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Die "Meditationes de prima philosophia, in qua Dei existentia et animae immortalitas demonstratur" (lat. "Meditationen über die Erste Philosophie, in welcher die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele bewiesen wird") sind ein epochales Werk des französischen Philosophen René Descartes über Metaphysik und Erkenntnistheorie aus dem Jahre 1641. Im Jahre 1647 wurden die zunächst lateinisch gedruckten Meditationen unter dem Titel "Méditations sur la philosophie première, dans laquelle sont démontrées l’existence de Dieu et l’immortalité de l’âme" ins Französische übersetzt. Auf Deutsch erschien ein Teil des Buches 1863 übersetzt von Kuno Fischer in den "Hauptschriften zur Grundlegung seiner Philosophie". Julius von Kirchmann veröffentlichte 1870 unter dem Titel "Untersuchungen über die Grundlagen der Philosophie" eine vollständige deutsche Übersetzung. Unter dem Titel "Meditationen über die Grundlagen der Philosophie" erschien 1904 die Übersetzung von Artur Buchenau.
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Seitenzahl: 134
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Zur Einleitung.
Vorwort an den Leser!
Übersicht der sechs folgenden Betrachtungen.
Erste Betrachtung. Woran man zweifeln kann.
Zweite Betrachtung. Das Wesen des menschlichen Geistes; es ist uns bekannter als der Körper.
Dritte Betrachtung. Das Dasein Gottes.
Vierte Betrachtung. Wahrheit und Irrtum.
Fünfte Betrachtung. Das Wesen der Materie und nochmals die Existenz Gottes.
Sechste Betrachtung. Das Dasein der Körper und der Wesensunterschied zwischen Leib und Seele.
Fußnoten
Impressum
René Des-Cartes (»Seigneur du Perron«)[1] erblickte das Licht der Welt am 31. März[2] 1596 zu La Haye (Touraine), wohin seine Mutter sich vor der Pest geflüchtet hatte. Sein Vater war Rat beim Parlament der Bretagne zu Rennes und gehörte einem der ältesten Adelsgeschlechter von Touraine an. René war von schwächlicher Körperkonstitution. Aber schon in frühester Jugend zeigte er hohe Geistesgaben. Ein ungewöhnlicher Wissens- und Forschungsdrang beseelte den Knaben, sodaß ihn sein Vater wohl den »kleinen Philosophen« nannte.
Acht Jahre alt wurde er dem Jesuiten-Kolleg zu La Fléche zur Erziehung übergeben. Hier wurde der Grund gelegt zu dem festen und unerschütterlichen Glauben, den er sein ganzes Leben hindurch bewahrte. Mit großem Eifer folgte er dem Unterricht und setzte nicht selten seine Lehrer in Erstaunen durch die Selbstständigkeit und Schärfe seines Urteils.
Die Wissenschaften gewährten ihm jedoch wenig Befriedigung. Enttäuscht verließ er 1612 die Schule. Er sagt von sich: »Von Jugend auf bin ich für die Wissenschaften erzogen worden. Man sagte mir, durch sie könne man eine klare und sichere Erkenntnis von allem erlangen, was für das Leben von Wert ist, und so war ich vom sehnlichsten Wunsche beseelt, sie kennen zu lernen. Als ich nun den ganzen Studiengang beendet hatte und mich, wie es Sitte war, zu den »Gelehrten« hätte rechnen dürfen, da war ich ganz anderer Meinung geworden! Zweifel und Irrtümer umgaben mich, und nur das eine schien mir bei all meiner Lernbegierde immer klarer und klarer geworden zu sein, nämlich daß ich nichts weiß. Und doch besuchte ich eine der hervorragendsten Schulen in ganz Europa, wo es, wenn überhaupt irgendwo in der Welt, gelehrte Männer geben mußte!«[3]
