Risse in der Erde - Mark Arax - E-Book

Risse in der Erde E-Book

Mark Arax

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Beschreibung

Das Wasser ist der große Protagonist in Mark Arax' epischem Werk, das die Geschichte von der Erschaffung und Erfindung eines Sehnsuchtsortes erzählt, dem tausend Kilometer langen Randstück des nordamerikanischen Kontinents, Kalifornien, das immer schon, gleich ob im Goldrausch oder im Agrarrausch, auf Gedeih und Verderb den wilden Ausschlägen von Dürre und Flut ausgeliefert war. Daneben treten unzählige Personen auf – historische und lebende, namhafte und namenlose –, die jeder und jede ihre eigene Rolle in der Geschichte des Wassers in Kalifornien spielen: Politiker und Großfarmer der Nuss-, Trauben- und Zitrusplantagen, Indigene Einwohner, prekär beschäftigte Landarbeiter und kleine Farmer, die sich um eine nachhaltigere Landwirtschaft bemühen. Und immer wieder tritt Arax als Chronist selbst auf, denn ihn interessiert die Schnittstelle zwischen dem Persönlichen und dem Land, das seine vor dem Genozid an den Armeniern geflüchtete Familie über zwei Generationen geprägt hat. Reportage, Geschichte und Memoir verbinden sich so zu einer groß angelegten Erzählung über Wasser und Land, verfasst in einer mitreißenden, sprachgewaltigen Prosa, die ein lebhaftes Bild des reichsten amerikanischen Staates, in dem Big Ag heute ungeachtet der Weltklimakrise eine Rekordernte nach der anderen einfährt, in all seiner Widersprüchlichkeit zeichnet.

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Risse in der Erde

MARK ARAX

Risse in der Erde

Auf den Spuren von Wasser undStaub durch Kalifornien

Aus dem amerikanischen Englischvon Eva Schestag

Wo Augen zum Sonnenlicht werden, und die Hand

Des Wassers würdig ist: das erträumte Land

Zu dem aller Hunger stürzt, alle Freuden fließen.

– aus Richard Wilbur »Ein barocker

Wandbrunnen in der Villa Sciarra«

Inhalt

Karte

Prolog (Sommer 2016)

Teil eins Risse in der Erde (2014–2016)

1 Die Lehre der Aprikose

2 Agrarrevolte

3 Versengt

4 Sinken

5 Auf trockenem Land

Teil zwei Väter der Extraktion (1769–1901)

6 Eden riskieren

7 Heureka

8 Abraum

9 Den Boden abbauen

10 Armer Henry

Teil drei System zur Rettung (1901–1967)

11 Die Ebene fruchtbar machen

12 Stehlt uns einen Fluss

13 Den Regen bewegen

Teil vier Kinder der Wüste (2016–2017)

14 Das Königreich von Wonderful

15 Der Candy Man

16 Zitrushügel

17 Rosinenland

18 Der Wal

19 Giftteich

20 Dreihundertneunzig-Hektar-Babys

21 Heiliges Wasser

Epilog (Herbst–Winter 2017)

Danksagungen

Literaturverzeichnis

Abbildungsnachweise

Register

Risse in der Erde

Prolog

Sommer 2016

Der knochentrockene Kern River schneidet sich durch Bakersfield.

An einem Sommertag im San Joaquin Valley, 38 Grad im Schatten, biege ich hinter der Ausfahrt Fresno Stadtzentrum auf den Highway 99 ein und steuere durch die flimmernde Hitze. Mein Ziel ist der äußerste Süden des Tals, ein kleines Landarbeiterstädtchen in einem entlegenen Winkel von Kern County namens Lost Hills. Das ist der Ort, wo der größte Farmer Amerikas – derjenige, dessen irrsinnige Zucht von Mandeln und Pistazien den Nussrausch in Kalifornien ausgelöst hat – immer weiter anbaut, unbeirrt von Dürre oder Flut. Er lebt nicht in Lost Hills. Er lebt in Beverly Hills. Wie ist es ihm gelungen, die Natur so lange zu überlisten?

Das GPS schickt mich auf die Interstate 5, die schnellste Route durch den Bauch des Staates, aber ich habe eine Vorliebe für den Highway 99, die alte Straße, die die Okies1 und die Mexikaner auf die Felder gebracht und meine armenische Zunge mit einem Näseln belegt hat. Der Highway führt kilometerweit, mal zweispurig und mal dreispurig, durch bewirtschaftetes Land, alle zwanzig Minuten unterbrochen von Fast Food, Tankstelle und billigem Motel. Häusersiedlungen, Kaliforniens letzter erschwinglicher Traum, zivilisieren drei oder vier Ausfahrten, ehe es wieder zurück auf die offene Straße geht, die bespritzt ist mit dem Gedärm und den Federn der Hühner, die auf der Fahrt zum Schlachthof vorzeitig von Bord gesprungen sind. Rosaroter und weißer Oleander teilt den Highway, und jedes dritte Fahrzeug, das vorbeirauscht, ist ein Sattelzug. Meist schleppen sie die guten Gaben des Tales fort. Die Ernte beginnt im Januar mit einer Mandarinensorte, endet im Dezember mit einer anderen Mandarinensorte, und dazwischen reift alles, was man im Supermarkt in den Gängen mit den Frischeprodukten findet – außer Bananen, Mangos und Kiwis, obwohl die Farmer hier auch an den tropischen Früchten arbeiten.

Ich halte mich auf der linken Spur und versuche, meinen Vorsprung zu behaupten. Die Fahrer der Sattelzüge in beiden Richtungen sind gereizt und die Landarbeiter in ihren klapprigen Lastwagen halb am Einschlafen. 99 ist der tödlichste Highway in Amerika. Tödlich im Rausch der Ernte, tödlich in der Stille des Nebels und tödlich in der Unschärfe einer Samstagnacht, wenn die Feldarbeit getan ist und das Biertrinken zu einer zweiten Erniedrigung wird. Dreißig Kilometer vor Fresno überquere ich den Kings River, den Fluss, der mehr Ackerland bewässert als irgendein anderer Fluss hier in der Gegend. Der Kings ist wie üblich knochentrocken. Um ihn fließen zu sehen, müsste ich in den Feldern dahinter in eintausend Bewässerungsgräben suchen.

Ein Gebirgszug ist zu meiner Linken, einer zu meiner Rechten, und dazwischen liegt eine Ebene, flacher als Kansas, wo das Getreide und der Himmel einander berühren. Einer der dramatischsten Eingriffe in die Gestalt der Erdoberfläche in der Geschichte der Menschheit geschah hier. Die Hügel, die es zu Zeiten der indigenen Yokut noch gegeben hatte, wurden von einem von Pferden gezogenen Ungetüm aus Metall namens Fresno Scraper plan gemacht. Der Lauf eines jeden Flusses, der aus der Sierra brach, wurde durch ein Bollwerk von Gräben, Dämmen, Kanälen und Deichen seitwärts gebogen, wenn nicht gar rückwärts. Der Farmer pferchte das Schmelzwasser ein und löschte das Valley aus – samt seinen Wüsten und Sümpfen. Er ebnete seine Suhlen, befreite es von Melden und anderem Gesträuch, tötete seine letzten Mustangs, Antilopen und Tule-Wapitis. Er befreite den Himmel von Millionen von Gänsen und legte den Tulare Lake mit seinen zweitausend Quadratkilometern trocken.

Er tat dies zuerst im Namen des Weizens und dann im Namen des Rindfleischs, der Milch, der Rosinen, der Baumwolle und der Nüsse. Sobald er den Strom der fünf Flüsse, die durch die Ebene flossen, endgültig eingefangen hatte, griff er mit seinen Turbinenpumpen nach dem Wasser unter der Erde. Während er den Aquifer, den Grundwasserleiter, ausbluten ließ, bat er die Regierung, sie möge ihm einen noch mächtigeren Strom von weither bringen. Über das große Aquädukt, als Frachtgut von Politik und Schwerkraft, kamen die überschüssigen Wasser des Sacramento River. Der Farmer beherrschte den fernen Strom. Je mehr Wasser er bekam, desto mehr Feldfrüchte pflanzte er, und je mehr Feldfrüchte er pflanzte, desto mehr Wasser brauchte er, um neue Feldfrüchte zu pflanzen, und so weiter und so fort. Knapp eine halbe Million Hektar des Talbodens, eine Fläche größer als Rhode Island, sind jetzt mit Mandelbäumen bedeckt.

Mir tun die Nichteingeweihten leid, die das zu begreifen versuchen. Mein Großvater, ein Überlebender des Genozids an den Armeniern, war 1920 mit Schiff und Bahn elftausend Kilometer weit gereist, um herauszufinden, ob der Lockruf seines Onkels – »Die Weintrauben hier sind so groß wie Jade-Eier« – der Wahrheit entsprach. Mein Vater, auf einem Weinberg außerhalb von Fresno geboren, war Rosinenzüchter, ehe er Barbesitzer wurde. Ich wuchs am Stadtrand auf, wo die Spielplätze nach den Pionieren des Obstanbaus benannt waren und wo Bewässerungskanäle durch die Wohnviertel zu Farmen schossen, die wir nicht kannten. Ein halbes Leben lang stellte ich mir nie die Frage: Wie viel davon war Zauberei? Wie viel davon war Raub?

