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Bahn frei für Ricki und Rosa Ausgerechnet mitten im Schuljahr zieht die Familie um, und Ricki und seine ältere Schwester Rosa müssen sich an die fremde Umgebung und die neuen Mitschüler gewöhnen. Blöderweise freundet sich Rosa mit Beule an, einem der Jungs aus ihrer Klasse, der Ricki erst einmal eine reinhauen wollte. Aber Rickis neue Freunde stehen ihm bei. Und dann ist da noch Leonie Himbeer in seiner Klasse. Mann, ist die süß. Wunderschön erzählte Alltagsgeschichten für kleine Leser und Leserinnen.
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Seitenzahl: 159
Dagmar Chidolue
Ricki, Rosa und das große Drunter und Drüber
(1. Band)
Susanne Göhlich
Fischer e-books
Von nächster Woche an wird alles anders. Ricki zieht nämlich um. Nicht er alleine! Nein, die ganze Familie zieht in das neue Stadtviertel.
Das Wohngebiet, in dem das neue Zuhause von Ricki sein wird, ist ein bisschen ruhiger und grüner als die Gegend, in der er jetzt noch wohnt. Ricki kennt das Viertel nur von abendlichen Besuchen her. Wenn Papa und Mama sehen wollten, wie weit die Umbauarbeiten in der neuen Wohnung fortgeschritten sind. Das ist nämlich das Komische daran: Das Haus ist alt, aber die Wohnung wird nigelnagelneu sein. Alles, was innen alt war, also vielleicht zwanzig Jahre oder fünfzig oder hundert Jahre, wurde rausgeschmissen. Da hatte sich vielleicht ein Haufen Müll vor dem Haus angesammelt! Und eine Riesenfuhre Schutt.
Eigentlich wollte die Familie schon längst in die neue Wohnung eingezogen sein. Aber die Handwerker wurden nicht bis zum Ende der Sommerferien fertig. Jetzt wird er mitten im Schuljahr die Schule wechseln müssen. Na ja, die zweite Klasse hat vor kurzem angefangen, also … vor zwei Monaten. Aber wenn die Kinder in der neuen Schule bereits das Einmaleins mit 6 gelernt haben? Ricki ist doch gerade erst beim 4er-Einmaleins angekommen.
»Hast du Angst davor?«, hat Papa ihn vorhin noch gefragt.
Ricki wollte schon nicken, aber dann hat Papa gemeint: »Du brauchst keine Angst zu haben. Vor nichts und niemandem. Verstanden?«
Da hat Ricki genickt und dann doch noch schnell nachgehakt: »Auch nicht vor Rosa?«
»Auch nicht vor Rosa!«, hat Papa geantwortet.
Er hat es so laut gesagt, dass Rickis große Schwester es gar nicht überhören konnte.
Ricki hat keine Angst vor Rosa! Hah! Denn eigentlich ist sie nicht viel älter als er. Sie behauptet, sie sei zwei Jahre älter, aber das stimmt nicht. Drei Monate im Jahr ist sie nur ein Jahr älter als Ricki. Deshalb braucht sie sich gar nicht so viel einzubilden. Und in der Schule ist sie sowieso nur ein Jahr über ihm. Sie geht jetzt in die dritte Klasse, und wahrscheinlich machen die da in Mathe auch noch das kleine Einmaleins. Oder das mittelgroße.
Heute hat Mama beide Kinder für einen Tag vom Unterricht befreit. Sie fahren jetzt nämlich zur neuen Schule. Wegen der Anmeldung!
Rickis Herz klopft ein wenig. Aber dann fallen ihm Papas Worte ein. Dass er nämlich vor nichts Angst zu haben braucht. Das beruhigt ihn ein wenig.
Er und Rosa sitzen hinten in der Karre, die Mama extra einmal um den kleinen Dreiecksplatz kutschiert, an dem das neue Haus steht. Ricki nennt das Auto Karre, weil Mama das manchmal so sagt.
Der Dreiecksplatz ist mit hohen Bäumen bewachsen und viel wucherndem Gestrüpp. Und mittendrin, auf der freien Fläche, befindet sich ein Spielplatz. Für den Sandkasten ist Ricki natürlich viel zu groß, aber das Klettergerüst sieht klasse aus. Und die große Rutsche ist wahrscheinlich auch noch was für ihn.
