Rot wie die Liebe - Nora Roberts - E-Book

Rot wie die Liebe E-Book

Nora Roberts

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Beschreibung

Die zierliche Moira weiß genau, dass sie ihrer Mutter auf den Thron von Geall folgen muss. Eine schwere Pflicht in einer schweren Zeit, jetzt da der Kampf zwischen Gut und Böse unmittelbar bevorsteht. Und nur einer scheint zu verstehen, was sie bewegt: der attraktive aber geheimnisvolle Cian McKenna. Zwischen den beiden entbrennt ein Feuer der Leidenschaft, doch ihre Liebe ist verboten und hat keine Zukunft. Tief in ihren Herzen wissen sie aber, dass sie alles riskieren müssen – sogar ihr Leben – damit ihre Liebe siegen kann …

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Copyright © Nora Roberts, 2006Published by arrangement with Eleanor WilderCopyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2007by Blanvaletin der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 MünchenDieses Werk wurde vermittelt durch dieLiterarische Agentur Thomas Schlück, Garbsen.Covermotiv: bürosüdMD ∙ Herstellung: HNISBN 978-3-641-02944-9V004
www.blanvalet.dewww.penguinrandomhouse.de
Inhaltsverzeichnis
 
Buch
Autorin
Liste lieferbarer Titel
Widmung
Prolog
 
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
 
Glossar irischer Wörter, Personen und Orte
Copyright
Buch
Die zierliche Moira weiß genau, dass sie ihrer Mutter auf den Thron von Geall folgen muss. Eine schwere Pflicht in einer schweren Zeit, jetzt da der Kampf zwischen Gut und Böse unmittelbar bevorsteht. Schon seit Monaten bereitet sich der Ring der Sechs, dem auch Moira angehört, darauf vor. Doch nur einer scheint zu verstehen, sie bewegt: der attraktive Cian McKenna, ein Mann voller Geheimnisse, der einst seine Seele verlor. Zwischen den beiden entbrennt ein Feuer der Leidenschaft, doch ihre Liebe ist verboten und hat keine Zukunft, denn sie bringt nicht nur die beiden, sondern auch ihre Gefährten in große Gefahr. Doch tief in ihren Herzen wissen sie, dass sie alles riskieren müssen – sogar ihr Leben – damit ihre Liebe siegen kann …
Autorin
Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren. Ihren ersten Roman veröffentlichte sie 1981. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt: Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von über 500 Millionen Exemplaren. Auch in Deutschland erobern ihre Bücher und Hörbücher regelmäßig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland. Unter dem Namen J. D. Robb veröffentlicht Nora Roberts seit Jahren ebenso erfolgreich Kriminalromane.
 
Liste lieferbarer Titel
Die Irland-Trilogie: Töchter des Feuers (35405) · Töchter des Windes (35013) · Töchter der See (35053) Die Templeton-Trilogie: So hoch wie der Himmel (35091) · So hell wie der Mond (35207) · So fern wie ein Traum (35280) Die Sturm-Trilogie: Insel des Sturms (35321) · Nächte des Sturms (35322) · Kinder des Sturm (35323) Die Insel-Trilogie: Im Licht der Sterne (35560) · Im Licht der Sonne (35561) · Im Licht des Mondes (35562) Die Zeit-Trilogie: Zeit der Träume (35858) · Zeit der Hoffnung (35859) · Zeit des Glücks (35860) Die Ring-Trilogie: Grün wie die Hoffnung (36532) – Blau wie das Glück (36533) – Rot wie die Liebe (36534)
 
Mitten in der Nacht. Roman (36007) Das Leuchten des Himmels. Roman (36435) Nora Roberts ist J. D. Robb: Ein gefährliches Geschenk (36384)
Die Originalausgabe erschien 2006 unter dem Titel »Valley of Silence« bei Jove Books, The Berkley Publishing Group, a division of Penguin Putnam (USA), Inc., New York.
Für meinen eigenen Zirkel, meine Freunde und meine Familie
Wir wissen, dass in dieser Welt das Gute und das Böse fast nicht voneinander zu trennen sind.
John Milton
 
Glaub nicht, dass ich das bin, was ich war.
William Shakespeare
Prolog
Es waren Bilder im Feuer. Drachen, Dämonen und Krieger. Die Kinder konnten sie ebenso gut sehen wie er. Der alte Mann wusste, dass gerade die sehr jungen und sie sehr alten Menschen sehen konnten, was andere nicht sahen. Oder nicht sehen wollten.
Er hatte ihnen schon viel erzählt. Seine Geschichte hatte mit dem Zauberer begonnen, den die Göttin Morrigan gerufen hatte. Hoyt von den Mac Cionaoith war von den Göttern beauftragt worden, in andere Welten und andere Zeiten zu reisen und eine Armee zusammenzustellen, die der Vampirkönigin die Stirn bot.
Die große Schlacht zwischen Menschen und Dämonen würde am Sabbat von Samhain im Tal des Schweigens im Land Geall stattfinden.
Er hatte ihnen auch von Cian erzählt, dem Bruder des Zauberers, der von der bösen Lilith getötet und verwandelt worden war. Sie selbst hatte beinahe schon ein Jahrtausend als Vampir existiert, bevor sie Cian zu einem der Ihren gemacht hatte. Und auch für Cian vergingen beinahe tausend Jahre, ehe er sich mit Hoyt und der Hexe Glenna zusammenschloss, um den Zirkel der sechs zu gründen. Die nächsten beiden Mitglieder stammten aus Geall – der Gestaltwandler und die Gelehrte schlossen sich ihnen ebenfalls an. Und als Letzte stieß die Kriegerin zu ihrem Kreis, eine Dämonenjägerin vom Blute der Mac Cionaoith.
Die Geschichten, die er den Kindern erzählt hatte, hatten von Schlachten und Mut, von Tod und Freundschaft gehandelt. Und von Liebe. Die Liebe, die zwischen dem Zauberer und der Hexe entstanden war, und die Liebe zwischen dem Gestaltwandler und der Kriegerin hatten den Zirkel so gefestigt, wie es nur wahre Magie vermag.
Aber es gab noch mehr zu erzählen. Triumph und Verlust, Furcht und Tapferkeit, Liebe und Opfer – und dazu gehörten die Dunkelheit und das Licht.
Während die Kinder darauf warteten, dass er weiter erzählte, überlegte er, wie er mit dem Ende der Geschichte am besten beginnen sollte.
»Sie waren sechs«, sagte er und blickte ins Feuer, während die Kinder erwartungsvoll verstummten und still wurden. »Und jeder hatte die Wahl, anzunehmen oder abzulehnen. Denn auch wenn man Welten in den Händen hält, muss man sich entschließen, sich dem zu stellen, was sie zerstören will, oder sich abzuwenden. Und mit dieser Entscheidung«, fuhr er fort, »gehen zahlreiche andere Entscheidungen einher.«
»Sie waren tapfer und aufrecht«, rief eines der Kinder. »Sie haben sich für den Kampf entschieden.«
Ein leises Lächeln glitt über das Gesicht des alten Mannes. »Ja, das taten sie. Und doch stand ihnen jeden Tag und jede Nacht innerhalb der ihnen gewährten Zeit die Wahl frei, und sie mussten die Entscheidung immer wieder aufs Neue treffen. Einer unter ihnen, das wisst ihr ja noch, war kein Mensch mehr, sondern Vampir. Jeden Tag und jede Nacht innerhalb der ihnen gewährten Zeit wurde er daran erinnert, dass er kein Mensch mehr war. Er war nur ein Schatten in den Welten, die zu schützen er beschlossen hatte.
Und deshalb«, sagte der alte Mann, »träumte der Vampir.«
1
Er träumte. Und im Traum war er noch ein Mann. Jung, vielleicht dumm, zweifellos unbesonnen. Und die Frau, die er sah, war so schön.
Sie trug ein Gewand in einem tiefen Rot, eleganter, als es für den Landgasthof eigentlich angebracht war, mit langen, weiten Ärmeln. Es umschmiegte ihre Gestalt und ließ ihre weiße Haut strahlen. Ihre Haare waren golden, und die Locken schimmerten unter ihrem Kopfputz.
Das Kleid, der Schmuck, der an ihrem Hals und ihren Fingern funkelte, sagten ihm, dass sie eine nicht unvermögende Dame war.
Im dämmerigen Licht des Gasthauses erschien sie ihm wie eine Flamme, die im Schatten emporzüngelte.
Zwei Diener hatten einen privaten Raum zum Essen für sie vorbereitet, und als sie hereinrauschte, waren Gespräche und Musik sofort verstummt. Aber ihre Augen, so blau wie ein Sommerhimmel, hatten nur ihn angeschaut. Nur ihn.
