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Die Abhandlung über »Richtiges Denken« ist ein philosophisches und autobiographisches Werk des französischen Philosophen René Descartes. Die Schrift beinhaltet Descartes' Auseinandersetzung mit dem Skeptizismus und der Lehre des Aristoteles. Ausgehend von einem allgemeinen Zweifel an überlieferten Wahrheiten, aber auch am eigenen Urteil ist es Descartes Ziel, unwiderlegbare wahre Sätze zu finden. Umrahmt von Schilderungen seiner intellektuellen Autobiographie beschreibt Descartes dabei detailliert eines der frühesten Programme zur wissenschaftlichen Naturforschung. Das Werk gilt daher als einer der Ursprünge der Wissenschaftsphilosophie.
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Seitenzahl: 80
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René Descartes
Abhandlung über die Methode, richtig zu denken und Wahrheit in den Wissenschaften zu suchen
Da diese Abhandlung zu lang ist, um mit einem Male durchlesen zu werden, so kann man sie in sechs Abschnitte teilen. In dem ersten wird man dann mancherlei Betrachtungen in Bezug auf die Wissenschaften finden; in der zweiten die Hauptregeln der von dem Verfasser gesuchten Methode; in dem dritten einige aus dieser Methode abgeleitete Regeln der Moral; in dem vierten die Gründe, aus denen er das Dasein Gottes und der menschlichen Seele beweist, welche die Grundlagen seiner Metaphysik bilden; indem fünften eine Reihe von Erörterungen über naturwissenschaftliche Fragen, insbesondere die Erklärung von dem Herzschlag und einigen anderen schwierigen Gegenständen der Medizin; ferner den Unterschied zwischen den unsrigen und den Thier-Seelen, und in dem letzten Einiges, was nach des Verfassers Ansicht nötig ist, um in der Erkenntnis der Natur weiter als bisher vorzuschreiten, sowie die Gründe, welche ihn zu schriftstellerischen Arbeiten bestimmt haben.
Der gesunde Verstand ist das, was in der Welt am besten verteilt ist; denn Jedermann meint damit so gut versehen zu sein, dass selbst Personen, die in allen anderen Dingen schwer zu befriedigen sind, doch an Verstand nicht mehr, als sie haben, sich zu wünschen pflegen. Da sich schwerlich alle Welt hierin täuscht, so erhellt, dass das Vermögen, richtig zu urteilen und die Wahrheit von der Unwahrheit zu unterscheiden, worin eigentlich das besteht, was man gesunden Verstand nennt, von Natur bei allen Menschen gleich ist, und dass mithidn die Verschiedenheit der Meinungen nicht davon kommt, dass der Eine mehr Verstand als der Andere hat, sondern dass wir mit unseren Gedanken verschiedene Wege verfolgen und nicht dieselben Dinge betrachten. Denn es kommt nicht bloß auf den gesunden Verstand, sondern wesentlich auch auf dessen gute Anwendung an. Die größten Geister sind der größten Laster so gut wie der größten Tugenden fähig, und auch die, welche nur langsam gehen, können doch weit vorwärts kommen, wenn sie den geraden Weg einhalten und nicht, wie Andere, zwar laufen, aber sich davon entfernen.
Ich selbst habe nie meinen Geist im Allgemeinen für vollkommener als den Anderer gehalten, aber oft habe ich mir die schnelle Auffassung oder die scharfe und bestimmte Vorstellungskraft oder das gleich umfassende und schnelle Gedächtnis Anderer gewünscht. Nach meiner Einsicht dienen nur diese Eigenschaften zur Vervollkommnung des Geistes; denn wenn auch die Vernunft oder der Verstand allein uns zu Menschen macht und von den Tieren unterscheidet, so möchte ich doch glauben, dass dieser in Jedem ein Ganzes ist, und hierin den Philosophen beitreten, welche das Mehr oder Weniger nur bei den Akzidenzen annehmen, aber nicht bei den Formen oder Naturen der Einzelnen einer Gattung.
