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Firmenchef Dr. Christian Dornberg verbringt kaum noch Zeit zu Hause mit seiner Frau. Sogar den zwanzigsten Hochzeitstag vergisst er vor lauter Arbeit.
Doch Marianne Dornberg ist weit davon entfernt, misstrauisch zu sein, denn sie weiß ja, wie viel Einsatz die Leitung eines großen Unternehmens erfordert. Überstunden und Geschäftsreisen gehören nun einmal dazu.
Doch dann kommt das Mädchen Jacqueline aus Paris zu Besuch, und plötzlich hat Dr. Christian Dornberg Zeit - sehr viel Zeit ...
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Seitenzahl: 135
Cover
Impressum
Die Versuchung
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln
Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: shutterstock/Oleg Gekman
E-Book-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln
ISBN 978-3-7325-2914-8
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
www.bastei.de
Die Versuchung
Schicksalsroman um eine enttäuschte Frau
Von Anke von Doren
Firmenchef Dr. Christian Dornberg verbringt kaum noch Zeit zu Hause mit seiner Frau. Sogar den zwanzigsten Hochzeitstag vergisst er vor lauter Arbeit.
Doch Marianne Dornberg ist weit davon entfernt, misstrauisch zu sein, denn sie weiß ja, wie viel Einsatz die Leitung eines großen Unternehmens erfordert. Überstunden und Geschäftsreisen gehören nun einmal dazu.
Doch dann kommt das Mädchen Jacqueline aus Paris zu Besuch, und plötzlich hat Dr. Christian Dornberg Zeit – sehr viel Zeit …
„Es ist so weit, Sie können jetzt den Grill einschalten, Frau Menzel“, sagte Marianne Dornberg mit einem Blick auf Küchenuhr. „Mein Mann wird jeden Moment eintreffen.“
Sie öffnete den Kühlschrank und prüfte mit der Hand die Temperatur der Sektflasche. Was die Getränke betraf, war Christian sehr genau, und gerade heute sollte er keinen Anlass zu Tadel haben.
„Sekt zum Abendessen! Und das an einem gewöhnlichen Wochentag“, bemerkte Frau Menzel, Mariannes langjährige Hilfe, kopfschüttelnd. „Soviel ich weiß, hat heute niemand Geburtstag.“
„Stimmt, Frau Menzel“, lachte Marianne. „Aber finden Sie nicht auch, dass der zwanzigste Hochzeitstag Grund genug ist für ein festliches Abendessen?“
Frau Menzel legte den Löffel, mit dem sie gerade die Salatsoße probiert hatte, mit Nachdruck auf den Küchentisch.
„Richtig, heute ist ja der 19. Mai – Ihr Hochzeitstag! Wie konnte ich das nur vergessen? Aber wie mir scheint, bin ich nicht die Einzige, die nicht daran gedacht hat. Ein Blumenstrauß wäre das Mindeste gewesen, was der Herr Doktor Ihnen …“
„Es war sicher keine böse Absicht, dass mein Mann unseren Hochzeitstag vergessen hat“, unterbrach Marianne Frau Menzel rasch, aber sie konnte nicht verhindern, dass ihr eine leichte Röte in die Wangen stieg. „Sie wissen ja, Frau Menzel, was mein Mann alles um die Ohren hat. Der Betrieb frisst ihn förmlich auf, dazu der Ärger mit den Angestellten, neuerdings diese ewigen Streiks um höhere Löhne … Darum nehme ich es meinem Mann auch nicht übel, dass er nicht an unseren Hochzeitstag gedacht hat. In zwanzigjähriger Ehe kann das schon einmal vorkommen, nicht wahr?“
Frau Menzel zuckte die Schultern. „Trotzdem hätte der Herr Doktor Ihnen doch ein paar Blumen schicken können.“
Marianne lachte. „Ach was! Ich bin schon zufrieden, wenn er heute Abend wenigstens pünktlich nach Hause kommt.“
„Hoffentlich haben Sie sich nicht zu früh gefreut, Frau Dornberg“, brummte Frau Menzel. Sie war lange genug im Hause Dornberg angestellt, um zu wissen, dass die Familie höchst selten einmal vollzählig zu den Mahlzeiten erschien.
In diesem Moment hörten sie, wie ein Schlüssel in die Haustür gesteckt wurde. Marianne warf Frau Menzel einen triumphierenden Blick zu.
„Na, bitte – da ist er ja!“ Sie strich sich rasch über das Har und eilte erwartungsvoll in die Diele.