Als Mama die Extrarunde um den Platz dreht, können sie noch einen Blick auf das Haus werfen. Es ist gelb angestrichen und hat drei Etagen. Ricki und seine Familie werden die Wohnung im ersten Stock beziehen.
Nach vorne zum Platz raus sind die Fenster bodentief und haben kleine schwarzgestrichene Geländer.
»Ich glaube, man nennt das französische Fenster«, vermutet Mama. »Aber ganz sicher bin ich nicht.«
»Vielleicht heißen sie auch pekinesische Fenster«, sagt Ricki.
»Du bist doch selber so ein Pekinese«, meckert Rosa ihn gleich an. »Ein Pekinese mit spitzen Ohren.«
Scheibenkleister!
Er weiß, dass er das Wort nicht sagen soll. Obwohl es seiner Oma manchmal rausrutscht, aber dann sagt Mama immer: »Oma, denk an die Kinder!« Scheibenkleister ist nämlich ein anderer Ausdruck für das schlimme Sch…Wort. Deshalb denkt Ricki es lieber nur.
»Lass mich in Ruhe!«, zischt er.
Aber Rosa hört nicht auf. »Ricki Spitzohr, Ricki Spitzohr!«
Ja, ja, ja, er weiß doch, dass er ganz besondere Ohren hat. Dafür kann er nichts. Die hat er von seinem Ur-Ur-Großvater Richard geerbt. Von dem gibt es ein Foto. Als Rosa das mal sah, hat sie gleich einen Schreikrampf bekommen, die dumme Nuss.
Aber Ricki mag seine Ohren. Erstens hat er sich seit sieben Jahren an sie gewöhnt. Und zweitens sind sie antik. Alles, was vor hundert Jahren entstanden ist, nennt man antik. Was antik ist, ist kostbar.
Das Bild vom Ur-Ur-Großvater ist hundertundzwölf Jahre alt und wird jedes Jahr um ein Jahr antiker und Rickis Spitzohren somit immer kostbarer. Genau.
In ihre neue Wohnung gehen sie heute nicht. Der Fußboden wird verlegt. Darauf darf man noch nicht rumtrampeln, und der Umzug findet erst Ende der Woche statt.
Mama fährt also an der roten Felsenkirche vorbei, über den Grünanlagen-Ring direkt zur Schule. Die ist nur einen Katzensprung von der Wohnung entfernt.
»Kannst du dir das merken, Hasilein?«, fragt Mama.
Nee, auf Hasilein hört er schon mal gar nicht.
»Ricki?«
Ja, ja.
»Rosa? Und was ist mit dir?«
»Pfff«, macht Rickis Schwester.
Wahrscheinlich werden sie beide sogar gemeinsam zur Schule marschieren.
Nebeneinanderher?
Auf keinen Fall!
Sobald sie außer Sichtweite von Mama sind, laufen sie nur hintereinander her. Aber mit Abstand!
Jetzt müssen sie jedenfalls gemeinsam die neue Schule betreten. Die Glocken der Felsenkirche schlagen in diesem Moment gerade zehn Mal. Rickis dummes Herz fängt im Rhythmus der Glockenschläge schon wieder heftig an zu pochen.
Da vorne ist das Sekretariat. Und von dort aus geht es direkt ins Zimmer der Rektorin. Sie sollen schon mal Platz nehmen.
»Einen Moment«, sagt die Rektorin und rennt hin und her, raus aus dem Zimmer, rein ins Zimmer. »Einen Moment noch.«
Puh, das ist ja fast wie beim Zahnarzt im Wartezimmer. Die Stühle sehen auch so aus. Es sind solche ohne Füße, dafür mit Schlittenkufen. Wenigstens haben sie Lehnen, an denen man sich festhalten kann, wenn man mit den Beinen schaukeln muss. Aber die Kufen unter den Lehnstühlen sind nicht ebenerdig, sie machen ein Klickerklacker-Geräusch.
»Ricki«, mahnt Mama.
Er lässt sich vom Stuhl rutschen und auf die Erde gleiten.
»Ricki!«
Mann, er muss doch mal nachgucken, warum der Stuhl immer so klickerklackert.
Aha!