Nur die Mathematik gewährte ihm einige Befriedigung, und er legte bereits auf der Schule den Grund zu einer der großartigsten Errungenschaften, welche die Mathematik ihm verdankt: zur Analytischen Geometrie. Dennoch aber überwog das Gefühl der Enttäuschung so sehr seinen Wissensdrang, daß er nach Verlassen der Schule der wissenschaftlichen Beschäftigung entsagte und sich in einen Strudel von Vergnügungen stürzte, in dem er leicht hätte Schiffbruch leiden können. Zwei Jahre brachte er so zu Paris zu; aber auf die Dauer konnte eine Natur wie die Descartes' in einem solchen Leben sich nicht wohl fühlen. Der Hang zum Nachdenken und zur Einsamkeit war ihm angeboren und blieb ihm während seines ganzen Lebens eigen, ohne daß er darum je ein melancholischer Kopfhänger oder ein Menschenfeind geworden wäre. Im Gegenteil war er stets von heiterem Sinn, freundlich gegen jedermann und von tiefem Mitgefühl für andere; allen edlen Regungen war er in hohem Maße zugänglich. Aber seine Liebe zur Wissenschaft ließ ihn an der Oberflächlichkeit des gesellschaftlichen Lebens auf die Dauer keinen Geschmack finden. So kam es, daß Descartes plötzlich dem Kreise seiner Freunde fern blieb. Niemand wußte, wo er hingekommen, bis, etwa zwei Jahre später, ein Freund in einem entlegenen Viertel in Paris zufällig seinen Aufenthalt entdeckte.
Er hatte sich inzwischen besonders mathematischen Studien hingegeben, ohne jedoch auch jetzt die gehoffte Befriedigung zu finden. Daher wurde es seinen Freunden nicht allzuschwer, ihn der Welt wiederzugeben. Aber nicht das Vergnügen lockte ihn jetzt. Es war der Drang, die Welt mit aufmerksamem Geiste zu beobachten, sie lenken zu lernen und womöglich dadurch zu einer befriedigenden Lösung seiner Zweifel zu gelangen. Darum litt es ihn auch nicht länger in Paris. Wir finden ihn 1617 in Holland, unter der Fahne Moritz' von Nassau.
Er war von Natur nicht für den Kriegsdienst geschaffen, wiewohl es ihm an persönlichem Mut nicht fehlte. Schon seine ganze Gestalt war nicht gerade imponierend. Er war klein und nicht besonders kräftig gebaut. Das »Männchen« (»homuncio«) nannte ihn einer seiner Gegner spottweise. Dabei hatte er einen ungewöhnlich großen Kopf, breite Nase, großen Mund, lange schwarze Haare. Seine Stimme war nicht kräftig. Meist war er schweigsam und nachdenklich. Selbst im Feldlager liebte er es, mit seinen Gedanken allein zu sein; das waren ihm seine angenehmsten Stunden. Sie waren vorzüglich der Mathematik gewidmet. So entstand 1618 eine mathematische Abhandlung über die Musik.
Im folgenden Jahre leistete er unter dem Kurfürsten von Bayern und später unter Kaiser Ferdinand II. Kriegsdienste und lernte einen großen Teil Deutschlands kennen; auch nach Böhmen und Ungarn kam er. Das Kriegsleben sagte ihm jedoch wenig zu. Er nahm seinen Abschied und kehrte gegen Ende 1621 nach Haag zurück. Der Drang, zur Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen, war in ihm immer lebhafter geworden. Ihm schwebte das Beispiel der Mathematik vor. Die ganze übrige Wissenschaft so fest zu begründen, wie diese, das war sein Lieblingsgedanke. Er fühlte sich indessen der Ausgabe noch nicht gewachsen. Alles war noch in ihm in Gährung. So griff er bald zu dieser, bald zu jener Beschäftigung, nirgends fand er Befriedigung und innere Ruhe! Dieser Gemütszustand trieb ihn wieder in die Welt hinaus. Er unternahm während der folgenden Jahre verschiedene größere Reisen, nahm auch 1628 als Freiwilliger an der Belagerung von La Rochelle teil. Seine Ideen hatten sich inzwischen bedeutend geklärt. Er sah sein Ziel schon mit ziemlicher Bestimmtheit vor sich. So beschloß er noch im selben Jahre, sich wieder ganz in die Einsamkeit zurückzuziehen und nunmehr mit aller Kraft an die Ausführung seiner Pläne zu gehen. Damals entstand wahrscheinlich seine Schrift: »Regeln zur Leitung des Geistes.«
Descartes begab sich 1629 nach Holland. Hier entstand der erste Entwurf seines philosophischen Systems. Jetzt war er ganz in das richtige Fahrwasser gelangt! Er traf alle nur denkbaren Vorkehrungen, um jetzt ganz ungestört in seiner Einsamkeit zu sein. Seinen Aufenthaltsort hielt er sorgfältig geheim; nur ein guter Freund wußte darum, der seine Korrespondenz vermittelte. Fortwährend wechselte er seinen Wohnort; Holland selbst aber verließ er (außer bei Gelegenheit einiger Reisen) nicht wieder, bis kurz vor seinem Tode.
