Robur der Eroberer - Jules Verne - E-Book

Robur der Eroberer E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Jules Verne bei Null Papier Komplett neu überarbeitet; reichhaltig illustriert und kommentiert Ein Verein begeisterter Amateur-Luftschiffer plant den Bau eines lenkbaren Luftschiffes. Auf einer ihrer Versammlungen kommt es zu einem unerhörten Zwischenfall: Ein Fremder namens Robur tritt auf. Dieser Robur spuckt große Töne: Er allein habe das Geheimnis des Fliegens gelüftet und er allein besäße eine Flugmaschine, die alle bisherigen Apparate weit in den Schatten stellen würde. Bald darauf werden die Vorstandsmitglieder des Vereins entführt und finden sich auf dem »Albatros« wieder – einer sagenhaften Flugmaschine. Hat Robur also die Wahrheit gesagt? Die Reise mit der ungeheuren Maschine führt quer durch die Vereinigten Staaten über den Pazifischen Ozean nach China, von dort aus über den Himalaja nach Indien. Eine Flucht aus dieser Maschine scheint unmöglich. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 314

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Jules Verne

Robur der Eroberer

Illustrierte und unzensierte Komplettübersetzung

Jules Verne

Robur der Eroberer

Illustrierte und unzensierte Komplettübersetzung

(Robur le Conquérant)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]: George RouxÜbersetzung und Fußnoten: Jürgen Schulze 2. Auflage, ISBN 978-3-962814-83-0

null-papier.de/angebote

Inhaltsverzeichnis

Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Ers­tes Ka­pi­tel – Wo­rin die ge­lehr­te Welt sich eben­so­we­nig Rat weiß, wie die un­ge­lehr­te.

Zwei­tes Ka­pi­tel – In wel­chem die Mit­glie­der des Wel­don-In­sti­tuts mit­ein­an­der strei­ten, ohne zu ei­ner Über­ein­stim­mung zu ge­lan­gen.

Drit­tes Ka­pi­tel – In dem eine neue Per­sön­lich­keit nicht be­son­ders vor­ge­stellt zu wer­den braucht, da sie das selbst be­sorgt.

Vier­tes Ka­pi­tel – In dem der Ver­fas­ser in­fol­ge ei­ner Be­mer­kung des Die­ners Fry­col­lin den Mond wie­der zu Ehren zu brin­gen ver­sucht.

Fünf­tes Ka­pi­tel – In dem die Ein­stel­lung der Feind­se­lig­kei­ten zwi­schen dem Vor­sit­zen­den und dem Schrift­füh­rer des Wel­don-In­sti­tuts be­schlos­sen wird.

Sechs­tes Ka­pi­tel – Wel­ches In­ge­nieu­re, Mecha­ni­ker und an­de­re Ge­lehr­te viel­leicht am bes­ten über­schla­gen.

Sieb­tes Ka­pi­tel – In wel­chem On­kel Pru­dent und Phil Evans sich noch im­mer nicht über­zeu­gen las­sen wol­len.

Ach­tes Ka­pi­tel – Wo­rin man se­hen wird, dass Ro­bur sich ent­schließt, auf die ihm vor­ge­leg­te wich­ti­ge Fra­ge zu ant­wor­ten.

Neun­tes Ka­pi­tel – In dem der »Al­ba­tros« fast zehn­tau­send Ki­lo­me­ter zu­rück­legt und das mit ei­nem merk­wür­di­gen Sprun­ge en­digt.

Zehn­tes Ka­pi­tel – Wo­rin man se­hen wird, wie und warum der Die­ner Fry­col­lin ins Schlepp­tau ge­nom­men wur­de.

Elf­tes Ka­pi­tel – In dem die Wut des On­kel Pru­dent mit dem Qua­drat der Ge­schwin­dig­keit zu­nimmt.

Zwölf­tes Ka­pi­tel – In dem der In­ge­nieur Ro­bur han­delt, als ob er sich um einen der Mon­thy­on-Prei­se be­wer­ben woll­te.

Drei­zehn­tes Ka­pi­tel – In dem On­kel Pru­dent und Phil Evans einen gan­zen Ozean durch­fah­ren, ohne die See­krank­heit zu be­kom­men.

Vier­zehn­tes Ka­pi­tel – In dem der »Al­ba­tros« et­was aus­führt, was man viel­leicht nie­mals dürf­te aus­füh­ren kön­nen.

Fünf­zehn­tes Ka­pi­tel – Wo­rin Din­ge ge­sche­hen, de­ren Schil­de­rung sich ge­wiss der Mühe lohnt.

Sech­zehn­tes Ka­pi­tel – Wel­ches den Le­ser in ei­ner viel­leicht be­kla­gens­wer­ten Un­ge­wiss­heit lässt.

Sieb­zehn­tes Ka­pi­tel – Wo­rin der Le­ser um zwei Mo­na­te rück­wärts und auch um neun Mo­na­te vor­wärts ge­führt wird.

Acht­zehn­tes Ka­pi­tel – Wel­ches die­se wahr­haf­te Ge­schich­te zu Ende führt, ohne sie zu be­en­di­gen.

Ein Nach­wort

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie die­ses E-Book aus mei­nem Ver­lag er­wor­ben ha­ben.

Ju­les Ver­ne ge­hört zu den Au­to­ren, die je­der schon ein­mal ge­le­sen hat. Eine Be­haup­tung, die man nicht über vie­le Schrift­stel­ler auf­stel­len kann. Die Ge­schich­ten von Ver­ne sind un­ter­hal­tend, lehr­reich und im­mer sehr at­mo­sphä­risch.

In un­re­gel­mä­ßi­ger Fol­ge wird mein Ver­lag die Wer­ke von Ver­ne ver­öf­fent­li­chen – die be­kann­ten wie die un­be­kann­ten. Im­mer in der über­ar­bei­te­ten Er­st­über­set­zung, um den (sprach­li­chen) Ch­ar­me der Zeit bei­zu­be­hal­ten.

Kor­ri­giert und kom­men­tiert wer­den Orts- und Per­so­nen­na­men oder of­fen­sicht­lich falsche An­ga­ben. Sie fin­den die Er­läu­te­run­gen in Fuß­no­ten.

Ich habe es mir auch nicht neh­men las­sen, die ur­sprüng­li­chen Na­men zu ver­wen­den: Aus dem Jo­hann wird so wie­der der ur­sprüng­li­che Jean, aus Lud­wig wie­der Louis und aus Ma­ri­an­ne wie­der Ma­rie. Ich den­ke, das tut den Ge­schich­ten nur gut.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze null-pa­pier.de/kon­takt

Ju­les Ver­ne bei Null Pa­pier

Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen

Mi­cha­el Strogoff - Der Ku­ri­er des Za­ren

Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer

Eine Idee des Dok­tor Ox

Eine Über­win­te­rung im Eis

Schwarz-In­di­en – Oder: Die Stadt un­ter der Erde

Fünf Wo­chen im Bal­lon

Ro­bur der Ero­be­rer

Der Herr der Welt

Von der Erde zum Mond

und wei­te­re …

Ju­les Ver­ne – Le­ben und Werk

Bei­na­he wäre Klein-Ju­les als Schiffs­jun­ge nach In­di­en ge­fah­ren, hät­te eine Lauf­bahn als See­mann ein­ge­schla­gen und spä­ter un­ter­halt­sa­mes See­manns­garn ge­spon­nen, das ver­mut­lich nie die Drucker­pres­se er­reicht hät­te.

Ju­les Ver­ne

Ver­liebt in die aben­teu­er­li­che Li­te­ra­tur

Glück­li­cher­wei­se für uns Le­ser hin­dert man ihn dar­an: Der Elf­jäh­ri­ge wird von Bord ge­holt und ver­lebt wei­ter­hin eine be­hü­te­te Kind­heit vor bür­ger­li­chem Hin­ter­grund. Ge­bo­ren am 8. Fe­bru­ar 1828 in Nan­tes, wächst Ju­les-Ga­bri­el Ver­ne in gut si­tu­ier­ten Ver­hält­nis­sen auf. Als äl­tes­ter von fünf Spröss­lin­gen soll er die vä­ter­li­che An­walt­spra­xis über­neh­men, wes­halb er ab 1846 in Pa­ris Jura stu­diert.

Viel span­nen­der fin­det er schon zu die­ser Zeit al­ler­dings die Li­te­ra­tur. Ver­ne freun­det sich so­wohl mit Alex­and­re Du­mas als auch mit sei­nem gleich­na­mi­gen Sohn an. Ge­mein­sam mit Va­ter Du­mas ver­fasst er Opern­li­bret­ti und ers­te dra­ma­ti­sche Wer­ke. Nach dem Ab­schluss sei­nes Stu­di­ums be­schließt er, nicht nach Nan­tes zu­rück­zu­keh­ren, son­dern sich völ­lig der Dra­ma­tik zu wid­men.

