Rocky Beach Crimes. Mord unter Palmen - Evelyn Boyd - E-Book
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Rocky Beach Crimes. Mord unter Palmen E-Book

Evelyn Boyd

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Beschreibung

Rocky Beach Crimes: Jetzt werden die beliebtesten Nebenfiguren selbst zu Detektiven. Ein Wohlfühlkrimi mit Charme und einer extra Portion Lokalkolorit aus Rocky Beach. Der legendäre Kunstdieb Victor Hugenay kehrt zurück nach Rocky Beach. Er hat es auf "Die Dame in Blau" abgesehen. Doch in der Villa des kürzlich verstorbenen Harald Hastings wird Hugenay von den Erben fälschlicherweise für einen Privatdetektiv gehalten. Der Fall hat es in sich und Hugenay muss beweisen, dass er nicht nur ein gerissener Dieb, sondern auch ein Gentleman mit Köpfchen ist.

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Titel

Rocky Beach Crimes.Mord unter Palmen

Victor Hugenay ermittelt

Evelyn Boyd

KOSMOS

Impressum

Alle Angaben in diesem Buch erfolgen nach bestem Wissen und Gewissen. Sorgfalt bei der Umsetzung ist indes dennoch geboten. Verlag und Autoren übernehmen keinerlei Haftung für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden, die aus der Anwendung der vorgestellten Materialien und Methoden entstehen könnten. Dabei müssen geltende rechtliche Bestimmungen und Vorschriften berücksichtigt und eingehalten werden.

Distanzierungserklärung

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Umschlagsabbildung: © Motive von iStock /Getty Images Plus

© 2023, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG

Pfizerstraße 5–7, 70184 Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Mit freundlicher Genehmigung der Universität Michigan

Based on characters by Robert Arthur

ISBN 978-3-440-50714-8

E-Book-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

PrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Epilog

PROLOG

Die Luft war viel zu stickig in dem Arbeitszimmer. Dennoch hatte Harald Hastings alle Fenster bei Einbruch der Dämmerung geschlossen. Auch die schweren Vorhänge hatte er sorgsam zugezogen. Kein Lichtschein durfte nach draußen fallen, denn das könnte die Aufmerksamkeit seiner Feinde erregen. Erst als er sich mehrfach versichert hatte, dass die Vorhänge keinen Spalt offen waren, wagte er es, die kleine Schreibtischlampe anzuknipsen. Ihr diffuses Licht vermochte kaum die Dunkelheit im Arbeitszimmer zu vertreiben, sondern ließ überall Schatten entstehen. Die getäfelten Wände und der wuchtige Mahagonischreibtisch ließen den Raum zusätzlich bedrückend düster wirken. Nervös fuhr sich Harald Hastings mit der Hand durch sein weißes Haar. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. So viel war sicher! Seine Gegner waren schlau. Bisher hatte er sich geschickt in diesem beschaulichen Örtchen verbergen können, aber wie lange ihm das noch gelang, wusste er nicht. Vermutlich würden sie seiner Spur bald bis nach Rocky Beach folgen. Harald Hastings seufzte und ließ sich auf den Ledersessel am Schreibtisch nieder. Er schenkte sich Whisky aus einer Kristallkaraffe ein, die immer auf dem Schreibtisch bereitstand. Alles hatte auf seinem Schreibtisch seinen festen Platz. Das gab ihm ein Gefühl von Sicherheit. Er würde sofort bemerken, wenn sie hier eindringen und etwas verändern würden. Mit zittriger Hand griff er nach dem Whiskyglas. Seine nichtsnutzige Ärztin hatte ihm derlei Freuden verbieten wollen und versuchte, ihn stattdessen mit fragwürdigen Tabletten zu vergiften, aber er ließ sich nicht den Verstand vernebeln. Die einzige Medizin, die er zu sich nahm, war guter alter Single Malt. Die Tabletten hatte er kurzerhand den Abfluss hinuntergespült.

