Robur der Eroberer - Jules Verne - E-Book

Robur der Eroberer E-Book

Jules Verne.

0,0

Beschreibung

mehrbuch-Weltliteratur! eBooks, die nie in Vergessenheit geraten sollten. Die Geschichte beginnt in Philadelphia in den USA. Das dortige Weldon-Institut, ein Verein begeisterter Amateur-Luftschiffer, plant den Bau eines lenkbaren Luftschiffes. Die Mitglieder sind sich jedoch nicht darüber einig, ob der Propeller vorne oder hinten am Luftschiff angebracht werden soll. Ein Fremder namens Robur platzt in eine Mitgliederversammlung und erklärt, er habe bereits ein lenkbares Luftschiff mit einer Schraube vorne und einer Schraube hinten gebaut. Als er die anwesenden Mitglieder durch seine arrogante Art beleidigt, drohen sie ihm Prügel an. Robur zieht zwei Revolver. Im anschließenden Handgemenge verschwindet Robur. #wenigeristmehrbuch

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 303

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Robur der Eroberer

Jules Verne 

Inhaltsverzeichnis
Worin die gelehrte Welt sich ebenso wenig Rath weiß, wie die ungelehrte.
II.
In welchem die Mitglieder des Weldon-Instituts mit einander streiten, ohne zu einer Uebereinstimmung zu gelangen.
III.
In dem eine neue Persönlichkeit nicht besonders vorgestellt zu werden braucht, da sie das selbst besorgt.
IV.
In dem der Verfasser infolge einer Bemerkung des Dieners Frycollin den Mond wieder zu Ehren zu bringen versucht.
V.
In dem die Einstellung der Feindseligkeiten zwischen dem Vorsitzenden und dem Schriftführer des Weldon-Instituts beschlossen wird.
VI.
Welches Ingenieure, Mechaniker und andere Gelehrte vielleicht am besten überschlagen.
VII.
In welchem der Onkel Prudent und Phil Evans sich noch immer nicht überzeugen lassen wollen.
VIII.
Worin man sehen wird, daß Robur sich entschließt, auf die ihm vorgelegte wichtige Frage zu antworten.
IX.
In dem der »Albatros« fast zehntausend Kilometer zurücklegt und das mit einem merkwürdigen Sprunge endigt.
X.
Worin man sehen wird, wie und warum der Diener Frycollin in's Schlepptau genommen wurde.
XI.
In dem die Wuth des Onkel Prudent mit dem Quadrat der Geschwindigkeit zunimmt.
XII.
In dem der Ingenieur Robur handelt, als ob er sich um einen der Monthyon-Preise bewerben wollte.
XIII.
In dem Onkel Prudent und Phil Evans einen ganzen Ocean durchfahren, ohne die Seekrankheit zu bekommen.
XIV.
In dem der »Albatros« etwas ausführt, was man vielleicht niemals dürfte ausführen können.
XV.
Worin Dinge vorgehen, deren Schilderung sich gewiß der Mühe lohnt.
XVI.
Welches den Leser in einer vielleicht beklagenswerthen Ungewißheit läßt.
XVI.
Worin der Leser um zwei Monate rückwärts und auch um neun Monate vorwärtsgeführt wird.
XVIII.
Welches diese wahrhafte Geschichte zu Ende führt, ohne sie zu beendigen.
Impressum

Worin die gelehrte Welt sich ebenso wenig Rath weiß, wie die ungelehrte.

Paff! ... Paff!

Zwei Pistolenschüsse knallten zu gleicher Zeit. Eine Kuh, welche eben in der Entfernung von fünfzig Schritten vorüber trabte, bekam eine Kugel in's Rückgrat ... und sie ging die Sache doch gar nichts an.

Von den beiden Gegnern war keiner getroffen worden.

Wer waren jene beide Herren? Niemand weiß es, und gerade hier wäre ja Gelegenheit gewesen, ihre Namen der Nachwelt zu überliefern. Es läßt sich über sie nichts weiter sagen, als daß der ältere ein Engländer, der jüngere Duellant ein Amerikaner war. Desto leichter läßt sich die Oertlichkeit bestimmen, an der jener unschuldige Wiederkäuer eben sein letztes Grasbündelchen abgeweidet hatte; diese ist nämlich am rechten Ufer des Niagara und unweit der Hängebrücke zu suchen, welche drei Meilen unterhalb der berühmten Fälle das canadische Ufer mit dem amerikanischen verbindet.

Der Engländer schritt jetzt auf den Amerikaner zu.

»Ich bleibe nichtsdestoweniger dabei, daß es die Melodie ›Rule Britannia‹ war, sagte er.

– Nein, der ›Yankee Doodle‹!« versetzte der Andere.

Der Streit schien auf's Neue entbrennen zu sollen, als sich einer der Zeugen – ohne Zweifel im Interesse des weidenden Viehs – mit den Worten einmischte:

»Nehmen wir an, es wäre der ›Rule Doodle‹ und der ›Yankee Britannia‹ gewesen und begeben wir uns nun zum Frühstück.«

Dieses Compromiß zwischen den beiden Nationalgesängen Amerikas und Großbritanniens wurde zur allgemeinen Befriedigung angenommen. Längs des linken Niagara-Ufers zurückwandelnd, beeilten sich Amerikaner und Engländer, an der einladenden Tafel des Hôtels auf Goat Island – einem neutralen Gebiete zwischen den beiden Fällen – Platz zu nehmen. Während ihrer Beschäftigung mit gekochten Eiern und dem landesüblichen Schinken mit kaltem Roastbeef, einem Zwischengericht von im Munde fast brennenden Pickles und mit Hochfluthen von Thee, welche die weltbekannten Wasserfälle eifersüchtig machen könnten, wollen wir sie nicht weiter stören, zumal kaum anzunehmen ist, daß von ihnen im Laufe dieser Erzählung noch ferner die Rede sein wird.