Ein Filzklebe-Ding fehlt unter einer Schlittenkufe. Kein Wunder, dass der Stuhl bei jeder Bewegung ruckelt und klickert.
In diesem Moment rauscht die Rektorin wieder ins Zimmer und widmet sich nun ihnen.
»Aha«, sagt sie zu Mama. »Wir hatten miteinander telefoniert. Ich bin Frau Brüderle.«
Was für ein netter Name! Den wird sich Ricki ja leicht merken können!
Frau Brüderle gibt Mama und Rosa die Hand. Dann wendet sie sich Ricki zu, der immer noch unten am Boden liegt. Er hatte noch keine Zeit, sich aufzurichten.
»Spielst du da unten was Schönes?«, fragt die Rektorin.
Denkt sie etwa, dass er noch ein Kindergartenkind ist? Er weiß doch, dass man sich nicht einfach irgendwo zum Spielen niederlassen soll. Ist das jetzt etwa ein Test? Überlegt sie vielleicht, ob er überhaupt geeignet ist, in die Schule aufgenommen zu werden?
Er rappelt sich auf. »Der Stuhl ist kaputt«, sagt er grimmig. »Da fehlt ein Klebedingsbums. Hast du so was in der Schublade?«
Hups! Jetzt hat er die Rektorin auch noch geduzt. Das tut man nicht! Das weiß er doch auch schon.
Er beginnt von vorne. »Haben Sie vielleicht so ein … so ein …«
Frau Brüderle hilft ihm: »Ob ich so ein Dingsbums habe?«
Sie zieht die Luft heftig durch die Zähne. Da weiß er gleich, dass sie kein Dingsbums hat.
Und so ist es auch. Frau Brüderle entschuldigt sich.
»Ich sitze nie auf dem Stuhl«, sagt sie. »Das ist der Besucherplatz. Aber ich werde unserem Hausmeister sofort Bescheid geben. Und du … du bist ja wohl ein kleiner Handwerker, nicht wahr?«
Dazu sagt er mal nichts. Und auf das Wort klein hätte sie ja gut verzichten können. Obwohl sie ziemlich nett zu sein scheint.
Aber jetzt wird es ernst.
Mama erklärt der Rektorin, warum sie gekommen sind.
»Zunächst geht es um Rosalie«, beginnt sie.
Rickis Schwester muss sich natürlich gleich einmischen. »Genannt Rosa«, sagt sie ziemlich patzig.
»Gut, Rosa.« Frau Brüderle nickt. »Und dein Bruder heißt …«
»Richard«, antwortet Mama schnell, bevor Rosa noch was Blödes rausrutscht.
»Genannt Ricki«, sagt er.
Richard steht ja nur auf dem Papier. In der wirklichen Wirklichkeit ist er Ricki. Und sonst nichts! Er schaut seine Schwester mit giftigen Augen an. Sie soll bloß nicht wagen, mit der Spitzohr-Geschichte anzukommen.
Na ja, noch benimmt sie sich wenigstens.
Mama erklärt der Rektorin, woher Ricki und Rosa ihre Namen haben. Die sind nämlich auch schon antik.
»Also …«, beginnt sie. »Wir haben beide Kinder nach unseren Vorfahren genannt. Rosalie hieß die Ur-Ur-Großmutter von einer Seite …«
»Ro-sa-liiiii«, unterbricht Rickis Schwester.
Mama sagt nämlich immer Ro-sal-je. »Und Richard ist der Ur-Ur-Großvater von der anderen Seite«, fährt sie ungerührt fort.
Ja, ja, das ist der mit den Ohren, und hoffentlich fängt jetzt nicht Mama mit dieser Sache an. Oder Rosa platzt doch noch damit heraus. Sie holt bereits Luft.
»Von dem …«, will sie schon loslegen.
Aber Frau Brüderle fährt ihr dazwischen. Und die hat hier das Sagen!
»Das mit den Namen der Vorfahren ist doch eine hübsche Idee«, kommentiert sie, und der Schwester wird das Wort abgeschnitten. »Und soll Ricki denn nun in die erste Klasse kommen?«
Um Himmels willen!
