Rosa Luxemburg: Briefe aus dem Gefängnis - Rosa Luxemburg - E-Book

Rosa Luxemburg: Briefe aus dem Gefängnis E-Book

Rosa Luxemburg

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Beschreibung

Das Buch 'Rosa Luxemburg: Briefe aus dem Gefängnis' bietet einen faszinierenden Einblick in das Leben und die Gedanken der bekannten marxistischen Theoretikerin und Revolutionärin Rosa Luxemburg während ihrer Inhaftierung im Ersten Weltkrieg. Der literarische Stil der Briefe ist eindringlich und einfühlsam, und Luxemburgs klare und kluge Beobachtungen zu politischen und gesellschaftlichen Themen sind sowohl inspirierend als auch aufschlussreich. Die Briefe reflektieren auch die Zeit, in der sie geschrieben wurden, und bieten somit einen wichtigen Einblick in die Geschichte und die politischen Bewegungen des frühen 20. Jahrhunderts.

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Rosa Luxemburg

Rosa Luxemburg: Briefe aus dem Gefängnis

Denken und Erfahrungen der internationalen Revolutionärin

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-7583-324-2

Inhaltsverzeichnis

Briefe aus dem Gefängnis
Biografie

Briefe Aus Dem Gefängnis

Inhaltsverzeichnis
Aus Leipzig
Aus Berlin
Aus Wronke
Aus Breslau
Aus dem Briefe vom 20. Juli 1917

Aus Leipzig

Inhaltsverzeichnis

Postkarte.1

Leipzig, 7. 7. 16. Meine liebe kleine Sonja!

Es ist heute eine drückende feuchte Hitze, wie meist in Leipzig – ich vertrage so schlecht die Luft hier. Ich saß vormittag 2 Stunden in den Anlagen am Teich und las im »Reichen Mann«.2 Die Sache ist brillant. Ein altes Mütterchen setzte sich neben mich, tat einen Blick auf das Titelblatt und lächelte: »Das muß ein feines Buch sein. Ich lese auch gern Bücher«. Bevor ich mich zum Lesen hinsetzte, prüfte ich natürlich die Anlagen auf Bäume und Sträucher hin – alles bekannte Gestalten, was ich mit Befriedigung feststellte. Die Berührung mit Menschen befriedigt mich dagegen immer weniger; ich glaube, ich werde mich doch bald ins Anachoretentum zurückziehen, wie der hl. Antonius, aber – sans tentations mehr. Seien Sie heiter und ruhig.

Herzliche Grüße Rosa.

Den Kindern viele Grüße.

Aus Berlin

Inhaltsverzeichnis

Postkarte.

Berlin, den 5. 8. 1916. (Gefängnis in der Barnimstraße.)

Meine liebe kleine Sonja!

Heute, am 5. August, erhalte ich soeben Ihre beiden Briefe zusammen: den vom 11. Juli (!!) und den vom 23. Juli. Sie sehen, die Post zu mir geht länger als nach New York. Inzwischen habe ich auch die Bücher gekriegt, die Sie mir geschickt hatten und ich danke Ihnen für alles aufs herzlichste. Es tut mir sehr weh, daß ich Sie in Ihrer Lage verlassen mußte; wie gern möchte ich mit Ihnen im Feld wieder ein wenig schlendern oder im Erker in der Küche auf den Sonnenuntergang blicken .... Von Helmi hatte ich eine ausführliche Karte mit der Reisebeschreibung. Vielen, vielen Dank auch für Hoelderlin. Aber Sie müssen nicht so mit dem Geld für mich schmeißen, das ist mir eine Pein. Auch für alle guten Sachen und die Wicken herzlichen Dank. Schreiben Sie bald, dann kriege ich es vielleicht noch in diesem Monat. Ich drücke Ihnen fest und warm die Hand. Bleiben Sie tapfer und lassen Sie sich nicht niederdrücken. Ich bin in Gedanken bei Ihnen. Grüßen Sie vielmals Karl und die Kinder.

Ihre Rosa.

Aus Wronke

Inhaltsverzeichnis

Postkarte.3

Wronke, 24. 8. 1916.