Ein eigenartiger Nimbus umgab bald seine Person, umsomehr, da es bereits bekannt geworden, daß er an einer ganz neuen Begründung der Wissenschaften arbeite. Vielfach wurde er für ein Mitglied der geheimnisvollen Gesellschaft der Rosenkreuzer gehalten.
Descartes kannte alle diese Gerüchte und war nicht sonderlich erfreut darüber. Ruhm und Lobeserhebungen machten stets einen fast peinlichen Eindruck auf ihn, Schmeichler waren ihm verhaßt. Einfachheit und offene Bescheidenheit waren seinem ganzen Wesen in hohem Maße eigentümlich. Einfach und doch nicht selten von ungewöhnlicher Erhabenheit war seine Rede, einfach seine ganze Lebensführung. Nur die notwendigste Dienerschaft hatte er um sich, mit der er mehr als Freund wie als Herr verkehrte. Wenn er morgens nach zehn- bis zwölfstündigem Schlafe erwachte, pflegte er noch wachend und sinnend einige Zeit im Bette zu verweilen, worauf er sich ankleidete, um bis zur Hauptmahlzeit noch einige Stunden der Wissenschaft zu widmen. Seine Mahlzeit war einfach aber gut. Nach ihrer Beendigung machte er sich mit Vorliebe Bewegung im Freien.
Verheiratet war er nie, woran vielleicht sein Hang zur Einsamkeit die Schuld trägt. Er besaß eine Tochter, Francine, an der er mit großer Innigkeit hing. Als diese 1640 (im Alter von 5 Jahren) starb, war er lange Zeit ganz untröstlich.
Seine wissenschaftlichen Arbeiten wären beinahe jäh unterbrochen worden, als die Kunde von der Verurteilung Galileis zu ihm drang (1633). Er war nahe daran, alle seine Manuskripte zu verbrennen. Doch entschloß er sich 1637 zur Veröffentlichung eines Teiles derselben. Zunächst erschien seine »Abhandlung über die Methode« nebst einigen für die damalige Wissenschaft sehr bedeutungsvollen Werken mathematischen und naturwissenschaftlichen Inhalts.
1641 erschienen die »Betrachtungen«, die wir gegenwärtig in deutscher Übersetzung dem Leser vorlegen. Descartes hatte vor Veröffentlichung das Manuskript einer Reihe von Gelehrten vorgelegt und deren Einwände nebst seinen Entgegnungen mit veröffentlicht.
1644 erschienen die »Prinzipien der Philosophie«.
Die Veröffentlichungen Descartes' erregten allgemein großes Aufsehen. Seine Lehre fand viele Anhänger, aber auch zahlreiche Gegner. Sehr bemerkenswert ist, daß zwei der hervorragendsten Frauen jener Zeit seine eifrigsten Schülerinnen waren. Es waren dies die Prinzessin Elisabeth von der Pfalz und die Königin Christine von Schweden. Mit ersterer stand er seit 1643 bis zu seinem Ende in regstem brieflichen Verkehr. Für sie schrieb er 1646 das Werk über die Gemütsbewegungen (1649 veröffentlicht).
Bei einer Reise nach Paris lernte Descartes Kanut, den nachmaligen Gesandten in Schweden kennen. Durch diesen wurde Königin Christine von Schweden auf Descartes aufmerksam.