Ich fahre in den Bezirk Kern County, ganz nah an das Tehachapi-Gebirge, um herauszufinden, wie die größten Farmer in Amerika, allen voran der allergrößte, während der schlimmsten Trockenperiode, die in Kalifornien je verzeichnet wurde, ihre Fruchtplantagen und Weinberge nicht nur am Leben erhalten, sondern mehr Mandeln (32 000 Hektar), mehr Pistazien (29 500 Hektar), mehr Weintrauben (14 000 Hektar) und mehr Mandarinen (5200 Hektar) anbauen. Es ist ein Tag im Juli 2016. Nach fünf Jahren Trockenheit zeigt das Delirium, das die Landwirte, bei weitem die größten Wassernutzer im Staat, ergriffen hat, keinerlei Anzeichen des Nachlassens. Auch wenn die Wasserversorgung auf nationaler und bundesstaatlicher Ebene auf nahezu null gefallen ist, die Landwirtschaft in Kern rattert weiter und wird noch intensiver. Neu angebaut werden nicht etwa Baumwolle, Alfalfa oder Karotten – die Feldfrüchte, gegen deren Aussaat sich ein Farmer bei drohendem Wassermangel entscheiden kann. Es sind Bäume und Reben, die in Baumschulen gezüchtet und für fünfundzwanzig Dollar pro Hektar in die Erde gesetzt werden, um den zunehmenden Appetit der Welt auf Nüsse und Obst zu stillen.

Die Landwirtschaft im Süden des Valley hat sich weit über das Versorgungsgebiet seines einzigen Flusses, den Kern, ausgedehnt. Die Farmer dort bestellen knapp über 400 000 Hektar Land, und weniger als die Hälfte davon wird durch den Strom des Kern bewässert. Der Fluss ist extrem launisch. In dem einen Jahr bringt er mehr als eine Milliarde Kubikmeter Schmelzwasser, im Jahr darauf nur knapp eine halbe. Big Ag2, die Großlandwirtschaft, brauchte eine bessere und verlässlichere Versorgung, um zu wachsen. Also machten sich die Farmer von Kern in den 1940ern erstmals auf, um Wasser von nicht nur einem Fluss in der Ferne abzuzapfen, sondern gleich von zweien: dem San Joaquin im Norden und dem Sacramento noch weiter nördlich. Das importierte Wasser kommt über das Central Valley Project und das State Water Project, zwei einzigartige, von Bund und Staat gebaute hydraulische Systeme, die Abhilfe gegen Gottes ungleichen Plan von Kalifornien schaffen sollen. Das dem Kern County zugeführte Wasser – 1,7 Milliarden Kubikmeter pro Jahr – hat das Anbaugebiet verdoppelt. Aber nicht einmal diese beiden Projekte, die perfekt aufeinander eingespielt sind, können der Trockenheit trotzen. Wenn die Natur hart zubeißt, und der Wasserstrom von der Regierung sich auf ein Tröpfeln reduziert, schalten die Anbauer in Kern County ihre Pumpen an und dringen noch tiefer in die Erde.

Der Aquifer, ein Hunderte von Jahren altes Wasserreservoir unter dem Ton, ist nicht bodenlos. Er kann nur begrenzt zusammengedrückt werden. Indem die Anbauer auf der Suche nach einer verschwindenden Ressource immer mehr Löcher in den Boden treiben, senkt der Grund sich ab. Der Farmer aus Kern County kann nun zwischen zwei Möglichkeiten wählen: Entweder greift er tief in seine Tasche, um hochpreisiges Wasser aus einem Bewässerungsbezirk mit überschüssigen Vorräten zu kaufen; oder er heckt einen Plan aus, um das Wasser von einem Nachbarn zu stehlen. Ich höre inzwischen Gerüchte, dass Wasser, das Farmern zwei Bezirke weiter gehört, aus dem Boden gepumpt und in der Dunkelheit der Nacht entführt wird, um damit die Nüsse von Lost Hills zu bewässern.

Ich fahre vorbei an Tulare, wo jeden Februar die weltgrößte Traktorshow stattfindet, größer noch als die in Paris. Vorbei an Delano und den ersten Weingärten, gegen die César Chávez marschierte. Vorbei an McFarland und den mexikanischen Läufern der Highschool, die in den 1990ern fünf kalifornische Meisterschaften hintereinander gewannen. Vorbei an Oildale und dem Güterwagen, in dem Merle Haggard aufwuchs. Vorbei an Bakersfield und dem Highschool-Fußballstadion, wo Frank Gifford und Les Richter, zwei spätere Mitglieder der Pro Football Hall of Fame, bei der regionalen Meisterschaft 1947 im peitschenden Regen gegeneinander antraten. Und dann, es trifft mich wie ein Schlag, komme ich an die Straße nach Weedpatch, wo die Geschichte meines Großvaters in Amerika – ein Dichter, der auf Händen und Knien Kartoffeln pflückte – begann. Ich habe die Ausfahrt verpasst. Die weit offene Mitte von Kalifornien hat mich wieder einmal eingelullt.

Ich drehe um und stoße auf die Route 46, die Straße, die James Dean tötete. Ich steuere an Wasco vorbei in Richtung der staubverwehten Fruchtplantagen zu beiden Seiten von Lost Hills, dem weltweit dichtesten Anbaugebiet von Mandeln, Pistazien, Granatäpfeln und Weintrauben. Ein Stück die Straße weiter hinunter liegen die Herrschaftsgebiete von Marko Zaninovich, der einst der national größte Erzeuger von Tafeltrauben war oder immer noch ist, und die der Assemi Brüder, Farid und Farshid und Darius, die Kirsch- und Nussbäume anbauen, wenn sie nicht gerade Häuser bauen, und die von Freddy Franzia, der mehr Trauben kultiviert und in Flaschen abfüllt als jeder andere außer den Gallos. Seine beliebteste Marke, 450 Millionen Flaschen und mehr, ist Charles Shaw, »Two-Buck Chuck«, den Trader Joe’s für 1,99 Dollar verkauft. Etwas weiter oben liegt das Reich von Stewart Resnick, dem wohlhabendsten Farmer im Land und vielleicht auch dem eigenartigsten, dessen Fünfzigtausend-Hektar-Imperium von Früchten und Nüssen Wonderful heißt. Seine Geschichte ist es, die ich ein paar Jahrzehnte lang in meinem Notizbuch mit mir herumgetragen habe, ganz sicher, ich sei nach fünf oder zehn Jahren bereit, sie zu schreiben, nur um dann von noch einer Wendung zu erfahren, die mich wieder auf eine andere Fährte gebracht hat.

Ich parke den Wagen und gehe zu Fuß weiter. Das grausame Stechen der Sonne erinnert mich an meinen Großvater, der immer Salz auf seine Wassermelone gestreut hat, ein alter Trick der Landarbeiter, um einen Hitzschlag zu vermeiden. Ich gehe weiter, bis ich mit gegrätschten Beinen über einer der Trennlinien einhalte, die es im Westen, und vielleicht nur im Westen, gibt. Hinter mir endet abrupt die Agrikultur. Vor mir beginnt abrupt die Wüste. Dazwischen windet sich die Ader aus Beton, die die Schneeschmelze vom einen Ende Kaliforniens zum anderen führt. Ich habe Lost Hills gefunden, so scheint es jedenfalls, doch wie so viele andere optische Illusionen, denen ich entlang des tausendsechshundert Kilometer langen Wegs von gewundenem Wasser und wiedergeborenem Staub gefolgt bin, sind die Hügel keine Hügel.

1 A. d. Ü.: Als Okies bezeichnet man die Einwohner Oklahomas. Mit Beginn der Großen Depression Anfang und Mitte der 1930er Jahre wurden so auch die Migranten aus dem Mittleren Westen bezeichnet, die in der Hoffnung auf Arbeit nach Kalifornien zogen.

2 A. d. Ü.: Big Ag, ein analog zu Big Tech, Big Data gebildeter Begriff zur Bezeichnung hochtechnisierter kommerzieller Landwirtschaftsunternehmen, die sich oft im Besitz ortsfremder Investoren befinden.

TEIL EINS

Risse in der Erde

(2014–2016)

Das Aquädukt, Kaliforniens Betonfluss, befördert Wasser von Nord nach Süd.

EINS

Die Lehre der Aprikose

Winter 2014

Ende Januar schaue ich aus dem Fenster und sehe Blüten auf meinen Aprikosenbäumen. Wie soll man diese neue Jahreszeit nennen? In der durcheinander geratenen Hitzelage werden die Knospen zu weißen Blüten, rosaäugig. Der Fruchtansatz ist seiner Zeit drei Wochen voraus, und schwer, und unweigerlich denke ich, es wird eines dieser Jahre mit einer Rekordernte. Den ganzen Juni lang werde ich Aprikosen vom Baum essen und dann immer noch reichlich Früchte übrighaben, um im Juli Marmelade einzukochen. Aber ich weiß, dass zwischen jetzt und dem Sommer noch viel schief gehen kann. Mein Vater und dessen Vater waren Bauern, die ihre Farm nicht halten konnten. Ein paar Jahre vor meiner Geburt stießen sie unsere letzte Obstplantage ab. Es gab zwei Versionen von dieser Geschichte: eine, die mein Großvater erzählte, und eine, von der meine Großmutter schwor, sie sei wahrer. Die Ranch neben dem San Joaquin River, deren Eingang von Granatäpfeln umrahmt war, wurde mir zu einem fernen Bild.

