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Wenn das Abenteuer ruft, muss man ihm folgen. Genau das machen Rippedipp, Toffles und Louise. Gemeinsam machen sich der kleine Junge, der Hund und die Prinzessin auf, um den furchtbarsten Drachen der Welt zu fotografieren. Lass dich entführen in eine fantasievolle Welt voller Abenteuer, toller Freundschaften und unheimlicher Gestalten.
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Seitenzahl: 215
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Für David und alle Truttmänner, die noch kommen.
1 - Das Abenteuer beginnt
2 - Aufbruch
3 - Neue Freunde
4 - Viele Sorgen
5 - Dr. Knorr’s Refugium
6 - Aufruhr
7 - Endlich geht die Reise weiter
8 - In der Hütte am Nordpol
9 - Die Eltern sind unterwegs
10 - Das echte Abenteuer beginnt
11 - Königlicher Besuch
12 - Im Schneesturm
13 - In der Höhle des Eisdrachen
14 - Die Geschichte des Eisdrachen
15 - Endlich wieder Freunde
16 - Alles hat ein Ende
Es war einmal ein kleiner Junge, der hieß Rippedipp. Er lebte zusammen mit seinen Eltern in einer in großen Stadt in einem ebenfalls großen, schönen Haus mit einem Garten und einer hohen Steinmauer rundherum. Dank dieser Mauer konnte Rippedipp den ganzen Tag draußen spielen, ohne dass Mama und Papa Angst um ihn haben mussten. Und, das fand Rippedipp noch viel besser, ohne dass ihn jemand bei seinen Spielen beobachten, geschweige denn stören könnte. Rippedipp hatte keine Geschwister, dafür aber einen Hund. Der hieß Toffles und spielte genauso gerne im Garten wie Rippedipp selbst. Die beiden lebten darin wie in einem Paradies und waren die besten Freunde.
Es war nicht ungewöhnlich, dass Kinder Tiere als beste Freunde hatten, denn damals konnten sich Menschen und Tiere manchmal noch verstehen, weil auch die Tiere sprechen konnten. Was Toffles (und die anderen Tiere) aber sagten, konnte nur verstehen, wer ihm wirklich zuhörte und auch hören wollte, was er als Hund zu sagen hatte. Da aber die meisten Erwachsenen kein Gehör für einen kleinen, braunen Hund hatten, verstand meist nur Rippedipp, was Toffles ihm erzählte. Das war aber auch noch ganz praktisch, denn so konnten sie viele Geheimnisse miteinander teilen, ohne dass sich je ein Großer darum gekümmert hätte.
Leider hatte Rippedipp seit fast einem Jahr aber nicht mehr so viel Zeit, um mit Toffles im Garten zu spielen, Abenteuer auszuhecken und Schätze zu suchen. Denn Rippedipp ging seit letztem Sommer in die Schule. Dort lernte er viel, aber wenn er ehrlich war, hätte er oft lieber gespielt, als auf der Schulbank der strengen Lehrerin zuzuhören. Aber sein Papa hatte ihm eingebläut, in der Schule immer artig zu sein. „Du wirst viel entdecken, wenn du ganz genau zuhörst“, hatte er ihm am Abend vor dem ersten Schultag gesagt, als Rippedipp vor Nervosität nicht einschlafen konnte. „Aber denk daran: Glaube nicht alles einfach so, was du hörst. Du musst auch selbst denken. Denn dafür hast du deinen Kopf. - nicht nur zum Schönsein.“ Mit diesen Worten strich Papa Rippedipp liebevoll über die Haare und lachte herzhaft.
