Rosenfeuernacht - Shorty Jenkins - E-Book

Rosenfeuernacht E-Book

Shorty Jenkins

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Beschreibung

Im Schatten eines uralten Waldes verbirgt sich eine Siedlung, gefangen zwischen den Überresten vergessener Traditionen und dunklen Geheimnissen. Als Marin, ein junger Waise, zu seinem Großvater in die entlegenen Höhen der Wälder gerufen wird, hofft er zunächst auf einen Neuanfang. Doch schon bald findet er sich in einem Netz aus Rätseln und Intrigen wieder, die sich um die mysteriöse Rosenfeuernacht ranken. Memoriam Mystories ist eine Anthologie-Reihe, die Mystery und History miteinander verbindet. Zugleich enthält der Begriff das Wortspiel my-stories und die Eigenständigkeit des Autors unterstreicht. Die Serie soll dem Leser spannende und packende Erzählungen bieten, die tief in die Geheimnisse und Mythen der Vergangenheit eintauchen und stets eine unvorhersehbare Wendung bereithalten.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

in memoriam avorum meorum

um das Jahr 1600 - irgendwo in Osteuropa

Kapitel I

IM NAMEN DES WALDES

Die Dämmerung legte bereits ihren ersten Schatten über die verlassenen Felder, als ein schmächtiger Bauernjunge, an einen verwitterten Holzzaun gelehnt, bang darauf wartete, dass man ihn abholte.

Zu verlieren hatte er wahrlich nichts mehr, denn erst kürzlich hatten die Masern seine Eltern dahingerafft. Sein letzter verbliebener Verwandter war sein Großvater, an den er sich nur vage erinnern konnte, weil dieser sich bereits vor vielen Jahren von der Familie entfernt hatte, um in den hochgelegenen Wäldern ein neues Leben zu beginnen.

Jener Großvater hatte ihn nun zu sich ins Gebirge gerufen, wo er für ihn schuften sollte und dafür ein neues Zuhause versprochen bekam. Mit seinen dreizehn Jahren war er noch nicht einmal ansatzweise ausgewachsen, weshalb er wohl auch nur mit karger Kost und halbem Verdienst rechnen durfte.

Schon seit Stunden quälte ihn der Durst, doch es gab im Umkreis seiner Wartestelle weit und breit keine gnadenbringende Wasserquelle. Ein einzelner, kahler Baum ragte aus den flachen Feldern hervor, jedoch trug dieser keine Früchte, die für Linderung sorgen konnten.

Um der drohenden Austrocknung zu trotzen, verharrte der Junge regungslos und versuchte achtsam zu atmen, auch um seinen stark pulsierenden Herzschlag zu beruhigen. Die Welt um ihn herum war erdrückend still, nur spärlich belebt durch ein paar düstere Krähen, die am Himmel kreisten.

Die Monotonie der Landschaft wurde gebrochen, als auf einmal ein sich nähernder Feldwagen aus der Ferne zu erkennen war. Mit jedem Fuß, den der Wagen zurücklegte, wuchs in ihm die Gewissheit, dass die Zeit für einen Neuanfang gekommen war und dies seine Abreise bedeutete. Langsam, doch mit deutlich hörbarem Knarren, zog der robuste Wagen aus Holz der staubigen Wegstrecke entlang und hielt schließlich einige Meter vor dem wartenden Knaben an.

Anstelle des üblichen Gespanns aus zwei Pferden wurde der Wagen von einem einzigen massigen Mann mit bloßen Händen gezogen. Dieser war mindestens fünf Ellen hoch, schwarz behaart wie ein Bär und vor allem stumm wie ein Fisch. Die Aufgabe der Pferde übernahm er einsichtig, nachdem er ein paar Tage zuvor, getrieben von unbändigem Hunger, das letzte intakte Ross samt Haut und Haar verspeist hatte.

Deswegen war er dazu verdammt worden, den Jungen sicher in die abgelegene Waldsiedlung zu bringen, wo dessen Großvater lebte. Ohne ein Wort zu verlieren, deutete der riesige Mann mit hastigen Gesten und gab dem Burschen eine eindeutige Gelegenheit, auf den Wagen aufzusteigen.