In der Stadt, in der wir aufwuchsen, keine fünfzehn Kilometer vom Agrargürtel entfernt, blieben wir unserer Heimat gegenüber blind. Welcher Teenager in einem der Vororte von Fresno wusste schon, dass wir das weltweit größte Projekt zur Urbarmachung entwickelt hatten, und man dafür nur Wasser von dort, wo es in Überfluss war, dahin transportieren musste, wo es knapp war? Kanäle und Gräben füllten sich im Frühjahr mit Schmelzwasser und liefen wie Adern durch unsere parzellierten Flächen, doch wir kamen nie auf den Gedanken, uns zu fragen – und unsere Väter kamen nie auf den Gedanken, uns zu erzählen – wohin sie flossen und zu wem und mit welchem Recht. In dem Sommer vor meinem siebzehnten Geburtstag arbeitete ich in einem Abpackbetrieb in Selma, der Weltstadt der Rosinen, wo ich einen Mann namens Amos Margosian kennenlernte. Er baute Steinobst östlich von Yettem an, was auf Armenisch Eden bedeutet. Margosian war vielleicht der dunkelste Kaukasier, den ich je gesehen hatte. Er lief mit einem weißen Cowboyhut aus Filz herum und war berühmt dafür, seine Pflaumen eine Spur zu grün zu pflücken, um auf dem frühen Markt das große Geld zu machen. Tadellos gekleidet kam er von den Feldern und beobachtete die Sortierer am Förderband, wie sie seine Früchte rechts und links auslasen. Zu früh, zu grün. Zu früh, zu grün. Mit jeder Minute wuchs sein Zorn, bis er in das Büro im ersten Stock hinauf stürmte und den Chef des Abpackbetriebs beschimpfte, der ein noch dunkelhäutigerer Armenier war als er selbst. Und dann kam er am nächsten Tag mit seinen nun etwas weniger grünen Pflaumen wieder. Am Ende des Sommers hatte ich begriffen, dass ein Bauer, der kein Dummkopf war, sein Obst in der Steige nicht zählte, ehe es tatsächlich in der Steige war.

Ich warte ab bis Mitte März und lasse die Knöpfe zu etwas Tüchtigem wachsen, ehe ich auch nur das Wort »Frucht« in den Mund nehme oder abschätze, wie viele Einmachgläser ich brauche, um die Ladung auf meinen Aprikosenbäumen zu bewältigen. Auf jedem noch so kleinen Zweig saugen so viele Babys, dass ich eine Wahl treffen muss. Um große Früchte zu bekommen, zwickt man mit Daumen und Zeigefinger zwei von drei Sprösslingen ab. Es gibt keine Winzlinge darunter, die dieser Tätigkeit ihre Grausamkeit nehmen würden. Das Töten ist absolut willkürlich. Der Mensch, und nicht die Natur, entscheidet über Leben und Tod. Das Ausdünnen der Früchte ist Routine auf einer Farm. Ohne die Beeinträchtigung durch die Geschwister haben die Auserwählten die Möglichkeit, an Größe zuzunehmen und beim Verkauf an den Großhandel einen höheren Preis zu erzielen. Im Garten hinter dem Haus ist das Ausdünnen der Früchte weniger sinnvoll. Hier bin ich von einer anderen Gier getrieben. Jede einzelne Blenheim-Aprikose und jeder Elberta-Pfirsich, jede Santa-Rosa-Pflaume und Missionsfeige und Page-Mandarine und Washington Navelorange und kernlose Thompson-Weintraube, die sich zu vorstädtischer Reife durchkämpft, ist eine Augenweide. Also schiebe ich das Ausdünnen auf.

An einem Morgen im April, nach einer Nacht ohne besondere Ereignisse, gehe ich hinaus und stehe einer Reihe von Bäumen gegenüber, die plötzlich schwerelos erscheinen. Beim Näherkommen sehe ich Hunderte von Aprikosen, die fest und grün in einem Haufen am Fuß des Baumstamms liegen. Ich untersuche jeden Ast und bin mir sicher, etwas dabei zu übersehen. Doch keine einzige Frucht hat gehalten. Nur ein einigermaßen hartnäckiger Eindringling kann ein derartiges Abfallen in Massen erklären, und ich verfluche schon das Eichhörnchen, die Ratte, das Opossum, den Eichelhäher, den sechszehnjährigen Sohn. Dann besinne ich mich eines Besseren. Sie alle wären ja auf der Suche nach Zucker, und der Zucker liegt noch zwei Monate weit entfernt.

Ich rufe meinen alten Freund den Nussanbauer an. Er hat meine Beobachtungen immer mit Wohlwollen bedacht, egal wie albern es ist, meine tausend Quadratmeter in Fresno mit seinen weitläufigen Ranches draußen auf dem Land zu vergleichen, wo in einer endlosen Monokultur alles schief gehen und dank der unendlichen Manipulationen, die ihm zur Verfügung stehen, alles wieder gerichtet werden kann.

»Brad, auf meinen Bäumen ist keine einzige Aprikose mehr.«

»Ich zeige dir meine Pistazien«, sagt er.

Brad fährt in einem verbeulten weißen Chevy-Truck vor, und ich steige ein. Er ist ein großer Mittfünfziger mit einem leichten Bauchansatz. Er trägt weder Wrangler Jeans noch einen Cowboyhut. Das einzig farmermäßige an ihm ist sein kariertes, kurzärmeliges Hemd und der Staub auf seinen schweren Stiefeln. Er hat blaue Augen, die freundlich durch das Drahtgestell seiner Brille schauen, und einen Kopf voll leicht ergrautem zurückgebürstetem Haar. Die Sonnenfalten in seinem Gesicht kommen vom Golfspielen und nicht von der Feldarbeit. Er hat als Wirtschaftsprüfer in der Landwirtschaft angefangen, und jetzt baut er Kulturen auf seinem eigenen Land an und auf dem Land, das er im Auftrag der Investoren von Brentwood, die in zehn Millionen Dollar Häusern wohnen, bestellt. Brad selbst lebt nicht auf der Farm. Er lebt in einer Eigentumswohnung in Fresno und einem Haus in Pebble Beach.

Wir lassen die Vororte hinter uns und fahren ins Valley. »The country« hat meine Mutter früher immer gesungen, als sei dessen nie endende Erde ein Elixier. »Lass uns doch aufs Land hinaus fahren«, sagte sie oft zu meinem Vater, und der fuhr dann bis an den Saum des Flusses zum Golfplatz Fig Garden, aber nicht darüber hinaus. Wieder macht sich eine Dürre im Land breit, und die Großstadtjournalisten, die eine kalifornische Apokalypse, eine neue ›Dust Bowl‹3 wittern, stürzen herein. Ich weiß, wie eine gute Story funktioniert. Ich war selbst einer von ihnen. Sie erinnern sich an Mark Twains geistreichen Spruch, dass hier draußen »Whiskey getrunken und um Wasser gekämpft wird«. Der Spruch ist gar nicht von Twain, wie sich herausstellt, aber der Kampf ist echt, und er dauert nun schon eine ganze Weile an.

Unsere Eroberung der Flüsse begann 1868, als John B. Sweem den ersten Graben im Tal aushob und dabei den Hauptarm des Kings River anzapfte, um seine Getreidemühle in der Nähe von Centerville zu betreiben. Seither haben wir Zehntausende von Kilometern an Gräben und Kanälen ausgehoben, die vom Boden aus betrachtet einer einfachen, linearen Anordnung zu folgen scheinen. Nur vom Fenster eines Flugzeugs aus kann man die Komplexität der Linienführung, Neigungen, Querschnitte, Rohrleitungen, Wehre und Dämme ermessen und begreifen, wie schwierig es ist, ein Volk, das der Regierung geradezu feindlich gegenübersteht, zu überreden, sein Misstrauen lange genug abzulegen, um ein derartiges System zu schaffen. Durch dessen Verwirklichung waren wir in der Lage, uns selbst neu zu erfinden und das Land neu zu erfinden. Dürre und Flut werden sich weiterhin austoben, doch keine von beiden zwingt uns wieder in die Knie, so lautete zumindest die Version der Handelskammer. Über meine Version bin ich mir immer noch nicht im Klaren. Jedes Mal, wenn ich nah dran bin, verspottet mich das Valley mit einer weiteren seiner Windungen.

Auswärtige sehen es als eine zusammengehörige Landschaft, das Great Central Valley: siebenhundertfünfundzwanzig Kilometer lang und hundert Kilometer breit, eingeklemmt zwischen den Kathedralen der Sierra Nevada im Osten und den weniger dramatischen Coast Ranges im Westen. Wenn man die Interstate 5 nimmt, die neue Straße, dann fährt man von Kern County ganz unten bis Shasta County ganz oben fast ausschließlich durch Farmland. Wenn man den Highway 99 geradewegs aufs Herz zu nimmt, stößt man auf ein halbes Dutzend kleiner Farmstädtchen, die verzweifelt danach streben, richtige Städte zu sein. Jedes von ihnen versucht, auf demselben Weg dorthin zu kommen, dehnt sich aus und geht dann pleite, dehnt sich aus und geht dann pleite, sodass Bakersfield nicht anders aussieht als Tulare, und Tulare nicht anders als Fresno, und Fresno nicht anders als Modesto. Erst wenn man Stockton erreicht, wo die großen Flüsse des Nordens zusammenfließen, atmet das Land auf, und erst wenn man Sacramento mit seinem vergoldeten, in den Himmel stechenden Kapitol erreicht, spürt man, dass man irgendwo angekommen ist.

Wenn man aufmerksam war, hat man vielleicht verstanden, dass das Central Valley aus zwei verschiedenen Tälern besteht, dem Sacramento Valley und dem San Joaquin Valley, jedes von ihnen nach einem Fluss benannt, den spanische Forschungsreisende Mitte des achtzehnten Jahrhunderts entdeckten, wenn man deren Entdeckung durch die Ureinwohner, die zehntausend Jahre davor erfolgte, unberücksichtigt lässt. Kein anderer Fluss tost mit der gleichen Wildheit aus der Sierra wie der Sacramento, und selbst nach allem, was der Mensch unternommen hat, um ihn zu zähmen, birgt er immer noch das Potenzial zu großen Überschwemmungen. Ein Drittel von Kaliforniens Wasser kommt aus dem Sacramento und seinen Nebenarmen. Die Flüsse des San Joaquin Valley sind im Vergleich dazu sanft, und ihre Vereinnahmung durch die Landwirtschaft kommt einem Todesurteil gleich. Doch es gibt einen weiteren Unterschied zwischen den beiden Tälern, der mittlerweile noch wichtiger ist: der gut entwässerte Boden, der vor langer Zeit von den Flüssen Kern, Kings und San Joaquin abgelagert wurde, bringt beispiellose Ernten hervor; zweihundertfünfzig Gemüse- und Getreidesorten, Früchte und Nüsse in einer das ganze Jahr über gleichbleibenden Fülle, die die Farmen des Sacramento Valley beschämt. Und so kam es, dass der Widerspruch von Kalifornien im Land und die Lösung im Wasser lag.

