Robert Louis Stevenson - Robert Louis Stevenson - E-Book

Robert Louis Stevenson E-Book

Robert Louis Stevenson

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Beschreibung

Mit alphabetischem Index Die Werke auf 3391 Seiten Robert Louis Balfour Stevenson war ein schottischer Schriftsteller des viktorianischen Zeitalters. Er wurde nur 44 Jahre alt; jedoch hinterließ er ein umfangreiches Werk von Reiseerzählungen, Abenteuerliteratur und historischen Romanen sowie Lyrik und Essays. Bekannt geworden sind vor allem der Jugendbuchklassiker »Die Schatzinsel« sowie die Schauernovelle »Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde«. Eine Reihe seiner Romane ist heute noch populär und zum Teil verfilmt worden. Null Papier Verlag

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Robert Louis Stevenson

Robert Louis Stevenson

Gesammelte Werke

Robert Louis Stevenson

Robert Louis Stevenson

Gesammelte Werke

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]: Jürgen Schulze 2. Auflage, ISBN 978-3-954186-61-7

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Ro­bert Louis Ste­ven­son

Rei­se­be­rich­te

In der Süd­see -- Zwei­ter Band

In der Süd­see -- Ers­ter Band

Ro­ma­ne

Die Schat­zin­sel

Ent­führt

Ca­trio­na

Die Her­ren von Her­mi­ston

Der Schatz von Fran­chard

Der Strand von Fa­le­sa

Der selt­sa­me Fall des Dok­tor Jekyll und des Herrn Hyde

Der Jun­ker von Ballan­trae

Er­zäh­lun­gen

Das Fla­schen­teu­fel­chen

Der Selbst­mord­klub -- De­tek­tiv­ge­schich­ten

Des Ra­jahs Dia­mant

Die tol­len Män­ner

Mark­heim

Will von der Müh­le

Die krum­me Ja­net

Die Stim­men­in­sel

Die In­sel der Stim­men

In­dex

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Mark Twain - Ge­sam­mel­te Wer­ke

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Robert Louis Stevenson

Ro­bert Louis Bal­four Ste­ven­son (* 13. No­vem­ber 1850 in Edin­bur­gh; † 3. De­zem­ber 1894 in Vai­li­ma, nahe Apia, Sa­moa) war ein schot­ti­scher Schrift­stel­ler des vik­to­ria­ni­schen Zeit­al­ters. Ste­ven­son, der an Tu­ber­ku­lo­se litt, wur­de nur 44 Jah­re alt; je­doch hin­ter­ließ er ein um­fang­rei­ches Werk von Rei­seer­zäh­lun­gen, Aben­teu­er­li­te­ra­tur und his­to­ri­schen Ro­ma­nen so­wie Ly­rik und Essays.

Be­kannt ge­wor­den sind vor al­lem der Ju­gend­buch­klas­si­ker »Die Schat­zin­sel« so­wie die Schau­er­no­vel­le »Der selt­sa­me Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde«. Eine Rei­he sei­ner Ro­ma­ne ist heu­te noch po­pu­lär und zum Teil ver­filmt wor­den.

Ro­bert Louis Ste­ven­son wur­de als ein­zi­ger Sohn des In­ge­nieurs und Leucht­turm­bau­ers Tho­mas Ste­ven­son und der Mar­ga­ret Isa­bel­la Ste­ven­son, ge­bo­re­ne Bal­four, in Ho­ward Place, Edin­bur­gh, ge­bo­ren.

Das schot­ti­sche Kli­ma mit küh­len Som­mern und reg­ne­ri­schen, neb­li­gen Win­tern war für Mut­ter und Sohn äu­ßerst un­güns­tig, die bei­de zeit ih­res Le­bens von ge­schwäch­ter Kon­sti­tu­ti­on wa­ren. Lang Jah­re er­hielt Ste­ven­son als Kind und Ju­gend­li­cher Pri­vat­un­ter­richt, da er zu oft krank war, um ei­nem re­gel­mä­ßi­gen Schul­be­such nach­ge­hen zu kön­nen.

Wäh­rend sei­ner Kind­heit schrieb Ste­ven­son stän­dig Essays und Ge­schich­ten. Das ers­te his­to­ri­sche Buch des jun­gen Ste­ven­son »Pent­land Ri­sing«, das er in der Tra­di­ti­on der Ro­ma­ne von Sir Wal­ter Scott ver­fass­te, er­schi­en im Jahr 1866. Der Ro­man war von ge­rin­gem li­te­ra­ri­schem Wert.

1867 im­ma­tri­ku­lier­te sich Ste­ven­son an der Uni­ver­si­tät Edin­bur­gh, stu­dier­te zu­nächst Tech­nik und wech­sel­te auf­grund sei­nes la­bi­len Ge­sund­heits­zu­stands 1871 zum Stu­di­um der Rechts­wis­sen­schaft. Der hoch­ge­wach­se­ne schmal­schult­ri­ge Louis gab sich als Bo­he­mi­en, trug eine blaue Samt­ja­cke, schul­ter­lan­ges Haar und einen Schnurr­bart und er­reg­te mit sei­nem Auf­tre­ten Auf­se­hen in sei­ner Hei­mat­stadt. Sei­ne Dis­ku­tier­freu­de, die Hin­wen­dung zum Athe­is­mus und die Auf­leh­nung ge­gen die so­zia­len Ver­hält­nis­se im vik­to­ria­ni­schen Kö­nig­reich ent­frem­de­ten ihn dem kon­ser­va­ti­ven El­tern­haus.

Am 19. Mai 1880 hei­ra­te­te Ste­ven­son die 10 Jah­re äl­te­re und ge­schie­de­ne Fan­ny Os­bour­ne, die zwei Kin­de mit in die Ehe brach­te. Wi­der Er­war­ten ver­stan­den sich der streng kon­ser­va­ti­ve cal­vi­nis­ti­sche Va­ter Tho­mas Ste­ven­son und die ge­schie­de­ne, Zi­ga­ret­ten rau­chen­de Schwie­ger­toch­ter aus­ge­zeich­net.

1880 dia­gno­s­ti­zier­ten Ärz­te bei Ste­ven­son eine be­gin­nen­de Tu­ber­ku­lo­se.

Wäh­rend ei­ner Schlecht­wet­ter­pe­ri­ode in Brae­mar, ei­nem klei­nen Hoch­land­dorf in Schott­land, in das sich die Fa­mi­lie mitt­ler­wei­le zu­rück­ge­zo­gen hat­te, zog Ste­ven­son sich eine star­ke Er­käl­tung zu, muss­te sei­ne Wan­de­run­gen auf­ge­ben und wid­me­te sich sei­nem Stief­sohn Lloyd. Er half ihm beim Ma­len: »Bei die­ser Ge­le­gen­heit fer­tig­te ich die Land­kar­te ei­ner In­sel an. Die Ge­stalt die­ser In­sel be­fruch­te­te mei­ne Phan­ta­sie au­ßer­or­dent­lich. Da wa­ren Ha­fen­plät­ze, die mich ent­zück­ten wie So­net­te, und im Be­wußstsein ei­ner Schick­sals­be­stim­mung nann­te ich mein Er­zeug­nis ›Die Schat­zin­sel‹«. Auf die­se Wei­se ent­stand die An­re­gung zu Ste­ven­sons ers­tem Ro­man, »Tre­a­su­re Is­land« (»Die Schat­zin­sel«), der für sei­nen Stief­sohn ge­schrie­ben und ihm ge­wid­met wur­de. Der Pro­tago­nist Jim Hawkins soll­te in Lloyds Al­ter sein; Wil­liam Er­nest Hen­ley, Ste­ven­sons Mither­aus­ge­ber des Lon­don Jour­nal, war als fuß­am­pu­tier­ter trink­fes­ter Schot­te das Vor­bild für den Pi­ra­ten Long John Sil­ver.

»Die Schat­zin­sel« er­schi­en ab Ende des Jah­res 1881 in meh­re­ren Fort­set­zun­gen in der Ju­gend­zeit­schrift Young Folks, fand je­doch we­nig Be­ach­tung. Als im Jahr 1883 der Ro­man mit dem Ti­tel »Tre­a­su­re Is­land« in Buch­form bei Cas­sel & Com­pa­ny in Lon­don ver­öf­fent­licht wur­de, aus­ge­stat­tet mit zahl­rei­chen Holz­schnit­ten von Ge­or­ges Roux und der ab­ge­druck­ten Schatz­kar­te, wur­de er ein Best­sel­ler; be­reits nach we­ni­gen Jah­ren wa­ren 75.000 Exem­pla­re ver­kauft.

Im Jahr 1886 schrieb Ste­ven­son »Der selt­sa­me Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde«, eine Schau­er­no­vel­le, die auf ei­nem au­then­ti­schen Fall be­ruht.

1887 lern­te Ste­ven­son den ame­ri­ka­ni­schen Schrift­stel­ler Hen­ry Ja­mes ken­nen, der sich als ei­ner der ers­ten Kri­ti­ker ernst­haft, zu­gleich be­geis­tert, mit sei­nem Werk aus­ein­an­der­setz­te.

Der Va­ter Tho­mas Ste­ven­son verstarb am 8. Mai 1887 in Edin­bur­gh.

Wäh­rend ei­nes Be­suchs in New York im Jahr 1888 traf Ste­ven­son Mark Twain, des­sen »Huck­le­ber­ry Finn« ihn be­geis­tert hat­te; im Wa­shing­ton Squa­re Park sa­ßen bei­de lan­ge auf ei­ner Bank und dis­ku­tier­ten. Ein Brief­wech­sel schloss sich dar­auf­hin an.

Im De­zem­ber 1898 be­such­te Ste­ven­son erst­mals Sa­moa, wo er ein An­we­sen am Fuß des Mount Vaea, un­weit Apia auf der In­sel Upo­lu er­warb. Der Plan­ta­ge, die Ste­ven­son für 400 Pfund er­wor­ben hat­te, und dem Wohn­haus, das ab Ja­nu­ar 1891 in zwei­jäh­ri­ger Bau­zeit er­rich­tet wur­de, gab er den Na­men »Vai­li­ma« (»Was­ser aus der Hand«).

Zeit­wei­se leb­ten auf der Plan­ta­ge ein gan­zer Fa­mi­li­en-Clan: Groß­mut­ter, Mut­ter, Va­ter, Kin­der, An­ge­hei­ra­te­te und En­kel.

Am Abend des 3. De­zem­ber 1894 brach Ste­ven­son be­wusst­los zu­sam­men. Her­bei­ge­ru­fe­ne Ärz­te konn­ten nicht mehr hel­fen. Im Bei­sein der Fa­mi­lie, der Die­ner und Geist­li­chen starb Ste­ven­son, erst 44-jäh­rig, ohne noch ein­mal das Be­wusst­sein er­langt zu ha­ben. Als To­des­ur­sa­che wur­de eine In­tra­ze­re­bra­le Blu­tung ver­merkt. Die Ein­hei­mi­schen de­fi­lier­ten am To­ten­bett vor­bei und hiel­ten die To­ten­wa­che. Ste­ven­son wur­de am Gip­fel des Mount Vaea be­gra­ben, wie er es sich ge­wünscht hat­te.

Ro­bert Louis Ste­ven­son hat ein um­fang­rei­ches Werk von Ro­ma­nen, No­vel­len, Rei­se­be­schrei­bun­gen, Thea­ter­stücken, Ge­dich­ten, Essays und Brie­fen hin­ter­las­sen. Es ist dem häu­fi­gen Orts­wech­sel Ste­ven­sons ge­schul­det, dass sein Nach­lass weit ver­streut ar­chi­viert ist.

Zu Leb­zei­ten war Ste­ven­son sehr be­kannt, doch als die Li­te­ra­tur der klas­si­schen Mo­der­ne nach dem Ers­ten Welt­krieg auf­kam, wur­de er in Groß­bri­tan­ni­en als Au­tor zwei­ter Klas­se an­ge­se­hen, be­grenzt auf das Gen­re der Kin­der- und Hor­ror­li­te­ra­tur. Erst das spä­te 20. Jahr­hun­dert wür­dig­te Ste­ven­son wie­der als einen Au­tor ers­ten Ran­ges, als Li­te­ra­tur­theo­re­ti­ker, Essayis­ten und So­zi­al­kri­ti­ker, als Hu­ma­nis­ten und als Zeu­gen der Ge­schich­te der pa­zi­fi­schen In­seln.

Reiseberichte

In der Südsee -- Zweiter Band

Ti­tel der eng­li­schen Ori­gi­nal­aus­ga­be »The South Seas«, 1890

Aus dem Eng­li­schen von Mar­gue­ri­te The­sing

Die Paumotu-Inseln II

Erstes Kapitel. Ein Begräbnis auf den Paumotu

Nein, ich wuß­te nichts von dem Grau­en, das die­se Män­ner be­seel­te. Und doch hat­te ich auch da­mals schon einen Fin­ger­zeig er­hal­ten, nur hat­te ich den Wink nicht ver­stan­den. Das war bei Ge­le­gen­heit ei­nes Be­gräb­nis­ses.