Als später einer der Diener auf ihn zugekommen war und erklärt hatte, die Dame wünsche mit ihm zu speisen, hatte er nicht eine Minute gezögert.
Warum sollte er auch?
Möglicherweise hatte er über die gutmütigen Kommentare der Männer, mit denen er zusammensaß, gegrinst, aber er war sofort aufgestanden, ohne sich etwas dabei zu denken.
Sie stand im Schein des Kaminfeuers und der Kerzen und schenkte bereits Wein ein.
»Ich bin so froh, dass Ihr eingewilligt habt, mir Gesellschaft zu leisten«, sagte sie. »Ich hasse es, alleine zu essen, Ihr auch?« Mit anmutigen Bewegungen trat sie auf ihn zu. »Ich heiße Lilith.« Sie reichte ihm Wein.
Ihre Aussprache hatte etwas Exotisches, das ihn an heißen Sand und üppig wuchernde Ranken denken ließ, und so war er schon halb verführt und restlos bezaubert.
Sie teilten sich das einfache Mahl, obwohl er keinen Appetit aufs Essen hatte. Ihre Worte hingegen verschlang er. Sie sprach von Ländern, die sie bereist und von denen er nur gelesen hatte. Sie war im Mondschein bei den Pyramiden gewesen, erzählte sie ihm, war über die Hügel von Rom geritten und hatte die griechischen Tempel besucht.
Er war nie über Irland hinausgekommen, und die Bilder, die ihre Worte entstehen ließen, waren beinahe so aufregend wie sie selbst. Er fand, dass sie jung war für ihre zahlreichen Abenteuer, aber als er es aussprach, lächelte sie ihn nur über den Rand ihres Pokals hinweg an.
»Wozu sind Welten gut«, erwiderte sie, »Wenn man sie nicht nutzt? Ich nutze so vieles. Wein, der getrunken werden kann, Essen, das man schmecken kann, Länder, die es zu erforschen gilt. Ihr seid zu jung«, fügte sie mit wissendem Lächeln hinzu, »um Euch mit so wenig zufrieden zu geben. Habt Ihr nicht den Wunsch, mehr zu sehen als das, was Ihr kennt?«
»Ich habe daran gedacht, vielleicht ein Jahr lang durch die Welt zu reisen, wenn ich dazu in der Lage bin.«
»Ein Jahr?« Lachend schnipste sie mit den Fingern. »Das ist ein Jahr. Nichts, ein Wimpernschlag. Was würdet Ihr denn tun, wenn Ihr die Ewigkeit zur Verfügung hättet?« Ihre Augen waren unergründlich tief wie der Ozean. »Was würdet Ihr damit anfangen?«
Ohne auf seine Antwort zu warten, erhob sie sich und trat an das kleine Fenster. Duft umhüllte sie. »Ah, die Nacht ist so weich. Wie Seide auf der Haut.« Ihre strahlend blauen Augen funkelten, als sie sich ihm wieder zuwandte. »Ich bin ein Geschöpf der Nacht. Und ich glaube, Ihr auch. Solche wie wir fühlen uns in der Dunkelheit am wohlsten.«
Er war ebenfalls aufgestanden, und als sie jetzt auf ihn zutrat, wurde ihm von ihrem Duft und dem Wein, den sie ihm gegeben hatte, ganz schwindlig. Und noch etwas anderes, etwas Undurchdringliches, Nebelhaftes betäubte ihm die Sinne wie eine Droge.
Sie warf den Kopf zurück, und dann küsste sie ihn. »Und warum sollten wir die dunklen Stunden allein verbringen, da wir uns doch in der Dunkelheit am wohlsten fühlen?«
Es war wie ein Traum, undeutlich und verschwommen. Er war in ihrer Kutsche und umfasste ihre üppigen weißen Brüste. Sie küsste ihn heiß und gierig und lachte, als er ihr das Kleid hochschob. Einladend spreizte sie die Beine.
»Starke Hände«, murmelte sie. »Ein angenehmes Gesicht. Genau das brauche ich und nehme ich mir. Tust du, was ich von dir verlange?« Leise lachend knabberte sie an seinem Ohrläppchen. »Ja? Tust du es, junger, gut aussehender Cian mit den starken Händen?«
»Ja, natürlich. Ja.« Er konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und wollte nur noch in ihr versinken. Verzückt warf sie den Kopf zurück, als er in sie eindrang. Die Kutsche schwankte bedenklich.
»Ja, ja, ja. So fest, so heiß. Gib mir mehr und noch mehr! Und ich werde dir Welten zeigen, von denen du nichts ahnst!«
Er stieß in sie hinein und keuchte, als sich sein Höhepunkt näherte, und sie hob wieder den Kopf.
Ihre Augen waren auf einmal nicht mehr blau und strahlend, sondern rot und wild. Erschreckt wollte er sich zurückziehen, aber ihre Arme umfingen ihn wie eiserne Fesseln. Sie schlang die Beine um seine Taille und hielt ihn in sich. Und während er gegen ihre unglaubliche Kraft ankämpfte, lächelte sie mit schimmernden Reißzähnen.
»Wer bist du?«, fragte er angstvoll. »Was bist du?«
Ihre Hüften hoben und senkten sich weiter, und er wurde hilflos immer näher zum Höhepunkt getrieben. Mit der Faust packte sie in seine Haare und zerrte seinen Kopf zurück, um seine Kehle freizulegen. »Prachtvoll«, sagte sie. »Ich bin prachtvoll, und das wirst du auch sein.«
Sie schlug ihre Reißzähne in seinen Hals. Er hörte sich selbst schreien. Der Biss brannte unbeschreiblich und fraß sich durch seine Haut ins Blut, bis auf den Knochen. Und damit vermischt war schreckliche, schreckliche Lust.
In der wirbelnden, tönenden Dunkelheit kam er, von seinem Körper verraten. Ein Teil von ihm klammerte sich noch ans Licht, ans Überleben. Aber der Schmerz und die Lust zogen ihn immer weiter in den Abgrund.
»Du und ich, mein hübscher Junge. Du und ich.« Sie wiegte ihn in den Armen. Mit dem Fingernagel ritzte sie sich die Haut um die Brustwarze auf, sodass das Blut davon heruntertropfte wie von ihren Lippen. »Und jetzt trink. Trink mich, und du bist ewig.«
Nein. Seine Lippen wollten das Wort nicht formen, aber es schrie durch seinen Kopf. Er spürte, wie das Leben aus ihm entwich, und kämpfte um den letzten Halt. Selbst als sie seinen Kopf an ihre Brust zog, wehrte er sich noch mit dem letzten Rest von Kraft in sich.
Und dann schmeckte er ihr Blut. Und wie ein Säugling an der Mutterbrust trank er seinen eigenen Tod.
 
Der Vampir erwachte in völliger Dunkelheit und absoluter Stille. Seitdem er vor so langer Zeit verwandelt worden war, erhob er sich jeden Tag nach Sonnenuntergang, aber kein Schlag seines Herzens regte die Luft.
Obwohl er den Traum zahllose Male in zahllosen Jahren geträumt hatte, empfand er ihn immer noch als verstörend. Sich so zu sehen, wie er einst gewesen war, sein eigenes Gesicht zu sehen, das er im Wachen seit jener Nacht nicht mehr gesehen hatte, machte ihn ärgerlich und gereizt.
Er grübelte über sein Schicksal. Das war sinnlos. Er akzeptierte doch, was aus ihm geworden war, und nutzte es. Aufgrund seiner persönlichen Ewigkeit hatte er Reichtum angehäuft, Frauen, Komfort, Freiheit. Mehr konnte ein Mann sich doch nicht wünschen, oder?
Dass sein Herz nicht schlug, war nur ein kleiner Preis. Ein lebendiges Herz wurde alt und schwach und hörte irgendwann auf zu schlagen.
Wie viele Körper hatte er in seinen neunhundert Jahren verfallen und sterben sehen? Er konnte sie nicht mehr zählen. Und obwohl er sein eigenes Spiegelbild nicht sehen konnte, wusste er aber, dass er noch genauso aussah wie in jener Nacht, als Lilith ihn genommen hatte. Seine Knochen waren immer noch stark, die Haut spannte sich fest, geschmeidig und ohne Falten darüber. Seine Augen waren scharf und klar, und er hatte kein einziges graues Haar.
Manchmal, im Dunkeln, wenn er alleine war, tastete er sein Gesicht mit den Fingern ab. Die hohen, ausgeprägten Wangenknochen, das kleine Grübchen im Kinn, die tiefliegenden, strahlend blauen Augen. Seine Nase, der feste Schwung seiner Lippen.
