sind sie ausschweifend, obwohl ihnen das vulkanische Sinnenfeuer der südlichen Völker abgeht; Mann und Frau mögen den traulich-zärtlichen Umgang miteinander nicht missen. Diese Eigenschaften führten bald zu einer Erweichung der strengen Ordensregeln in den deutschen Klöstern. Mit der Einführung unnachsichtiger Askese hatten die Vertreter reformatorischer Richtungen, die von Zeit zu Zeit auftraten, im Allgemeinen kein Glück; die deutschen Mönche widersetzten sich oder liefen fort. Vollends als in allen Kreisen das Leben reicher und lockerer geworden war, gaben sich auch die Insassen der Klöster ohne Bedenken dem Wohlleben hin. Es kam vor, dass in den Männerklöstern kinderreiche Familien hausten, dass Frauenklöster Bordellen glichen. Nahmen nun die Sittenrichter schon an den Ausschweifungen der Weltleute Anstoß, um wieviel mehr empörten sie sich über diejenigen, die, auf ein heiligmäßiges Leben pochend, Verehrung beanspruchten, während sie sich wie Schweine im Kot des Lasters wälzten; denn das sagte man ihnen nach. Besonders in städtischen Handwerkerkreisen, wo Ehrbarkeit vorherrschte, war die Entrüstung über das Treiben in den Klöstern lebhaft. Es kam dazu, dass die Städte den Klöstern alle die kulturellen Aufgaben, die sie im frühen Mittelalter so großartig erfüllten, abgenommen hatten, und die überflüssig gewordenen nun nicht als Wohltäter, sondern als Störenfriede ansahen. Arbeiteten die Klosterleute nicht, so beschimpfte man sie wegen Müßigganges, aber viel schlimmer war es, wenn sie arbeiteten; denn das betrachteten die Handwerker als Eingriff in ihre Zunftrechte. Nach allen Seiten erregten sie Feindschaft und Eifersucht; die Pfarrer verboten ihnen zu predigen, die Handwerker zu arbeiten, sogar das Recht, die Toten in ihren Kirchen zu begraben, wurde ihnen bestritten. Es gab im 15. Jahrhundert kaum eine verachtetere und verhasstere Menschenklasse als die Klostergeistlichkeit.

Innerhalb des Klerus gab es verschiedene Spaltungen. Nicht nur bekämpften sich einige Orden untereinander, wie die Franziskaner und Dominikaner, die Weltgeistlichen verachteten die Mönche als Dummköpfe, die Mönche warfen jenen wohl Ketzerei vor. Der niedere Klerus, auf dem alle Pflichten des Amtes lasteten, blickte mit Bitterkeit auf die Bischöfe und Domherren, die hohe Einkünfte auf weltliche Art verzehrten, während sie, die die Arbeit leisteten, sich ärmlich behelfen mussten. Die Bischöfe ihrerseits ertrugen widerwillig die Einmischung des Papstes und seufzten über die Abgaben, die er von Zeit zu Zeit verlangte.

Am bedenklichsten für die Kirche war, wie sehr die Ehrfurcht vor dem Papst nachgelassen hatte. Gerade die Finanzwirtschaft des Heiligen Stuhles erregte Ärgernis. Seit die Päpste die Prozesse aus aller Welt, weltliche und geistliche, vor ihr Tribunal zogen, in allen Händeln Schiedsrichter sein wollten, brauchten sie viel Geld und suchten es sich, da ein geregeltes Steuerwesen nicht durchzusetzen war, unter allen erdenklichen Vorwänden zu verschaffen. Allein wieviel auch zusammenfloss, es genügte nicht für die zahllosen Geschäfte, Kriege, Bauten, Geschenke, Bestechungen, so dass immer neue Ablässe und Türkengelder aus den Taschen der Gläubigen und Gehorsamen, und das waren doch am meisten noch immer die Deutschen, gezogen werden mussten. Und wie sehr war das politische Ansehen des Papstes gesunken, seit er die Hohenstaufen gestürzt hatte! Frankreich, auf das er sich gestützt hatte, suchte ihn seinen Interessen dienstbar zu machen, rückte in die einstige Stellung der Kaiser rücksichtsloser ein. Die Abhängigkeit und der lange Aufenthalt in Avignon schwächten das päpstliche Ansehen und führten schließlich zu einer Spaltung der Kirche, dem Schisma. Der merkwürdige Umstand, dass es einmal zugleich drei Päpste und drei Kaiser gab, veranschaulichte aller Welt die furchtbare Zerfallenheit des Reiches. Noch einmal konnte freilich Siegmund, längst vergessene Kaisergewalt ausübend, die Absetzung oder den Verzicht dreier Päpste und die Wahl eines neuen zuwege bringen, nicht aber die Reformation, die allgemein, hauptsächlich von Deutschland gefordert wurde! Nachdem auch das Konzil von Basel versagt hatte, befand sich der Papst von neuem auf dem Wege zu monarchischer Allgewalt.

