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Sergio, Alex und Jeremy haben drei Dinge gemeinsam: 1. Sie sind verdammt gute Geschäftsmanner. 2. Sie sind genauso schwerreich wie attraktiv. Und 3. Sie denken gar nicht daran, ihr ausschweifendes Singleleben für die Eine aufzugeben ... bis ihnen drei Frauen über den Weg laufen, die ihr eisernes Vorhaben schwer ins Wanken bringen. Drei prickelnd-romantische Romane von Miranda Lee - jetzt erstmals in einem Band!
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Seitenzahl: 523
Miranda Lee
Rich & Ruthless - Hoffnungslos verfallen (3in1)
Eigentlich müsste ich überglücklich sein. Nachdenklich verließ Sergio die luxuriöse Duschkabine und griff nach einem flauschigen Badelaken. Immerhin hatte er es am heutigen Tag zum Milliardär gebracht. Ebenso wie seine beiden besten Kumpel.
Was fehlte ihm denn noch zum Glück? Geistesabwesend trocknete Sergio sich ab. Der Verkauf des Franchiseunternehmens Wild over Wine hatte ihnen 4,6 Milliarden eingebracht. Ein Grund zum Jubeln, oder? Doch Sergio fühlte einfach nur eine große Leere in sich.
Der Weg ist das Ziel. Hatte diese Weisheit sich gerade einmal wieder bewahrheitet? Offensichtlich. Die drei Mitglieder des Junggesellenclubs hatten ihr Ziel erreicht, vor ihrem fünfunddreißigsten Lebensjahr Milliardär zu werden. Das war knapp, dachte Sergio. Denn bis zu seinem fünfunddreißigsten Geburtstag waren es nur noch exakt vierzehn Tage.
Er erinnerte sich ganz genau an den Tag, als sie den Club gegründet hatten. Wie jung sie damals gewesen waren! Natürlich hatten sie sich mit ihren dreiundzwanzig Jahren schon reif und erfahren gefühlt. Jedenfalls reifer und definitiv wesentlich selbstbewusster als die anderen Studenten ihres Jahrgangs in Oxford.
Alle drei sahen blendend aus und hatten einen hohen IQ. Außerdem waren sie außergewöhnlich ehrgeizig. Zumindest traf das auf ihn und Alex zu. Jeremy bezog schon ein eigenes Einkommen und hatte nur zum Spaß mitgemacht, damals, an einem Freitagabend, einige Monate nachdem sie sich kennengelernt hatten – natürlich bei Jeremy, denn sein Zimmer war viel größer als der Raum, den Alex und Sergio sich teilten.
Sergio lächelte vor sich hin. Sie waren damals ganz schön betrunken gewesen. Jeremy schien über einen unerschöpflichen Vorrat an französischem Wein zu verfügen. Irgendwann hatte er seine beiden neuen Freunde dann gefragt, welche Ziele sie sich gesetzt hatten.
„Niemals zu heiraten!“, antwortete Jeremy wie aus der Pistole geschossen. Jeremy Barker-Whittle war der jüngste Spross einer alteingesessenen Bankiersfamilie. Vielleicht lag es am immensen Reichtum, dass in seiner Familie fast alle Ehen geschieden worden waren. Jeremys gestörtes Verhältnis zur Institution Ehe war also durchaus nachvollziehbar.
„Ich mache mir auch nichts aus der Ehe“, pflichtete Alex Katona ihm sofort bei. Der Australier stammte aus einer Arbeiterfamilie in Sydney, war Rhodes-Stipendiat und blitzgescheit. „Dafür habe ich überhaupt keine Zeit. Ich muss nämlich Tag und Nacht arbeiten, weil ich es bis zu meinem fünfunddreißigsten Geburtstag zum Milliardär gebracht haben will“, kündigte er selbstbewusst an.
„Das will ich auch.“ Sergio war Feuer und Flamme für diesen Plan. Er würde zwar eines Tages das Familienunternehmen der Morellis übernehmen, doch der Ehrgeiz, es aus eigener Kraft zum Milliardär zu bringen, reizte ihn viel mehr. Zumal der in Mailand ansässige Produktionsbetrieb in letzter Zeit hinter den Gewinnerwartungen zurückgeblieben war. Möglicherweise existierte das Unternehmen gar nicht mehr, wenn Sergios Vater es ihm vererbte.
Als Selfmademan würde auch ihm die Zeit für eine Ehe fehlen.
Also schlossen die drei Freunde einen Pakt, und der Junggesellenclub wurde aus der Taufe gehoben. Es gab nur wenige Regeln: Die drei schworen sich ewige Freundschaft.
Zwölf Jahre nach diesem feuchtfröhlichen Abend waren sie tatsächlich noch immer beste Kumpel. Daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, dass sie Geschäftspartner geworden waren. Diese Freundschaft würde bis ans Ende seiner Tage bestehen. Dessen war Sergio sich inzwischen sicher.
Regel Nummer zwei lautete: das Leben in vollen Zügen genießen. Sergio musste lachen, denn der Grundsatz besagte, mit jeder Frau ins Bett zu gehen, die auch nur halbwegs interessiert zu sein schien. Während des Studiums hatten er und seine Freunde viel Spaß dabei gehabt, diese Regel zu befolgen. Nach dem Examen waren sie allerdings alle etwas wählerischer geworden. Sergio interessierte sich insbesondere für Frauen mit Tiefgang, die kultiviert waren und mit denen man sich unterhalten konnte.
Alex stand auf junge Frauen. Je älter er wurde, desto jünger waren seine Freundinnen. „Sie klammern nicht und sind weniger kritisch“, hatte er Sergio einmal erklärt. „Heiraten wollen sie auch nicht gleich – im Gegensatz zu Frauen in meinem Alter.“ Er war noch immer strikt dagegen, den Bund fürs Leben einzugehen, obwohl seine Eltern und Geschwister alle glückliche Ehen führten.
Jeremy fühlte sich in seiner Rolle als unwiderstehlicher Playboy so wohl, dass es ihm niemals in den Sinn gekommen wäre, von dem damals geschlossenen Pakt abzuweichen. Er wechselte seine Begleiterinnen wie andere Männer die Hemden. Keine Frau konnte seinem Charisma widerstehen. Meistens war es Liebe auf den ersten Blick, die allerdings von Jeremy unerwidert blieb. Die Zahl der gebrochenen Herzen in England und auf dem Kontinent stieg stetig. Sergio fand das unmöglich und stellte Jeremy zur Rede. Doch der zuckte nur die Schultern. Es war doch nicht seine Schuld, dass er so rastlos war. Diese Eigenschaft war genetisch bedingt. Sein Vater war bereits zum dritten Mal verheiratet, seine Mutter zum vierten oder fünften Mal. Inzwischen hatte Jeremy die Übersicht verloren.
Weder Alex noch Jeremy fanden es daher schwierig, Regel Nummer drei zu erfüllen: Vor Vollendung des fünfunddreißigsten Lebensjahres wird auf keinen Fall geheiratet!
Sergio hatte zwar unter der zweiten Ehe seines Vaters gelitten, die prompt geschieden worden war, wusste aber genau, dass er eines Tages heiraten wollte. Schließlich war er Italiener! Familie ging ihm über alles. Doch bevor er sich auf eine Frau festlegte, wollte er es zum Milliardär gebracht haben.
Nun, das hatte er heute geschafft. Besser gesagt, Alex, Jeremy und er hatten es geschafft. Der Club würde sich jetzt wohl bald auflösen, doch der Freundschaft der drei Kumpel würde das keinen Abbruch tun.
Nur schade, dass wir uns viel seltener sehen werden, dachte Sergio geknickt. Er selbst wollte demnächst nach Mailand ziehen, um das Familienunternehmen zu retten. Seit dem Tod seines Vaters im vergangenen Jahr waren die Umsätze drastisch gesunken.
Alex hatte seinen Rückflug nach Australien bereits gebucht. Dort wartete eine neue Herausforderung: die von ihm gegründete Immobilienfirma weiter zu expandieren.
Nur Jeremy plante, in London zu bleiben und sich ein Unternehmen zu kaufen. Vielleicht eine PR-Agentur. Jedenfalls keine Privatbank.
Heute Abend wollte Sergio die Freunde in seine Heiratsabsichten einweihen. Die Tage des Junggesellenclubs waren gezählt.
Eine Frau zu finden und zu heiraten wird mein nächstes Projekt, nahm Sergio sich vor, als er das Badezimmer verließ. Doch wie sollte diese Frau aussehen? Gedankenverloren blieb Sergio im angrenzenden begehbaren Kleiderschrank stehen. Der war so riesig, dass selbst Jeremy vor Neid erblasst war, als Sergio ihn stolz herumgeführt hatte.
Für die Feier heute Abend suchte Sergio eine schwarze Hose aus, die er geistesabwesend anzog. Die Frau muss jünger sein als ich, dachte er, als er den Reißverschluss zumachte. Schließlich wünschte er sich mehrere Kinder. Mitte zwanzig war die äußerste Grenze. Attraktiv muss sie natürlich auch sein, beschloss er pragmatisch und knöpfte das weiße Seidenhemd zu, das er gerade vom Bügel genommen hatte. Allerdings auch nicht zu hübsch, denn dann hätte er wohl keine ruhige Minute mehr.
Gerade hatte er den letzten Knopf geschlossen, als nebenan im Schlafzimmer das Privathandy klingelte. Nur Alex und Jeremy hatten die Nummer. Und natürlich Cynthia. Sergio legte großen Wert auf seine Privatsphäre und änderte die Nummer mindestens einmal im Jahr.