Dasselbe. Immer noch dasselbe. Ab und zu gönnte er sich diesen Luxus, sich an sich selbst zu erinnern.
Er erhob sich im Dunkeln, sein schlanker, muskulöser Körper war nackt, und schwarze Haare umrahmten sein Gesicht. Er war als Cian Mac Cionaoith geboren und hatte seitdem unter vielen Namen gelebt. Jetzt war er wieder Cian – daran war sein Bruder schuld. Hoyt würde ihn nie anders nennen, und da er in dieser Schlacht, die zu kämpfen er zugestimmt hatte, möglicherweise sein Ende finden würde, war es Cian nur recht, wenn er dann seinen Geburtsnamen trug.
Allerdings wäre es ihm lieber gewesen, wenn er weitermachen konnte. Seiner Meinung nach hielten nur Irre oder ganz junge Leute Sterben für ein Abenteuer. Wenn dies jedoch sein Schicksal wäre, dann würde er sich zumindest mit Stil verabschieden. Und wenn es irgendwo auf der Welt Gerechtigkeit gäbe, dann würde er Lilith mit sich in den Staub reißen.
Seine Augen waren so scharf wie seine übrigen Sinne, deshalb bewegte er sich geschmeidig in der Dunkelheit und trat an eine Truhe, um eines der Päckchen mit Blut herauszuholen, die sie aus Irland mitgebracht hatten. Anscheinend hatten die Götter gegen das Blut ebenso wenig einzuwenden gehabt wie gegen den Vampir, der es brauchte, da beides ohne Probleme durch ihren Steinkreis von einer Welt in die andere gereist war.
Allerdings handelte es sich auch um Schweineblut. Cian hatte schon seit Jahrhunderten kein Menschenblut mehr zu sich genommen. Das war seine persönliche Entscheidung gewesen, dachte er, als er das Päckchen öffnete und den Inhalt in einen Becher schüttete. Es hatte etwas mit Willenskraft zu tun und, nun ja, auch mit guten Manieren. Schließlich lebte er unter Menschen, machte Geschäfte mit ihnen und schlief mit ihnen, wenn er in der Stimmung dazu war. Unter diesen Umständen kam es ihm ungehörig vor, sich von ihnen zu ernähren.
Jedenfalls fand er es einfacher, so zu leben, wie es ihm beliebte, wenn er nicht in der Nacht loszog, um irgendeine arme Seele zu töten. Natürlich war es ungleich viel aufregender und geschmacklich auch besser, sich von lebenden Kreaturen zu nähren, aber es war doch ein schmutziges Geschäft.
Er hatte sich an den langweiligeren Geschmack des Schweinebluts gewöhnt, und vor allem fand er es viel bequemer, es jederzeit zur Hand zu haben, um seinen Hunger stillen zu können.
Er trank sein Blut so wie andere ihren Morgenkaffee – aus Gewohnheit und um wach zu werden. Es machte seinen Kopf klar und setzte seinen Organismus in Betrieb.
Er machte sich nicht die Mühe, zur Körperpflege Kerzen oder Feuer anzuzünden. Die Gegebenheiten in Geall begeisterten ihn nicht gerade. Schloss hin oder her, er war wohl in einer mittelalterlichen Umgebung genauso fehl am Platz wie Glenna und Blair.
Er hatte einmal in dieser Ära gelebt, und einmal war genug. Die modernen Annehmlichkeiten wie fließend kaltes und warmes Wasser und elektrische Energie zog er bei weitem vor.
Er vermisste sein Auto, sein Bett, seine Mikrowelle. Er vermisste die Lebendigkeit und den Lärm des Stadtlebens mit all seinen Vorzügen. Es wäre wirklich ein Schlag für ihn gewesen, hier, in dieser Zeit, in der er begonnen hatte, sein Leben auch beenden zu müssen.
Als er angezogen war, machte er sich auf den Weg zu den Stallungen, um nach seinem Pferd zu sehen.
Die Leute, denen er begegnete – Dienstboten, Wachleute, Höflinge -, lebten und arbeiteten auf Schloss Geall. Die meisten mieden ihn, wandten den Blick ab oder beschleunigten ihre Schritte. Manche machten hinter seinem Rücken das Zeichen gegen das Böse. Es bekümmerte Cian nicht.
Sie wussten, was er war – und sie hatten auch gesehen, wozu Geschöpfe wie er fähig waren, da Moira, die gelehrte Gladiatorin, gegen einen von ihnen auf dem Turnierplatz gekämpft hatte.
Es war eine gute Strategie von Moira gewesen, dachte er jetzt, ihn, Blair und Larkin zu bitten, die beiden Vampire zu fangen, die ihre Mutter, die Königin, getötet hatten. Moira hatte begriffen, wie wichtig es war, die Vampire lebendig zurückzubringen, damit ihr Volk sie sehen konnte. Zugleich hatte Moira sich als Kriegerin bewiesen, weil sie gegen einen gekämpft und ihn besiegt hatte.
In wenigen Wochen nun würde sie ihr Volk in die Schlacht führen. Wenn ein Land so lange im Frieden gelebt hatte wie Geall, brauchte man eine starke Führungspersönlichkeit, um aus Bauern und Kaufleuten, Hofdamen und Höflingen Soldaten zu machen.
Cian war sich nicht ganz sicher, ob sie der Aufgabe gewachsen war. Tapfer genug war sie ja, dachte er, während er einen Hof überquerte, der zu den Stallungen führte. Und auch intelligent genug. Außerdem hatte sie in den vergangenen beiden Monaten beachtliche Fähigkeiten im Kämpfen entwickelt. Zweifellos war sie seit ihrer Geburt in Staatsführung und Etikette unterrichtet worden, und sie war klug und offen.
In Friedenszeiten hätte sie ihre hübsche, kleine Welt sicher gut regiert. Aber im Krieg musste ein Herrscher auch General sein.
Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er Riddock, ihrem Onkel, die Verantwortung überlassen. Aber es ging nicht nach ihm.
Er hörte sie, bevor er sie sah, und noch eher roch er sie. Fast wäre er auf dem Absatz umgekehrt und wäre wieder in sein Zimmer gegangen. Dass er aber auch ausgerechnet gerade jetzt, wo er an sie gedacht hatte, der Frau begegnen musste!
Das Problem war, dass er viel zu oft an sie dachte.
Sie zu meiden hatte keinen Zweck, schließlich waren sie in diesem Krieg auf Gedeih und Verderben miteinander verbunden. Ihr jetzt auszuweichen wäre leicht gewesen, aber auch feige, und wie immer stand ihm dabei sein Stolz im Weg.
Sie hatten seinen Hengst ganz hinten im Stall untergebracht, weit von den anderen Pferden entfernt. Cian verstand und tolerierte die Tatsache, dass die Pferdeknechte und Stallburschen das Pferd eines Dämons nicht versorgen wollten, und er wusste, dass entweder Larkin oder Hoyt seinen temperamentvollen Vlad morgens putzten und fütterten.
Heute jedoch schien Moira sich in den Kopf gesetzt zu haben, das Tier zu verwöhnen. Sie hatte Karotten dabei und versuchte gerade, Vlad dazu zu bewegen, eine von ihrer Schulter zu nehmen.
»Ich weiß doch, dass du sie willst«, murmelte sie. »Sie ist so lecker. Du musst sie dir nur nehmen.«
Das galt auch für sie selbst, dachte sich Cian.
Sie trug ein blaues Gewand über einem einfachen Leinenwams, deshalb nahm er an, dass sie heute nicht mehr trainieren wollte. Für eine Prinzessin kleidete sie sich schlicht, am Mieder war nur ein Hauch von Spitze zu sehen. Um den Hals trug sie das silberne Kreuz, eins von neun, die Hoyt und Glenna geschaffen hatten. Ihre glänzenden braunen Haare fielen ihr offen über den Rücken bis zur Taille, und auf ihrem Kopf saß das zierliche Krönchen ihres Amtes.
Sie war keine Schönheit. Das sagte er sich häufiger, fast genauso oft, wie er an sie dachte. Sie war im besten Fall ein hübsches Ding. Klein und zierlich, mit großen, schräg stehenden Augen, die ihr Gesicht beherrschten. Taubengrau, wenn sie nachdenklich und still zuhörte; grau wie Höllenrauch, wenn sie erregt war.
Über die Jahrhunderte hatte er viele der schönsten Frauen besessen. Sie war nicht schön, aber sie ging ihm trotz allen Bemühens nicht mehr aus dem Kopf.
Er wusste, dass er sie haben könnte, wenn er nur seine Verführungskünste einsetzte. Sie war jung, unschuldig und neugierig und deshalb äußerst empfänglich. Aber er hatte schon genug unschuldige Frauen gehabt, und wenn es ihm nur um die Unterhaltung und Erleichterung gegangen wäre, hätte er besser daran getan, eine ihrer Hofdamen zu verführen.