Et­was ab­seits, aber den­noch in der Haupt­stra­ße von Ro­to­a­va ge­le­gen, steht in­mit­ten ei­ner klei­nen Ein­frie­dung eine nied­ri­ge Laub­hüt­te, die in­des ei­nem Schwei­ne­stall in ei­ner Hür­de gleicht, und dort wohn­ten ganz al­lein ein ur­al­ter Mann und sei­ne ur­al­te Frau. Vi­el­leicht wa­ren sie schon zu alt, um mit der üb­ri­gen Be­völ­ke­rung aus­zu­wan­dern, viel­leicht wa­ren sie auch zu arm und nann­ten über­haupt kei­nen Be­sitz ihr ei­gen, um den sie sich hät­ten strei­ten kön­nen. Wie dem auch sei, sie wa­ren zu­rück­ge­blie­ben, und so kam es, daß sie zu mei­nem Fes­te ge­la­den wur­den. Wahr­schein­lich fan­den in dem Schwei­ne­stall lang­wie­ri­ge po­li­ti­sche Er­ör­te­run­gen statt, ob man nun hin­ge­hen soll­te oder nicht, und der Gat­te schwank­te lan­ge zwi­schen Neu­gier und sei­nem ho­hen Al­ter, bis end­lich die Neu­gier sieg­te und sie ka­men. Und da, mit­ten in ih­rem letz­ten Ge­la­ge, er­schi­en der Tod und klopf­te dem Al­ten auf die Schul­ter. Ein paar Tage lang, wäh­rend der Him­mel hell und der Wind er­fri­schend wa­ren, lag sei­ne Mat­te mit­ten auf der Haupt­stra­ße des Dor­fes, und man konn­te ihn dort lie­gen se­hen, apa­thisch, nur noch eine Hand­voll von ei­nem Men­schen, und sei­ne Frau saß nicht min­der apa­thisch zu sei­nen Häup­ten. Bei­de schie­nen so­wohl un­se­ren Be­dürf­nis­sen wie den ge­wöhn­li­chen mensch­li­chen Fä­hig­kei­ten ent­rückt zu sein; sie spra­chen we­der, noch lausch­ten sie, wenn man mit ih­nen sprach; sie lie­ßen uns vor­über­ge­hen, ohne auch nur ein ein­zi­ges Mal auf­zu­bli­cken; die Frau fä­chel­te ih­ren Mann nicht, noch schi­en sie ihm ir­gend­wie auf­zu­war­ten. So ruh­ten die bei­den ar­men Über­bleib­sel von Men­schen dicht ne­ben­ein­an­der un­ter dem ho­hen Pal­men­bal­da­chin, die mensch­li­che Tra­gö­die auf ihre nack­tes­ten Ele­men­te zu­rück­ge­führt, ein An­blick, der jen­seits von Mit­leid lag und nur ein Ge­fühl von Neu­gier­de er­reg­te. Und doch be­rühr­te mich et­was tra­gisch: der Ge­dan­ke, daß selbst in die­sen ver­schrumpf­ten Adern vor kur­z­em noch so viel ju­gend­li­che Er­war­tung pul­siert und der Mann die Nei­ge sei­nes Le­bens auf ei­nem Fest ver­geu­det hat­te.

Am Mor­gen des 17. Sep­tem­bers starb der Kran­ke end­lich und wur­de, da die Zeit dräng­te, noch am glei­chen Tage um vier Uhr nach­mit­tags be­gra­ben. Der Fried­hof liegt nach dem Mee­re zu hin­ter dem Re­gie­rungs­ge­bäu­de; ge­schot­ter­te Koral­le bil­det, ähn­lich wie un­ser Weg­schot­ter, den Bo­den, ein paar höl­zer­ne Kreu­ze, we­ni­ge un­schein­ba­re Stei­ne be­zeich­nen die Grä­ber, eine mit Be­ton ver­kit­te­te Mau­er, hoch ge­nug, um sich dar­an leh­nen zu kön­nen, schließt ihn ein, und üp­pi­ges Strauch­werk um­gibt ihn mit sei­nen hell­grü­nen Blät­tern. Hier beim Ge­kreisch der Mee­res­vö­gel wur­de an je­nem Mor­gen das Grab ge­gra­ben, ohne Zwei­fel von recht ängst­li­chen To­ten­grä­bern, wäh­rend der Tote in sei­nem Hau­se war­te­te und die Wit­we zu­sam­men mit noch ei­nem an­de­ren ur­al­ten Weib­lein vor dem Tore an der Mau­er lehn­te, kein Wort auf ih­ren Lip­pen und ihre Bli­cke leer.

Pünkt­lich auf die Mi­nu­te setz­te sich die Pro­zes­si­on in Be­we­gung; der Sarg war in Weiß gehüllt und wur­de von vier Trä­gern ge­tra­gen. Das Trau­er­ge­fol­ge war nicht groß, denn nur we­ni­ge wa­ren in Ro­to­a­va zu­rück­ge­blie­ben, und die we­nigs­ten ka­men in Schwarz, denn alle wa­ren arm. Die Män­ner tru­gen Stroh­hü­te, wei­ße Rö­cke und blaue Ho­sen oder grell­bun­te, teil­wei­se ge­färb­te Pa­ri­us, das ta­hi­ti­sche Hoch­lands­röck­chen; die Frau­en wa­ren mit ge­rin­gen Aus­nah­men in hel­le Far­ben ge­klei­det. Als letz­te folg­te die Wit­we, müh­sam des To­ten Schlaf­mat­te hin­ter sich schlep­pend, ein Ge­schöpf über das Men­schen­mög­li­che hin­aus ge­al­tert und am ehe­s­ten noch dem »miss­ing link« ver­gleich­bar.

Der Tote war Mor­mo­ne ge­we­sen, da aber der mor­mo­ni­sche Geist­li­che mit den an­de­ren nach der Nach­ba­rin­sel ge­zo­gen war, um sich über die Gren­zen sei­ner Grund­stücke zu zan­ken, über­nahm ein Laie für ihn das Pre­di­ge­r­amt. Da stand er zu Häup­ten des Gra­bes in ei­nem wei­ßen Rock und ei­nem blau­en Pa­riu, sei­ne ta­hi­ti­sche Bi­bel in der Hand und das eine Auge mit ei­nem ro­ten Ta­schen­tuch ver­bun­den. Fei­er­lich las er das Ka­pi­tel aus Hiob vor, das schon über so man­chen Über­res­ten un­se­rer Vä­ter ge­le­sen wor­den ist, und sprach mit lau­ter Stim­me zwei Ge­be­te. Wind und Bran­dung bil­de­ten den Chor. Am Fried­hof­sein­gang säug­te eine Mut­ter in Rot ein Kind in blau­en Win­deln. In un­se­rer Mit­te saß die Wit­we auf dem Erd­bo­den und scheu­er­te mit ei­nem Stück­chen Koral­le eine der Trag­stan­gen blank, et­was spä­ter dreh­te sie dem Gra­be den Rücken und be­gann mit ei­nem Blat­te zu spie­len. Ver­stand sie et­was von al­le­dem? Gott al­lein weiß es. Der Of­fi­zi­ant hielt einen Au­gen­blick inne, bück­te sich und warf ehr­furchts­voll eine Hand­voll ras­seln­der Koral­len auf den Sarg. Staub zu Staub, nur daß hier die Staub­körn­chen groß wie Kir­schen wa­ren und daß der wah­re Staub, der dem an­de­ren bald fol­gen soll­te, dicht da­ne­ben saß, ein­zig durch ein Wun­der in die tra­gi­sche Ge­stalt ei­ner Äf­fin ge­bannt.

So­weit glich al­les, ob mor­mo­nisch oder nicht, ei­nem christ­li­chen Be­gräb­nis. Die alt­be­kann­te Stel­le aus Hiob war ver­le­sen wor­den, das Ge­bet ge­spro­chen, das Grab auf­ge­füllt, und die Leid­tra­gen­den be­ga­ben sich ein­zeln nach Hau­se. Ab­ge­se­hen von der et­was grö­be­ren Erd­de­cke, der et­was auf­dring­li­che­ren Stim­me des Ozeans, dem stär­ke­ren Son­nen­licht, das über der pri­mi­ti­ven Ein­frie­dung spiel­te, und den ein we­nig de­pla­zier­ten Far­ben der Trau­er­klei­der, hat­te man wohl­be­kann­te alte For­men ein­ge­hal­ten.

Von rechts­we­gen hät­te es ganz an­ders kom­men sol­len. Die Mat­te hät­te ei­gent­lich mit dem Be­sit­zer be­gra­ben wer­den müs­sen, da die Fa­mi­lie aber sehr arm war, spar­te man sie klu­ger­wei­se bis zu dem nächs­ten Be­gräb­nis auf. Die Wit­we hät­te sich über das Grab hin­wer­fen sol­len, um die of­fi­zi­el­le To­ten­kla­ge zu er­he­ben, in die die Nach­barn dann ein­ge­stimmt hät­ten, und die schma­le In­sel hät­te eine Wei­le von ih­ren La­men­ta­tio­nen wi­der­ge­hallt. Aber die Wit­we war alt; viel­leicht hat­te sie ihre Rol­le ver­ges­sen, viel­leicht sie auch nie­mals rich­tig be­grif­fen, statt des­sen spiel­te sie wie ein Kind mit Blät­tern und Trag­stan­gen. In al­len Punk­ten war der Ri­tus, mit dem mein Gast be­gra­ben wur­de, ver­stüm­melt wor­den. Selt­sam, die­ser Ge­dan­ke, daß sei­ne letz­te be­wuß­te Freu­de die »Cas­co« und mein Fest ge­we­sen wa­ren, selt­sam, daß er wie ein al­tes Kind dort­hin ge­hum­pelt kam auf der Su­che nach neu­en gu­ten Din­gen. Und das Bes­te von al­len gu­ten Din­gen, Ruhe, war ihm ge­währt wor­den.

Aber ob­wohl die Wit­we vie­les ver­nach­läs­sigt hat­te, eine Sa­che durf­te sie nicht au­ßer acht las­sen. Auch sie ging mit dem sich auf­lö­sen­den Trau­er­ge­fol­ge hin­weg, doch blieb des To­ten Mat­te auf dem Gra­be zu­rück, und ich er­fuhr, daß sie bei Son­nen­un­ter­gang wie­der­kom­men müß­te, um dort zu schla­fen. Die­se Nacht­wa­che ist ein­fach un­er­läß­lich. Von Son­nen­un­ter­gang bis zum Auf­stieg des Mor­gens­ter­nes ist der Pau­mo­te ver­pflich­tet, über der Asche sei­ner Ver­wand­ten zu wa­chen. Zahl­rei­che Freun­de leis­ten dem Wacht­ha­ben­den da­bei Ge­sell­schaft, wenn der Tote ein Mann von Rang und Be­deu­tung war; man ver­sorgt sie gut mit De­cken ge­gen die Un­bil­den des Wet­ters; ich glau­be, sie brin­gen auch ihr Es­sen mit, und die­se Ze­re­mo­nie wird zwei Wo­chen lang ein­ge­hal­ten. Un­se­re arme Über­le­ben­de, falls man sie wirk­lich noch als Über­le­ben­de be­zeich­nen kann, hat­te je­doch nur we­ni­ge De­cken, un­ter de­nen sie sich ver­krie­chen konn­te, und noch we­ni­ger Freun­de, mit ihr zu wa­chen. In der Nacht nach dem Be­gräb­nis trieb ein star­ker Sturm sie von dem Gra­be hin­weg, ta­ge­lang blieb das Wet­ter un­be­stän­dig und rauh, und noch vor der sie­ben­ten Nacht hat­te sie die Sa­che auf­ge­ge­ben und war zum Schla­fen un­ter ihr nied­ri­ges Dach zu­rück­ge­kehrt. Daß sie sich die Mühe mach­te, zu so kur­z­em Be­such in ein so ein­sa­mes Haus zu­rück­zu­keh­ren, daß die­ser Mensch, so hart am Ran­de des Gra­bes, ein we­nig Wind und eine nas­se De­cke so fürch­ten konn­te, gab mir sei­ner­zeit viel zu den­ken. Ich kann nicht ein­mal be­haup­ten, daß sie gleich­gül­tig war; sie stand in al­lem so gänz­lich au­ßer­halb des Be­reichs mei­ner Er­fah­run­gen, daß mei­ne Kri­tik vor ihr ver­sag­te, aber ich er­dich­te­te für sie al­ler­lei Ent­schul­di­gun­gen, in­dem ich mir selbst er­klär­te, sie hät­te viel­leicht we­nig zu be­wei­nen ge­habt, viel­leicht auch viel ge­lit­ten und ver­stän­de nun nichts mehr da­von. In Wahr­heit spiel­ten bei der Sa­che Pie­tät und Zärt­lich­keit über­haupt nicht mit, die un­er­schro­cke­ne Rück­kehr des al­ten Weib­leins un­ter das hei­mat­li­che Dach war ein An­zei­chen ent­we­der von un­ge­wöhn­li­cher Ver­nunft oder von un­ge­wöhn­li­cher Wil­lens­stär­ke.