Aber ich scheue mich nicht zu sagen, dass ich viel Glück gehabt und seit meiner Jugend mich auf Wegen befunden habe, welche mich zu Betrachtungen und Regeln geleitet, aus denen ich eine Methode gebildet habe, die mir geeignet scheint, allmählich meine Kenntnisse zu vermehren und sie nach und nach auf den höchsten Punkt zu erheben, welchen die Mittelmäßigkeit meines Geistes und die kurze Dauer meines Lebens zu erreichen gestatten. Denn ich habe schon solche Früchte von ihr geerntet, obgleich ich nach dem, wie ich mich kenne, mehr zu Zweifeln als zu anmasslichen Behauptungen neige. Betrachte ich die verschiedenen Handlungen und Unternehmungen der Menschen mit dem Auge des Philosophen, so scheinen sie mir alle eitel und unnütz. Ich empfinde deshalb eine hohe Befriedigung über die Fortschritte, die ich bereits in der Erforschung der Wahrheit gemacht zu haben glaube, und hoffe so viel von der Zukunft, dass unter allen Beschäftigungen der Menschen, als solche, die von mir erwählte mir allein als wahrhaft gut und wertvoll erscheint.
Trotzdem kann ich mich irren, und es ist vielleicht nur Kupfer und Glas, was ich für Gold und Diamanten nehme. Ich weiß, wie leicht man sich in eigenen Angelegenheiten täuscht, und wie verdächtig selbst die günstigen Urteile der Freunde uns sein müssen. Aber ich werde mit Vergnügen in dieser Abhandlung die von mir vorgeschlagenen Wege schildern und mein Leben wie in einem Gemälde aufrollen, damit Jeder selbst urteilen könne. Wenn mir von diesen Urteilen später etwas zu Ohren kommt, so soll es ein neues Mittel der Belehrung für mich werden, was ich zu den von mir geübten hinzufügen werde.
Meine Absicht ist also hier nicht, die Methode zu lehren, die Jeder zur richtigen Leitung seines Verstandes zu befolgen habe, sondern ich will nur zeigen, wie ich den meinigen zu leiten gestrebt habe. Wer Lehren geben will, muss sich für klüger halten als die, an welche er sich richtet, und bei dem geringsten Versehen trifft ihn der Tadel. Ich biete daher diese Schrift nur als eine Erzählung oder, wenn man lieber will, als eine Fabel dar, wo neben nachahmenswerten Beispielen sich vielleicht auch manche finden, denen man mit Recht nicht folgen mag. So hoffe ich, dass sie Manchem nützen und Niemandem schaden werde, und dass Alle mir für meine Offenheit Dank wissen werden.
Ich bin seit meiner Kindheit in den Wissenschaften unterrichtet worden, und da man mich versicherte, dass dadurch eine klare und sichere Kenntnis von allem zum Leben Nützlichen gewonnen werde, so entstand in mir das dringende Verlangen, sie zu erlernen. Sobald ich jedoch die Studien vollendet hatte, nach deren Abschluss man unter die Klasse der Gelehrten aufgenommen zu werden pflegt, änderte sich meine Ansicht gänzlich. Denn ich sah mich von so viel Zweifeln und Irrtümern bedrängt, dass ich von meinen Studien nur den einen Vorteil hatte, meine Unwissenheit mehr und mehr einzusehen. Und dennoch befand ich mich in einer der berühmtesten Schulen Europas, in welcher, wenn es irgendwo gelehrte Männer gab, dergleichen sein mussten. Ich hatte Alles gelernt, was die Andern daselbst lernten; ich hatte sogar mich nicht mit den Wissenschaften, die man uns lehrte, begnügt, sondern alle Bücher durchlesen, die von den seltensten und wissenswürdigsten Dingen handelten und mir in die Hände fielen. Daneben kannte ich die Urteile Anderer über mich, und ich wusste, dass man mich nicht unter meine Mitschüler stellte, ob gleich manche darunter die Stelle unserer Lehrer auszufüllen bestimmt waren. Auch hielt ich dieses Jahrhundert für so frisch und fruchtbar an guten Köpfen als irgendein vorhergegangenes. So nahm ich mir die Freiheit, die Andernnach mir zu beurteilen und an keine solche Lehre in der Welt zu glauben, wie man sie früher mich hatte hoffen lassen.