Vermutlich wollte einer der beiden Freunde ihn vorwarnen, dass es später werden könnte. Das war er inzwischen gewohnt. Cynthia würde sich wohl kaum bei ihm melden, denn er hatte bereits vor mehr als einem Monat mit ihr Schluss gemacht. Die Hoffnung auf eine Versöhnung hatte sie längst aufgegeben.
Sergio griff nach dem Handy. Die Nummer des Anrufers war unterdrückt. Ungehalten verzog er das Gesicht. Wer war dieser Hacker? Immer wieder wurde versucht, Sergios Privatnummer herauszufinden.
„Wer ist da?“, fragte er wütend.
Nach einer Schrecksekunde meldete sich die Anruferin zögernd. „Ich … ich bin’s … Bella.“
Schockiert zuckte Sergio zusammen. Bellas Stimme zu hören verschlug ihm zunächst die Sprache.
„Sergio?“, fragte Bella vorsichtshalber nach. „Du bist es doch, oder?“
„Ja, Bella“, stieß er schließlich heiser hervor. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und ihm fiel es schwer, klar zu denken. Bella rief ihn an? Die wunderschöne Bella, die einmal seine Stiefschwester gewesen war und ihn viele schlaflose Nächte gekostet hatte.
„Du hast gesagt, ich könnte dich jederzeit anrufen, wenn ich Hilfe brauche“, erklärte sie leise. „Weißt du noch? Nach der Trauerfeier für deinen Vater hast du mir deine Telefonnummer gegeben“, fügte sie atemlos hinzu.
„Ja, stimmt.“ Sergio erinnerte sich dunkel.
„Oje, ich ruf dich später wieder an“, stieß sie hastig hervor und beendete abrupt das Gespräch.
Fluchend starrte er das Handy an. Am liebsten hätte er es gegen die Wand gefeuert.
Fünf endlos lange Minuten tigerte er im Schlafzimmer hin und her. Beunruhigt überlegte er, in welchen Schwierigkeiten Bella stecken könnte. Wieso meldete sie sich plötzlich bei ihm? Seit der Scheidung ihrer Eltern vor elf Jahren war es das erste Mal. Zur Trauerfeier war sie seines Vaters wegen gekommen, ganz sicher nicht, um ihren ehemaligen Stiefbruder wiederzusehen.
Sergio war wütend, weil er kostbare Zeit damit verschwendete, auf Bellas erneuten Anruf zu warten. Wenn er weiter hier herumlief, würde er selbst zu spät zur Verabredung mit seinen beiden Freunden kommen. Der Tisch war für acht Uhr bestellt. Ich muss los, dachte Sergio und zog entschlossen Strümpfe und Schuhe an. Diese Bella! Ein Anruf von ihr, und schon ging sie ihm nicht mehr aus dem Kopf. Vielleicht wäre das anders gewesen, wenn sie ein unauffälliges Leben geführt hätte – irgendwo in Australien. Doch das Schicksal hatte es anders gewollt.
Kurz bevor Dolores seinen Vater um die Scheidung gebeten hatte, hatte Bella den Talentwettbewerb eines australischen Fernsehsenders gewonnen. Seitdem rissen die Musicalproduzenten sich um den neuen Superstar, und das nicht nur in Australien, sondern überall auf der Welt. Bella trat immer wieder am Broadway auf und natürlich in London. Manchmal hatte Sergio den Eindruck, von ihrem wunderschönen Lächeln verfolgt zu werden. Es begegnete ihm überall – im Fernsehen, auf Bussen und auf riesigen Reklametafeln.
Sergio hatte es sich energisch verkniffen, Bella auch noch auf der Bühne zu bewundern. Er wusste nämlich nur zu genau, dass er seine überwältigende Lust auf sie dann nicht mehr unterdrücken könnte. Auch in diesem Moment machte ihm heißes Begehren zu schaffen. Genau wie vor drei Jahren, als Jeremy ihn mit zu einer Varietéshow geschleppt hatte, wo Bella als Gaststar aufgetreten war. Es war die reinste Folter gewesen. Die wurde nur noch übertroffen, als Jeremy ihn auch noch bat, ihn zur anschließenden Künstlerparty zu begleiten. Natürlich hätte ich die Einladung ablehnen können, dachte Sergio. Doch die Neugierde hatte die Oberhand gewonnen.
Die Party war bereits in vollem Gang, als Bella am Arm ihrer neusten Eroberung in den Ballsaal schwebte. Der gut aussehende französische Schauspieler war als Schürzenjäger berüchtigt. Ein schönes Paar, musste Sergio zugeben. Die zarte Bella mit ihrem langen blonden Haar bildete den perfekten Kontrast zu dem dunkelhaarigen Franzosen, der zudem ganz in Schwarz gekleidet war, während Bella Weiß trug. Engel und Teufel, war Sergios erster Gedanke gewesen.
Den ganzen Abend lang hatte er Bella aus der Ferne beobachtet. Jede Berührung des Franzosen hatte Sergio einen Stich der Eifersucht versetzt.
Was genau er zu ihr gesagt hatte, als Bella ihn schließlich entdeckt und angesprochen hatte, wusste er nicht mehr, nur dass er sich höflich mit ihr unterhalten hatte. Schließlich hatte er eine gute Erziehung genossen. Sein Vater hatte viel Wert auf kultiviertes Benehmen gelegt. Vermutlich habe ich sie zu ihrer fantastischen Vorstellung beglückwünscht, dachte Sergio ironisch. An ein Detail erinnerte er sich noch ganz genau: Seine heftige Erektion hatte ihn fast umgebracht. Am liebsten hätte er es auf der Stelle mit Bella getrieben. Das Begehren, als sie so dicht vor ihm stand, war kaum auszuhalten gewesen. So etwas war ihm seitdem nicht mehr passiert. Seine Selbstbeherrschung damals beeindruckte ihn noch heute.
Fast war er Bellas besitzergreifendem Lover dankbar gewesen, als der sie schließlich mit sich zog.
Erst zu Hause hatte Sergio seiner Frustration Luft gemacht. Wie ein Besessener hatte er auf die Badezimmertür eingeschlagen. Das Resultat: zwei gebrochene Finger. Unter der eiskalten Dusche hatte er sich die Seele aus dem Leib geheult.
Seine Hand war nach einigen Wochen wieder verheilt. Ihm war auch bewusst geworden, dass er etwas gegen seinen selbstzerstörerischen Hang unternehmen musste, den Bella in ihm hervorrief.
Sergio hatte sich Alex und Jeremy anvertraut. Dieses Gespräch hatte ihm etwas geholfen. Allerdings waren die Ratschläge der beiden Freunde typisch gewesen. „Du brauchst mehr Sex“, hatte Alex festgestellt.
„Schlag sie dir aus dem Kopf! Wahrscheinlich ist sie gar nicht so fantastisch im Bett“, vermutete Jeremy. „Amüsier dich mit anderen Frauen. Es gibt ja genug auf der Welt.“
Diesen Rat hatte Sergio dankbar angenommen. In den folgenden Wochen war er mit mehr Frauen im Bett gewesen als sonst im ganzen Jahr. Ein One-Night-Stand folgte dem nächsten. Alle Frauen hatten blondes Haar, blaue Augen und eine makellose Figur.
Irgendwann jedoch hing Sergio dieser Lebensstil zum Halse heraus. Und dann kam Cynthia. Die attraktive geschiedene Frau war fantastisch im Bett und fand es nicht schlimm, dass Sergio sie nicht liebte.
An Bella verschwendete Sergio kaum noch einen Gedanken. Nur als Alex ihm steckte, die Beziehung zu dem französischen Schauspieler sei in die Brüche gegangen, empfand Sergio Genugtuung. Die Nachricht, sie sei jetzt mit einem russischen Oligarchen liiert, der seine Ölmilliarden in Luxushotels investierte, löste dann wenig später Unwillen bei ihm aus. Wieso fiel Bella immer wieder auf so zwielichtige Gestalten herein? Auch ein drogensüchtiger Rockstar und ein sexsüchtiger argentinischer Polospieler, der die Frauen so oft wechselte wie seine Pferde, befanden sich bereits in Bellas Sammlung – sehr zum Entzücken der Boulevardpresse, die genüsslich über das Liebesleben des Musicalstars berichtete und spekulierte, wann die bildhübsche Bella wohl die große Liebe fände.
Geistesabwesend betrachtete Sergio das Handy, das noch immer keinen Ton von sich gab. Es machte ihn wütend, dass er sich Sorgen um Bella machte und sich danach sehnte, ihre Stimme zu hören.
Wieso meldet sie sich nicht endlich? dachte er. Sie hatte vorhin sehr beunruhigt geklungen. War sie in Gefahr? Warum hatte sie den Anruf so abrupt beendet? Hatte ihr neuster Lover sie beim Telefonieren mit einem anderen Mann ertappt? War der Typ etwa gewalttätig? Bei Bella konnte man schließlich nie wissen, mit wem sie sich einließ. Das war ihre eigene Schuld. Doch die Vorstellung, sie könnte an einen Mann geraten sein, der sie misshandelte, beunruhigte Sergio zutiefst.
Verdammt! Sergio fluchte vor sich hin. Was ging ihn das eigentlich an? Er war doch nicht verantwortlich für Bella. Seit der Scheidung seines Vaters von ihrer Mutter war er ja nicht mehr Bellas Stiefbruder. Zum Glück! Trotzdem sorgte er sich um sie. Deshalb hatte er ihr auch seine private Handynummer gegeben, als er Bella auf der Trauerfeier seines Vaters getroffen hatte. Wie erschöpft sie damals ausgesehen hatte. Es war selbstverständlich für ihn gewesen, ihr seine Hilfe anzubieten. Bella konnte ja nichts dafür, dass ihre Mutter seinen Vater nur geheiratet hatte, damit der die Ausbildung ihrer Tochter finanzierte. Sowie Bella zum Musicalstar aufgestiegen war, hatte Dolores die Scheidung eingereicht und seinem Vater das Herz gebrochen.
