RINALDO RINALDINI - André Kannstein - E-Book

RINALDO RINALDINI E-Book

André Kannstein

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Beschreibung

1798 erschien Christian August Vulpius' Roman über den Räuberhauptmann Rinaldo Rinaldini. Das Buch entwickelte sich schnell zu einem der ersten Bestseller, machte Goethe, den Schwager des Autors, eifersüchtig und wurde in viele Sprachen übersetzt. André Kannstein erzählt die Geschichte des italienischen Robin Hood auf neue Art als Märchenkomödie. Mithilfe seiner Räuberbande und dem Alten von Fronteja weist Rinaldo Rinaldini den Marchese Saltimbocca, einen Genussmenschen ohne Moral, in die Schranken. Das geht nicht ohne gekreuzte Degenklingen, Camouflage und List. Doch bei aller komödiantischer Kampfeslust dringen in die romantische Welt der Briganten zahlreiche Motive des Grimmschen Märchenschatzes. Und so entwickelt sich unter der Sonne Siziliens ein seltsames Geschehen, bei dem ein sprechender Spiegel fast das letzte Wort hätte…

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Seitenzahl: 80

Veröffentlichungsjahr: 2013

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Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Theatertexte finden Sie auf unserer Websitewww.kiepenheuer-medien.de

© 2013 Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH

Schweinfurthstraße 60, 14195 Berlin

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Sämtliche Rechte der öffentlichen Wiedergabe (u. a. Aufführungsrecht, Vortragsrecht, Recht der öffentlichen Zugänglichmachung und Senderecht) können ausschließlich von der Gustav Kiepenheuer Bühnenvertriebs-GmbH erworben werden und bedürfen der ausdrücklichen vorherigen schriftlichen Zustimmung. Nicht genehmigte Verwertungen verletzen das Urheberrecht und können zivilrechtliche und ggf. auch strafrechtliche Folgen nach sich ziehen.

ISBN978-3-8442-7823-1

Personen

Rinaldo Rinaldini, Räuberhauptmann

Nero, sein Stellvertreter

Tedesco, ein Deutscher unter Rinaldinis Räubern

Rosa, ein Bauernmädchen

Cnutus, ein Bär

Der Alte von Fronteja

Olympia, eine schöne Dame

Dianora, nicht minder schön

Marchese Saltimbocca, ein Genussmensch ohne Moral

Capitano, sein dumpfer Gehilfe

Spiegel

Marchesa

Isotta, Dianoras Mutter

Herold

Räuber, Soldaten, Volk

Ort: Sizilien

Zeit: Es war einmal…

ERSTER TEIL

1.

Fanfare

HEROLD Untertanen! Es wird gesucht wegen Hochverrats der schurkische Rinaldo Rinaldini, seines Zeichens Räuberhauptmann einer Schar gnadenloser Halsabschneider, Taschendiebe, Mörder und Teufelsknechte. Rinaldini, der die Kühnheit besaß, mir, dem Marchese Saltimbocca, die Feindschaft zu erklären, er soll fortan behandelt werden wie Freiwild zur besten Jagdzeit, wie der Ochse im Schlachthaus oder das Ei in der Pfanne. 100 Golddukaten sind jenem sicher, der mir des Räuberhauptmanns Kopf auf einer goldenen Schale – ich wiederhole: auf einer goldenen Schale! – bietet , 1000 Golddukaten aber jenem, der mir den Unhold lebendig liefert. Gezeichnet, der Marchese Saltimbocca

Fanfare

2.

Im Schloss des MarcheseSaltimbocca. Der Marchese und derCapitano

CAPITANO 100 Golddukaten für einen toten Rinaldo Rinaldini? Und 1000 für den lebendigen? Das verstehe ich nicht.

SALTIMBOCCA Weil du ein Dummbeutel bist, Capitano.

CAPITANO Erklärt es mir.

SALTIMBOCCA Niemand will nur 100 Golddukaten verdienen, wenn es 1000 sein könnten.

CAPITANO Das verstehe ich. Aber warum der große Unterschied?

SALTIMBOCCA Weil ich ihn lebend will. Schießt man ihm eine Kugel durch den Leib, so sind die 100 Golddukaten schnell verdient, ihn aber lebendig her zu schaffen, bedarf es größerer Anstrengungen.

CAPITANO Tot oder lebendig – das kann Euch doch egal sein.

SALTIMBOCCA Ist es aber nicht. Der Kerl hohnlacht mir. Er demütigt mich mit jeder seiner Räubertaten und nimmt von meinem Eigentum, das ich mit List und mühsamer Gedankenarbeit dem Volke abgerungen habe. Jeder Raub zwingt mich zur Erfindung einer neuen Steuer. Mir gehen die Ideen aus.

CAPITANO Stünde er vor mir, ich knallte ihn ab. So schnell verdiene ich sonst keine 100 Golddukaten.

SALTIMBOCCA Und bringst mir seinen Kopf auf einer goldenen Schale?

CAPITANO Einer goldenen Schale?

SALTIMBOCCA So ließ ich es ausrufen.

CAPITANO Eine goldene Schale besitze ich nicht.