Das Verlangen nach Reformation wurde öffentlich, durchaus unter dem Schutz der Gesetze erhoben, vom Kaiser, von vielen abendländischen Fürsten, von den Prälaten, von den Universitäten, vom Volk; außerdem aber gab es einen unterirdischen Angriff auf die Kirche, den der Ketzer. Zu den Ketzern des 13. Jahrhunderts, den Sekten vom freien Geist, den Arnoldisten, die von den Gesetzen und Zeremonien des Papsttums nichts wissen wollten, zu den Waldensern, die man die Bibelgläubigen nannte, kamen im 15. Jahrhundert die Hussiten, die sich besonders in den Böhmen benachbarten Gebieten ausbreiteten, vielfach verschmelzend mit den Waldensern. In der großen, reichen und gebildeten Stadt Nürnberg hatten die Hussiten viel heimliche Anhänger; war doch Huss auf seiner verhängnisvollen Reise nach Konstanz in Nürnberg mit Ehren empfangen worden.

Jan Hus, * um 1370, † 1415 und das tschechische Nationalbewusstsein Böhmen war das einzige Königreich im Heiligen Römischen Reich. Prag war zu Hus’ Zeit kaiserliche Residenzstadt.

Würzburg und Bamberg, wo die Stadt uneins mit ihrem Bischof zu sein pflegte, waren zuweilen voll von Ketzern. Den größten Bestandteil der Sekten bildeten die Handwerker, stille fleißige Leute, denen nichts Böses nachzusagen war, als dass sie vor lauter Arbeiten, Lehren und Lernen nicht genug zum Beten kämen. Aber auch ein Markgraf von Brandenburg wurde hussitischer Ketzerei verdächtigt, und auf dem Baseler Konzil wurde einmal die Befürchtung ausgesprochen, es würden sich, wenn man nicht bald und durchgreifend reformiere, alle Bauern zu den Hussiten schlagen. Denn die Hussiten wollten nicht nur eine kirchliche, sondern auch eine soziale Revolution; Tausende von hoffenden Menschen scharten sich im Jahre 1476 um den jungen Pfeifer von Niklashausen im Taubergrund, der ihnen eine paradiesische Republik vormalte, wo alle Menschen durch die Aufteilung der geistlichen Güter gleich und glücklich sein würden, nachdem man die Pfaffen totgeschlagen hätte.

Hans Böhm oder Hans Behem, Pauker von Niklashausen (* um 1458 in Helmstadt; † 19. Juli 1476 in Würzburg) – auch als Pfeifer von Niklashausen , Pfeiferhannes, Pfeiferhänslein oder Henselins bekannt.

Es gibt jederzeit in den staatlichen und kirchlichen Einrichtungen Schäden, die bekämpft werden, die vielleicht auch zu ernstlichen Beeinträchtigungen führen; sie gehören zu den unlöslichen Resten des Lebens und können mitgetragen und ausgeglichen werden, wenn die Grundlage des Gesamtorganismus fest und seine Konstruktion im Allgemeinen gesund ist. Im 15. Jahrhundert aber war das Reich, das mittelalterliche Gottesreich, in dem Kirche und Staat ineinander verflochten waren, so durch und durch im Verfall, dass die Notwendigkeit einer Wiederherstellung offenkundig war. Die Reformation an Haupt und Gliedern, wie man es nannte, war die Aufgabe der Zeit. Fürsten und Volk, Priester und Laien, Gelehrte und Ungelehrte sprachen davon und gaben sich damit ab. Man lebte im Reich wie in einem sehr alten Bau, wo man zuweilen bei Nacht ein schauerliches Rieseln im Gemäuer zu hören und ein Schwanken unter den Füßen zu spüren glaubte.