Erst viele Wochen später, als die Trauer um seinen geliebten Vater etwas nachgelassen hatte, bedauerte Sergio, seiner ehemaligen Stiefschwester die private Handynummer gegeben zu haben. Wie dumm von ihm! Er hatte doch alles getan, Bella aus seinem Gedächtnis zu verdrängen.
Nun hatte sie sich tatsächlich bei ihm gemeldet, und sofort kreisten seine Gedanken wieder um sie. Sergio stöhnte frustriert, schob das Handy jedoch in die Hosentasche und verließ die Luxuswohnung am Canary Wharf. Er liebte sein Londoner Domizil, denn im Haus befand sich auch ein großes Schwimmbad und ein Fitnesscenter, das keinen Wunsch nach sportlicher Betätigung offenließ. Das Nobelrestaurant, in dem er sich mit Alex und Jeremy verabredet hatte, lag auch in dem Gebäude.
Das Handy klingelte. Bella! Hastig zog Sergio das Telefon aus der Hosentasche und meldete sich knapp.
„Hi, Kumpel. Wir verspäten uns ein wenig.“
Alex! Frustriert herrschte Sergio seinen Kumpel an. „Wieso denn das schon wieder? Ich bin extra hergezogen, weil Canary Wharf so verkehrsgünstig liegt.“
„Wir stehen trotzdem im Stau. Außerdem hat Jeremy beim Anziehen gebummelt.“ Alex lachte ironisch. „Entspann dich, Sergio! Du kannst schon mal die Drinks bestellen. In einer Viertelstunde sind wir sicher da.“
„Okay.“
Als er Sergios resignierten Tonfall bemerkte, horchte Alex auf. „Was ist los, Kumpel?“
„Nichts weiter. Ich bin nur müde“, behauptete Sergio.
„Kein Wunder. Es war ja auch ein ziemlich aufregender Tag. Wie du die Verhandlungen geführt hast, Sergio … unglaublich! Du bist der Beste. Genehmige dir schon mal einen Whisky. Wir sind gleich da.“
Noch fünf Minuten nachdem sie das Telefongespräch beendet hatte, zitterte Bella wie Espenlaub. Eine Panikattacke hatte sie voll im Griff. Dieses Phänomen kannte sie bisher nur von einer Kollegin, die regelmäßig vor einem Bühnenauftritt darunter litt.
Diese plötzliche Attacke war wohl auf Bellas schlechtes Gewissen zurückzuführen. Sie fühlte sich schuldig, weil ihre Mutter Sergios Vater so unglaublich schlecht behandelt hatte. Eigentlich habe ich kein Recht, Sergio um Hilfe zu bitten, dachte Bella. Sie erinnerte sich gern an ihren fünf Jahre älteren Stiefbruder, der sich stets geduldig ihre Probleme angehört und ihr beim Üben zugesehen hatte. Sergio war nicht nur hochintelligent, sondern auch sehr sportlich. Wenn er einmal eine Pause vom Lernen brauchte, hatten sie auf dem Hof Basketball gespielt. Bella hatte ihn schrecklich vermisst, als sein Vater ihn mit der Begründung, er müsse sein Italienisch perfektionieren, zum Studium nach Rom geschickt hatte.
Damals war sie dreizehn gewesen. In den folgenden Jahren sah sie Sergio nur selten: Ostern und Weihnachten kehrte er für wenige Tage zurück nach Sydney. Im Juli traf sich die ganze Familie zum Urlaub am Comer See.
Bella liebte die Ferien in der alten Villa der Morellis. Sergio und sie gingen gemeinsam schwimmen, erkundeten den See mit dem Boot und hatten viel Spaß. Nur während der letzten gemeinsam verbrachten Wochen am Comer See hatte Sergio sich kaum blicken lassen, weil er fürs Examen büffeln musste. Im Jahr darauf lebten Dolores und Alberto bereits getrennt, und Sergio war nach Oxford gezogen, um dort weiterzustudieren, während sie selbst zum Broadwaystar heranreifte. Der vertraute Umgang mit Sergio war Vergangenheit. Zuerst hatte sie ihren großen Bruder vermisst, doch dazu hatte sie bald keine Zeit mehr gehabt, denn sie musste sich auf ihre Karriere konzentrieren und stand ständig im Rampenlicht. Irgendwann hatte sie Sergio vergessen.
Nur einmal hatten sie sich wiedergesehen. Bella verzog das Gesicht, als sie an die Party in London dachte, zu der die Agentur nach dem Konzert eingeladen hatte. Zuerst hatte sie Sergio gar nicht erkannt. Er war zu einem beeindruckenden, blendend aussehenden jungen Mann gereift. Nur die ausdrucksvollen dunklen Augen waren unverändert geblieben. Der harsche Ausdruck, mit dem Sergio sie betrachtet hatte, hatte sie allerdings verunsichert. Offensichtlich nahm Sergio auch ihr das Verhalten ihrer Mutter übel.
Bei der Trauerfeier für seinen Vater hatte er sie dann so traurig angeschaut, dass sie die Tränen kaum zurückhalten konnte. Zum Glück konnte sie die hinter der Sonnenbrille verstecken.
Bella machte sich Vorwürfe, Sergio und Alberto nicht gleich nach der Scheidung aufgesucht und sich für Dolores’ grausames Verhalten entschuldigt zu haben. Doch die steile Karriere und ihr plötzlicher Ruhm hatten das verhindert. Bella hatte einfach keine Zeit gehabt, auch nur an etwas anderes zu denken. Alles drehte sich um ihre Karriere, wirklich alles. Bellas einzige Entschuldigung war, dass sie damals erst achtzehn Jahre alt gewesen war.
Nach der Trauerfeier schrieb Sergio ihr seine private Handynummer auf. „Du kannst mich jederzeit anrufen, wenn du Hilfe brauchst“, versicherte er ihr. Bella nickte dankbar. Seine unglaublich großzügige Geste rührte sie zu Tränen. Schnell hatte sie die Karte eingesteckt, sich verabschiedet und war hastig geflohen, damit niemand ihre Tränen sah.
Auch jetzt war sie den Tränen nahe. Vermutlich war das dem andauernden Schlafmangel zuzuschreiben.
So kann es nicht weitergehen, dachte Bella verstört. Ich muss hier raus! Weg von all den Leuten, die behaupten, nur mein Bestes zu wollen. Dabei wollen sie mich alle nur ausbeuten. Deshalb verlangen sie, dass ich immer mehr Engagements annehme.
In den vergangenen Jahren war der Beratertross immer größer geworden. Ständig wuselte jemand um sie herum. Fast nie hatte sie mal eine freie Minute ganz für sich. Auch ihre Mutter war immer und überall dabei. Und alle hielten ständig die Hand auf. Ein Privatleben hatte Bella schon lange nicht mehr. Ihr Leben bestand nur aus Arbeit.
Ich muss aus dieser Tretmühle raus, dachte Bella. Und zwar sofort!
Entschlossen zückte sie das Handy, atmete tief durch und tippte auf die Wahlwiederholungstaste.
Sergio saß am besten Tisch des Restaurants, blickte nachdenklich hinaus auf die Themse und trank einen Schluck Scotch, als das Handy klingelte.
Erschrocken fuhr er zusammen, riskierte dann aber einen Blick auf das Display. Die Rufnummer war unterdrückt. Bella! Sergio atmete erleichtert auf. Insgeheim hatte er sich bereits einen Plan B zurechtgelegt, falls Bella sich nicht wieder gemeldet hätte. Doch nun brauchte er keinen Privatdetektiv zu beauftragen, um Bella ausfindig zu machen.
Mit festem Griff umklammerte er das Handy und hielt es sich ans Ohr. „Hallo, Bella.“ Er staunte selbst, wie ruhig und gelassen seine Stimme klang. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass ihm das Herz vor Aufregung bis zum Hals schlug.
„Woher weißt du, dass ich es bin?“, fragte sie verdutzt.
„Du hast deine Nummer unterdrückt. Das macht sonst keiner, der mich auf meinem Privathandy anruft“, erklärte er sachlich.
„Ach so.“
„Wieso hast du das Gespräch vorhin so abrupt beendet, Bella?“
„Tut mir leid, Sergio. Mum stand plötzlich vor der Tür, und ich wollte auf keinen Fall, dass sie mitbekommt, mit wem ich telefoniere.“
Einen Moment lang war Sergio sprachlos. „Wohnt deine Mutter denn bei dir?“, fragte er ungläubig.
„Um Himmels willen, nein! Ich wohne allein in meiner New Yorker Wohnung. Aber ich bin gerade in Sydney, weil ich mal ausspannen wollte. Das war wohl nichts.“ Sie lachte sarkastisch. „Hast du überhaupt Zeit, mit mir zu telefonieren, Sergio?“, fügte sie beunruhigt hinzu, weil sie Stimmengewirr im Hintergrund ausmachen konnte.
Eine Gruppe sich laut unterhaltender Männer war gerade an Sergios Tisch vorbeigegangen. „Klar habe ich Zeit. Ich sitze im Restaurant und warte auf meine Kumpel. Die verspäten sich mal wieder. Kein Wunder, bei dem Verkehr hier in London.“
„New York ist auch nicht besser. Dann wohnst du immer noch in London?“
„Ja, ich habe mir hier eine Eigentumswohnung gekauft“, erzählte er und überlegte, warum Bella das wissen wollte. Außerdem fragte er sich, ob seine Sorge um Bellas Wohlergehen nicht völlig überzogen war. Das würde sich sicher gleich herausstellen.
