Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftsgebrauchs und der wissenschaftlichen Wahrheitsforschung - René Descartes - E-Book

Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftsgebrauchs und der wissenschaftlichen Wahrheitsforschung E-Book

Rene Descartes

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Beschreibung

Die "Abhandlung über die Methode" ist eines der einflussreichsten Werke in der Geschichte der modernen Philosophie und imperativ für die Entwicklung der Naturwissenschaften. In diesem Werk befasst sich Descartes mit dem Problem des Skeptizismus, das bereits zuvor von anderen Philosophen untersucht worden war. Während er sich mit einigen seiner Vorgänger und Zeitgenossen auseinandersetzt, modifiziert Descartes deren Ansatz, um eine Wahrheit zu berücksichtigen, die er für unumstößlich hält; er beginnt seine Argumentation damit, alles anzuzweifeln, um die Welt aus einer neuen Perspektive zu betrachten, frei von jeglichen vorgefassten Meinungen. Das zweite in diesem Band enthaltene Werk, die "Betrachtungen über die Metaphysik", besteht aus sechs Meditationen, in denen Descartes zunächst jeglichen Glauben an Dinge verwirft, die nicht absolut sicher sind, und dann versucht, festzulegen, was mit Sicherheit gewusst werden kann. Er schrieb die Meditationen, als hätten sie an sechs aufeinanderfolgenden Tagen stattgefunden. Jede Meditation bezieht sich auf die letzte als "gestern."

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Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftsgebrauchs und der wissenschaftlichen Wahrheitsforschung

 

RENE DESCARTES

 

 

 

 

 

 

 

Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftsgebrauchs und der wissenschaftlichen Wahrheitsforschung, Rene Descartes

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783988681249

 

Übersetzer: Kuno Fischer

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

 

 

INHALT:

Erstes Kapitel.1

Zweites Kapitel.7

Drittes Kapitel.14

Viertes Kapitel.20

Fünftes Kapitel.25

Sechstes Kapitel.36

Betrachtungen über die Metaphysik.47

Erste Betrachtung.47

Zweite Betrachtung.52

Dritte Betrachtung.59

Vierte Betrachtung.71

Fünfte Betrachtung.78

Sechste Betrachtung.83

Anhang.95

Die Beweisgründe für das Dasein Gottes und den Unterschied der Seele vom Körper nach geometrischer Methode geordnet.98

 

Erstes Kapitel.

 

Verschiedene Betrachtungen in Betreff derWissenschaften.

 

Der gesunde Verstand ist die bestverteilte Sache der Welt, denn jedermann meint, damit so gut versehen zu sein, dass selbst diejenigen, die in allen übrigen Dingen sehr schwer zu befriedigen. sind, doch gewöhnlich nicht mehr Verstand haben wollen, als sie wirklich haben. Es ist nicht wahrscheinlich, dass sich in diesem Punkte alle Leute täuschen, sondern es beweist vielmehr, dass das Vermögen, richtig zu urteilen und das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, dieser eigentlich sogenannte gesunde Verstand oder die Vernunft, von Natur in allen Menschen gleich ist, und also die Verschiedenheit unserer Meinungen nicht daher kommt, dass die einen mehr Vernunft haben als die andern, sondern lediglich daher, dass unsere Gedanken verschiedene Wege gehen und wir nicht alle dieselben Dinge betrachten. Denn es ist nicht genug, einen guten Kopf zu haben; die Hauptsache ist, ihn richtig anwenden. Die größten Seelen sind der größten Laster ebenso fähig als der größten Tugenden, und die nur sehr langsam gehen, können doch, wenn sie den richtigen Weg verfolgen, viel weiter vorwärtskommen als jene, die laufen und sich vom richtigen Wege entfernen.