Rippedipps Papa war ein großer und starker Mann, oder zumindest kam es Rippedipp so vor, denn welcher Erwachsene ist in Kinderaugen nicht groß? Aber er hatte schon recht, Papa war ziemlich groß. Er arbeitete in einem Büro und was genau er tat, konnte Rippedipp nicht sagen. Er wusste nur, dass Papa viel mit Magiern zu tun hatte. In der Zeit, in der diese Geschichte spielt, gab es nämlich noch viel mehr Zauberer, Feen, Hexen und andere magische Wesen als heute, und sie waren noch nicht zu schüchtern, um sich den Menschen zu zeigen. Deshalb lebten sie meist wie ganz gewöhnliche Leute in den Städten. Das können wir uns heute gar nicht mehr vorstellen, und wahrscheinlich hätten wir heutigen Menschen sogar Angst vor so vielen Wunderwesen. D
Da Papa ganz viel von seinen Kunden erzählte, und auch manchmal Zauberer und auch schon einmal eine Fee zum Abendessen bei ihm zu Hause waren, kannte Rippedipp praktisch keine Scheu vor allem Magischen. Selbst zaubern konnte er aber leider nicht. Papa hatte ihm zwar einen Zauberkasten geschenkt – natürlich nur mit so Tricks, die ganz ohne Magie gelingen – aber so richtig klappen wollten Rippedipp auch diese nicht. Und eigentlich spielte er ja auch lieber Entdecker und Abenteurer mit Toffles. Er las alles, was mit den großen Entdeckungen fremder Länder zu tun hatte, mit den großen, ungelösten Rätseln und Ungeheuern dieser Erde.
Dies war auch der Grund, warum Rippedipp in der Woche vor seinen ersten Sommerferien seine Ohren besonders spitzte, als seine Lehrerin im Geografieunterricht einen großen Bogen um die weiße Insel ganz oben auf der Landkarte machte. Nicht, dass sie etwas gesagt hätte, fiel Rippedipp auf, sondern dass sie eben überhaupt nichts zum großen Flecken Land sagte, als ihr Holzstock schnell darüber fuhr, um woanders hinzuzeigen. „Da muss etwas sein“, dachte Rippedipp. „Denn sonst erzählt sie uns zur kleinsten Insel am hintersten Zipfel der Landkarte irgendeine Geschichte.“ Und ehe er sich’s versah, streckte er auch schon seinen Arm in die Luft und fragte, kaum rief die Lehrerin seinen Namen: „Und was genau ist auf dem weißen Land oben in der Mitte?“
Die Lehrerin sah Rippedipp mit gerunzelter Stirn an. Er konnte sehen, dass sie nachdachte, und wunderte sich, ob die Lehrerin vielleicht gar nicht wusste, welches Land das war, und was es dort alles gab. Doch er irrte sich. Natürlich wusste sie, wie das Land hieß, und auch, was es dort gab. Aber sie wusste nicht, ob sie das Rippedipp sagen sollte, denn eigentlich war das nichts für Kinder. Nun kannte sie den kleinen Jungen aber auch schon ein Jahr und wusste, dass er nicht locker lassen würde, bis sie ihm erzählt hatte, was sie wusste.
Und deshalb räusperte sie sich und begann: „Eigentlich ist diese Geschichte nichts für Kinder. Aber ich will euch trotzdem sagen, was es dort gibt.“ Sie führte den Zeigestock wieder auf die weiße Fläche auf der Landkarte. „Dies ist der Nordpol. Dort ist es immer Winter und kalt, es hat immer Schnee und der Wind pfeift einem ständig um die Ohren. Das ist nicht sehr gemütlich, aber noch längstens nicht das Ungemütlichste, was es dort gibt.“ Die Kinder lauschten gespannt. Was gab es Ungemütlicheres als einen eisigen Wind, der das ganze Jahr über weht?