„Was kann ich denn für dich tun, Bella?“ Gespannt wartete er auf die Antwort.
Stattdessen stellte Bella ihm eine Gegenfrage. „Sag mal, hast du noch die Villa am Comer See? Du hast sie nach dem Tod deines Vaters doch nicht etwa verkauft, oder?“
„Nein, ganz sicher nicht! Sie befindet sich seit Generationen im Besitz meiner Familie. Warum fragst du?“
„Ich … ich muss hier weg, Sergio. Ich brauche dringend Ruhe. Irgendwo, wo mich niemand kennt. Ich hatte gehofft, du könntest mir die Villa für zwei, drei Wochen oder vielleicht sogar für einen ganzen Monat vermieten.“
„Ach so.“ Sergio konnte seinen Missmut kaum verbergen. Wieso musste es ausgerechnet seine Villa sein? Am Comer See wurden im Sommer viele Villen an Feriengäste vermietet. Am liebsten hätte er Bellas Wunsch kurz und knapp abgelehnt. Andererseits war er noch immer scharf auf sie und konnte es kaum erwarten, sie endlich wiederzusehen – die unwiderstehliche Bella …
„Wann möchtest du denn nach Italien kommen?“, erkundigte er sich daher möglichst lässig.
„So schnell wie möglich. Ich bin ja gerade in Sydney, würde aber gern den nächsten Flieger nehmen.“
Sie ist bei ihrer Mutter, dachte Sergio verbittert. Das Haus hatte sein Vater der geldgierigen Dolores als Abfindung gekauft. „Deine Mutter begleitet dich aber nicht, oder?“, fragte er schnell.
„Oh nein! Ich komme allein.“
Das überraschte Sergio. Er war davon ausgegangen, dass Bella ihre neueste Eroberung im Schlepptau haben würde. Insgeheim rieb er sich vergnügt die Hände. Bella kam allein! Das änderte natürlich alles. All die Jahre hatte er Bella in Ruhe gelassen, obwohl er verrückt nach ihr war. Seit der Scheidung von Dolores und Alberto waren sie keine Stiefgeschwister mehr. Er hätte Bella also ungestraft verführen können. Doch er hatte es nicht getan. Warum nicht?
Vermutlich weil sein Stolz es nicht zugelassen hätte. Immerhin floss italienisches Blut in seinen Adern. Eine Abfuhr von Bella hätte er nicht ertragen. Außerdem war er nicht der Typ Mann, der einer Frau nachlief. Schon gar nicht der Tochter des geldgierigen Weibsstücks, das seinem Vater das Herz gebrochen hatte. Das wäre Sergio wie Hochverrat vorgekommen. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Dieses Sprichwort war nur allzu wahr und warnte ihn vor einer Beziehung mit Dolores’ Tochter. Woher sollte er denn wissen, ob nicht auch Bella ihm die große Liebe vorspielte? Seit seinem Aufstieg zum Milliardär musste er noch misstrauischer sein.
Eigentlich war es müßig, darüber nachzudenken, denn schließlich bat Bella ihn um einen Gefallen. Es war ja keineswegs so, als würde er alles daransetzen, sie zu erobern.
„Tut mir leid, Bella.“ Er genoss es richtig, ihr den Gefallen zu verweigern. „Ich kann dir die Villa momentan nicht vermieten, denn ich werde den ganzen Juli selbst dort verbringen.“
„Oh.“ Tiefe Enttäuschung schwang in diesem kleinen Wort mit.
„Wenn es dir nichts ausmacht, dass ich auch da bin, kannst du aber umsonst dort wohnen“, fügte er großzügig hinzu.
„Nur du allein?“, fragte sie sicherheitshalber nach.
„Ja. Und natürlich Maria.“
„Meinst du die Maria, die damals als Haushälterin und Köchin angestellt war?“
„Genau die. Sie wohnt allerdings nicht mehr in der Villa, sondern im eigenen Haus, mit ihrem Mann Carlo. Er kümmert sich um den Garten und reinigt im Sommer den Pool. Seit dem Tod meines Vaters wird die Villa nur noch selten genutzt.“
„Es tut mir unendlich leid, dass du deinen Vater verloren hast, Sergio“, sagte Bella traurig.
Sergio biss die Zähne zusammen. Er wollte keine Entschuldigungen von ihr hören. Als er aufsah und Alex und Jeremy näher kommen sah, traf er einen schnellen Entschluss. „Ich muss Schluss machen, Bella. Meine Freunde sind jetzt hier. Gib mir bitte deine Handynummer, dann rufe ich dich später an, damit wir abklären können, wann du in Mailand eintriffst.“ Er warf einen Blick auf die Armbanduhr. In Sydney war es noch früher Morgen. Er konnte sich mit seinem Anruf also Zeit lassen. „Am besten buchst du schon mal einen Flug nach Mailand und packst deine Sachen zusammen. Ach ja, noch was: Deine Mutter darf nicht erfahren, wohin du fliegst. Am besten behältst du deine Pläne für dich. Sonst bekommen die Paparazzi Wind davon, wo die berüchtigte Bella sich mit ihrem neuesten Lover vergnügt, und schießen vom Hubschrauber aus Bilder von uns.“
„Was?“ Bella meinte, sich verhört zu haben. Dann lachte sie freudlos auf. „Ja, klar, kein Wort zu irgendjemandem“, versprach sie. „Die Pressemeute versucht ja ständig, mir irgendwelche Liebhaber anzuhängen. Ach Sergio, du hast ja keine Ahnung, wie dankbar ich dir bin. Ich hatte schon immer …“
„Ich muss Schluss machen, Bella. Gib mir schnell noch deine Handynummer!“
Sowie er die Nummer hatte, brach Sergio das Gespräch ab und schob das Handy in die Hosentasche. Im nächsten Augenblick setzten Alex und Jeremy sich schon zu ihm an den Tisch.
Lässig begrüßte er seine Freunde. Er hatte es schon immer gut verstanden, seine Gefühle zu verbergen. Das war gerade in diesem Moment auch besser so. Er konnte es kaum fassen: Bella würde die Villa mit ihm teilen – und sie war ihm etwas schuldig.
Eigentlich war Sergio nicht der Typ, der sich die Schwäche einer Frau zunutze machte. Auch Rachsucht zählte nicht zu seinen Charaktereigenschaften, davon war er jedenfalls bisher ausgegangen. Aber er war eben ein waschechter Italiener …
„Entschuldige bitte unsere Verspätung“, sagte Alex zur Begrüßung und setzte sich an den Tisch.
Jeans und ein hellblaues Hemd? Verwundert musterte Sergio seinen Kumpel. Sehr feierlich wirkte das nicht gerade. Jeremy hingegen trug einen dreiteiligen grauen Anzug mit violettem Hemd und fliederfarbener Krawatte.
„Hast du dich gerade für morgen Abend verabredet?“, fragte Jeremy neugierig, als er sich ebenfalls setzte.
„Vermutlich zu einem One-Night-Stand“, meinte Alex.
„Du hast es gerade nötig“, antwortete Jeremy grinsend. „Ein Mädchen zum Abendessen einzuladen, bevor man mit ihm ins Bett geht, ist ja wohl das Mindeste“, fügte er augenzwinkernd hinzu. „Wer ist denn gerade die Glückliche?“
„Das geht dich nichts an“, beschied Sergio ihm kühl und beschloss spontan, Bellas Anruf für sich zu behalten. Alex und Jeremy könnten auf die Idee kommen, ihn von seinem Plan abzubringen. Es wurde Zeit für ein Ablenkungsmanöver. „Ich habe einen Bärenhunger. Lasst uns gleich die Bestellung aufgeben.“
Glücklicherweise waren die Wartezeiten in diesem Restaurant kurz. Innerhalb weniger Minuten stand eine Flasche Champagner auf dem Tisch. Der Kellner schenkte den drei Freunden ein und reichte Brot dazu.
Doch so richtig konnte Sergio den Abend nicht genießen, denn seine Gedanken kreisten die ganze Zeit um Bella. Er überlegte hin und her, wie er sie verführen sollte. Er hatte wenig Erfahrung in diesem Bereich, denn bisher hatte keine Frau seinem südländischen Charme widerstanden. Bei Bella musste er sich wohl mehr Mühe geben. Vielleicht genügte es aber auch, ihr zu sagen, dass er es inzwischen zum Milliardär gebracht hatte. Frauen wie Bella konnten nie genug Geld haben. Ihm wäre es aber lieber, wenn sie auch ohne diesen Anreiz mit ihm schlafen wollte.
Wie verführe ich Bella? Diese Frage beschäftigte Sergio während der Vorspeise. Offensichtlich stand sie auf böse Jungs. In dieses Beuteschema passte er absolut nicht. Bis zum Dessert hatte er es sich anders überlegt. Es könnte ein richtiger Spaß werden, in die Rolle eines Schufts zu schlüpfen. Er würde alles tun, Bella in sein Bett zu bekommen. Wenigstens ein einziges Mal. Obwohl … mit nur einem Mal würde es ihm wohl kaum gelingen, das heiße Verlangen zu befriedigen, das seit Jahren in ihm loderte, wenn er auch nur an Bella dachte. Ein Monat intensiver Sex müsste aber genügen. Sex in allen Variationen. Dann würde er sie wieder nach Hause schicken und den wahren bösen Jungs überlassen, während er selbst sich auf die Suche nach einer Frau zum Heiraten machen würde.
Ein wirklich guter Plan, dachte er zufrieden, als er sich den letzten Löffel der exzellenten Karamellcreme schmecken ließ.