Liebe Sonitschka, daß ich jetzt nicht bei Ihnen sein kann! Die Sache trifft mich schwer. Aber, bitte, behalten Sie den Kopf oben, manches wird schon anders, als es jetzt aussieht. Jetzt müssen Sie aber fort – irgendwo aufs Land, ins Grüne, wo es schön ist und wo Sie Pflege finden. Es hat keinen Sinn und Zweck, daß Sie jetzt weiter hier sitzen und immer mehr herunterkommen. Bis zur letzten Instanz können wieder Wochen vergehen. Bitte, gehen Sie sobald wie irgend möglich.... Für Karl wird es sicher auch eine Erleichterung sein, wenn er Sie auf Erholung weiß. Tausend Dank für Ihre lieben Zeilen vom 10. und für die guten Gaben. Sicher werden wir nächstes Frühjahr zusammen im Feld und im Botanischen herumstreifen, ich freue mich jetzt schon darauf. Aber jetzt gehen Sie fort von hier, Sonitschka! Können Sie nicht zum Bodensee, damit Sie ein bißchen den Süden spüren!? Bevor Sie gehen, möchte ich Sie unbedingt sehen, machen Sie eine Eingabe in der Kommandantur. Schreiben Sie bald wieder eine Zeile. Bleiben Sie ruhig und heiter trotz alledem! Ich umarme Sie.

R.

Für Karl tausend herzliche Grüße.

Die beiden Karten von Helmi und Bobbi habe ich erhalten und mich sehr gefreut.

*   *   *

Wronke, 21. 11. 16.

Meine geliebte kleine Sonitschka,

ich erfuhr von Mathilde, daß Ihr Bruder gefallen ist, und bin ganz erschüttert von diesem Schlag, der Sie wieder traf. Was müssen Sie alles in der letzten Zeit ertragen! Und ich kann nicht einmal bei Ihnen sein, um Sie ein wenig zu erwärmen und aufzuheitern!... Auch bin ich unruhig um Ihre Mutter, wie sie dieses neue Leid ertragen wird. Das sind böse Zeiten, und wir haben alle eine lange Verlustliste im Leben zu verzeichnen. Jeder Monat kann jetzt wahrhaftig wie bei Sebastopol für ein Jahr zählen. Hoffentlich kann ich Sie recht bald sehen, ich sehne mich danach von ganzem Herzen. Wie haben Sie die Nachricht von Ihrem Bruder erhalten, durch die Mutter oder direkt? Und was hören Sie von dem anderen Bruder? Ich wollte Ihnen so gern durch die Mathilde etwas schicken, habe aber hier leider gar nichts, als das kleine bunte Tüchlein; lachen Sie's nicht aus; es sollte Ihnen nur sagen, daß ich Sie sehr liebe. Schreiben Sie bald eine Zeile, damit ich sehe, in welcher Verfassung Sie sind. Grüßen Sie tausendmal Karl. Ich umarme Sie herzlichst

Ihre Rosa.

Den Kindern viele Grüße!

*   *   *

Wronke, 15. 1. 17.

.... Ach, heute gab es einen Augenblick, da ich's bitter spürte. Der Pfiff der Lokomotive um 3,19 sagte mir, daß Mathilde abdampft, und ich lief gerade wie ein Tier im Käfig den gewohnten »Spaziergang« an meiner Mauer entlang, hin und zurück, und mein Herz krampfte sich zusammen vor Schmerz, daß ich nicht auch fort von hier kann, o, nur fort von hier! Aber das macht nichts, mein Herz kriegte gleich darauf einen Klaps und mußte kuschen; es ist schon gewöhnt, zu parieren wie ein gut dressierter Hund. Reden wir nicht von mir.