Aber es war nicht, wie sie gehofft hatte, ihr Mann, sondern Michael, ihr achtzehnjähriger Sohn. Marianne schluckte die Enttäuschung herunter und hielt ihrem Großen die Wange hin, was dieser jedoch übersah.
„Guten Abend, Mutsch! Ist das Essen fertig?“
„Fein, dass du schon da bist, Michael“, sagte Marianne und hängte die Jacke, die Michael unordentlich über den Dielenstuhl geworfen hatte, auf einen Bügel an die Garderobe. „Da sind wir endlich einmal wieder alle zum Essen beisammen, was neuerdings so selten vorkommt. Papa muss auch gleich hier sein. Sei so gut und ziehe dich heute ausnahmsweise zum Essen um, ja?“
Michael sah mit gerunzelter Stirn an sich herunter.
„Umziehen? Wieso das denn?“ Er steckte seinen Kopf ins Esszimmer und pfiff überrascht durch die Zähne. „Nanu – das beste Familiensilber, Sektgläser und sogar Kerzen! Was hat denn das zu bedeuten? Erwartet ihr etwa Gäste?“
Marianne schüttelte den Kopf. „Das nicht, aber heute ist unser zwanzigster Hochzeitstag. Ich habe ein kleines Festmahl vorbereitet. Deshalb möchte ich gern, dass du ein wenig manierlich bei Tisch erscheinst. Du weißt, Papa hasst unkorrekte Kleidung.“
„Und ich hasse es, mich wie ein braver Bubi fein machen zu müssen!“, begehrte Michael auf. „Im Übrigen werdet ihr ohne mich essen, denn ich habe heute Abend noch etwas vor. Frau Menzel soll mir rasch ein paar Wurststullen machen.“
Marianne biss sich auf die Lippe und sah Michael, der in seinem Zimmer verschwand, traurig nach.
Seit er mit der Schule fertig war, hatte sie herzlich wenig von ihrem Sohn. Es gab kaum einen Abend, den er zu Hause blieb, eigentlich kam er nur noch zum Essen und Schlafen heim.
Langsam musste man sich wohl mit dem Gedanken vertraut machen, dass er seine eigenen Wege ging und sich mehr und mehr vom Elternhaus löste. Das war wohl der Lauf der Welt. Trotzdem fiel es Marianne schwer, einzusehen, dass ihr Michael, der in ihren Augen noch immer ein Bub war, erwachsen wurde.
Ein Trost nur, dass er sein Biologiestudium an der hiesigen Universität absolvieren wollte, wenigstens die ersten Semester. So konnte man den Jungen noch eine Weile im Auge behalten.
Wo nur Christian blieb? Die Uhr zeigte bereits Viertel vor acht.
Marianne überlegte, ob sie in der Firma anrufen solle, aber sie verwarf es wieder. Es konnte ja sein, dass Christian gerade in einer wichtigen Sitzung war, die er mit Vorliebe auf die späten Abendstunden verlegte, und er liebte es nicht, mit Anrufen gestört zu werden.
Seufzend ging sie in die Küche, um Frau Menzel zu bitten, ein paar Butterbrote für Michael zu machen.
„Soll ich die Steaks grillen oder nicht?“, wollte Frau Menzel ein wenig ungeduldig wissen. „Der Grill ist glühend rot.“
„Schalten Sie ihn wieder aus“, sagte Marianne mit dem schwachen Versuch eines entschuldigenden Lächelns. „Mein Mann wird aufgehalten worden sein. Ich werde die Steaks dann selbst grillen. Machen Sie bitte ein paar Sandwiches für Michael, er will noch fort. Und dann können Sie gehen, Frau Menzel, es ist ja gleich acht Uhr.“
Schweigend machte sich die Haushälterin an die Arbeit. Sie hatte sich längst abgewöhnt, sich über etwas zu wundern. In diesem Haus lief eben immer alles anders als vorgesehen.
Die kleine Frau Dornberg konnte einem leidtun. Sie war so viel allein, trotzdem beklagte sie sich nie, sondern versuchte noch, ihre Männer zu verteidigen.
Das Telefon in der Diele schrillte. Mit einem unguten Gefühl nahm Marianne Dornberg den Hörer ab. Es war Dr. Christian Dornberg, der sich meldete.