Was mich betrifft, so habe ich mir nie eingebildet, dass mein Geist in irgendetwas vollkommener wäre, als die Geister vom gewöhnlichen Schlage; ich habe sogar oft gewünscht, den Gedanken so bei der Hand, die Einbildung so fein und deutlich, das Gedächtnis so umfassend und gegenwärtig zu haben, als manche Andere. Und ich kenne, um den Geist zu vervollkommnen, keine anderen Mittel als die eben genannten Eigenschaften. Denn was die Vernunft oder den gesunden Verstand betrifft, das Einzige, das uns zu Menschen macht und von den Tieren unterscheidet, so will ich glauben, dass sie in einem jeden ganz vollständig sei, und will hierin der gewöhnlichen Meinung der Philosophen folgen, die sagen, dass es nur zwischen den zufälligen Beschaffenheiten (Akzidentien), nicht zwischen den Formen oder Naturen der Individuen einer und derselben Art die Unterschiede des Mehr und Weniger gebe.

Aber ich bekenne ohne Scheu: ich glaube darin viel Glück gehabt zu haben, dass ich schon seit meiner Jugend mich auf solchen Wegen angetroffen, die mich zu Betrachtungen und Grundsähen führten, aus denen ich mir eine Methode gebildet, und durch diese Methode meine ich das Mittel gewonnen zu haben, um meine Erkenntnis stufenweise zu vermehren und sie allmählich zu dem höchsten Ziel zu erheben, welches sie bei der Mittelmäßigkeit meines Geistes und der kurzen Dauer meines Lebens erreichen kann. Denn ich habe schon gute Früchte geerntet. Zwar bin ich in meiner Selbstbeurteilung stets bemüht, mich lieber nach der. Seite des Misstrauens als des Eigendünkels zu neigen, und wenn ich mit dem Auge des Philosophen die mannigfaltigen Handlungen und Unternehmungen der Menschen betrachte, so finde ich fast keine, die mir nicht eitel und wertlos erscheinen. Dennoch lasse ich nicht ab, mich mit einer außerordentlichen Genugtuung des Fortschritts zu erfreuen, den ich in der Erforschung der Wahrheit bereits gemacht zu haben meine, und mit solcher Zuversicht in die Zukunft zu blicken, dass, wenn es überhaupt unter den Beschäftigungen der Menschen, rein als Menschen genommen, eine wahrhaft gute und bedeutende gibt, ich so kühn bin zu glauben, es sei diejenige, die ich gewählt habe.

Doch kann es sein, dass ich mich täusche, und es ist vielleicht nur ein bisschen Kupfer und Glas, was ich für Gold und Diamanten nehme. Ich weiß, wie sehr wir in Allem, was die eigene Person betrifft, der Selbsttäuschung unterworfen sind, und wie sehr auch die Urteile unserer Freunde, wenn sie zu unseren Gunsten sprechen, uns verdächtig sein müssen. Aber ich werde in dieser Schrift gern die Wege offen zeigen, die ich gegangen bin, und darin, wie in einem Gemälde mein Leben darstellen, damit jeder darüber urteilen könne, und, wenn mir von Hörensagen solche Urteile zukommen, dies ein neues Mittel zu meiner Belehrung sei, das ich den anderen, die ich zu brauchen pflege, hinzufügen werde.

So ist meine Absicht nicht, hier die Methode zu lehren, die jeder ergreifen muss, um seine Vernunft richtig zu leiten, sondern nur zu zeigen, in welcher Weise ich die meinige zu leiten gesucht habe. Die sich damit befassen, anderen Vorschriften zu geben, müssen sich für gescheiter halten, als jene, denen sie ihre Vorschriften erteilen, und wenn sie in der kleinsten Sache fehlen, so sind sie tadelnswert. Da ich nun in dieser Schrift nur die Absicht habe, gleichsam eine Geschichte, oder, wenn man lieber will, gleichsam eine Fabel zu erzählen, worin unter manchen nachahmenswerten Beispielen vielleicht auch manche andere sich finden werden, denen man besser nicht folgt, so hoffe ich, diese Schrift wird Einigen nützen, ohne Einem zu schaden und jeder wird mir für meine Offenheit Dank wissen.