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Drei Freunde

Drei Freunde

Auf dem Konzil zu Basel, das im Jahre 1431 eröffnet wurde, lernten sich drei junge Männer kennen, die zu den hervorragendsten Begabungen ihrer Zeit gehörten und deren ineinander verschlungene Lebensläufe wie in einem Sinnbilde die Geistesströmungen der Zeit darstellen.

Papst Pius II., geborene Enea Silvio Bartolomeo Piccolomini,  (geb. 18.10.1405, corsignano [jetzt pienza], republik siena – gest. 14/15.08.1464, ancona, päpstlicher Staat), war vom 19. August 1458 bis zu seinem Tod Oberhaupt der katholischen Kirche und Herrscher des Kirchenstaates.

Einer von ihnen war ein Italiener, Enea Silvio Piccolomini aus Siena, zwei waren Deutsche: Nikolaus Krebs, aus Cues an der Mosel gebürtig, daher gewöhnlich Cusa oder Cusanus genannt, und Gregor von Heimburg, ein Franke aus adligem Geschlecht, das schon im 11. Jahrhundert blühte. Piccolomini hatte von den Talenten dieses jungen Juristen, der, wie es scheint, als Privatmann das Konzil besuchte, einen so starken Eindruck, dass er ihn beschäftigte, wozu er als Mitglied eines Ausschusses Gelegenheit hatte.

 Nikolaus von Kues wurde im Jahr 1401 als Nikolaus Krebs (oder auch Cryfftz) in dem Ort Kues an der Mosel geboren und verstarb 1464.

Wenn der Italiener ihn einen der drei gelehrtesten Männer des Konzils nennt, möchte man annehmen, dass er mit dem anderen sich selbst, sicher ist, dass er mit dem dritten Nikolaus von Cusa meinte. Heimburg hatte neben den Rechten die Humaniora studiert, was damals noch eine Ausnahme war, ein stattlicher Wuchs empfahl ihn, man rühmte sein heiteres, offenes Gesicht, frühe Kahlheit ließ seine Stirn noch mächtiger erscheinen. Seine Lebensführung gab nie zu Tadel Anlass, jugendliche Ausschweifungen konnten ihm nicht vorgeworfen werden; Enea Silvio dagegen gab sich unbekümmert den Genüssen des Lebens hin und pochte mit einer gewissen liebenswürdigen Frivolität auf das Recht, die natürlichen Triebe auszuleben. Er verstellte sich nicht und tat das Unerlaubte mit Bildung und Geschmack. Aufgewachsen inmitten der neuen italienischen Richtung, die das Natürliche und Schöne feierte, die kaum ein höheres Ziel kannte, als die lateinische Sprache nach dem Muster der besten altrömischen Schriftsteller zu reinigen und sich anzueignen, die Kenntnis der antiken Welt zu vertiefen und anderen zu vermitteln, war er entzückt, in Basel zwei jungen Männern zu begegnen, die ihm an Bildung und Verstand gleich waren und die in der die Welt bewegenden Frage der kirchlichen Reform eines Sinnes mit ihm waren. Alle drei hingen der vom Konzil zu Konstanz überlieferten Ansicht an, dass der Papst der im Konzil vertretenen Christenheit unterworfen sei, einer Ansicht, die der damalige Papst, Eugen IV., hartnäckig bestritt.

Papst Eugen IV., geborene Gabriele Condulmer (* 1383, † 1447), war vom 3. März 1431 bis zu seinem Tod Oberhaupt der katholischen Kirche und Herrscher des Kirchenstaates. Condulmer war ein Venezianer und ein Neffe von Papst Gregor XII. 1431 wurde er zum Papst gewählt.