„Marianne? Verzeih, dass ich erst jetzt anrufe, aber ich fand vorher einfach keine Zeit. – Nein, ich bin nicht mehr im Büro, ich bin im Excelsior – du weißt, in der Nähe des Doms. Hör zu, Liebes, es sind ganz überraschend ein paar Geschäftsfreunde aus Paris gekommen, die ich zum Essen ausführen muss. Allesamt sehr wichtige Leute für mich. Drück mir die Daumen, vielleicht springt ein großer Auftrag für uns heraus. – Wie? Du hast mit dem Essen gewartet? Tut mir leid, Liebes, aber es ließ sich wirklich nicht anders einrichten. Mach dir einen gemütlichen Abend. Und warte nicht auf mich, es wird sicher spät werden.“
Mit blassen Lippen hängte Marianne ein. Mach dir einen gemütlichen Abend … Was Christian sich darunter wohl vorstellen mochte?
Um ihre hübsch geschwungenen Lippen lag ein bitterer Zug. Es war freilich nicht das erste Mal, dass er mit Geschäftsfreunden ausgehen musste, aber heute tat etwas in ihr weh. Vielleicht war es, weil Christian mit keinem Wort ihren Hochzeitstag erwähnt hatte. Zum ersten Mal in ihrer langen Ehe hatte er ihn tatsächlich vergessen.
Nun ja, nach zwanzig Ehejahren …
***
Dr. Christian Dornberg sah müde und verkatert aus, als er am nächsten Morgen am Frühstückstisch erschien. Er küsste seine Frau nur flüchtig auf die Stirn und stürzte begierig ein Glas frisch gepressten Orangensaft hinunter.
„Hoffentlich habe ich dich nicht geweckt heute Nacht“, sagte er, während er sein Ei köpfte. „Ich fürchte, ich hatte ziemlich Schlagseite. Nach dem Essen im Excelsior wollten die Herren aus Paris unbedingt noch das Kölner Nachtleben kennenlernen, als ob sie das zu Hause nicht besser hätten. Es war noch sehr lustig. Unglaublich, was diese Franzosen an Alkohol konsumieren können.“
Marianne schenkte ihrem Mann eine Tasse Kaffee ein. Sie sah blass aus an diesem Morgen, denn natürlich hatte sie, bis Christian heimkam, kein Auge schließen können.
„Hat es sich wenigstens gelohnt? Ich meine, hast du einen neuen Auftrag an Land ziehen können?“, erkundigte sie sich.
Dr. Dornberg nickte befriedigt. „Einen Bombenauftrag sogar, der die Produktion unserer Kunstfasererzeugnisse auf Monate hinaus sichert. Der Abschluss des Vertrages ist so gut wie perfekt, über die Einzelheiten müssen wir noch beraten. Ich bin äußerst zufrieden.“
„Das freut mich für dich“, sagte Marianne ehrlich. Sie wusste, wie wichtig dieser Auftrag für die Chemischen Werke Dornberg war. Das entschuldigte selbstverständlich Christians Fernbleiben gestern Abend, selbst seine Vergesslichkeit, und da Marianne nicht nachtragend war, war sie ihrem Mann auch nicht länger böse.
„Und du, mein Schatz? Wie hast du den Abend verbracht?“, erkundigte Christian Dornberg sich mehr aus Höflichkeit denn Interesse und schlug die Morgenzeitung auf.
Marianne lächelte nachsichtig. „Ich habe bei Mozartklängen unseren zwanzigsten Hochzeitstag zelebriert. Es war recht hübsch. Das Konzert natürlich.“
Dr. Dornberg ließ die Zeitung sinken und sah seine Frau erschrocken an. In seinem gut geschnittenen Gesicht malte sich echte Zerknirschtheit.
„Unser Hochzeitstag! O Marianne, den habe ich total verschwitzt. Kannst du mir noch einmal verzeihen? Selbstverständlich werde ich mein Versäumnis wieder wettmachen. Was war es doch, wovon du neulich sprachst? War es nicht ein neues Kostüm? Oder das Brillantcollier, das wir bei Hielscher in der Auslage sahen?“
„Ach, lass nur, Christian“, wehrte Marianne ab. „Du sollst mir keine so kostspieligen Geschenke machen. Du hättest ja auch gar keine Zeit, in die Stadt zu fahren.“
Dr. Dornberg nickte zerstreut, denn seine Gedanken weilten schon wieder bei dem Leitartikel auf der Wirtschaftsseite.