Aus den Augenwinkeln glaubte Harald Hastings, eine Bewegung wahrzunehmen. Ruckartig drehte er den Kopf und starrte in die dunkle Zimmerecke, in der eine alte Ritterrüstung stand. Nichts regte sich. Vermutlich hatte er sich getäuscht. Er trank einen Schluck. Langsam beruhigte er sich, als ihn ein Knarren aufhorchen ließ. Hastings lauschte angestrengt. Wieder knarrte es leise. Das Geräusch schien von der Galerie zum oberen Stockwerk zu kommen. War jemand in seinem Haus? Etwas schwerfällig stand er auf und griff nach dem Brieföffner. So leise, wie es ihm möglich war, ging er zur Tür seines Arbeitszimmers, die nur angelehnt war. Er blickte in die leere Eingangshalle. Auch hier spendete eine Lampe nur spärliches Licht. Niemand war auf der Treppe zum ersten Stock zu sehen. Doch um sicher zu sein, musste er auch oben nachsehen. Für einen Moment überlegte Harald Hastings, laut zu rufen. Aber wann hätte schon einmal ein Einbrecher auf das Rufen eines Hausbesitzers geantwortet? Vielleicht war es wieder dieses vermaledeite Katzenvieh seiner Nachbarin. Schon zwei Mal war die Katze in sein Haus eingedrungen. Wie sie es immer wieder hereinschaffte, wusste er nicht. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als nachzusehen. Er blickte hinauf. Die Galerie lag halb im Schatten. Er musste erst die Treppe hinaufsteigen, um den Lichtschalter zum ersten Stockwerk zu betätigen. Harald Hastings hielt den Brieföffner fest umklammert und setzte sich in Bewegung.

Sein Atem ging schwer, als er die Galerie erreichte. Unter seinen Füßen knarrte das Eichenparkett. Nur noch ein paar Schritte bis zum Lichtschalter. Als er den Lichtschalter drückte, flackerte das Licht einer Wandlampe auf, die zwischen unzähligen Bildern hing. Oben auf der Galerie war niemand zu sehen. Am rechten Ende der Galerie schloss sich ein langer Flur an, der im Schatten lag. Auch da regte sich nichts. Harald Hastings atmete auf. Sein Blick fiel erneut auf die Wand und er sah, dass eines seiner geliebten Ölbilder schief hing. Hastings schüttelte den Kopf. Er konnte es nicht ertragen, wenn nicht alles in Reih und Glied war. Da war er eigen und er musste es sofort korrigieren. Am linken Ende der Galerie gab es einen kleinen Abstellraum, in dem sich eine Anlegeleiter befand. Harald Hastings steckte den Brieföffner in seine Hosentasche und ging zur Abstellkammer. Er holte die Leiter und stellte sie mit einiger Mühe gegen die Wand. Mit unsicheren Schritten stieg er die Leiter hinauf. Er stand gerade auf der obersten Sprosse und rückte das Bild zurecht, als sich aus dem Schatten des Flures eine Gestalt löste.

»Nein!« Harald Hastings keuchte.

Die Gestalt bewegte sich langsam auf die Leiter zu. Sie gab einen knurrenden Laut von sich.

Harald klammerte sich mit einer Hand an die Leiter und zog mit der anderen den spitzen Brieföffner aus der Tasche. Während er den Brieföffner abwehrend dem unheimlichen Wesen entgegenhielt, versuchte er so schnell, wie es seine alten Knochen zuließen, die Leiter hinabzusteigen. Er musste diesem Monster entkommen. »Du kriegst mich nicht! Du nicht!«, schrie er. Die Leiter wackelte bedrohlich. 

Die finstere Gestalt kam näher und streckte eine Klaue nach dem alten Mann aus.

Mit schreckerfüllten Augen machte Harald Hastings einen weiteren Schritt, doch die Leiter löste sich von der Wand und kippte nach hinten. Für einen Moment wedelte Harald Hastings hilflos mit den Armen, bevor er die Galerie hinabstürzte.

KAPITEL 1

Gelangweilt blickte Tammy Chen durch die Panoramascheibe. Der Kundenansturm an diesem Freitag hielt sich in Grenzen. Allerdings standen nun drei Jungen bei den Zapfsäulen. Ein Blonder tankte gerade einen gelben VW-Käfer, während seine beiden Freunde anscheinend miteinander diskutierten. Sie hatten eine Landkarte auf der Motorhaube des Wagens ausgebreitet und der kräftigere Junge tippte mit dem Finger auf der Karte herum. Sein Freund schüttelte vehement den Kopf. Er war leicht gebräunt und hatte die Figur eines Surfers. Eigentlich hätte er Tammy gefallen, wenn er nicht etwas zu jung gewesen wäre. Sie beobachtete die Jungs genau, die so unterschiedlich wirkten. Irgendwie komische Typen, fuhr es Tammy durch den Kopf. In diesem Moment öffnete sich die Tür und der Blonde betrat den Verkaufsraum. Er steuerte die Kühltruhe an und nahm einige Dosen Limonade raus. Damit kam er zur Kasse.