Wer hatte nun Recht – der Engländer oder der Amerikaner? Es wäre schwer gewesen, diese Frage zu entscheiden. Jedenfalls liefert jenes Duell den Beweis für die leidenschaftliche Erregung der Geister nicht allein in der Neuen, sondern auch in der Alten Welt, und zwar über ein Ereigniß oder eine unerklärliche Erscheinung, welche seit etwa einem Monate alle Köpfe verwirrte.

»... Os sublime dedit coelumque tueri« hat Ovid einst zu Ehren der Menschheit gesungen. In der That hatte man seit dem Erscheinen des ersten Menschen auf der Erdkugel noch niemals den Himmel so vielfach betrachtet.

Gerade in der vorhergegangenen Nacht hatte nämlich eine Trompete aus der Luft ihre metallenen Töne herabgeschmettert über denjenigen Theil von Canada, der sich zwischen dem Ontario- und dem Erie-See ausdehnt. Die Einen hatten daraus den »Yankee Doodle«, die Anderen das »Rule Britannia« zu hören vermeint, daraus entstand auch obiger angelsächsische Zweikampf, der mit dem Frühstück auf Goat Island endigte. Vielleicht war es weder der eine, noch der andere Nationalgesang gewesen; nur darüber herrschte bei Niemand ein Zweifel, daß die betreffenden Töne die Eigenthümlichkeit gehabt hatten, als schienen sie vom Himmel zur Erde hernieder zu steigen.

Sollte man etwa gar an eine Himmelsposaune denken, die ein Engel oder ein Erzengel geblasen hätte? ... Waren es nicht vielmehr lustige Luftschiffer gewesen, die sich des sonoren Instrumentes bedienten, von dem die Reclame so ausgebreiteten Gebrauch macht? Nein, von einem Ballon, von Luftschiffern konnte nicht die Rede sein. In hohen Himmelsregionen vollzog sich ein außergewöhnliches Ereigniß, dessen Natur und Ursprung kein Mensch zu enträthseln vermochte. Heute zeigte sich dasselbe über Amerika, vierundzwanzig Stunden später über Europa, acht Tage später in Asien über dem Himmlischen Reiche. Wenn die Trompete, welche das Vorüberziehen jener Erscheinung ankündigte, nicht die des Jüngsten Gerichtes war, welche, ja, welche war es dann?

In allen Landen der Erde, in Königreichen wie in Republiken, entstand deshalb eine gewisse Unruhe, welche gestillt werden mußte. Vernimmt Einer in seinem Hause eigenthümliche und unerklärliche Geräusche, würde er nicht schnellstens die Ursache derselben zu ermitteln suchen, und wenn das vergeblich wäre, würde er nicht sein Haus verlassen, um ein anderes zu bewohnen? Ganz sicherlich! Hier war das Haus freilich die Erdkugel, und es gab doch kein Mittel, diese zu verlassen und etwa mit dem Monde, Mars, Venus, Jupiter oder einem anderen Planeten des Sonnensystems zu vertauschen.

Es galt demnach unbedingt, aufzuklären, was im unendlichen leeren Raume, doch innerhalb der Erdatmosphäre, vorging. Ohne Luft ist ja ein Geräusch unmöglich, und da man hier ein solches vernahm – immer jene fast sagenhafte Trompete – mußte die Erscheinung auch in der Lufthülle stattfinden, deren Dichtigkeit sich nach oben zu immer mehr vermindert und die sich über unserem Sphäroid nur wenige Meilen hoch verbreitet.

Natürlich bemächtigten sich die Tagesblätter der vorliegenden Frage, behandelten sie unter allen Gesichtspunkten, beleuchteten oder verdunkelten dieselbe, berichteten falsche oder wahre Thatsachen, erregten oder beruhigten ihre Leser im Interesse der Höhe ihrer Auflage – und wiegelten endlich die schon halb verwirrten Massen nicht wenig auf. Welch' Wunder! Die Politik hatte den Laufpaß erhalten und die Geschäfte gingen deshalb doch nicht schlecht. Aber um was handelte es sich überhaupt?

Man befragte alle großen Observatorien der ganzen Welt. Wenn diese keine Antwort gaben, wozu nützten dann solche Observatorien eigentlich? Wenn die Astronomen, welche selbst in der Entfernung von hunderttausend Millionen Meilen noch einen Lichtpunkt zu zwei und drei Sternen aufzulösen vermögen, nicht im Stande waren, den Ursprung einer kosmischen Erscheinung zu ergründen, die nur wenige Kilometer über ihnen auftrat, wozu hatte man Astronomen?

Man konnte auch in der That kaum schätzungsweise angeben, wie viel Teleskope, Brillen, Fernrohre, Lorgnetten, Binocles und Monocles während der schönen Sommernacht nach dem Himmel gerichtet waren, noch wie viele Augen sich vor die Oculare und Instrumente von jeder Art und Vergrößerung hefteten. Vielleicht mehrere Hunderttausend, und das ist nur gering angeschlagen. Zehnmal mehr, als man am Firmament mit unbewaffnetem Auge sichtbare Sterne zählt. Nein, noch keiner, auf allen Punkten der Erdkugel gleichzeitig beobachteten Sonnenfinsterniß hatte man solche Ehre angethan!

Die Observatorien antworteten, aber unzulänglich. Jedes gab seine Meinung ab, die stets von der aller anderen abwich, so daß sich daraus während der letzten Wochen des April und der ersten des Mai ein wirklicher Bürgerkrieg unter der Gelehrtenwelt entwickelte.

Das Observatorium von Paris erwies sich sehr zurückhaltend. Keine seiner Abtheilungen sprach sich entschieden aus. In der Abtheilung für mathematische Astronomie hatte man es für unter seiner Würde gehalten, Beobachtungen anzustellen; in der für die Meridianmessung hatte man nichts entdeckt; in der für physikalische Beobachtungen hatte man nichts wahrgenommen; in der für Geodäsie nichts bemerkt; in der für Meteorologie war Niemand etwas aufgefallen; in der für die Berechnungen hatte man nichts gesehen. Das war wenigstens ein offenes Geständniß. Dieselbe Offenherzigkeit bekundete das Observatorium von Montsoucis, wie die magnetische Station im Park Saint-Maur. Dieselbe Achtung vor der Wahrheit bewies das Längenbureau. Nun ja, Frankreich heißt ja das Land, wo man »frank«, d. h. offen spricht.