„Du bist heute Abend ziemlich einsilbig, Sergio“, stellte Jeremy fest, nachdem der Kaffee serviert worden war. „Okay, Alex und ich sorgen ja meistens für die Unterhaltung, aber sonst hast du wenigstens hin und wieder etwas zum Gespräch beigetragen. Was ist los? Ärger mit einer Frau?“
Sergio verkniff sich das Lachen. Ärger mit einer Frau? Jeremy hatte ja keine Ahnung, was Bella mit ihrem Anruf ausgelöst hatte. Immerhin habe ich jetzt einen Plan, dachte Sergio und entspannte sich sichtlich. Jetzt musste er den Plan nur noch umsetzen. Dann würde Bella bald Vergangenheit sein.
Sergio sah auf. Jetzt war der Moment gekommen, die Freunde in das Vorhaben einzuweihen, mit dem er sich vor Bellas Anruf beschäftigt hatte. „Das schwache Geschlecht hat durchaus etwas damit zu tun“, sagte er geheimnisvoll.
„Das klingt aber ominös“, fand Alex.
„Ist es aber nicht. Ich habe mich lediglich entschlossen zu heiraten.“ Gespannt wartete Sergio auf die Reaktion der anderen beiden Mitglieder des Junggesellenclubs.
Alex schien es die Sprache verschlagen zu haben.
Jeremy hingegen lächelte wissend. „So etwas in der Richtung hatte ich schon vermutet“, behauptete er.
„Im Gegensatz zu mir.“ Finster musterte Alex seinen Freund Sergio. „Nach der Scheidung deines Vaters hast du dir doch geschworen, niemals zu heiraten.“
„Was interessiert mich mein Gerede von gestern.“ Sergio lächelte ironisch. „Mein Vater ist tot, wir haben gerade unser Franchiseunternehmen verkauft, ich möchte jetzt ein ruhigeres Leben führen.“ Natürlich erst, nachdem er es vier Wochen lang mit Bella getrieben hatte.
„Ich wünsche mir eigene Kinder, Alex“, erklärte er ernst.
„Das kann ich verstehen.“
„Wer ist denn die Glückliche?“, wollte Jeremy wissen.
„Das möchte ich auch gern wissen“, sagte Alex.
„Keine Ahnung.“ Sergio lachte. „Ich kenne sie ja noch nicht einmal. Sie sollte allerdings Italienerin sein, am liebsten aus Mailand und Umgebung. Von dort aus werde ich nämlich ab sofort arbeiten.“
Fassungslos musterte Alex ihn.
Jeremy nickte zustimmend. „Guter Plan, Sergio. Italienerinnen sind leidenschaftlich und gebärfreudig. Darauf kommt es dir doch an, oder?“
„Genau. Ich wünsche mir viele Kinder. Meine Zukünftige muss also jung sein. Natürlich auch sehr hübsch, und sie sollte aus reichem Haus sein. Ich werde die Gräfin bitten, eine Party für mich zu geben, zu der alle möglichen Kandidatinnen eingeladen werden. Die Gräfin kennt Gott und die Welt im Mailänder Raum.“
Die Gräfin war seine Nachbarin am Comer See. Sie war etwa Mitte fünfzig, verwitwet und eine gute Freundin der Familie. Sergio nahm sich vor, gleich nach Bellas Abreise mit ihr zu sprechen.
„Und was ist mit Liebe?“ Alex hatte die Sprache wiedergefunden. „Du kannst doch keine Frau heiraten, in die du nicht wenigstens verknallt bist.“
„So ein Unsinn, Alex!“ Jeremy schüttelte den Kopf. „Zufällig weiß ich aus Erfahrung, dass man auf gar keinen Fall heiraten sollte, wenn man verknallt ist. Meine Eltern und Brüder sind die besten Beispiele dafür. Die Scheidungen in meiner Familie kann man nicht mehr an einer Hand abzählen. Ich glaube, Sergio ist auf dem richtigen Weg. Such dir ein liebes süßes Ding, das dich anhimmelt und deine Kinder zur Welt bringt. Du wirst der glücklichste Mann der Welt sein“, prophezeite er lächelnd. „Ich habe schon lange vermutet, dass du mal heiraten wirst“, fügte er hinzu.
„Aha. Darf ich fragen, wieso?“
Jeremy lachte vergnügt. „Weil du mir ständig Strafpredigten gehalten hast, ich sollte die Frauen nicht wie die Hemden wechseln.“
Alex grinste abfällig. „Die Predigten haben aber nichts genützt.“
„Stimmt. Es macht einfach zu viel Spaß, sich immer wieder mit einer anderen Frau zu amüsieren“, gab Jeremy zu. „Eure Behauptung, ich würde überall gebrochene Herzen zurücklassen, trifft nicht zu. Im Gegenteil, die Mädchen mögen mich, weil ich sehr verständnisvoll bin, wenn ich mit ihnen Schluss mache.“
Alex lachte schroff. „Was sollen wir nur mit diesem selbstgefälligen Fatzke machen, Sergio? Vielleicht sollten wir ihm die Goldmedaille für den ‚Liebhaber des Jahres‘ verleihen. Was meinst du?“
„Verdient hätte er sie“, antwortete Sergio belustigt. Dann wurde er ernst. „Verrat uns doch mal dein Geheimnis, Jeremy! Was machst du, wenn du wahnsinnig heiß auf eine Frau bist, die nichts von dir wissen will? Wie kriegst du sie ins Bett? Rein theoretisch. Wahrscheinlich bist du noch nie auf Widerstand gestoßen.“ Neugierig musterte er seinen Freund.
„Soweit ich mich erinnern kann … nein.“
„Aber was würdest du tun, wenn du doch mal auf eine widerspenstige Frau stößt, die du unbedingt haben willst?“
Nachdenklich trank Jeremy einen Schluck Kaffee.
„Er braucht dem Mädchen doch nur seinen Kontostand zu zeigen und … Bingo“, schlug Alex sarkastisch vor.
Jeremy schnitt eine Grimasse und setzte die Kaffeetasse ab. „Du bist so ein Zyniker, Alex. Ich habe es noch nie nötig gehabt, ein Mädchen mit Geld rumzukriegen.“
„Schon klar, du kommst ja aus reichem Haus.“
„Jetzt ist aber Schluss mit den Anfeindungen!“ Sergio sprach ein Machtwort. „Mich interessiert wirklich, wie Jeremy das macht. Welche Taktik wendet er an, um die Frau umzustimmen? Lass ihn doch mal erzählen, Alex. Dann kannst du deine Tricks auch verraten.“
„Zuerst würde ich versuchen, sie mit meinem Charme einzuwickeln“, erklärte Jeremy. „Ich würde ihr sagen, wie fantastisch ich sie finde. Ihre Schönheit erwähne ich mit keinem Wort. Schöne Frauen reagieren zynisch, wenn man ihnen Komplimente über ihr Aussehen macht“, erklärte er. „Wenn das erfolglos bleibt, würde ich viel Zeit mit ihr verbringen, sie aber komplett links liegen lassen. Oder du machst sie eifersüchtig, indem du dich mit einer anderen Frau verabredest. Früher oder später wird sie dann versuchen, dein Interesse zu wecken.“
„Seltsame Taktiken“, fand Alex.
„Wie würdest du denn vorgehen, du begnadeter Liebhaber?“, fragte Jeremy pikiert.
„Ich würde alles über sie herausfinden, über ihren familiären Hintergrund, ihre Freunde, ihre Vorlieben. Dann würde ich sie zu ihrem Lieblingsort bringen. Wenn sie Musik liebt, würde ich die teuersten Konzertkarten besorgen. Oder ich würde sie zur Premiere eines Films mit ihrem Lieblingsschauspieler begleiten. Sollte das nicht reichen, würde ich ihr sagen, wie sehr ich sie bewundere und begehre, und damit drohen, ins Kloster zu gehen, wenn sie nicht mit mir ausgeht.“
Sergio lachte amüsiert, während Jeremy Alex ungläubig musterte.
„Du drohst damit, ins Kloster zu gehen? Und das funktioniert?“ Neugierig wartete Jeremy auf Alex’ Antwort.
„Keine Ahnung.“ Alex lachte. „Bisher musste ich es noch nicht drauf ankommen lassen. Tut mir leid, Sergio, aber die Frauen fliegen nun mal auf mich.“
Das war Sergio klar. Alle drei sahen blendend aus. Aber Alex war der Attraktivste von ihnen: blond, blaue Augen, perfekt getrimmter Körper – ein richtiger Sonnyboy.
„Du kannst jede Frau haben, Sergio“, versicherte Alex ihm im Brustton der Überzeugung. „Aber das Heiraten würde ich nicht überstürzen. Warte, bis du deine große Liebe gefunden hast!“
„Du bist ja ein richtiger Romantiker“, sagte Sergio erstaunt. Er hatte es plötzlich eilig, weil er Bella anrufen wollte.
„Offenbar seid ihr beide auf Brautschau. Dann bin ich wohl bald das einzige Mitglied unseres Junggesellenclubs.“ Jeremy verzog das Gesicht.
„Keine Panik, Kumpel!“ Aufmunternd lächelte Alex ihm zu. „Ich denke noch lange nicht ans Heiraten. Wahrscheinlich bleibe ich ein eingefleischter Junggeselle. Ich habe gar keine Zeit für eine feste Bindung. Das nächste Projekt wartet schon. Erinnert ihr euch? Das Golfhotel muss endlich fertig werden.“
„Von einem Golfhotel höre ich zum ersten Mal“, sagte Sergio verwundert.
„Meinst du das Hotel, das du aus einer Konkursmasse erworben hast?“ Fragend sah Jeremy ihn an.