SALTIMBOCCA Niemand außer mir besitzt in meinem Reich eine goldene Schale. Deshalb werde ich auch keine 100 Golddukaten zahlen müssen, wenn Rinaldinis Kopf vor meine Füße rollt.

CAPITANO Marchese, Ihr seid der Schlaueste unter Sizilien Sonne. Ihr wollt ihn also gar nicht tot, ihr wollt ihn lebendig?

SALTIMBOCCA Hast du es endlich begriffen?

CAPITANO Aber warum?

SALTIMBOCCA Weil ich allein darüber nachsinnen will, ob ich ihn drosseln, teeren, vierteilen, vergiften, portionieren, ertränken, tiefkühlen, rösten oder zu Tode kitzeln soll. Mein ist die Rache. Doch nun verschwinde! Sieh zu, dass meine Botschaft nicht nur auf unserem öden Marktplatz, sondern in ganz Sizilien verbreitet wird. Ruf sie vom Ätna in alle Windesrichtungen, damit ich diesem Rinaldini schon bald das Lichtlein auspusten kann.

CAPITANO Gestattet mir noch eine letzte Frage: Und wenn ich doch die 100 Golddukaten mit einer Kugel…?

SALTIMBOCCA Vergiss die Schale nicht!

CAPITANO Ach, ich vergaß… Die goldene Schale. Wie dumm von mir.

Capitanoab

SALTIMBOCCA Von Schwachköpfen bin ich umgeben. Ach, hätte ich doch ein wenig von der Zauberkraft, die mein seliger Vater sein eigen nennen konnte. Was waren das für Zeiten, da man als Magier und Gewaltherrscher sich seiner Feinde entledigen konnte und einen Esel besaß, der auf Befehl – ich sage nur „Bricklebrit!“- Dukaten scheißen konnten. War das ein herrliches Tyrannenleben! Ach, seliger Vater, ein kleines, ein klitzekleines Portiönchen deiner Zauberkraft, sie hätte mir gereicht, dem alten Esel das Leben zu verlängern. So bleibt mir nur dein Spiegel. überlegt Spiegel? Spiegel!

Ein Spiegelauf zwei Beinen läuft herein.

SALTIMBOCCA Mein allerliebster Spiegel!

SPIEGEL Was wollt Ihr, unersättlicher Lustgreis?

SALTIMBOCCA Sei nicht so grob zu mir. Zu Vater warst du sanfter.

SPIEGEL Was Ihr von mir wollt, habe ich gefragt – Weiberlecker!

SALTIMBOCCA Was rege ich mich auf, es ist nur ein Spiegel, ein Abglanz alter Zauberkraft. Nichts als ein Relikt bist du.

SPIEGEL Ich kann ja wieder gehen.

SALTIMBOCCA Du bleibst! Wir spielen das Spiel.

SPIEGEL Natürlich spielen wir das Spiel. Was sonst?

SALTIMBOCCA Sei still! Ich beginne.

SPIEGEL Aber gleich soll ich reden…

SALTIMBOCCA Spieglein, Spieglein an der Wand…

SPIEGEL Ich höre.

SALTIMBOCCA Spieglein, Spieglein an der Wand! Wer ist die Schönste im ganzen Land?

SPIEGEL Marchese, Ihr seid der Schönste im ganzen Land. Aber Rinaldo Rinaldini, hinter den Bergen, bei den sieben Zwergen…

SALTIMBOCCA Ich habe nicht „der Schönste“, ich habe „die Schönste“ gesagt.

SPIEGEL Auch ein Spiegel will seinen Spaß haben.

SALTIMBOCCA Der Spaß endet, wenn ein Spiegel und ein Nachttopf kollidieren.

SPIEGEL Meinen Scherben nützen Euch gar nichts.

SALTIMBOCCA Aber dir bringen sie auch kein Glück! Reiß dich zusammen! Das Spiel!

SPIEGEL Also gut.

SALTIMBOCCA Spieglein, Spieglein an der Wand! Wer ist die Schönste im ganzen Land?

SPIEGEL Nachdem Ihr Letizia in die Küche und Donatella in den Stall gesteckt habt, nachdem Stella ihr Leben ausgehaucht hat und Emilia in Euren Verliesen schmachtet, ist Olympia hinter den sieben Bergen, bei den sieben Zwergen –

SALTIMBOCCA Olympia? Nie gehört.

SPIEGEL Ist Olympia die Schönste im ganzen Land.

SALTIMBOCCA Der Name klingt komisch.

SPIEGEL Eurer auch.

SALTIMBOCCA Was klingt an Saltimbocca komisch?

SPIEGEL Das Saltimbocca.

SALTIMBOCCA Olympia – das klingt nach Sport und Spiel. Nach Ausdauer und Leidenschaft. Nach Speerwurf und einem Schuss ins Schwarze. Olympia und Saltimbocca – das könnte eine Nummer werden. Spiegel! Schaff sie mir bei, diese Olympia!

3.