Von Kindheit an bin ich für die Wissenschaften erzogen worden, und da man mich glauben machte, dass durch sie eine klare und sichere Erkenntnis alles dessen, was dem Leben frommt, zu erreichen sei, so hatte ich eine außerordentlich große Begierde, sie zu lernen. Doch wie ich den ganzen Studiengang beendet hatte, an dessen Ziel man gewöhnlich in die Reihe der Gelehrten aufgenommen wird, änderte ich vollständig meine Ansicht. Denn ich befand mich in einem Gedränge so vieler Zweifel und Irrtümer, dass ich von meiner Lernbegierde keinen anderen Nutzen gehabt zu haben schien, als dass ich mehr und mehr meine Unwissenheit entdeckt hatte. Und ich war doch in einer der berühmtesten Schulen Europas, wo es nach meiner Meinung, wenn irgendwo auf der Erde, gelehrte Männer geben musste. Ich hatte dort Alles gelernt, was die Übrigen dort lernten, und da mein Wissensburst weiter ging als die Wissenschaften, die man uns lehrte, so hatte ich alle Bücher, so viel ich deren habhaft werden konnte, durchlaufen, die von den anerkannt merkwürdigsten und seltensten Wissenschaften handelten. Dabei wusste ich, wie die anderen von mir urteilten, und ich sah, dass man mich nicht für weniger hielt als meine Mitschüler, obwohl unter diesen Einige dazu bestimmt waren, an die Stelle unserer Lehrer zu treten. Endlich schien mir unser Jahrhundert ebenso reich und fruchtbar an guten Köpfen, als irgendein früheres. So nahm ich mir die Freiheit, alle andern nach mir zu beurteilen und zu meinen, dass es keine Wissenschaft in der Welt gebe, die so wäre, als man mich ehedem hatte hoffen lassen.

Dennoch ließ ich nicht nach, die Übungen, womit man sich in den Schulen beschäftigt, wertzuhalten. Ich wusste, dass die Sprachen, die man dort lernt, zum Verständnis der Schriften des Altertums notwendig sind, dass die Anmut der Sagen den Geist belebt, dass die denkwürdigen Handlungen der Geschichte ihn erheben und, vorsichtig gelesen, das Urteil bilden helfen, dass die Lektüre guter Bücher gleichsam eine Unterhaltung mit den trefflichsten Männern der Vergangenheit ist, die jene Bücher verfasst haben, und sogar eine vorherbedachte Unterhaltung, worin sie uns nur ihre besten Gedanken offenbaren; dass die Beredsamkeit unvergleichliche Gewalt und Schönheiten, die Poesie hinreißend zarte und liebliche Empfindungen hat; dass die Mathematik sehr feine Erfindungen gemacht, die ganz geeignet sind, ebenso die Wissbegierigen zu befriedigen als die Künste sämtlich leichter und die menschliche Arbeit geringer zu machen; dass die Schriften der Moral manche Lehren und manche Ermahnungen zur Tugend enthalten, die sehr nützlich sind, dass die Theologie zeigt, wie man sich den Himmel verdient; dass die Philosophie zeigt, wie sich mit dem Schein der Wahrheit von allen Dingen reden und die Bewunderung derer erwerben lässt, die unwissender sind; dass die Jurisprudenz, die Medizin und die übrigen Wissenschaften ihren Jüngern Ehren und Reichtümer eintragen; endlich dass es gut ist, sie sämtlich geprüft zu haben, selbst die im Wahn und Irrtum befangensten, um ihren richtigen Wert kennen zu lernen und sich vor der Täuschung zu bewahren.

Indessen glaubte ich doch schon Zeit genug auf die Sprachen und auch auf die Schriften des Altertums verwendet zu haben, sowohl auf ihre Geschichten als auf ihre Sagen. Denn mit den Geistern anderer Jahrhunderte verkehren, ist fast dasselbe als reisen. Es ist gut, etwas von den Sitten verschiedener Völker zu wissen, um die unsrigen unbefangener zu beurteilen und nicht zu meinen, dass Alles, was unseren Moden zuwiderläuft, lächerlich und vernunftwidrig sei, wie solche Leute pflegen, die nichts gesehen haben. Aber wenn man zu viel Zeit auf Reisen verwendet, so wird man zulegt fremd im eigenen Lande, und wenn man zu begierig ist, in der Vergangenheit zu leben, so bleibt man gewöhnlich sehr unwissend in der Gegenwart. Dazu kommt, dass die Sagen manche Ereignisse als möglich darstellen, die es gar nicht sind, und selbst die treuesten Geschichtserzählungen, wenn sie auch den Wert der Dinge, um sie lesenswerter zu machen, nicht verändern noch vergrößern, doch fast immer die niedrigsten und weniger berühmten Umstände weglassen, und daher rührt es, dass der Rest nicht so erscheint, wie er ist, und dass die, welche aus solchen Geschichten ihre sittlichen Vorbilder nehmen, Gefahr laufen, in die Überspanntheiten der Paladine unserer Romane zu verfallen, und auf Dinge zu sinnen, die über ihre Tatkraft hinausgehen.