Zwar schreibt er nicht ganz er­folg­los – drei sei­ner Er­zäh­lun­gen er­schei­nen in ei­ner li­te­ra­ri­schen Zeit­schrift. Doch zum Le­ben reicht es nicht, wes­halb der jun­ge Au­tor 1852 den Pos­ten ei­nes In­ten­danz-Se­kre­tärs am Théâtre ly­ri­que an­nimmt. Im­mer­hin wird die­se Ar­beit zu­ver­läs­sig ver­gü­tet und Ver­ne darf sich als Dra­ma­ti­ker be­tä­ti­gen. In sei­ner Frei­zeit ver­fasst er wei­ter­hin Er­zäh­lun­gen, wo­bei ihn aben­teu­er­li­che Rei­sen am meis­ten in­ter­es­sie­ren.

Als er 1857 eine Wit­we hei­ra­tet, die zwei Töch­ter in die Ehe mit­bringt, muss sich der Li­te­rat nach ei­ner bes­ser be­zahl­ten Ein­kom­mens­quel­le um­se­hen. Wäh­rend der nächs­ten zwei Jah­re schlägt er sich als Bör­sen­mak­ler durch, wo­bei er ge­nug Zeit fin­det, län­ge­re Schiffs­rei­sen zu un­ter­neh­men, be­vor 1861 sein Sohn Mi­chel ge­bo­ren wird.

Ver­liebt ins li­te­ra­ri­sche Aben­teu­er

Letzt­lich ist es ei­ner be­son­de­ren Be­geg­nung im Jahr 1862 ge­schul­det, dass al­les, was der Au­tor bis­her »geis­tig an­ge­sam­melt« hat, in sei­nen künf­ti­gen Ro­ma­nen kul­mi­nie­ren darf: Der Ju­gend­buch-Ver­le­ger Pier­re-Ju­les Het­zel ver­öf­fent­licht Ver­nes uto­pi­schen Rei­se­ro­man »Fünf Wo­chen im Bal­lon«. Die­ses von ihm oh­ne­hin be­vor­zug­te Su­jet wird den Schrift­stel­ler nie wie­der los­las­sen – die aben­teu­er­li­chen Rei­sen, auf wel­cher Rou­te auch im­mer sie ab­sol­viert wer­den. Het­zel ver­legt Ver­nes noch heu­te be­lieb­tes­te Schrif­ten: 1864 »Rei­se zum Mit­tel­punkt der Erde«, im fol­gen­den Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Rei­se um den Mond« und »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer«. Mit »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« er­scheint 1872 Ju­les Ver­nes er­folg­reichs­ter Ro­man über­haupt.

Die Zu­sam­men­ar­beit mit Het­zel, der gleich­zei­tig als sein Men­tor fun­giert, sorgt in den spä­ten 1860er Jah­ren da­für, dass der höchst pro­duk­ti­ve Schrift­stel­ler sei­ner Fa­mi­lie ei­ni­gen Wohl­stand bie­ten und sich selbst »ju­gend­traum­haf­te« Rei­se­wün­sche er­fül­len kann. Sein Ver­le­ger stellt ihn nam­haf­ten Wis­sen­schaft­lern vor – in Kom­bi­na­ti­on mit den er­wähn­ten Rei­sen ent­steht auf die­se Wei­se ein un­ge­heu­rer Fun­dus der In­spi­ra­ti­on: Ju­les Ver­nes Zet­tel­kas­ten ent­hält an­geb­lich 25.000 No­ti­zen!

Zwar ist er seit »Rei­se um den Mond« glei­cher­ma­ßen wohl­ha­bend und ge­ach­tet; er en­ga­giert sich seit den spä­ten 1880er Jah­ren so­gar als Stadt­rat in Amiens, wo­hin er 1871 mit sei­ner Fa­mi­lie über­ge­sie­delt war. Der »Rit­ter­schlag« aber bleibt aus: In der Aca­dé­mie françai­se möch­te man den Ju­gend­buch­au­tor nicht ha­ben, er gilt als nicht se­ri­ös ge­nug.

Den Ze­nit sei­nes Schaf­fens hat der Li­te­rat be­reits über­schrit­ten, als er 1888 blei­ben­de Ver­let­zun­gen durch den Schuss­waf­fen-An­griff ei­nes geis­tes­ge­stör­ten Ver­wand­ten da­von­trägt. Den­noch ar­bei­tet der Au­tor un­un­ter­bro­chen wei­ter. Als Ju­les Ver­ne im März 1905 stirbt, hin­ter­lässt er ein ge­wal­ti­ges Ge­samt­werk: 54 zu Leb­zei­ten er­schie­ne­ne Ro­ma­ne, wei­te­re elf Ma­nu­skrip­te be­ar­bei­tet sein Sohn Mi­chel nach dem Tod des Va­ters. Er­gänzt wird Ver­nes Œu­vre durch Er­zäh­lun­gen, Büh­nen­stücke und geo­gra­fi­sche Ver­öf­fent­li­chun­gen.

Ge­liebt und miss­ach­tet

Je­nes zwie­späl­ti­ge Ver­hält­nis, das sich be­reits in der Ab­leh­nung der Aka­de­mie­mit­glie­der äu­ßert, kenn­zeich­net die aka­de­mi­sche Re­zep­ti­on bis heu­te: Ju­les Ver­ne ist eben »nur ein Ju­gend­buch­au­tor«. We­ni­ger be­fan­ge­ne Re­zi­pi­en­ten frei­lich schrei­ben ihm eine ganz an­de­re Be­deu­tung zu, die dem Vi­sio­när und lei­den­schaft­li­chen Er­zäh­ler bes­ser ge­recht wird.

Wenn­gleich der al­tern­de Li­te­rat zum Ende sei­nes Schaf­fens durch­aus nicht mehr in gläu­bi­ger Tech­nik­be­geis­te­rung auf­geht, blei­ben uns doch ge­nau jene Wer­ke in lie­be­vol­ler Erin­ne­rung, in de­nen tech­ni­sche und mensch­li­che Groß­ta­ten die Hand­lung be­stim­men: »Rei­se um die Erde in 80 Ta­gen« oder »Zwan­zig­tau­send Mei­len un­ter dem Meer« bei­spiels­wei­se. Wer als Kind von Nemo und sei­ner Nau­ti­lus liest, wird un­wei­ger­lich ge­fan­gen von die­sem tech­ni­schen Wun­der­werk und des­sen Ka­pi­tän. Ver­nes Ro­ma­ne ge­hö­ren zu je­nen Ju­gend­bü­chern, die man als Er­wach­se­ner ger­ne noch­mals zur Hand nimmt – und man staunt er­neut, er­in­nert sich, lässt sich wie­der­um ein­fan­gen und fragt sich, warum man ei­gent­lich so sel­ten Ver­ne liest…

So wie der Au­tor sich selbst durch Rei­sen und Wis­sen­schaft in­spi­rie­ren lässt, die­nen sei­ne Wer­ke seit je­her der In­spi­ra­ti­on sei­ner Le­ser­schaft. Wie prä­sent die­ser ex­zel­len­te Un­ter­hal­ter in den Köp­fen sei­ner Le­ser bleibt, be­le­gen Be­nen­nun­gen in See- und Raum­fahrt: Das ers­te Atom-U-Boot der Ge­schich­te ist die ame­ri­ka­ni­sche USS Nau­ti­lus. Ein Raum­trans­por­ter der Eu­ro­päi­schen Raum­fahr­t­agen­tur heißt »Ju­les Ver­ne«, ein As­te­ro­id und ein Mond­kra­ter tra­gen eben­falls den Na­men des Schrift­stel­lers. Die »Ju­les Ver­ne Tro­phy« wird seit 1990 für die schnells­te Wel­t­um­se­ge­lung ver­lie­hen, was dem be­geis­ter­ten Jacht­be­sit­zer Ver­ne ge­wiss ge­fal­len hät­te.

Der kom­mer­zi­el­le Li­te­ra­tur­be­trieb so­wie die Film­wirt­schaft be­trach­ten den fran­zö­si­schen Va­ter der Science-Fic­ti­on-Li­te­ra­tur eben­falls mit Wohl­wol­len: Un­zäh­li­ge Neu­auf­la­gen der Ro­man­klas­si­ker, Hör­bü­cher und Ver­fil­mun­gen der ra­san­ten, stets mit­rei­ßen­den Hand­lun­gen spre­chen Bän­de. Mitt­ler­wei­le gel­ten die äl­tes­ten Ver­fil­mun­gen selbst als kul­tu­rel­le Mei­len­stei­ne, die kei­nes­wegs nur ein jun­ges Pub­li­kum er­freu­en.