Nach einer kurzen Pause fuhr die Lehrerin fort: „Am Nordpol haust das wohl grässlichste Ungeheuer unserer Zeit.“ Jetzt machte sie eine weitere Pause, als ob sie die Spannung der Kinder noch weiter steigern wollte. Schließlich sagte sie: „Dort lebt der Eisdrache.“ Wieder stoppte die Lehrerin und schaute in die Runde. Alle Schüler saßen mit großen Augen da und einigen blieb vor Spannung der Mund offen, sodass die Lehrerin schon fast wieder gelacht hätte, wäre das Thema nicht so ernst gewesen. „Der Eisdrache ist furchtbar gefährlich, und wer ihm zu nahe kommt, den verwandelt er sofort in Asche und Staub. Deshalb gibt es auch kaum belegte Erzählungen von ihm. Also eigentlich keine. Denn wer immer sich aufmachte, um den Drachen zu finden, zu fangen oder gar zu töten, kam nie mehr zurück.“
Ein Raunen ging durch die Klasse, und die Lehrerin sah, dass einige der Kinder nun richtig Angst hatten. Deshalb sagte sie mit ruhiger Stimme: „Das Gute aber ist, dass der Drache selbst nie ausfliegt. So müssen wir nämlich keine Angst vor ihm haben, solange wir selbst nicht zum Nordpol gehen.“
Dass Drachen fliegen konnten, musste die Lehrerin nicht erklären, denn das wussten damals alle Kinder. Schließlich gab es schon allein in der Stadt von Rippedipp drei ausgewachsene Drachen, die als Kuriere arbeiteten, und am Stadtrand in – für Drachen – kleinen Häusern mit ihren Familien lebten. Die meisten Drachen waren nämlich liebe und sehr wohlgesonnene Wesen, die die größte Freude hatten, anderen eine Freude zu machen. Und viele der berühmt-berüchtigten bösen Drachen, die man in den heutigen Märchenbüchern findet, waren in Wahrheit Schauspieler, die zusammen mit ihren menschlichen Kollegen Schauertheater aufführten. Es gab aber anscheinend auch ein paar wenige, die das Gespielte ernst meinten und genau das Gegenteil von lieb und nett waren, und damit zu den schrecklichsten Ungeheuern zählten. So wie der Eisdrache.
Während die meisten Kinder Angst hatten und sich wünschten, die Lehrerin würde wieder über ihre Blumen und Tiere der nächsten Inseln reden, war Rippedipp plötzlich ganz aufgeregt. Er konnte kaum mehr still sitzen. „Das wäre ein echtes Abenteuer“, dachte er. „Wenn ich diesen Eisdrachen finden könnte und wieder zurückkäme, dann wäre ich ein wahrer Entdecker.“ Und mit diesen Gedanken startete Rippedipps bisher größte Reise, ohne dass er jetzt schon etwas davon wusste. Nachdem er die Geschichte gehört hatte, schlich der Tag dahin, sodass es schien, als würde eine Minute eine Stunde dauern. Rippedipp konnte es einfach nicht erwarten, nach Hause zu kommen, und mit Toffles zu sprechen. Doch bevor Rippedipp heimging, musste er noch einmal mit der Lehrerin sprechen. Er fragte sie, wo denn genau der Drache wohnte. Und wie man zum Nordpol kam.
Die Lehrerin schaute Rippedipp etwas besorgt an. „Mein Lieber, ich weiß nicht, wo genau der Eisdrache lebt. Und für einen kleinen Jungen ist es sowieso viel zu gefährlich, zum Nordpol zu reisen. Deshalb werde ich dir auch den Weg dorthin nicht erklären.“ Rippedipp war sehr enttäuscht. Er hatte gehofft, mehr darüber zu erfahren und geglaubt, bei der Lehrerin genau an der richtigen Stelle zu sein. Natürlich wusste er nicht, dass sich die Lehrerin einfach nur Sorgen um ihren Schüler machte. Schließlich kannte sie ihn schon ziemlich gut und konnte sich vorstellen, was in dem kleinen Kopf gerade vorging.
Rippedipp konnte diese Fürsorge nicht wirklich schätzen, sondern ging ziemlich mürrisch nach Hause, wo er vom wedelnden Toffles schon freudig erwartet wurde. „Wie war dein Tag?“, fragte er, als er ihm auf dem Weg vom Gartentor zur Haustüre zwischen den Füßen herum hüpfte. Wie immer wirkte Toffles’ Enthusiasmus ansteckend und Rippedipps Laune wurde sofort besser. Sein Herz klopfte wieder aufgeregt und er spürte ein bisher unbekanntes Kribbeln in seinem Bauch. Er setzte sich unter den schattenspendenden Apfelbaum im Garten und Toffles setzte sich still neben ihm. Der kleine braune Hund wusste, dass Rippedipp etwas Wichtiges zu sagen hatte, denn nur dann setzte er sich in den Garten, noch bevor er Mama guten Tag sagte.