Von den drei Freunden war Nikolaus von Cusa die interessanteste Persönlichkeit und der bedeutendste Denker. Dieser merkwürdige Mann, in dem das Denken die stärkste Leidenschaft war, der er nicht widerstehen konnte, hat für Jahrhunderte vorausgedacht. Es gibt kaum einen Philosophen der folgenden Zeit, von dem sich nicht annehmen ließe, er habe von Nikolaus von Cusa Anregung empfangen. In der Schule der ‚Brüder vom gemeinsamen Leben’ erzogen, teilte er ihre freieren Auffassungen und stand er dem Papsttum zunächst kühl, teilweise ablehnend gegenüber. Er verurteilte die Alleinherrschaftsansprüche des Papstes im Verhältnis zum Klerus und zum Staat und die Seelenführung der Kirche, die sich mit Äußerlichkeiten begnügte. Er hätte nicht nur der Bekämpfer der alten Kirche, sondern der Vorkämpfer für einen neuen, freieren Glauben werden können. Seine Gedankengänge führten ihn zu der Einsicht, dass jeder Mensch Gott nur so weit erkennen könne, wie es seinen geistigen Kräften entspreche, und dass deshalb das Gottesbild eines rohen Volkes anders ausfallen müsse als das eines hochentwickelten. Er zog daraus nicht den Schluss, auf den Denker einer späteren Zeit verfielen, dass der Mensch sich Gott mache, dass Gott nur das in den Himmel geworfene Spiegelbild des Menschen sei; denn er ging von Gott als von der sichersten Tatsache aus; aber er folgerte daraus die Hoffnung, dass einst vielleicht alle Völker sich in einer gemeinsamen Religion vereinigen würden, wenn sie begriffen, dass sie alle nur eine mittelbare Kenntnis des Einen, Unerreichbaren hätten, dessen von ihren Vätern ahnungsvoll erschautes Bild sie anbeteten. In seinem Werk De pace seu concordantia fidei lässt er Gottvater, umgeben von Engeln und Seligen, die Herstellung der Glaubenseinheit beschließen und 17 Nationen im Himmel der Vernunft friedlich vereinigen. Würde ein Löwe Gott ein Antlitz geben, sagt er, so würde es wie das eines Löwen ausfallen, bei dem Adler wie das des Adlers. „Wie ein jeder eine Brille auf der Nase hat, also erscheint und ist ihm Gott“ drückte es später volkstümlich Sebastian Franck aus.

Indessen je enger Cusas Denken die Idee Gottes, die absolute Vernunft umkreiste, desto deutlicher wurde ihm die Ohnmacht des menschlichen Denkens in Bezug auf das Übersinnliche. Wohin geriet er, wenn er, wie die Idee es zu erfordern schien, auf jede Vermenschlichung des Göttlichen verzichten wollte? Wenn er sich nicht damit begnügen wollte, dass wir hier, wie Paulus es ausdrückt, in einem dunklen Wort sehen, dort erst von Angesicht zu Angesicht? – Wer ist nach seinem eigentlichen Wesen der, den keine Namen nennen, der mit nichts Irdischem vergleichbar ist? In unermüdlicher Gedankenarbeit blättert er von der Gottesidee alles Irdische ab, um endlich vor dem Abgrund des Nichts zu stehen. Er erlebte, dass, wer den Schleier vom Bilde Gottes reißen will, um ihn in seiner Majestät zu sehen, vom Feuer verzehrt oder in eisige Finsternis geworfen wird, wo der Sterbliche nicht atmen kann. Unter dem Grauen, das ihn befiel, wurde ihm klar, was die Kirche für die Menschheit getan hatte. Sie hatte über den furchtbaren Gottesabgrund, in dem das Endliche sich verzehrt wie ein Tropfen auf glühendem Eisen, die herrliche Vision der Gottesgeschichte gespannt, Symbole, die dem menschlichen Geist fasslich sind, und die eins werden konnten mit der Idee, die sie darstellten. Die Kirche steht schützend zwischen den Menschen und der schauervollen Einöde, zu der der über Gott denkende Verstand führt, sie lehrt den Glauben an Gott und hat ihre Lehre mit Wissenschaft und Kunst und mit unerschütterlichen Geboten befestigt. Cusa fand nicht wie ein späterer großer Deutscher in seinem Herzen einen Weg zu Gott, der unmittelbar an das Herz des alliebenden Vaters führt; den Abgrund zwischen Gott und der Kreatur zu überbrücken, wusste er kein anderes Mittel als engen Anschluss an die Kirche. Sich und die Menschheit glaubte er zu retten, indem er sich aus der Hölle des Denkens wie ein flüchtender Verbrecher an die Säulen der Kirche klammerte. Der Verstand, so sagte er, muss durch den Glauben besiegt werden, und das ist für den hochmütigen Menschen der schwerste Kampf; er muss wie ein Tor und Sklave werden, der auf die Freiheit des Verstandes verzichtet und sich gefangen gibt. „Glauben können ist der größte Sieg, er übertrifft alle geistige Kraft, denn er gehört in das Gebiet des Willens … Die vernünftige Seele kann glauben oder nicht glauben, je nachdem sie will oder nicht will … Wenn der Wille durch einen bestimmten Glauben auf die Vernunft drückt, dass nämlich Gott zu uns durch die Propheten, zuletzt durch seinen Sohn, der uns die Lehre von der Unsterblichkeit geoffenbart, geredet hat, so nimmt die Vernunft keinen Anstand, dem Worte Gottes zu glauben.“ Solche Betrachtungen lassen ahnen, mit welcher Anstrengung sich Cusa den Glauben an Gott, wie die Kirche ihn lehrt, erkämpft hat, und sie machen die Strenge begreiflich, mit der er diesen Glauben von den Menschen forderte. Er war für ihn nicht ein Feuer, das aus einem begnadeten Herzen bricht und das innere Auge erleuchtet, sondern ein Entschluss, den zu erfassen nur strafbarer Hochmut oder strafbare Trägheit hindert.