Ich schätzte die Beredsamkeit sehr und ich liebte die Poesie, aber ich dachte, dass die eine wie die andere mehr Talente des Geistes als Früchte des Studiums seien. Diejenigen, welche die größte Kraft des Urteils besitzen und die größte Geschicklichkeit, ihre Gedanken zu ordnen, um sie klar und begreiflich zu machen, können allemal am besten die Leute zu dem, was sie wollen, überreden, auch wenn sie niederbretagnisch sprächen und niemals die Redekunst studiert hätten, und diejenigen, welche die anmutigsten Erfindungen haben und sie auf das zierlichste und lieblichste auszudrücken wissen, werden allemal die besten Dichter sein, auch wenn ihnen die Dichtkunst unbekannt wäre.

Ganz besonders gefielen mir die mathematischen Wissenschaften wegen der Sicherheit und Klarheit ihrer Gründe, doch bemerkte ich noch nicht ihren wahren Gebrauch; ich meinte, dass sie bloß den mechanischen Künsten dienten, und verwunderte mich deshalb, dass man auf so feste und unerschütterliche Grundlagen nichts Erhabeneres gebaut hatte. Gleichsam im Gegensatz dazu verglich ich die moralphilosophischen Schriften der alten Heiden mit sehr stolzen und prachtvollen Palästen, die nur auf Sand und Schlamm gebaut waren: sie erheben die Tugenden sehr hoch und lassen sie über alle Dinge der Welt ehrwürdig erscheinen, aber sie lehren nicht genug, sie zu erkennen, und oft ist, was sie mit einem so schönen Namen bezeichnen, bei Licht besehen, nichts als Rohheit oder Stolz oder Verzweiflung oder das größte Verbrechen.

Ich achtete unsere Theologie und wollte ebenso wie jeder andere mir den Himmel gewinnen. Aber ich hatte von meinen Lehrern versichern hören, dass der Weg zum Himmel den Unwissenden eben so offen tehe, als den Gelehrten, und dass die geoffenbarten Wahrheiten, die dahin führen, unsere Einsicht übersteigen. Darum hätte ich nicht gewagt, sie meinem schwachen Urteil zu unterwerfen. Um es zu unternehmen, sie zu prüfen, und zwar mit Erfolg, dazu, so meinte ich, müsse man irgendeinen außerordentlichen Beistand des Himmels haben und mehr sein als ein Mensch.

Ich will von der Philosophie nichts weiter sagen, als dass ich sah, sie sei von den vorzüglichsten Geistern einer Reihe von Jahrhunderten gepflegt worden, und dennoch gebe es in ihr nicht eine Sache, die nicht streitig, und mithin zweifelhaft sei; und dass ich demnach nicht eingebildet genug war, um zu hoffen, es werde mir damit besser gehen, als den anderen. Und wenn ich mir überlegte, wie viele verschiedene Ansichten von einer und derselben Sache möglich seien, die alle von gelehrten Leuten verteidigt worden, und doch stets nur eine einzige Ansicht wahr sein könne, so hielt ich alles bloß Wahrscheinliche beinahe für falsch.