Mit glänzenden Augen erzählte Rippedipp nun endlich vom Eisdrachen und vom Abenteuer, das ihn und Toffles erwarten würde, wenn sie sich gemeinsam aufmachten, um den Drachen zu finden. „Ein einziges Bild, eine einzige Erzählung unserer Reise – und wir wären angesehene Forscher und Entdecker“, frohlockte Rippedipp. Toffles, ein ebenso begeisterter Abenteurer wie Rippedipp, jaulte vor Aufregung, während er so schnell mit dem Schwanz wedelte, dass die Ameisen, die unter dem Baum ihren Bau hatten, glaubten, die Erde würde beben.
Nachdem Rippedipp sein ganzes Wissen mit Toffles geteilt hatte, schauten sich die beiden an, und mussten nicht lange überlegen: Sie würden den Eisdrachen suchen gehen! Doch bevor die Reise losgehen konnte, gab es noch ein großes Hindernis: Rippedipps Eltern.
Mit seinen sieben Jahren wusste Rippedipp natürlich inzwischen, was seine Eltern mochten und was nicht und er hatte auch gelernt, dass sie ihm mehr erlaubten, wenn er sich so verhielt, wie sie es mochten. Deshalb ging er sofort ins Haus, als er Toffles alle Neuigkeiten erzählt hatte, und begrüßte Mama, die in ihrem Büro arbeitete, mit einer Umarmung.
Nach dem üblichen Kakao mit Keksen, den Mama jeden Tag für ihren Sohn für nach der Schule bereitlegte, ging Rippedipp artig in sein Zimmer und machte seine Hausaufgaben. Anschließend studierte er zusammen mit Rippedipp den dicken Atlas, den er von Papa zu Weihnachten bekommen hatte.
Den Nordpol zu finden, war gar nicht so einfach – schließlich gibt es auf der Erde zwei eisbedeckte Teile. Und welcher davon nun der richtige war, war schwer zu sagen, wenn auf beiden nur „Pol“ angeschrieben stand. Doch noch bevor Mama zum Abendessen rief, hatten unsere zwei Entdecker den entsprechenden Hinweis endlich gefunden. Der Nordpol ist der weiße Teil, wo es daneben eine riesige Insel gibt, die Grönland heißt.
Eigentlich hätten sie noch gerne weiter ihre Reise geplant, doch sie wussten beide, dass sie Mama beim Essen nicht zweimal rufen lassen sollten. Also ging Rippedipp ins Bad, wusch sich die Hände und half Mama, das Essen an den Tisch zu tragen. Papa, der heute seinen kochfreien Tag hatte, saß bereits am Tisch und Rippedipp begrüßte ihn freudig. Papa lachte und strich ihm über die Haare: „Na, mein Kleiner? Was hast du heute wieder ausgeheckt, dass du Mama mit dem Abendessen hilfst?“
Rippedipp war erstaunt. Papa hatte anscheinend hellseherische Fähigkeiten, oder wie konnte es sein, dass er immer schon wusste, dass er etwas wollte, bevor Rippedipp überhaupt etwas fragte? Wenigstens musste er nun nicht das ganze Essen lang warten, bevor er von seiner Idee erzählen konnte und so schoss Rippedipp sofort los: „Papa, Papa, die Lehrerin hat uns heute vom Eisdrachen am Nordpol erzählt, und dass noch nie ein Mensch lebend von einer Reise dorthin zurückgekehrt ist! Und jetzt wollen Toffles und ich dorthin reisen und ein Foto vom Eisdrachen machen. Dann sind wir endlich richtige Forscher und Entdecker.“