Die Provinz war etwas entschiedener in ihrer Aeußerung. Etwa in der Nacht zwischen dem 6. und 7. Mai hatte sich ein Lichtschein elektrischen Ursprunges gezeigt, der 20 Secunden nicht überdauerte. Am Pic-Du-Midi war derselbe zwischen 9 und 10 Uhr Abends beobachtet worden; im meteorologischen Observatorium des Puy-de-Dôme hatte man ihn zwischen 1 und 2 Uhr Morgens bemerkt; auf dem Mont Ventoux in der Provence zwischen 2 und 3 Uhr; in Nizza zwischen 3 und 4 Uhr; auf den Semnoz-Alpen endlich zwischen Annecy, le Bourget und dem Genfer See im Augenblicke, als der Tagesschimmer sich eben bis zum Zenith erhob.

Offenbar konnte man diese Beobachtungen unmöglich in Bausch und Bogen verwerfen. Es unterlag keinem Zweifel, daß der Lichtschein an verschiedenen Punkten, und zwar im Verlauf einiger Stunden, wahrgenommen worden war. Derselbe ging also entweder von mehreren Herden aus, die sich durch die Erdatmosphäre hinbewegten, oder, wenn er nur einem einzigen solchen angehörte, so mußte dieser sich mit einer Schnelligkeit fortbewegen, welche nahezu 200 Kilometer in der Stunde erreichte.

Hatte man denn aber im Laufe des Tages niemals etwas Besonderes in der Luft bemerkt?

Nein, niemals.

Erklang nicht wenigstens jene Trompete einmal durch die Luftschichten?

Nein, zwischen Aufgang und Untergang der Sonne hatte man nicht den leisesten Ton gehört.

Im vereinigten Königreich Großbritannien wußte man nicht mehr aus, noch ein. Die Observatorien gelangten zu keinerlei Uebereinstimmung. Greenwich konnte sich nicht mit Oxford verständigen, obwohl Beide die Behauptung aufstellten, »an der ganzen Sache sei nichts«.

»Eine Gesichtstäuschung! meinte das Eine.

– Eine Gehörstäuschung!« erwiderte das Andere.

Darüber lagen sie im Streit; auf eine Täuschung lief es jedoch allemal hinaus. Die Verhandlungen zwischen den Sternwarten zu Berlin und der zu Wien drohten zu internationalen Verwicklungen zu führen. Rußland bewies ihnen in der Person des Vorstehers seiner Sternwarte zu Pulkowa, daß sie Beide Recht hätten, das hänge nur von den Gesichtspunkten ab, auf die sie sich bezüglich Bestimmung der Natur jener Erscheinung stellten, die in der Theorie unmöglich schien und in der Praxis möglich war.

In der Schweiz, auf der Sternwarte zu Säntis, im Canton Appenzell, auf dem Rigi, im Gäbris, in den Beobachtungsstationen des St. Gotthard, St. Bernhard, des Julier, des Simplon, in denen von Zürich und des Sonnblick in den Hohen Tauern, befleißigte man sich einer ganz besonderen Zurückhaltung gegenüber einer Thatsache, die bisher Niemand zu bekräftigen vermocht hatte – was gewiß recht vernünftig zu nennen ist.

In Italien dagegen, auf den meteorologischen Stationen des Vesuvs und des Aetna, welch' letztere sich in der alten Casa Inghlese befindet, wie auf dem Monte Cavo, zögerten die Beobachter nicht im geringsten, die Wirklichkeit jener Erscheinung anzuerkennen, und das auf Grund des Umstandes, daß sie dieselbe einmal am Tage in Form eines kleinen Dampfwölkchens und einmal in der Nacht in Gestalt einer Sternschnuppe hatten wahrnehmen können. Ueber die eigentliche Natur derselben wußten sie freilich ebenfalls nichts.

In der That begann dieses Geheimnis allmählich die Vertreter der Wissenschaft zu ermüden, erregte dagegen und erschreckte desto mehr die Einfältigen und Unwissenden, welche, Dank einem hochweisen Naturgesetze, von jeher in dieser Welt die ungeheure Mehrzahl gebildet haben, noch bilden und in aller Zukunft bilden werden. Die Astronomen und Meteorologen hatten also schon darauf verzichtet, sich mit der Sache zu beschäftigen, als in der Nacht vom 26. zum 27. auf der Sternwarte zu Cantokeino in Finnland, in Norwegen, in der Nacht vom 28. zum 29. auf der des Isfjord und auf Spitzbergen, die Norweger auf einer und die Schweden auf der anderen Seite in der Anschauung übereingestimmt hatten, daß inmitten einer Art Nordlichtscheines etwas wie ein gewaltiger Vogel oder ein Luftungeheuer sichtbar gewesen sei. War es auch nicht gelungen, dessen Structur genauer zu bestimmen, so unterlag es doch keinem Zweifel, daß derselbe kleine Körper ausgeworfen habe, welche gleich Bomben mit einem Knalle zersprangen.

In Europa neigte man wohl dazu, die Beobachtungen der Stationen von Finnmarken und Spitzbergen nicht anzuzweifeln. Ganz besonders merkwürdig erschien freilich, daß die Schweden und die Norweger doch einmal über einen Punkt einig zu sein schienen.

Man lachte und spottete über die angebliche Entdeckung auf allen Sternwarten Südamerikas, in Brasilien und Peru, ebenso wie in La Plata, auf denen von Australien, in Sidney, Adelaide, wie in Melbourne, und das australische Lachen ist bekanntlich sehr ansteckend.

Nur ein einziger Vorsteher einer meteorologischen Station verhielt sich zustimmend bei dieser Frage, trotz der Spötteleien, welche seine Erklärung derselben hervorrufen mochte. Das war ein Chinese, der Director der Sternwarte zu Zi-Ka-Wey, die sich inmitten einer ausgedehnten Ebene, mindestens zehn Lieues vom Meere, erhebt und welche bei ungemeiner Klarheit der Luft ein grenzenlos weiter Horizont umschließt.