Was dann die anderen Wissenschaften betrifft, so weit sie ihre Prinzipien von der Philosophie entlehnen, so konnte man nach meinem Urteil auf so wenig festen Grundlagen unmöglich etwas Festeres aufgebaut haben, und weder die Ehre noch der Gewinn, den sie versprechen, konnten mich zum Studieren derselben einladen. Denn ich fühlte mich, Gott sei Dank, nicht in der Lage, aus der Wissenschaft ein Gewerbe machen zu müssen, um meine Umstände zu verbessern, und obgleich ich nicht ein Geschäft damit trieb, den Ruhm wie ein Zyniker zu verachten, so schätzte ich doch den Ruhm sehr gering, den ich nur unrechtmäßig erwerben zu können die Hoffnung hatte. Und was endlich jene schlechten Wissenschaften betrifft, so meinte ich deren Wert schon hinlänglich zu kennen, um mich nicht mehr hintergehen zu lassen weder von den Verheißungen eines Alchimisten noch den Vorhersagungen eines Astrologen noch den Betrügereien eines Zauberers noch den Kniffen oder der Prahlerei eines jener Scharlatane, die aus dem Scheinwissen ein Geschäft machen.

Deshalb gab ich das Studium der Wissenschaften vollständig auf, sobald das Alter mir erlaubte, aus der untergebenen Stellung des Schülers herauszutreten. Ich wollte keine andere Wissenschaft mehr suchen, als die ich in mir selbst oder in dem großen Buche der Welt würde finden können, und so verwendete ich den Rest meiner Jugend auf Reisen, Höfe und Heere kennen zu lernen, mit Menschen von verschiedener Gemütsart und Lebensstellung zu verkehren, mannigfaltige Erfahrungen einzusammeln, in den Lagen, in welche das Schicksal mich brachte, mich selbst zu erproben und Alles, was sich mir darbot, so zu betrachten, dass ich einen Gewinn davon haben könnte. Denn ich würde, so schien mir, in den praktischen Urteilen der Geschäftsleute über die ihnen wichtigen Angelegenheiten, wobei sich das falsche Urteil gleich durch den Erfolg straft, weit mehr Wahrheit finden können, als in den Theorien, die der Gelehrte in seinem Studierzimmer ausspinnt, mit Spekulationen beschäftigt, die keine Wirkung erzeugen und für ihn selbst keine andere Folge haben, als dass sie ihn umso eitler machen, je weiter sie selbst vom gesunden Menschenverstande entfernt sind, weil er ja um so viel mehr Geist und Kunst anwenden musste, um ihnen den Schein der Wahrheit zu geben. Denn ich hatte stets eine außerordentlich große Begierde, das Wahre vom Falschen unterscheiden zu lernen, um in meinen Handlungen klar zu sehen und in meinem Leben sicher zu gehen.

Solange ich nur die Sitten anderer Menschen in Erwägung zog, fand ich freilich nichts, dessen ich sicher sein konnte, und bemerkte hier gewissermaßen eine ebenso große Verschiedenheit als vorher zwischen den Meinungen der Philosophen. So bestand der größte Nutzen, den ich aus diesen Betrachtungen zog, darin, dass ich sah, eine Menge von Dingen, wie ungereimt und lächerlich sie auch erscheinen, seien doch bei anderen großen Völkern gemeinschaftlich in Geltung und Ansehen, und daher lernte ich, nicht allzu fest an die Dinge glauben, die sich mir nur durch Beispiel und Gewohnheit eingeprägt hatten. Und auf diese Weise befreite ich mich allmählich von vielen Irrtümern, die unser natürliches Licht verdunkeln und uns weniger fähig machen, auf die Vernunft zu hören. Nachdem ich aber einige Jahre darauf gewendet hatte, so in dem Buche der Welt zu studieren und bemüht zu sein, mir einige Erfahrung zu erwerben, entschloss ich mich eines Tages, ebenso in mir selbst zu studieren und alle Kräfte meines Geistes aufzubieten, um die Wege zu wählen, die ich nehmen musste. Und dies gelang mir, wie ich glaube, weit besser, als wenn ich mich nie von meinem Vaterlande und meinen Büchern entfernt hätte.

 

 

Zweites Kapitel.

 

Die hauptsächlichen Regeln der vom Autor gesuchten Methode.