Eine ein­zi­ge Sa­che er­eig­ne­te sich, die mir et­was Klar­heit brach­te. Ich sag­te schon, daß das Be­gräb­nis im großen und gan­zen so ver­lief wie bei uns zu Hau­se. Als je­doch al­les vor­bei war und wir alle mit­ein­an­der in schick­li­chem Schwei­gen von dem Fried­hof­sein­gang den Weg zum Dor­fe hin­un­ter­gin­gen, schreck­te uns ein plötz­li­cher und viel­leicht pein­li­cher Miß­ton aus un­se­rer Stim­mung auf. Zwei Men­schen schrit­ten nicht weit von­ein­an­der in der Pro­zes­si­on ein­her: mein Freund Mr. Do­nat -- Do­nat-Ri­ma­rau, »Do­nat, der Viel­hän­di­ge«, der stell­ver­tre­ten­de Vi­ze­gou­ver­neur, der ge­gen­wär­ti­ge Be­herr­scher des Archi­pels, bei wei­tem die wich­tigs­te Per­sön­lich­keit der gan­zen Sze­ne, der au­ßer­dem we­gen sei­ner un­er­schüt­ter­li­chen Gut­mü­tig­keit be­kannt war, und eine hüb­sche, ro­bus­te jun­ge Pau­mo­tin, die hüb­sche­s­te, aber hof­fent­lich nicht die tap­fers­te und höf­lichs­te der gan­zen In­sel. Ganz plötz­lich, ehe noch das fei­er­li­che Schwei­gen des Be­gräb­nis­ses ge­bro­chen war, sprang sie auf den Gou­ver­neur zu, zeig­te mit dem Fin­ger auf ihn, schrie ihm ein paar Wor­te ins Ge­sicht und trat, in un­na­tür­li­ches Ge­läch­ter aus­bre­chend, wie­der zu­rück. »Was hat sie Ih­nen ge­sagt?« frag­te ich. »Sie hat gar nicht zu mir ge­spro­chen«, ent­geg­ne­te ein we­nig be­un­ru­higt Do­nat, »sie sprach zu dem Geis­te des To­ten.« Und der In­halt ih­rer Rede war etwa fol­gen­der: »Sieh da! Do­nat wird heut Nacht einen fet­ten Bis­sen für dich ab­ge­ben!«

»Mr. Do­nat nann­te es einen Scherz«, schrieb ich da­mals in mein Ta­ge­buch. »Mir er­schi­en es aber weit eher ei­ner aus Angst ge­bo­re­nen Be­schwö­rung zu glei­chen, als ob sie da­durch des Geis­tes Auf­merk­sam­keit von sich selbst ab­zu­len­ken ver­such­te. Ein Kan­ni­ba­len­volk kann sehr wohl auch kan­ni­ba­li­sche Ge­s­pens­ter be­sit­zen. Ge­mein­hin schei­nen die Ver­mu­tun­gen von Rei­sen­den von vorn­her­ein dazu ver­ur­teilt, auf Irr­tü­mern zu be­ru­hen, die mei­ni­ge hat­te dies­mal je­doch den Na­gel auf den Kopf ge­trof­fen. Das Weib hat­te vol­ler Ent­set­zen dem Be­gräb­nis bei­ge­wohnt, da sie sich in je­nem Au­gen­blick zu­fäl­lig an ei­nem ge­fürch­te­ten Ort, dem Kirch­hof, be­fand. Mit Ent­set­zen sah sie der kom­men­den Nacht ent­ge­gen, in der je­ner Dä­mon, der neue Geist, auf die In­sel los­ge­las­sen wer­den soll­te. Die Wor­te, die sie Do­nat ins Ge­sicht schleu­der­te, wa­ren in der Tat eine angst­er­füll­te Be­schwö­rung, in der nied­ri­gen Ab­sicht, sich selbst zu schüt­zen und ge­meiner­wei­se den an­de­ren an ihre Stel­le zu set­zen. Das eine läßt sich zu ih­rer Ent­schul­di­gung an­füh­ren. Si­cher­lich hat­te sie Do­nat teils we­gen sei­ner über­großen Gut­mü­tig­keit ge­wählt, teils aber auch, weil er ein Halb­blut war. Denn so­viel ich weiß, hal­ten alle Ein­ge­bo­re­nen das Blut der Wei­ßen für einen Ta­lis­man ge­gen die Mäch­te der Höl­le. Auf kei­ne an­de­re Art ver­mö­gen sie die un­ge­straf­te Toll­kühn­heit der Eu­ro­pä­er zu er­klä­ren.«

Zweites Kapitel. Friedhofsgeschichten

Mei­nen aber­gläu­bi­schen Freun­den, den Po­ly­ne­si­ern ge­gen­über, bin ich, fürch­te ich, nicht im­mer ganz auf­rich­tig ge­we­sen, denn häu­fig gab ich als ers­ter ir­gend­ei­ne Mär zum bes­ten, und stets war ich ein ernst­haf­ter, mit­un­ter aber auch ein auf­ge­reg­ter Zu­hö­rer. Al­lein die­ser klei­ne Be­trug dürf­te nicht sehr schwer wie­gen, da es mir eben­so viel Freu­de mach­te, zu­zu­hö­ren, wie ih­nen, zu er­zäh­len, und da ich so viel Ge­fal­len an den Ge­schich­ten fand, wie sie an ih­rem Aber­glau­ben. Au­ßer­dem ist ein der­ar­ti­ger Be­trug durch­aus not­wen­dig, denn es ist kaum mög­lich, die Viel­sei­tig­keit und Macht ih­res Aber­glau­bens zu über­trei­ben. Er formt ihr gan­zes Le­ben und be­ein­flußt ihr Den­ken von Grund aus. Wenn sie nicht von Ge­s­pens­tern, Göt­tern und Teu­feln spre­chen, spie­len sie die Heuch­ler und re­den nur mit den Lip­pen. An­ge­sichts ei­ner so völ­lig ver­schie­de­nen Ge­dan­ken­welt ist man ge­zwun­gen, auf die an­de­ren Rück­sicht zu neh­men, und mir ist es lie­ber, ich pfle­ge ih­ren Aber­glau­ben, als daß sie mei­ne Ungläu­big­keit näh­ren. Von ei­nem bin ich au­ßer­dem über­zeugt: mag ich ih­nen noch so sehr nach­ge­hen, nie­mals wer­de ich den gan­zen Um­fang ih­res Aber­glau­bens ken­nen­ler­nen, denn stets sind sie vor Leu­ten mei­nes­glei­chen auf der Hut, und ihre Sa­gen­welt ist schier un­er­schöpf­lich.

Ich will hier nur ei­ni­ge will­kür­li­che Bei­spie­le an­füh­ren, die ich in der Haupt­sa­che auf mei­ner ei­ge­nen Tür­schwel­le auf Upo­la im ver­gan­ge­nen Mo­nat (Ok­to­ber 1890) er­fuhr. Ei­ner mei­ner Ar­bei­ter wur­de kürz­lich nach dem Bana­nen­hain ge­schickt, um dort zu gra­ben. Der Hain lag in ei­ner Sen­ke zwi­schen den Ber­gen tief in den Wäl­dern ver­bor­gen, au­ßer Sicht- und Ruf­wei­te von Men­schen, und lan­ge vor der Abend­däm­merung stand Lafae­le mit ver­le­ge­ner Mie­ne be­reits wie­der ne­ben der Kü­che: er hät­te nicht ge­wagt, län­ger zu blei­ben, er fürch­te sich vor den Geis­tern im Busch. Es scheint, daß es die See­len der un­be­gra­be­nen To­ten sind, die sich dort auf­hal­ten, wo sie star­ben, und jetzt die For­men von al­ler­lei Wald­ge­tier an­neh­men, von Ebern, Vö­geln oder In­sek­ten. Der Busch soll von ih­nen wim­meln, sie es­sen an­schei­nend über­haupt nicht, son­dern tö­ten den ein­sa­men Wan­de­rer nur aus Bos­heit, und mit­un­ter zie­hen sie auch in Men­schen­ge­stalt ins Dorf hin­ab, um sich dort, un­ent­deckt zu den Le­ben­den zu ge­sel­len. Das er­fuhr ich we­ni­ge Tage spä­ter, als ich mit ei­nem sehr in­tel­li­gen­ten jun­gen Bur­schen, ei­nem Ein­ge­bo­re­nen, im Busch spa­zie­ren­ging. Es war kurz vor Mit­tag an ei­nem grau­en, stür­mi­schen Tage, und ich hat­te viel­leicht et­was leicht­fer­tig ge­spro­chen. Da barst eine dunkle Wol­ke zwi­schen den Ber­gen, die Wäl­der beb­ten und ächz­ten, die wel­ken Blät­ter sto­ben in Schwär­men wie Schmet­ter­lin­ge da­hin und mein Ge­fähr­te blieb plötz­lich wie an­ge­wur­zelt ste­hen. Er hät­te Furcht, er­klär­te er, daß die Bäu­me stür­zen könn­ten; kaum hat­ten wir je­doch un­ser The­ma ge­wech­selt, als er wie­der mun­ter drauf­los­schritt. Ei­ni­ge Tage zu­vor war ein Bote mit ei­nem Brief von Apia den Berg hin­auf­ge­kom­men: ich war da­mals ge­ra­de im Busch ge­we­sen, und er hat­te mei­ne Rück­kehr so­wie die Ant­wort ab­war­ten müs­sen. Ich war noch nicht fer­tig, da brach er schon in schril­le Kla­gen über die her­ein­bre­chen­de Dun­kel­heit und den lan­gen Weg durch den Wald aus. Das ist nun das ge­mei­ne Volk. Aber neh­men wir die Häupt­lin­ge. In un­se­rer Grup­pe herrscht ge­ra­de ein großes Kom­men und Ge­hen von Zei­chen und Omi­na. Der eine Fluß führt Blut mit sich, in ei­nem an­de­ren fängt man rote Aale; ein un­be­kann­ter Fisch wur­de in un­se­rer Ge­gend an Land ge­wor­fen und auf sei­nen Schup­pen stand ein ver­häng­nis­vol­les Wort ge­schrie­ben. Das glei­che hät­ten wir noch eben­so­gut in ir­gend­ei­ner mit­tel­al­ter­li­chen Mönch­schro­nik le­sen kön­nen: jetzt kommt aber eine fri­sche, zu­gleich mo­der­ne und po­ly­ne­si­sche Note. Die Göt­ter von Upo­lu und Sa­waii, un­se­ren bei­den Haup­tin­seln, ha­ben erst kürz­lich ins­ge­heim einen Krickett­match aus­ge­foch­ten. Seit­dem lie­gen sie mit­ein­an­der im Krie­ge. Der Lärm der Schlacht rollt mit­un­ter die gan­ze Küs­te ent­lang. Ein Weib sah einen Mann aus dem of­fe­nen Meer an das Ufer schwim­men und im Busch ver­schwin­den; er stamm­te nicht ir­gend­wo­her aus der Nach­bar­schaft, nein, man wuß­te, es war ei­ner der Göt­ter auf dem Wege zu ei­ner Rats­ver­samm­lung. Und, was das Auf­fallends­te von al­lem ist, ein Mis­sio­nar aus Sa­waii, der gleich­zei­tig Arzt ist, wur­de erst kürz­lich in der Nacht durch Klop­fen ge­weckt. Es war gar nicht die Zeit sei­ner Sprech­stun­de, aber schließ­lich wach­te er doch auf und schick­te je­man­den hin, um nach­zu­fra­gen. Als der Die­ner aus dem Fens­ter schau­te, sah er eine große Men­ge Men­schen, alle schwer­ver­letzt, mit ab­ge­ris­se­nen Glie­dern, ein­ge­schla­ge­nen Köp­fen und blu­ten­den Schuß­wun­den; aber als das Tor ge­öff­net wur­de, wa­ren sie alle ver­schwun­den. Selbst­ver­ständ­lich wa­ren es die Göt­ter, die von dem Kampf­platz heim­kehr­ten.