Es hat etwas Ergreifendes, den leidenschaftlichen Denker sich um die Innigkeit des Gläubigen mühen zu sehn. „Gepriesen seist du, mein Herr und Gott, dass du mich mit der Milch des Gleichnisses nährst und speisest“. „Du wolltest, o Gott, die kindliche Liebe zu dir auf jene menschliche Anschauung von dir gründen“. In solchen Anrufungen Gottes spürt man immer noch mehr den Denker als den kindlich Gläubigen, der er sein wollte; denn im schlichten Glauben, sagt er, sei eine größere Fruchtbarkeit als in dem durch reichliche Verstandesgründe vermittelten. Eine ungeheure Denkkraft und eine ungeheure Willenskraft in einem Menschen zusammenwirkend erstreben als höchstes Ziel kindlichen Glauben. Cusa sah zu klar, um nicht zu wissen, dass sein Glaubenwollen und Bekennen nicht der Glaube war, den zu haben er für richtig hielt; das war die geheime Tragik, die seine Seele verdüsterte.  Er selbst hatte sich erlaubt zu denken und erlaubte es sich auch ferner, weil er denken musste, wie er atmete; aber er hatte sich davon überzeugt, dass die höchste Weisheit und die einzige Rettung vor Willkür, Auflösung und Untergang bei der Kirche sei, und zwar bei der monarchisch regierten Kirche.

Man muss annehmen, dass die inneren Erlebnisse Cusas, das an Abgründen sich hinwälzende Ringen seiner Gedanken, das sein Leben erfüllte, während des Konzils begann, dessen Verlauf den stolzen Erwartungen seiner Begründer nicht entsprach. Trotz der vorzüglichen Eigenschaften des das Konzil leitenden Kardinals Cesarini brachten es die versammelten Väter nicht zu einmütigen, starken Beschlüssen, wovon die Folge war, dass bei manchen der Konzilsgedanke ins Wanken kam, und dagegen die Ansicht sich festsetzte, dass die Herrschaft eines einzigen fruchtbarer für die Kirche sei als die Herrschaft vieler unverträglicher Prälaten. Nikolaus von Cusa war der erste von den Freunden, der zur Partei des Papstes überging. Der Glaube, die Grundlage des menschlichen Lebens, so schien es ihm nun, dürfte nicht der schwankenden Meinung einer vielköpfigen Versammlung preisgegeben werden. Gewissheit des Glaubens sei wichtigstes Erfordernis, und die gewähre die Überlieferung der Kirche durch die Autorität eines einzigen gehütet. Nur ein einzelner könne ganz eins sein mit dem System, das er vertrete. Die Freiheit, die er sich gewährt hatte, führte ihn zur unbedingten Unterwerfung unter das monarchische Papsttum. Immerhin vergaß Cusa nicht, wie verderbt die Kirche war; gerade weil sie den Menschen gleich Gott sein sollte, musste sie gereinigt, zu früherer Vorbildlichkeit zurückgeführt werden. Die notwendige Reform durchzuführen betrachtete er nun als seine Aufgabe, die er durch Predigt und durch Beispiel mit außerordentlicher Selbstverleugnung zu erfüllen suchte. Er war hart gegen sich, um es mit Recht gegen andere sein zu dürfen. Niemals äußerte sich bei ihm jene Frömmigkeit, die sich von einer liebenden Allmacht getragen fühlt; seine Überzeugung war unerschütterlich, aber ohne Freudigkeit, zuweilen war in seinem Auftreten etwas Verbissenes. Viel Erfolg hatten seine Bemühungen um Reform des Klerus nicht. Aus den Kreisen der Geistlichkeit selbst wagte es einer, ihm eine schriftliche Drohung vor die Tür zu legen; er dürfe ihnen nicht Laster und Ausschreitungen zum Vorwurf machen, die von den Häuptern straflos begangen würden.