Ju­les Ver­nes Be­deu­tung für die Li­te­ra­tur

Der Ein­fluss Ver­nes auf nach­fol­gen­de Science-Fic­ti­on-Au­to­ren ist gar nicht hoch ge­nug ein­zu­schät­zen: Aus heu­ti­ger Sicht ist er ei­ner der Vor­rei­ter der uto­pi­schen Li­te­ra­tur Eu­ro­pas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Wel­ten«) und Kurd Laß­witz (»Auf zwei Pla­ne­ten«) das neue Gen­re be­grün­det. Sein­er­zeit gibt es die­sen Be­griff noch nicht, wes­halb Het­zel die Ro­ma­ne sei­nes Er­folgs­schrift­stel­lers als »Au­ßer­ge­wöhn­li­che Rei­sen« ver­mark­tet

Der Fran­zo­se sieht, an­ders als Wells und ähn­lich wie Laß­witz, im tech­ni­schen Fort­schritt das künf­ti­ge Wohl der Mensch­heit be­grün­det. Trotz­dem ist Ju­les Ver­ne vor al­lem Er­zäh­ler: Er will we­der war­nen wie Wells noch be­leh­ren wie Laß­witz, son­dern in ers­ter Li­nie un­ter­hal­ten. Im Ver­gleich zum sprö­den Rea­lis­mus ei­nes Wells wir­ken sei­ne Ro­ma­ne für mo­der­ne Le­ser aus­ufernd, viel­leicht so­gar ge­schwät­zig. Den­noch sind sie leich­ter zu­gäng­lich als das sti­lis­tisch ähn­li­che Schaf­fen des Deut­schen Laß­witz, weil sie Uto­pie und Tech­nik­be­geis­te­rung nicht zum Zweck ih­res In­halts ma­chen, son­dern le­dig­lich zu des­sen Trä­ger: Schließ­lich ist es ein­fach auf­re­gend, in ei­nem Bal­lon eine Welt­rei­se an­zu­tre­ten oder Ka­pi­tän Nemo in sein ge­hei­mes Reich zu fol­gen.

Robur der Sieger, alternativer Titel

Erstes Kapitel – Worin die gelehrte Welt sich ebensowenig Rat weiß, wie die ungelehrte.

Paff! … Paff!

Zwei Pis­to­len­schüs­se knall­ten zu glei­cher Zeit. Eine Kuh, wel­che eben in der Ent­fer­nung von 50 Schrit­ten vor­über­trab­te, be­kam eine Ku­gel ins Rück­grat … und sie ging die Sa­che doch gar nichts an.

Von den bei­den Geg­nern war kei­ner ge­trof­fen wor­den.

Wer wa­ren jene bei­den Her­ren? Nie­mand weiß es, und ge­ra­de hier wäre ja Ge­le­gen­heit ge­we­sen, ihre Na­men der Nach­welt zu über­lie­fern. Es lässt sich über sie nichts wei­ter sa­gen, als dass der äl­te­re ein Eng­län­der, der jün­ge­re Duel­lant ein Ame­ri­ka­ner war. De­sto leich­ter lässt sich die Ört­lich­keit be­stim­men, an der je­ner un­schul­di­ge Wie­der­käu­er eben sein letz­tes Gras­bün­del­chen ab­ge­wei­det hat­te; die­se ist näm­lich am rech­ten Ufer des Nia­ga­ra und un­weit der Hän­ge­brücke zu su­chen, wel­che drei Mei­len un­ter­halb der be­rühm­ten Fäl­le das ka­na­di­sche Ufer mit dem ame­ri­ka­ni­schen ver­bin­det.

Der Eng­län­der schritt jetzt auf den Ame­ri­ka­ner zu. »Ich blei­be nichts­de­sto­we­ni­ger da­bei, dass es die Me­lo­die von Ru­le Bri­tan­nia war«, sag­te er.

»Nein, der Yan­kee Dood­le!« ver­setz­te der an­de­re.

Der Streit schi­en aufs neue ent­bren­nen zu sol­len, als sich ei­ner der Zeu­gen – ohne Zwei­fel im In­ter­es­se des wei­den­den Viehs – mit den Wor­ten ein­misch­te:

»Neh­men wir an, es wäre der Ru­le Dood­le und der Yan­kee Bri­tan­nia ge­we­sen und be­ge­ben wir uns nun zum Früh­stück.«

Die­ser Kom­pro­miss zwi­schen den bei­den Na­tio­nal­ge­sän­gen Ame­ri­kas und Groß­bri­tan­ni­ens wur­de zur all­ge­mei­nen Be­frie­di­gung an­ge­nom­men. Längs des lin­ken Nia­ga­ra-Ufers zu­rück­wan­delnd, be­eil­ten sich Ame­ri­ka­ner und Eng­län­der, an der ein­la­den­den Ta­fel des Ho­tels auf Goat Is­land – ei­nem neu­tra­len Ge­bie­te zwi­schen den bei­den Fäl­len – Platz zu neh­men. Wäh­rend ih­rer Be­schäf­ti­gung mit ge­koch­ten Ei­ern und dem lan­des­üb­li­chen Schin­ken mit kal­tem Roast­beef, ei­nem Zwi­schen­ge­richt von im Mun­de fast bren­nen­den Pick­les und mit Hoch­flu­ten von Tee, wel­che die welt­be­kann­ten Was­ser­fäl­le ei­fer­süch­tig ma­chen könn­ten, wol­len wir sie nicht wei­ter stö­ren, zu­mal kaum an­zu­neh­men ist, dass von ih­nen im Lau­fe die­ser Er­zäh­lung noch fer­ner die Rede sein wird.

Wer hat­te nun recht – der Eng­län­der oder der Ame­ri­ka­ner? Es wäre schwer ge­we­sen, die­se Fra­ge zu ent­schei­den. Je­den­falls lie­fert je­nes Duell den Be­weis für die lei­den­schaft­li­che Er­re­gung der Geis­ter nicht al­lein in der Neu­en, son­dern auch in der Al­ten Welt, und zwar über ein Er­eig­nis oder eine un­er­klär­li­che Er­schei­nung, wel­che seit etwa ei­nem Mo­nat alle Köp­fe ver­wirr­te.

»Os ho­mi­ni sub­li­me de­dit, co­elum­que tue­ri«1 hat Ovid einst zu Ehren der Mensch­heit ge­sun­gen. In der Tat hat­te man seit dem Er­schei­nen des ers­ten Men­schen auf der Erd­ku­gel noch nie­mals den Him­mel so viel­fach be­trach­tet.

Gera­de in der vor­her­ge­gan­ge­nen Nacht hat­te näm­lich eine Trom­pe­te aus der Luft ihre me­tal­le­nen Töne her­ab­ge­schmet­tert über den­je­ni­gen Teil von Ka­na­da, der sich zwi­schen dem On­ta­rio- und dem Erie-See aus­dehnt. Die einen hat­ten dar­aus den Yan­kee Dood­le, die an­de­ren das Ru­le Bri­tan­nia zu hö­ren ver­meint, dar­aus ent­stand auch obi­ger an­gel­säch­si­sche Zwei­kampf, der mit dem Früh­stück auf Goat Is­land en­dig­te. Vi­el­leicht war es we­der der eine, noch der an­de­re Na­tio­nal­ge­sang ge­we­sen; nur dar­über herrsch­te bei nie­mand ein Zwei­fel, dass die be­tref­fen­den Töne die Ei­gen­tüm­lich­keit ge­habt hat­ten, als schie­nen sie vom Him­mel zur Erde her­nie­der­zu­stei­gen.

Soll­te man etwa gar an eine Him­mels­po­sau­ne den­ken, die ein En­gel oder ein Erz­en­gel ge­bla­sen hät­ten? … Wa­ren es nicht viel­mehr lus­ti­ge Luft­schif­fer ge­we­sen, die sich des so­no­ren In­stru­men­tes be­dien­ten, von dem die Re­kla­me so aus­ge­brei­te­ten Ge­brauch macht? Nein, von ei­nem Bal­lon, von Luft­schif­fern konn­te nicht die Rede sein. In ho­hen Him­mels­re­gio­nen voll­zog sich ein au­ßer­ge­wöhn­li­ches Er­eig­nis, des­sen Na­tur und Ur­sprung kein Mensch zu ent­rät­seln ver­moch­te. Heu­te zeig­te sich das­sel­be über Ame­ri­ka, 24 Stun­den spä­ter über Eu­ro­pa, acht Tage spä­ter in Asi­en über dem Himm­li­schen Rei­che. Wenn die Trom­pe­te, wel­che das Vor­über­zie­hen je­ner Er­schei­nung an­kün­dig­te, nicht die des Jüngs­ten Ge­rich­tes war, wel­che, ja, wel­che war es dann?

In al­len Lan­den der Erde, in Kö­nig­rei­chen wie in Re­pu­bli­ken, ent­stand des­halb eine ge­wis­se Un­ru­he, wel­che ge­stillt wer­den muss­te. Ver­nimmt ei­ner in sei­nem Hau­se ei­gen­tüm­li­che und un­er­klär­li­che Geräusche, wür­de er nicht schnells­tens die Ur­sa­che der­sel­ben zu er­mit­teln su­chen, und wenn das ver­geb­lich wäre, wür­de er nicht sein Haus ver­las­sen, um ein an­de­res zu be­woh­nen? Ganz si­cher­lich! Hier war das Haus frei­lich die Erd­ku­gel, und es gab doch kein Mit­tel, die­se zu ver­las­sen und etwa mit dem Mon­de, Mars, Ve­nus, Ju­pi­ter oder ei­nem an­de­ren Pla­ne­ten des Son­nen­sys­tems zu ver­tau­schen.