Die­se Gerüch­te ha­ben na­tür­lich ihre Be­deu­tung; un­schwer las­sen sie sich auf po­li­tisch Miß­ver­gnüg­te zu­rück­füh­ren und leicht kann man in ih­nen An­zei­chen kom­men­der Ge­fah­ren le­sen; von die­ser rein mensch­li­chen Sei­te aus be­trach­tet, fand ich sie auch nicht un­ge­fähr­lich. Doch wur­de ge­ra­de ihre geis­ti­ge Sei­te in ge­hei­men Be­ra­tun­gen von hö­her ge­stell­ten Per­so­nen mei­ner Be­kannt­schaft er­ör­tert. Am bes­ten las­sen sich die ver­schie­de­nen Ge­sichts­punk­te des Po­ly­ne­si­ers in zwei mit­ein­an­der zu­sam­men­hän­gen­den Vor­fäl­len schil­dern. Ich wohn­te ein­mal in ei­nem Dor­fe, des­sen Na­men ich nicht zu nen­nen brau­che. Der Häupt­ling und sei­ne Schwes­ter wa­ren durch­aus klu­ge Men­schen: ad­lig und sehr re­de­ge­wandt. Die Schwes­ter war streng re­li­gi­ös, eine eif­ri­ge Kir­chen­be­su­che­rin, die mir Vor­wür­fe mach­te, wenn ich dem Got­tes­diens­te fern­blieb. Spä­ter er­fuhr ich, daß sie ins­ge­heim einen Hai an­be­te­te. Der Häupt­ling selbst war et­was von ei­nem Frei­den­ker, zum min­des­ten ein to­le­ran­ter Mann; da­bei be­saß er zahl­rei­che eu­ro­päi­sche Kennt­nis­se und Fer­tig­kei­ten so­wie eine pas­si­ve, phi­lo­so­phi­sche Iro­nie. Eben­so­gut hät­te ich in Her­bert Spencer ir­gend­ei­nen Aber­glau­ben ver­mu­ten kön­nen. Nun aber kommt die Fort­set­zung. Durch untrüg­li­che Zei­chen war ich dar­auf auf­merk­sam ge­wor­den, daß man die Leu­te auf dem Fried­hof nicht tief ge­nug ver­scharr­te, und ich sprach mit mei­nem Freun­de als mit der zu­stän­di­gen Amts­per­son dar­über. »Et­was ist mit Ihrem Fried­hof nicht in Ord­nung«, sag­te ich, »Sie müs­sen sich dar­um küm­mern, sonst kann es sehr üble Fol­gen ha­ben.« »Nicht in Ord­nung? Was denn nur?« lau­te­te sei­ne Fra­ge, die mit ei­ner Er­re­gung aus­ge­spro­chen wur­de, wel­che mich in Er­stau­nen setz­te. »Falls Sie mal an ir­gend­ei­nem Abend so ge­gen neun Uhr da vor­bei­kom­men wol­len, kön­nen Sie sich selbst da­von über­zeu­gen«, er­wi­der­te ich. Er wich einen Schritt zu­rück. »Ein Ge­s­penst!« schrie er.

Kurz und gut, in der gan­zen Süd­see hat kei­ner das Recht, dem an­de­ren Vor­wür­fe zu ma­chen. Ob Halb­blut oder ganz schwarz, ob fromm oder las­ter­haft, in­tel­li­gent oder dumm, alle glau­ben an Geis­ter, alle ver­bin­den mit ih­rem jun­gen Chris­ten­tum die Furcht vor den al­ten In­sel­gott­hei­ten und den zä­hen Glau­ben an sie. So sind auch in Eu­ro­pa die Göt­ter des Olym­ps all­mäh­lich zu Dorf­po­pan­zen zu­sam­men­ge­schrumpft; so stiehlt sich auch heu­te noch der kir­chengläu­bi­ge Hoch­län­der vor den Au­gen des Geist­li­chen hin­weg, um an ir­gend­ei­nem hei­li­gen Brun­nen sein Op­fer nie­der­zu­le­gen.

Ich su­che den gan­zen Fra­gen­kom­plex an die­ser Stel­le zu be­han­deln, weil der pau­mo­ti­sche Aber­glau­be von ganz be­son­de­rer Art ist. Al­ler­dings lern­te ich ihn auch durch einen Men­schen ken­nen, der ein aus­ge­spro­che­nes Ta­lent für der­ar­ti­ge Ge­schich­ten be­sitzt. Abends, eng um un­se­re Lam­pe ge­schart, das Geräusch der Bran­dung in un­se­ren Ohren, hin­gen wir auf­ge­regt an sei­nen Lip­pen. Mei­ne Le­ser, in ei­ner so ganz an­de­ren Um­ge­bung, müs­sen scharf auf­pas­sen, um ein lei­ses Echo hier­von zu ver­neh­men.

Der gan­ze Kreis un­heim­li­cher Ge­schich­ten ent­sprang dem Be­gräb­nis und der egois­ti­schen Be­schwö­rung je­ner Frau. Ich war un­be­frie­digt von dem, was man mir ge­sagt hat­te, kam im­mer wie­der auf die­se Fra­gen zu spre­chen und stieß end­lich auf eine er­gie­bi­ge Ader. Von Son­nen­un­ter­gang bis etwa vier Uhr mor­gens müs­sen die Ver­wand­ten des To­ten auf dem Gra­be Wa­che hal­ten, denn dies sind die Stun­den, in de­nen der Geist um­geht. Je­der­zeit in der Nacht -- frü­her oder spä­ter -- kann man in der Erde ein Geräusch hö­ren, das das Zei­chen sei­ner Be­frei­ung ist; pünkt­lich um vier Uhr folgt ein zwei­tes Geräusch, das sei­ne Rück­kehr in die Ge­fan­gen­schaft an­kün­digt, da­zwi­schen treibt der Geist sein Un­we­sen. »Ha­ben Sie je einen bö­sen Geist ge­se­hen?« frag­te ich ein­mal einen Pau­mo­ten. »Ein ein­zi­ges Mal.« »In wel­cher Ge­stalt?« »In der Ge­stalt ei­nes Kra­nichs.« »Und wo­her wuß­ten Sie, daß der Kra­nich ein Geist war?« »Das wer­de ich Ih­nen sa­gen«, er­wi­der­te er, und er­zähl­te fol­gen­de kon­fu­se Ge­schich­te. Sein Va­ter war vor etwa vier­zehn Ta­gen ge­stor­ben, die an­de­ren hat­ten das Wa­chen satt be­kom­men und als die Son­ne un­ter­ging, be­fand er sich al­lein auf dem Gra­be. Noch war es nicht dun­kel, der Wi­der­schein spen­de­te noch et­was Hel­le, da be­merk­te er auf ei­ner Koral­len­bank einen schnee­wei­ßen Kra­nich. All­mäh­lich ka­men im­mer mehr Kra­ni­che dazu, wei­ße und schwar­ze, dann ver­schwan­den sie wie­der und an ih­rer Stel­le sah er eine wei­ße Kat­ze. Zu die­ser Kat­ze ge­sell­te sich eine un­ge­heu­re Men­ge Kat­zen von je­der nur mög­li­chen Far­be, bis auch die­se ver­schwan­den, und er ver­wun­dert zu­rück­b­lieb.

Das war eine tröst­li­che Er­schei­nung. Neh­men wir statt des­sen das Er­leb­nis Rua-a-ma­ri­te­ran­gis von der In­sel Ka­tiu. Rua brauch­te ei­ni­ge Pan­da­nen und ging auf die an­de­re Sei­te der In­sel, an den Mee­res­s­trand, wo sie in Men­gen wach­sen. Der Tag war wind­still, da­her wun­der­te sich Rua, im Busch ein kra­chen­des Geräusch und den Fall ei­nes großen Bau­mes zu hö­ren. Hier muß ei­ner am Wer­ke sein, sich ein Ka­noe zu bau­en, dach­te er, und er be­trat den Saum des Wal­des, um mit sei­nem zu­fäl­li­gen Nach­barn einen klei­nen Schwatz zu hal­ten. Das Kra­chen klang im­mer nä­her, und dann merk­te er, wie et­was aus den Baum­wip­feln rasch auf ihn zu kam. Das Et­was bau­mel­te mit dem Kopf nach un­ten und hielt sich wie ein Affe mit den Ze­hen fest, so daß sei­ne Hän­de für jede Mord­tat frei wa­ren; es hing auch an den dünns­ten Zwei­gen noch si­cher, die Schnel­lig­keit mit der es sich nä­her­te, war kaum zu glau­ben und bald er­kann­te Rua, daß es eine Lei­che war, furcht­bar durch ihr Al­ter, der die Ein­ge­wei­de aus dem Lei­be hin­gen. Ge­bet war das Mit­tel, zu dem un­se­re Chris­ten im Mit­tel­al­ter bei Geis­terer­schei­nun­gen ihre Zuf­lucht nah­men, und dem Ge­bet schreibt auch Rua-a-ma­ri­te­ran­gi sei­ne Ret­tung zu. Eine rein ir­di­sche Waf­fe hät­te ihm nie­mals hel­fen kön­nen.

Der Dä­mon war, kein Zwei­fel, dem Gra­be ent­stie­gen, ob­wohl es, wie man be­merkt ha­ben wird, hel­ler Tag war. Und wenn die Er­schei­nung auch im Wi­der­spruch steht zu dem, was man über die Stun­den der Nacht­wa­che und den im­mer wie­der er­wähn­ten Mor­gens­tern er­zählt, so bil­det sie doch durch­aus nicht die ein­zi­ge Aus­nah­me. Zwar habe ich nie­mals wie­der ge­hört, daß je­mand die­sem mit­täg­li­chen Baum­geist be­geg­net wäre, an­de­re aber ha­ben den Sturz des Bau­mes ver­nom­men, der das Si­gnal sei­nes Kom­mens zu sein scheint. Mr. Do­nat nahm ein­mal an ei­ner Per­len­fi­sche­rei auf der un­be­wohn­ten In­sel Ha­rai­ki teil. Es war ein voll­kom­men ru­hi­ger Tag, wie er in dem gan­zen Archi­pel mit Ta­gen rau­hen Win­des ab­wech­selt. Die Tau­cher be­fan­den sich in der Mit­te der La­gu­ne bei der Ar­beit, der Koch, ein zehn­jäh­ri­ger Jun­ge, han­tier­te im La­ger mit sei­nen Töp­fen her­um. So wa­ren sämt­li­che An­we­sen­de bis auf einen Ein­ge­bo­re­nen, der Mr. Do­nat auf der Su­che nach Vo­ge­lei­ern be­glei­te­te, be­schäf­tigt. Da hör­ten sie ganz plötz­lich in der großen Stil­le den Fall ei­nes mäch­ti­gen Bau­mes. Do­nat woll­te wei­ter­ge­hen, um die Ur­sa­che zu er­grün­den, aber sein Beglei­ter rief: »Nein, das war kein Baum. Da stimmt et­was nicht, wir wol­len in das La­ger zu­rück­keh­ren.« Am nächs­ten Sonn­tag wur­den sämt­li­che Tau­cher aus­ge­schickt, um die In­sel zu durch­su­chen, und tat­säch­lich war auch kein Baum ge­fal­len. Kurz da­nach sah Mr. Do­nat auf der näm­li­chen In­sel einen sei­ner Tau­cher vor ei­nem ähn­li­chen Geräusch in ähn­li­cher, ech­ter Pa­nik flie­hen. Aber kei­ner woll­te sich nä­her er­klä­ren, und erst spä­ter, als er mit Rua zu­sam­men­kam, er­fuhr Do­nat den Grund ih­res Schre­ckens.

In­des­sen bleibt der Zweck, den die To­ten mit ih­rem furcht­ba­ren Wir­ken ver­fol­gen, ei­ner­lei ob sie bei Tage oder in der Nacht er­schei­nen, stets der glei­che. Mein Ge­währs­mann auf Sa­moa hat­te kei­ne Ah­nung, wo­von die Busch­geis­ter sich nähr­ten; auf den Pau­mo­tu herrscht je­doch in die­ser Be­zie­hung kei­ner­lei Un­klar­heit. In je­nem stets hung­ri­gen Archi­pel müs­sen die To­ten wie die Le­ben­den um ihre Nah­rung kämp­fen, und da die Ras­se in der Ver­gan­gen­heit kan­ni­ba­lisch war, sind die Geis­ter es auch heu­te noch. Da doch die Le­ben­den die To­ten ver­zehr­ten, fol­ger­te die er­schreck­te mit­ter­nächt­li­che Phan­ta­sie dar­aus, daß auch die To­ten die Le­ben­den es­sen könn­ten. Zwei­fel­los tö­ten, ja ver­stüm­meln die Geis­ter die Men­schen manch­mal aus schie­rer Bos­heit. Die mar­que­sa­ni­schen Ge­s­pens­ter rei­ßen zum Bei­spiel den Rei­sen­den die Au­gen aus. Aber selbst das be­ruht viel­leicht auf kon­kre­te­ren Tat­sa­chen, als man auf den ers­ten Blick an­neh­men möch­te, denn das Auge gilt über­all bei Kan­ni­ba­len als ein Lecker­bis­sen, und ohne Fra­ge ist das Grund­mo­tiv die­ser To­ten, die des Nachts um­her­strei­fen, die Jagd nach Nah­rung. Auch je­nes Weib bei der Be­er­di­gung pries Do­nat als einen de­li­ka­ten Bis­sen an. Au­ßer­dem gibt es noch Geis­ter, die es sich zur Spe­zia­li­tät ma­chen, sich nicht von den Lei­bern, son­dern von den See­len der To­ten zu er­näh­ren. Das geht klar aus ei­ner ta­hi­ti­schen Ge­schich­te her­vor. Ein Kind er­krank­te, siech­te schnell da­hin und zeig­te end­lich alle An­zei­chen des na­hen­den To­des. Da eil­te die Mut­ter zu ei­nem Zau­be­rer, der in der Nähe wohn­te. »Du kommst ge­ra­de noch zur rech­ten Zeit«, mein­te der, »eben ist ein Geist an mei­ner Tür vor­bei­ge­lau­fen, der die See­le dei­nes Kin­des in ein Pu­rao­blatt ge­wi­ckelt fort­trug; aber ich habe einen Geist, der stär­ker ist und noch schnel­ler läuft als er; der wird ihn ein­ho­len, be­vor er Zeit hat, sie zu es­sen.« -- In ein Blatt ge­wi­ckelt: Wie alle eß­ba­ren und dem Ver­fall aus­ge­setz­ten Din­ge!