Ich verachtete jedoch deshalb die Arbeiten nicht, mit denen man in den Schulen sich beschäftigte. Ich erkannte, dass die hier gelehrten Sprachen zum Verständnis der alten Bücher nötig sind; dass die Zierlichkeit der Fabeln den Geist weckt; dass die merkwürdigen Taten in der Geschichte ihn erheben und, mit Einsicht gelesen, das Urteil bilden helfen. Das Lesen der guten Bücher gleicht einer Unterhaltung mit ihren Verfassern, als den besten Männern vergangener Zeiten, und zwar einer auserlesenen Unterhaltung, in welcher sie uns nur ihre besten Gedanken offenbaren. Ebenso hat die Beredsamkeit ihre Macht und unvergleichliche Schönheit; die Dichtkunst hat ihre Feinheiten und entzückenden Genüsse; die Mathematiker zeigen ihre scharfsinnigen Erfindungen, welche eben sowohl den Wissbegierigen befriedigen, wie den Künsten zu Statten kommen und die menschliche Arbeit erleichtern. Ebenso enthalten die moralischen Schriften viele nützliche Belehrungen und Ermahnungen zur Tugend; die Gottesgelehrtheit lehrt den Himmel gewinnen; die Philosophie gewährt die Mittel, über Alles zuverlässig zu sprechen und von den weniger Gelehrten sich bewundern zu lassen; die Rechtswissenschaft, die Medizin und die anderen Wissenschaften bringen ihren Jüngern Ehre und Reichtum; endlich ist es gut, wenn man sie alle geprüft hat, um ihren wahren Wert zu erkennen und sich vor Betrug zu schützen.
Indes meinte ich schon zu viel Zeit auf die Sprachen und selbst auf die alten Bücher, ihre Geschichten und Fabeln verwendet zu haben; denn die Unterhaltung mit Personen aus früheren Jahrhunderten ist wie das Reisen. Es ist gut, wenn man mit den Sitten verschiedener Völker bekannt wird, um über die unsrigen ein gesundes Urteil zu gewinnen und nicht zu glauben, dass Alles, was gegen unsere Gebräuche läuft, lächerlich oder unvernünftig sei, wie dies leicht von dem geschieht, der nichts gesellen hat. Verwendet man aber zu viel Zeit auf das Reisen, so wird man zuletzt in seinem eigenen Vaterlande fremd, und bekümmert man sich zu sehr um das, was in vergangenen Jahrhunderten geschehen, so bleibt man meistsehr unwissend in dem, was in dem gegenwärtigen vorgeht. Außerdem lassen die Fabeln Vieles für möglich halten, was es nicht ist, und selbst die zuverlässigsten Geschichtsschreiber verändern oder vergrößern die Bedeutung der Ereignisse, um sie lesenswerter zu machen, oder sie lassen wenigstens die geringen und weniger glänzenden Umstände bei Seite, so dass der Überrest nicht mehr so bleibt, wie er ist. So geraten die, welche ihr Verhalten nach diesen Beispielen einrichten, leicht in die Tollheiten unserer Ritterromane und fassen Pläne, die ihre Kräfte übersteigen.
Ich schätzte die Beredsamkeit hoch und liebte die Dichtkunst; aber ich hielt beide mehr für Geschenke der Natur als für Früchte des Fleißes. Wer den besten Verstand hat und seine Gedanken am richtigsten ordnet und am klarsten und verständlichsten ausdrückt, wird seine Aussprüche am besten verteidigen, wenn es auch in schlechtem Dialekt geschieht, und er nie die Beredsamkeit gelernt hat. Ebenso sind die, welche die ansprechendsten Einfälle haben und sie am zierlichsten und gefühlvollsten schildern können, die besten Dichter, auch wenn die Dichtkunst ihnen unbekannt geblieben ist.
Ich erfreute mich vorzüglich an der Mathematik wegen der Gewissheit und Sicherheit ihrer Beweise; allein ich erkannte ihren Nutzen noch nicht. Ich meinte, sie diene nur den mechanischen Künsten, und wunderte mich, dass man auf ihren festen und dauerhaften Grundlagen nichts Höheres aufgebaut hatte. Umgekehrt erschienen mir die moralischen Schriften der alten Heiden wie prächtige und großartige, aber auf Sand und Schmutz erbaute Paläste. Sie erheben die Tugend hoch und lassen sie als das Werthvollste von allen Dingen der Welt erscheinen, aber sie lehren sie nicht genug erkennen, und oft ist es nur eine Unempfindlichkeit oder ein Stolz oder eine Verzweiflung oder ein Vatermord, was sie mit dem schönen Namen der Tugend belegen.
Ich verehrte unsere Gottesgelehrtheit und mochte gleich jedem Anderen den Himmel verdienen; als ich indes erkannte, dass der Weg dahin den Unwissenden ebenso offen steht wie den Gelehrten, und dass die geoffenbarten Wahrheiten, welche dahin führen, unsere Einsicht übersteigen, so wagte ich es nicht, sie meiner schwachen Vernunftzu unterbreiten; denn das Unternehmen ihrer Prüfung verlangt zu seinem Gelingen eines außerordentlichen Beistandes des Himmels und einer mehr als menschlichen Kraft.