Länger als Cusa blieb Piccolomini der Sache des Konzils treu, ja, als sechs Kurfürsten die deutsche Kirche für neutral im Kampf zwischen Papst und Konzil erklärten, trat er dagegen auf, während Gregor von Heimburg den Beschluss billigte.

Der gerade von den Deutschen so leidenschaftlich erstrebten gründlichen, umfassenden Reformation der Kirche wurde die Spitze abgebrochen durch Konkordate mit den einzelnen Nationen und Fürsten, namentlich durch die im Jahre 1438 zwischen Frankreich und dem Heiligen Stuhl abgeschlossene sogenannte pragmatische Sanktion, welche seitdem als die Bürgschaft französischer Kirchenfreiheit galt. Obwohl Frankreich nun das Konzil verwarf, ging der Kampf noch mehrere Jahre weiter, und eine Reihe deutscher Fürsten, an der Spitze die geistlichen Kurfürsten, hielten an der Forderung eines unabhängigen Konzils fest.

Friedrich III.  (* 1415, † 1493) entstammte der Familie der Habsburger.  Durch die Neuberger Teilung von 1379 zwischen Albrecht III. und Leopold III. wurden die gesamten habsburgischen Länder getrennt.  Friedrich gehörte der Hauptlinie der habsburgischen Leopoldiner in den innerösterreichischen Herzogtümern an.

Ein neuer Umschwung in den Beziehungen der Freunde fand statt, als Enea Silvio, der als Sekretär des Konzil-Papstes Felix nach Frankfurt kam, diesen Gegenpapst des römischen verließ, um in den Dienst Kaiser Friedrichs III. zu treten, von seinem neuen Herrn nach Rom geschickt für Papst Eugen gewonnen wurde und von nun an ebenso wie Nikolaus von Cusa, wenn auch aus ganz anderer Gesinnung, mit allen Kräften den Kaiser dahin zu beeinflussen suchte, dass er sich wieder in den Gehorsam des Papstes begebe. Der gebildete Humanist konnte, ohne sich Gewalt anzutun, sich in jede Richtung fügen, die für ihn selbst günstig war und im Allgemeinen aussichtsvoll schien. Einzig Gregor von Heimburg änderte seine antipäpstliche, reformatorische Gesinnung nicht, und da er eingesehen hatte, dass auf dem Weg der Neutralität nichts zu erreichen war, benutzte er den Augenblick, da mehrere angesehene deutsche Fürsten mit ungewöhnlicher Energie die Ansprüche des Reiches gegen den Papst zu erheben sich anschickten. Er veröffentlichte, allerdings nicht unter seinem Namen, die Admonitio de injustis usurpationibus paparum Romanorum, eine leidenschaftliche Anklage, in der Sätze von reformatorisch-ketzerischer Wucht überraschend aufblitzen; nicht nur, dass er den Primat des Papstes verwirft, er verwirft Zwang in Glaubenssachen als dem göttlichen Gesetz zuwider, er nimmt und verlangt Beweise aus der Heiligen Schrift.