Von lebhafter Begeisterung für den großen Philosophen ergriffen, wünschte sie nichts sehnlicher, als ihn an ihren Hof zu fesseln. Da Descartes damals in Holland vielen Anfeindungen seitens übereifriger Theologen ausgesetzt war, ließ er sich um so leichter bestimmen, einer Einladung nach Stockholm Folge zu leisten. Im Herbste 1649 trat er die Reise an. »Ich glaube nicht, daß ich länger hierbleiben werde, als bis nächsten Sommer. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt!« so schrieb er gleich nach seiner Ankunft an die Prinzessin Elisabeth.[4] Fast scheint es, als hätte er sein Schicksal geahnt! Er war gewohnt, spät aufzustehen; jetzt erschien er jeden Morgen um 5 Uhr in der Bibliothek der Königin, um diese in der Philosophie zu unterrichten. Diese ungewohnte Anstrengung, die ganz veränderte Lebensweise und das rauhe nordische Klima waren seiner Gesundheit wenig zuträglich. Schon Anfang 1650 befiel ihn ein heftiges Fieber, das seinem Leben bald ein Ende machte. Er starb am Morgen des 11. Februar 1650.
*
Während die »Abhandlung über die Methode« hauptsächlich den Plan entwickelt, nach dem Descartes die Wissenschaft fest zu begründen sucht, legen die »Betrachtungen« das feste Fundament, auf dem der gewaltige Bau errichtet werden soll, und damit sind gleichzeitig die Grundzüge des Lehrgebäudes unverrückbar festgelegt. Den Versuch, den Bau selbst in seinen wichtigsten Teilen auszuführen, machen die »Prinzipien der Philosophie«. Die drei Hauptschriften Descartes stehen in allerengster innerer Beziehung zu einander, und sind nicht etwa als drei von einander unabhängige Darstellungen der Lehre Descartes anzusehen.
Weitaus am wichtigsten und in jeder Beziehung am interessantesten sind die »Betrachtungen«.
Das Ringen eines großen Geistes nach Wahrheit, nach tieferer und sicherer Erkenntnis, tritt uns darin in einer so lebendigen, unmittelbaren Weise entgegen, daß die tiefen Empfindungen, die das Gemüt des nach Wahrheit Suchenden erregen, sich jedem Leser mitteilen, der ähnlicher Gefühle überhaupt fähig ist.
Wir lernen die Macht des alles zerstörenden Zweifels kennen. Anfangs geben wir uns ihr mit einer geheimen Freude, mit dem Gefühl der Überlegenheit, hin. Dann aber, als eine sicher geglaubte Stellung nach der anderen von ihm erobert wird, und wir schließlich ganz von ihm eingenommen sind, da beschleicht unser Gemüt eine ängstliche Beklommenheit, die uns fast erlahmen macht. Wir fürchten uns selbst zu verlieren, fast schwindelt uns, wir fühlen uns wie in einen Strudel hineingerissen, in dem es keinen Halt mehr für uns giebt. Da bringt uns der Selbsterhaltungstrieb wieder zu uns selbst; wir werden uns unserer Kraft bewußt und arbeiten uns nun langsam aber sicher zum Ziel. Das Gefühl der eigenen Kraft, das stetig wachsende beseligende Gefühl der Sicherheit erfüllt uns.
Können wir auch den Descartes'schen Ausführungen nicht ganz zustimmen, so erfüllt uns doch sein Werk mit hoher Bewunderung. Es steht an der Grenze zweier gewaltiger Epochen der Wissenschaft. Während es einerseits noch deutlich die Scholastik wiederspiegelt, eröffnet es andererseits den Ausblick in eine neue Zeit mit neuen Zielen, neuen Ansichten und neuen Begriffen. Dadurch hat es ein ganz besonderes Interesse für den aufmerksamen Beobachter der allmählichen Entwicklung des Menschengeistes.
*
Was die Lehre Descartes vor allem von allen früheren (formal) unterscheidet und ihr das selbständige Gepräge verleiht, ist
Die gänzliche Voraussetzungslosigkeit.
Der Zweifel als Forschungs-Prinzip (das Suchen).