Es galt dem­nach un­be­dingt, auf­zu­klä­ren, was im un­end­li­chen lee­ren Rau­me, doch in­ner­halb der Erdat­mo­sphä­re, vor­ging. Ohne Luft ist ja ein Geräusch un­mög­lich, und da man hier ein sol­ches ver­nahm – im­mer jene fast sa­gen­haf­te Trom­pe­te – muss­te die Er­schei­nung auch in der Luft­hül­le statt­fin­den, de­ren Dich­tig­keit sich nach oben zu im­mer mehr ver­min­dert und die sich über un­se­rem Sphä­ro­id2 nur we­ni­ge Mei­len hoch ver­brei­tet.

Na­tür­lich be­mäch­tig­ten sich die Ta­ges­blät­ter der vor­lie­gen­den Fra­ge, be­han­del­ten sie un­ter al­len Ge­sichts­punk­ten, be­leuch­te­ten oder ver­dun­kel­ten die­sel­be, be­rich­te­ten falsche oder wah­re Tat­sa­chen, er­reg­ten oder be­ru­hig­ten ihre Le­ser im In­ter­es­se der Höhe ih­rer Auf­la­ge – und wie­gel­ten end­lich die schon halb ver­wirr­ten Mas­sen nicht we­nig auf. Welch Wun­der! Die Po­li­tik hat­te den Lauf­pass er­hal­ten und die Ge­schäf­te gin­gen des­halb doch nicht schlecht. Aber um was han­del­te es sich über­haupt?

Man be­frag­te alle großen Ob­ser­va­to­ri­en der gan­zen Welt. Wenn die­se kei­ne Ant­wort ga­ben, wozu nütz­ten dann sol­che Ob­ser­va­to­ri­en ei­gent­lich? Wenn die Astro­no­men, wel­che selbst in der Ent­fer­nung von hun­dert­tau­send Mil­lio­nen Mei­len noch einen Licht­punkt zu zwei und drei Ster­nen auf­zu­lö­sen ver­mö­gen, nicht im­stan­de wa­ren, den Ur­sprung ei­ner kos­mi­schen Er­schei­nung zu er­grün­den, die nur we­ni­ge Ki­lo­me­ter über ih­nen auf­trat, wozu hat­te man Astro­no­men?

Man könn­te auch in der Tat kaum schät­zungs­wei­se an­ge­ben, wie viel Te­le­sko­pe, Bril­len, Fern­roh­re, Lor­gnet­ten, Bi­no­kels oder Mo­no­kels wäh­rend der schö­nen Som­mer­nacht nach dem Him­mel ge­rich­tet wa­ren, noch wie vie­le Au­gen sich vor die Oku­la­re und In­stru­men­te von je­der Art und Ver­grö­ße­rung hef­te­ten. Vi­el­leicht meh­re­re Hun­dert­tau­send, und das ist nur ge­ring an­ge­schla­gen. Zehn­mal mehr, als man am Fir­ma­ment mit un­be­waff­ne­tem Auge sicht­ba­re Ster­ne zählt. Nein, noch kei­ner, auf al­len Punk­ten der Erd­ku­gel gleich­zei­tig be­ob­ach­te­ten Son­nen­fins­ter­nis hat­te man sol­che Ehre an­ge­tan!

Die Ob­ser­va­to­ri­en ant­wor­te­ten, aber un­zu­läng­lich. Je­des gab sei­ne Mei­nung ab, die stets von der al­ler an­de­ren ab­wich, so­dass sich dar­aus wäh­rend der letz­ten Wo­chen des April und der ers­ten des Mai ein wirk­li­cher Bür­ger­krieg un­ter der Ge­lehr­ten­welt ent­wi­ckel­te.

Das Ob­ser­va­to­ri­um von Pa­ris er­wies sich sehr zu­rück­hal­tend. Kei­ne sei­ner Ab­tei­lun­gen sprach sich ent­schie­den aus. In der Ab­tei­lung für ma­the­ma­ti­sche Astro­no­mie hat­te man es für un­ter sei­ner Wür­de ge­hal­ten, Beo­b­ach­tun­gen an­zu­stel­len; in der für die Me­ri­dian­mes­sung hat­te man nichts ent­deckt; in der für phy­si­ka­li­sche Beo­b­ach­tun­gen hat­te man nichts wahr­ge­nom­men; in der für Geo­dä­sie nichts be­merkt; in der für Me­teo­ro­lo­gie war nie­mand et­was auf­ge­fal­len; in der für die Be­rech­nun­gen hat­te man nichts ge­se­hen. Das war we­nigs­tens ein of­fe­nes Ge­ständ­nis. Die­sel­be Of­fen­her­zig­keit be­kun­de­te das Ob­ser­va­to­ri­um von Mont­sou­cis, wie die ma­gne­ti­sche Sta­ti­on im Park Saint-Maur. Die­sel­be Ach­tung vor der Wahr­heit be­wies das Län­gen­bü­ro. Nun ja, Frank­reich heißt ja das Land, wo man »frank«, d.h. of­fen spricht.

Die Pro­vinz war et­was ent­schie­de­ner in ih­rer Äu­ße­rung. Etwa in der Nacht zwi­schen dem 6. und 7. Mai hat­te sich ein Licht­schein elek­tri­schen Ur­sprun­ges ge­zeigt, der 20 Se­kun­den nicht über­dau­er­te. Am Pic-du-Midi3 war der­sel­be zwi­schen 9 und 10 Uhr abends be­ob­ach­tet wor­den; im me­teo­ro­lo­gi­schen Ob­ser­va­to­ri­um des Puy-de-Dôme hat­te man ihn zwi­schen 1 und 2 Uhr mor­gens be­merkt; auf dem Mont Ven­toux in der Pro­vence zwi­schen 2 und 3 Uhr; in Niz­za zwi­schen 3 und 4 Uhr; auf den Sem­noz-Al­pen end­lich zwi­schen Anne­cy, le Bour­get und dem Gen­fer See im Au­gen­bli­cke, als der Ta­ges­schim­mer sich eben bis zum Ze­nit er­hob.

Von den beiden Gegnern war keiner getroffen worden.

Of­fen­bar konn­te man die­se Beo­b­ach­tun­gen un­mög­lich in Bausch und Bo­gen ver­wer­fen. Es un­ter­lag kei­nem Zwei­fel, dass der Licht­schein an ver­schie­de­nen Punk­ten, und zwar im Ver­lauf ei­ni­ger Stun­den, wahr­ge­nom­men wor­den war. Der­sel­be ging also ent­we­der von meh­re­ren Her­den aus, die sich durch die Erdat­mo­sphä­re hin­be­weg­ten, oder, wenn er nur ei­nem ein­zi­gen sol­chen an­ge­hör­te, so muss­te die­ser sich mit ei­ner Schnel­lig­keit fort­be­we­gen, wel­che na­he­zu 200 Ki­lo­me­ter in der Stun­de er­reich­te.

Hat­te man denn aber im Lau­fe des Ta­ges nie­mals et­was be­son­de­res in der Luft be­merkt?

Nein, nie­mals.

Er­klang nicht we­nigs­tens jene Trom­pe­te ein­mal durch die Luft­schich­ten?

Nein, zwi­schen Auf­gang und Un­ter­gang der Son­ne hat­te man nicht den lei­ses­ten Ton ge­hört.

Im ver­ei­nig­ten Kö­nig­reich Groß­bri­tan­ni­en wuss­te man nicht mehr aus noch ein. Die Ob­ser­va­to­ri­en ge­lang­ten zu kei­ner­lei Über­ein­stim­mung. Green­wich konn­te sich nicht mit Ox­ford ver­stän­di­gen, ob­wohl bei­de die Be­haup­tung auf­stell­ten, »an der gan­zen Sa­che sei nichts«.

»Eine Ge­sichtstäu­schung!« mein­te das eine.

»Eine Ge­hör­stäu­schung!« er­wi­der­te das an­de­re.

Dar­über la­gen sie im Streit; auf eine Täu­schung lief es je­doch al­le­mal hin­aus. Die Ver­hand­lun­gen zwi­schen den Stern­war­ten zu Ber­lin und der zu Wien droh­ten zu in­ter­na­tio­na­len Ver­wick­lun­gen zu füh­ren. Russ­land be­wies ih­nen in der Per­son des Vor­ste­hers sei­ner Stern­war­te zu Pul­ko­wa, dass sie bei­de recht hät­ten, das hän­ge nur von den Ge­sichts­punk­ten ab, auf die sie sich be­züg­lich Be­stim­mung der Na­tur je­ner Er­schei­nung stell­ten, die in der Theo­rie un­mög­lich schi­en und in der Pra­xis mög­lich war.