Papa hörte still zu und nickte nur, bevor er fragte: „Und wann wollt ihr beiden los?“ Rippedipp und Toffles hatten natürlich schon alles geplant, und weil Papa Toffles nicht verstand, antwortete Rippedipp: „Ende der Woche, an meinem ersten Ferientag.“ Papa nickte wieder und blickte zu den zweien hinunter.Sowohl Rippedipp als auch Toffles blickten ihn mit großen, erwartungsvollen Augen an, als sie auf eine Antwort warteten. Papa wollte die Freude der beiden nicht zerstören und deshalb sagte er, ohne viel zu überlegen, etwas, das er später noch bereuen würde: „Na, das klingt nach einem guten Plan. Und wenn du in der Schule nicht fehlst, könnt ihr beiden zum Nordpol reisen. Wenn Mama auch damit einverstanden ist.“
Sofort rannte Rippedipp in die Küche und fragte Mama nach Erlaubnis. Selbstverständlich sagte er ihr, dass Papa bereits Ja gesagt hatte. So hatte es Mama nicht leicht, noch etwas anderes zu sagen, das wusste er ganz genau. Freudestrahlend kehrte er mit einer Schüssel Spaghetti ins Wohnzimmer zurück, die er auf den Tisch stellte. „Mama hat also auch ja gesagt“, bemerkte Papa lachend.
Natürlich rechneten Mama und Papa damit, dass sich Rippedipp schon am nächsten Morgen lieber mit einem anderen Thema beschäftigen würde. Oder aber, dass der Spaß in ein paar Tagen vorbei sein würde, wenn Rippedipp und Toffles die Reisevorbereitungen gemacht hatten, dann aber doch merken würden, dass es einfach nicht ging, als Kind und Hund allein zum Nordpol zu reisen. So war es nämlich immer. Deshalb dachten sie sich nicht viel dabei, sondern freuten sich einfach, dass ihr Sohn mit gutem Appetit und voller Freude zu Abend aß.
Doch für ein Mal hatten sich Mama und Papa geirrt. Der Entdeckergeist war geweckt und jede freie Minute (und ehrlich gesagt auch jede Minute in der Schule) planten Rippedipp und Toffles ihre große Reise. Das war gar nicht so einfach, denn wie sollten sie überhaupt zum Nordpol kommen?
Sie wussten, dass es Flugzeuge gab, die manchmal dorthin flogen, doch weder Rippedipp noch Toffles wussten, wie man in ein solches Flugzeug kam oder wie man es fliegen konnte. Und sie wussten, dass Kinder und Hunde nie ohne ihre Eltern in einem Flugzeug reisen konnten. Oder zumindest ohne deren Erlaubnis. Das einzige Reisemittel, das ihnen neben einem Dreirad mit Anhänger zur Verfügung stand, war also der Heißluftballon von Papa. Schon oft war Rippedipp mit Papa geflogen, und mehr als nur einmal hatte Papa Rippedipp steuern und navigieren lassen.
„Je früher du das lernst, desto besser“, hatte Papa ihm gesagt, als Rippedipp das erste Mal das Steuerrad in den Händen hielt. Und da Toffles und Rippedipp sahen, dass es bis zum Nordpol ein großes Meer gab, das man überqueren musste, war für beide klar, dass sie mit dem Ballon auf ihre Reise gehen müssten. Denn mit dem Dreirad würde es schwierig werden. Rippedipp las in den letzten Tagen vor den Ferien mit Feuereifer ein Buch über einen Nordpol-Entdecker, der zu Fuß bis zum Pol gelaufen war, damit er wusste, was sie in ungefähr erwarten würde und was sie für ihr Abenteuer alles packen mussten. Da es am Nordpol immer kalt ist, packten Toffles und er ganz viele extrawarme Kleider ein. Die dicke Mütze, die ihm Mama zum Schulanfang geschenkt hatte, musste natürlich auch mit. Außerdem durchforsteten sie die Vorratskammer, nahmen alles mit, das lange haltbar war und schmeckte, und verstauten alles sicher im Korb des Ballons.