»Es könnte ja sein, sagte er, daß der Gegenstand, um den es sich handelt, ein besonders construirter Apparat, eine fliegende Maschine wäre.«

Welcher Scherz!

Waren die vielfachen Widersprüche nun schon in der Alten Welt sehr lebhaft, so begreift man leicht, wie sie sich in jenem Theile der Neuen Welt gestalten mußten, von dem die Vereinigten Staaten das weitaus größte Gebiet einnehmen.

Ein Yankee liebt bekanntlich keine Umwege – er wählt gewöhnlich den, der am schnellsten zum Ziele führt. So zögerten auch die amerikanischen Bundesstaaten nicht im mindesten, ihre Ansichten gegenseitig auszusprechen. Wenn sie sich dabei nicht gleich die Objective ihrer Fernrohre an den Kopf warfen, so kam das nur daher, daß sie dieselben jetzt, wo sie gerade am meisten gebraucht wurden, erst hätten wieder ersetzen müssen.

In dieser so viel Staub aufwirbelnden Frage standen die Sternwarten von Washington im District Columbia und die von Cambridge im Staate Duna denen des Darmouth-Collegs in Connecticut und von Ann-Arbor in Michigan feindlich gegenüber. Ihr Streit betraf übrigens nicht die Natur des beobachteten Körpers, sondern die genaue Zeit der Beobachtung, denn Alle behaupteten, ihn in derselben Nacht, zu derselben Stunde, zur gleichen Minute und Secunde wahrgenommen zu haben, obwohl die Flugbahn des geheimnißvollen Wanderers der Lüfte nur in mäßiger Höhe über dem Horizont liegen sollte. Von Connecticut bis Michigan, von Duna nach Columbia ist aber die Entfernung eine so große, daß eine doppelte Beobachtung zu ein und demselben Zeitpunkt als unmöglich angesehen werden konnte.

Dudley in Albany, Staat New-York, und West-Point, die Militärakademie, gaben allen ihren Collegen Unrecht in einer Zuschrift, welche die gerade Aufsteigung und die Declination des bewußten Körpers bestimmte.

Später stellte sich jedoch heraus, daß diese Beobachter einem Irrthume unterlegen waren und daß der betreffende Körper nur eine Feuerkugel gewesen war, welche durch die mittleren Luftschichten hinblitzte. Um diese Feuerkugel handelte es sich aber offenbar nicht. Wie könnte auch eine solche Feuerkugel eine Trompete geblasen haben?

Was nun die erwähnte Trompete anging, versuchte man vergeblich deren schmetternden Ton als eine einfache Gehörstäuschung hinzustellen. Jedenfalls hatten sich bei dieser Gelegenheit die Ohren der Leute ebenso wenig getäuscht, wie deren Augen. Unzählige Beobachter hatten vielmehr entschieden etwas gesehen und gleichzeitig gehört. In der sehr dunklen Nacht – vom 12. zum 13. Mai – war es den Beobachtern des Yale-Collegs an der Hochschule von Sheffield sogar gelungen, einige Tacte eines musikalischen Satzes in A-dur und im Viervierteltacte in Noten zu fixiren, welche vollkommen mit einem Theile der Melodie des bekannten »Chant du départ« – eines Soldatenliedes beim Auszug zum Kampfe – übereinstimmten.

»Sehr schön! riefen dazu die Witzbolde, da hätten wir ja ein französisches Orchester, das seine Weisen mitten in der Luft ertönen läßt!«

Scherzen heißt aber nicht antworten. Diese Bemerkung machte auch das von der Atlantic Iron Works Company gegründete Observatorium zu Boston, dessen Anschauungen in Fragen der Astronomie und Meteorologie für die gelehrte Welt allmählich schon die Bedeutung von Gesetzen gewannen.

Ferner gab auch noch das, Dank der Freigebigkeit des Mr. Kilgoor im Jahre 1870 auf dem Berge Lookout entstandene Observatorium von Cincinnati eine Erklärung ab, jenes Institut, das sich durch seine mikrometrischen Messungen der Doppelsterne so vortheilhaft bekannt gemacht hat. Sein Director sprach sich in vollem guten Glauben dahin aus, daß den weitverbreiteten Gerüchten unzweifelhaft etwas zu Grunde liege, daß sich zu nahe aneinanderliegenden Zeiten an sehr verschiedenen Stellen in der Atmosphäre ein in Bewegung befindlicher Körper zeige, daß über dessen Natur, Größenverhältnisse, Geschwindigkeit und Flugbahn aber kein Urtheil möglich sei.

Da erhielt ein Journal von allergrößter Verbreitung, der New-York Herald, von einem Abonnenten folgende anonyme Mittheilung: »Noch dürfte der Wettkampf unvergessen sein, der vor einigen Jahren herrschte zwischen den beiden Erben der Begum von Ragginahra, dem französischen Arzt Sarrasin in seiner Stadt Franceville und dem deutschen Ingenieur Herrn Schulze in seiner Stadt Stahlstadt, welche Beide im südlichen Theile von Oregon, Vereinigte Staaten, angelegt waren.

»Man kann auch nicht vergessen haben, daß Herr Schulze in der Absicht, Franceville zu zerstören, ein ungeheures Geschoß, schon mehr eine Maschine, auf letztere Stadt schleuderte, welche dieselbe mit einem Schlage vernichten sollte.

»Noch weniger kann der Vergessenheit verfallen sein, daß dieses Geschoß, dessen Anfangsgeschwindigkeit beim Verlassen der Mündung der Monstrekanone falsch berechnet war, mit einer sechzehnmal größeren Geschwindigkeit, als gewöhnliche Geschosse – nämlich fünfzig Lieues in der Stunde – hinweg getragen wurde, daß es auf die Erde nicht niedergefallen ist und nach seinem Uebergang in den Zustand etwa einer Feuerkugel noch jetzt um unseren Planeten kreist und in alle Ewigkeit kreisen muß.