Sein Pferd jedoch schien weniger Willenskraft zu besitzen. Vlad senkte den Kopf und nahm die Karotte von Moiras Schulter.
Lachend streichelte sie die Ohren des Hengstes. »Siehst du, das war doch gar nicht so schwer, oder? Wir sind doch Freunde, wir zwei. Und ich weiß doch, wie einsam du manchmal bist. Das geht uns allen so.«
Sie wollte sich gerade eine weitere Karotte auf die Schulter legen, als Cian aus den Schatten trat. »Du machst ein Hündchen aus ihm, und was für ein Streitross wird er dann an Samhain noch sein?«
Sie zuckte zusammen, und ihr Körper wurde steif. Als sie sich jedoch zu Cian umdrehte, hatte sie sich wieder gefasst. »Es macht dir doch nicht wirklich etwas aus, oder? Er liebt es, ab und zu ein bisschen verwöhnt zu werden.«
»Geht es uns nicht allen so?«, murmelte Cian.
Ihre Wangen röteten sich, aus Verlegenheit, dass sie belauscht worden war. »Das Training heute war gut. Die Leute strömen aus ganz Geall herbei. Es wollen so viele kämpfen, dass wir beschlossen haben, einen zweiten Übungsplatz auf dem Land meines Onkels einzurichten. Tynan und Niall können die Kämpfer dort unterweisen.«
»Wie sieht es mit Unterkünften aus?«
»Ja, das wird langsam ein kleines Problem. Wir bringen so viele unter wie möglich und mein Onkel ebenso. Dann gibt es noch das Gasthaus, und auch viele Bauern und Häusler hier in der Nähe beherbergen bereits Freunde und Familie. Und wir wollen natürlich niemanden abweisen. Aber wir finden schon einen Weg.«
Während sie sprach, betastete sie das Kreuz um ihren Hals, aber nicht aus Angst vor Cian, sondern aus nervöser Gewohnheit. »Wir müssen auch daran denken, dass alle Nahrung brauchen. So viele mussten ihre Felder und ihr Vieh zurücklassen, als sie hierher gekommen sind. Aber auch das werden wir schaffen. Hast du schon gegessen?«
Die Röte auf ihren Wangen wurde tiefer, und verlegen fuhr sie fort: »Ich meine, es gibt Abendessen im Salon, wenn …«
»Ich weiß, was du gemeint hast. Nein, ich wollte zuerst nach dem Pferd schauen, aber er scheint bereits gefüttert und geputzt zu sein.« Wie auf Kommando stieß Vlad mit dem Kopf nach Moiras Schulter. »Und verwöhnt«, fügte Cian hinzu.
Moira runzelte die Stirn. »Es sind doch nur Karotten, und sie sind gut für ihn.«
»Da wir gerade von Nahrung sprechen, ich brauche nächste Woche neues Blut. Du könntest ein paar Schweine schlachten lassen und das Blut für mich auffangen.«
»Selbstverständlich.«
»Na, du gehst ja souverän damit um.«
Jetzt glitt doch ein Hauch von Zorn über ihr Gesicht. »Du nimmst eben das vom Schwein, was du brauchst. Ich esse ja auch Schinken, oder?« Sie drückte Cian die letzte Karotte in die Hand und wandte sich zum Gehen.
Dann drehte sie sich jedoch noch einmal um. »Ich weiß nicht, warum du mich so leicht wütend machst. Und ich weiß auch nicht, ob du es absichtlich tust. Aber nein.« Sie hob die Hand. »Ich will die Antwort auch gar nicht wissen. Ich möchte allerdings kurz mit dir über etwas anderes sprechen.«
Nein, er konnte ihr einfach nicht aus dem Weg gehen, dachte er. »Ich habe einen Moment Zeit.«
Sie blickte sich im Stall um, um sich zu vergewissern, dass nur die Pferde Ohren hatten. »Am liebsten wäre es mir, wenn du ein paar Schritte mit mir gehen könntest. Ich möchte nicht, dass uns jemand belauscht.«
Achselzuckend verfütterte er Vlad die Karotte und ging dann mit Moira aus dem Stall. »Staatsgeheimnisse, Euer Hoheit?«
»Warum musst du dich über mich lustig machen?«
»Das habe ich ja gar nicht getan. Du bist heute ziemlich reizbar, was?«
»Ja, vielleicht.« Sie warf die Haare zurück, die ihr wie ein Wasserfall über die Schultern fielen. »Der Krieg und das Ende der Tage stehen bevor, und ich muss mich ständig mit praktischen Angelegenheiten herumschlagen wie Wäsche waschen und die Soldaten mit Essen versorgen. Es könnte sein, dass ich deshalb ein wenig gereizt bin.«
»Du musst die Aufgaben delegieren.«
»Das tue ich ja. Aber es dauert auch seine Zeit, die richtigen Leute dafür zu finden und ihnen zu erklären, wie alles getan werden muss. Aber darüber wollte ich nicht mit dir sprechen.«
»Setz dich.«
»Was?«
»Setz dich.«
Er ergriff sie am Arm und drückte sie auf eine Bank. Dass sich ihre Muskeln unter seiner Hand anspannten, ignorierte er. »Setz dich und gönn wenigstens deinen Füßen ein bisschen Ruhe, wenn du schon nicht deinen Kopf abschalten kannst.«
»Ich kann mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal eine Stunde für mich ganz allein hatte, um ein Buch zu lesen. Doch, das stimmt nicht, ich weiß, wann das war – in Irland, in deinem Haus. Das fehlt mir – die Bücher, die Ruhe, die von ihnen ausgeht.«
»Du solltest dir diese Stunde ab und zu nehmen. Sonst verbrauchst du dich zu schnell und nützt niemandem mehr etwas.«
»Meine Hände sind so voll, dass meine Arme schmerzen.« Sie seufzte. »Und schon wieder schweife ich ab. Wie sagt Blair immer? Scheiße, Scheiße, Scheiße.«
Als er überrascht auflachte, blickte sie ihn lächelnd an.
»Ich nehme an, eine Königin wie dich hat Geall noch nie gehabt.«
Ihr Lächeln erlosch. »Nein, da hast du Recht. Und wir sehen es ja bald. Morgen Früh gehen wir in der Dämmerung zum Stein. Und wenn ich das Schwert herausziehe, wie es meine Mutter damals gemacht hat und ihr Vater und alle, die vorher regiert haben, dann hat Geall eine Königin wie mich.« Sie blickte über die Sträucher hinweg zu den Toren. »Weder Geall noch ich haben die Wahl.«
»Möchtest du es denn lieber anders haben?«
»Ich weiß nicht, was ich möchte, deshalb wünsche ich mir gar nichts – außer, dass es endlich überstanden ist. Dann könnte ich in Ruhe den nächsten Schritt tun. Ich wollte es dir sagen.« Wieder blickte sie ihn an. »Ich hatte gehofft, es gäbe eine Möglichkeit, die Zeremonie nachts durchzuführen.«
Sanfte Augen, dachte er, und so ernst. »Es ist zu gefährlich, sich nach Sonnenuntergang außerhalb der Schlossmauern aufzuhalten.«
»Ich weiß. Alle, die dem Ritus beiwohnen möchten, können teilnehmen, nur du nicht. Das tut mir leid. Außerdem scheint es mir falsch zu sein, weil ich finde, wir sechs, unser Zirkel, sollten bei einer solchen Gelegenheit zusammen sein.«
Ihre Hand glitt zu ihrem Kreuz. »Geall bedeutet dir nichts. Das weiß ich auch, aber dieser Moment ist wichtig für alles Spätere. Ich weiß jetzt mehr als vorher.«
Sie holte zitternd Luft. »Sie haben meinen Vater getötet.«
»Was sagst du da?«
»Ich muss mich wieder bewegen. Ich kann nicht ruhig sitzen bleiben.« Rasch stand sie auf und rieb sich die Arme. Sie fröstelte plötzlich. Langsam gingen sie über den Hof in einen der Gärten.