In der Schweiz, auf der Stern­war­te zu Sän­tis, im Kan­ton Ap­pen­zell, auf dem Rigi, im Gä­bris, in den Beo­b­ach­tungs­sta­tio­nen des St. Gott­hard, St. Bern­hard, des Ju­lier, des Sim­plon, in de­nen von Zü­rich und des Sonn­blick in den Ho­hen Tau­ern, be­flei­ßig­te man sich ei­ner ganz be­son­de­ren Zu­rück­hal­tung ge­gen­über ei­ner Tat­sa­che, die bis­her nie­mand zu be­kräf­ti­gen ver­mocht hat­te – was ge­wiss recht ver­nünf­tig zu nen­nen ist.

In Ita­li­en da­ge­gen, auf den me­teo­ro­lo­gi­schen Sta­tio­nen des Ve­suvs und des Ätna, welch let­ze­re sich in der al­ten Casa Ingle­se be­fin­det, wie auf dem Mon­te Cavo, zö­ger­ten die Beo­b­ach­ter nicht im ge­rings­ten, die Wirk­lich­keit je­ner Er­schei­nung an­zu­er­ken­nen, und das auf­grund des Um­stan­des, dass sie die­sel­be ein­mal am Tage in Form ei­nes klei­nen Dampf­wölk­chens und ein­mal in der Nacht in Ge­stalt ei­ner Stern­schnup­pe hat­ten wahr­neh­men kön­nen. Über die ei­gent­li­che Na­tur der­sel­ben wuss­ten sie frei­lich eben­falls nichts.

In der Tat be­gann die­ses Ge­heim­nis all­mäh­lich die Ver­tre­ter der Wis­sen­schaft zu er­mü­den, er­reg­te da­ge­gen und er­schreck­te de­sto mehr die Ein­fäl­ti­gen und Un­wis­sen­den, wel­che, dank ei­nem hoch­wei­sen Na­tur­ge­set­ze, von je­her in die­ser Welt die un­ge­heu­re Mehr­zahl ge­bil­det ha­ben, noch bil­den und in al­ler Zu­kunft bil­den wer­den. Die Astro­no­men und Me­teo­ro­lo­gen hat­ten also schon dar­auf ver­zich­tet, sich mit der Sa­che zu be­schäf­ti­gen, als in der Nacht vom 26. zum 27. auf der Stern­war­te zu Can­tok­ei­no in Finn­land, in Nor­we­gen, in der Nacht vom 28. zum 29. auf der des Isf­jord und auf Spitz­ber­gen, die Nor­we­ger auf ei­ner und die Schwe­den auf der an­de­ren Sei­te in der An­schau­ung über­ein­ge­stimmt hat­ten, dass in­mit­ten ei­ner Art Nord­licht­schei­nes et­was wie ein ge­wal­ti­ger Vo­gel oder ein Luf­tun­ge­heu­er sicht­bar ge­we­sen sei. War es auch nicht ge­lun­gen, des­sen Struk­tur ge­nau­er zu be­stim­men, so un­ter­lag es doch kei­nem Zwei­fel, dass der­sel­be klei­ne Kör­per aus­ge­wor­fen habe, wel­che gleich Bom­ben mit ei­nem Knal­le zer­spran­gen.

In Eu­ro­pa neig­te man wohl dazu, die Beo­b­ach­tun­gen der Sta­tio­nen von Finn­mar­ken und Spitz­ber­gen nicht an­zu­zwei­feln. Ganz be­son­ders merk­wür­dig er­schi­en frei­lich, dass die Schwe­den und die Nor­we­ger doch ein­mal über einen Punkt ei­nig zu sein schie­nen.

Man lach­te und spot­te­te über die an­geb­li­che Ent­de­ckung auf al­len Stern­war­ten Süd­ame­ri­kas, in Bra­si­li­en und Peru, eben­so wie in La Pla­ta, auf de­nen von Aus­tra­li­en, in Sid­ney, Ade­lai­de, wie in Mel­bour­ne, und das aus­tra­li­sche La­chen ist be­kannt­lich sehr an­ste­ckend.

Nur ein ein­zi­ger Vor­ste­her ei­ner me­teo­ro­lo­gi­schen Sta­ti­on ver­hielt sich zu­stim­mend bei die­ser Fra­ge, trotz der Spöt­te­lei­en, wel­che sei­ne Er­klä­rung der­sel­ben her­vor­ru­fen moch­te. Das war ein Chi­ne­se, der Di­rek­tor der Stern­war­te zu Zi-Ka-Wey, die sich in­mit­ten ei­ner aus­ge­dehn­ten Ebe­ne, min­des­tens 10 Lieu­es4 vom Mee­re, er­hebt und wel­che bei un­ge­mei­ner Klar­heit der Luft ein gren­zen­los wei­ter Ho­ri­zont um­schließt.

»Es könn­te ja sein«, sag­te er, »dass der Ge­gen­stand, um den es sich han­delt, ein be­son­ders kon­stru­ier­ter Ap­pa­rat, eine flie­gen­de Ma­schi­ne wäre.«

Wel­cher Scherz!

Wa­ren die viel­fa­chen Wi­der­sprü­che nun schon in der Al­ten Welt sehr leb­haft, so be­greift man leicht, wie sie sich in je­nem Tei­le der Neu­en Welt ge­stal­ten muss­ten, von dem die Ve­rei­nig­ten Staa­ten das weitaus größ­te Ge­biet ein­neh­men.

Ein Yan­kee liebt be­kannt­lich kei­ne Um­we­ge – er wählt ge­wöhn­lich den, der am schnells­ten zum Zie­le führt. So zö­ger­ten auch die ame­ri­ka­ni­schen Bun­des­staa­ten nicht im min­des­ten, ihre An­sich­ten ge­gen­sei­tig aus­zu­spre­chen. Wenn sie sich da­bei nicht gleich die Ob­jek­ti­ve ih­rer Fern­roh­re an den Kopf war­fen, so kam das nur da­her, dass sie die­sel­ben jetzt, wo sie ge­ra­de am meis­ten ge­braucht wur­den, erst hät­ten wie­der er­set­zen müs­sen.

In die­ser so viel Staub auf­wir­beln­den Fra­ge stan­den die Stern­war­ten von Wa­shing­ton im Distrikt Co­lum­bia und die von Cam­bridge im Staa­te Duna de­nen des Dar­mouth Kol­legs in Connec­ti­cut und von Ann Ar­bor in Mi­chi­gan feind­lich ge­gen­über. Ihr Streit be­traf üb­ri­gens nicht die Na­tur des be­ob­ach­te­ten Kör­pers, son­dern die ge­naue Zeit der Beo­b­ach­tung, denn alle be­haup­te­ten, ihn in der­sel­ben Nacht, zu der­sel­ben Stun­de, zur glei­chen Mi­nu­te und Se­kun­de wahr­ge­nom­men zu ha­ben, ob­wohl die Flug­bahn des ge­heim­nis­vol­len Wan­de­rers der Lüf­te nur in mä­ßi­ger Höhe über dem Ho­ri­zont lie­gen soll­te. Von Connec­ti­cut bis Mi­chi­gan, von Duna nach Co­lum­bia ist aber die Ent­fer­nung eine so große, dass eine dop­pel­te Beo­b­ach­tung zu ein und dem­sel­ben Zeit­punkt als un­mög­lich an­ge­se­hen wer­den konn­te.

Dud­ley in Al­ba­ny, Staat New York, und West-Point, die Mi­li­tär­aka­de­mie, ga­ben al­len ih­ren Kol­le­gen un­recht in ei­ner Zu­schrift, wel­che die ge­ra­de Auf­stei­gung und die De­kli­na­ti­on des be­wuss­ten Kör­pers be­stimm­te.

Spä­ter stell­te sich je­doch her­aus, dass die­se Beo­b­ach­ter ei­nem Irr­tu­me un­ter­le­gen wa­ren und dass der be­tref­fen­de Kör­per nur eine Feu­er­ku­gel ge­we­sen war, wel­che durch die mitt­le­ren Luft­schich­ten hin­blitz­te. Um die­se Feu­er­ku­gel han­del­te es sich aber of­fen­bar nicht. Wie könn­te auch eine sol­che Feu­er­ku­gel eine Trom­pe­te ge­bla­sen ha­ben?