»Ich bin schon in der Zweiten!«, empört er sich. »Ich kann schon das 4er-Einmaleins.«
»Entschuldigung«, sagt die Rektorin. »Und würde dir denn das Einmaleins mit 6 Schwierigkeiten machen?«
Ach, du Schreck. So was hat er sich ja fast gedacht.
»Ich wupp das schon«, sagt er trotzdem.
»Das denke ich«, sagt Frau Brüderle.
Sie ist nett!
Und mit Mamas und Papas Hilfe wird er doch wohl jedes Einmaleins schaffen.
»Und Rosa … wie viel älter ist sie?«
Ricki und seine Schwester antworten wie aus einem Mund.
Sie sagt: »Zwei Jahre.«
Er sagt: »Ein Jahr.«
Mama stellt die Sache klar. »Rosa ist ein Jahr und neun Monate älter als ihr Bruder.«
Mama ist auch nett. Sie sagt nicht: »… als ihr kleiner Bruder.«
»Jedenfalls bin ich in der dritten Klasse«, sagt Rosa.
»Hmhm«, macht die Rektorin. »Hmhmhmhmhm.« Sie blättert in ihren Papieren auf dem Schreibtisch.
»Ich habe selber eine zweite Klasse«, sagt sie. »Hmhmhmhmhm.«
Ricki findet das schon mal gut. Frau Brüderle ist in Ordnung. Er würde gerne in ihre Zweite kommen.
»Aber ich kann Ricki nicht in meine Klasse setzen«, sagt sie da.
Mann, warum denn nicht?
»Ich wohne nämlich ganz in eurer Nähe«, meint sie. »Soweit ich das den Unterlagen entnehmen kann. Und dann mache ich es aus Prinzip nicht, dass ich ein Kind aus der Nachbarschaft in meiner Klasse unterbringe.«
»Mach doch mal eine Ausnahme«, sagt Ricki und verbessert sich sofort: »Machen Sie doch mal eine Ausnahme.« Und dann fügt er noch »bitte« hinzu. Das hätte er ja fast vergessen.
Aber das Zauberwort hilft heute nicht.
Die Rektorin lacht dennoch. »Ich finde es prima, dass du dich zu mir trauen würdest. Aber ich denke … ich denke …« Sie wühlt immer noch in ihren Unterlagen. »Ich denke … dich stecke ich zu Frau Perez in die Klasse.« Sie zeigt auf ein Fotoplakat an der Wand. »Da sind alle Lehrer abgebildet. Und Rosa kommt in die Klasse von Herrn Augsburger.«
Jetzt springen beide gleichzeitig auf, Ricki und Rosa, und rennen hinüber, um sich die Lehrer anzuschauen. Rosa stellt sich mitten davor, und Ricki muss schubsen, um sich Platz zu verschaffen. Er hat nämlich vor nichts und niemandem Angst!
»Mann!«, schnauft seine Schwester.
Ja, schnauf du nur! So richtig garstig darf sie ja in Anwesenheit von Frau Brüderle nicht werden. Was würde das für einen Eindruck machen!
Mama stöhnt zum Glück nur. »Kinder, Kinder.«
Rickis zukünftige Lehrerin Frau Perez gefällt ihm. Sie ist nicht alt. Das ist schon mal gut. Und sie hat große, dunkle Murmelaugen. Schön!
»Kuhaugen«, flüstert Rosa ihrem Bruder zu.
Gar nicht wahr!
Rosa zeigt mit dem Finger auf Herrn Augsburger. »Mein Lehrer sieht aber toll aus. Wie Tommy Cadle.«
Tommy Cadle aus DeSpray Bay?
»Dass ich nicht lache!«, sagt Ricki, der manchmal die Fernsehsendung mitschaut. »Er sieht aus wie Coco, der Affe.«
»Immer noch besser als Ricki, das Spitzohr!«
Scheibenkleister!
Am Freitag dieser Woche wird umgezogen.
Mann, ist das aufregend. Schon die ganze Woche über ist das Leben auf den Kopf gestellt.
Papa packt abends die Bücher ein, die Musikanlage, den Kabelsalat und die Schreibtischlampe. Mama ist für den Krimskrams zuständig. Das ist zum Beispiel das Geschirr, die Werkzeugschublade und die Klamotten.