Oder neh­men wir einen Vor­fall, der Mr. Do­nat auf der In­sel Anaa zu­stieß. Es war in ei­ner sehr stür­mi­schen Nacht, der Wind feg­te in Böen da­her; das Kind war schwer krank, und der Va­ter lag, ob­wohl er zu Bett ge­gan­gen war, wach und lausch­te auf den Sturm. Ganz plötz­lich wur­de ei­nes sei­ner Hüh­ner hef­tig ge­gen die Wand des Hau­ses ge­schleu­dert. In der An­nah­me, daß er ver­ges­sen hät­te, es mit den an­de­ren un­ter Dach und Fach zu brin­gen, stand Do­nat auf, fand das Tier (einen Hahn) auf der Ve­ran­da lie­gen und tat es in den Hüh­ner­stall, des­sen Tür er fest hin­ter ihm ver­rie­gel­te. Fünf­zehn Mi­nu­ten spä­ter wie­der­hol­te sich die Ge­schich­te mit dem ein­zi­gen Un­ter­schied, daß das Tier dies­mal, als es ge­gen die Wand ge­schleu­dert wur­de, auf­kräh­te. Wie­der brach­te Do­nat es in den Stall, wo­bei er die­sen ge­nau un­ter­such­te und fest­stell­te, daß al­les in Ord­nung war. Wäh­rend er noch da­mit be­schäf­tigt war, blies der Wind das Licht aus und er muß­te sich, ziem­lich ner­vös ge­wor­den, zur Tür zu­rück­tas­ten. Noch ein drit­tes Mal wur­de der Vo­gel ge­gen die Wand ge­wor­fen, und zum drit­ten­mal brach­te Do­nat ihn in halb­to­tem Zu­stan­de zu dem üb­ri­gen Ge­flü­gel zu­rück. Kaum hat­te er aber das Haus wie­der er­reicht, als ir­gend et­was mit der Kraft ei­nes star­ken Man­nes ge­gen die Tür stürm­te und ein Pfei­fen rings um das Haus er­tön­te, so laut wie von ei­ner Lo­ko­mo­ti­ve. Der skep­ti­sche Le­ser wird hier­in nur die An­zei­chen des wü­ten­den Stur­mes er­ken­nen, die Frau­en je­doch glaub­ten, al­les wäre ver­lo­ren und sa­ßen weh­kla­gend an­ein­an­der­ge­drängt auf den Bet­ten. Nichts wei­ter ge­sch­ah, und ich neh­me an, daß das Un­wet­ter all­mäh­lich nachließ, denn nach ei­ner Wei­le kam ein Häupt­ling zu Be­such. Er war ein küh­ner Mann, daß er so spät noch auf den Bei­nen, war und trug zwei­fel­los eine hel­le La­ter­ne. Je­den­falls war er ein wei­ser Mann, denn kaum hat­te er die Ein­zel­hei­ten die­ser Stö­run­gen ge­hört, als er sie auch schon er­klär­te. »Dein Kind«, sag­te er, »wird si­cher­lich ster­ben. Das ist der böse Geist un­se­rer In­sel, der auf der Lau­er liegt, um die Geis­ter der so­eben Ver­stor­be­nen zu ver­schlin­gen.« Und dann fuhr er fort, sich über das selt­sa­me Be­neh­men des Geis­tes zu wun­dern. Ge­wöhn­lich, mein­te er, wäre er gar nicht so of­fen in sei­nen An­grif­fen, meist säße er stumm auf dem Da­che auf der Lau­er, und zwar in Ge­stalt ei­nes Vo­gels, wäh­rend die In­sas­sen, ohne an ir­gend eine Ge­fahr zu den­ken, die Ster­ben­den pfleg­ten oder die To­ten be­wein­ten. Wenn dann aber der Tag grau­te, die Tü­ren ge­öff­net wür­den und die Men­schen aus­gin­gen, ver­rie­ten Blut­fle­cke an der Wand die schreck­li­che Tra­gö­die.

Hier fin­det sich das wie­der, was ich an den pau­mo­ti­schen Sa­gen be­wun­de­re. Auf Ta­hi­ti soll der See­len­fres­ser eine Er­schei­nungs­form wäh­len, die zwar viel pom­pö­ser, aber weit we­ni­ger grau­sig ist. Men­schen je­der Art und je­des Stan­des, Ein­ge­bo­re­ne wie Aus­län­der, ha­ben ihn ge­se­hen; nur be­haup­ten die letz­te­ren, daß er ein Me­te­or sei. Mein Ge­währs­mann war des­sen aber nicht ganz so si­cher. Einst war er mit sei­ner Frau um zwei Uhr mor­gens auf ei­nem Ritt un­ter­wegs; bei­de kämpf­ten ge­gen den Schlaf an, und den Pfer­den ging es auch nicht viel bes­ser. Es war eine strah­lend hel­le, stil­le Nacht, und der Weg führ­te sie über den Berg dicht an ei­nem ver­öde­ten Ma­rae (al­ten ta­hi­ti­schen Tem­pel) vor­bei. Plötz­lich zog die Er­schei­nung in Form ei­nes ge­wis­sen Lichts mit run­dem, grün­lich schim­mern­dem Kopf, lan­gem ro­ten Schweif und ei­nem Brenn­punkt von noch tiefe­rer Röte in sei­nem In­ne­ren über ihre Köp­fe hin­weg. Ein sur­ren­des Geräusch be­glei­te­te dies Flie­gen, und die Er­schei­nung be­weg­te sich di­rekt von dem einen Ma­rae auf einen an­de­ren tiefer am Ber­ge ge­le­ge­nen zu. Das aber, be­haup­te­te mein Ge­währs­mann, sei über­aus viel­sa­gend. Denn wes­halb soll­te ein blo­ßer Me­te­or die Al­tä­re der ver­ruch­ten Göt­ter heim­su­chen? Ich muß noch hin­zu­fü­gen, daß die Pfer­de nicht we­ni­ger er­schro­cken wa­ren als die Rei­ter. Ich da­ge­gen bin nicht im ge­rings­ten, nicht ein­mal an­ge­nehm er­schreckt. Da zie­he ich schon den Vo­gel aus dem Dach­first und die mor­gend­li­chen Blut­sprit­zer an der Wand vor.

Die To­ten sind in ih­rer Nah­rung durch­aus nicht wäh­le­risch. Ins­be­son­de­re neh­men sie ins Grab die po­ly­ne­si­sche Vor­lie­be für Fi­sche mit, und manch­mal las­sen sie sich so­gar mit den Le­ben­den auf eine Part­ner­schaft im Fi­schen ein. Rua-a-ma­ri­te­ran­gi ist hier wie­der­um mein Ge­währs­mann; ich füh­le zwar, daß dies das Ge­wicht der von mir zu schil­dern­den Tat­sa­chen ver­min­dert, wie wun­der­voll baut die­se Ge­schich­te in­des die Ge­stalt je­nes un­ver­bes­ser­li­chen al­ten Geis­ter­se­hers auf! Rua ge­hört zu der jäm­mer­lich ar­men In­sel Taen­ga, trotz­dem war sei­nes Va­ters Haus stets reich­lich mit Fi­schen ver­sorgt. Als Rua er­wach­sen war, wur­de er end­lich auf­ge­for­dert, mit sei­nem Glückspilz von Va­ter fi­schen zu ge­hen. So ru­der­ten sie denn in der Abend­däm­merung an eine ab­ge­le­ge­ne Stel­le der La­gu­ne, der Jun­ge streck­te sich am Heck aus und der Va­ter be­gann vor sei­nen Au­gen die An­gel­schnur aus­zu­wer­fen. Es ist an­zu­neh­men, daß Rua jetzt ein­sch­lief. Je­den­falls saß, als er er­wach­te, eine frem­de Ge­stalt ne­ben sei­nem Va­ter, und sein Va­ter war da­bei, so schnell er nur konn­te Fi­sche über Fi­sche an Bord zu zie­hen. »Wer ist je­ner Mann, Va­ter?« frag­te Rua. »Das geht dich nichts an«, ant­wor­te­te sein Va­ter, und Rua nahm an, der Frem­de wäre vom Ufer her zu ih­nen her­über­ge­schwom­men. Nacht für Nacht fuh­ren sie nun auf die La­gu­ne zu den ein­sams­ten Stel­len hin­aus; Nacht für Nacht tauch­te der Frem­de plötz­lich un­ter ih­nen auf, um eben­so plötz­lich wie­der zu ver­schwin­den, und Mor­gen für Mor­gen kam das Ka­noe mit Fi­schen be­la­den heim. »Mein Va­ter ist wirk­lich ein Glückspilz«, dach­te Rua. End­lich, ei­nes schö­nen Ta­ges, er­hiel­ten sie Be­such von ei­ner, dann ei­ner zwei­ten Schiffs­ge­sell­schaft, die be­wir­tet wer­den muß­ten; Va­ter und Sohn bra­chen spä­ter als ge­wöhn­lich nach der La­gu­ne auf, und ehe das Ka­noe an Ort und Stel­le war, war es be­reits vier Uhr ge­wor­den und der Mor­gens­tern stand dicht un­ter dem Ho­ri­zont. Da schi­en der Frem­de von ei­nem plötz­li­chen Un­be­ha­gen be­fal­len; er dreh­te sich um und wand­te zum ers­ten­mal Rua das Ge­sicht ei­nes Men­schen zu, der lan­ge schon tot ist, mit weit auf­ge­ris­se­nen, leuch­ten­den Au­gen. Dann starr­te er lan­ge Zeit nach Os­ten, blies auf sei­ne Fin­ger­spit­zen wie ei­ner, den es friert, stieß einen selt­sa­men, schau­er­li­chen Ton aus, der halb ein Pfei­fen, halb ein Stöh­nen war, und bei dem ei­nem das Blut in den Adern ge­rann, und zer­floß, ge­ra­de in dem Au­gen­blick als der Mor­gens­tern aus dem Mee­re auf­tauch­te, plötz­lich in Nichts. Jetzt ver­stand Rua, wes­halb es sei­nem Va­ter so gut ging, wes­halb sei­ne Fi­sche in der Mor­gen­frü­he ver­faul­ten und wes­we­gen im­mer et­li­che da­von auf den Fried­hof ge­tra­gen und auf die Grä­ber ge­legt wur­den. Nun war zwar mein Ge­währs­mann ganz ent­schie­den kein Feind des Aber­glau­bens, trotz­dem blieb er stets nüch­tern und be­zeug­te für der­ar­ti­ge Din­ge ein ge­wis­ses über­le­ge­nes In­ter­es­se, das ich mit gu­tem Recht als wis­sen­schaft­lich be­zeich­nen kann. Da also der letz­te Punkt ihn an einen ähn­li­chen Brauch auf Ta­hi­ti er­in­ner­te, frag­te er Rua, ob die Fi­sche auf den Grä­bern lie­gen ge­las­sen wur­den, oder ob man sie nur schein­bar op­fer­te und dann wie­der mit sich näh­me? Es stell­te sich her­aus, daß der alte Ma­ri­te­ran­gi bei­des tat; manch­mal brach­te er sei­nem schat­ten­haf­ten Part­ner le­dig­lich ein Scheinop­fer dar, mit­un­ter ließ er sei­ne Fi­sche aber auch ganz ehr­lich auf dem Gra­be ver­mo­dern.

Es ist klar, daß wir in Eu­ro­pa ähn­li­che Ge­schich­ten ken­nen: der po­ly­ne­si­sche »va­rua ino« oder »aitu o le vao« ist of­fen­bar ein na­her Ver­wand­ter des trans­syl­va­ni­schen Vam­pyrs. Aus der nach­ste­hen­den Ge­schich­te ge­hen die na­hen Be­zie­hun­gen bei­der deut­lich her­vor. Auf dem da­mals zum Teil noch un­zi­vi­li­sier­ten Atoll Pen­rhyn leb­te einst ein Häupt­ling, der lan­ge Zeit ein heil­sa­mer Schre­cken der Ein­ge­bo­re­nen war. Er starb und wur­de be­gra­ben; kaum hat­ten je­doch sei­ne bis­he­ri­gen Nach­barn die Sü­ßig­keit ih­rer Frei­heit ge­kos­tet, als auch schon sein Geist im Dor­fe um­ging. Furcht pack­te sie alle; aus den wich­tigs­ten Män­nern und Zau­be­rern wur­de ein Rat ge­bil­det und mit Ge­neh­mi­gung Raro­ton­gans, des Mis­sio­nars, der nicht min­der ins Bocks­horn ge­jagt war als die an­de­ren, so­wie in Ge­gen­wart ver­schie­de­ner Wei­ßer -- dar­un­ter auch mei­nes Freun­des Mr. Ben Hird -- wur­de das Grab ge­öff­net, ver­tieft, bis man auf Was­ser stieß, und die Lei­che mit dem Ge­sicht nach un­ten neu ein­ge­gra­ben. Das Pfäh­len von Selbst­mör­dern in Eng­land, wie es vor kur­z­em noch Sit­te war, so­wie das Köp­fen der Vam­py­re im öst­li­chen Eu­ro­pa bil­den enge Par­al­le­len hier­zu.