Blitz und Donner. In einer Kutsche.DieMarchesa,Olympia,Tedesco,Rinaldini

MARCHESA Welch ein Wetter, Signora Olympia! Wie gut, dass wir ein Dach über dem Kopf haben und diese beschwerliche Fahrt nicht unter Gottes freiem Himmel absolvieren müssen.

TEDESCOvor sich hin murmelnd Immerhin, mich wird umgeben, Gottes Himmel dort wie hier, und als Totenlampen schweben nachts die Sterne über mir.

RINALDINI So schwermütig, Tedesco?

TEDESCO Worte eines deutschen Dichters.

MARCHESA Deutschland, das Land der Dichter und Denker. Aber das Wetter. Es soll dort ja immerzu regnen.

OLYMPIAironisch Wie gut, dass wir auf Sizilien sind.

RINALDINI Gönnt auch unserer Vegetation ein wenig Regen, Signora Olympia. Schon morgen wird die Sonne wieder unerbittlich scheinen.

OLYMPIA Seid Ihr ein Wetterfrosch, Graf Altaverde?

RINALDINI Ich versuche, Konversation zu betreiben.

OLYMPIA Das unterscheidet Euch in der Tat von einem Frosch.

RINALDINI Dabei schätze ich diese Tiere. Sie haben sich ihrer Umwelt bestens angepasst und liegen lauernd am Ufer, um im richtigen Moment eine Fliege zu erhaschen.

OLYMPIA Wie ein Räuber.

RINALDINI Raub ist im Tierreich nichts Ungewöhnliches.

MARCHESA Auch auf Sizilien ist es nichts Ungewöhnliches. In Neapel sagte mir die Marchesa Mondamini: Hüte dich vor Rinaldo Rinaldini, wenn du nach Sizilien reist! Er ist der Klügste unter den Räubern.

OLYMPIA Und der Schönste, wie es heißt.

RINALDINI Das klingt, als könnte es ein Abenteuer sein, sich von Rinaldini ausrauben zu lassen.

MARCHESA Allemal. Für ein Erlebnis, von dem man noch seinen Enkeln erzählen kann, sollte man sich nie zu schade sein.

RINALDINI Aber schade wäre es doch um den wertvollen Schmuck der Marchesa?

MARCHESA Sie meinen dieses Halsband? Diesen Ring? Billiger Tand. Wertloser Glitzerkram. Meine wahren Schätze trage ich an sicherer Stelle. Sie greift in ihr Dekolleté und holt einen kleinen Beutel hervor. Hier sind die Steine, mit denen ich mich beim Marchese Saltimbocca schmücken werde.

RINALDINI Sie reisen zum Marchese? Es heißt, er feiere hinreißende Feste.

MARCHESA Es sind die galantesten, die ich kenne.

OLYMPIA Darf ich? Sie nimmt den Schmuck aus dem Beutel und betrachtet ihn. Exquisit. So wundervoll geschliffene Rubine und Topase habe ich nur in Königshäusern gesehen.

MARCHESAgeschmeichelt Mein verstorbener Gatte hat sich nicht lumpen lassen. Er wünschte eine glanzvolle Person an seiner Seite und ich habe mich aufputzen lassen. Sie nimmt den Schmuck wieder an sich und bringt den Beutel zurück an den sicheren Ort.

TEDESCO Der sicherste Reichtum ist die Armut an Bedürfnissen.

MARCHESA Wie meinen?

TEDESCO Worte eines deutschen Dichters.

MARCHESAzuRinaldini Ihr Page hat es mit den Deutschen.

RINALDINI Er ist Deutscher.

MARCHESA Dafür spricht er ein gutes Italienisch.

TEDESCO Grazie, Signora Marchesa, grazie mille. Wir Deutschen lieben das Land, in dem die Zitronen blühen und so zog es auch mich vom Greifswalder Bodden über die Alpen ins Land der Glückseligen. Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein.

OLYMPIA Nun wird es mir ein wenig zu viel der deutschen Dichtung. Wohin reist Ihr, Graf Altaverde?

RINALDINI Mich führen Geschäfte nach Messina.

OLYMPIA So teilen wir denselben Weg. Auch ich will nach Messina.

RINALDINI Es ist mir ein Vergnügen, die Signora Olympia bis in die Stadt des berühmten Maestro Antonello zu begleiten.

Räuber nähern sich der Kutsche. Das Unwetter meldet sich kraftvoll zurück.

TedescozupftRinaldiniam Ärmel.

RINALDINI Was ist, Tedesco? Schreckt dich der Donner?

TEDESCO Eher sind es menschliche Dinge, die da draußen vor sich gehen. Schaut hinaus, Graf!

Die Kutsche wird von den Räubern angehalten.

NERO Halt! Aussteigen!

RINALDINI Wer seid Ihr? Was wollt Ihr?

NERO Wer wir sind, geht euch nichts an. Was wir wollen, ist schnell gesagt. Heraus mit Geld und Schmuck!

RINALDINI Und wenn wir nichts dergleichen haben?

NERO Das glaubt Euch kein anständiger Räuber.

RINALDINI Und wenn es doch so ist?

NERO Dann kostet es Euch den Kragen.

MARCHESA