Ricki und Rosa sollen ihre Sachen selber einpacken. Im Flur liegen stapelweise Umzugskartons. Und das auch noch am Freitag, bevor die Umzugsleute kommen!
Ricki braucht Stunden allein bei dem Versuch, so einen Karton aufzubauen. Erstens muss er ja die aufgedruckte Anleitung lesen, und zweitens klappt es trotzdem nicht. Der Boden von der Umzugskiste lässt sich nicht richtig zusammenstecken. Ricki kommt ja nicht mal dran, weil der Karton eigentlich auf dem Kopf liegen soll. Oder muss Ricki jetzt in den Karton reinkriechen? Oder wie oder was?
»Mama!«
»Ich kann dir jetzt nicht helfen, Hasilein«, sagt Mama. Sie steht auf der höchsten Stufe vom Küchentritt, um die Vorratsdosen und die Nudelpackungen und das Wiener-Würstchen-Reserveglas von den obersten Regalen herauszuholen.
Sind auf den Dosen, Gläsern und Cellophantüten etwa auch Betriebsanleitungen zu lesen? Mama studiert die Aufschriften jedenfalls sehr gründlich. Die Hälfte von dem Vorrat wirft sie in den Müll, peng, peng.
Verseucht?
Vergiftet?
»Datum abgelaufen«, sagt sie. »Es hat doch sein Gutes, dass man hin und wieder umzieht. Dann schaut man wenigstens alles mal so richtig durch.«
Aber muss man deswegen umziehen?
Nein, sie ziehen um, damit Ricki und Rosa endlich ihre eigenen Zimmer bekommen. Es wurde auch Zeit.
Ricki und Rosa sind völlig verschieden. Aber total!
Rosa ist affig und vorlaut und egoistisch und nervig und vor allen Dingen besserwisserisch. Also einfach blöd. Meint Ricki.
Und was sagt Rosa? Sie findet, dass ihr Bruder affig ist und vorlaut und egoistisch und nervig und vor allen Dingen sich nichts sagen lässt. Also einfach blöd.
Es hört sich so an, als ob alles bei den beiden zusammenpassen würde.
Aber nichts passt zusammen. Sie sind nämlich wie Katz und Maus.
Und jetzt soll Rosa ihm auch noch bei den Kartons helfen!
»Hat Mama gesagt!«
»Hat Mama gesagt«, äfft Rosa ihren Bruder nach. Sie stöhnt, was das Zeug hält, aber sie muss ran. Hat Mama gesagt!
Ricki schaut Rosa genau auf die Finger. Wie sie das mit den Faltkartons schafft. Na ja, zugegeben … sie hat den Bogen raus, knallt die Kiste auf den Kopf, rucki, zucki, schiebt die Laschen ineinander, rucki, zucki …
»Ach so geht das!«
»Ja, Ricki Spitzohr, so geht das!«
Wenn sie das so gut kann, dann soll die Schwester gleich noch ein paar Umzugskisten mehr für ihn bereitstellen.
»Was krieg ich dafür?«
Mal überlegen.
»Den orangenen Stift?«
»Der bricht doch immer ab, nee, danke.«
»Meinen Radiergummi mit Bob, der Baumeister, drauf?«
»Der ist doch hart wie eingefrorene Hundekacke.«
»Rosa!«, ruft Mama. »Das will ich nicht gehört haben! Und du hilfst jetzt deinem Bruder ohne Wenn und Aber. Du solltest eigentlich schon vernünftig sein. Du bist zwei Jahre älter.«
»Ein Jahr!«, rufen nun Ricki und Rosa wie aus einem Mund.
Ach, sieh mal an, da sind sie sich plötzlich einig.
Auch als Rickis Umzugskisten schließlich aufgestellt sind, kommt er nicht voran. Was er da alles in seinen Schubladen findet!
Zuerst einen Baby-Stoppersocken.
Huch! Er kann sich gar nicht daran erinnern, dass er den mal getragen hat.
Dann den bunten Brummkreisel mit der Wuhuuu-Melodie. Den hat Ricki ja schon ewig nicht gesehen!
Was noch?
Drei Hornknöpfe, die als Ersatz für die Räder vom Feuerwehrauto dienen sollten. Hat aber nicht geklappt. Das weiß Ricki noch ganz genau. Und dann diese lila Mütze mit dem Pompon dran, die er nie aufsetzen wollte. Lila! Lila kommt gar nicht in Frage! Hat bestimmt mal Rosa gehört, und er sollte sie dann erben.