Auf Sa­moa fürch­tet man sich nur vor den un­be­gra­be­nen To­ten. Wäh­rend des letz­ten Krie­ges sind vie­le im Busch ge­fal­len; ihre Lei­chen wur­den mit­un­ter ge­köpft, von den ein­ge­bo­re­nen Pas­to­ren ein­ge­holt und be­gra­ben; das ge­nüg­te je­doch aus ir­gend­ei­nem Grun­de nicht, je­der Geist fuhr fort, auf dem Schau­platz sei­nes Ab­le­bens zu spu­ken. Als der Frie­de er­klärt wur­de, spiel­ten sich an man­chen Or­ten, haupt­säch­lich aber in der Nähe der hoch­ge­le­ge­nen Schluch­ten von Lo­to­a­nuu, wo die Kämp­fe sich kon­zen­triert hat­ten und die Ver­lus­te am hef­tigs­ten ge­we­sen wa­ren, merk­wür­di­ge Sze­nen ab. Die weib­li­chen Ver­wand­ten der To­ten ka­men, von den Über­le­ben­den des Kamp­fes be­glei­tet, mit Mat­ten oder La­ken be­la­den. Die Stel­len, wo die Be­tref­fen­den ge­fal­len wa­ren, wur­den sorg­fäl­tig er­forscht, dann wur­de das La­ken auf dem Bo­den aus­ge­brei­tet und die Frau­en hiel­ten, von pie­tät­vol­ler Sor­ge ge­trie­ben, da­ne­ben Wacht. Wenn ir­gend­ein Le­be­we­sen sich dar­auf nie­der­ließ, wur­de es die ers­ten bei­den Male ver­scheucht, das drit­te­mal je­doch wuß­te man, daß es der Geist des To­ten war; es wur­de da­her ein­ge­fan­gen, nach Hau­se ge­bracht und ne­ben der Lei­che be­gra­ben. Da­mit hat­te der Aitu sei­ne Ruhe ge­fun­den. Die­se Ze­re­mo­nie ent­sprang si­cher­lich den schlich­tes­ten, fromms­ten Mo­ti­ven; sie hat­te zum Ziel den Frie­den der See­le, der Be­weg­grund war pie­tät­vol­le Lie­be. Der ge­gen­wär­ti­ge Kö­nig will je­doch nichts von den ge­fähr­li­chen Ai­tus wis­sen; er er­klärt, die See­len der Un­be­gra­be­nen wan­der­ten le­dig­lich im Fe­ge­feu­er um­her, un­glück­lich wohl, ohne die Mög­lich­keit, das ei­gent­li­che To­ten­land zu er­rei­chen, aber in kei­ner Hin­sicht schäd­lich. Die­se streng klas­si­sche Auf­fas­sung spie­gelt zwei­fel­los den Stand­punkt der Auf­ge­klär­ten wi­der, wäh­rend die Flucht mei­nes Lafae­les die grö­be­ren Schre­cken der Un­wis­sen­den zum Aus­druck bringt.

Der Glau­be an die ex­or­zie­ren­de Kraft der Grabri­ten er­klärt viel­leicht die an sich sonst er­staun­li­che Tat­sa­che, daß kein Po­ly­ne­si­er das Grau­en des Eu­ro­pä­ers vor mensch­li­chem Ge­bein und Mu­mi­en teilt. Aus dem einen stell­te er frü­her die ge­schätz­tes­ten Schmuck­stücke her; man pfleg­te es in den Häu­sern oder in Grä­ber­höh­len auf­zu­be­wah­ren, ja, die Wäch­ter des kö­nig­li­chen Gra­bes wohn­ten mit ih­ren Kin­dern un­ter den Ge­bei­nen zahl­rei­cher Ge­ne­ra­tio­nen von Ver­stor­be­nen. Die Mu­mi­en wur­den selbst wäh­rend der Her­stel­lung eben­so­we­nig ge­fürch­tet. Auf den Mar­que­sas, in den Sied­lun­gen un­mit­tel­bar an der Küs­te, wur­den sie von den Mit­glie­dern des Haus­hal­tes ei­gen­hän­dig wie­der­holt ge­ölt und dem Son­nen­licht aus­ge­setzt, um sie her­zu­rich­ten; auf den Ka­ro­li­nen wer­den sie auch heu­te noch in dem Rauch­fang des Fa­mi­li­en­her­des kon­ser­viert. Au­ßer­dem ist die Kopf­jä­ge­rei noch hart an der Tür­schwel­le mei­nes Hau­ses auf Sa­moa zu Hau­se, und zehn Jah­re ist es her, daß auf den Gil­ber­tin­seln die Wit­we ver­pflich­tet war, den Schä­del ih­res to­ten Gat­ten ei­gen­hän­dig aus­zu­gra­ben, zu rei­ni­gen, zu po­lie­ren und dann Tag und Nacht mit sich her­um­zu­tra­gen. In al­len die­sen Fäl­len kön­nen wir an­neh­men, daß der Vor­gang, ent­we­der des Trock­nens oder des Rei­ni­gens, den Aitu völ­lig ex­or­ziert.

Der pau­mo­ti­sche Glau­be ist je­doch we­ni­ger klar. Hier wird der Mann ord­nungs­ge­mäß be­gra­ben und muß von nun an be­wacht wer­den. Er wird auch be­wacht, trotz­al­le­dem geht sein Geist um. In der Tat ist es nicht der Zweck die­ser Wa­chen, der­ar­ti­ge Wan­de­run­gen zu ver­hü­ten; sie sol­len viel­mehr durch höf­li­che Auf­merk­sam­keit die in­hä­ren­te Bos­heit des To­ten be­sänf­ti­gen. Ver­nach­läs­si­gung kann -- so nimmt man an -- ihn är­gern und sei­ne Ver­fol­gun­gen her­auf­be­schwö­ren, da­her wä­gen die Al­ten und Schwa­chen das Ri­si­ko mit­un­ter ab und zie­hen es vor, zu Hau­se zu blei­ben. Man ver­ges­se nicht, daß es des To­ten ei­ge­ne Sip­pe und nächs­te Freun­de sind, die so sei­nen bö­sen Wil­len durch ihre Nacht­wa­chen mil­de stim­men. Selbst die­se be­schwich­ti­gen­de Ze­re­mo­nie gilt als ge­fähr­lich, es sei denn, daß zahl­rei­che Per­so­nen dar­an teil­neh­men; in Ro­to­a­va wur­de mir ei­nes Ta­ges ein Jun­ge ei­gens des­halb vor­ge­führt, weil er ganz al­lein ne­ben sei­nes Va­ters Grab ge­wacht hat­te. We­der die ver­wandt­schaft­li­chen Bin­dun­gen des To­ten noch sein im Le­ben be­wie­se­ner Cha­rak­ter ver­mö­gen den Aus­gang zu be­ein­flus­sen. Ei­ner der ver­flos­se­nen Gou­ver­neu­re, der auf Fa­ka­ra­va an den Fol­gen ei­nes Son­nen­stichs starb, war zu sei­nen Leb­zei­ten sehr be­liebt und steht auch heu­te noch im lie­be­vol­len An­den­ken der Leu­te, trotz­dem geht sein Geist, mit al­len Schre­cken des To­des be­klei­det, auf der In­sel um, so daß die Nach­bar­schaft des Re­gie­rungs­sit­zes in der Dun­kel­heit ängst­lich ge­mie­den wird. Ja, die­se hei­te­re Leh­re läßt sich wie folgt zu­sam­men­fas­sen: Alle Men­schen wer­den Vam­py­re, und die Vam­py­re ver­scho­nen nie­man­den. Aber hier ste­hen wir plötz­lich ei­ner ge­win­nen­den Aus­nah­me ge­gen­über: die Geis­ter der Pfei­fer sind aus­ge­spro­che­ne Stam­mes­geis­ter. Wenn ich mich nicht irre, um­ge­ben und un­ter­rich­ten sie ein­zig ihre Stam­mes­ver­wand­ten, und das Me­di­um ist stets von dem Ge­schlecht des sich mit­tei­len­den Geis­tes. So se­hen wir denn ei­ner­seits die Ban­de der Fa­mi­lie mit dem Tode ab­ge­schnit­ten, an­de­rer­seits aber auch in hilf­rei­cher Wei­se über ihn hin­aus wei­ter­be­ste­hen.

Nach der ta­hi­ti­schen Sage war die See­le des Kin­des in Blät­ter ein­ge­packt. Die Geis­ter der Frisch­ver­stor­be­nen gel­ten näm­lich als be­son­de­re De­li­ka­tes­se. Wenn sie ge­tö­tet wer­den, wird das Haus mit Blut be­spritzt. Ruas to­ter Fi­scher be­fand sich in der Auf­lö­sung; zer­setzt -- und zwar in furcht­ba­rer Wei­se zer­setzt -- war auch sein Baum­geist. Die Geis­ter sind also ma­te­ri­el­le We­sen, und nur durch die ma­te­ri­el­len An­zei­chen der Ver­we­sung un­ter­schei­den sie sich von den le­ben­den Men­schen. Die­se so weit ver­brei­te­te An­sicht ge­sellt dem stark Grau­si­gen, das in den wi­der­wär­tigs­ten po­ly­ne­si­schen Sa­gen zum Aus­druck ge­langt, noch einen be­son­ders ab­sto­ßen­den Zug hin­zu, den manch­mal auch die lie­bens­wür­digs­ten Ein­zel­hei­ten nicht zu mil­dern ver­mö­gen. Ich füh­re zu die­sem Zweck zwei ziem­lich weit aus­ein­an­der­lie­gen­de Bei­spie­le aus Ta­hi­ti und Sa­moa an.

Zu­erst das ta­hi­ti­sche. Ein Mann ging einst auf Be­such zu dem Gat­ten sei­ner Schwes­ter, die schon seit län­ge­rer Zeit ver­stor­ben war. Zu ih­ren Leb­zei­ten war die Schwes­ter nach In­sel­art stets zier­lich ge­klei­det ge­gan­gen mit ei­nem Blu­men­kran­ze auf dem Kopf. Mit­ten in der Nacht wach­te nun der Bru­der durch einen über­ir­disch lieb­li­chen Duft auf, der im Hau­se hin und her schweb­te. Die Lam­pe wird wohl aus­ge­brannt ge­we­sen sein, denn kein Ta­hi­tier wür­de sich im Dun­keln nie­der­ge­legt ha­ben. Eine Wei­le lag er so vol­ler Ent­zücken, dann rief er auch die an­de­ren her­bei. »Riecht kei­ner von euch den Blu­men­ge­ruch?« er­kun­dig­te er sich. »O ja«, er­wi­der­te sein Schwa­ger, »dar­an sind wir hier ge­wöhnt.« Am fol­gen­den Mor­gen gin­gen die bei­den Män­ner spa­zie­ren, und der Wit­wer ge­stand sei­nem Schwa­ger, daß sei­ne Frau stän­dig das Haus be­su­che, ja, daß er sie ein­mal so­gar ge­se­hen hät­te. Sie hät­te die glei­che Ge­stalt und Klei­dung wie zu ih­ren Leb­zei­ten ge­habt, und sei auch mit Blu­men ge­schmückt ge­we­sen: nur hät­te sie sich leicht schwe­bend ein paar Zoll über dem Erd­bo­den be­wegt und sei auch tro­ckenen Fu­ßes über den Fluß­spie­gel ge­glit­ten. Und jetzt kom­men wir zu dem frag­li­chen Punk­te: Stets habe sie nur ihre Rück­sei­te ge­zeigt, und die Schwä­ger wur­den sich, wäh­rend sie die Sa­che er­ör­ter­ten, ei­nig, das hät­te sei­nen Grund dar­in, daß sie die Spu­ren der Ver­we­sung ver­ber­gen wol­le.