„Genau. Das war ein richtiges Schnäppchen. Jetzt muss ich vor Ort sein, sonst wird es nie fertig. Das Bauprojekt in Sydney muss auch vorangebracht werden. Bei den niedrigen Zinsen boomt der Immobilienmarkt dort. Hätte ich nicht im vergangenen Jahr die perfekte persönliche Assistentin gefunden – sie macht alles für mich, außer mir die Schuhe zu schnüren –, ich hätte nicht mal Zeit für Sex.“
Jeremy horchte auf. „Ist die Kleine attraktiv?“
„Ja, sehr sogar. Ich umgebe mich gern mit attraktiven Menschen. Aber ich bin nicht blöd, alter Freund. Harry ist verlobt und sehr verliebt. Wie du weißt, trenne ich Arbeit und Vergnügen strikt voneinander.“
„Sehr vernünftig.“ Sergio nickte zustimmend. „Harry ist die Kurzform von Harriet, oder?“
Alex nickte.
„Und du, Jeremy?“, fragte Sergio. „Was macht dein Liebesleben?“
„Alles wie gehabt.“ Jeremy grinste zufrieden.
„Übrigens braucht man heutzutage nicht gleich zu heiraten, wenn ein Baby unterwegs ist“, gab Alex zu bedenken. „Nur mal so als Tipp, Sergio.“
Sergio lachte. „Schon klar, Kumpel.“
„Wenn ich höre, was du alles vorhast, Alex, wird mir ganz anders. Ich schätze, die nächste Milliarde auf deinem Konto wird nicht lange auf sich warten lassen“, vermutete Jeremy.
„Schon möglich. Ich brauche jeden Penny, ihr wisst ja, wie viele hungrige Mäuler ich zu stopfen habe.“
„Allerdings. Du und deine Stiftungen, Alex.“ Jeremy verzog das Gesicht. „Du wirst mich sicher bald wieder um eine Spende anhauen.“
„Sicher. Und dich auch, Sergio. Ich maile euch die Kontoverbindung und die Beträge, die ich von euch erwarte. So, und jetzt muss ich mich verabschieden. Ich bin völlig erledigt. Das war ein langer Tag, und morgen muss ich nach Sydney fliegen. Ich bitte den Kellner jetzt um die Rechnung, okay? Du übernimmst das bestimmt, Sergio. Schließlich hast du heute den Löwenanteil kassiert.“
„Aber gern.“ Sergio zückte sofort die Brieftasche.
„Wieso willst du mir nicht sagen, wohin du fliegst?“, fragte Dolores aufgebracht. „Ich verstehe überhaupt nicht, warum du schon wieder fortwillst. Du wolltest doch deinen Urlaub hier verbringen.“
Bella, die gerade die letzten Sachen im Koffer verstaute, sah auf. „Wie soll ich denn Urlaub machen, wenn du mich ununterbrochen bestürmst, Charlie die Zusage für den Spielfilm zu geben? Ich habe dir schon tausend Mal gesagt, dass ich keine Filme drehen will.“
„Wozu hast du dir dann extra einen Hollywood-Agenten zugelegt?“, wollte ihre Mutter wissen.
„Das war nicht meine Idee, Josh hat darauf bestanden. Ich habe nur zugestimmt, weil ein berühmter Filmproduzent mit dem Gedanken gespielt hat, An Angel in New York zu verfilmen. Die Hauptrolle hätte ich natürlich gern übernommen. Aber das Projekt kam ja nicht zustande. Charlie habe ich dann trotzdem als Agenten behalten, weil ich gehofft hatte, jemand anders würde die Verfilmung realisieren. Darauf warte ich noch. Für einen drittklassigen Musicalfilm, der meinen Namen braucht, um die Leute ins Kino zu locken, stehe ich aber nicht zur Verfügung.“
„Woher willst du wissen, dass er drittklassig ist?“, fragte Dolores.
„Ich habe das Drehbuch gelesen. Die Songs sind unterirdisch.“
„Dann müssen sie eben überarbeitet werden. Charlie hat mir versichert, dass ein berühmter Regisseur zugesagt hat, das Projekt zu übernehmen.“
Bella stöhnte laut. „Du bedrängst mich schon wieder, Mutter. Mir reicht’s. Ich brauche einfach mal meine Ruhe. Hier finde ich die leider nicht. Also mache ich mich jetzt auf den Weg. Sollte es wirklich etwas Dringendes geben, kannst du ja auf meine Mailbox sprechen.“ Bella nahm sich vor, das Handy auszustellen, sowie sie die Villa am Comer See erreicht hatte. Das würde allerdings noch eine ganze Weile dauern. Sie hatte einen Flug von Sydney nach Singapur gebucht. Dort musste sie den Anschlussflug nach Rom erreichen. Hoffentlich konnte sie während der langen Reise ein wenig schlafen. Und hoffentlich machte Sergio keinen Rückzieher. Sie freute sich schon sehr auf den Urlaub am Comer See.
„Da du nur Sommersachen packst, fliegst du offensichtlich irgendwohin, wo es warm ist“, spekulierte Dolores.
Bella beachtete sie gar nicht, sondern klappte energisch den Koffer zu und ließ die Schlösser einschnappen.
Dolores gab nicht auf. „Dann fliegst du hoffentlich nach Europa und triffst dich mit Andrej. Mir ist immer noch schleierhaft, warum du dich von ihm getrennt hast.“
Frustriert wirbelte Bella herum. „Weil er mich ständig mit anderen Frauen betrogen hat, wenn du es genau wissen willst.“
„Aber das ist doch normal für einen Multimilliardär wie Andrej. Im Internet habe ich gelesen, dass er gerade eins seiner Nobelhotels in Istanbul eröffnet hat. Überleg doch mal, was für ein Leben du als Ehefrau an seiner Seite führen könntest, Bella. Die anderen Mädchen interessieren ihn doch gar nicht. Er hatte immer nur Augen für dich. Ich bin sicher, dass er drauf und dran war, dich zu heiraten.“
Bella lachte ironisch. „Ganz sicher nicht, Mum. Er macht sich nichts aus der Ehe.“
„Er hätte dich geheiratet, wenn du schwanger geworden wärst“, beharrte Dolores. „Ein uneheliches Kind wäre für einen so stolzen Mann nämlich völlig undenkbar.“
Ich sollte ihr die Augen über ihn öffnen, dachte Bella. Andrej war sicherlich stolz, aber auch egoistisch und gewissenlos. Nachdem er sie auf der Musicalbühne am Broadway bewundert und sich auf den ersten Blick verliebt hatte, überhäufte er sie mit Aufmerksamkeiten und spielte den Romantiker, bis sie endlich in seinem Bett landete. Danach kühlte sich sein Interesse schnell ab, denn der Sex war nicht berauschend. Bella war nämlich eher schüchtern, was das betraf. Ihre Liebhaber – so viele waren es gar nicht gewesen – reagierten stets enttäuscht. Beim ersten Mal war Bella bereits einundzwanzig Jahre alt gewesen.
Sie machte sich nicht viel aus Sex. Als sie Andrej Paparazzifotos vor die Nase hielt, auf denen er mit anderen Frauen an Deck seiner Luxusjacht herummachte, hatte er versucht, sich mit Bellas mangelnder Leidenschaft herauszureden. Weil sie ihm seine erotischen Sonderwünsche nicht erfüllen wollte, musste er sich bei willigeren Frauen holen, was er bei ihr nicht bekam. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass er sich in der Öffentlichkeit nur zu gern mit ihr zeigte. Er bot ihr sogar an, ihr eine Wohnung in Paris zu kaufen, wenn sie bereit wäre, über seine Frauengeschichten hinwegzusehen, und weiterhin mit ihm ausginge. Andrej war schockiert gewesen, als sie ihm unmissverständlich erklärte, das käme für sie nicht infrage, und die Beziehung beendete. Offensichtlich war sie die erste Frau gewesen, die mit ihm Schluss gemacht hatte.
Dolores hätte sich natürlich wenigstens die Wohnung in Paris schenken lassen. Gut, dass ihre Mutter nichts von Andrejs Angebot wusste. Sie würde toben, wenn sie es je erfahren würde. Dolores war von Geldgier zerfressen. Leider hatte Bella das erst sehr spät gemerkt. Früher hatte sie ihre Mutter bewundert, weil sie sich als Alleinerziehende durchgeboxt hatte. Bella stammte aus einer kurzen Beziehung mit einem verheirateten Schweden, den Dolores beim Skilaufen kennengelernt hatte. Inzwischen bezweifelte Bella diese Geschichte, denn Dolores nahm es mit der Wahrheit nicht allzu genau.
Eins musste sie ihrer Mutter allerdings zugutehalten: Dolores hatte alles getan, um ihrer Tochter die Karriere als Musicalstar zu ermöglichen. Den Tanz- und Gesangsunterricht hatte sie von ihrem kargen Gehalt als Empfangsdame finanziert. Toplehrer konnte sie sich für ihre talentierte kleine Isabel leider nicht leisten.
Doch dann ging der Firmenchef in Rente. Sein Nachfolger war ein italienischer Witwer, den sein Vater nach Sydney geschickt hatte, um die australische Niederlassung des Familienunternehmens zu leiten. Dolores konnte ihr Glück kaum fassen und packte die Gelegenheit beim Schopf. Nun würden sich alle ihre Probleme in Wohlgefallen auflösen.
Damals war Dolores eine Schönheit gewesen. Alberto hatte keine Chance. Er war der jungen Mutter sofort verfallen, heiratete sie vom Fleck weg und sorgte fortan für sie und ihre kleine Tochter – genau wie Dolores es geplant hatte.
Bella wurde nun von den besten Tanz- und Gesangslehrern unterrichtet, die Sydney zu bieten hatte. Außerdem durfte sie eine Schauspielschule besuchen. Dort wurde der Grundstein für ihre unglaubliche Karriere gelegt.