Der oberste, gewisseste Punkt (der Anfang).
Das Prinzip der Selbstbeobachtung (der Fortschritt).
Das Kriterium der Wahrheit (die Prüfung).
Die streng systematische Ableitung aus dem ersten Gewissen (das System).
Bezüglich der vorliegenden Übersetzung der »Betrachtungen« war es mein Bestreben, den Text möglichst wortgetreu wiederzugeben, gleichzeitig aber alle undeutschen Wendungen und Konstruktionen fernzuhalten. Durch Auflösung der langen, oft schwerfälligen Perioden, ferner durch geeignete Interpunktion, häufigere Absätze und sinngemäßes Hervorheben einzelner Worte hoffe ich die Lektüre des Werkes wesentlich erleichtert und den Inhalt dem Verständnis näher gebracht zu haben.
Der Übersetzung liegt der lateinische Text der Amsterdamer Ausgabe von 1654 zu Grunde. Damit wurde sorgfältigst die französische Übersetzung des Herzogs von Luynes verglichen, die von Descartes selbst revidiert und verbessert wurde und dadurch dem Original gleichwertig ist. Sie ist wiedergegeben in »Oeuvres philosophiques de Descartes« von Aimé-Martin (Paris 1838).
Außerdem wurden zum Vergleich herangezogen die deutschen Übersetzungen von Kuno Fischer (Mannheim 1863) und von I. H. von Kirchmann (Berlin 1870).
Meinen philosophischen Standpunkt, der den Notizen zu Grunde liegt, die ich an einigen Stellen beigefügt, habe ich entwickelt in meinem »Grundriß des Systems der Philosophie als Bestimmungslehre« (Wiesbaden, bei Bergmann).
Ludwig Fischer.
Betrachtungen über die Grundlagen der Philosophie.
Enthaltend den Beweis für das Dasein Gottes und den Wesens-Unterschied zwischen Leib und Seele.[5]
Schon vor einiger Zeit berührte ich die Fragen über Gott und die menschliche Seele in einer 1637 veröffentlichten französischen Abhandlung über »Die Methode, den Verstand richtig zu gebrauchen und die Wahrheit in den Wissenschaften zu erforschen«. Es war dabei weniger meine Absicht, diese Fragen dort eingehend zu behandeln; ich wollte vielmehr lediglich darauf hinweisen, um dann aus dem Urteil der Leser zu entnehmen, wie ich sie etwa später zu behandeln hätte. Sie schienen mir nämlich von so hoher Bedeutung zu sein, daß ich ihre wiederholte Behandlung für erforderlich hielt.
Der Weg, den ich bei ihrer Entwicklung einschlage, ist noch sehr wenig betreten und liegt dem gewöhnlichen Wege sehr fern. Es schien mir darum nicht angemessen, ihn in einer französischen, jedermann zugänglichen Schrift eingehender zu behandeln; es könnten sonst vielleicht auch Leute, denen die Befähigung dazu mangelt, sich zu der Meinung veranlaßt sehen, als könnten auch sie diesen Weg betreten.
In der »Abhandlung über die Methode« bat ich alle, die in meinen Schriften etwas Tadelnswertes fänden, mir davon freundlichst Mitteilung zu machen. Nur zwei nennenswerte Einwände gegen meine Bemerkungen bezüglich jener beiden Fragen sind daraufhin erhoben worden. Ich will hier nur mit einigen Worten darauf erwidern, und werde später ausführlicher darauf zurückkommen.
Der erste Einwand sagt: daraus, daß der menschliche Geist, wenn er sich selbst beobachtet, sich lediglich als ein denkendes Wesen auffaßt, folge noch nicht, daß seine Natur oder sein Wesen darinalleinbesteht, daß er ein denkendesWesen ist (sodaß also das Wort »allein« alles andere ausschlösse, was vielleicht noch außerdem als zum Wesen des Geistes gehörig angesehen werden könnte). Ich erwidere darauf, daß ich dies auch keineswegs in Bezug auf den wahren Sachverhalt habe ausschließen wollen (worum es sich damals gar nicht handelte), sondern lediglich in Beziehung auf meine Auffassung. Der Sinn ist sonach, daß ich gar nichts als zu meinem Wesen gehörigerkenne, außer, daß ich ein denkendes Wesen, das Subjekt des Denkens bin.[6] In folgendem aber werde ich zeigen, wie daraus, daß ich erkenne, daß nichts anderes zu meinem Wesen gehört[7], folgt, daß auch inWirklichkeitnichts anderes dazu gehört.