Am Abend vor der großen Reise saß Rippedipp mit seinen Eltern im Wohnzimmer. Papa und Mama wollten beide noch etwas lesen, unterhielten sich aber erst mit Rippedipp. „Wie sieht es mit deiner Expedition aus?“, fragte Mama. „Alles bereit?“ Rippedipp nickte. „Ja, morgen um fünf Uhr in der Früh gehen wir los.“ Mama lächelte. Und Papa fragte: „Und wie genau kommt ihr zum Nordpol?“ „Wir fliegen“, antwortete Rippedipp. Papa lächelte ebenfalls. „Gut. Dann wünsche ich euch viel Erfolg. Aber wenn du so früh losmusst, dann würde ich jetzt ins Bett.“
Rippedipp schaute auf seine neue Armbanduhr, die er heute zum Abschluss des ersten Schuljahres bekommen hatte – eine wunderschöne Uhr mit einem kleinen Flugzeug als großem Zeiger. Acht Uhr! Höchste Zeit, um ins Bett zu gehen, da hatte Papa recht.
Also verabschiedete er sich von ihnen, umarmte beide und ging schlafen. Mama und Papa blickten sich nur an und Mama sagte: „Der Junge hat einfach viel Fantasie. Immerhin ist er nun die ersten paar Ferientage mit seiner Reise beschäftigt. Ich frage mich, wo er den Eisdrachen schließlich findet – im Schuppen im Garten? Oder was meinst du?“ Papa lachte nur. "Wir werden sehen." Papa lachte nur. „Wir werden sehen.“
Was die beiden aber nicht sahen, war Rippedipps und Toffles Abschied von der Stadt, in der sie lebten. Pünktlich um fünf Uhr morgens löste Rippedipp nämlich die Leinen des Ballons und flog zusammen mit Toffles los. Die beiden blickten über den Korbrand und schauten zu, wie ihr Haus, ihr Garten, ihre Straße und schließlich die ganze Stadt immer kleiner wurde, bis sie kaum mehr zu erkennen war. Rippedipp ging zum Steuer und begann, in Richtung Nordpol zu fliegen. Zumindest dachte er das. In Wirklichkeit flog er in die falsche Richtung. Toffles, der als Hund ja schneller älter wurde als Rippedipp, und somit in der Hundeschule auch schon weiter war in Geografie als der Junge, merkte allerdings schnell, dass sie statt in den Norden in den Süden reisten, und deshalb kehrten sie über dem Mittelmeer wieder um. Als sie wieder über ihre Stadt flogen, winkten sie noch einmal und wunderten sich, ob Mama und Papa sie wohl gesehen hatten.
Natürlich hatten die zwei den Ballon mit Rippedipp und Toffles nicht gesehen, denn sie waren gar nicht zu Hause. Als sie wie üblich um sechs Uhr aufstanden, merkten sie, dass Toffles’ Korb leer war. Genauso Rippedipps Bett. Und etwas später entdeckten sie, dass der Ballon weg war. Natürlich machten sie sich nun furchtbare Sorgen. „Hat der Junge nicht gesagt, dass er fliegen würde?“, fragte sich Papa. „Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ich hätte wissen müssen, dass er den Ballon meint!“ Mama nahm ihn in den Arm. „Keine Sorge, Rippedipp weiß doch, wie man den Ballon fliegt und nach einer Weile wird er wohl wieder zurückkommen.“
Doch als Papa ihr sagte, dass Rippedipp zwar wusste, wie man den Ballon startet und fliegt, aber nicht, wie man ihn landet, war auch Mama richtig besorgt, und schließlich gingen die beiden zur Polizei, die ihnen helfen sollte, Toffles und Rippedipp wieder nach Hause zu bringen. Papa besuchte außerdem ein paar Magier, um bei ihnen ebenfalls Hilfe auf der Suche nach dem verlorenen Sohn zu bekommen. Die Zauberer und Feen, die er besuchte, versprachen ihm, ihr Bestes zu tun und seinen Sohn wieder nach Hause zu bringen.