Dafür würde Bella ihrer Mutter stets dankbar sein, auch wenn sie ihre Methoden verabscheute.
„Tut mir leid, Mum, aber ich werde mich ganz bestimmt nicht mit Andrej in Europa treffen. Ich will einfach nur meine Ruhe haben. Würdest du jetzt bitte mein Zimmer verlassen?“
„Wenn du darauf bestehst.“ Beleidigt verzog Dolores das Gesicht. „Das wird dir noch leidtun, Bella. Erwarte bitte keine Hilfe von mir, wenn du mal wieder eine Zuflucht brauchst.“ Wütend stürmte sie hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.
Gerade noch rechtzeitig, denn zehn Sekunden später klingelte Bellas Handy. Sergio! Aufgeregt nahm sie den Anruf an. Sie freute sich sehr auf das Wiedersehen. In Sergios Gesellschaft konnte sie sich entspannen.
„Ich habe schon auf deinen Anruf gewartet, Sergio“, sagte sie fröhlich. „Mein Flug geht heute Nachmittag.“
„Prima.“
„Ja, allerdings muss ich in Singapur und Rom umsteigen. Es wird eine halbe Ewigkeit dauern, bevor ich in Mailand lande.“ Als Sergio nicht reagierte, fragte sie besorgt: „Es ist doch okay, dass ich komme, oder?“
„Ja, klar. Ich freue mich sehr, dich zu sehen.“
Erleichtert lächelte Bella vor sich hin. Dann war ja alles gut. Es hätte sie gestört, wenn Sergio sie nur aus Mitleid eingeladen hätte. „Ich freue mich auch. Wir haben uns bestimmt viel zu erzählen. Ich will genau wissen, was du in den vergangenen zehn Jahren so getrieben hast. Du bist sicher sehr erfolgreich.“
„Ja, ich bin ganz zufrieden“, antwortete er mit einer Bescheidenheit, die für Männer eher untypisch war. „Du kannst ja auch sehr zufrieden sein, Bella. Ich habe deinen rasanten Aufstieg zum Musicalstar natürlich in den Medien verfolgt. Aber genug davon. Wir unterhalten uns ausführlich, wenn du am Comer See bist. Am besten schickst du mir eine SMS, wenn du weißt, wann du in Mailand landest. Dann sorge ich dafür, dass du abgeholt wirst. Unter welchem Namen reist du?“
„Isabel Cameron“, antwortete sie. „Weißt du noch, dass du mich früher Izzie genannt hast?“ Bella lachte. „Meine Mutter hat es dir verboten. Sie fand den Namen schrecklich.“
„Ja, ich weiß. Papa hat mich dann gebeten, Bella zu dir zu sagen.“
„Stimmt. Mir hat auch Izzie gefallen. Aber als Alberto mir erklärt hat, dass Bella ‚die Schöne‘ heißt, fand ich die Kurzform hübscher.“ Bella lachte vergnügt.
„Und ‚Kriege‘.“
„Wie bitte?“
„Bella ist auch die Pluralform von ‚bellum‘, und das ist die lateinische Bezeichnung für ‚Krieg‘.“
„Das wusste ich nicht. Aber mach dir keine Gedanken, Sergio, mich würde sowieso niemand als Bella erkennen. Ich verkleide mich. Ach ja, der Fahrer soll ein Schild mit dem Namen Dolores Cameron hochhalten.“
„Wird gemacht“, versprach Sergio knapp.
„Okay, dann schicke ich dir eine SMS, wenn ich in Rom gelandet bin.“
„Super. Ach, Bella?“
„Ja?“
„Sag niemandem, wohin du fliegst und wo du wohnst.“
„Ganz bestimmt nicht. Ciao, Sergio.“ Voller Vorfreude beendete sie das Gespräch.
Sergio legte das Handy auf den Nachttisch, streckte sich auf dem Bett aus und atmete tief durch. Sein Gewissen hatte sich gemeldet. Durfte er seinen Plan, Bella zu verführen, wirklich in die Tat umsetzen? Gentlemanlike war das nicht. Aber es war bereits zu spät, einen Rückzieher zu machen. Er musste jetzt da durch, auch wenn er am Ende möglicherweise vor einem Scherbenhaufen stehen würde. Ihm war durchaus bewusst, dass es weitreichende Konsequenzen haben könnte, mit seiner Stiefschwester zu schlafen. Dabei dachte er nicht an eine Schwangerschaft. Wie man die verhinderte, wusste er sehr genau. Eher hatte er Angst, ein Gefühlschaos anzurichten. Auf gar keinen Fall durfte er sich in Bella verlieben. Es war schlimm genug, sie so sehr zu begehren, dass es kaum auszuhalten war.
Die Gefahr, sich heftig zu verlieben, bestand natürlich, wenn er so viel Zeit mit Bella verbrachte.
Okay, dachte er, dann gehe ich ihr eben nach einigen Tagen aus dem Weg – sowie ich mit ihr geschlafen habe. Auf dem Schreibtisch in Mailand türmte sich sowieso viel Arbeit.
Guter Plan, doch zuvor musste er die kleine Hürde überwinden, Bella zu verführen. Das könnte schwierig werden, denn offensichtlich betrachtete sie ihn immer noch als ihren großen Stiefbruder, den zurückhaltenden introvertierten Jungen von damals. Dieses Bild musste er schleunigst zerstören.
Bei der Aftershowparty vor einigen Jahren war sie sehr beeindruckt von seinem Äußeren gewesen. Kein Wunder, dachte Sergio. Frauen stehen auf Männer im Smoking. Bella sollte aber auch hin und weg sein, wenn er nicht im Smoking steckte. Sergio war stolz auf seine makellose Figur und den bronzefarbenen Teint. Auch sonst hatte die Natur es besonders gut mit ihm gemeint. Das schien genetisch bedingt zu sein. Auch sein Vater war sehr beeindruckend ausgestattet gewesen. Frauen standen auf Männer, die etwas vorzuweisen hatten, auch wenn sie es nicht offen zugaben.
Sergio stöhnte leise, als er sich vorstellte, Sex mit Bella zu haben. Sofort regte sich sein beeindruckendstes Körperteil. Verflixt, dachte Sergio, wie soll ich denn so einschlafen?
Er musste am Freitag früh raus, denn in der Zentrale des Franchiseunternehmens, das sie gerade verkauft hatten, sollte am Montag die Übergabe an die neuen Eigentümer stattfinden. Zuvor musste er das Personal noch von dem Verkauf unterrichten und sich bei den Mitarbeitern für die gute Arbeit bedanken, indem er ihnen den Rest des Tages freigab und ihnen eine Übergabefeier im nahegelegenen Pub sponserte. Leider konnte er selbst nicht dabei sein. Schade, aber was sollte er machen? Er musste sich so schnell wie möglich zum Comer See aufmachen und alles für Bellas Ankunft vorbereiten. Sein letzter Besuch in der Villa war zu Ostern gewesen. Maria hatte natürlich gelegentlich nach dem Rechten gesehen und geputzt. So schlimm konnte es also nicht aussehen. Aber er musste ihr auch mitteilen, dass er einen Gast erwartete. Wer die Besucherin war, wollte er Maria erst später anvertrauen. Wenn sie es jetzt schon erfuhr, bestand die Gefahr, dass sie es ausplauderte, weil sie sich so freute, Bella wiederzusehen. Maria hatte Bella damals fest ins Herz geschlossen, sehr zu Sergios Missfallen. Er war neidisch, wie sehr die Haushälterin Dolores’ bildhübsche Tochter verwöhnte. Natürlich war Maria begeistert über Bellas Ruhm und wäre entzückt über das unverhoffte Wiedersehen.
Das hatte Sergio bei seinen Verführungsplänen nicht bedacht. Wie sollte er mit Bella schlafen, ohne dass Maria es bemerkte? Das wäre ein Ding der Unmöglichkeit!
Verflixt! Lief denn nie etwas glatt, wenn es um Bella ging?
Die Probleme hatten angefangen, als er zur Feier ihres sechzehnten Geburtstags überraschend nach Sydney gekommen war und sich Hals über Kopf in den bildhübschen Teenager im weißen Abendkleid verliebt hatte. Seit er in Rom studierte, ließ er sich eher selten zu Hause in Sydney blicken, weil die verhasste Dolores dort das Regiment führte. Doch da er im Juni Semesterferien hatte, kam er dem ausdrücklichen Wunsch seines Vaters nach, zur Geburtstagsfeier nach Hause zu kommen. Anschließend wollten sie alle am Comer See Urlaub machen.
Zuletzt hatten sie zusammen Weihnachten gefeiert. Damals war Bella noch ein dürrer Teenager mit Pferdeschwanz und Zahnspange gewesen. Die Verwandlung vom hässlichen Entlein zum wunderschönen Schwan nahm Sergio den Atem. Dieser sexy Engel sollte seine kleine Stiefschwester Bella sein?
Er war sicher, dass sie noch Jungfrau war. Umso mehr überraschte es ihn, als sie strahlend auf ihn zulief und einen Geburtstagskuss verlangte.
„Du musst mich küssen, Sergio! Wenn ein Mädchen sechzehn wird, muss es geküsst werden. Du bist der einzige Mann hier – außer Papa, und der zählt nicht.“
Sergio wusste kaum, wie ihm geschah, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn auf den Mund küsste. Impulsiv wollte er Bella fest an sich ziehen und leidenschaftlich küssen. Mit seinen einundzwanzig Jahren hatte er schon einige Erfahrungen mit Frauen gesammelt. Doch er widerstand dem ersten Impuls und beließ es bei einem keuschen Kuss. Sehr zu Bellas Enttäuschung, wie ihr Schmollmund ihm verraten hatte.