Der zweite Einwand behauptet, daraus, daß ich die Vorstellung eines Wesens in mir habe, das vollkomnmer ist als ich, folge noch nicht, daß die Vorstellungselbstvollkommner sei als ich; noch viel weniger aber folge daraus, daß der vorgestellteGegenstand existiere.
Dagegen erwidere ich, daß hier dem Worte »Vorstellung« ein doppelter Sinn zu Grunde liegt. Man kann »Vorstellung« nämlich entwedermaterial, als Thätigkeit des Verstandes auffassen; insofern kann sie allerdings nicht vollkommner als ich genannt werden. Oder man faßt sieobjektivauf, als das, was durch jene Geistesthätigkeit vorgestellt wird. Dieser vorgestellte Gegenstand aber kann, selbst wenn ich ihnnichtals außer meinem Denken existierend annehme, seinem Wesen nach doch vollkommner als ich sein. Wie aber daraus allein, daß in mir die Vorstellung eines vollkommneren Wesens sich findet, dessenthatsächliche Existenz sich ergiebt, das werde ich im nachfolgenden ausführlich darlegen.
Es sind mir auch noch zwei sehr umfangreiche Schriften zu Gesicht gekommen, die indessen weniger meine Gründe angriffen, als vielmehr meine Schlußfolgerungen mit Beweisen bekämpften, die sie den Gemeinplätzen der Atheisten entlehnten. Dergleichen Beweise sind aber bedeutungslos für die, welche meine Gründe einsehen. Zudem haben viele ein so verworrenes und schwaches Urteilsvermögen, daß sie die Ansicht, die sich ihnenzunächstdarbietet, viel eher für wahr halten – mag sie auch noch so falsch und unvernünftig sein – als eine ganz wahre und gründliche Widerlegung dieser Ansicht, die sie erstnachträglichhören. Darum will ich auf jene Beweise hier nicht näher eingehen, um sie nicht vor den meinigen mitteilen zu müssen. Ich will nur im allgemeinen bemerken, daß alles, was die Atheisten gewöhnlich gegen die Existenz Gottes vorbringen, stets darauf hinausläuft, daß man Gott menschliche Affekte zuschreibe, oder daß unsere Geisteskraft und Weisheit so groß sein müsse, daß wir es wagen könnten, festzustellen und zu verstehen, was Gott thun kann und muß. Denken wir aber nur daran, daß unser Geist alsendlich, Gott aber als unfaßbar und unendlich anzusehen ist, so kann uns dies alles gar keine Schwierigkeiten bereiten.
So habe ich nun einmal die verschiedenen Ansichten anderer Menschen kennen gelernt und will nun nochmals mit der Verhandlung jener Fragen bezüglich Gottes und des menschlichen Geistes beginnen, und werde damit gleichzeitig die ersten Grundlagen aller Philosophie behandeln.
Ich erwarte nicht den Beifall der Menge, nicht eine große Zahl von Lesern. Nurdiemöchte ich zum Lesen veranlassen, die ernst mit mir nachdenken und ihren Geist von allem Sinnlichen und von allen Vorurteilen ablenken können und wollen. Ich weiß wohl, daß dies nur sehr wenige sind! Die aber, welchen es nicht um das Verständnis derReihenfolge und des inneren Zusammenhanges meiner Gründe zu thun ist, und die nur an einzelnen aus dem Zusammenhang gerissenen Sätzen herumklügeln möchten, wie es gar viele zu thun pflegen, die werden keinen großen Gewinn vom Lesen dieser Schrift haben! Sie werden vielleicht vielfach Gelegenheit zu Wortklaubereien finden, etwas Treffendes oder einer Erwiderung Würdiges werden sie aber wohl schwerlich vorbringen können.