Da, als der Streit dahin führte, dass der Papst die Erzbischöfe von Trier und Köln absetzte, die Fürsten die Absetzung nicht anerkannten, vielmehr die Berufung eines neuen Konzils forderten, gelang es der päpstlichen Partei, die Einmütigkeit ihrer Gegner durch ein Mittel zu sprengen, das in Deutschland selten versagte, durch Bestechung mit Geld. Zweitausend Goldgulden genügten, um den Kanzler des Erzbischofs von Mainz zu kaufen, 210.000 Dukaten wurden an den Kaiser gewendet. Nachdem dies Geschäft im Jahr 1447 abgeschlossen war, wurde dem sterbenden Papst Eugen im Namen von Kaiser und Reich die Obedienz erklärt, um die er während seiner ganzen Regierungszeit so mühsam gekämpft hatte. Sein Nachfolger, Nikolaus V., machte Nikolaus von Cusa zum Kardinal und verlieh Enea Silvio Piccolomini das Bistum Triest, diejenigen belohnend, die das meiste zur Unterwerfung des empörten Reiches getan hatten.

Gregor von Heimburg  (* Anfang des 15. Jahrhunderts) war ein deutscher Jurist, Humanist und Staatsmann. Um 1430 erhielt er den Doktortitel beider Rechtswissenschaften an der Universität Padua.

Gregor von Heimburg hatte sich von keinem Sieger Dank und Lohn verdient, er blieb der schlichte Syndikus des Rates der Stadt Nürnberg, hatte aber als solcher bald neue Gelegenheit, seinen Rittersinn auf weithin sichtbarer Bühne zu betätigen. Bei den Bemühungen, ihren Grundbesitz zu erweitern, stieß die Stadt Nürnberg auf den Widerstand eines fürstlichen Nachbarn, des Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg, der einen bedeutenden Anteil an allen Reichsfragen nahm und sich nach Art vieler Deutschen der damaligen Zeit in den Krieg wie in ein Fest stürzte, wo man sich berauschte und austobte. Er sagte Nürnberg Fehde an, siegte in vielen Schlachten und wollte Frieden nur gegen Zahlung einer unverhältnismäßig großen Summe gewähren. Als der Streit vor das kaiserliche Hofgericht kam, berief er sich auf ein Gesetz der Goldenen Bulle, wonach Fürsten nur von ihresgleichen könnten vorgeladen werden. Die Entrüstung über diese Dreistigkeit befeuerte Heimburg zu einer schneidenden Rede. Hätte dies Gesetz Gültigkeit, sagte er, so wäre die Gerechtigkeit unter uns vernichtet, so wäre nichts mehr da, was man Römisches Reich nennen könnte. „Denn dieses einzige Gesetz ist es, das alle anderen Gesetze aufhebt, das Reich zerstört, die Völker unterdrückt, fast unzählige Tyrannen unserem Nacken aufbürdet. O blindes, unvernünftiges Deutschland, dass du dich weigerst einen Kaiser anzuerkennen und dich tausend Herren unterwirfst! Denn was ist es anders, wenn ein Fürst nicht vorgeladen werden darf, als dass jeder in seinem Land Kaiser ist? Über 600 Jahre waltet über uns das Kaisertum; wenn schon in engere Grenzen eingeschlossen, so haben wir länger die Herrschaft geführt als Griechen und Römer; vielleicht ist nun das Ende unseres Ruhmes da, wie Gott ja keine Macht auf Erden ewig währen lässt. Ich fürchte, ich fürchte, es kommen andere und nehmen uns Land und Leute hinweg, denn es ist bekannt, dass Ungerechtigkeit König- und Kaiserreiche zerstört, von Volk zu Volk übergehen macht. In unseren Händen ist das Reich geschwächt worden und vernichtet. Unsere Nation, zerrissen und zerschlagen, findet zu keiner Stunde Ruhe, überall ertönt Kriegslärm, nirgends ist Sicherheit, jedermann lebt vom Raub … Das ist die Folge unbilliger Gesetze. Das ist es, was die Ungerechtigkeit der Fürsten erzeugt, welche, indem jeder von ihnen als Kaiser sich benimmt, das Kaiserreich zugrunde gerichtet haben.“ Diese Rede, die noch heute, nach fast 500 Jahren, uns trotz der unvermeidlichen lateinischen Rhetorik bewegen kann, bewegte von den anwesenden Fürsten nur drei; den Markgrafen von Baden und die Bischöfe von Regensburg und Eichstätt. Der Kaiser setzte diesem wie jedem Ansturm seine monumentale Stumpfheit entgegen und befreite sich von der unangenehmen Sache durch Aufschub. Nürnberg blieb nichts übrig, als sich der fürstlichen Erpressung zu unterziehen.