 

Ich war damals in Deutschland, wohin mich der Anlass des Kriegs, der dort noch nicht beendet ist, gerufen hatte, und als ich von der Kaiserkrönung wieder zum Heer zurückkehrte, so verweilte ich den Anfang des Winters in einem Quartier, wo ich ohne jede zerstreuende Unterhaltung und überdies auch glücklicherweise ohne alle beunruhigende Sorgen und Leidenschaften den ganzen Tag allein in meinem Zimmer eingeschlossen blieb und hier alle Muße hatte, mit meinen Gedanken zu verkehren. Unter diesen Gedanken führte mich einer der ersten zu der Betrachtung, dass in den Werken, die aus mehreren Stücken zusammengesetzt sind und von der Hand verschiedener Meister herrühren, oft nicht so viel Vollkommenheit sei, als in denen, woran ein Einziger gearbeitet hat. So sieht man, dass die Gebäude, die ein einziger Baumeister unternommen. und vollendet hat, gewöhnlich schöner und besser geordnet sind als die, welche Mehrere auszubessern bemüht waren, indem sie alte, zu andern Zwecken gebaute, Wände benutzten. So sind jene alten Städte, die anfänglich nur Burgflecken waren und im Laufe der Zeit große Städte geworden sind, im Vergleich mit diesen regelmäßigen Plätzen, die ein Ingenieur nach (dem Bilde) seiner Phantasie auf der Ebene abmisst, gewöhnlich so unsymmetrisch, dass man zwar in ihren einzelnen Häusern, jedes für sich betrachtet, oft ebenso viel oder mehr Kunst, als in denen der regelmäßigen Städte findet; aber sieht man, wie die Gebäude neben einander geordnet sind, hier ein großes, dort ein kleines, und wie sie die Straßen krumm und ungleich machen, so möchte man sagen, es sei mehr der Zufall als der Wille vernünftiger Menschen, der sie so geordnet habe. Und wenn man bedenkt, dass es doch allezeit einige Beamte gegeben, welche die Häuser der Privatleute zum Zweck der öffentlichen Zierde zu beaufsichtigen hatten, so wird man leicht erkennen, dass es schwer ist, etwas Vollendetes zu machen, wenn man nur an fremden Werken herumarbeitet. So meinte ich, dass die Völker, die aus dem ursprünglichen Zustande halber Wildheit sich nur allmählich zivilisiert und ihre Gesetze nur gemacht haben, je nachdem der Notstand der Verbrechen und Zwistigkeiten sie dazu gezwungen, nicht so gute Einrichtungen haben können, als die, welche seit dem Beginne ihrer Vereinigung die Anordnungen irgendeines weisen Gesetzgebers befolgt haben. Wie es denn auch ganz gewiss ist, dass die Verfassung der wahren Religion, die Gott allein angeordnet hat, unvergleichlich besser geregelt sein muss als die aller übrigen. Und um von menschlichen Dingen zu reden, so glaube ich, dass, wenn Sparta einst ein sehr blühender Staat war, dies nicht von der Trefflichkeit jedes einzelnen seiner Gesetze im Besonderen herrührte, waren doch mehrere höchst seltsam und sogar den guten Sitten widersprechend, sondern dass es daherkam, dass seine Gesetze nur von einem Einzigen erfunden und alle auf ein Ziel gerichtet waren. Und so meinte ich, dass die Büchergelehrsamkeit, –– zum wenigsten die, deren Gründe bloße Wahrscheinlichkeit und keine Beweise haben, –– wie sie aus den Meinungen einer Menge verschiedener Personen allmählich zusammengehäuft und angewachsen ist, der Wahrheit nicht so nahekommt, als die einfachen Urteile, die ein Mensch von gesundem Verstande über die Dinge, die vor ihm liegen, von Natur bilden kann. Und weil wir alle Kinder waren, ehe wir Männer wurden, und lange Zeit hindurch von unseren Trieben und Lehrern gelenkt werden mussten, die oft miteinander in Widerstreit waren, und die beide uns vielleicht nicht immer das Beste rieten, so dachte ich weiter, dass unsere Urteile fast unmöglich so rein und so fest seien, als sie gewesen sein würden, wenn wir vom Augenblick unserer Geburt den vollen Gebrauch unserer Vernunft gehabt hätten und stets nur durch sie geleitet worden wären.