»Ich habe es noch nie jemandem erzählt – und dir wollte ich es eigentlich auch nicht erzählen. Wozu sollte es gut sein? Außerdem habe ich keinen Beweis, sondern nur eine Ahnung.«
»Was weißt du?«
Sie stellte fest, dass es ihr leichter fiel, mit ihm zu reden, als sie angenommen hatte, weil er so sachlich blieb. »Es war einer der beiden, die meine Mutter getötet haben. Der, gegen den ich gekämpft habe.« Sie hob die Hand, und er sah ihr an, wie sie um Fassung rang. »Bevor ich ihn tötete, sagte er etwas über meinen Vater und wie er starb.«
»Wahrscheinlich, um dich abzulenken und deine Konzentration zu brechen.«
»Ja, das war natürlich auch der Zweck, aber es steckte trotzdem mehr dahinter. Ich spürte es, hier drinnen.« Sie legte sich die Hand aufs Herz. »Ich wusste es, als ich den, den ich tötete, anschaute. Sie haben nicht nur meine Mutter, sondern auch meinen Vater umgebracht. Lilith hat sie vermutlich noch einmal hierher geschickt, weil sie beim letzten Mal, als ich noch ein Kind war, Erfolg hatten.«
Sie hielt beim Gehen den Kopf gesenkt, und ihr Krönchen glitzerte im Schein der Fackeln. »Man glaubte damals, er wäre von einem wild gewordenen Bären angegriffen worden. Er war in den Bergen auf der Jagd. Er kam dabei um, er und der jüngere Bruder meiner Mutter. Mein Onkel Riddock war nur deshalb nicht dabei, weil meine Tante damals kurz vor der Niederkunft stand. Ich …«
Sie brach ab, weil sich Schritte näherten, und schwieg, bis sie sich wieder entfernt hatten. »Die, die sie fanden und nach Hause brachten, glaubten, es wären Tiere gewesen. Und so war es ja auch«, fuhr sie mit harter Stimme fort. »Nur dass diese aufrecht wie Menschen gingen. Sie hat sie geschickt, damit es keine weiteren Kinder von ihm gäbe als nur mich.«
Sie wandte sich zu ihm, und der Schein der Fackeln schimmerte rot auf ihrem blassen Gesicht. »Vielleicht wusste sie ja damals nur, dass der Herrscher von Geall zum Zirkel gehören würde. Oder es war damals vielleicht einfacher, ihn anstatt mich zu töten, weil ich ja noch ein Baby war und rund um die Uhr behütet wurde. Sie hatte noch so viel Zeit, um sich um mich zu kümmern. Aber stattdessen töteten sie meine Mutter.«
»Die, die es taten, sind tot.«
»Ist das ein Trost?«, fragte sie. »Ich weiß nicht, was ich empfinden soll. Ich weiß nur, dass sie mir meine Eltern genommen hat. Dadurch wollte sie aufhalten, was nicht aufzuhalten ist. An Samhain treffen wir mit ihr auf dem Schlachtfeld zusammen, weil es so sein soll. Und ob ich nun Königin bin oder nicht, ich werde kämpfen. Sie hat sie vergeblich getötet.«
»Und auch du hättest nichts tun können, um sie aufzuhalten.«
Ja, er will mich wahrhaftig trösten, dachte sie. Und seltsamerweise tat es ihr gut. »Ich kann nur hoffen, dass das stimmt. Auf jeden Fall weiß ich, dass der morgige Tag über einen Ritus und ein Ritual weit hinausgeht. Wer morgen das Schwert herauszieht, führt diesen Krieg an und rächt den Tod meiner Eltern. Und das kann sie nicht aufhalten.«
Sie trat zurück und zeigte nach oben. »Siehst du die Fahnen? Der Drache und der Claddaugh. Seit jeher die Symbole von Geall. Ich werde ein weiteres hinzufügen.«
Er überlegte, wofür sie sich entschieden haben mochte – ein Schwert, ein Pflock, ein Pfeil. Dann jedoch wusste er es. Keine Waffe, kein Instrument des Krieges und des Todes, sondern ein Symbol für Hoffnung und Dauer. »Eine Sonne, die ihr Licht über die Welt erstrahlen lässt.«
Überrascht blickte sie ihn an, und ihr Gesicht hellte sich auf. »Ja. Du verstehst, was ich denke und brauche. Eine goldene Sonne auf der weißen Fahne, die für das Licht steht, für das Morgen, um das wir kämpfen. Diese Sonne wird das dritte Symbol von Geall sein. Und sie soll verflucht sein. Sie und was sie hierher gebracht hat.«
Moira holte tief Luft. »Du hörst gut zu – und ich rede zu viel. Komm mit hinein. Die anderen sitzen sicher schon beim Abendessen.«
Er legte ihr die Hand auf den Arm, um sie zurückzuhalten. »Bisher habe ich gedacht, du würdest dich als Königin in Kriegszeiten nicht eignen. Ich fürchte, ich habe mich geirrt.«
»Wenn das Schwert mein ist«, sagte sie, »dann hast du dich geirrt.«
Als sie hineingingen, dachte er, dass dies gerade das längste Gespräch gewesen war, seit sie einander zwei Monate zuvor kennengelernt hatten.
»Du musst es auch den anderen sagen. Du musst ihnen sagen, was deiner Meinung nach mit deinem Vater passiert ist. Der Kreis darf nicht durch Geheimnisse geschwächt werden.«
»Du hast Recht. Ja, du hast Recht.«
Mit hoch erhobenem Kopf und klarem Blick ging sie voraus.
2
Sie schlief nicht. Wie sollte eine Frau auch in einer solchen Nacht schlafen? Wenn es ihr Schicksal war, morgen Früh das Schwert aus seiner steinernen Scheide zu ziehen, war sie Königin von Geall. Als Königin würde sie herrschen und regieren, und sie übernahm Pflichten, die ihr von klein auf beigebracht worden waren. Aber sie würde als Königin ihr Volk auch in den Krieg führen, wie sie bereitwillig jemand anderem in die Schlacht folgen würde, wenn er das Schwert herauszöge.
Konnten diese wenigen Wochen Training jemanden auf eine so gewaltige Aufgabe und Verantwortung vorbereiten? In dieser Nacht wäre sie zum letzten Mal die Frau, die sie eigentlich hatte werden wollen. Was auch immer die Morgendämmerung ihr brächte, nichts wäre jemals wieder so, wie es einmal war.
Vor dem Tod ihrer Mutter hatte sie geglaubt, dieser Zeitpunkt wäre noch Ewigkeiten entfernt. Sie hatte geglaubt, noch jahrelang die Gesellschaft, den Trost und den Rat ihrer Mutter in Anspruch nehmen und in Ruhe und Frieden lernen und studieren zu können, sodass sie, wenn die Zeit gekommen, nicht nur für die Krone bereit, sondern ihrer auch würdig wäre.
Insgeheim hatte sie angenommen, dass ihre Mutter noch Jahrzehnte lang regieren und sie selbst heiraten würde. In ferner Zukunft, so hatte sie sich vorgestellt, würde eines ihrer Kinder die Krone an ihrer Statt tragen.
Aber all das hatte sich geändert, als ihre Mutter getötet worden war. Nein, korrigierte Moira sich, es war schon anders geworden mit dem Tod des Vaters. Und jetzt konnte sie nur darum beten, dass sie so viel Weisheit und Einsicht wie ihre Mutter besitzen würde, wenn sie morgen Früh das Schwert zog.
Sie stand auf und ging auf die Schlosszinnen. Die Mondsichel stand am Himmel. Wenn er wieder voll wäre, wäre sie weit weg von hier, auf dem kalten Schlachtfeld. Von hier oben konnte sie die Fackeln sehen, die den Turnierplatz erleuchteten. Cian brachte in der Nacht Männern und Frauen bei, wie sie stärker und schneller kämpfen konnten als Menschen. Mit ihr und den anderen im Zirkel hatte er es in Irland Nacht für Nacht ebenso gemacht.
Nicht alle vertrauten ihm, das wusste sie. Manche hatten sogar Angst vor ihm, aber das war vielleicht gar nicht so schlecht. Er wollte hier keine Freundschaften schließen, sondern Krieger ausbilden.
In dieser Hinsicht hatte auch sie ihm viel zu verdanken.
Sie glaubte zu verstehen, warum er mit ihnen kämpfte – oder sie ahnte zumindest, warum er so viel für die Menschheit riskierte. Zum Teil geschah es aus Stolz – davon besaß er reichlich. Er würde sich Lilith nie beugen. Zum Teil auch, ob er es nun zugab oder nicht, aus Loyalität seinem Bruder gegenüber. Und der Rest hatte etwas mit Mut und seinen eigenen widersprüchlichen Emotionen zu tun.
Denn dass er Gefühle hatte, wusste sie. Sie konnte sich nur nicht vorstellen, wie er nach tausend Jahren mit ihnen umging, wo schon ihre eigenen nach nur zwei Monaten voller Erlebnisse von Blut und Tod so aufgewühlt waren, dass sie sich kaum selbst erkannte.
Wie mochte es dann wohl für ihn sein, nach allem, was er gesehen und getan, gewonnen und verloren hatte? Er wusste mehr als jeder von ihnen von der Welt, von ihren Freuden, ihren Schmerzen, ihren Möglichkeiten. Nein, sie konnte es sich nicht vorstellen, wie es sein mochte, das alles zu wissen und doch das eigene Sein aufs Spiel zu setzen.