»Hallo«, grüßte er sie und stellte die Dosen auf den Tresen. »Einmal tanken Säule 2 und die Getränke.«

»Ist das alles?«, fragte Tammy.

Der Blonde lächelte. »Ich nehme noch eine Packung Kaugummi.«

Er überlegte einen Moment und studierte die Auslage.

»Ich kann dir diese Kaubonbons empfehlen. Sind gerade neu reingekommen. Sie sind mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen gefüllt.«

»Feurige Flut? Mit Chili und Ingwer. Na ja, wer es mag.« Der Junge schüttelte sich.

»Ich liebe die Green Ghost. Das ist eine Mischung aus Limette und Minze.«

»Klingt gut, die nehme ich.«

Während Tammy flink den Preis eintippte, öffnete sich die Tür und der Surfertyp streckte seinen Kopf herein. »Sag mal, wie lange brauchst du denn noch, Bob? Wir müssen los!«

»Ja, ich komme doch schon.« Bob warf einen Blick auf das Kassendisplay und zählte einige Dollarscheine ab.

»Stimmt so«, sagte er. Dann griff er sich die Green Ghost und die Getränkedosen, um damit nach draußen zu eilen. Tammy blickte ihm hinterher. Als die drei Jungen sich in den Käfer quetschten, regte sich etwas im hinteren Teil des Verkaufsraums. Tammy fuhr herum. Dort, bei den Verkaufsaufstellern mit den Sonnenbrillen, stand im Halbschatten ein hochgewachsener, schlanker Mann im weißen Anzug. Tammy hatte überhaupt nicht bemerkt, wie der Kunde die Tankstelle betreten hatte. Er musste dort schon eine Weile stehen. Ihre Nackenhaare stellten sich auf. »Kann ich Ihnen helfen, Sir?«, erkundigte sie sich etwas unsicher.

Der Mann nahm die schwarze Sonnenbrille ab, die er gerade anprobiert hatte, und hängte sie zurück auf den Ständer. Ein bedrohliches Glitzern lag in seinem Blick. »Vielen Dank, aber ich bin bereits wunschlos glücklich«, antwortete er mit einem leichten französischen Akzent. Dabei sah er jedoch nicht Tammy an, sondern blickte mit einem süffisanten Lächeln dem gelben Käfer hinterher, der eben auf die Straße bog.

Rocky Beach empfing ihn wie einen alten Freund. Der kalifornische Sommer zeigte sich von seiner schönsten Seite und Victor Hugenay hatte die Fahrt über die Küstenstraße in seinem 1956er Eldorado Biarritz Cabrio genossen. Wenn er schon mal wieder in Kalifornien verweilte, dann fuhr er natürlich in einem echten Cadillac-Oldtimer. Der Spruch »Wenn du reist, reise mit Stil« hätte von ihm sein können. Der Wind trug ihm eine salzige Brise entgegen und der Blick auf den Pazifischen Ozean war atemberaubend. Allein dies und die Aussicht auf ein lohnendes Geschäft hätten gereicht, um ihn in blendende Stimmung zu versetzen. Seine Beobachtung an der Tankstelle hatte dem Ganzen jedoch noch das i-Tüpfelchen aufgesetzt. Tatsächlich schien seine Quelle ihn richtig informiert zu haben: Justus Jonas und seine beiden Detektivkollegen waren mit einem anderen Fall beschäftigt und würden eine Weile nicht vor Ort sein. So gern sich Victor Hugenay intellektuell mit Justus Jonas maß, so wenig konnte er es leiden, wenn ihm jemand bei seinen Geschäften in die Quere kam. Vor allem dann nicht, wenn es sich um die drei ??? handelte. Doch dieses Mal hatte er offenbar freie Hand. So bog er gut gelaunt in den Hillside Drive ein, der durch das Villenviertel von Rocky Beach führte. Auch wenn hier nicht so viele Prominente wie in Hollywood lebten, konnte sich das Viertel doch sehen lassen. Die Anwesen waren durchaus beeindruckend. Gepflegte, parkähnliche Vorgärten mit blühenden Oleanderbüschen und Palmen erfreuten das Auge. Vor einer alten Villa im viktorianischen Stil parkte Hugenay den Cadillac. Er blickte hinüber zum Haus. Hier würde er sie also finden, seine Dame!