Und nun mei­ne sa­mo­a­ni­sche Ge­schich­te. Ich ver­dan­ke sie der Freund­lich­keit des Herrn Dr. F. Otto Sie­rich, des­sen Samm­lung folk­lo­ris­ti­scher Er­zäh­lun­gen ich mit Span­nung ent­ge­gen­se­he. Ein Mann auf Ma­nu’a hat­te zwei Frau­en ge­ehe­licht, ohne Kin­der von ih­nen zu be­kom­men. Er ging da­her nach Sa­waii, hei­ra­te­te dort ein drit­tes Mal und hat­te mehr Glück. Als sei­ne Frau ihre Stun­de kom­men fühl­te, er­in­ner­te er sich, daß er hier in ei­nem frem­den Lan­de nur ein ar­mer Mann sei, und daß er sich, wenn das Kind ge­bo­ren wür­de, we­gen der Ge­ring­fü­gig­keit sei­ner Ge­schen­ke schä­men müß­te. Ver­geb­lich such­te sei­ne Frau ihn von dem Ge­gen­teil zu über­zeu­gen. Er kehr­te zu sei­nem Va­ter nach Ma­nu’a zu­rück, um bei ihm Hil­fe zu su­chen, und mach­te sich mit dem, was er in der Eile er­raf­fen konn­te, noch in der glei­chen Nacht auf den Rück­weg. Nun hat­ten aber sei­ne Frau­en von sei­nem Kom­men er­fah­ren; sie wa­ren zor­nig, daß er nicht blieb, um sie zu be­su­chen, fin­gen ihn am Stran­de bei sei­nem Ka­noe ab und tö­te­ten ihn. Wäh­rend­des­sen lag sei­ne drit­te Frau in Sa­waii im Schlaf; ihr Kind war in­zwi­schen ge­bo­ren wor­den und schlum­mer­te an ih­rer Sei­te; da wur­de sie von dem Geis­te ih­res Gat­ten ge­weckt. »Ste­he auf«, sag­te er, »mein Va­ter liegt krank auf Ma­nu’a, wir müs­sen ihn be­su­chen.« »Gut«, sag­te sie, »nimm du das Kind, wäh­rend ich die Mat­ten tra­ge.« »Ich kann das Kind nicht neh­men«, ant­wor­te­te der Geist, »ich bin vom Mee­re her zu kalt.« Als sie an Bord wa­ren, roch die Frau den Lei­chen­ge­ruch. »Wie kommt das?« frag­te sie. »Was hast du in dem Ka­noe, denn ich spü­re Lei­chen­ge­ruch?« »Nichts ist in dem Ka­noe«, ent­geg­ne­te der Geist. »Es ist nur der Land­wind, der von den Ber­gen weht, wo ir­gend­ein Tier ver­en­det ist.« Es scheint noch dun­kel ge­we­sen zu sein, als sie Ma­nu’a er­reich­ten -- wohl die ra­sche­s­te Über­fahrt, die je ge­macht wur­de -- denn als sie in das In­ne­re des Rif­fes ein­fuh­ren, sa­hen sie die To­ten­feu­er im Dor­fe bren­nen. Wie­der bat sie ihn, das Kind zu tra­gen, jetzt aber brauch­te er sich nicht mehr zu ver­stel­len. »Ich kann dein Kind nicht tra­gen«, sag­te er, »denn ich bin tot, und die Feu­er, die du bren­nen siehst, sind die Feu­er mei­nes Be­gräb­nis­ses.«

Wer neu­gie­rig ist, kann in Dr. Sie­richs Buch den un­er­war­te­ten Aus­gang die­ser Ge­schich­te le­sen. Das Obi­ge ge­nügt für mei­ne Zwe­cke. Ob­wohl der Mann eben erst ge­stor­ben war, war sein Geist doch schon ver­west, als ob Ver­we­sung das Merk­mal, ja die Quint­es­senz der Geis­ter sei. Die To­ten­wa­che auf den Pau­mo­tu dau­ert nur zwei Wo­chen, und man sag­te mir, die­ses sei die Zeit, die eine Lei­che zur Auf­lö­sung brau­che. Der Geist, der stets die Zei­chen der Ver­we­sung an sich trägt -- Ge­fahr, die mit dem Zer­fallspro­zeß ihr Ende zu neh­men scheint -- hier bie­ten sich ver­füh­re­ri­sche Mög­lich­kei­ten von Kom­bi­na­tio­nen für einen Lieb­ha­ber von Theo­ri­en. Doch all sol­che Theo­ri­en sind un­halt­bar. Die Dame mit den Blu­men war schon lan­ge tot und ihr Geist trug an­geb­lich im­mer noch die Zei­chen der Ver­gäng­lich­keit an sich. Der Gou­ver­neur war weit über vier­zehn Tage in der Erde ver­scharrt und ging als Vam­pyr noch im­mer um.

Von dem He­ru­mir­ren der To­ten im Fe­ge­feu­er, von der wüs­ten man­ga­i­schen Sage zu er­zäh­len, nach der es in­fer­na­li­sche Gott­hei­ten gibt, die die See­len al­ler Ver­stor­be­nen ver­zau­bern und ver­nich­ten, von den ver­schie­de­nen sub­ma­ri­nen und äthe­ri­schen Zwi­schen­wel­ten zu be­rich­ten, wo die To­ten schwel­gen, mü­ßig um­her­schwe­ben oder die Be­schäf­ti­gun­gen ih­res Da­seins auf Er­den wie­der auf­neh­men, wür­de er­mü­dend sein. Nur eine Ge­schich­te möch­te ich noch an­füh­ren, denn sie ist nicht nur an sich recht son­der­bar und auf Ta­hi­ti weit ver­brei­tet, son­dern hat das In­ter­essan­te für sich, daß sie aus der nach­christ­li­chen Ära stammt, also erst we­ni­ge Jah­re alt ist. Eine Prin­zes­sin aus re­gie­ren­dem Hau­se war ge­stor­ben und wur­de nach der Nach­ba­rin­sel Raia­tea über­führt. Dort ver­fiel sie der Herr­schaft ei­nes Geis­tes, der ihr be­fahl, den gan­zen Tag über auf Ko­ko­spal­men her­um­zu­klet­tern und ihm Nüs­se zu pflücken; ei­nes Ta­ges aber wur­de sie von ei­nem zwei­ten Geist aus ih­rer ei­ge­nen Fa­mi­lie in die­ser elen­den Skla­ve­rei ent­deckt und auf ihre Kla­gen hin nach Ta­hi­ti zu­rück­ge­bracht, wo ihr Leib zwar im­mer noch be­wacht wur­de, sie ihn aber durch die her­an­na­hen­de Ver­we­sung auf­ge­dun­sen vor­fand. Ein le­ben­di­ger Zug an dem Mär­chen ist die Tat­sa­che, daß die Prin­zes­sin beim An­blick ih­res so ent­stell­ten und ent­ehr­ten Ta­ber­na­kels bat, doch lie­ber end­gül­tig un­ter die To­ten ge­rech­net zu wer­den. Da­für war es aber an­schei­nend schon zu spät, ihr Geist wur­de durch den we­nigst wür­de­vol­len Ein­gang in den Leib zu­rück­be­för­dert, und ihre er­schro­cke­nen Ver­wand­ten sa­hen, wie der Kör­per sich be­weg­te. Die schein­bar dem Fe­ge­feu­er zu­ge­hö­ri­gen Ar­bei­ten, die die Prin­zes­sin ver­rich­ten muß­te, so­wie ihr Grau­en vor dem fau­len­den Leich­nam sind bei­des recht auf­fal­len­de Ein­zel­hei­ten.

Die Wahr­heit ist, daß alle die­se Ge­schich­ten ein­an­der in vie­len Punk­ten wi­der­spre­chen, und sie wer­den au­ßer­dem noch für den Frem­den durch eine ge­heim­nis­vol­le Spra­che ver­dun­kelt. Ge­s­pens­ter, Vam­py­re, Geis­ter und Göt­ter wer­den mit­ein­an­der ver­wech­selt. Und doch glau­be ich zu er­ken­nen, daß (mit ei­ni­gen Aus­nah­men) jene, die wir un­ter die Göt­ter rech­nen kön­nen, die we­nigst bos­haf­ten sind. Zwar geht eine Rei­he von Dau­er­geis­tern, die auch Mor­de ver­üben, in ei­ni­gen Win­keln Sa­moas um, aber jene le­gi­ti­men Göt­ter von Upo­lu und Sa­waii, de­ren Krie­ge und Kricket­tur­nie­re vor kur­z­em erst die Ge­sell­schaft er­schüt­ter­ten, wa­ren, so­weit ich er­se­hen konn­te, nicht be­son­ders oder zum min­des­ten nicht in dem Maße ge­fürch­tet. Der Geist von Anaa, der sich von See­len nähr­te, ist zwar ent­schie­den ein et­was un­be­hag­li­cher Zeit­ge­nos­se, aber die ho­hen Göt­ter des Archi­pels er­schei­nen doch im gan­zen hilf­reich. Ma­hinui -- nach dem un­ser Sträf­lings­ka­te­chet ge­tauft war -- Gott des Mee­res und wie Pro­teus mit ei­ner end­lo­sen Men­ge von die­nen­den Gott­hei­ten um­ge­ben -- pflegt zum Bei­spiel Schiff­brü­chi­gen zu Hil­fe zu kom­men und sie in Ge­stalt ei­nes Re­gen­bo­gen­fi­sches an Land zu tra­gen. Die glei­che Gott­heit trug auch die Pries­ter von ei­ner In­sel des Archi­pels zur an­de­ren, ja, noch in die­sem Jahr­hun­dert hat man Men­schen mit sei­ner Hil­fe flie­gen se­hen. Die Ti­tu­lar­gott­heit je­der In­sel ist gleich­falls hilfs­be­reit und kün­det durch eine be­stimm­te keil­för­mi­ge Wol­ke am Ho­ri­zont das Kom­men ei­nes Schif­fes an.

Wer die­se Atol­le rich­tig vor sich sieht, so schmal, so un­frucht­bar, so all­seits hart vom Mee­re be­drängt, dem will es schei­nen, als herr­sche hier ein Über­reich­tum an ge­spens­ter­haf­ten Ein­woh­nern. Aber mit de­nen, die ich auf­ge­zählt habe, ist ihre Zahl noch nicht er­schöpft. Aus den ver­schie­de­nen sal­zi­gen Tüm­peln und Tei­chen kann man schö­ne Frau­en mit lan­gem ro­ten Haar auf­stei­gen und sich ba­den se­hen, nur sind sie furcht­sam wie die Mäu­se und tau­chen, so­wie sie einen Schritt auf der Koral­le her­an­na­hen hö­ren, auf Nim­mer­wie­der­se­hen im Was­ser un­ter. Man kennt sie als ge­sun­de, harm­lo­se Le­be­we­sen, Be­woh­ner ei­ner un­ter­ir­di­schen Welt; die glei­che Vor­stel­lung herrscht auch auf Ta­hi­ti, wo sie eben­falls rote Haa­re ha­ben. Te­tea ist ihr ta­hi­ti­scher, Mo­ku­rea ihr pau­mo­ti­scher Name.

Die Gilbertinseln

Erstes Kapitel. Butaritari

In Ho­nu­lu­lu hat­te wir der ›Cas­co‹ und Ka­pi­tän Otis Le­be­wohl ge­sagt, un­se­re nächs­te Aus­rei­se fand da­her un­ter ver­än­der­ten Um­stän­den statt. Plät­ze wur­den für mich, mei­ne Frau, Mr. Os­bour­ne und mei­nen Chi­ne­sen­boy, Ah Fuh, auf ei­nem win­zi­gen Han­dels­scho­ner, der »Äqua­tor«, Ka­pi­tän Den­nis Reid, be­legt; und ei­nes schö­nen Ju­ni­ta­ges 1889 sta­chen wir, nach ha­wai­ischer Sit­te mit Ab­schieds­krän­zen ge­schmückt, in See und se­gel­ten bei güns­ti­gem Win­de gen Mi­kro­ne­si­en.

Die gan­ze wei­te Süd­see ist, was Schif­fe an­be­trifft, eine Wüs­te, vor al­lem je­ner Teil, auf den wir jetzt zu­hiel­ten. Zwi­schen die­sen In­seln gibt es kei­ne Post; die vor­han­de­nen Ver­bin­dun­gen sind rein zu­fäl­li­ger Art; wo­hin man zu fah­ren be­ab­sich­tigt, ist eine Sa­che für sich -- wo man schließ­lich lan­det, eine ganz an­de­re Sa­che. So war es zum Bei­spiel mei­ne Hoff­nung, die Ka­ro­li­nen zu er­rei­chen und zur zi­vi­li­sier­ten Welt über Ma­ni­la und die chi­ne­si­schen Hä­fen zu­rück­zu­keh­ren; statt des­sen soll­ten wir in Sa­moa auf­tau­chen und dort end­lich von neu­em durch den An­blick der Ber­ge er­frischt wer­den. Seit­dem jene Aben­drö­te auf den Gip­feln von Oahu ver­blaß­te, wa­ren sechs Mo­na­te ver­gan­gen, und wir hat­ten nir­gends einen Fleck Erde er­blickt, der auch nur so hoch wie ein ge­wöhn­li­ches klei­nes Haus ge­we­sen wäre. Un­ser Weg hat­te uns un­aus­ge­setzt über die fla­che See ge­führt, un­se­re Woh­nun­gen wa­ren auf der nack­ten Koral­le auf­ge­schla­gen ge­we­sen, un­ser Es­sen hat­te aus dem be­stan­den, was wir dem Pö­kel­topf oder den Kon­ser­ven­büch­sen ent­neh­men konn­ten. Ich hat­te ge­lernt, selbst Hai­fisch­fleisch als Ab­wechs­lung zu be­grü­ßen, und ein Berg, eine Zwie­bel, eine iri­sche Kar­tof­fel oder gar ein Beefs­teak wa­ren al­les Genüs­se, de­ren Ge­schmack wir fast ver­lernt hat­ten, und nach de­nen wir uns in un­se­ren Träu­men sehn­ten.