Brad steuert den Wagen entlang des San Joaquin River von Ost nach West nicht nur durch eine Art von Gegend, sondern durch mindestens drei Arten von Gegenden, jede mit ihrer eigenen Bodenbeschaffenheit und jede mit ihrer eigenen Beziehung zum Wasser. Diese Unterschiede sind nicht folgenlos geblieben, sondern haben zu Unterschieden hinsichtlich der Kultur und Lebensweise und Extraktionsmethode geführt, die die östliche Seite zur Eastside, die westliche Seite zur Westside und auch das in der Mitte gelegene Land zu einem eigenen Ort haben werden lassen. Wir folgen dem San Joaquin bis an die Stelle, wo der Fluss zu einem Rinnsal wird und dann kläglich im Sand versickert. Dies ist einer der seltsamsten Tode eines Flusses in Amerika. Der San Joaquin wurde in seinem oberen Abschnitt sechsmal durch einen Damm gestaut und noch ein weiteres Mal hier unten. Das Flussbett trocknet vierhundert Kilometer vor seiner Reise in den Ozean aus. Wenn das Wasser ein Stück flussabwärts seinen Lauf wieder aufnimmt, vermischt es frisches Schmelzwasser mit den Salzen, Selen und Petrochemikalien, die von den Feldern abfließen. Ein riesiger Kanadareiher steigt von einer Sandbank auf, und ich verfolge seinen Flug über das zarte Grün eines Weinbergs bis auch er zu einer Schimäre wird.

Auf der weiten, plan gemachten Erde haben die Farmer von Fresno County ganze Abschnitte mit Mandeln, Pistazien, Weintrauben, Alfalfa, Baumwolle, Getreide, Tomaten, Knoblauch, Melonen und Paprikaschoten bepflanzt. Es ist, als bilde jede Feldfrucht eine Gemeinde, wobei die Milchhöfe mit ihren jeweils fünf- und zehntausend Holstein-Rindern noch gar nicht berücksichtigt sind. Sofern du sie lesen kannst, erzählen dir die Felder auf einen Blick, was die Welt gerade isst und trinkt. Kaum ändern die Konsumenten ihren Geschmack, springt der Farmer auf und baut etwas anderes an. Es ist wie ein Reflex. Ein Farmer, der in der Tradition seines Großvaters fünfzig Jahre in Folge Steinobst angebaut hat, wird plötzlich zum Nussfarmer, ohne auch nur eine Träne zu vergießen. Die guten sind Wahrsager. Sie sehen Veränderungen nicht nur vor den anderen Farmern, sondern noch ehe die Lebensmittelkäufer überhaupt merken, dass ihr Geschmack sich bald ändert. Diejenigen, die zu spät auf den Zug aufspringen und auf die falsche Seite eines Trends geraten, erfahren wieder einmal die ganze Grausamkeit der Landwirtschaft. Es kommt öfter vor, als irgendjemand sich eingestehen oder erinnern will, dass ein Anbauer, der beispielsweise 1998 eine neumodische mild-säuerliche Pfirsichsorte angepflanzt hat, 2005 die ganze Plantage dem Erdboden gleichmacht.

Mein Freund Brad hat als Farmer übrigens die letzten eineinhalb Jahrzehnte auf die richtige Seite des Felds gesetzt und dabei zugesehen, wie sich die Preise für seine Mandeln und Pistazien verdreifacht haben. Er spricht über seinen Erfolg, als handle es sich um eine bloße Beobachtung. »Ich habe ziemlich Glück gehabt«, sagt er. »Wer hätte 1989, als ich mit dem Anbau von Nüssen begann, je gedacht, dass sie auf dem Markt Preise von vier oder fünf Dollar pro Pfund erzielen.«

Es gibt kein Schild auf dem Highway, aber nach dreißig Minuten Fahrt verändert sich die Landschaft plötzlich. Wir betreten das Reich der Westside, wo die Straßen öffentlich sind, und jeder Abschnitt von zweihundertfünfzig Hektar ein Flurstück ist. Jedes Flurstück ist im Register der Bezirkssteuerbehörde eingetragen, doch auf den Farmen stehen keine Häuser. Das ist eine Provinz, weit und ausgeglüht, die sich selbst gehört. Hier draußen geht es bei der Entscheidung, was angepflanzt werden soll, nicht nur um die Launen der Verbraucher. Es geht darum, wie ein Farmer entscheidet, ob er die Beschaffenheit seiner Erde und seines Wassers annimmt oder bekämpft. Eine Bodenart breitet sich über Kilometer hinweg fächerartig immer weiter aus, bis sie plötzlich aufhört, und eine andere Bodenart einsetzt; sandiger Lehm weicht Ton, und Ton weicht Alkaliboden. Weil Erde, die sich für Baumwolle eignet, nicht notwendigerweise auch für Trauben geeignet ist, würde man meinen, dass ein Farmer auf der Westside mit seinem Grundstück festgelegt ist. Doch wenn er großzügig in der Anwendung von Gips und klug in der Anwendung von Wasser ist, kann er einen Boden für Baumwolle in einen Boden für Wein verwandeln, und so hat sich das Land mit der Zeit verändert.

»Das war einmal alles Baumwolle. Und das war Alfalfa und Gerste und Reihenkulturen, Melonen und Tomaten und vielleicht Zuckerrüben«, sagt Brad, als wir an einem Feld nach dem anderen vorbeiflitzen. »Jetzt sind überall fast nur noch Mandeln.«

Wenn wir weiter nach Westen fahren, kommen wir dorthin, wo das Ackerland allmählich endet, und das Salzgestrüpp in das Küstengebirge übergeht, und die Hügel knochentrocken sind. Unterhalb der drei Felsen, wo die Ranger 1853 den Banditen Joaquín Murrieta erschossen, dessen Kopf in einem Gefäß mit Gin eingelegt wurde, führt das als Cantua bekannte Flüsschen seit fünf Jahren kein Wasser mehr. Doch Brad steuert in Richtung Süden durch die kultivierten Felder mehr oder weniger geradewegs auf die Stadt Huron und seine Pistazienplantage zu. Wir überqueren das mit Schmelzwasser gefüllte California Aqueduct, obwohl nichts von dem Wasser hier ankommen wird, nicht in diesem dritten Dürrejahr. »Wir sind trocken«, sagt Brad, während wir an brachliegenden Getreidefeldern vorbeifahren, nur um auf eine weitere, neue Nussplantage zu stoßen. »Wir wissen es bloß noch nicht.« Wir halten nicht in Huron, einer als ›Messerkampf-Stadt‹ bekannten Ansammlung von mexikanischen Baracken, die regelmäßig zum ärmsten Ort Kaliforniens wird, wenn die Salaternte zur Hölle fährt.

Brad biegt von der asphaltierten Straße ab und nimmt einen unbefestigten Weg, der tiefer in eine der widersprüchlichsten Gegenden Amerikas führt. Dies ist das Westlands genannte Gebiet, wo Großfarmer den weiträumigsten Bereich für Bewässerungslandwirtschaft in Amerika – zweitausendfünfhundert Quadratkilometer – in Form eines riesigen gestrandeten Walfischs abgesteckt haben. Westlands kam ziemlich spät ins Spiel; es zog seine Grenzen als öffentlicher Wasserbezirk nach kalifornischem Recht erst 1952 und führte einen zwei Jahrzehnte langen Kampf, um in den Genuss eines Bundesprojekts zu kommen. Die Anwälte für Wasserrecht lieben es, da kaum jemand sagen kann, was das Land eigentlich ist oder wie viel subventionierte Feldfrüchte und Wasser es verdient. Der Boden war in einem anderen Zeitalter Ozean; an den Niederschlägen gemessen ist er Wüste. Wenn man an dem einen Ende steht, wo eine dünne Lehmschicht verhindert, dass das Bewässerungswasser tief in die Erde sickert, ist es durch Salz totgemachtes Land. Wenn man an dem anderen Ende steht, wo Brad 105 Hektar Pistazien angepflanzt hat, ist es, sobald Wasser darauf fällt, der fruchtbarste Boden im Westen, ein schwerer Lehmboden, Panoche, der mit seinen vielen Schichten auf diesem Teil des Valley liegt wie ein German Chocolate Cake.

Brad springt aus seinem Truck, hebt einen Stock vom Boden auf und läuft zu seiner Plantage. Ich beeile mich, ihn einzuholen. Wie in einem Zweikampf schlägt er gegen die grauen Zweige einer Pistazie, die aussehen wie ein Hirschgeweih. Anders als ein Walnusshain, dessen hohe und belaubte Bäume so viel Schatten spenden, dass er dich in seine Stille zieht, ist die Pistazienplantage auf die Industrie ausgerichtet. Nicht ein Unkraut spitzt aus einer Ritze. Nicht ein Tier huscht in ein Erdloch. Holz und Laub folgen scharf zurechtgeschnittenen Linien. Die Plantage wurde mit der gleichen Präzision angelegt. Für jeweils vierundzwanzig weibliche Bäume wurde nur ein männlicher Baum innerhalb eines bestimmten Radius gepflanzt. Bei den männlichen Bäumen gibt es keine Verwechslung: ihre Stämme sind gockelrot gestrichen. Scherzend sage ich zu Brad, das ist die landwirtschaftliche Version eines Harems. Doch ihm ist nicht zum Scherzen zumute. Er geht von einem männlichen Baum zum nächsten, holt mit seinem Stock aus und schlägt fest auf die herabhängenden Blüten. Kein grün-brauner Pollen staubt heraus.