Victor Hugenay stieg aus dem Wagen und ging den weißen Kiesweg zwischen den akkurat gepflegten Rasenflächen zur Villa hinauf. Die Auffahrt war von hohen Palmen gesäumt. Das Haus war lachsfarben gestrichen und mit weißen Holzverzierungen am Dach und einem Türmchen geschmückt. Neben der wuchtigen Haustür mit dem schweren Türklopfer standen Kübel mit weißen Blumen. In der Luft lag der schwere Duft von Jasmin. Die Szenerie wirkte wie auf einer kitschig bunten Ansichtskarte von Kalifornien. Hugenay zog eine Augenbraue hoch. Dieses Haus schien so gar nicht zu dem alten Mr Hastings zu passen. Jedenfalls nicht, wenn der alte Herr so war, wie man es ihm beschrieben hatte: ein mürrischer Eigenbrötler, der kaum das Haus verließ. Vielleicht war seine Quelle in diesem Punkt nicht gut genug informiert gewesen. Als international tätiger Kunstexperte, so bezeichnete sich Hugenay selbst am liebsten, war es für seine Geschäfte wichtig, immer gut informiert zu sein. Dazu war er im Austausch mit verschiedenen Kontaktpersonen. Sein aktueller Mann in Rocky Beach war ein kleiner Ganove, der sich mit Hehlereien, mittelmäßigen Kunstfälschungen und dem Verkauf von Informationen durchs Leben schlug. Ob Teymur Torres ihm die richtigen Informationen verkauft hatte?

Hugenay blieb vor der Haustür stehen und überlegte für einen Moment, ob der alte Herr ihn ins Haus lassen würde. Schließlich wurde er nicht erwartet. Aber bisher hatte er noch jeden um den Finger gewickelt, und für seinen Plan war es notwendig, sich zunächst einmal einen Überblick zu verschaffen. Hugenay strich sich über seinen feinen schwarzen Schnurrbart und klopfte selbstbewusst an der Haustür. Es dauerte einige Minuten, bevor sich Schritte näherten. Die Tür wurde geöffnet und Hugenay blickte in die tiefblauen Augen einer jungen Frau. Sie trug ein helles Sommerkleid und hatte versucht, ihre Haare in einer Hochsteckfrisur zu bändigen, doch mehrere vorwitzige Haarsträhnen hatten sich gelöst und fielen in weichen Locken auf ihre Schultern. Noch bevor Victor Hugenay sich vorstellen konnte, rief eine schrille Stimme aus dem Inneren des Hauses: »Vivi, Schätzchen, ist das endlich der belgische Detektiv, den ich herbestellt habe? Er soll umgehend in den Salon kommen.«

»Ich denke schon, Tante Olive«, rief die junge Frau zurück und wandte sich dann an Hugenay. »Sie sind Mr Hercules, oder? Meine Tante erwartet Sie bereits ungeduldig. Ich bin Vivienne Hastings.«

Hugenay stutzte kurz. Dann machte er eine Kopfbewegung, die man als Nicken interpretieren konnte und antwortete bewusst mit stärkerem französischem Akzent als gewöhnlich: »Sehr erfreut, Mademoiselle. Aber bitte nennen Sie mich einfach Victor.«

»Gerne.« Vivienne Hastings bat Hugenay mit einer Handbewegung ins Haus. Er betrat die dunkel getäfelte Eingangshalle. Eine breite Treppe führte in das obere Stockwerk des Hauses.