Was nun die er­wähn­te Trom­pe­te an­ging, ver­such­te man ver­geb­lich de­ren schmet­tern­den Ton als eine ein­fa­che Ge­hör­stäu­schung hin­zu­stel­len. Je­den­falls hat­ten sich bei die­ser Ge­le­gen­heit die Ohren der Leu­te eben­so­we­nig ge­täuscht wie de­ren Au­gen. Un­zäh­li­ge Beo­b­ach­ter hat­ten viel­mehr ent­schie­den et­was ge­se­hen und gleich­zei­tig ge­hört. In der sehr dunklen Nacht – vom 12. zum 13. Mai – war es den Beo­b­ach­tern des Yale-Kol­legs an der Hoch­schu­le von Shef­field so­gar ge­lun­gen, ei­ni­ge Tak­te ei­nes mu­si­ka­li­schen Sat­zes in A-dur und im Vier­vier­tel­tak­te in No­ten zu fi­xie­ren, wel­che voll­kom­men mit ei­nem Tei­le der Me­lo­die des be­kann­ten Chant du dépar­t – ei­nes Sol­da­ten­lie­des beim Aus­zug zum Kamp­fe – über­ein­stimm­ten.

»Sehr schön!« rie­fen dazu die Witz­bol­de, »da hät­ten wir ja ein fran­zö­si­sches Or­che­s­ter, das sei­ne Wei­sen mit­ten in der Luft er­tö­nen lässt!«

Scher­zen heißt aber nicht ant­wor­ten. Die­se Be­mer­kung mach­te auch das von der At­lan­tic Iron Works Com­pa­ny ge­grün­de­te Ob­ser­va­to­ri­um zu Bo­ston, des­sen An­schau­un­gen in Fra­gen der Astro­no­mie und Me­teo­ro­lo­gie für die ge­lehr­te Welt all­mäh­lich schon die Be­deu­tung von Ge­set­zen ge­wan­nen.

Fer­ner gab auch noch das, dank der Frei­ge­big­keit des Mr. Kil­goor im Jah­re 1870 auf dem Ber­ge Loo­k­out ent­stan­de­ne Ob­ser­va­to­ri­um von Cin­cin­na­ti eine Er­klä­rung ab, je­nes In­sti­tut, das sich durch sei­ne mi­kro­me­tri­schen Mes­sun­gen der Dop­pels­ter­ne so vor­teil­haft be­kannt­ge­macht hat. Sein Di­rek­tor sprach sich in vol­lem gu­ten Glau­ben da­hin aus, dass den weit­ver­brei­te­ten Gerüch­ten un­zwei­fel­haft et­was zu­grun­de lie­ge, dass sich zu nahe an­ein­an­der­lie­gen­den Zei­ten an sehr ver­schie­de­nen Stel­len in der At­mo­sphä­re ein in Be­we­gung be­find­li­cher Kör­per zei­ge, dass über des­sen Na­tur, Grö­ßen­ver­hält­nis­se, Ge­schwin­dig­keit und Flug­bahn aber kein Ur­teil mög­lich sei.

Da er­hielt ein Jour­nal von aller­größ­ter Ver­brei­tung, der New York He­rald, von ei­nem Abon­nen­ten fol­gen­de an­ony­me Mit­tei­lung:

»Noch dürf­te der Wett­kampf un­ver­ges­sen sein, der vor ei­ni­gen Jah­ren herrsch­te zwi­schen den bei­den Er­ben der Be­gum von Rag­gi­nahra, dem fran­zö­si­schen Arzt Sar­ra­sin in sei­ner Stadt Fran­ce­ville und dem deut­schen In­ge­nieur Herrn Schul­ze in sei­ner Stadt Stahl­stadt, wel­che bei­de im süd­li­chen Tei­le von Ore­gon, Ve­rei­nig­te Staa­ten, an­ge­legt wa­ren.

Man kann auch nicht ver­ges­sen ha­ben, dass Herr Schul­ze in der Ab­sicht, Fran­ce­ville zu zer­stö­ren, ein un­ge­heu­res Ge­schoss, schon mehr eine Ma­schi­ne, auf letz­te­re Stadt schleu­der­te, wel­che die­sel­be mit ei­nem Schla­ge ver­nich­ten soll­te.

Noch we­ni­ger kann der Ver­ges­sen­heit ver­fal­len sein, dass die­ses Ge­schoss, des­sen Aus­gangs­ge­schwin­dig­keit beim Ver­las­sen der Mün­dung der Mons­ter­ka­no­ne falsch be­rech­net war, mit ei­ner 16­mal grö­ße­ren Ge­schwin­dig­keit, als ge­wöhn­li­che Ge­schos­se – näm­lich 50 Lieu­es5 in der Stun­de – hin­weg­ge­tra­gen wur­de, dass es auf die Erde nicht nie­der­ge­fal­len ist und nach sei­nem Über­gang in den Zu­stand etwa ei­ner Feu­er­ku­gel noch jetzt um un­se­ren Pla­ne­ten kreist und in alle Ewig­keit krei­sen muss.

Wa­rum soll­te die­ses Rie­sen­ge­schoss, des­sen Vor­han­den­sein nicht an­zu­zwei­feln ist, nicht der in Fra­ge ste­hen­de Kör­per sein?«

Das war recht scharf­sin­nig von dem Abon­nen­ten des New York He­rald … aber die Trom­pe­te …? In dem Pro­jek­til des Herrn Schul­ze hat­te sich be­stimmt kei­ne Trom­pe­te be­fun­den.

Alle bis­he­ri­gen Er­klä­run­gen er­klär­ten also nichts, alle Beo­b­ach­ter be­ob­ach­te­ten also ein­fach falsch.

Es blieb so­nach nur noch die von dem Di­rek­tor von Zi-Ka-Wey auf­ge­stell­te Hy­po­the­se. Aber, mein Gott, der Mann war ja Chi­ne­se!

Man darf nicht etwa glau­ben, dass sich der Be­völ­ke­rung der Al­ten und der Neu­en Welt end­lich ein ge­wis­ser Über­druß be­mäch­tigt hät­te. Im Ge­gen­teil, die Er­ör­te­run­gen dau­er­ten in glei­cher Leb­haf­tig­keit fort, ohne dass ir­gend­wo eine Über­ein­stim­mung er­zielt wur­de. Gleich­wohl trat ein­mal eine Art Pau­se ein. Es ver­gin­gen näm­lich ei­ni­ge Tage, ohne dass et­was von dem frag­li­chen Ge­gen­stan­de, von der Feu­er­ku­gel oder was es sonst war, ge­mel­det wur­de und ohne dass sich der be­kann­te Trom­pe­ten­ton aus der Luft hö­ren ließ. War je­ner Kör­per also ir­gend­wo auf die Erde nie­der­ge­fal­len, viel­leicht an ei­nem Punk­te, der sein Wie­der­auf­fin­den be­son­ders er­schwer­te – etwa gar ins Meer? Lag er jetzt in der un­end­li­chen Tie­fe des At­lan­ti­schen, des Pa­zi­fi­schen oder des In­di­schen Ozeans? Wer hät­te das sa­gen kön­nen?

Da voll­zog sich aber zwi­schen dem 2. und dem 9. Juni eine neue Rei­he von Tat­sa­chen, de­ren Er­klä­rung durch die An­nah­me ei­nes rein kos­mi­schen Phä­no­mens schlech­ter­dings un­mög­lich war.

Im Lau­fe je­ner acht Tage fand man näm­lich auf den ent­le­gens­ten Punk­ten eine Fah­ne ge­ra­de an den schwerst zu­gäng­li­chen Stel­len von Kir­chen usw. be­fes­tigt; so wur­den die Ham­bur­ger über­rascht durch eine sol­che an der Spit­ze des Tur­mes von St. Mi­cha­el, die Tür­ken auf dem höchs­ten Mina­ret der hei­li­gen So­phien-Mo­schee, die Ein­woh­ner von Rou­en an der me­tal­le­nen Turm­spit­ze ih­rer Ka­the­dra­le, die Straß­bur­ger am obers­ten Punk­te des Müns­ters, die Ame­ri­ka­ner auf dem Kop­fe ih­rer Bild­säu­le der Frei­heit am Ein­gan­ge des Ha­fens und am Gip­fel des Wa­shing­ton-Denk­mals in Bo­ston, die Chi­ne­sen an der Spit­ze des Tem­pels der fünf­hun­dert Geis­ter in Kan­ton, die Hin­dus am 16. Stock­werk der Py­ra­mi­de des Tem­pels zu Tan­jur, die Rö­mer am Kreuz des St. Pe­ters-Do­mes, die Eng­län­der am Kreuz der St. Pauls-Kir­che in Lon­don, die Ägyp­ter an der obers­ten Spit­ze der Py­ra­mi­de von Gi­zeh, die Wie­ner an dem Reichs­ad­ler auf der Spit­ze des St. Ste­phan­stur­mes, die Pa­ri­ser am Blitz­ab­lei­ter des 300 Me­ter ho­hen ei­ser­nen Tur­mes der Aus­s­tel­lung von 1889 und noch an­de­re mehr.

Die­se Fah­ne aber zeig­te ein schwar­zes Flag­gen­tuch, das in der Mit­te eine gol­de­ne Son­ne und rings­um ver­streut ein­zel­ne Ster­ne ent­hielt.

Zweites Kapitel – In welchem die Mitglieder des Weldon-Instituts miteinander streiten, ohne zu einer Übereinstimmung zu gelangen.