»In all meinen Jahren als Pistazienanbauer habe ich so etwas noch nie gesehen. Die weiblichen Bäume sind reif und fertig, aber die männlichen sind noch nicht annähernd soweit. Die ganze Plantage ist nicht mehr synchron.«

»Was denkst du, woran es liegt?«

»Er starrt auf seine Stiefelspitze, mit der er in der Erde scharrt, und schaut dann auf. »Globale Erwärmung«, antwortet er. »Klimawandel.«

Brad und ich kennen uns seit der siebten Klasse, und im Lauf unseres Erwachsenenlebens – ich als Schriftsteller und er als Landwirt – ist er für mich oft die Stimme der agrarischen Vernunft gewesen. Er ist nicht davor zurückgeschreckt, die Rolle des Häretikers zu übernehmen, doch kein anderer mir bekannter Großfarmer wagt es, diese Worte laut auszusprechen.

»Bist du sicher?«

»Wir haben seit zwei Jahren keinen Winter mehr. Nüsse brauchen Kälte. Es gibt keine Kälte.«

Ich denke an meinen Großvater Arax zurück, der sich – nicht ganz Dichter und nicht ganz Farmer – in den 1920er Jahren in diesem Tal niederließ, als eine buchstäblich körperliche Hitze den Erdboden buk, und die Flüsse sich in Sand verwandelten. Er glaubte, dass jede Frucht in ihrem Fleisch das Werk der Natur und des Menschen trage: Dürre, Flut und Hagel, die Schädlingsplage sowie die klugen und weniger klugen Schnitte der Baumscheren. Doch die einzige Frucht, die wirklich uns gehörte, war die Aprikose, Prunus armeniaca, die besonders empfindlich auf den Übergang zwischen Winter und Frühling reagierte. Jeder Stressfaktor dort draußen, sagte er, zeige sich zuerst an der Aprikose. Was Brad hier seinen Pistazien ansieht, ist genau das gleiche, was ich vor einer Stunde in meinem Garten hinter dem Haus beobachtet hatte. Ohne Winterstarre verkümmern die Früchte im Frühjahr. Die Aprikose muss mit dem Tod in Berührung kommen, um zu wissen, dass sie am Leben ist.

»Ohne Kälte im Winter, keine Marmelade im Sommer«, sage ich.

Die Berechnung in Brads Kopf lässt die meine klein erscheinen. Sein Unternehmen baut nahezu fünftausend Hektar Pistazien und Mandeln an. In einem guten Jahr erwirtschaften er und seine Investoren, nach Abzug aller Kosten für das Einbringen der Ernte, dreißig Millionen Dollar netto. Wenn das nicht nach einem Familien-Landwirtschaftsbetrieb klingt, so liegt das daran, dass der Anbau von Nüssen ein lukratives Geschäft ist. Am Ende jeder Saison wagt er es, einen ziemlichen Batzen seines Gewinns wieder in die landwirtschaftliche Produktion zu stecken. So ist Brad zum Miteigentümer einer größeren Nussverarbeitungsfabrik geworden. Mit achtzig Millionen Dollar Finanzierung durch Banken ist für Brad jede Ernte entscheidend. Der Ertrag der Pistazie alterniert, in einem Jahr trägt sie schwer, im Jahr darauf trägt sie kaum. In diesem Jahr steht der Zeiger auf schwer. »Eine derartige Blüte auf den weiblichen Pflanzen stellt uns eine verdammt gute Ernte in Aussicht«, sagt er. »Aber die männlichen Bäume sind einfach noch nicht so weit, und ich kann es mir nicht leisten, noch länger zu warten.«

Brad Gleason versorgt seine Mandelplantage auf der Westside von Fresno County.

Auf einem Weg entlang der Plantage sind zwei Männer in einem Geländewagen vorgefahren. Ich achte nicht darauf, was sie abladen, bis ich ein Gaspedal aufheulen höre. Sie sitzen jetzt auf Strandbuggys und sausen die Reihen hinauf und hinunter. Für eine Sekunde denke ich, dass der Off-Road-Rennsport inzwischen die Nussplantagen in der Mitte Kaliforniens erreicht hat. Aber nein, mit einem Laubbläser schießen sie abgeerntete männliche Pistazienpollen in das aufnahmebereite Geäst der weiblichen Bäume. Brad bezahlt den Samen-Verbreitern zweihundertfünfzig Dollar pro Hektar, um das Missverhältnis zu beheben. In den nächsten zehn Tagen wird sich zeigen, ob die Damen scharf darauf sind. »Alle meine Plantagen mit Pollen zu versorgen, ist gar nicht das Problem«, sagt er, während er wieder in die Fahrerkabine seines Trucks steigt. »Es ist das Wasser. Wo zum Teufel kriege ich nur das Wasser her?«

———

Der Anbau von Pistazien im Land der Eselhasen ist nicht das Gleiche wie der Anbau von Mandeln. Der Pistazienbaum, ebenso wie sein alter Genosse der Granatapfel, ist zäh. Lass ihn leben, und er kann mehr als zweihundert Jahre alt werden. Während der Mandelbaum heikel ist und bei Wasserentzug allerlei Wildwuchs abwirft, kommt der Pistazienbaum gut mit weniger Wasser aus, und zu den Misshandlungen, die er aushalten kann, gehören lange Durststrecken. Das ist wichtig für Brad, denn durch sein Land verläuft kein Fluss. Stattdessen verlässt er sich auf das tausendeinhundert Kilometer lange System von nationalen und bundesstaatlichen Kanälen, über die das Schmelzwasser aus der High Sierra zu den Farmen und in die Städte Kaliforniens verschifft wird. Doch dieses betonierte und hydraulisch betriebene Beförderungsmittel muss jetzt trotz seiner monumentalen Bauweise eine Auswahl unter den Orten treffen, an die es sein Wasser liefert. Der Westlands Water District, der seine Rohre erst Mitte der 1960er Jahre an das System angeschlossen hat und nur nachrangige vertragliche Rechte besitzt, steht als letzter Bewerber in der Reihe. In diesem Jahr, im letzten Jahr und im Jahr davor hat die Regierung Brads Wasser drastisch vermindert.

»Es ist null«, sagt er. »Wie soll ich mit null Landwirtschaft betreiben?«

Der Ausdruck in Brads Gesicht ist grimmig, doch ich bin nicht sicher wie grimmig. Er nimmt sein Mobiltelefon und tippt die Nummer eines Mittelsmanns aus San Diego ein, der gerade in seinem Auftrag den ganzen Bundesstaat auf der Suche nach großen, zum Verkauf stehenden Einheiten Wasser durchforstet. Der Broker klopft an die Türen von Reisfarmern im Sacramento Valley im hohen Norden, die mehr Wasser zur Verfügung haben als alle anderen Anbauer im Staat, genug Wasser, um ihre Reisfelder zu fluten und das übrige an Nussanbauer zweihundert Meilen weiter südlich zu liefern. Es gibt nur einen Haken. Jeglicher Export von Wasser von Norden nach Süden muss durch das California Delta gepumpt werden, das hydraulische Herz des Staates, wo unsere zwei größten Flüsse, der Sacramento und der San Joaquin, zusammenfließen und ihr Wasser, das Wasser, das wir nicht nutzen, in die Bucht von San Francisco und hinaus ins Meer schieben.

Das Delta, durch die eineinhalb Jahrhunderte lange Einmischung des Menschen arg zugerichtet, steht am Rande des Zusammenbruchs. Es kann das Ökosystem, das der Chinook-Lachs und der Delta-Stint, die beiden am stärksten bedrohten Arten, zum Überleben brauchen, nicht mehr bereitstellen, geschweige denn Städte und Farmen ausreichend versorgen. Und die Dürre macht das Leiten von Wasser durch Dämme, Pumpen, Aquädukte, Kanäle und Rohre unendlich viel schwieriger. Fünf nationale und bundesstaatliche Behörden, die mehr oder weniger zusammenarbeiten, regulieren den Zu- und Abfluss in und aus dem Delta auf die Stunde genau exakt nach den Bedürfnissen der Fische. Zum Leidwesen der Farmer auf der Westside wie Brad liegt das Gesetz in letzter Konsequenz nicht in der Hand der nationalen und bundesstaatlichen Wassermanager, sondern in der Hand der nationalen Biologen. Unter dem Schutz des US-Gesetzes über Gefährdete Arten hat man die Pumpen – die vor sechzig Jahren im Namen der bewässerten Landwirtschaft gebaut wurden – abgeschaltet.

»Es ist ein Flaschenhals«, ertönt die tiefe Stimme des Brokers. »Es gibt willige Verkäufer nördlich des Deltas und verzweifelte Käufer südlich des Deltas. Von Farmer an Farmer. Aber das Gesetz lässt das Wasser nicht durch.«

Was macht ein Mann, der fünftausend Hektar Nüsse anbaut? Er steckt den äußersten westlichen Rand des Landbaus in Fresno ab, wo sonst nur noch Tumbleweeds und Salzschwaden wachsen, und pflanzt weitere hundertzwanzig Hektar Pistazien in ein noch trockeneres Stück alten Baumwollbodens. Das ist der als Pleasant Valley bekannte Außenposten, ein öffentliches Wasserversorgungsgebiet ohne öffentliches Wasser, gleich ob in einem nassen oder einem trockenen Jahr. Früher entsprangen hier drei Bäche und gruben eine Rinne in die Erde. Ich war Zeuge der Gewalt einer Sturzflut im Frühjahr 1995 geworden, als die Wasser des Arroyo Pasajero Creek aus neunhundertfünfzehn Meter Höhe tosend das Küstengebirge herabstürzten und gegen die Verankerungen der Interstate 5 schlugen, just in dem Moment, als Martha Zavala und Linda Angelica Muniz, zwei College-Studentinnen, Freitagabend zurück nach Huron fuhren. Die Brücke kollabierte, und die beiden Spuren der Autobahn fielen in ein Loch, das die jungen Frauen und fünf weitere Menschen verschluckte, die in ihren Autos begraben wurden. Bergungstrupps suchten beinahe eine Woche lang, ehe sie die Leiche von Zavala fanden. Sie war so weit den Bach hinuntergeschleudert worden, dass sie auf einem Baumwollfeld neben ihrem Haus zu liegen kam. »Es ist vorbei«, murmelte ihre Großmutter Mercedes Ruiz immer wieder. Zwanzig Jahre sind seither vergangen, und der Bach ist zu Fels und Stein und Kiesel und Salz und Arakbaum und Kitfuchs zurückgekehrt.