Scheinbar vertraute ihm der Junge, eine andere Möglichkeit blieb ihm ja ohnehin nicht, also kletterte er rasch auf das Gefährt. Die Eigenmasse des Wagens machte den Großteil des Gewichtes schwer, denn die eigentlichen Transportgüter bestanden lediglich aus zwei leeren Kartoffelsäcken und einem muffigen Heuhaufen, auf dem es sich der Jüngling einigermaßen gemütlich machte.

Erschöpft vom langen Warten und der reizarmen Umgebung zeigte er, genauso wie sein Fuhrmann, wenig Interesse an einem Gespräch. Noch immer dürstete es ihn nach Wasser, doch wagte er es nicht den schwitzenden Fremden darauf anzusprechen.

Der schweigende Riese holte eine zerfledderte Karte aus seinem Beutel und drückte sie dem Burschen wortlos in die Hand. Unbehagen breitete sich in ihm aus, als er sie entfaltete und die blutrote Inschrift darauf entzifferte, welche seinen eigenen Namen ‚Marin‘ ausdrückte.

Nervös drehte er das Blatt, doch auf der Rückseite war lediglich ein unscheinbarer schwarzer Fleck zu sehen. Marin bezweifelte, dass die Punktierung irgendeine besondere Bedeutung hatte. Wahrscheinlich war es nur ein Abdruck von den verschmutzten Pranken des Mannes. Entscheidend war, dass sein Name darauf geschrieben stand - das gab ihm immerhin ein wenig Vertrauen.

Mit beiden Händen und ungezügelter Kraft zog der breitgebaute Mann den Karren vorwärts. Zarte Windstöße durchstreiften dabei Marins hellbraunes Haar, nachdem er sich notdürftig zurücklehnte und der Wagen allmählich Fahrt aufnahm. Als er seine Augen nur ein einziges Mal zumachte, fiel er sofort in einen festen Schlummer, aus dem er nicht so schnell erwachen wollte. So war zwar sein Wille, doch das Schicksal schien ihm seine Wünsche stets zu vereiteln.

Ein abruptes Rumpeln, ausgelöst durch ein Schlagloch im unebenen Weg, brachte den Holzwagen heftig ins Schwanken und schüttelte dabei den schlafenden Knecht bis zum unsanften Erwachen durch. Marin konnte nicht genau feststellen, wie lange er wohl geschlafen hatte, jedenfalls war es inzwischen stockfinster und unangenehm kalt geworden.

Geträumt hatte er von einem riesigen Teich, der intensiv nach Salz roch und bis zum Horizont reichte – wo auch immer sich dieses unerklärliche Gewässer befinden sollte. Der Geschmack von Salz war ihm vertraut, doch bei seinem anhaltenden Höllenbrand wenig förderlich. Sein ausgetrockneter Mund labte sich an den letzten Speicheltropfen, um zumindest einmal vernünftig schlucken zu können.

Gerade als er versuchte, noch einmal einzuschlafen, ließ der kräftige Kerl prompt die Holzplanken fallen und der gezimmerte Wagen kam endlich zum Stillstand. Der stumme Riese vergewisserte sich, dass sein Transportgut noch vollständig vorhanden war und entfernte sich dann hastig vom Gefährt, um seinen Auftraggeber aufzusuchen.

In der Zwischenzeit nutzte Marin die Situation, um sich etwas genauer umzusehen. Aufgrund der vorherrschenden Finsternis konnte er jedoch nur Umrisse wahrnehmen. Zwei entzündete Straßenfackeln brachten dabei nur geringfügige Erhellung in das Wegbild, wodurch aber immerhin die umstehenden Nadelbäume erkennbar wurden.

Schwer vorstellbar, dass sich hier tatsächlich Menschen angesiedelt hatten, denn die Umgebung wirkte viel zu verlassen, um auch nur Anzeichen einer Zivilisation festzustellen. Stimmen konnte der Knabe auch keine wahrnehmen, nur das gelegentliche Heulen und Rascheln aus dem dunklen Wald drang durch seine Ohren. Kurze Zeit später kehrte der stämmige Transporteur zurück.