„Das stimmt. Der Betrieb nimmt mich derart in Anspruch, dass ich keine fünf Minuten einen privaten Gedanken fassen kann. Weißt du was? Ich gebe dir Geld, und du kaufst dir selbst etwas Hübsches, ja?“
Er griff in die Seitentasche seines Jacketts und holte seine Brieftasche hervor.
Über einen Rosenstrauß wurde ich mich mehr freuen, dachte Marianne ein wenig enttäuscht, während sie zögernd die Hand nach dem Geld ausstreckte.
Voller Wehmut dachte sie an die Zeit, als sie jung verheiratet gewesen waren. Damals war Christian erst ein unbedeutender Abteilungsleiter mit einem kleinen Monatsgehalt gewesen, sie hatten sich sehr einschränken müssen.
Trotzdem hatte er ihr dann und wann kleine Geschenke gemacht, sehr persönliche und mit viel Liebe und Fantasie ausgewählte Geschenke, über die sie sich maßlos gefreut hatte. Einmal, so erinnerte sie sich, war es nur ein kleiner Feldblumenstrauß gewesen, den Christian irgendwo vor der Stadt gepflückt und ihr zusammen mit einem entzückenden selbst erdachten Liebesgedicht zum Geburtstag überreicht hatte. Karge, aber schöne Zeiten waren das gewesen.
„Du sagst ja gar nichts“, vernahm sie die Stimme ihres Mannes. „Möchtest du vielleicht mehr haben? Du brauchst es nur zu sagen, du weißt doch, ich bin nicht kleinlich.“
Marianne schüttelte hastig den Kopf. „Nein, nein, dies reicht völlig. Vielen Dank, Christian.“
Dr. Dornberg faltete seine Serviette zusammen und erhob sich.
„Tja, dann muss ich wohl an die Arbeit. Heute ist Vorstandssitzung.“
Marianne folgte ihm in die Diele und reichte ihm Hut und Aktentasche.
Dr. Dornberg war bereits in der Tür, als ihm noch etwas einfiel.
„Beinahe hätte ich etwas Wichtiges vergessen. Monsieur Durand – du weißt, das ist mein Pariser Geschäftsfreund, dem ich den großen Auftrag verdanke – bat mich um einen persönlichen Gefallen. Seine Tochter Jacqueline studiert an der Sorbonne Sprachen und möchte, um ihre Deutschkenntnisse aufzufrischen, für ein paar Monate in einer deutschen Familie leben. Als Au-pair-Mädchen, wie Herr Durand sich ausdrückte. Haustochter heißt es wohl bei uns. Hättest du etwas dagegen, wenn diese Jacqueline zu uns käme, Marianne?“
Marianne erinnerte sich, den Ausdruck Au-pair-Mädchen erst kürzlich gehört zu haben. Es war beim Bridgenachmittag bei Frau Tüngel gewesen. Eine der anwesenden Damen, Mutter zweier kleiner Kinder, hatte davon gesprochen, endlich eine Hilfe zu haben: eine junge Schwedin namens Ulla.
Sie lebte in der Familie wie eine Tochter, ging der Hausfrau bei der Hausarbeit ein wenig zur Hand und kümmerte sich um die Kinder. In ihren Freistunden konnte Ulla ihren Sprachstudien nachgehen und erhielt obendrein ein angemessenes Taschengeld. Die Damen der Bridgerunde waren einhellig der Meinung gewesen, dass das doch eine feine Sache sei, und das fand Marianne auch.
„Ich wüsste nicht, was ich dagegen haben sollte“, sagte Marianne. „Weißt du, wie alt diese Jacqueline ist?“
Dr. Dornberg war über Mariannes Zustimmung sichtlich erfreut.
„Zu dumm, das habe ich Monsieur Durand leider nicht gefragt. Aber wenn sie Studentin ist, wird sie in Michaels Alter sein, vielleicht sogar etwas älter. Ich bin sicher, die beiden werden sich gut verstehen. Herr Durand schwärmte geradezu von seiner Tochter und hob besonders ihre Kochkünste hervor. Na, wir werden ja sehen … Ich kann Herrn Durand also mitteilen, dass Jacqueline uns willkommen ist?“
„Natürlich, Christian. Ich freue mich auf das Mädchen, bin ich dann doch nicht mehr so viel allein. Welches Gästezimmer, meinst du, sollte ich für sie herrichten lassen? Das kleine Mansardenzimmer oder das hier unten?“
Christian Dornberg rieb sich nachdenklich die Nase.