»Warum sollte dieses Riesengeschoß, dessen Vorhandensein nicht anzuzweifeln ist, nicht der in Frage stehende Körper sein?«

Das war ja recht scharfsinnig von dem Abonnenten des New-York Herald ... aber die Trompete ...? In dem Projectil des Herrn Schulze hatte sich bestimmt keine Trompete befunden.

Alle bisherigen Erklärungen erklärten also nichts, alle Beobachter beobachteten einfach falsch.

Es blieb sonach nur noch die von dem Director von Zi-Ka-Wey aufgestellte Hypothese. Aber, mein Gott, der Mann war ja Chinese!

Man darf nicht etwa glauben, daß sich der Bevölkerung der Alten und der Neuen Welt endlich ein gewisser Ueberdruß bemächtigt hätte. Im Gegentheil, die Erörterungen dauerten in gleicher Lebhaftigkeit fort, ohne daß irgendwo eine Uebereinstimmung erzielt wurde. Gleichwohl trat einmal eine Art Pause ein. Es vergingen nämlich einige Tage, ohne daß etwas von dem fraglichen Gegenstande, von der Feuerkugel oder was es sonst war, gemeldet wurde und ohne daß sich der bekannte Trompetenton aus der Luft hören ließ. War jener Körper also irgendwo auf die Erde niedergefallen, vielleicht an einem Punkte, der sein Wiederauffinden besonders erschwerte – etwa gar in's Meer? Lag er jetzt in der unendlichen Tiefe des Atlantischen, des Pacifischen oder des Indischen Oceans? Wer hätte das sagen können?

Da vollzog sich aber zwischen dem 2. und dem 9. Juni eine neue Reihe von Thatsachen, deren Erklärung durch die Annahme eines rein kosmischen Phänomens schlechterdings unmöglich war.

Im Laufe jener acht Tage fand man nämlich auf den entlegensten Punkten eine Fahne gerade an den schwerst zugänglichen Stellen von Kirchen u. s. w. befestigt; so wurden die Hamburger überrascht durch eine solche an der Spitze des Thurmes von St. Michael, die Türken auf dem höchsten Minaret der heiligen Sophien-Moschee, die Einwohner von Rouen an der metallenen Turmspitze ihrer Kathedrale, die Straßburger am obersten Punkte des Münsters, die Amerikaner auf dem Kopfe ihrer Bildsäule der Freiheit am Eingange des Hafens und am Gipfel des Washington-Denkmals in Boston, die Chinesen an der Spitze des Tempels der fünfhundert Geister in Canton, die Hindus am sechzehnten Stockwerk der Pyramide des Tempels zu Tanjur, die Römer am Kreuze des St. Peters-Domes, die Engländer am Kreuz der St. Pauls-Kirche in London, die Egypter an der obersten Spitze der Pyramide von Gizeh, die Wiener an dem Reichsadler auf der Spitze des St. Stephansthurmes, die Pariser am Blitzableiter des dreihundert Meter hohen eisernen Thurmes der Ausstellung von 1889 und noch andere mehr.

Diese Fahne aber zeigte ein schwarzes Flaggentuch, das in der Mitte eine goldene Sonne und ringsum verstreut einzelne Sterne enthielt.

II.

In welchem die Mitglieder des Weldon-Instituts mit einander streiten, ohne zu einer Uebereinstimmung zu gelangen.

»Und der Erste, der das Gegentheil behauptet ...

– Oho, das wird man behaupten, wenn ein Grund dafür vorliegt!

– Und auch trotz Ihrer Drohungen! ...

– Achten Sie auf Ihre Worte, Bat Fyn!

– Und Sie auf die Ihrigen, Onkel Prudent!

– Ich bleibe dabei, daß sich die Schraube nur am Hintertheil befinden darf!

– Wir auch! Wir auch! erschallten fünfzig Stimmen wie aus einer Kehle.

– Sie muß am Vordertheil sein! rief Phil Evans.

– Am Vordertheil! brüllten fünfzig andere Stimmen eben so stark, wie jene früheren.

– Wir werden nie zu ein und derselben Ansicht kommen!

– Niemals! ... Niemals!

– Nun, warum streiten wir dann überhaupt noch?

– Das ist kein Streit ... es ist nur eine Erörterung!«

Das hätte freilich kein Mensch geglaubt, der die scharfe Entgegnung, die Vorwürfe und das Geschrei hörte, welche den Sitzungssaal seit einer guten Viertelstunde erfüllten.

Gedachter Saal war nämlich der größte des Weldon-Institutes ... und jenes vor allen berühmten Clubs in der Walnut Street zu Philadelphia, Pennsylvanien, Vereinigte Staaten von Nordamerika.

In genannter Stadt war es erst am Vortage bei Gelegenheit der Wahl eines Gaslaternenanzünders zu öffentlichen Kundgebungen, geräuschvollen Versammlungen und zu reichlich ausgetheilten Schlägen gekommen. Daher rührte eine noch nicht besänftigte Reizbarkeit und stammte wohl auch jene außergewöhnliche Erregung, welche die Mitglieder des Weldon-Instituts eben zeigten. Und hierbei handelte es sich nur um eine einfache Vereinigung von »Ballonisten«, welche über die noch heutigen Tages brennende Frage der Lenkbarkeit der Ballons verhandelten.

Der Vorgang aber spielte sich in einer Stadt der Vereinigten Staaten ab, welche an schneller Entwickelung selbst New-York, Chicago, Cincinnati und San Francisco überholt hat – einer Stadt, welche weder ein Hafenplatz, noch der Mittelpunkt von Petroleum- oder Steinkohlenbergwerken, auch kein Brennpunkt der Industrie, so wenig wie der Kreuzungspunkt eines vielstrahligen Bahnnetzes ist – in einer Stadt, die an Größe schon Manchester, Edinburgh, Liverpool, Wien, Petersburg und Dublin übertrifft – einer Stadt, die einen Park besitzt, in dem die sieben Parks der Hauptstadt von England zusammen Platz finden – einer Stadt endlich, welche jetzt nahezu 1,200.000 Einwohner zählt und sich nach London, Paris, New-York und Berlin als die fünfte Stadt der Welt betrachtet.