Es nötigte ihr Respekt ab, dass er es dennoch riskierte und sich die Zeit nahm, ihre Truppen zu unterweisen. Und sein geheimnisvolles Wesen faszinierte sie.
Sie war sich nicht sicher, was er von ihr hielt. Selbst als er sie geküsst hatte – in diesem einen leidenschaftlichen, verzweifelten Augenblick -, hatte sie es nicht gewusst. Und sie hatte noch nie widerstehen können, den Dingen auf den Grund zu gehen.
Sie hörte Schritte, und als sie sich umdrehte, sah sie Larkin auf sich zukommen.
»Du solltest im Bett liegen«, meinte er.
»Ich würde ja doch nur an die Decke starren. Hier ist die Aussicht besser.« Sie griff nach seiner Hand – ihr Vetter, ihr Freund -, und gleich ging es ihr besser. »Und warum bist du nicht im Bett?«
»Ich habe dich gesehen. Blair und ich haben Cian ein wenig geholfen.« Er blickte auf den Turnierplatz unter ihnen. »Ich habe dich hier alleine stehen sehen.«
»Ich bin heute Abend keine gute Gesellschaft, noch nicht einmal für mich selbst. Ich wünschte nur, es wäre alles schon geschehen, dann könnte man sehen, wie es weitergeht. Ich wollte hier oben ein bisschen darüber nachdenken.« Sie ließ den Kopf an seine Schulter sinken. »So vergeht wenigstens die Zeit.«
»Wir könnten hinunter in den Familiensalon gehen, und ich könnte dich beim Schach gewinnen lassen.«
»Mich gewinnen lassen? Oh, hör sich das einer an!« Sie warf ihm einen Blick zu. Seine Augen waren goldbraun und standen leicht schräg, wie ihre. Das Lächeln, das darin stand, verbarg nicht ganz die Sorge, mit der er sie anschaute. »Dann hast du mich vermutlich über die Jahre unzählige Male gewinnen lassen.«
»Ich hielt es für dein Selbstvertrauen für gut.«
Lachend knuffte sie ihn. »Ich vertraue darauf, dass ich dich neun von zehn Malen beim Schach schlagen kann.«
»Das sollten wir besser einmal nachprüfen.«
»Nein.«
Sie gab ihm einen Kuss und strich ihm das goldbraune Haar aus der Stirn. »Du gehst jetzt ins Bett zu deiner Dame und vergeudest nicht deine Zeit damit, mich aufzumuntern. Komm, wir gehen hinein. Vielleicht langweilt mich ja in meinem Zimmer der Blick an die Decke so sehr, dass ich darüber einschlafe.«
»Wenn du Gesellschaft willst, brauchst du bloß an die Tür zu klopfen.«
»Ich weiß.«
Sie wusste jedoch auch, dass sie das Angebot nicht in Anspruch nehmen würde.
Aber sie schlief nicht.
 
Wie die Tradition es vorschrieb, wurde sie in der letzten Stunde vor Sonnenaufgang von ihren Hofdamen gekleidet und geschmückt. Moira lehnte das rote Gewand ab, das sie ihr aufdrängen wollten. Es war zwar eine königliche Farbe, aber sie stand ihr einfach nicht. Stattdessen wählte sie die Farben des Waldes, ein dunkelgrünes Kleid über einem blassgrünen Rock.
Den Schmuck jedoch ließ sie sich anlegen, schließlich hatte er ihrer Mutter gehört. Die schwere Kette aus Zitrinen wurde um ihren Hals gelegt. Aber das Kreuz legte sie nicht ab.
Die Haare wollte sie offen und unbedeckt tragen, und Dervil bürstete es ihr unermüdlich, während die Frauen um sie herum schwatzten.
»Wollt Ihr nicht ein wenig essen, Hoheit?«
Ceara, eine ihrer Kammerzofen, hielt ihr einen Teller mit Honigkuchen hin. »Hinterher«, antwortete Moira. »Danach bin ich ruhiger.«
Erleichtert erhob Moira sich, als Glenna das Zimmer betrat. »Wie wundervoll du aussiehst!« Moira streckte die Hände aus. Sie hatte die Gewänder für Glenna und Blair höchstpersönlich ausgesucht, und jetzt sah sie, dass sie eine gute Wahl getroffen hatte. Allerdings war Glenna ohnehin so attraktiv, dass ihr alles schmeichelte.
Der tiefblaue Samt betonte jedoch ihre cremeweiße Haut und das Feuer ihrer Haare.
»Ich komme mir selbst vor wie eine Prinzessin«, sagte Glenna. »Vielen, vielen Dank. Und du, Moira, bist jeder Zoll eine Königin.«
»Ja?« Sie wandte sich zu ihrem Spiegel, sah jedoch nur sich selbst. Lächelnd blickte sie Blair entgegen, die gerade ins Zimmer kam. Für sie hatte sie die Farbe Rostbraun ausgesucht, mit einem Rock aus blassem Gold. »Ich habe dich noch nie in einem Kleid gesehen.«
»Und das ist vielleicht ein Wahnsinnskleid!« Blair betrachtete ihre Freundinnen und blickte dann an sich hinunter. »Hier geht es ja zu wie im Märchen.« Sie fuhr sich mit den Fingern durch die kurzen, dunklen Haare.
»Dann macht es dir also nichts aus? Die Tradition erfordert formellere Kleidung.«
»Es gefällt mir eigentlich ganz gut, ein Mädchen zu sein, und ich ziehe mich ab und zu auch ganz gerne so an, selbst wenn es Mode aus einer anderen Zeit ist.« Blair erblickte die Honigkuchen und bediente sich. »Nervös?«
»Weit darüber hinaus. Lasst Ihr mich bitte einen Moment mit den Damen Glenna und Blair alleine?«, bat Moira ihre Frauen. Sie huschten hinaus, und Moira ließ sich in den Sessel vor dem Kamin sinken. »Sie machen schon seit einer Stunde an mir herum. Es ist anstrengend.«
»Du siehst müde aus.« Blair setzte sich auf die Armlehne. »Du hast nicht geschlafen.«
»Meine Gedanken sind nicht zur Ruhe gekommen.«
»Du hast den Trank nicht genommen, den ich dir gegeben habe«, stellte Glenna seufzend fest. »Du musst für die Aufgabe ausgeruht sein, Moira.«
»Ich musste nachdenken. Es ist eigentlich nicht üblich, aber ich möchte, dass ihr beide und Hoyt und Larkin mit mir nach vorne zum Stein geht.«
»War das nicht sowieso geplant?«, fragte Blair mit vollem Mund.
»Ihr würdet in der Prozession mitgehen, aber ich würde normalerweise alleine vorangehen. Das muss auch so sein, wie es immer gewesen ist. Direkt hinter mir würden jedoch nur meine engsten Familienmitglieder sein, mein Onkel, meine Tante, Larkin und meine anderen Vettern und Kusinen. Und dann alle anderen, ihrem Rang und ihrer Position entsprechend. Ich möchte, dass ihr mit der Familie mitgeht, da ihr meine Familie seid. Ich tue das für mich, aber auch für das Volk von Geall. Sie sollen euch sehen. Leider kann Cian nicht mitgehen.«
»Wir können es nicht im Dunkeln machen, Moira.« Blair legte Moira die Hand auf die Schulter. »Es wäre viel zu riskant.«
»Ich weiß. Und so wird der Zirkel zwar am Stein nicht komplett sein, aber ich werde an ihn denken.« Sie erhob sich und trat ans Fenster. »Es dämmert schon«, murmelte sie. »Und der Tag folgt.«
Als die letzten Sterne erloschen, drehte sie sich zu den beiden anderen Frauen um. »Ich bin bereit, ihm entgegenzutreten.«
Ihre Familie und ihre Hofdamen erwarteten sie unten bereits. Sie nahm den Umhang von Dervil entgegen und befestigte ihn mit der Drachenbrosche.
Als sie aufblickte, sah sie Cian. Zuerst nahm sie an, dass er auf dem Weg in sein Zimmer war, um sich zur Ruhe zu begeben, aber dann sah sie, dass er den Umhang trug, den Glenna und Hoyt für ihn mit einem Zauber belegt hatten, um die tödlichen Sonnenstrahlen abzuhalten.
Sie trat auf Cian zu. »Willst du das wirklich tun?«, fragte sie leise.