Freilich sehen wir nicht, dass man alle Häuser einer Stadt über den Haufen wirft, bloß in der Absicht, sie in anderer Gestalt wiederherzustellen und schönere Straßen zu machen, aber man sieht wohl, dass viele Leute die ihrigen abtragen lassen, um sie wieder aufzubauen, und dass sie manchmal sogar dazu gezwungen werden, wenn die Häuser in Gefahr einzufallen und ihre Grundlagen nicht fest genug sind. Nach dieser Analogie war ich überzeugt, dass es in Wahrheit ganz unvernünftig sein würde, wenn ein Privatmann die Absicht hätte, einen Staat so zu reformieren, dass er Alles darin von Grund aus änderte und das Ganze umstürzte, um es wiederherzustellen, oder auch nur die gewöhnlichen Wissenschaften und deren festgestelltes Schulsystem; dass aber, was meine persönlichen Ansichten sämtlich betrifft, die ich bis jetzt in meine Überzeugung aufgenommen, ich nichts besseres tun könnte, als sie einmal abzulegen, um dann nachträglich entweder andere, die besser sind, oder auch sie selbst wieder an ihre Stelle zu sehen, nachdem sie von der Vernunft gerechtfertigt worden. Und ich glaubte fest, dass es mir dadurch gelingen würde, mein Leben viel besser zu führen, als wenn ich nur auf alte Grundlagen baute und mich nur auf Grundsätze stützte, die ich mir in meiner Jugend hatte einreden lassen, ohne jemals zu untersuchen, ob sie wahr wären. Denn obwohl ich hierin verschiedene Schwierigkeiten bemerkte, so waren sie doch nicht heillos und mit denen nicht zu vergleichen, die in dem öffentlichen Wesen die Reformation der kleinsten Verhältnisse mit sich führt. Diese großen Körper sind sehr schwer wieder aufzurichten, wenn sie am Boden liegen, oder auch nur aufzuhalten, wenn sie schwanken, und ihr Sturz ist allemal sehr schwer. Und was ihre Mängel betrifft, wenn sie welche haben, wie denn schon die Verschiedenheit allein, die unter ihnen stattfindet, beweist, dass solche Mängel bei mehreren vorhanden sind, so hat dieselbe der Gebrauch ohne Zweifel sehr gemildert, und sogar viele davon, denen sich mit keiner Klugheit so gut beikommen ließe, unmerklich abgestellt oder verbessert, und endlich sind diese Mängel fast in allen Fällen erträglicher als ihre Veränderung sein würde. Es verhält sich damit ähnlich wie mit den großen Wegen, die sich zwischen den Bergen hin winden und durch den täglichen Gebrauch allmählich so eben und bequem werden, dass man weit besser tut, ihnen zu folgen, als den geraderen Weg zu nehmen, indem man über Felsen klettert und in die Tiefe jäher Abgründe hinabsteigt.

Darum werde ich nie jene verworrenen und unruhigen Köpfe gutheißen können, die, ohne von Geburt oder Schicksal zur Führung der öffentlichen Angelegenheiten berufen zu sein, doch fortwährend auf diesem Gebiet nach Ideen reformieren wollen; und wenn ich dächte, dass in dieser Schrift irgendetwas wäre, das mich in den Verdacht einer solchen Torheit bringen könnte, so würde es mir sehr leid sein, ihre Veröffentlichung nachgelassen zu haben. Meine Absicht hat sich nie weiter erstreckt, als auf den Versuch, meine eigenen Gedanken zu reformieren und auf einem Grunde aufzubauen, der ganz in mir liegt. Wenn ich nun von meinem Werk, weil ich damit zufrieden bin, euch hier das Modell zeige, so geschieht es nicht deshalb, weil ich irgendwem raten will, dass er es nachahme. Andere, die Gott besser mit seinen Gaben ausgestattet hat, mögen vielleicht Größeres im Sinn haben, doch fürchte ich, dass meine Absicht schon für Viele zu kühn ist. Schon der Entschluss, sich aller Meinungen, die man ehedem gläubig aufgenommen hat, zu begeben, ist kein Vorbild für Jedermann. Und die Welt besteht fast nur aus zwei Arten von Geistern, für welche mein Vorbild nicht passt: die einen halten sich für gescheiter als sie sind, können deshalb ihre Urteile nicht zurück halten, haben nicht Geduld genug, um alle ihre Gedanken richtig zu ordnen, und würden so, wenn sie einmal sich die Freiheit genommen hätten, an den überkommenen Grundsätzen zu zweifeln und sich von der Heerstraße zu entfernen, niemals den steilen Weg einhalten können, der gerader zum Ziel führt, sondern ihr ganzes Leben hindurch in der Irre umherschweifen; die anderen sind vernünftig oder bescheiden genug, um sich für weniger fähig zu halten, das Wahre vom Falschen zu unterscheiden, als manche andere, von denen sie es lernen können, und darum müssen sie sich lieber begnügen, den Meinungen dieser anderen zu folgen, als selbst deren bessere zu suchen.