»Da ist es«, sagt Brad und zeigt geradeaus. »Mein Eine-Million-Dollar-Loch.«

Ein Bohrturm und seine monumentale Plattform ragen vor uns auf, als seien wir auf einem texanischen Ölfeld gelandet. Die Bohranlage treibt ein Loch von einem halben Kilometer Tiefe in den Schwemmboden des trockenen Bachs. Wir steigen aus dem Truck und gehen dorthin, wo der Bohrer nicht gerade sanft den Aquifer anzapft. Die Verschalung des Brunnens schneidet durch Ablagerungen von Muscheln aus einer Epoche, die noch vor der Entstehung des Küstengebirges liegt. Das Wasser, das aus dem Rohr schießt – wer weiß, wie alt es ist –, schmeckt wie das Meer. Doch der Pistazie, die Salz und Bor und Arsen verträgt, ist das egal. Im Laufe der Jahre hat Brad elf weitere Löcher in den Boden von Pleasant Valley gegraben, Löcher, die bei einer Tiefe von dreihundert Metern aufhörten. Dieses Loch reicht zweihundertfünfzig Meter tiefer. »Es werden zurzeit so viele Löcher überall im Valley hier gebohrt, dass man ein Jahr auf einen Brunnenbauer warten muss«, sagt er. Ich hatte Glück, dieses Unternehmen in Südkalifornien zu finden.«

Um genau zu sein, die Farmer haben zweitausendfünfhundert Brunnen allein in diesem regenlosen Jahr im San Joaquin Valley gegraben, die höchste aktenkundige Zahl. Mehr als sechshundert dieser Brunnen, und zwar die tiefsten, sind hier draußen auf der Westside. Die Lehre aus jahrzehntelangen gerichtlichen Auseinandersetzungen darüber, was die Regierung dem Farmer auf der Westside schuldet und was der Farmer auf der Westside den Fischen schuldet, läuft auf Folgendes hinaus: Reiche eine Klage ein, um die riesigen Turbinen im Delta wieder zum Pumpen zu bringen; überstehe unterdessen den wärmsten Winter aller Zeiten dadurch, dass du mehr Pistazien anpflanzst und mehr Löcher bohrst, um sie zu bewässern. Als Präsident des Pleasant Valley Water District weiß Brad, dass das unablässige Abpumpen von Grundwasser nicht ewig fortgeführt werden kann. Wir gewinnen aus der kalifornischen Erde jedes Jahr knapp zehn Milliarden Kubikmeter Wasser, mehr als doppelt so viel wie die hinter der Shasta-Talsperre gespeicherte Menge. Ein Acre-Fuß, 1230 Kubikmeter, ist genug, um zwei bis drei Vorstadtfamilien ein Jahr lang zu versorgen.

Um den unermesslichen unterirdischen See vor dem Versiegen zu bewahren, hat der Staat beschlossen, das Abpumpen von Grundwasser erstmals in seiner 164-jährigen Geschichte zu regulieren. Die Regulierung einer kostbaren Ressource so lange aufzuschieben, hört sich für jeden, der Kalifornien kennt, nicht richtig an. Wir waren der erste Staat, der jedes Auto mit einem Gerät zur Smog-Reduzierung ausstattete, der erste Staat mit der Vorgabe, die Treibhausgase um ein Drittel zu senken. Unternehmen verlassen Kalifornien aufgrund der Umweltauflagen in Scharen; zumindest wird uns das von denjenigen, die diese Schutzmaßnahmen ablehnen, erzählt. Dennoch bleibt das Abpumpen des Aquifers ein unveräußerliches Recht eines Farmers. Wenn man bedenkt, wie groß die Farmen hier sind, ist dieser Gedanke gar nicht so abwegig. Tatsächlich ist Kalifornien einer der letzten verbleibenden Bundesstaaten, die sich das Grundwasser als Freiwild vorstellen.

Brad glaubt, dass das neue Gesetz notwendig ist, um das Abpumpen mit Verstand zu betreiben, aber er ist bestimmt froh, dass dessen Umsetzung noch ein Jahrzehnt, wenn nicht gar zwei in der Zukunft liegt. Ein neuer Rechtsstreit um das Wasser unter der Erde erdreistet sich nun, den alten Rechtsstreit um das Wasser über der Erde in den Schatten zu stellen. Brad hat Glück, und sein neuer Brunnen wird fließen, ehe das neue Gesetz greift, und 6800 Liter pro Minute ausgießen, genug, um 41 000 Bäume zu versorgen, die von einem Jahr zum anderen kerngesunde Pistazien liefern.

»Es ist salzig«, sagt er, während er die Flüssigkeit, die noch kurz zuvor Dutzende Meter unter der Erde gegurgelt hat, über seine Hände laufen lässt. »Es ist ja nicht so, dass die Leute es trinken können oder dass ich überschüssige Baumwolle bewässere. Es wird Nahrung daraus gemacht.«

Ein Anflug von Missmut steckt ihm im Hals, und in dem Moment bemerke ich den Blick in seinen Augen. Da beginne ich zu begreifen, dass Brad Gleason, ein guter Mann, der einmal im Jahr im Rahmen einer Kirchenmission nach Kolkata pilgert, um den Armen dort zu helfen, der seine Plantagen seinen drei erwachsenen Kindern zu vermachen beabsichtigt, diese aber erst einmal ihr eigenes Geld verdienen müssen, von demselben Fieber angesteckt ist, das einst James Henry Carson ergriff. Carson war 1846 von Virginia aus nach Westen gereist. Er war der Erste überhaupt, der eine Vorstellung davon hatte, wie dieses wüste und sumpfige Tal mit seinen aufgestauten und großzügig verteilten Flüssen zum reichsten aller landwirtschaftlichen Gärten anwachsen könne. Die Ernte würde allerdings noch warten müssen, denn in den Hügeln von Calaveras war Gold, und Carson sah sich gezwungen, es zu holen. »Wahnsinn ergriff meine Seele. Ungebeten führten meine Beine die Bewegungen einiger vollkommen neuer Polkaschritte aus«, schrieb er in einem seiner ersten veröffentlichten Berichte über das frühe Kalifornien. »Berge von Gold türmten sich auf Schritt und Tritt vor mir auf; Schlösser aus Marmor blendeten das Auge; Tausende von Sklaven standen zu meiner Verfügung; unzählige Jungfrauen stritten um meine Liebe. Die Rothschilds und Girards und Astors schienen mir nichts als arme Leute.« Reichtum durch Gold blieb Carson wie so vielen anderen versagt. Er starb mit zweiunddreißig an einer als Talfieber bekannten Pilzkrankheit, letztendlich in dem Glauben, dass die Landwirtschaft für Kalifornien die große Rettung sei.

»Du schürfst Wasser, Brad«, sage ich lächelnd und bemühe mich, dass es nicht wie eine Schelte klingt.

»Ich weiß, Mark«, antwortet er mit tonloser Stimme. »Aber was soll ich tun? Das Wasser ist dort unten.«

Wo Regen nicht zur Routine gehört und das Land zwischen Dürre und Flut umschlägt, könnte man den Menschen vergeben, wenn sie die Unbeständigkeit der Natur als Reim und Räson ihres eigenen Tuns ansehen. Die indigenen Yokut, die in der Talsohle lebten, verzeichneten einst das Jahr des großen Tule-Feuers als das Jahr, in dem die lange Dürre endete. Als die lange Dürre ein zweites Mal kam, warteten die Yokut am Tulare Lake wieder auf das Feuer der Natur. Als es nicht kam, nahmen sie es vernünftigerweise auf sich, die Tule-Binsen, die in dichten Klumpen in dem Sumpfgebiet wuchsen, in Brand zu stecken. Sie sahen zu, wie die Rauchwolke aufstieg und der Regen wieder einsetzte. So wurde der Aberglaube geboren. So begann das Geschichtenerzählen.

Die Vorstellung, dass das menschliche Tun auf Erden den Geistern gefallen oder missfallen und den Himmel ändern könnte, starb nicht mit der indigenen Kultur. »Der Regen folgt dem Pflug« wurde zu einem Diktum des trockenen Westens, das von Farmern, die genauso ernsthaft wie Brad waren, nachdrücklich verkündet wurde. Dahinter stand keinerlei Wissenschaft außer derjenigen, dass das rechtschaffene Tun des Menschen belohnt werde. In den frühen 1880er Jahren behauptete ein leidenschaftlicher Fürsprecher der Trockenlandwirtschaft, Bewässerung würde nie notwendig sein, solange die Farmer die Erde mit ihren Werkzeugen bearbeiteten. »Seit das Land bestellt wird«, schrieb er, »haben die Niederschläge merklich zugenommen, und es bestehen gute Aussichten, dass die Dürrejahre in Zukunft fast gänzlich verschwinden.« Als die Pflugscharen die Dürre in Kalifornien nicht zu bezwingen vermochten, trat der Pomologe als Fürsprecher auf und verbreitete die Idee, dass sein Anpflanzen von Obstbäumen dazu in der Lage sei. Er legte keinen anderen Beweis vor als die Aussage, dass eine Orange oder ein Pfirsich Gottes süßeste Geschöpfe seien und Er alles Nötige für das Gedeihen der Früchte zur Verfügung stellen werde, einschließlich ausreichend Wassers. Davon, dass die Menschen selbst zu allen möglichen dummen Schlüssen kamen, ganz zu schweigen. Die Macher solcher Mythen stammten ausnahmslos von den üppigen Landschaften des Ostens. Feuchtigkeit lag ihrer Meinung nach im Wesen der Natur. Trockenheit wie die im Westen war eine Anomalie, die zuerst besänftigt und dann, falls das nicht funktionierte, zur Unterwerfung geprügelt werden musste. Ehe wir jedoch beschlossen, unser Schmelzwasser durch die Leistung von Dämmen, Aquädukten und Pumpen zu zähmen, gab es Menschen unter uns, die im Namen einer ausgedörrten Gemeinschaft intervenieren und die Wolken in die eine oder andere Richtung lenken konnten.