Vivienne schloss hinter ihm die Haustür und nun war es hier so düster, wie es Hugenay ursprünglich erwartet hatte. Die Fenster waren von schweren Samtvorhängen verdeckt, die keinen Sonnenstrahl hineinließen. Vom kalifornischen Sommer war nichts mehr zu erahnen. Einige Lampen sorgten für mäßiges Licht in der Halle. Überall an den Wänden hingen große und kleine Ölgemälde. Die Bilder waren dicht gedrängt bis unter die hohe Decke der Eingangshalle angebracht. Auf einen Blick sah Hugenay, dass es sich um einen bunten Mix unterschiedlichster Stilrichtungen handelte. Stillleben mit Obst hingen neben Porträtstudien und impressionistischen Landschaftsbildern. Dazwischen entdeckte er große Jagdszenen und kubistische Bilder, die sehr an die Werke von Picasso erinnerten. Die überladenen Wände und die Beliebigkeit, mit der die Bilder zusammenhingen, beleidigten Hugenays Augen.

»Überwältigend«, kommentierte Hugenay trocken.

Vivienne Hastings hatte die Spitze nicht bemerkt und lächelte ihn offen an. »Ja, mein Onkel hat all diese Bilder im Laufe der Jahre gesammelt. Folgen Sie mir bitte.« Vivienne ging voraus durch die Halle auf eine große Tür zu. »Die Familie erwartet Sie im Salon.«

»Ist Mr Hastings auch anwesend?«, erkundigte sich Hugenay beiläufig.

Vivienne blieb abrupt stehen. »Aber … aber ich dachte, meine Tante hat Sie bereits informiert. Mein Onkel ist tot. Er starb vor zwei Wochen bei einem tragischen Unfall. Deshalb sind Sie doch hier, um das Testament für uns zu suchen, oder etwa nicht?«

Victor Hugenay neigte den Kopf ein wenig. Nun durfte er bloß keinen Fehler machen. Der alte Hastings war also verstorben. Vielleicht würde dieser Umstand Hugenays Plan sogar in die Hände spielen. »Oh, dann habe ich da wohl etwas missverstanden«, beeilte sich Hugenay zu versichern. »Natürlich bin ich hier, um Ihnen bei der Suche behilflich zu sein.«

»Ja, da hat sich Tante Olive wohl mal wieder zu umständlich ausgedrückt. Das ist ja nichts Neues.« Vivienne ging einige Schritte weiter und blieb vor der Tür stehen, die anscheinend nur angelehnt war. Dahinter waren mehrere Stimmen zu hören. »Hier ist der Salon. Sie werden gleich meine Familie kennenlernen. Aber Mr Hercules … ich meine, Victor …« Vivienne zögerte einen Moment, dann sprach sie mit leiser Stimme weiter. »Ich möchte Sie bitten, vorsichtig zu sein. Ich glaube, es steckt noch viel mehr hinter Onkelchens Testament.«

Hugenay hob die Augenbrauen. »Ist das so?«

»Ja, ich habe Grund zu der Annahme, dass Ihnen hier jemand nach dem Leben trachten wird, damit Sie das Geheimnis nicht lüften!«

»Wie muss ich das verstehen, Miss Hastings?«, fragte Hugenay leise.

»Vivienne, bitte.«

»Natürlich, Vivienne.« Hugenay lächelte leicht. »Sie möchten mich doch damit beauftragen, für Sie das Testament Ihres Onkels zu finden. Warum sollte mir also jemand etwas antun wollen?«

Aus dem Salon ertönte erneut die schrille Stimme: »Vivi, Schätzchen, wo bleibt ihr denn?«

»Wir sind unterwegs, Tante Olive!«, rief Vivienne Hastings laut und wandte sich dann Hugenay zu. Sie raunte ihm zu: »Wir sprechen später. Aber wenn Sie erst die Videobotschaft meines Onkels gesehen haben, werden Sie meine Befürchtungen sicher verstehen.«

Ohne eine Antwort von Hugenay abzuwarten, zog Vivienne die schwere Tür zum Salon auf.

»Tante Olive, das hier ist Mr Victor Hercules. Er ist der Detektiv, der uns helfen will, Onkelchens Testament zu finden.«

Hugenay trat ein und warf einen Blick in die Runde. Der Salon war deutlich heller als die Eingangshalle, was vermutlich daran lag, dass die Vorhänge vor den Verandatüren zum Garten nicht zugezogen waren. Auch hier hingen diverse Bilder an den Wänden. Allerdings handelte es sich hauptsächlich um verschiedene Abbildungen einer Fuchsjagd. Ein ausgestopfter Hirschkopf nahm die Wand über einer dunklen Anrichte ein. An einem gedeckten Teetisch in der Mitte des Salons saßen drei Personen. In einem Ohrensessel thronte eine gewichtige, grauhaarige Dame. Sie trug eine bunte Bluse mit Volants und trotz der herrschenden Hitze einen Tweedrock. Durch die halbmondförmigen Gläser ihrer Brille sah sie Victor Hugenay erwartungsvoll entgegen.