Philadelphia ist fast eine Stadt aus Marmor mit seinen vielen monumentalen Gebäuden und öffentlichen Anstalten, welche ihres Gleichen nirgends finden. Das bedeutendste aller Collegs der Neuen Welt ist das Colleg Girard, und das hat seinen Sitz in Philadelphia. Die größte Eisenbrücke der Erde ist die, welche den Schuylkill überspannt, und diese befindet sich in Philadelphia. Der schönste Tempel der Freimaurerei ist der Maurertempel in Philadelphia; endlich besteht der größte Club von Freunden und Beförderern der Luftschifffahrt ebenfalls in Philadelphia, und wer Gelegenheit gehabt hätte, diesen am Abend des 12. Juni zu besuchen, der würde sich dabei ausgezeichnet unterhalten haben.

In erwähntem großen Saale bewegten, drängten sich, gestikulirten, sprachen, verhandelten und stritten – Alle den Hut auf dem Kopfe – wohl hundert Ballonisten unter dem hohen Vorsitz eines Präsidenten, dem ein Schriftführer und ein Schatzmeister zur Seite standen. Es waren das keine Ingenieurs von Fach; nein, einfache Liebhaber alles Dessen, was mit der Aerostatik in Beziehung stand, aber begeisterte Liebhaber, und vor Allem Feinde Derjenigen, welche den Aerostaten Apparate, »schwerer als die Luft«, fliegende Maschinen, Luftschiffe u. dgl. entgegenzustellen beabsichtigen. Daß diese wackeren Leute nimmermehr die Lenkbarkeit des Ballons erfinden würden, war gewiß mehr als wahrscheinlich. Auf jeden Fall hatte ihr Vorsitzender Noth genug, um sie selbst gehörig zu lenken und zu leiten.

Dieser in Philadelphia sattsam bekannte Präsident war der Onkel Prudent – Prudent seinem Familiennamen nach. Was die weitere Bezeichnung »Onkel« betrifft, so braucht man sich in Amerika über diese nicht zu wundern, wo Jeder zum Onkel werden kann, ohne einen Neffen oder eine Nichte zu haben. Man sagt dort ebenso Onkel, wie anderwärts Vater von Leuten, welche auf eine Vaterschaft nicht den geringsten Anspruch haben.

Onkel Prudent war eine gewichtige Persönlichkeit und trotz seines Namens oft genannt gerade wegen seiner Kühnheit, daneben sehr reich, was selbst in den Vereinigten Staaten nicht von Nachtheil sein soll. Wie hätte er das auch nicht sein sollen, da er einen großen Theil der Niagarafall-Actien sein eigen nannte? Jener Zeit hatte sich nämlich in Buffalo eine Gesellschaft von Ingenieuren zur Ausbeutung der berühmten Fälle gegründet. Die 7500 Cubikmeter, welche der Niagara jede Secunde hinabwälzt, können 7 Millionen Dampfpferdekräfte erzeugen. Diese ungeheure, in einem Umkreise von 500 Kilometer nach allen Fabriken und Werkstätten vertheilte Kraftmenge lieferte eine jährliche Ersparniß von 1200 Millionen Mark, von dem ein Theil in die Cassen der Gesellschaft – speciell in die Taschen des Onkel Prudent – zurückfloß. Uebrigens war er Junggeselle, lebte höchst einfach und hatte als häuslichen persönlichen Beistand niemand Anderen, als seinen Diener Frycollin, der eigentlich am allerwenigsten verdiente, im Dienste eines so kühnen, unternehmenden Herrn zu stehen. Aber es giebt einmal Regelwidrigkeiten.

Daß der Onkel Prudent Freunde hatte, da er so reich war, versteht sich ja von selbst; aber er hatte auch Feinde, weil er Vorsitzender jenes Clubs war – unter Allen alle die, welche selbst nach diesem Amte strebten; und als der hitzigsten Einer ist hier der Schriftführer des Weldon-Institutes zu erwähnen.

Es war das der ebenfalls sehr reiche Phil Evans, der Director der Walton Watch Company, einer gewaltigen Uhrenfabrik, welche tagtäglich 500 Stück Zeitmesser erzeugt und Producte liefert, die sich den besten der Schweiz an die Seite stellen können. Phil Evans hätte also für einen der glücklichen Menschen der Welt selbst in den Vereinigten Staaten gelten können, wenn man von jener Stellung des Onkel Prudent absah. Wie letzterer, war auch er 45 Jahre alt, von scheinbar unerschütterlicher Gesundheit, wie jener von unzweifelhafter Kühnheit, und sorgte er sich wenig darum, die gewissen Vorzüge des Junggesellenstandes gegen die oft zweifelhaften Vortheile der Ehe zu vertauschen. Wahrlich, das waren zwei Männer, wie geschaffen, einander zu verstehen, die sich doch nicht verstanden, und Beide, was wohl zu bemerken ist, von ungemein stark entwickeltem Charakter, der Eine, Onkel Prudent, hitzig, der Andere, Phil Evans, eiskalt bis zum Uebermaße.

Und woher kam es, daß Phil Evans nicht zum Vorsitzenden des Clubs ernannt worden war? Die Stimmenzahl für Onkel Prudent und für ihn war die genau gleiche gewesen. Wohl zwanzig Mal wurde die Abstimmung wiederholt, aber auch zwanzig Mal ergab sich eine Majorität weder für den Einen, noch für den Anderen. Das war eine peinliche Lage, welche wahrscheinlich die Lebenszeit der beiden Candidaten hätte überdauern können.