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Der Streit um das Bistum Brixen

Der Streit um das Bistum Brixen

Um diese Zeit bereiteten an sich unbedeutende Vorfälle an den Grenzen des Reiches, in Tirol, Ereignisse vor, die die drei Freunde vom Baseler Konzil noch einmal zu grundsätzlichem Kampf zusammen und gegeneinander führen sollten. Im Jahr 1450 starb der Bischof von Brixen, und ein anderer wurde vom Kapitel gewählt. Der Papst, obwohl er die Rechtmäßigkeit der Wahl anerkannte, setzte anstatt dessen den Kardinal Nikolaus von Cusa ein, den er aus bestimmten Gründen für geeigneter hielt, den Platz auszufüllen.

Sigismund von Tirol Si(e)gmund oder Sigismund genannt der Münzreiche, auch Herzog Siegmund von Tirol (* 26. Oktober 1427 in Innsbruck; † 4. März 1496.

Mit eben diesen Gründen hing es wohl zusammen, dass Siegmund, der Herzog von Tirol, die päpstliche Wahl bestritt, indem er sich auf das im Jahr 1439 auf dem Reichstag zu Mainz abgeschlossene Konkordat berief, wonach die Kapitel das Recht hatten, den Bischof zu wählen. Den Hintergrund der Entzweiung bildeten folgende Umstände: um ein zentralisiertes Landesfürstentum zu begründen, wollte der Herzog von Tirol die beiden Bistümer Trient und Brixen, selbständige Staaten in seinem Staat, nach Möglichkeit in den seinigen hineinziehen. Er pflegte zu sagen, für sein Land und für die Bistümer könne Sicherheit nur erlangt werden, wenn die Verwaltung der bischöflichen Temporalien, also der weltlichen Rechte, so eng mit der Verwaltung seines Landes verknüpft wäre, dass dieselbe einheitlich geführt werden könne, nicht durch die Regierung der Bischöfe getrennt würde. Die geistlichen Angelegenheiten möchten immerhin von den Bischöfen verwaltet werden. Im Hinblick auf das Bistum von Trient hatte das Baseler Konzil das Bestreben des Herzogs unterstützt, ohnedies hatten die Bischöfe, die häufig durch die Stadt Trient bedrängt worden waren, die landesfürstliche Oberhoheit des Herzogs bereits weitgehend anerkannt. Um nun zu verhindern, dass der Herzog das Bistum Brixen in derselben Weise an sich ziehe, wünschte der Papst eine verlässliche und unbeugsame Persönlichkeit an der Spitze desselben zu sehen und erlas dazu Nikolaus von Cusa. Zunächst ließen Herzog und Bischof sich die Vermittlung des Erzbischofs von Salzburg gefallen, die festsetzte, dass der Herzog den päpstlichen Bischof anerkennen, und der Bischof versprechen solle, sich gegen den Herzog so zu verhalten wie seine Vorgänger. Schon nach zwei Jahren trübte ein unscheinbarer Vorfall die empfindlichen Beziehungen zwischen den beiden Fürsten. Das hoch über Bruneck gelegene Frauenkloster Sonnenberg befand sich schon lange mit dem Bischof von Brixen im Streit wegen der Gerichtsbarkeit über einige Täler. Als nun die Äbtissin Verena von Stuben mit einem Teil ihrer Untertanen Händel bekam, suchten diese Schutz bei dem Bischof, der auch für sie eintrat und zugleich die oberste vogteiliche und richterliche Gewalt über das Kloster in Anspruch nahm.

Äbtissin Verena von Stuben geboren um 1410, gestorben nach 1472