»Das hier ist Lady Olive Aubrey, meine Tante. Sie ist extra aus Somerset zur Testamentseröffnung angereist«, stellte Vivienne vor.

»Oh, wie wundervoll, Mr Hercules. Ich freue mich sehr, Ihre Bekanntschaft zu machen. Genauso habe ich mir einen erfolgreichen Detektiv vorgestellt.« Die durchdringende Stimme der alten Dame erfüllte den Salon.

Hugenay deutete eine Verbeugung an. »Enchanté, Madame.«

»Ach ja, die Belgier. Die sind immer so charmant.« Lady Olive lächelte erfreut. »Bitte nehmen Sie doch Platz.« Sie deutete auf einen Stuhl an ihrer Seite. Hugenay setzte sich. Ihm gegenüber auf einem kleinen Kanapee saß eine blonde Frau mit eisblauen Augen und einer spitzen Nase. Er schätzte sie auf Anfang 40. Sie trug ein rosafarbenes Designerkleid. Der Mann neben ihr hatte einen farbgleichen Pullover locker über die Schultern geworfen. Dazu trug er ein edles weißes Hemd. Sein Handgelenk zierte eine Rolex. Der Mann musterte den angeblichen Detektiv abschätzend und auch die Frau blickte mürrisch drein. Die Freude über Hugenays Anwesenheit teilten diese beiden anscheinend nicht.

»Das ist meine Tochter Kate und ihr nichtsnutziger Ehemann Oswald Chester Perkins. Verbringt seine Zeit lieber auf dem Golfplatz als in der Firma«, stellte Lady Olive das Paar vor.

»Mutter, ich glaube kaum, dass Mr Hercules das interessiert«, sagte Kate Perkins gereizt.

»Aber was wahr ist, bleibt auch wahr und sollte auch gesagt werden. Durch Oswalds finanzielle Eskapaden schrumpft das Familienvermögen wie Eis in der Sonne.«

»Also wirklich«, empörte sich Kate Perkins und nun zeigte sich, dass sie die schrille Stimme ihrer Mutter geerbt hatte. »Müssen wir Familienangelegenheiten vor einem Fremden ausdiskutieren? Oswald ist ein sehr erfolgreicher Börsenmakler. Jeder kann sich schließlich mal verspekulieren. Oswald, sag doch auch einmal etwas.«

Bevor Mr Perkins den Mund öffnen konnte, hob Lady Olive gebieterisch die Hand. »Schweig lieber, Oswald. Vivi, Schätzchen, könntest du wohl ein weiteres Teegedeck für Mr Hercules organisieren? Fjodor scheint mal wieder verschwunden zu sein«, lenkte Lady Olive die Unterhaltung in eine andere Richtung.

»Natürlich, Tante.« Vivienne nickte und verließ eilig den Salon.

»Fjodor ist der Butler meines verstorbenen Bruders. Wir haben ihn erst einmal hierbehalten, aber er ist nie zugegen, wenn man ihn braucht.« Lady Olive seufzte theatralisch. »Doch genug davon. Erzählen Sie uns doch ein wenig von sich. Haben Sie schon viele spannende Fälle gelöst? Ich stelle mir die Arbeit eines Detektivs ausgesprochen interessant vor.«

Hugenay neigte den Kopf ein wenig und antwortete zweideutig: »Nun, ich kann Ihnen versichern, Lady Olive, dass meine Arbeit durchaus spannend ist, aber ich hoffe, Sie verstehen, dass ich Ihnen keine Einzelheiten verraten kann.«

»Ah, natürlich. Sie haben eine Schweigepflicht Ihren Klienten gegenüber. Aber selbstverständlich weiß ich, dass Sie zu den besten Ihrer Zunft gehören. Meine Freundin Sigourney hat Sie in den höchsten Tönen gelobt. Ihre Aufklärungsrate soll legendär sein und es gibt keinen Auftrag, der Ihnen zu schwierig ist.«

Hugenay schmunzelte. »Durchaus. Man könnte sogar sagen, ich übernehme jeden Fall, Madame.«

Lady Olive nickte begeistert. »Wunderbar. Sie sind genau der Mann, den wir brauchen. Nicht wahr?«

Mr und Mrs Perkins rührten in ihren Teetassen und schwiegen weiterhin.

