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In August von Platens Werk "ROSENSOHN" taucht der Leser in eine Welt voller Poesie, Romantik und Tragik ein. Das Buch erzählt die ergreifende Geschichte des jungen Adligen Rosensohn, der zwischen gesellschaftlichen Erwartungen und seinen eigenen inneren Sehnsüchten gefangen ist. Platens literarischer Stil vereint lyrische Elemente mit einer tiefen psychologischen Darstellung der Charaktere. Die Darstellung von Rosensohns innerem Konflikt spiegelt die Konflikte wider, die in der romantischen Literatur des 19. Jahrhunderts häufig thematisiert wurden. Platens Werk ist ein bedeutendes Beispiel für die deutsche Romantik und dessen Auseinandersetzung mit Liebe und Freiheit.
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Seitenzahl: 30
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Das Königreich Talmyris beherrschte einmal ein gar weiser und trefflicher König, Pherias mit Namen, welcher sich bald nach seiner Thronbesteigung mit dem schönsten Fräulein im Lande vermählte. Aber die schöne Gyrmantis, so hieß die Königin, verlor allzufrüh ihren Gemahl und ihr neugeborenes Söhnlein. Sie übergab daher die Regierung des Landes ihrem Bruder und entzog sich allen Freuden der Welt, indem sie sich auf ein einsames Schloß begab, das in einem dichten Walde lag, um dort ihren Gatten würdig zu betrauern. Sie war noch nicht lang auf dieser Burg angelangt, als sie eines Abends an ihrer Thüre klopfen hörte, und als sie »herein« rief, da kam ein Zwerglein auf sie zu, im blauen Gewand, und machte ihr gar freundlich seinen Knicks. Es bat sie, nicht vor ihm zu erschrecken und ihm ein Nachtlager in ihrem Hause zu vergönnen, da es sich verspätet hätte und nicht mehr zu seiner Hütte gelangen könnte. Gyrmantis gewährte es ihm gern, und des andern Morgens zog das Zwerglein wieder weiter, nachdem es der Königin seinen Dank in gar zierlichen Worten gesagt hatte. Nach dieser Zeit kam der Zwerg öfters wieder und brachte ihr manchmal Blumen, manchmal schöne Erdbeeren mit, die er im Walde gesammelt hatte. Zuweilen sang er ihr ein Lied aus der alten Zeit, und mit Vergnügen hing sie an seinen Lippen. Sie erfreute sich auch, jemand gefunden zu haben, mit dem sie von ihrem Gemahl reden konnte, denn das Zwerglein hörte ihr aufmerksam zu und ward gerührt von ihrer Treue gegen den König, den es seiner Aussage nach wohl gekannt hatte. »Ach,« sagte die Königin öfters, »wie gerne wollt' ich es verschmerzen, wenn mein Gemahl in meinen Armen gestorben wäre; aber so ist er plötzlich verschwunden und niemand weiß, wohin? Aber da er nie wiederkam, wird ihn wohl ein Unfall betroffen haben.« Das Zwerglein sprach ihr Trost ein und meinte, ihr Gemahl könnte doch vielleicht noch am Leben sein und wieder zu ihr zurückkehren. Gyrmantis malte sich diese Hoffnung in einsamen Stunden weit aus; das Zwerglein aber gewann sie täglich lieber, so häßlich es auch war, weil es ihre Lieblingsträume zu unterhalten wußte. So oft es wegging, gab sie ihm ihre Hand, die es gar zierlich an seinen Mund führte und dann mit einem Knicks davon trippelte. So setzte es sich bald in ihrer Gunst fest.
Einstmals hatte die Königin den ganzen Tag vergebens auf ihren kleinen Gesellschafter gewartet, als er spät abends plötzlich hereinstürzte, eine Rosenknospe in der Hand, die er trotz seiner Eile sehr sorgfältig zu tragen schien. »Hier nehmt, schöne Frau,« sagte er, indem er ihr die Knospe überreichte, »wahrt sie gut, gebt ihr täglich zweimal frisches Wasser; sie wird der Trost Eures Alters sein. Lebt wohl! Meine Feinde verfolgen mich. Laßt Euch ja die Rose nicht abnehmen! Wenn sie verwelkt ist, aber nicht eher, öffnet diesen Brief, den ich Euch hier gebe. Lebt wohl!«