Die bei­den Orte, an de­nen wir uns am längs­ten auf­hiel­ten, wa­ren Bu­ta­ri­ta­ri und Ape­ma­ma; bei­de lie­gen in der Nähe des Äqua­tors, die letz­te­re Sie­de­lung nur drei­ßig Mei­len da­von ent­fernt. Bei­de er­freu­en sich des herr­lichs­ten See­kli­mas, Tage blen­den­der Son­ne und fri­scher Win­de, Näch­te von über­ir­di­schem Glanz. Bei­de sind et­was brei­ter als Fa­ka­ra­va und mes­sen (an ih­rer brei­tes­ten Stel­le) rund eine Vier­tel­mei­le von Strand zu Strand. Auf bei­den ge­deiht eine gro­be Art Taro, des­sen Kul­tur die Haupt­tä­tig­keit der Ein­ge­bo­re­nen bil­det, und die vie­len Grä­ben und Hü­gel, die so ent­ste­hen, schaf­fen eine Art Mi­nia­turs­ze­ne­rie, die das Auge er­götzt. In je­der an­de­ren Hin­sicht zei­gen die bei­den In­seln die ge­wöhn­li­chen Ei­gen­schaf­ten ei­nes Atolls: den nied­ri­gen Ho­ri­zont, die wei­te Flä­che der La­gu­ne, den schilf­ar­ti­gen Saum von Pal­men­wip­feln, die Ein­tö­nig­keit und ge­rin­ge Aus­deh­nung des Lan­des, die ins Un­ge­heu­re ver­grö­ßer­te Wei­te und Be­deu­tung von Meer und Him­mel. Das Le­ben auf ei­ner der­ar­ti­gen In­sel ver­läuft in man­cher Be­zie­hung wie das Le­ben an Bord. Das Atoll wird bald wie das Schiff zur Selbst­ver­ständ­lich­keit; auf die In­sel­be­woh­ner kon­zen­triert sich wie auf die Leu­te an Bord das gan­ze In­ter­es­se. Die bei­den Ei­lan­de selbst sind dicht be­völ­kert, un­ab­hän­gig, die Sit­ze von klei­nen Kö­ni­gen, erst kürz­lich zi­vi­li­siert und in­fol­ge­des­sen noch we­nig be­sucht. In den letz­ten zehn Jah­ren hat sich dort man­ches un­merk­lich ver­än­dert; die Wei­ber ge­hen nicht mehr bis zu ih­rer Ver­hei­ra­tung voll­stän­dig nackt; die Wit­we schläft nachts nicht mehr ne­ben dem Schä­del ih­res ver­stor­be­nen Gat­ten und braucht ihn am Tage nicht län­ger mit sich her­um­zu­tra­gen, und seit­dem Feu­er­waf­fen ein­ge­führt wur­den, wer­den Spee­re und die Schwer­ter aus Hai­fisch­zäh­nen nur noch als Ku­rio­si­tä­ten ver­kauft. Vor zehn Jah­ren da­ge­gen wa­ren alle die­se Din­ge und Ge­bräu­che noch im Schwan­ge, nach wei­te­ren zehn Jah­ren wird die gan­ze alte Le­bens­ord­nung völ­lig ver­schwun­den sein. Wir hat­ten Glück, ihre Ein­rich­tun­gen noch le­ben­dig oder (wie in Ape­ma­ma) kaum an­ge­tas­tet zu fin­den.

Dicht be­völ­kert und un­ab­hän­gig -- Un­ter­schlup­fe von Men­schen, die mit ei­ni­gem rus­ti­ka­len Pomp re­giert wur­den -- das war der ers­te und auch dau­ern­de Ein­druck die­ser win­zi­gen Ei­lan­de. Wäh­rend wir in der La­gu­ne auf Bu­ta­ri­ta­ri zu­hiel­ten, sa­hen wir einen Teil des fla­chen Ufers von ei­nem Meer nied­ri­ger brau­ner Dä­cher be­deckt; die des Palas­tes und des kö­nig­li­chen Som­mer­saals wa­ren aus Well­blech und glänz­ten grell in der Son­ne; die Kö­nigs­flag­ge flat­ter­te dicht da­vor an ei­ner ho­hen Fah­nen­stan­ge; ge­gen­über lag ein künst­li­ches In­sel­chen, auf dem das Ge­fäng­nis­ge­bäu­de als Alarm­turm em­por­rag­te. Selbst bei die­sem ers­ten und aus der Fer­ne ge­won­ne­nen Blick er­weck­te der Ort kaum den Ein­druck des­sen, was er wirk­lich war, ei­nes Dor­fes; viel­mehr glich er ei­ner Mi­nia­tur­re­si­denz, ei­ner länd­li­chen, aber den­noch kö­nig­li­chen Haupt­stadt, und auch das ent­sprach ja sei­nem Cha­rak­ter.

Die La­gu­ne ist seicht. Bei Ebbe konn­ten wir rund eine Vier­tel­mei­le weit in dem lau­war­men Was­ser über Sand­bän­ke wa­ten, um end­lich in eine grel­le Glut von Son­nen­licht und Schwü­le zu­rück­zu­keh­ren. Die Bin­nen­sei­te ei­ner Äqua­to­rin­sel ist nach­mit­tags in der Tat ein ziem­lich er­drücken­der Ort; an der Mee­res­küs­te weht we­nigs­tens noch der stür­mi­sche, küh­len­de Pas­sat; auf der La­gu­ne ist auch noch Wind, der die Ka­noes be­flü­gelt, aber der schir­men­de Busch hält ihn voll­stän­dig vom Lan­de ab, und Stil­le so­wie Schwär­me von Mücken sen­ken sich brü­tend auf die Stadt her­nie­der.

Wir konn­ten also be­haup­ten, Bu­ta­ri­ta­ri ge­wis­ser­ma­ßen über­rascht zu ha­ben, denn nur we­ni­ge Ein­woh­ner wa­ren noch am Nor­den­de der Nie­der­las­sung un­ter­wegs, als wir lan­de­ten. Im Wei­ter­ge­hen nah­men auch die­se Be­geg­nun­gen ein Ende, es schi­en, als durch­schrit­ten wir eine To­ten­stadt. Nur zwi­schen den Pfos­ten der of­fe­nen Häu­ser sa­hen wir die Be­woh­ner ihre Sies­ta hal­ten, mit­un­ter gan­ze Fa­mi­li­en un­ter ei­nem Mos­ki­to­netz, mit­un­ter auch einen ein­zel­nen Schlä­fer, wie einen To­ten auf der Bah­re aus­ge­streckt.

Die Häu­ser wa­ren in al­len Di­men­sio­nen ge­baut, von Spiel­zeug­grö­ße an bis zum Um­fan­ge ei­ner Kir­che. Ei­ni­ge hät­ten ein gan­zes Ba­tail­lon be­her­ber­gen kön­nen, an­de­re wa­ren so win­zig, daß kaum ein lie­ben­des Paar dar­in Platz ge­fun­den hät­te; nur noch in ei­nem Kin­der­zim­mer, wo Spiel­zeug al­ler Art durch­ein­an­der­ge­wor­fen ist, fin­den wir der­ar­ti­ge Ge­gen­sät­ze. Man­che Bau­ten wa­ren nichts als of­fe­ne Schup­pen, an­de­re gli­chen ei­ner Büh­ne mit ei­nem Dach dar­über, wie­der an­de­re wa­ren von Mau­ern um­schlos­sen, in die man klei­ne Fens­ter ein­ge­bro­chen hat­te. Ei­ni­ge wa­ren auf Pfäh­len in die La­gu­ne hin­ein­ge­baut; die üb­ri­gen stan­den be­lie­big auf dem An­ger her­um, durch den die Stra­ße ein Band aus weißem San­de zog, oder auf den Däm­men ei­nes Bin­nen­ge­wäs­sers, das ei­nem fla­chen Dock glich. Alle mit­ein­an­der wa­ren die Ge­schöp­fe ei­nes ein­zi­gen Bau­mes: Palm­holz und Palm­blät­ter wa­ren das Bau­ma­te­ri­al; kein Na­gel war ein­ge­trie­ben, kein Ham­mer­schlag ge­führt wor­den, als man sie er­rich­te­te, denn zu­sam­men­ge­hal­ten wur­den sie durch Palm­fa­sern.

In der Mit­te die­ser Haupt­stra­ße steht wie eine In­sel die Kir­che, ein ho­hes, däm­me­ri­ges Ge­bäu­de mit ei­ner Rei­he von Fens­tern. Das Dach ruht auf rei­chem Ge­bälk, und durch bei­de Tü­ren hat man einen wei­ten Blick auf die Stra­ße. Die Pro­por­tio­nen so­wie das Bau­ma­te­ri­al wirk­ten in die­ser Um­ge­bung ein­fach im­po­nie­rend, und wir durch­schrit­ten das Mit­tel­schiff mit ei­nem Ge­fühl, wie es uns sonst nur in Ka­the­dra­len über­kommt. An bei­den Sei­ten wa­ren Bän­ke auf­ge­reiht; in der Mit­te auf er­höh­tem, wa­cke­li­gen Posta­ment stan­den zwei Stüh­le für den Kö­nig und die Kö­ni­gin, für den Fall, daß sie am Got­tes­diens­te teil­zu­neh­men ge­ruh­ten; dar­über hing an ro­ten Baum­woll­schnü­ren ein al­ter Rei­fen, ver­mut­lich von ei­nem Schnaps­faß, und der Rei­fen, der recht schief bau­mel­te, war mit ro­ten und wei­ßen Wim­peln aus dem glei­chen Stof­fe ge­schmückt.

Das war das ers­te An­zei­chen kö­nig­li­cher Wür­de, dem wir be­geg­ne­ten, und bald stan­den wir vor ih­rem Haupt­sitz und Mit­tel­punkt. Der Palast ist aus im­por­tier­ten, eu­ro­päi­schen Höl­zern ge­baut; das Dach ist aus Well­blech, der Hof wird von Mau­ern um­schlos­sen, und das Tor ist von ei­ner Art Wächt­er­häus­chen ge­krönt. Man kann den Palast nicht ein­mal ge­räu­mig nen­nen; man­cher Ar­bei­ter in den Ve­rei­nig­ten Staa­ten hat eine bes­se­re Woh­nung; als wir je­doch Ge­le­gen­heit er­hiel­ten, ihn von in­nen zu be­sich­ti­gen, wa­ren wir er­staunt, ihn über alle po­ly­ne­si­sche Er­war­tung hin­aus durch far­bi­ge Pla­ka­te und Aus­schnit­te aus il­lus­trier­ten Zei­tun­gen ge­schmückt zu fin­den. Schon vor dem Tor ist ein Teil des Kron­schat­zes aus­ge­stellt: eine Glo­cke von an­sehn­li­cher Grö­ße, zwei Stück Ka­no­nen und eine ein­zi­ge Gra­na­te. Die Glo­cke kann nicht ge­läu­tet, die Ka­no­nen kön­nen nicht ab­ge­feu­ert wer­den; sie sind nichts als Ku­rio­si­tä­ten, Zei­chen von Reich­tum, ein Teil des kö­nig­li­chen Pomps, und ste­hen hier wie bei uns die Sta­tu­en auf öf­fent­li­chen Plät­zen, um be­wun­dert zu wer­den. Ein ge­ra­der, ka­na­l­ähn­li­cher Was­ser­arm führt fast bis an das Tor des Palas­tes; die Sei­ten­däm­me sind aus fes­tem Koral­len­ge­stein, und an sei­ner Mün­dung liegt, gleich­sam als ein Ef­fekt der Land­schafts­gärt­ne­rei ge­dacht, den Spie­gel der La­gu­ne un­ter­bre­chend, das In­sel­chen mit dem Ge­fäng­nis. Va­sal­len­häupt­lin­ge, ih­ren Tri­but ein­hän­di­gend, be­nach­bar­te Mon­ar­chen auf ih­ren Ver­gnü­gungs­fahr­ten, kön­nen hier bis dicht vor das Por­tal fah­ren, mit Ver­wun­de­rung die aus­ge­dehn­ten An­la­gen be­sich­ti­gen und sich von den Mün­dun­gen die­ser stum­men Ka­no­nen­roh­re im­po­nie­ren las­sen. Un­mög­lich konn­te man sich hier um­se­hen, ohne zu mer­ken, daß das Gan­ze nur auf Wir­kung be­rech­net war. Da­mals je­doch stand die­se pom­pö­se An­la­ge leer; das kö­nig­li­che Haus war ver­ödet, weit auf­ge­ris­sen starr­ten sei­ne Tü­ren und Fens­ter, das gan­ze Stadt­vier­tel lag in Schwei­gen ver­sun­ken. Nur auf der ge­gen­über­lie­gen­den Sei­te des Kanals schlief auf ei­ner über­dach­ten Bret­ter­büh­ne in al­ler Öf­fent­lich­keit ein be­tag­ter Herr, der al­lei­ni­ge sicht­ba­re Be­woh­ner, und im Hin­ter­grun­de der La­gu­ne trug ein Ka­noe ein bunt­ge­streif­tes la­tei­ni­sches Se­gel, der ein­zi­ge Ge­gen­stand, der Le­ben und Be­we­gung zeig­te.