Da schlug ein Mitglied des Clubs ein Mittel vor, die Stimmengleichheit aufzuheben. Es war Jem Cip, der Schatzmeister des Weldon-Institutes. Jem Cip war eingefleischter Vegetarianer, mit anderen Worten, ausschließlicher Gemüseesser, einer der Leute, die jede Fleischnahrung, wie alle gegohrenen Getränke verwarfen – halb Brahmanen und halb Muselmänner – der Rival eines Nievmann, Pitmann, Ward und Davie, welche der Secte dieser unschuldigen Thoren einen gewissen Namen gemacht haben.

Bei vorliegender Gelegenheit wurde Jem Cip von einem anderen Mitglied des Clubs unterstützt, von William T. Forbes, dem Director einer großen Anstalt, in der Glucose durch Behandlung von Lumpen mit Schwefelsäure hergestellt wurde – ein Verfahren, nach dem man also Zucker aus alter Wäsche zu erzeugen vermag. Es war ein gut situirter Mann, dieser William T. Forbes, und Vater von zwei reizenden, bejahrteren Töchtern, der Miß Dorothee, genannt Doll, und der Miß Martha, genannt Mat, die in der besten Gesellschaft von Philadelphia den Ton angaben.

Der von William T. Forbes nebst einigen Anderen unterstützte Vorschlag Jem Cip's ging nun dahin, den Vorsitzenden des Clubs durch den Mittelpunkt zu bestimmen.

Wahrlich, dieser Wahlmodus könnte in allen Fällen angewendet werden, wo es sich darum handelt, den Würdigsten zu erwählen, und sehr viele, höchst vernünftige Amerikaner dachten auch schon daran, denselben bei der Ernennung des Präsidenten der Vereinigten Staaten zur Anwendung zu bringen.

Auf zwei tadellos weiße Tafeln wurde hierzu je eine schwarze Linie gezogen. Die Länge beider war mathematisch genau die gleiche, denn man hatte dieselbe mit ebenso viel Sorgfalt abgemessen, als handelte es sich dabei um die Grundlinien des ersten Dreiecks einer Triangulationsarbeit. Hierauf wurden beide Tafeln am nämlichen Tage inmitten des Sitzungssaales der Gesellschaft aufgestellt; die beiden Wettbewerber versahen sich Jeder mit einer sehr feinspitzigen Nadel und gingen wieder gleichzeitig auf die, Jedem durch das Loos zugefallene Tafel zu. Derjenige der beiden Rivalen aber, welcher seine Nadel am nächsten dem Mittelpunkte der Linie einstechen würde, sollte damit zum Vorsitzenden des Weldon-Institutes gewählt sein.

Es versteht sich von selbst, daß hierbei jedes Hilfsmittel, jedes Umhertappen verboten und nur die Sicherheit des Blicks entscheidend war. Es galt, nach volksthümlichem Ausdruck, den Zirkel im Auge zu haben.

Onkel Prudent stach seine Nadel ein und zu gleicher Zeit Phil Evans. Darauf wurde nachgemessen, welcher der beiden Konkurrenten sich dem Mittelpunkte am meisten genähert hatte.

Welches Wunder! Die beiden Männer hatten so vortreffliches Augenmaß entwickelt, daß die Messungen keinen schätzenswerthen Unterschied ergaben. War von ihnen auch nicht genau der mathematische Mittelpunkt getroffen worden, so erwies sich der Raum zwischen diesem und den beiden Nadeln kaum merkbar und schien bei beiden obendrein noch gleich groß zu sein.

Die Versammlung befand sich nun in neuer Verlegenheit.

Zum Glück bestand eines der Mitglieder, Truk Milnor, darauf, die Messungen mit Hilfe eines mit Perreaux' mikrometischer Maschine getheilten Lineals noch einmal vorzunehmen, welche die Möglichkeit gewährt noch ein Fünfzehnhundertstel eines Millimeters abzulesen. Auf dem Lineal waren in der That fünfzehnhundert Abtheilungen auf einem solchen kleinen Raum mittelst Diamant eingeritzt, und bei Abmessung der Entfernung der Stiche von den betreffenden Mittelpunkten erhielt man folgendes Resultat:

Onkel Prudent hatte sich dem Mittelpunkt auf weniger als sechs fünfzehnhundertstel Millimeter genähert, Phil Evans auf nahezu neun fünfzehnhundertstel.

Daher kam es, daß Phil Evans nur Schriftführer des Weldon-Institutes wurde, während Onkel Prudent die Würde des Präsidenten desselben erhielt.

Einer Entfernung von drei fünfzehnhundertstel, mehr hatte es nicht bedurft, um Phil Evans mit Haß gegen Onkel Prudent zu erfüllen, mit einem Haß, der, wenn er ihn auch in sich verschloß, doch nicht minder grimmig war.

Jener Zeit, und zwar seit dem letzten Viertel dieses neunzehnten Jahrhunderts, hatte die Frage der lenkbaren Ballons immerhin schon einige Fortschritte zu verzeichnen, die mit Triebschraube ausgerüsteten Gondeln, welche Henry Giffard 1852 an seinem verlängerten Ballon anbrachte, ferner Dupuy de Lôme, 1872, die Gebrüder Tissandier 1883 und die Capitäne Krebs und Renard im Jahre 1884 hatten mindestens einige Ergebnisse erzielt, denen man Rechnung tragen mußte.

Doch wenn diese Apparate in einem schwereren Medium als sie selbst, unter dem Drucke einer Schraube manövrirend, eine schräge Richtung gegen den Wind einhielten, sogar gegen einen widrigen Luftzug aufkamen, um nach ihrem Ausgangspunkt zurückzukehren, also wirklich gelenkt worden waren, so konnte das doch nur unter ganz besonders günstigen Umständen erreicht werden. In großen, geschlossenen ausgedehnten Hallen allerdings! In recht ruhiger Atmosphäre – das ging auch noch recht gut. Bei einem leichten Winde von fünf bis sechs Meter in der Secunde war es vielleicht eben noch zu erzwingen – Alles in Allem hatte man eigentlich praktisch verwendbare Resultate aber noch nicht erzielt. Gegen einen Windmühlenwind von acht Metern in der Secunde würden jene Apparate nahezu stationär geblieben sein; vor einer frischen Brise von zehn Metern in der Secunde hätten sie in Gefahr geschwebt, zerrissen zu werden; und bei einer jener Cyclonen, welche hundert Meter in der Secunde überschreiten, würde man von ihnen kein Stückchen wieder gefunden haben.