»Ich habe selten Gelegenheit zu einem Morgenspaziergang.«
Er sagte das leichthin, aber sie spürte, was dahinter stand. »Ich danke dir, dass du gerade diesen Morgen für deinen Spaziergang gewählt hast.«
»Die Sonne geht auf«, sagte Riddock. »Die Leute warten.«
Moira nickte und setzte die Kapuze auf, wie es Sitte war, bevor sie aus dem Haus in die Dämmerung trat.
Die Luft war kühl und dunstig. Ein leichter Wind hob die Nebel, als Moira über den Hof zu den Toren ging. Alle anderen folgten ihr, die Straße entlang und dann über das grüne Gras, das so feucht von Tau war, dass man das Gefühl hatte, durch einen Fluss zu waten. Sie wusste, dass alle hinter ihr hergingen, Kaufleute und Handwerker, Harfenspieler und Barden. Mütter und Töchter, Soldaten und Söhne.
Ein rosiger Streifen zeigte sich im Osten am Himmel, und der Bodennebel funkelte silbern.
Es roch nach Fluss und nach Erde, und sie stieg die leichte Anhöhe hinauf. Tau benetzte den Saum ihres Gewandes.
Der Stein stand auf einer kleinen, von Bäumen umstandenen Lichtung. Auf den Felsen, die die heilige Quelle umgaben, wuchsen hellgelbe Flechten und grünes Moos.
Im Frühling würden hier fröhlich orangefarbene Lilien wachsen und später dann Fingerhut. Aber jetzt schliefen die Blumen, und die Blätter hatten sich bereits verfärbt.
Der Schwertstein war breit und weiß, wie ein Altar lag er auf einem uralten, grauen Dolmen.
Durch das Laub und den Dunst hindurch drangen die ersten Sonnenstrahlen und brachten den Silberknauf des Schwertes, das in dem weißen Stein steckte, zum Funkeln.
Ihre Hände waren plötzlich eiskalt.
Ihr ganzes Leben lang kannte sie die Geschichte schon. Die Götter hatten das Schwert aus einem Blitz, dem Meer, der Erde und dem Wind geschmiedet. Morrigan selbst hatte den Altarstein und das Schwert an diesen Ort gebracht. Und dort hatte sie es bis zum Knauf hineingestoßen und mit feurigem Finger die Worte in den Stein geschrieben.
Hineingestoßen von der Hand der Götter Herausgezogen von der Hand eines Sterblichen Der mit diesem Schwert Geall regieren wird.
Am Fuß des Steins blieb Moira stehen, um die Worte noch einmal zu lesen. Wenn die Götter es so bestimmten, war es ihre Hand.
Mit wehendem Mantel trat sie durch das taunasse Gras auf ihren Platz hinter dem Stein.
Zum ersten Mal blickte sie auf. Hunderte von Menschen, ihr Volk, hatten sich versammelt. Wenn sie das Schwert herauszog, war sie für jeden Einzelnen verantwortlich. Ihre Hände waren kalt und zitterten.
Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, während die drei heiligen Männer hinter ihr Aufstellung nahmen.
Es kamen immer noch Menschen angelaufen, deshalb wartete sie noch ein wenig, bevor sie zu ihnen sprach, und blickte die an, die sie am meisten liebte.
»Mylady«, murmelte einer der heiligen Männer.
»Ja. Einen Moment noch.«
Langsam löste sie die Brosche und reichte ihren Umhang nach hinten. Ihre weiten Ärmel glitten zurück, als sie die Arme hob, aber sie spürte die Kälte auf ihrer Haut nicht. Ihr war heiß.
»Ich bin eine Dienerin Gealls«, rief sie aus. »Ich bin ein Kind der Götter. Ich stehe hier an diesem Ort, um mich beiden zu beugen. Mit meinem Blut, meinem Herzen, meinem Geist.«
Dann trat sie auf den Stein zu.
Es war jetzt totenstill. Sogar die Luft schien den Atem anzuhalten, als Moira den Arm ausstreckte und die Hand um den silbernen Schwertknauf legte.
Oh, dachte sie, als sie die Hitze spürte, die davon ausging. Ja, natürlich, es ist mein. Das war es schon immer.
Mit Leichtigkeit zog sie es heraus und hob die Spitze zum Himmel.
Sie wusste, dass sie jubelten und dass einige weinten. Sie wusste, dass sie alle die Knie beugten. Ihre Augen jedoch waren auf die Spitze gerichtet und auf den Lichtblitz, der vom Himmel darauf herunterging.
Sie spürte das Licht in sich. Dann brannte es plötzlich auf ihrem Arm, und als ob die Götter es eingeritzt hätten, bildete sich das Zeichen des Claddaugh, um sie als Königin von Geall zu kennzeichnen. Freudig und demütig zugleich blickte sie auf ihr Volk, und ihre Augen begegneten Cians.
Einen Augenblick lang schien alles andere sich aufzulösen. Es gab nur noch ihn und seine strahlend blauen Augen.
Wie konnte es sein, dass sie ihr Schicksal in der Hand hielt und dabei nur ihn sah?, fragte sie sich unwillkürlich.
»Ich bin eine Dienerin Gealls«, sagte sie, ohne den Blick von ihm zu wenden. »Ich bin ein Kind der Götter. Dieses Schwert und alles, was es schützt, ist mein. Ich bin Moira, Kriegerkönigin von Geall. Erhebt euch und wisset, dass ich euch liebe.«
Mit hoch erhobenem Schwert blieb sie stehen, und einer der heiligen Männer setzte ihr die Krone auf den Kopf.
Cian war Magie nicht fremd, weder schwarze noch wei ße, aber etwas Machtvolleres hatte er noch nie gesehen. Ihr blasses Gesicht hatte geleuchtet, als sie das Schwert ergriffen hatte, und ihre traurigen Augen hatten gestrahlt. Als sie ihn anschaute, hatte ihn ihr Blick bis ins Mark getroffen.
Dort stand sie, schlank und geschmeidig und so prachtvoll wie jede Amazone. Plötzlich wirkte sie königlich und leidenschaftlich, wunderschön.
Was sich in ihm regte, durfte nicht sein. Er trat einen Schritt zurück und wandte sich zum Gehen. Hoyt legte ihm die Hand auf den Arm.
»Du musst auf die Königin warten.«
Cian zog eine Augenbraue hoch. »Du vergisst, dass es für mich keine Königin gibt. Und ich stecke jetzt schon lange genug in diesem blöden Umhang.«
Er bewegte sich rasch. Er wollte weg vom Licht, weg von diesem Menschengeruch. Weg von der Macht ihrer grauen Augen. Er brauchte Kühle und Dunkelheit und Stille.
Er war gerade erst ein paar Schritte gegangen, als Larkin neben ihm auftauchte. »Moira hat mich gebeten, dich zu fragen, ob du vielleicht zurückreiten möchtest.«
»Nein, es ist schon in Ordnung, aber danke für das Angebot.«
»Es war fantastisch, nicht wahr? Und sie war … na ja, strahlend wie die Sonne. Ich wusste immer schon, dass sie Königin werden würde, aber sie dort stehen zu sehen, war schon etwas Besonderes. In dem Augenblick, in dem sie das Schwert berührte, war sie die Königin. Man konnte es förmlich sehen.«
»Wenn sie Königin bleiben und ein Volk zum Regieren haben möchte, dann sollte sie das Schwert besser auch benutzen.«
»Das wird sie auch. Komm, Cian, heute ist nicht der Tag für düstere Stimmungen. Wir haben es uns verdient, ein paar Stunden zu feiern. Und zu essen.« Grinsend stupste Larkin Cian mit dem Ellenbogen an. »Sie mag ja Königin sein, aber ich kann dir versprechen, dass wir Übrigen heute wie die Könige tafeln werden.«
»Nun, eine Armee ist so gut wie ihre Ernährung.«
»Ach ja?«
»Irgendjemand hat das mal gesagt. Feiert ihr heute nur, aber morgen bereiten wir uns besser alle wieder auf den Krieg vor.«
»Es kommt mir so vor, als täten wir nichts anderes. Nicht dass ich mich beklage«, fuhr Larkin fort, bevor Cian etwas erwidern konnte. »Ich bin es vermutlich nur leid, mich ständig vorzubereiten, und ich möchte gerne kämpfen.«
»Hast du in der letzten Zeit noch nicht genug gekämpft?«
»Ich muss immer noch für das bezahlen, was Blair beinahe zugestoßen wäre. Ihre Rippen schmerzen immer noch, und sie ist schneller erschöpft, als sie zugibt.« Grimmig verzog er das Gesicht. »Natürlich heilt bei ihr alles schnell, aber ich werde nie vergessen, was sie ihr angetan haben.«
»Es ist gefährlich, mit persönlichen Rachegefühlen in eine Schlacht zu gehen.«
»Ach, Blödsinn. Wir haben doch alle irgendein persönliches Anliegen. Du willst mir doch nicht erzählen, dass du nicht mehr daran denkst, was diese Schlampe mit King gemacht hat.«
Das konnte Cian nicht leugnen, deshalb ließ er das Thema auf sich beruhen. »Wie ist das eigentlich, Larkin? Bist du meine Eskorte?«
»Ja, es sieht so aus. Es war die Rede davon, dass ich mich mit meinem Körper über dich werfen soll, um dich vor dem Sonnenlicht zu schützen, falls die Magie im Umhang nachlässt.«
»Das wäre großartig. Wir würden beide auflodern wie Fackeln«, sagte Cian in beiläufigem Tonfall, aber er musste zugeben, dass er froh war, als sie das Schloss betraten.