So ein Mensch war Charles Hatfield. Er war Nähmaschinenverkäufer, kam etwas handgestrickt daher und arbeitete nach Feierabend als ›Feuchtigkeitsbeschleuniger‹. Im Winter 1915 wurde Hatfield vom Stadtrat von San Diego, der vier zu eins abgestimmt hatte, damit beauftragt, den Lake Morena mit Regen zu füllen. Wie alle anderen Zeitungsleser hatten die Einwohner von Mission Valley die fantastischen Kunststücke von Hatfield dem Regenmacher verfolgt. Der seltsame Quäker schien von den Kräften eines Zauberers besessen, durch die er in den frühen 1900er Jahren eine Reihe von Stürmen heraufbeschworen hatte, die die Dürre über Kalifornien jäh beendeten. Er hatte dem Himmel, der vergessen hatte, wie man Wolken macht, Regen für die Stadt und die Farm und die Wüste abgerungen. In Los Angeles erzeugte er in den ersten vier Monaten des Jahres 1905 fünfundvierzig Zentimeter Niederschlag. Weit draußen in Riverside County, in dem kleinen Boomstädtchen Hemet, versprach er, den halbleeren Stausee gegen eine Gebühr von viertausend Dollar zu füllen. Er löste einen derart starken Wolkenbruch aus, dass sofort achtundzwanzig Zentimeter Regen fielen und das Wasser hinter der Staumauer um über sechs Meter anstieg. Dann packte er seine sieben Sachen und machte sich auf ins San Joaquin Valley. Die Bauern des trockenen Erdbodens waren so dankbar dafür, dass er Regen machte, dass sie ihn acht Jahre in Folge holten. Er wurde der erste Volksheld des ausgedörrten Westens, und die Geschichten über sein Herbeiflüstern von Stürmen rivalisierten mit den Erzählungen von Paul Bunyan und Pecos Bill. Hatfield war zwar überhaupt nicht gesellig und gab das Geheimnis seiner Beschwörungen nie preis, doch seine Mutter erzählte der Presse einmal, dass Gott und die Wissenschaft gemeinsam durch ihren fleißigen Sohn wirkten. Das war eine ebenso gute Erklärung wie die für das von ihm praktizierte primitive Aussäen von Wolken. »Ich mache keinen Regen. Das wäre eine absurde Behauptung«, erklärte er. »Manchmal muss man die Wolken ein wenig kitzeln. Wenn man sie anzustechen und ihnen gut zuzureden weiß, sind die Ergebnisse meist erfreulich.«

Die Boomer4 aus San Diego baten Hatfield nicht, eine Dürre zu beenden. Der Regen war in jenem Winter ganz ohne Kitzeln zurückgekommen. Mehr als 35 Zentimeter waren 1915 gefallen, zehn Zentimeter mehr als durchschnittlich. Doch die natürliche Dürre war der menschengemachten Dürre gewichen. San Diego veranstaltete die Panama-California-Ausstellung, um für seine Rolle als erster amerikanischer Anlaufhafen für Schiffe, die durch den neugebauten Kanal fuhren, zu werben. Um die gut betuchten Investoren zu locken, die die Ausstellung besuchten, musste die Stadt ihnen zeigen, dass sie über eine stete Versorgung mit Wasser verfügte. Der Stausee Lake Morena zum Beispiel war zu zwei Dritteln leer. Ranchers und ortsansässige Immobilienmakler schöpften regelmäßig so viel von der Wassermenge des Flusses ab, dass selbst regenreiche Jahre den Ambitionen San Diegos nicht genügten. Weitere vierzig Millionen Kubikmeter Wasser mussten schnell beigebracht und hinter der Staumauer gespeichert werden, um das Wachstum voranzutreiben, das San Diegos Schicksal war.

Hatfield, stets höflich, hielt nicht hinterm Berg. Er reiste von einer ausgetrockneten Gegend zur nächsten und warb überall mit demselben Angebot: »Zehn Zentimeter Regen für viertausend Dollar. Kein Regen, keine Bezahlung.« Als jedoch San Diego an der Reihe war, versprach er etwas noch Biblischeres: hundertsiebenundzwanzig Zentimeter Regen bis zum Ende des Sommers. Das war die Größenordnung eines Mannes, der die Wüste in einen Regenwald verwandelte. Die Stadtväter waren einverstanden und verpflichteten sich per Handschlag zur Zahlung von zehntausend Dollar, wohlwissend, dass es ein Wunder wäre, wenn er auch nur die Hälfte dieser Menge lieferte. Zehn Riesen waren 1916 eine Menge Geld, etwa so viel wie 230 000 Dollar heute. Doch Hatfield war nicht einzig und allein von Geld getrieben. Sein Gehalt bei der New Home Sewing Machine Company in Los Angeles betrug respektable 125 Dollar pro Monat. Es war vielmehr das Wunder, das ihn bewegte.

Zwar sprach er nie über solche Dinge, doch diejenigen, die ihn in Aktion sahen, erinnerten sich an die Chemikalien, die er von seinen sechs Meter hohen Holztürmen aus in den Himmel abließ. Das Gebräu roch schrecklich, und das nicht zufällig, glaubten sie. Schon in der Antike nahm man an, dass der Gestank von Leichen, die nach einer großen Schlacht verwesten, Regen auslöste. Als das Artilleriefeuer zu einem Merkmal des Kriegs wurde, vermutete Benvenuto Cellini, der Florentinische Schriftsteller und Bildhauer aus dem sechzehnten Jahrhundert, Schießpulverexplosionen hätten dazu geführt, dass sich der Himmel durch einen Wolkenbruch öffnete. Die Theorie, dass die Natur sich gezwungen sah, den Gestank des Menschen wegzuwaschen, erklärte die Stürme, die die spanische Armada zerstörten, den Schlamm, der Napoleon in Waterloo festsetzte, und zweihundert Fälle von Niederschlägen, die auf die Fäulnis des Schlachtfelds im Bürgerkrieg und die Massaker an den Ureinwohnern Amerikas im Westen fielen. An schlechten Gerüchen lag es, dass der große Brand von Chicago sich selbst durchnässte.

In der ersten Januarwoche 1916 gingen Hatfield und sein Bruder in die Berge östlich von San Diego und errichteten ein paar Holztürme auf einem Hang am Lake Morena. Hatfield war ein Strich in der Landschaft mit einer spitzen Nase und einem spitzen Kinn, trug einen sorgfältig gebügelten Anzug, frische Wäsche und einen breiten Quäkerhut. Seine blasse weiße Haut, sie war fast unheimlich durchsichtig, ließ seine blauen Augen noch stechender erscheinen. Von der Warte einiger Schaulustiger aus war es nicht einfach, zu erkennen, was er oben auf den Türmen tat. Er nahm eine schwarze Flasche und noch eine, mischte einen Cocktail aus vielen Chemikalien und goss ihn in ein Set von flachen Eisenpfannen. Dämpfe schwebten zum Himmel. Ein Augenzeuge berichtete, es habe gerochen, als ob eine »Limburger Käsefabrik ausgebrochen sei«. Andere sagten, er habe die Chemikalien mit einer Metallvorrichtung in den Himmel geschossen, kleine Bomben, die Feuer und Rauch spuckten und die Kumuluswolken berührten. Ein Spötter, ein Bezirksbieneninspektor, scherzte, Hatfield »konnte mehr reden und weniger sagen als irgendjemand anders, den ich je kannte.« Der Bieneninspektor bemerkte, dass der Regen bereits Tage zuvor eingesetzt hatte, als Hatfield gerade das Holz zum Bau seiner Türme kaufte. »Ich wünschte, ich wäre mit meinem Gerät draußen in diesem Regen«, sagte Hatfield zu dem Mann. »Sie bekommen vielleicht acht Zentimeter von diesem Sturm. Ich könnte Ihnen neun geben.«

Die Unterstellung, dass Hatfields Begabung bloß eine Frage von einwandfreiem Timing war, erklärte nicht annähernd, was in den darauffolgenden Tagen, Wochen und Monaten geschah. Am 10. Januar setzte der Regen ein, und es goss anhaltend in solchen Strömen, dass selbst die Zweifler sich zu wundern begannen. »Lasst uns Hatfield 10 000 Dollar dafür bezahlen, dass es aufhört zu regnen«, witzelte ein Grundstückseigentümer, der in ein Ruderboot gezwungen wurde. In den nächsten fünf Tagen fielen unglaubliche dreiundvierzig Zentimeter Regen herab. War es Gott? War es Hatfield? Als der Wasserstand hinter dem Morena-Staudamm auf nie gesehene Höhen stieg, griff Hatfield nach dem Telefon und rief vom Stausee aus die San Diego Union an. »Ich verstehe, dass die Zeitungen sagen, ich hätte den Regen nicht gemacht. Dazu kann ich nur sagen, dass in Morena in den letzten fünf Tagen vierundvierzigeinhalb Zentimeter Regen fielen, was meines Wissens alle vergleichbaren Rekorde für diesen Ort bricht.«

Der San Diego River, der durch das Umleiten von Wasser durch Farmer und Subdivider5 zu einem Rinnsal verkommen war, fand zurück zu alter Wildheit. Der Fluss trat über die Ufer, unterspülte Straßen und Brücken, hob Bahngleise an, höhlte Berghänge aus und flutete Häuser und Farmen im gesamten Mission Valley. Im Süden brach der Tijuana River über die utopische Gemeinde Little Landers herein, vernichtete die Ernte und riss die Träumenden mit sich fort.