Und was mich betrifft, so würde ich ohne Zweifel zu diesen letzteren gehört haben, wenn ich stets nur einen einzigen Lehrer gehabt und nicht die Verschiedenheiten gekannt hätte, die jederzeit zwischen den Meinungen der gelehrtesten Leute waren. Aber ich hatte schon auf der Schule gelernt, dass man sich nichts so Sonderbares und Unglaubliches ersinnen könnte, das nicht irgend ein Philosoph behauptet hätte; dann hatte ich auf meinen Reisen wiederholt eingesehen, dass die Leute, die eine der unsrigen ganz entgegengesetzte Gesinnungsweise haben, darum nicht alle Barbaren oder Wilde find, sondern dass Viele ebenso sehr oder mehr als wir die Vernunft brauchen; ich hatte beachtet, wie ein und derselbe Mensch mit demselben Geist, von Kindheit an unter Franzosen oder Deutschen erzogen, ein ganz anderer wird, als er sein würde, wenn er stets unter Chinesen oder Kannibalen gelebt hätte, und wie, bis in die Kleidermoden hinein, dasselbe Ding, das uns vor zehn Jahren gefallen hat und vielleicht nach zehn Jahren wieder gefallen wird, uns im Augenblick unpassend und lächerlich erscheint, sodass uns vielmehr Gewohnheit und Beispiel leiten als irgend eine sichere Einsicht, und doch ist Mehrheit der Stimmen kein Beweis, der etwas gilt, wenn es sich um Wahrheiten handelt, die nicht ganz leicht zu entdecken sind, denn es ist weit wahrscheinlicher, dass ein Mensch allein sie findet, als ein ganzes Volk. Darum vermochte ich keinen zu wählen, dessen Meinungen mir besser als die der anderen erschienen wären. Und so fand ich mich gleichsam gezwungen, selbst meine Führung zu übernehmen.

Aber wie ein Mensch, der allein und im Dunkeln fortschreitet, entschloss ich mich, so langsam zu gehen und in allen Dingen so viele Vorsicht zu brauchen, dass, wenn ich auch nur sehr wenig vorwärtskäme, ich doch wenigstens nicht Gefahr laufen würde zu fallen. Auch wollte ich nicht damit anfangen, alle Meinungen, die sich einmal in meinen Glauben eingeschlichen hatten, ohne durch die Vernunft eingeführt zu sein, vollständig aufzugeben, ohne dass ich vorher hinreichende Zeit darauf verwendet hätte, den Entwurf des Werks, das ich unternahm, auszubilden, und die wahre Methode zu suchen, um zu der Erkenntnis aller Dinge zu gelangen, die mein Geist fassen könnte.

Ich hatte, als ich jünger war, unter den philosophischen Wissenschaften mich etwas mit der Logik und unter den mathematischen mit der analytischen Geometrie und Algebra beschäftigt: drei Künste oder Wissenschaften, die mir, wie es schien, für meinen Zweck nützlich sein konnten. Bei näherer Untersuchung aber machte ich in Betreff der Logik die Bemerkung, dass ihre Syllogismen und der größte Teil ihrer anderen Unterweisungen vielmehr dazu diene, Andern was man weiß zu entwickeln oder auch, wie die lullische Kunst, ohne Urteil über Dinge, die man nicht weiß, zu reden, als sie zu lernen, und obwohl die Logit wirklich viele sehr wahre und gute Vorschriften enthält, so sind doch so viele andere schädliche oder überflüssige damit vermischt, dass es fast ebenso schwierig ist, jene davon abzusondern, als eine