Rippedipp und Toffles bekamen von alldem überhaupt nichts mit. Sie flogen nun schon einen ganzen Tag und befanden sich seit einiger Zeit über einem ganz flachen Land, als Toffles rief: „Rippedipp, Rippedipp, ich sehe das Meer!“ Rippedipp ließ das Steuer los und stellte sich mit Toffles an den Korbrand. Wirklich, vor ihnen lag das Meer! Aufgeregt blickten sich die beiden an, fassten sich an den Händen, respektive an den Pfoten und tanzten vergnügt im Korb herum. Deshalb fielen sie auch um, als ein heftiger Luftstoß den Ballon erfasste. Bevor sie wussten, was geschah, saßen sie verdutzt am Korbboden und spürten, wie der Ballon in eine ganz andere Richtung geblasen wurde, als sie eigentlich fliegen wollten. Rippedipp sprang auf und krallte sich ans Steuerrad. Doch der Wind war zu stark und Rippedipp hatte keine Kraft mehr, den Ballon zu steuern. Tatenlos mussten die beiden zusehen, wie sie immer weiter weg von ihrem Kurs getrieben wurden. Immerhin blies sie der Wind zum Meer, doch als Rippedipp und Toffles ängstlich vom Korbrand herunterblickten, sahen sie, dass hinter dem Meer bereits wieder neues Land begann. „Das kann nicht schon der Nordpol sein“, sagte Toffles. „Aber wohin wir sonst kommen, weiß ich nicht.“
Das konnte auch Rippedipp nicht sagen. Er wusste allerdings, dass der Ballon seit einiger Zeit sank. Verzweifelt versuchte er, den Ballon wieder zum Steigen zu bringen. „Wir müssen Ballast abwerfen“, erklärte er Toffles. Nur so würden sie den Sinkflug stoppen. Doch wovon sollten sie sich trennen? Die Kleider brauchten sie. Das Essen ebenfalls. Das einzige, wovon sie sich theoretisch trennen konnten, war das Buch über den Nordpol. Aber Rippedipp hattesich dieses aus der Bibliothek geliehen und wusste deshalb, dass er es nicht einfach aus dem Korb werfen konnte. Das würde zu Hause richtig Ärger geben. Also blieb ihnen nichts anderes übrig, als darauf zu warten, dass der Wind sie wieder nach oben hievte. Aber so weit kam es gar nicht. In der Nacht, als die beiden Entdecker erschöpft auf dem Boden des Korbes eingenickt waren, gab es ein Rumpeln, es ertönte ein dumpfes „Bonk“ und der Ballon flog nicht mehr.
Rippedipp erwachte, weil ihn ein Sonnenstrahl in der Nase kitzelte. Ein sanftes Lüftchen strich über sein Haar und voller Freude weckte er Toffles. „Toffles, der Wind hat aufgehört, wir können wieder steuern!“ Doch als er aufstand und über den Korbrand blickte, war seine Freude vorbei. Denn der Ballon flog nicht etwa hoch über dem Boden, nein, er hing an einem hohen Turm fest. Die Spitze hatte sich durch den Ballon gebohrt und der Korb baumelte in schwindelerregender Höhe neben dem obersten Fenster. Plötzlich bekamen es Rippedipp und Toffles mit der Angst zu tun, und zum ersten Mal wünschten sie sich nichts sehnlicher, als nach Hause zu Mama und Papa zu kommen. Rippedipp weinte leise und Toffles winselte herzzerreißend, als sich das Fenster öffnete und ein Mädchen neugierig seinen Kopf herausstreckte.