Eine zwölf Meter hohe Wand aus Wasser nahm den Steindamm des Dulzura Creek wie eine Hürde mit einem donnernden Tosen, wie es die Einwohner nie zuvor gehört hatten. Der im Hinterland der Region angerichtete Schaden war »unglaublich«. In der Nähe der Mündung des Otay River war eine Siedlung japanischer Fischer in die San-Diego-Bucht gespült worden. Als die japanischen Siedler nach ihren Toten suchten, sprach eine Gruppe weißer Männer davon, ein paar Leute zu organisieren, die zum Morena-Damm reiten und den Zauberer lynchen sollten.

Sie wussten nicht, dass Hatfield schon längst weg war, durch Bäche watete und auf und ab durch schlammgefüllte Gräben stieg. Er wanderte zurück nach San Diego, um sich seine zehn Riesen abzuholen, und zwar aus dem einfachen Grund, dass er sein spektakuläres Versprechen eingelöst hatte. Der Damm am Lake Morena war absolut randvoll mit Regen gefüllt. Der Wasserspeicher hatte zum ersten Mal die Menge von fünfzehn Milliarden Gallonen überschritten. Als Hatfields Stürme dann vorüber waren, hatte San Diego mehr als einhundertdreißig Zentimeter Regen verzeichnet.

Die guten Männer vom Stadtrat dachten jedoch nicht daran, ihren Handschlag in Ehren zu halten. Erstens war, so argumentierten sie, nach dem Handschlag nie eine Unterschrift erfolgt. Zweitens waren nach Schätzung des amtlichen Leichenbeschauers etwa fünfzig Menschen in der fortan so genannten Hatfield-Flut ums Leben gekommen. Und drittens hatte Hatfield nun eine Wahl. War es Gottes Werk, schuldete die Stadt ihm nichts. War es sein Werk, schuldete er der Stadt Millionen für den Schaden, den sein Regen angerichtet hatte. Hatfield verklagte San Diego wegen Wortbruchs, und der Fall sprang in den nächsten zwanzig Jahren in der einen oder anderen Form von Gericht zu Gericht. Die Stadt bezahlte ihm nie einen Dime.

Hatfield der Regenmacher

Als Carey McWilliams, einer der ersten und beständigsten Chronisten des Mythos Kalifornien, 1922 nach Kalifornien kam, war er von Hatfield als Metapher sofort angezogen. Viele Ortschaften in dem weit ausgedehnten Becken stellten Hatfield als Regenmacher immer noch unter Vertrag. Als die Zeitungen die Tage zählten, die ihm noch zur Erfüllung einer seiner Verpflichtungen geblieben waren, spekulierten Tausende von Südkaliforniern, die den Himmel beobachteten, ob »Hatfield es wohl schaffen würde«. In seinem Buch Southern California Country stellte McWilliams Überlegungen dazu an, dass dieser Glaube an die außergewöhnliche Kraft eines Mannes, eine Gemeinde vor dem Untergang zu retten, aus einem seltsamen Gefühl der Unbeständigkeit erwuchs. »Selbst Neuankömmlingen ist es irgendwie klar, dass das Gebiet semiarid ist, dass die Wüste in der Nähe liegt und dass das ganze pulsierende, betriebsame Leben in Südkalifornien auf einer einzigen, wackeligen Prämisse beruht, nämlich dass die Lebensadern der Aquädukte die Region weiterhin ausreichend mit Wasser versorgen«, schrieb er. »Das Exotische wurde diesem semiariden Land auferlegt; es ist ihm nicht ursprünglich.«

J. B. Priestley, ein englischer Romanschriftsteller, der Kalifornien lange genug besucht hatte, um Das Jüngste Gericht zu schreiben, eine in der Mojave-Wüste angesiedelte apokalyptische Fantasie, empfand etwas Verstörendes an diesem seltsamen Winkel von Amerika, eine unbestimmte Furcht, dass trotz aller Erfindungen des Menschen, darunter keine höhere als die Beförderung von Wasser, alles vergebens sein werde. Gott würde Kalifornien am Ende heimsuchen, und zwar schon bald. »Eine finstere Andeutung von Vergänglichkeit«, so Priestleys Beschreibung. »Diese Erde und diese Luft hier haben etwas Menschenfeindliches an sich. Als seien wir nicht dazu bestimmt, uns in diesem seltsam enervierenden Sonnenschein niederzulassen […] Kalifornien wird wieder eine stille Wüste sein. Alles ist unbeständig und brüchig wie eine Filmrolle.«

Der Gründungspräsident der Stanford University, Professor David Starr Jordan, war fest entschlossen, Löcher in die Legende von Hatfield zu bohren. Der Mythos des Regenmachens im modernen Kalifornien ließ sich mindestens bis zum Sommer 1833 zurückverfolgen, als Einwohner von Santa Barbara, verblüfft darüber, dass der Himmel knauserig geworden war, die heiligen Väter von der Mission baten, mit einem Bild von der gesegneten Jungfrau Maria durch die Stadt zu ziehen und um ihre Fürsprache zu bitten. Im Namen der Wissenschaft stellte Professor Jordan fest, dass Hatfield weder ein Zauberer war, der einen Stab aus Haselholz schwang, noch ein praktizierender Anhänger der ›Wissenschaft der Pluvikultur‹. Vielmehr studierte er sorgfältig die Wetteraufzeichnungen. Hatfield wartete also ab, bis im Dezember oder Januar ausbleibender Winterregen die Kalifornier zur Verzweiflung brachte, und tauchte dann vor den Toren einer Stadt oder Farm auf. Mit oder ohne den Geruch von Limburger Käse, das Kommen des Regens entsprach einem Muster.

Trotz der gründlichen Entlarvung durch den Professor verbreitete sich Hatfields Ruhm. Von Texas bis zum Klondike River, von Kanada bis Mittelamerika tauchte er überall dort auf, wo der Boden trocken war und die Menschen willens, ihm zehn Riesen zu zahlen. In der Mojave-Wüste in der Nähe von Randsburg erzeugte er um die hundert Zentimeter Regen in drei Stunden. »Ich habe keinen Zweifel daran«, sagte Hatfield, »dass meine Methoden all die schrecklichen Verluste in der Dust Bowl verhindert hätten, wenn man sie nur ins Spiel gebracht hätte.« Das Letzte, was man von Hatfield in San Diego hörte, war, dass er sein geheimes Gebräu im Dschungel von Honduras mischte, um die Bananenernte des Landes vor einer Feuersbrunst zu retten. Sein letzter Auftritt in der Öffentlichkeit war bei der Hollywoodpremiere von The Rainmaker, dem Film von 1956, der lose auf seinem Leben basiert, mit Burt Lancaster und Katharine Hepburn in den Hauptrollen. Er starb zwei Jahre später und nahm das Geheimnis seines Rezepts mit ins Grab.

Hätten der Meteorologie im Jahr 1916 Radar und Satelliten zur Verfügung gestanden, hätten die in dem Fall Hatfield gegen San Diego aufgetischten Taten Gottes das heute als atmosphärischer Fluss bekannte Phänomen zur Folge gehabt. Wenn die Menschen in Kalifornien gegen die Dürre um Regen beten, beten sie um die Rückkehr eines immensen Feuchtigkeitsbands, das während sogenannter El Niño-Jahre aus den Tropen angeweht kommt. Beim Wünschen ist Vorsicht geboten, denn die mächtigsten dieser Himmelsflüsse können über Wasserscheiden, die zu Überschwemmungen neigen, stehenbleiben und tagelang Regen ausschütten. Die Tropfen – groß, fett und windgetrieben – schlagen in spitzen Winkeln auf der Erde auf. Hatfields Flut war höchstwahrscheinlich das Produkt von nicht nur einem atmosphärischen Fluss, sondern von zwei aufeinanderfolgenden in einem Monat. Im Winter 1996–1997 konnte ich ein ähnliches Phänomen beobachten, als eine Reihe kalter Stürme die Sierra Nevada in Schnee hüllte, auf die eine Reihe warmer Stürme folgte – der sogenannte Ananas-Express –, die die Schneedecke im Nu wieder schmelzen ließ. Diese Kombination aus Regen und Schneeschmelze überwältigte die Flüsse und Bäche. Kaliforniens Mitte wurde wieder zu Sumpf.

Ein paar Tage nach dem Sturm klingelte das Telefon in meinem Büro. Es war einer meiner Kollegen von der Los Angeles Times, die von unserem Büro in Sacramento aus berichteten.

»Ich weiß nicht, ob du es gehört hast,« sagte er, »aber der Tulare Lake ist wieder zum Leben erwacht.«

»Der Tulare Lake?« Ich holte die Landkarte aus einer Schreibtischschublade und fuhr mit dem Zeigefinger über die Westside des Valley zwischen Kettleman City und Corcoran, wo das California Aqueduct verlief. Dort gab es tatsächlich einen Tulare Lake, und er war sogar blau eingezeichnet. Doch der Kartograf hatte ihm exakt die Form eines Quadrats gegeben.

»Der quadratische See?«

»Ja, genau«, antwortete mein Kollege. »Er ist ein Phantom, ein Geist, der für Jahre verschwindet und dann plötzlich mit einer Flut zurückkommt.«