Sonitschka, wissen Sie noch, was wir uns vorgenommen haben, wenn der Krieg vorbei ist? Eine Reise zusammen nach dem Süden. Und wir tun das! Ich weiß, Sie träumen davon, mit mir nach Italien zu gehen, das Ihnen das Höchste ist. Ich plane hingegen, Sie nach Korsika zu schleppen. Das ist noch mehr als Italien. Dort vergißt man Europa, wenigstens das moderne Europa. Denken Sie sich eine breite heroische Landschaft mit strengen Konturen der Berge und Täler, oben nichts als kahle Felsklumpen von edlem Grau, unten üppige Oliven, Lorbeerkirschen und uralte Kastanienbäume. Und über allem eine vorweltliche Stille – keine Menschenstimme, kein Vogelruf, nur ein Flüßchen schlickert irgendwo zwischen Steinen, oder in der Höhe raunt zwischen Felsklippen der Wind – noch derselbe, der Odysseus' Segel schwellte. Und was Sie an Menschen treffen, stimmt genau zur Landschaft. Plötzlich erscheint z. B. hinter einer Biegung des Bergpfades eine Karawane – die Korsen gehen immer hintereinander in gestreckter Karawane, nicht im Haufen wie unsere Bauern. Vorne läuft gewöhnlich ein Hund, dann schreitet langsam etwa eine Ziege oder ein mit Säcken voller Kastanien beladenes Eselchen, dann folgt ein großes Maultier, auf dem eine Frau im Profil zum Tiere mit gerade herabhängenden Beinen sitzt, ein Kind in den Armen. Sie sitzt hoch aufgerichtet, schlank wie eine Zypresse, unbeweglich; daneben schreitet ein bärtiger Mann in ruhiger fester Haltung, beide schweigen. Sie würden schwören: es ist die heilige Familie. Und solche Szenen treffen Sie dort auf jeden Schritt. Ich war jedesmal so ergriffen, daß ich unwillkürlich in die Knie sinken wollte, wie ich's immer vor vollendeter Schönheit muß. Dort ist noch die Bibel lebendig und die Antike. Wir müssen hin, und so wie ich's getan: zu Fuß die ganze Insel durchqueren, jede Nacht an einem anderen Ort ruhen, jeden Sonnenaufgang schon im Wandern begrüßen. Lockt Sie das? Ich wäre glücklich, Ihnen diese Welt vorzuführen...

Lesen Sie viel, Sie müssen auch geistig vorwärts kommen, und Sie können das – Sie sind noch frisch und biegsam. Und nun muß ich schließen. Seien Sie heiter und ruhig an diesem Tage.

Ihre Rosa.

*   *   *

Wronke, 18. 2. 17.

.... Seit langem hat mich nichts so erschüttert, wie der kurze Bericht Marthas über Ihren Besuch bei Karl, wie Sie ihn hinter dem Gitter fanden und wie das auf Sie wirkte. Weshalb haben Sie mir das verschwiegen? Ich habe ein Anrecht, an allem, was Ihnen weh tut, teilzunehmen, und lasse meine Besitzrechte nicht kürzen! Die Sache hat mich übrigens lebhaft an mein erstes Wiedersehen mit den Geschwistern vor 10 Jahren in der Warschauer Zitadelle erinnert. Dort wird man in einem förmlichen Doppelkäfig aus Drahtgeflecht vorgeführt, d. h. ein kleinerer Käfig steht frei in einem größeren, und durch das flimmernde Geflecht der beiden muß man sich unterhalten. Da es dazu just nach einem 6tägigen Hungerstreik war, war ich so schwach, daß mich der Rittmeister (unser Festungskommandant) ins Sprechzimmer fast tragen mußte und ich mich im Käfig mit beiden Händen am Draht festhielt, was wohl den Eindruck eines wilden Tieres im Zoo verstärkte. Der Käfig stand in einem ziemlich dunklen Winkel des Zimmers und mein Bruder drückte sein Gesicht ziemlich dicht an den Draht. »Wo bist Du?« frug er immer und wischte sich vom Zwicker die Tränen, die ihn am Sehen hinderten. – Wie gern und freudig würde ich jetzt dort im Luckauer Käfig sitzen, um es Karl abzunehmen!

Richten Sie an Pfemfert meinen herzl. Dank für den Galsworthy aus. Ich habe ihn gestern zu Ende gelesen und freue mich sehr darüber. Dieser Roman hat mir freilich viel weniger gefallen als »Der reiche Mann«, nicht trotzdem, sondern weil die soziale Tendenz dort mehr überwiegt. Im Roman schaue ich nicht nach der Tendenz, sondern nach künstlerischem Wert. Und in dieser Beziehung stört mich in den »Weltbrüdern«, daß Galsworthy zu geistreich ist. Das wird Sie wundern. Aber es ist derselbe Typ wie Bernard Shaw und auch wie Oskar Wilde, ein jetzt in der englischen Intelligenz wohl stark verbreiteter Typus: eines sehr gescheiten, verfeinerten, aber blasierten Menschen, der alles in der Welt mit lächelnder Skepsis betrachtet. Die feinen ironischen Bemerkungen, die Galsworthy über seine eigenen personae dramatis mit dem ernstesten Gesicht macht, lassen mich oft laut auflachen. Aber wie wirklich wohlerzogene und vornehme Menschen nie oder selten über ihre Umgebung spötteln, wenn sie auch alles Lächerliche bemerken, so ironisiert ein wirklicher Künstler nie über seine eigenen Geschöpfe. Wohlverstanden, Sonitschka, das schließt die Satyre großen Stils nicht aus! Zum Beispiel »Emanuel Quint« von Gerhart Hauptmann ist die blutigste Satyre auf die moderne Gesellschaft, die seit hundert Jahren geschrieben worden ist. Aber Hauptmann selbst grinst dabei nicht; er steht zum Schluß mit bebenden Lippen und weit offenen Augen, in denen Tränen schimmern. Galsworthy dagegen wirkt auf mich mit seinen geistreichen Zwischenbemerkungen wie ein Tischnachbar, der mir auf einer Soiree beim Eintreten jedes neuen Gastes in den Salon eine Malice über ihn ins Ohr flüstert.....