»Und der ers­te, der das Ge­gen­teil be­haup­tet …«

»Oho, das wird man be­haup­ten, wenn ein Grund da­für vor­liegt!«

»Und auch trotz Ih­rer Dro­hun­gen! …«

»Ach­ten Sie auf Ihre Wor­te, Bat Fyn!«

»Und Sie auf die Ihren, On­kel Pru­dent!«

»Ich blei­be da­bei, dass sich die Schrau­be nur am Hin­ter­teil be­fin­den darf!«

»Wir auch! Wir auch!« er­schall­ten fünf­zig Stim­men wie aus ei­ner Keh­le.

»Sie muss am Vor­der­teil sein!« rief Phil Evans.

»Am Vor­der­teil!« brüll­ten fünf­zig an­de­re Stim­men eben­so stark, wie jene frü­he­ren.

»Wir wer­den nie zu ein und der­sel­ben An­sicht kom­men!«

»Nie­mals! … Nie­mals!«

»Nun, warum strei­ten wir dann über­haupt noch?«

»Das ist kein Streit … es ist nur eine Er­ör­te­rung!«

Das hät­te frei­lich kein Mensch ge­glaubt, der die schar­fe Ent­geg­nung, die Vor­wür­fe und das Ge­schrei hör­te, wel­che den Sit­zungs­saal seit ei­ner gu­ten Vier­tel­stun­de er­füll­ten.

Ge­dach­ter Saal war näm­lich der größ­te des Wel­don-In­sti­tuts … und je­nes vor al­len be­rühm­ten Clubs in der Wal­nut Street zu Phil­adel­phia, Penn­syl­va­nia, Ve­rei­nig­te Staa­ten von Nord­ame­ri­ka.

In ge­nann­ter Stadt war es erst am Vor­ta­ge bei Ge­le­gen­heit der Wahl ei­nes Gas­la­ter­nen­an­zün­ders zu öf­fent­li­chen Kund­ge­bun­gen, ge­räusch­vol­len Ver­samm­lun­gen und zu reich­lich aus­ge­teil­ten Schlä­gen ge­kom­men. Da­her rühr­te eine noch nicht be­sänf­tig­te Reiz­bar­keit und stamm­te wohl auch jene au­ßer­ge­wöhn­li­che Er­re­gung, wel­che die Mit­glie­der des Wel­don-In­sti­tuts eben zeig­ten. Und hier­bei han­del­te es sich nur um eine ein­fa­che Ve­rei­ni­gung von »Bal­lo­nis­ten«, wel­che über die noch heu­ti­gen­tags bren­nen­de Fra­ge der Lenk­bar­keit der Bal­lons ver­han­del­ten.

Der Vor­gang aber spiel­te sich in ei­ner Stadt der Ve­rei­nig­ten Staa­ten ab, wel­che an schnel­ler Ent­wi­cke­lung selbst New York, Chi­ca­go, Cin­cin­na­ti und San Fran­cis­co über­holt hat – ei­ner Stadt, wel­che we­der ein Ha­fen­platz, noch der Mit­tel­punkt von Pe­tro­le­um- oder Stein­koh­len­berg­wer­ken, auch kein Brenn­punkt der In­dus­trie, so­we­nig wie der Kreu­zungs­punkt ei­nes viel­strah­li­gen Bahn­net­zes ist – in ei­ner Stadt, die an Grö­ße schon Man­che­s­ter, Edin­bur­gh, Li­ver­pool, Wien, Pe­ters­burg und Dub­lin über­trifft – ei­ner Stadt, die einen Park be­sitzt, in dem die sie­ben Parks der Haupt­stadt von Eng­land zu­sam­men Platz fin­den – ei­ner Stadt end­lich, wel­che jetzt na­he­zu 1.200.000 Ein­woh­ner zählt und sich nach Lon­don, Pa­ris, New York und Ber­lin als die fünf­te Stadt der Welt be­trach­tet.

Phil­adel­phia ist fast eine Stadt aus Mar­mor mit sei­nen vie­len mo­nu­men­ta­len Ge­bäu­den und öf­fent­li­chen An­stal­ten, wel­che ih­res­glei­chen nir­gends fin­den. Das be­deu­tends­te al­ler Kol­legs der Neu­en Welt ist das Kol­leg Gi­rard, und das hat sei­nen Sitz in Phil­adel­phia. Die größ­te Ei­sen­brücke der Erde ist die, wel­che den Schuyl­kill über­spannt, und die­se be­fin­det sich in Phil­adel­phia. Der schöns­te Tem­pel der Frei­mau­re­rei ist der Mau­rer­tem­pel in Phil­adel­phia; end­lich be­steht der größ­te Club von Freun­den und Be­för­de­rern der Luft­schiff­fahrt eben­falls in Phil­adel­phia, und wer Ge­le­gen­heit ge­habt hät­te, die­sen am Abend des 12. Juni zu be­su­chen, der wür­de sich da­bei aus­ge­zeich­net un­ter­hal­ten ha­ben.

Onkel Prudent stach seine Nadel ein.

In er­wähn­tem großen Saa­le be­weg­ten, dräng­ten sich, ges­ti­ku­lier­ten, spra­chen, ver­han­del­ten und strit­ten – alle den Hut auf dem Kop­fe – wohl hun­dert Bal­lo­nis­ten un­ter dem ho­hen Vor­sitz ei­nes Prä­si­den­ten, dem ein Schrift­füh­rer und ein Schatz­meis­ter zur Sei­te stan­den. Es wa­ren das kei­ne In­ge­nieu­re vom Fach; nein, ein­fa­che Lieb­ha­ber al­les des­sen, was mit der Ae­ro­sta­tik in Be­zie­hung stand, aber be­geis­ter­te Lieb­ha­ber, und vor al­lem Fein­de der­je­ni­gen, wel­che den Ae­ro­staten Ap­pa­ra­te, »schwe­rer als die Luft«, flie­gen­de Ma­schi­nen, Luft­schif­fe u. dgl. ent­ge­gen­zu­stel­len be­ab­sich­ti­gen. Dass die­se wa­cke­ren Leu­te nim­mer­mehr die Lenk­bar­keit des Bal­lons er­fin­den wür­den, war ge­wiss mehr als wahr­schein­lich. Auf je­den Fall hat­te ihr Vor­sit­zen­der Not ge­nug, um sie selbst ge­hö­rig zu len­ken und zu lei­ten.

Die­ser in Phil­adel­phia satt­sam be­kann­te Prä­si­dent war der On­kel Pru­dent – Pru­dent sei­nem Fa­mi­li­enna­men nach. Was die wei­te­re Be­zeich­nung »On­kel« be­trifft, so braucht man sich in Ame­ri­ka über die­se nicht zu wun­dern, wo je­der zum On­kel wer­den kann, ohne einen Nef­fen oder eine Nich­te zu ha­ben. Man sagt dort eben­so On­kel, wie an­der­wärts Va­ter von Leu­ten, wel­che auf eine Va­ter­schaft nicht den ge­rings­ten An­spruch ha­ben.

On­kel Pru­dent war eine ge­wich­ti­ge Per­sön­lich­keit und trotz sei­nes Na­mens oft ge­nannt ge­ra­de we­gen sei­ner Kühn­heit, da­ne­ben sehr reich, was selbst in den Ve­rei­nig­ten Staa­ten nicht von Nach­teil sein soll. Wie hät­te er das auch nicht sein sol­len, da er einen großen Teil der Nia­ga­ra­fall-Ak­ti­en sein ei­gen nann­te? Je­ner Zeit hat­te sich näm­lich in Buf­fa­lo eine Ge­sell­schaft von In­ge­nieu­ren zur Aus­beu­tung der be­rühm­ten Fäl­le ge­grün­det. Die 7500 Ku­bik­me­ter, wel­che der Nia­ga­ra jede Se­kun­de hin­ab­wälzt, kön­nen sie­ben Mil­lio­nen Dampf­pfer­de­kräf­te er­zeu­gen. Die­se un­ge­heu­re, in ei­nem Um­krei­se von 500 Ki­lo­me­ter nach al­len Fa­bri­ken und Werk­stät­ten ver­teil­te Kraft­men­ge lie­fer­te eine jähr­li­che Er­spar­nis von 1200 Mil­lio­nen Mark, von dem ein Teil in die Kas­sen der Ge­sell­schaft – spe­zi­ell in die Ta­schen des On­kel Pru­dent – zu­rück­floss. Üb­ri­gens war er Jung­ge­sel­le, leb­te höchst ein­fach und hat­te als häus­li­chen per­sön­li­chen Bei­stand nie­mand an­de­ren, als sei­nen Die­ner Fry­col­lin, der ei­gent­lich am al­ler­we­nigs­ten ver­dien­te, im Diens­te ei­nes so küh­nen, un­ter­neh­men­den Herrn zu ste­hen. Aber es gibt ein­mal Re­gel­wid­rig­kei­ten.