„Hallo!“, sagte das Mädchen und blickte die beiden Bruchpiloten erwartungsvoll an. Rippedipp warso überrascht, dass er vergaß, dass er gerade weinte, und ließ die letzten Tränen einfach die Backe hinunter kullern. Normalerweise wäre ihm so etwas vor einem Mädchen peinlich, obwohl ihm Mama und Papa immer wieder sagten, dass jeder Mensch im Leben weinen sollte, und dass andere das sehen dürfen, ohne dass man sich schämen muss. Aber irgendwie mochte Rippedipp es trotzdem nicht, wenn Mädchen ihm beim Weinen zusahen. Doch dieses Mädchen war anders. Es war etwas älter als Rippedipp, das konnte er sehen. Dunkle Locken standen wild in alle Richtungen ab, und fielen über die leuchtend blauen Augen, sodass das Mädchen sie mit einem lauten Pusten aus der Stirn blies. Rippedipp war noch immer so verblüfft, dass er kein Wort herausbrachte. Das Mädchen blickte Rippedipp neugierig an und fragte: „Was macht ihr denn hier?“
Rippedipp öffnete den Mund, aber es kam noch immer kein Ton daraus heraus. Deshalb übernahm Toffles das Sprechen: „Wir sind auf dem Weg zum Nordpol. Aber wir sind wohl vom Weg abgekommen.“ Dabei schaute Toffles zur Turmspitze hoch, an welcher der Ballon in der sanften Brise baumelte. Das Mädchen konnte Toffles ganz offensichtlich verstehen, denn es antwortete mit einem Lachen.
„Das kannst du wohl sagen“, gluckste es. „Das hier ist nicht der Nordpol, aber immerhin seid ihr schon auf gutem Weg.“ Und als es die verblüfften Gesichter von Toffles und Rippedipp sah, erklärte es: „Ihr seid in Schweden. Um genau zu sein, hängt ihr am Westflügel des Königsschlosses.“ Die blauen Augen blitzten unter den dunklen Locken hervor, als das Mädchen von einem Lachanfall geschüttelt wurde. Denn Toffles und Rippedipp sahen noch immer vollkommen perplex und dadurch sehr lustig aus. „Also wenn“, begann Toffles und stockte dann. Nach einer Pause begann er wieder: „Also wenn …“. Doch er brachte den Satz nicht ganz heraus. „Wenn wir hier am Königsschloss hängen, wer genau bist du dann?“ brachte Rippedipp endlich heraus. Er hatte vor lauter Überraschung seine Stimme wieder gefunden. Das Mädchen grinste verschmitzt. „Ich bin die Tochter des Königs, also die Prinzessin. Mein Name ist Louise – und ihr hängt direkt vor meinem Zimmer.“
Rippedipp hüstelte verlegen. Die Prinzessin! Noch nie hatte er eine Prinzessin gesehen, geschweige denn, mit einer gesprochen. Natürlich hatte er viel von Königen, Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen gehört und gelesen, schließlich gab es zu dieser Zeit noch viele mehr als heute. Aber wie er sich genau verhalten sollte, jetzt, wo er vor einer Prinzessin stand, oder besser hing, das hatte er nicht gelernt. Darum tat er, was er in den meisten Fällen tat, wenn er jemand Neues kennenlernte: „Hallo Louise. Ich bin Rippedipp und das ist mein bester Freund Toffles.“ Und dann verbeugte er sich ungelenk – er hatte einmal gelesen, dass man das bei Königen so machte. Toffles machte es ihm nach und verbeugte sich, so gut das ein Hund halt konnte.
Louise prustete los. „Ihr müsst nicht so förmlich sein. Ich bin ein ganz normales Mädchen, das einfach einen Papa hat, der von Beruf König ist. Aber wollt ihr nicht mal aus dem Ballon steigen? Ihr seht aus, als könntet ihr ein Frühstück gebrauchen.“ Jetzt plötzlich merkten Toffles und Rippedipp, dass ihre Bäuche schon knurrten. Schließlich hatten sie seit gestern nichts mehr gegessen. Doch für das Frühstück gab es ein kleines Hindernis: Wie sollten sie bloß vom Korb in den Turm kommen? Der baumelte nämlich ein halber Meter vor dem Fenster der Prinzessin. Doch Louise hatte natürlich auch daran gedacht.