„Das Mansardenzimmer ist mehr ein Dienstmädchenzimmer und reichlich klein, findest du nicht auch? Bringe sie ruhig hier unten unter, sie soll sich zur Familie gehörig fühlen. – Aber nun wird es höchste Zeit für mich, sonst komme ich zu spät zur Sitzung.“
Als Christian fort war, schenkte Marianne sich noch eine Tasse Kaffee ein und zündete sich eine Zigarette an. Sie hatte noch keine drei Züge geraucht, als Michael im Bademantel und mit verstrubbelten Haaren erschien. Er gähnte laut und setzte sich mit einem missmutigen Gesicht an den Frühstückstisch.
„Nanu, du rauchst, Mutsch?“, sagte er statt eines Morgengrußes.
„Ich denke nach, und wenn ich nachdenke, rauche ich immer“, entgegnete Marianne und füllte seine Tasse.
Michael angelte nach einem Brötchen und begann, es mit Butter zu bestreichen.
„Und worüber denkst du nach, wenn ich fragen darf?“
„Darüber, dass mein Sohn in Zukunft nicht mehr in diesem unordentlichen Aufzug am Frühstückstisch erscheinen wird“, sagte Marianne mit geheimnisvollem Lächeln. „Wir bekommen nämlich bald Familienzuwachs.“
Michael hatte gerade einen Schluck Kaffee genommen und verschluckte sich prompt.
„Was? Familienzuwachs?“, prustete er krächzend. „Man sieht doch gar nichts. Sag bloß, du kriegst ein Baby. Dazu bist du doch schon viel zu alt, Mutsch!“
Erst jetzt begriff Marianne, was Michael unter Familienzuwachs verstanden hatte, und sie lachte hellauf.
„Ich und alt? Na, hör mal“, sagte sie mit gespielter Entrüstung. „Mit meinen achtunddreißig Jahren kann ich gut und gern noch ein Baby bekommen, aber zu deiner Beruhigung: Es ist nicht an dem. Du hast mich missverstanden. Oder ich habe mich ungeschickt ausgedrückt. Aber es stimmt, dass wir demnächst vier Personen am Frühstückstisch sind.“
In kurzen Worten berichtete sie Michael von dem Gespräch mit seinem Vater, das soeben stattgefunden hatte.
Michael schien alles andere als begeistert.
„Solch blöden Einfall konnte auch nur Papa haben!“, schimpfte er missgelaunt. „Ich denke nicht daran, mich wegen dieses Mädchens schon morgens in Schale zu werfen. Wenn ihr mein Aufzug nicht passt, kann sie ja bleiben, wo sie ist. Und wenn ich das schon höre: Studentin an der Sorbonne! Auf mich macht das keinen Eindruck. Du wirst sehen, kein vernünftiges Wort wird man mit der reden können.“
„Aber Michael, wie kannst du so etwas sagen? Du kennst Jacqueline Durand ja noch gar nicht. Warte doch erst ab, vielleicht ist sie ganz nett.“
***
Am Freitagnachmittag erwartete Marianne voller Ungeduld ihre Freundin Ellen Martini zum traditionellen Tee- und Plauderstündchen. Marianne brannte darauf, der Freundin von Jacqueline Durand zu berichten.
Als es Punkt fünf Uhr an Tür läutete, eilte Marianne froh gestimmt an die Tür.
„Schön, dass du da bist! Ich habe dir viel zu erzählen. Komm herein!“ Sie zog die Freundin in die Diele.
„Ich habe auch Neuigkeiten für dich!“, erwiderte Ellen Martini, die wie immer sehr elegant und geschmackvoll gekleidet war. In der Hand schwenkte sie ein Mimosensträußchen.
Marianne nahm ihr die Blumen ab.
„Mimosen – wie hübsch! Danke, Ellen. Lege bitte ab, während ich die Blumen ins Wasser stelle.“
Marianne ging in die Küche, ordnete die Mimosen in einer Vase und drehte die Gasflamme unter dem Wasserkessel höher.
„Der Tee ist gleich fertig, Ellen“, rief sie durch die angelehnte Tür. „Möchtest du ihn heute englisch oder friesisch?“
„Englisch, und bitte recht stark“, sagte Ellen, die als Journalistin bei einer großen Tageszeitung arbeitete. „Ich habe eine Aufmunterung bitter nötig. Puh, war das heute wieder ein Tag!“
„War es das, wovon du mir erzählen wolltest?“, erkundigte sich Marianne teilnahmsvoll.