Dass der On­kel Pru­dent Freun­de hat­te, da er so reich war, ver­steht sich ja von selbst; aber er hat­te auch Fein­de, weil er Vor­sit­zen­der je­nes Clubs war – un­ter al­len alle die, wel­che selbst nach die­sem Amte streb­ten; und als der hit­zigs­ten ei­ner ist hier der Schrift­füh­rer des Wel­don-In­sti­tuts zu er­wäh­nen.

Es war das der eben­falls sehr rei­che Phil Evans, der Di­rek­tor der Wal­ton Watch Com­pa­ny, ei­ner ge­wal­ti­gen Uhren­fa­brik, wel­che tag­täg­lich 500 Stück Zeit­mes­ser er­zeugt und Pro­duk­te lie­fert, die sich den bes­ten der Schweiz an die Sei­te stel­len kön­nen. Phil Evans hät­te also für einen der glück­lichs­ten Men­schen der Welt selbst in den Ve­rei­nig­ten Staa­ten gel­ten kön­nen, wenn man von je­ner Stel­lung des On­kel Pru­dent ab­sah. Wie letz­te­rer, war auch er 45 Jah­re alt, von schein­bar un­er­schüt­ter­li­cher Ge­sund­heit, wie je­ner von un­zwei­fel­haf­ter Kühn­heit, und sorg­te er sich we­nig dar­um, die ge­wis­sen Vor­zü­ge des Jung­ge­sel­len­stan­des ge­gen die oft zwei­fel­haf­ten Vor­tei­le der Ehe zu ver­tau­schen. Wahr­lich, das wa­ren zwei Män­ner, wie ge­schaf­fen, ein­an­der zu ver­ste­hen, die sich doch nicht ver­stan­den, und bei­de, was wohl zu be­mer­ken ist, von un­ge­mein stark ent­wi­ckel­tem Cha­rak­ter, der eine, On­kel Pru­dent, hit­zig, der an­de­re, Phil Evans, eis­kalt bis zum Über­ma­ße.

Und wo­her kam es, dass Phil Evans nicht zum Vor­sit­zen­den des Clubs er­nannt wor­den war? Die Stim­men­zahl für On­kel Pru­dent und für ihn war die ge­nau glei­che ge­we­sen. Wohl zwan­zig­mal wur­de die Ab­stim­mung wie­der­holt, aber auch zwan­zig­mal er­gab sich eine Ma­jo­ri­tät we­der für den einen, noch für den an­de­ren. Das war eine pein­li­che Lage, wel­che wahr­schein­lich die Le­bens­zeit der bei­den Kan­di­da­ten hät­te über­dau­ern kön­nen.

Da schlug ein Mit­glied des Clubs ein Mit­tel vor, die Stim­men­gleich­heit auf­zu­he­ben. Es war Jem Cip, der Schatz­meis­ter des Wel­don-In­sti­tuts. Jem Cip war ein­ge­fleisch­ter Ve­ge­ta­ri­er, mit an­de­ren Wor­ten, aus­schließ­li­cher Ge­mü­sees­ser, ei­ner der Leu­te, die jede Flei­sch­nah­rung, wie alle ge­go­re­nen Ge­trän­ke ver­war­fen – halb Brah­ma­nen und halb Mu­sel­män­ner – der Ri­va­le ei­nes Niev­mann, Pit­mann, Ward und Da­vie, wel­che der Sek­te die­ser un­schul­di­gen To­ren einen ge­wis­sen Na­men ge­macht ha­ben.

Bei vor­lie­gen­der Ge­le­gen­heit wur­de Jem Cip von ei­nem an­de­ren Mit­glied des Clubs un­ter­stützt, von Wil­liam T. For­bes, dem Di­rek­tor ei­ner großen An­stalt, in der Glu­co­se durch Be­hand­lung von Lum­pen mit Schwe­fel­säu­re her­ge­stellt wur­de – ein Ver­fah­ren, nach dem man also Zu­cker aus al­ter Wä­sche zu er­zeu­gen ver­mag. Es war ein gut si­tu­ier­ter Mann, die­ser Wil­liam T. For­bes, und Va­ter von zwei rei­zen­den, be­jahr­te­ren Töch­tern, der Miss Do­ro­thee, ge­nannt Doll, und der Miss Mar­tha, ge­nannt Mat, die in der bes­ten Ge­sell­schaft von Phil­adel­phia den Ton an­ga­ben.

Der von Wil­liam T. For­bes nebst ei­ni­gen an­de­ren un­ter­stütz­te Vor­schlag Jem Cips ging nun da­hin, den Vor­sit­zen­den des Clubs durch den Mit­tel­punkt zu be­stim­men.

Wahr­lich, die­ser Wahlm­odus könn­te in al­len Fäl­len an­ge­wen­det wer­den, wo es sich dar­um han­delt, den Wür­digs­ten zu er­wäh­len, und sehr vie­le, höchst ver­nünf­ti­ge Ame­ri­ka­ner dach­ten auch schon dar­an, den­sel­ben bei der Er­nen­nung des Prä­si­den­ten der Ve­rei­nig­ten Staa­ten zur An­wen­dung zu brin­gen.

Auf zwei ta­del­los wei­ße Ta­feln wur­de hier­zu je eine schwar­ze Li­nie ge­zo­gen. Die Län­ge bei­der war ma­the­ma­tisch ge­nau die glei­che, denn man hat­te die­sel­be mit eben­so­viel Sorg­falt ab­ge­mes­sen, als han­del­te es sich da­bei um die Grund­li­ni­en des ers­ten Drei­ecks ei­ner Tri­an­gu­la­ti­ons­ar­beit. Hier­auf wur­den bei­de Ta­feln am näm­li­chen Tage in­mit­ten des Sit­zungs­saa­l­es der Ge­sell­schaft auf­ge­stellt; die bei­den Wett­be­wer­ber ver­sa­hen sich je­der mit ei­ner sehr fein­spit­zi­gen Na­del und gin­gen wie­der gleich­zei­tig auf die, je­dem durch das Los zu­ge­fal­le­ne Ta­fel zu. Der­je­ni­ge der bei­den Ri­va­len aber, wel­cher sei­ne Na­del am nächs­ten dem Mit­tel­punk­te der Li­nie ein­ste­chen wür­de, soll­te da­mit zum Vor­sit­zen­den des Wel­don-In­sti­tuts ge­wählt sein.

Es ver­steht sich von selbst, dass hier­bei je­des Hilfs­mit­tel, je­des Um­her­tap­pen ver­bo­ten und nur die Si­cher­heit des Blicks ent­schei­dend war. Es galt, nach volks­tüm­li­chem Aus­druck, den Zir­kel im Auge zu ha­ben.

On­kel Pru­dent stach sei­ne Na­del ein und zu glei­cher Zeit Phil Evans. Da­rauf wur­de nach­ge­mes­sen, wel­cher der bei­den Kon­kur­ren­ten sich dem Mit­tel­punk­te am meis­ten ge­nä­hert hat­te.

Wel­ches Wun­der! Die bei­den Män­ner hat­ten so vor­treff­li­ches Au­gen­maß ent­wi­ckelt, dass die Mes­sun­gen kei­nen schät­zens­wer­ten Un­ter­schied er­ga­ben. War von ih­nen auch nicht ge­nau der ma­the­ma­ti­sche Mit­tel­punkt ge­trof­fen wor­den, so er­wies sich der Raum zwi­schen die­sem und den bei­den Na­deln kaum merk­bar und schi­en bei bei­den oben­drein noch gleich groß zu sein.

Die Ver­samm­lung be­fand sich nun in neu­er Ver­le­gen­heit.

Zum Glück be­stand ei­nes der Mit­glie­der, Truk Mil­nor, dar­auf, die Mes­sun­gen mit Hil­fe ei­nes mit Per­reaux’ mi­kro­me­tri­scher Ma­schi­ne ge­teil­ten Li­neals noch ein­mal vor­zu­neh­men, wel­che die Mög­lich­keit ge­währt, noch ein Fünf­zehn­hun­derts­tel ei­nes Mil­li­me­ters ab­zu­le­sen. Auf dem Li­ne­al wa­ren in der Tat fünf­zehn­hun­dert Ab­tei­lun­gen auf ei­nem sol­chen klei­nen Raum mit­tels Dia­mant ein­ge­ritzt, und bei Ab­mes­sung der Ent­fer­nung der Sti­che von den be­tref­fen­den Mit­tel­punk­ten er­hielt man fol­gen­des Re­sul­tat:

On­kel Pru­dent hat­te sich dem Mit­tel­punkt auf we­ni­ger als sechs fünf­zehn­hun­derts­tel Mil­li­me­ter ge­nä­hert, Phil Evans auf na­he­zu neun fünf­zehn­hun­derts­tel.

Da­her kam es, dass Phil Evans nur Schrift­füh­rer des Wel­don-In­sti­tuts wur­de, wäh­rend On­kel Pru­dent die Wür­de des Prä­si­den­ten des­sel­ben er­hielt.