» Soll ich ...? «, begann Marin und erhoffte sich zumindest ein Nicken des stämmigen Mannes mit schwarzem Bart. Dieser nahm stattdessen eine Fackel vom Wegesrand, ging vom hölzernen Feldwagen weg und schaute Marin an, als solle er ihm folgen. Zögernd, aber getrieben von der ungewissen Lage, stieg er ab und folgte dem flackernden Licht, das sie zum Eingang der Waldsiedlung leiten sollte.

Die Siedlung war überschaubar und wirkte vernachlässigt, aber die deutlichen Zeichen einer Bewohnung waren nicht mehr zu übersehen. Zentral gelegen, bot ein schlichter Versammlungsplatz das Herzstück der Gemeinschaft, umgeben von ein paar provisorischen Zelten, deren Stoffe im schwachen Licht gespenstisch flatterten. Rundherum erstreckten sich drei größere Holzhütten, welche sich am Rande der kleinen Lichtung vor den steten Winden duckten, die durch die Baumkronen strichen.

Gelegentlich hörte Marin ein keuchendes Husten, das sich mit dem Knistern der trockenen Äste unter seinen Füßen vermischte. Die Umgebung war fremd und unwirtlich, und so langsam fragte er sich, ob er nicht irrtümlich im falschen Wald ausgesetzt worden war. Doch dann trat hinter ihm ein älterer Mann aus dem Dunkel hervor.

» Du kommst spät ... aber anscheinend hast du es geschafft, hier anzukommen, ohne vom Wagen zu fallen «, sagte er mit knarrender Stimme und spöttischem Ton.

Im ersten Moment war Marin verunsichert, denn die Person schien durch ihr graues Haar und die tiefen Falten deutlich älter als vermutet. Doch als Marin in der Iris des Mannes die grünschimmernde Augenfarbe seiner Mutter wiedererkannte, hegte er keine Zweifel mehr – es war sein Großvater Beno, der ihn begrüßte und mit offenen Armen empfing.

Marin sprang ihm entgegen und wollte eine zaghaft angedeutete Umarmung erwidern. Sein Großvater reichte ihm jedoch als Entgegnung eine Feldflasche, die mit frischem Wasser gefüllt war. Dankbar nahm er die Flasche und öffnete sie sofort, um einen gierigen Schluck daraus zu trinken. Er spürte, wie das kühle Nass seine ausgetrocknete Kehle benetzte - ein Trost nach der langen und staubigen Reise.

» Folge mir «, sagte Beno knapp und wandte sich räuspernd einer zweistöckigen Holzhütte zu.

Als sie die Hütte betraten, wurde Marin durch einen hohlen Gang, vorbei an einer seitlichen Tür geführt und dann plötzlich von Beno angehalten.

» Dass du dieser Krankheit entfliehen konntest, ist allemal ein Wunder «, äußerte er und wirkte dabei keineswegs traurig über den familiären Verlust.

Marin nickte stumm, denn er fand keine passende Antwort. Er war sich nicht sicher, ob sein Großvater ihm wirklich wohlgesinnt war. Doch dann drehte dieser sich wieder um und zeigte nach vorne.

Am Ende des Ganges führte eine schmale Leiter nach oben, wo Marin sich offenbar niederlassen sollte.

» Ruh dich etwas aus, aber vergiss nicht, dass du zum Arbeiten hier bist «, sagte sein Großvater mit ernster Miene und trat ab.

Nachdem Beno hinter der Seitentüre verschwand, kraxelte Marin die Leiter empor und löste dabei nur unschöne Geräusche aus. An diese würde er sich wohl gewöhnen müssen, denn jeder bisherige Schritt in dieser Hütte brachte das alte Holz ordentlich zum Knarren und Ächzen. Auch als er den Einstieg zum Dachboden öffnete, quietschte das Holz unter seinen Händen.