Victor Hugenay beugte sich vor und fragte Lady Olive: »Und damit wären wir beim Thema. Können Sie mir Näheres über den Tod Ihres Bruders berichten? Außerdem interessiert mich, wieso Sie nicht wissen, wo sich das Testament befindet?«

»Nun, ich lebe zwar immer noch in England auf dem Anwesen meines verstorbenen Mannes, aber natürlich habe ich meinen Bruder öfter besucht. Unser Kontakt war recht regelmäßig. Mein Bruder lebte zuvor einige Zeit in Russland und Rumänien. Nach seinem Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst hat es ihn hierher nach Rocky Beach verschlagen. Auch hier in Kalifornien habe ich ihn immer mal wieder besucht. Allerdings war ich die letzten Jahre kaum noch hier. Ich bin leider auch nicht mehr die Jüngste und meine Arthrose plagt mich zunehmend.« Dabei wies Lady Olive auf einen Gehstock mit Silberknauf, der neben ihrem Sessel lehnte. »Wie dem auch sei, mit meinem Bruder ging es die letzten zwei Jahre gesundheitlich bergab. Da ich länger nicht hier war, habe ich das gar nicht bemerkt. Aber immerhin ist er fast neun Jahre älter als ich gewesen. Kate und Oswald wohnen zwar hier, haben meinen Bruder aber nie besucht.« Sie warf ihrer Tochter einen vorwurfsvollen Blick zu.

»Wir wohnen in New York, wie du weißt. Das ist nicht gerade um die Ecke und Oswald muss viel arbeiten«, verteidigte sich Kate Perkins.

Lady Olive ignorierte den Einwand ihrer Tochter und fuhr fort: »Vivi, das gute Kind, hat meinen lieben Bruder regelmäßig besucht. Sie lebt mittlerweile in Los Angeles und arbeitet als Geschichtslehrerin. Vivi berichtete mir am Telefon, dass Harald gebrechlicher geworden war. Außerdem schien er wegen irgendetwas besorgt zu sein. Doch er wollte nicht darüber sprechen. Bei ihrem letzten Besuch hat er sie gar nicht mehr ins Haus gelassen. Vermutlich war es ihm unangenehm, dass es mit ihm so schnell bergab ging. Er war immer ein starker und selbstständiger Mann gewesen. Wenn ich gewusst hätte, wie es wirklich um ihn stand, hätte ich dafür gesorgt, dass er sich eine Pflegekraft ins Haus holt oder sogar in eine Seniorenresidenz zieht. Es hat ihm nicht gutgetan, hier ganz allein zu leben. Doch nun ist es leider zu spät. Er stürzte die Galerie im ersten Stock hinunter und brach sich das Genick. Armer Harald.«

Hugenay stutzte. »Sagten Sie nicht, es gibt einen Butler? Also war er doch nicht allein im Haus.«

»Fjodor sagte uns, er hätte an dem Abend freigehabt.« Lady Olive zuckte mit den Schultern. »Was nun das Testament betrifft, so hat mein Bruder es vermutlich versteckt. Sein Anwalt zeigte uns lediglich ein Video, in dem Harald uns auffordert, sein Testament zu finden. Ich habe den Anwalt für heute hierherbestellt, damit er uns die Videoaufzeichnung noch einmal vorspielt. Dann können Sie selbst hören, was mein Bruder uns mitgeteilt hat.«

Hugenay rieb sich das Kinn. »Merkwürdig, er hinterlässt beim Anwalt eine Botschaft an seine Familie, aber hinterlegt dort nicht sein Testament. Das ist doch ziemlich ungewöhnlich.«

»Wenn ihr mich fragt, war der alte Zausel einfach nicht mehr Herr seiner Sinne«, meldete sich Oswald Perkins zu Wort.