Selbst nach den scheinbar glänzend gelungenen Versuchen der Capitäne Krebs und Renard dürfte als bewiesen angesehen werden, daß die Aerostaten, wenn sie an Bewegungsfähigkeit auch ein wenig gewonnen hatten, mit dieser doch gerade nur gegen eine schwache Brise aufzukommen vermochten. Es war also nach wie vor als unmöglich zu betrachten, diese Art der Fortbewegung durch die Luft praktisch zu verwenden.

Während man sich aber so eifrig mit dem Problem der Lenkbarkeit der Aerostaten, das heißt mit den Mitteln beschäftigte, diesen eine eigene Geschwindigkeit zu verleihen, hatte die Frage der Motoren unzweifelhaft weit schnellere Fortschritte gemacht. An Stelle der Dampfmaschinen und der Verwendung der bloßen Muskelkraft waren allmählich die elektrischen Motore getreten. Die Batterien mit doppeltchromsaurem Natron, deren Elemente auf hohe Spannung angeordnet waren, wie sie die Gebrüder Tissandier benützten, erzielten eine Schnelligkeit von etwa vier Metern in der Secunde. Die zwölf Pferdekraft entwickelnden dynamo-elektrischen Maschinen der Capitäne Krebs und Renard gestatteten, eine Geschwindigkeit von im Mittel sechs Meter in der Secunde zu erreichen.

Bei ihren Versuchen waren Mechaniker und Elektriker bestrebt gewesen, sich dem frommen Wunsche zu nähern, eine »Dampfpferdekraft in einem Taschenuhrgehäuse« zu erzeugen. Die Effecte der Säule, deren Zusammensetzung die Capitäne Krebs und Renard geheim gehalten hatten, wurden ebenfalls bald übertroffen, und nach ihnen fanden die Aeronauten Gelegenheit, Motore zu verwenden, deren Leichtigkeit im gleichen Verhältniß mit ihrer Kraftwirkung wuchs.

Die Anhänger der Möglichkeit einer Lenkbarkeit der Ballons hatten also gewiß Ursache, ihren Muth aufrecht zu erhalten, und doch, wie viele klare Köpfe haben es verworfen, an die Benützung solcher zu glauben. In der That, wenn der Aerostat einen Angriffspunkt der ihm innewohnenden Kraft in der Luft findet, so ist er doch mit seiner großen Masse in diese eingetaucht. Und wie könnte derselbe, da er wieder den Strömungen der Atmosphäre eine so breite Angriffsfläche bietet, jemals, und wenn sein Triebwerk noch so mächtig wäre, direct gegen einen widrigen Wind aufkommen?

Diese Frage lag noch immer vor, man hoffte dieselbe jedoch durch Anwendung sehr großer Apparate zu lösen.

Es ergab sich übrigens, daß bei diesem Wettstreite der Erfinder in der Herstellung eines sehr kräftigen und dennoch leichten Motors die Amerikaner sich dem gewünschten Ziele am meisten genähert hatten. Ein auf der Anwendung einer neuen Säule beruhender dynamo-elektrischer Apparat, dessen Construction vorläufig noch Geheimniß blieb, war seinem Erfinder, einem bisher unbekannten Chemiker in Boston, abgekauft worden. Mit größter Sorgfalt durchgeführte Berechnungen und mit äußerster Genauigkeit entworfene Diagramme ergaben, daß dieser Apparat, wenn er auf eine Schraube von angepaßter Größe wirkte, eine Fortbewegung von achtzehn bis zwanzig Metern in der Secunde gewährleisten mußte.

Wahrlich, das wäre großartig gewesen!

»Und das Ding ist nicht theuer!« hatte Onkel Prudent hinzu gesetzt, als er dem Erfinder gegen regelrecht ausgefüllte Quittung das letzte Päckchen von hunderttausend Papierdollars einhändigte, mit dem man ihm seine Erfindung bezahlte.

Zur Zeit, mit der diese Erzählung beginnt, konnte man schon beurtheilen, daß das Weldon-Institut die Angelegenheit kräftig gefördert hatte. In den Turner-Werften zu Philadelphia erhob sich schon ein ungeheurer Aerostat, dessen Haltbarkeit durch Füllung mit stark comprimirter Luft geprüft werden sollte. Vor Allem würde dieser den Namen eines Monstre-Ballons verdienen.

Wie viel faßte der Géant Nadar's? Sechstausend Cubikmeter. Wie viel der Ballon John Wise's? Zwanzigtausend Cubikmeter. Welchen Fassungsraum hatte der Ballon Giffard auf der Ausstellung von 1878? Fünfundzwanzigtausend Cubikmeter bei achtzehn Meter Halbmesser. Vergleicht man diese drei Aerostaten mit dem des Weldon-Institutes, dessen Volumen vierzigtausend Cubikmeter betrug, so begreift man leicht, daß Onkel Prudent und seine Clubgenossen einigermaßen Recht hatten, sich vor Stolz aufzublähen.

Dieser Ballon, der nicht dazu bestimmt war, die höchsten Schichten der Atmosphäre zu erreichen, nannte sich nicht »Excelsior«, eine Bezeichnung, welche sonst bei den Amerikanern sehr beliebt ist, nein, er war einfach »Go a head«, d. h. »Vorwärts« getauft, und es erübrigte also nur noch, daß er seinen Namen rechtfertigte, indem er den Befehlen seines Capitäns allenthalben gehorchte.

Jener Zeit war die dynamo-elektrische Maschine nach dem vom Weldon-Institute angekauften Patente fast vollendet und man durfte darauf rechnen, daß der »Go a head« seinen Flug durch das Luftmeer begonnen haben werde.

Immerhin waren bekanntlich alle mechanischen Schwierigkeiten noch nicht überwunden.