... Heute ist wieder Sonntag, der tötlichste Tag für Gefangene und Einsame. Ich bin traurig, wünsche aber sehnlichst, daß Sie es nicht sind und Karl auch nicht. Schreiben Sie bald, wann und wohin Sie endlich zur Erholung gehen.

Ich umarme Sie herzlichst und grüße die Kinder

Ihre Rosa.

Kann Pf. mir nicht noch etwas Gutes schicken? Vielleicht etwas von Th. Mann? Ich kenne noch nichts von ihm. Noch eine Bitte: die Sonne fängt an, mich im Freien zu blenden; vielleicht schicken Sie mir im Briefcouvert 1 Meter dünnen schwarzen Schleier mit zerstreuten schwarzen Pünktchen! Vielen Dank im voraus.

*   *   *

Wronke, 19. 4. 17.

Ich habe mich gestern über Ihren Kartengruß herzlich gefreut, obwohl er so traurig klang. Wie möchte ich jetzt bei Ihnen sein, um Sie wieder zum Lachen zu bringen, wie damals nach Karls Verhaftung, als wir Beide – wissen Sie noch? – im Café Fürstenhof durch unsere übermütigen Lachsalven einiges Aufsehen erregten. Wie war das damals schön – trotz alledem! Unsere tägliche Jagd am frühen Morgen auf ein Automobil auf dem Potsdamer Platz, dann die Fahrt zum Gefängnis durch den blühenden Tiergarten in die stille Lehrter Straße mit den hohen Rüstern, dann auf dem Rückweg das obligate Absteigen im Fürstenhof, dann Ihr obligater Besuch bei mir in Südende, wo alles in der Maipracht stand, die gemütlichen Stunden in meiner Küche, wo Sie und Mimi am weißgedeckten Tischchen geduldig auf die Erzeugnisse meiner Kochkunst warten (wissen Sie noch die feinen haricots verts à la Parisienne?...). Zu alledem habe ich die lebhafte Erinnerung eines unveränderlich strahlenden heißen Wetters, und nur bei einem solchen hat man ja das richtige freudige Frühlingsgefühl. Dann abends meine obligaten Besuche bei Ihnen, in Ihrem lieben Zimmerchen – ich habe Sie so gern als Hausfrau, das steht Ihnen so besonders lieb, wenn Sie mit Ihrem Backfischfigürchen am Tisch stehend, Tee einschenken – und schließlich um Mitternacht unsere gegenseitige Begleiterei nach Hause durch die duftenden dunklen Straßen! Erinnern Sie sich noch der fabelhaften Mondnacht in Südende, in der ich Sie heimbegleitete und uns die Häusergiebel mit ihren schroffen schwarzen Konturen auf dem Hintergrund der süßen Himmelsbläue wie alte Ritterburgen vorkamen?

Sonjuscha, so möchte ich ständig um Sie sein, Sie zerstreuen, mit Ihnen plaudern oder schweigen, damit Sie nicht in Ihr düsteres verzweifeltes Brüten verfallen. Sie fragen in Ihrer Karte: »warum ist alles so?« Sie Kind, »so« ist eben das Leben seit jeher, alles gehört dazu: Leid und Trennung und Sehnsucht. Man muß es immer mit allem nehmen und alles schön und gut finden. Ich tue es wenigstens so. Nicht durch ausgeklügelte Weisheit, sondern einfach so aus meiner Natur. Ich fühle instinktiv, daß das die einzige richtige Art ist, das Leben zu nehmen und fühle mich deshalb wirklich glücklich in jeder Lage. Ich möchte auch nichts aus meinem Leben missen und nichts anders haben, als es war und ist. Wenn ich Sie doch zu dieser Lebensauffassung bringen könnte!...