Papa steckt seinen Kopf ins Zimmer. »Und? Wie weit bist du?«
Ach, Papa, die leeren Kartons gähnen Ricki immer noch wie mit offenem Mund an.
»Rosa! Kannst du deinem Bruder nicht mal helfen?«
Nein! Ricki will das gar nicht.
Scheibenkleister!
Mama und Papa helfen sich jetzt gegenseitig. Papa steht auf der Leiter und schraubt die Leuchten ab, und Mama steht unten und nimmt die Lampenschirme entgegen. Außerdem passt sie auf, dass Papa nicht von der Leiter fällt.
Und was ist mit Rickis Umzugskisten?
Ruck, zuck hat Mama alles eingepackt.
»Das kannst du aber gut«, sagt Ricki. »Hast du richtig klasse gemacht, Mama.«
»Ach, Ricki«, seufzt sie und überprüft schnell, ob bei Rosa auch alles in Ordnung ist.
Na?
»Alles okay«, sagt Mama und seufzt noch einmal, jetzt aber vor Erleichterung.
»Und was krieg ich dafür?«, fragt die Schwester.
»Mach mich bloß nicht verrückt«, sagt Mama. »Ich bin sowieso mit meinen Nerven am Ende.«
Papa nimmt Mama in den Arm. »Wir haben es doch schon geschafft«, meint er und schaut auf die Uhr. »Die Männer von der Spedition kommen erst in einer halben Stunde.«
Also können sie sich noch ein Weilchen auf die kreuz und quer stehenden Stühle setzen und Bizzlwasser trinken. Direkt aus der Flasche, rülps, rülps.
»Ricki!«
Jaaa, macht doch aber Spaß.
Mann, sieht die Wohnung jetzt bescheuert aus. Dass man in so was leben konnte!
»In der neuen Wohnung wird das zuerst auch nicht anders sein«, meint Papa. »Bis alles ausgepackt ist … bis die Bilder an den Wänden hängen …«
»Bis Ricki sein Zeug in seinem Schrank verstaut hat …«, sagt Rosa, grinst dämlich und fährt fort: »Bis Ricki weiß, wo der Nachttopf steht …«
»Rosa!«
Jetzt müsste Ricki was Gutes einfallen, damit er es der Schwester heimzahlen kann. »Bis Rosa endlich mal ihren Schnabel hält …«, sagt er.
»Schluss!«, sagt Papa. »Jetzt ist Schluss!«
Mama will ablenken. Sie gibt noch ein paar Anweisungen.
»Also …«, beginnt sie. »Wenn wir im neuen Haus anderen Leuten begegnen, dann stellen wir uns höflich vor und sagen, dass wir jetzt die Familie aus dem ersten Stock sind.«
In Ordnung, Mama.
Und bevor sie noch Weiteres ausführen kann, klingelt es, und die Umzugsleute stehen vor der Tür. Einer ist der Bestimmer, nämlich Harry, und die anderen Kerle tun, was er sagt. Und alle haben große Arbeitshandschuhe aus Leder an, die aussehen wie Bärenpfoten.
Harry bestimmt, wo links und wo rechts ist und was zuerst und was zum Schluss angepackt wird. »Aber zack, zack, Leute!«
Und wie Harrys Leute spuren! Davon könnten sich Rosa und Ricki eigentlich eine Scheibe abschneiden! Allerdings … Harrys Leute kriegen ja Geld dafür.
Und dann ist die Wohnung auch schon leer geräumt. Sieht aus, als ob hier nie jemand gewohnt hätte. Das ist schon komisch, aber dann fällt Ricki ein, dass ja alle seine Erinnerungen in den Umzugskartons stecken. Wenn er die ausgepackt hat und das große Drunter und Drüber irgendwann einmal beendet ist, wird sein Leben wieder komplett sein.
Na, hoffentlich.
Und was ist mit all seinen Klassenkameraden? Auf die Doofen kann er ja verzichten, aber was ist mit Olli, Valentin und der kleinen Lin?
Papa hat gemeint, er wird neue Freunde finden. Ja, aber was für welche?