Unschuldig ist sie jetzt jedenfalls nicht mehr, dachte Sergio, stand auf und ging ins Badezimmer, um mal wieder eiskalt zu duschen. Damit ist jetzt bald Schluss, schwor er sich. Er würde sich von Bella holen, wonach er sich seit Jahren sehnte.
Je näher sie ihrem Ziel am Comer See kam, desto aufgeregter wurde Bella. Gleich bin ich da, dachte sie, als sie zwischen den hohen Bäumen hindurch einen ersten Blick auf die Villa erhaschte. Die Müdigkeit, die sie bei der Ankunft in Mailand nach den langen Flügen noch gelähmt hatte, war verflogen.
Aufgekratzt schaute Bella aus dem Fenster. Was erwartete sie hier? Kam sie hier endlich zur Ruhe? Sie hatte sich vorgenommen, über ihr Leben nachzudenken. Wie sollte es aussehen? Würde ihr Traum von einem liebenden Ehemann und zwei entzückenden Kindern eines Tages wahr werden? Der Traum von einer Karriere als Musicalstar hatte sich ja bereits erfüllt. Beruflich war Bella ganz oben. Aber privat? Letzte Woche war sie schockierende dreißig Jahre alt geworden, und weit und breit waren weder ein Ehemann noch Kinder in Sicht!
Bisher hatte sie nur Männer kennengelernt, die sie sich nicht als hingebungsvolle Ehemänner und Väter vorstellen konnte. Die Typen sahen in ihr eine Trophäe, keine Ehefrau.
Okay, Kinder konnte sie auch bekommen, ohne zu heiraten. Doch sie sehnte sich nach einer intakten Familie, und zu der gehörten nun mal Mutter, Vater und Kinder.
„Wir sind gleich da, Signorina Cameron“, kündigte der Fahrer an und riss sie aus ihren Gedanken. Luigi war etwa fünfzig Jahre alt und sprach sehr gut Englisch.
„Ja, danke, ich weiß. Ich war vor einigen Jahren schon mal hier und erkenne die Gegend wieder.“
„Hier in Italien ändert sich nicht viel.“ Luigi lachte.
„Das ist ja gerade das Schöne an Italien“, lobte Bella, als der Wagen die Auffahrt zum imposanten Portal nahm und kurz vor einem Holztor hielt, das aufschwang, als Luigi die Fernbedienung betätigte.
„Signor Morelli ist ja leider im vergangenen Jahr gestorben.“
„Ich weiß. Ich war bei seiner Trauerfeier.“
„Wirklich? Sind Sie denn verwandt mit den Morellis?“, fragte Luigi erstaunt.
„Nein, aber ich bin mit der Familie befreundet.“
„Ach so. Ich war ein Jahr lang Signor Morellis Fahrer. Bis zu seinem Tod. Er war ein Ehrenmann. Wir vermissen ihn sehr.“
„Ja, das kann ich mir vorstellen.“ Bella nickte traurig.
„Sein Sohn ist auch ein guter Mensch“, sagte Luigi.
„Oh ja.“ Bella war froh, als Luigi aufhörte, über Albertos Tod zu reden. Der Fahrer musste sich konzentrieren, damit der Mercedes unbeschadet das Tor passieren konnte und die Fahrt auf dem Kiesweg fortsetzte, der um einen großen Brunnen herumführte.
Als Kind hatten die drei nackten Steinfiguren auf dem Brunnen sie schockiert. Die Darstellung des nackten Mannes, der von zwei Frauen umrahmt war, fand sie noch immer etwas drastisch. Der Typ war unglaublich gut bestückt, was die beiden Damen sichtlich beeindruckte.
Sergios Großvater, den Bella noch kennengelernt hatte, hatte behauptet, sein Vorfahre, der die Villa im sechzehnten Jahrhundert hatte erbauen lassen, hätte dem Bildhauer Modell gestanden.
„Das ist nur ein Mythos“, behauptete Sergio, als sie ihm später davon berichtet hatte. „Damals war hier ein Kloster. Die Morellis haben das Anwesen erst im neunzehnten Jahrhundert erworben. Der Brunnen wurde nach dem ersten Weltkrieg gebaut. Weißt du, Izzie, du darfst nicht alles glauben, was man dir erzählt. Italienische Männer sind Angeber und neigen zur Übertreibung.“
Ein Lächeln huschte über Bellas Gesicht, als sie sich an Sergios Worte von damals erinnerte. Gut, dass Sergio kein Angeber war. Sonst hätte er längst hinausposaunt, dass der Liebling aller Musicalbühnen in seinem Haus zu Gast war. Sergio hatte Bella sogar zu absolutem Stillschweigen verdonnert. Nicht einmal ihrer Mutter durfte sie erzählen, wohin die Reise führte. Das passte Bella sehr gut, denn sie wollte ja hier ihre Ruhe haben. Ob Maria Bescheid wusste?
Der Fahrer parkte den Mercedes vor dem Hintereingang. Sekunden später riss Maria die schwere schmiedeeiserne Tür auf und lief auf den Wagen zu. Strahlend lächelnd begrüßte sie den Gast und zog Bella herzlich in die Arme.
Bella freute sich sehr, sie zu sehen. Maria hatte sich kaum verändert. Vielleicht war sie etwas rundlicher geworden, doch sie hatte noch immer schimmerndes schwarzes Haar und dieses herzliche Lächeln.
Fröhlich rief Maria: „Was für eine Freude, dich hier zu sehen, Dolores.“
Verblüfft lehnte Bella sich zurück. Dann war ihr alles klar. Verschwörerisch zwinkerte sie Maria zu. Luigi sollte nicht wissen, wen er zur Villa gefahren hatte! Maria hatte sie natürlich trotz rothaariger Perücke und dunkler Sonnenbrille sofort erkannt.
Geduldig wartete Bella ab, bis Luigi ihr Gepäck ausgeladen hatte und damit im Haus verschwand. Als er wieder nach draußen kam, bedankte sie sich herzlich bei ihm und gab ihm ein großzügiges Trinkgeld.
Erfreut überreichte Luigi seine Visitenkarte, falls Bella mal wieder einen Chauffeur benötigte.
Bella steckte sie ein und winkte dem Mercedes nach. Erst als der nicht mehr zu sehen war, zog sie sich die Perücke vom Kopf und schüttelte ihr langes blondes Haar aus. „Darf ich jetzt wieder Bella sein?“
Maria lachte vergnügt. „Sì. Aber darf ich überhaupt noch Bella sagen? Du bist ja jetzt reich und berühmt.“
Bella warf ihr einen gespielt beleidigten Blick zu. „Wenn du jetzt so anfängst, muss ich wohl mal ein ernstes Wort mit deinem Boss reden. Apropos, wo steckt Sergio eigentlich?“
„Er hilft Carlo beim Reinigen des Pools. Wir dachten, Sergio kommt erst Ende Juli. Deshalb ist der Garten noch etwas – wie sagt man? – vernachgelässigt. Geh doch gleich mal zum Pool, um Sergio zu begrüßen.“
Bella lachte. Sie liebte Marias Englisch. Die kleinen Fehler und der italienische Akzent waren so charmant wie Maria selbst. „Ach, ich freue mich so, wieder hier zu sein!“
„Was meinst du, wie aufgeregt Sergio über deinen Besuch ist“, antwortete Maria fröhlich.
Aufgeregt? Da hatte Maria wohl die Vokabeln durcheinandergebracht. Sergio hatte noch nie aufgeregt gewirkt. Nicht einmal damals an ihrem sechzehnten Geburtstag, als sie ihn aufgefordert hatte, sie zu küssen. Ein flüchtiger Kuss, das war’s. Bella war sehr enttäuscht gewesen. Italiener sollten doch angeblich so leidenschaftlich sein.
„Ich mache mich erst etwas frisch“, sagte Bella, hakte sich bei Maria ein und ging mit ihr ins angenehm kühle Haus. Sie hatte ganz vergessen, wie heiß die italienischen Sommer waren. „Welches Zimmer habt ihr mir zugedacht?“
„Sergio meinte, das Zimmer links oder rechts von seinem Schlafzimmer. Du kannst es dir aussuchen.“
Als Kinder hatten sie im Dachgeschoss geschlafen. Die erste Etage war den Erwachsenen vorbehalten gewesen. Zu jedem der Zimmer gehörte ein separates Badezimmer und ein Zugang zum Balkon mit Blick auf den Comer See.
Sergios Zimmer wurde von einem riesigen Himmelbett dominiert. Das angrenzende Badezimmer war herrlich dekadent mit schwarzem Marmor und einer in den Boden eingelassenen Badewanne.
„Wenn ich mir ein Zimmer aussuchen darf, dann hätte ich gern das mit der goldfarbenen Tagesdecke, Maria.“
„Gern. Es ist das ehemalige Zimmer von Alberto und Dolores.“
„Stimmt. Okay, dann werde ich mal meine Sachen auspacken.“
„Gut, dann bis später.“ Maria lächelte ihr zu und verschwand wieder nach unten.
Langsam ließ Bella den Blick durch das in Gold- und Altweißtönen gehaltene Zimmer gleiten. Viel hatte sich hier nicht verändert. Sie entledigte sich der viel zu warmen Jeans, zog ein kühles Seidenwickelkleid aus dem Koffer und verschwand im Badezimmer, das mit hellem, von Goldadern durchzogenem Marmor gekachelt und gefliest war. Goldfarbene Armaturen und flauschige cremefarbene Badelaken rundeten das elegante Ambiente ab.
Sie steckte das Haar hoch und duschte, zog sich wieder an und beschloss, auf Make-up zu verzichten.