»Man hat mich auch gebeten, dich in den Familiensalon einzuladen, wenn du nicht zu erschöpft bist. Moira wäre dir dankbar, wenn du ihr wenigstens ein paar Minuten gewähren würdest.«
 
Moira wäre gerne ein paar Minuten alleine gewesen, aber alle standen um sie herum. Den Gang zurück ins Schloss nahm sie wie durch einen Schleier wahr. Sie spürte das Gewicht des Schwertes in ihrer Hand, die Krone auf dem Kopf, während sie von Freunden und Familienmitgliedern mitgerissen wurde. Überall ertönten Jubelrufe. Das Volk von Geall feierte die neue Königin.
»Du musst dich ihnen zeigen«, sagte Riddock. »Geh auf die königliche Terrasse, das erwarten sie von dir.«
»Ja. Aber nicht allein. Ich weiß, dass es so üblich ist«, fuhr sie fort, bevor ihr Onkel etwas erwidern konnte, »aber wir leben in anderen Zeiten. Mein Zirkel soll bei mir sein.« Sie blickte Glenna, Hoyt und Blair an. »Das Volk soll nicht nur seine Königin sehen, sondern auch die, die auserwählt wurden, um in diesen Krieg zu ziehen.«
»Das ist deine Entscheidung, du hast zu bestimmen«, entgegnete Riddock mit einer leichten Verbeugung. »Aber an einem solchen Tag sollte Geall frei sein vom Schatten des Krieges.«
»Der Schatten des Krieges wird erst nach Samhain von Geall genommen. Und bis zu diesem Tag muss jeder Gealler wissen, dass ich mit dem Schwert regiere. Und dass ich Teil der sechs bin, die von den Göttern auserwählt wurden.«
Sie ergriff seine Hand, als sie durch das Tor traten. »Es wird ein Festmahl geben. Ich schätze deinen Rat, wie immer, und ich werde mich zeigen und zum Volk sprechen. Aber heute haben die Götter in mir die Königin und die Kriegerin zugleich erwählt. Und das werde ich sein. Das werde ich Geall bis zum letzten Atemzug geben. Ich werde dir keine Schande machen.«
Er zog ihre Hand an die Lippen. »Mein liebes Mädchen. Du hast mich immer nur mit Stolz erfüllt, und das wird auch so bleiben. Von diesem Tag an gehöre ich bis zu meinem letzten Atemzug der Königin.«
Die Diener hatten sich versammelt und knieten nieder, als die königliche Familie das Schloss betrat. Sie kannte sie alle mit Namen. Einige von ihnen hatten schon ihrer Mutter gedient, noch bevor Moira auf der Welt gewesen war.
Aber jetzt war es anders. Jetzt war sie nicht mehr die Tochter des Hauses, sondern dessen Herrin. Und damit auch ihre Gebieterin.
»Erhebt euch«, sagte sie. »Ihr sollt wissen, wie dankbar ich für eure treuen Dienste bin. Und ihr sollt wissen, dass auch ich euch treu dienen werde, solange ich Königin bin.«
Später, sagte sie sich, als sie die Treppe hinaufging, würde sie mit jedem Einzelnen sprechen. Das war wichtig. Aber im Moment hatte sie andere Pflichten.
Im Familiensalon brannte ein Feuer im Kamin. Frisch geschnittene Blumen aus den Gärten und den Treibhäusern schmückten das Zimmer. Der Tisch war mit feinstem Silber und Kristall gedeckt, und später würde die engste Familie mit Wein auf die neue Königin anstoßen.
Sie holte tief Luft, um die richtigen Worte zu finden, die sie zu ihren Liebsten sprechen wollte. Aber Glenna schlang einfach die Arme um sie. »Du warst großartig.« Sie küsste Moira auf beide Wangen. »Strahlend schön.«
Moiras Anspannung ließ ein wenig nach. »Ich komme mir so vor wie immer, aber auch wieder nicht. Verstehst du, was ich meine?«
»Ich kann nur versuchen, es mir vorzustellen.«
»Gut gemacht.« Blair trat vor und umarmte sie. »Darf ich es mal sehen?«
Von Kriegerin zu Kriegerin, dachte Moira und hielt Blair das Schwert hin.
»Hervorragend«, sagte Blair leise. »Es hat genau das richtige Gewicht für dich. Ich hätte erwartet, dass es mit Edelsteinen verziert ist oder so, aber es ist gut, dass das nicht der Fall ist. Es ist ein Kampfschwert und nicht nur ein Symbol.«
»Es kam mir so vor, als wäre der Knauf genau für meine Hand gemacht. Als ich es berührte, fühlte es sich an wie … wie meins.«
»Ja, das ist es auch.« Blair gab ihr das Schwert zurück. »Es ist deins.«
Moira legte es auf den Tisch, um sich von Hoyt umarmen zu lassen. »Die Macht in dir ist warm und beständig«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Geall hat Glück mit seiner Königin.«
»Danke.« Lachend ließ sie sich von Larkin herumwirbeln.
»Nun sieh dich an! Majestät!«
»Du machst dich über meine Würde lustig.«
»Ja, aber nicht über dich, a stór.« Als Larkin sie wieder auf die Füße stellte, wandte sie sich an Cian. »Danke, dass du gekommen bist. Es bedeutet mir viel.«
Er umarmte sie weder, noch berührte er sie, sondern neigte nur den Kopf. »Wie hätte ich diesen Moment verpassen können!«
»Ein Moment, der umso wichtiger für mich geworden ist, weil du daran teilgenommen hast. Ihr alle«, fuhr sie fort und wandte sich ihrer jüngsten Kusine zu, die an ihrem Rock zupfte. »Aideen.« Sie nahm das Kind auf den Arm und ließ sich einen feuchten Kuss geben. »Und wie hübsch du heute aussiehst.«
»Hübsch«, wiederholte Aideen und berührte Moiras juwelenbesetzte Krone. Dann drehte sie den Kopf und lächelte Cian scheu an. »Hübsch«, sagte sie noch einmal.
»Ein kluges Mädchen«, stellte Cian fest. Er sah, dass der Blick des Kindes auf den Anhänger fiel, den er um den Hals trug, und hob ihn an, damit sie auch ihn anfassen konnte.
Aber Aideen hatte noch nicht die Hand ausgestreckt, als ihre Mutter förmlich auf sie zuflog. »Nicht, Aideen!«, rief sie.
Sinann, die mit dem dritten Kind schwanger war, entriss Moira ihre Tochter und drückte sie fest an sich.
Erschreckte Stille trat ein. Moira hauchte den Namen ihrer Kusine.
»Ich hatte noch nie viel für Kinder übrig«, sagte Cian kühl. »Du entschuldigst mich.«
»Cian.« Moira warf Sinann einen zornigen Blick zu und eilte hinter ihm her. »Bitte, einen Moment noch.«
»Ich hatte für heute Früh genug Momente, ich möchte jetzt ins Bett.«
»Ich möchte mich bei dir entschuldigen.« Sie hielt ihn am Arm fest, bis er stehen blieb und sich zu ihr umdrehte. Seine Augen waren hart wie blauer Stein. »Meine Kusine Sinann ist eine einfache Frau. Ich spreche mit ihr.«
»Mach dir wegen mir keine Umstände.«
»Sir.« Bleich wie Wachs trat Sinann auf ihn zu. »Ich bitte Euch aufrichtig um Verzeihung. Ich habe Euch und meine Königin mitsamt ihren Gästen beleidigt. Ich bitte Euch um Vergebung für das dumme Betragen einer Mutter.«
Sie bedauerte die Beleidigung, dachte Cian, aber nicht die Tat selbst. Das Kind befand sich jetzt am anderen Ende des Zimmers, auf dem Arm seines Vaters. »Angenommen.« Er entließ sie mit einem flüchtigen Blick. »Wenn du jetzt bitte meinen Arm loslassen würdest, Majestät.«
»Ich möchte dich um einen Gefallen bitten«, begann Moira.
»Übertreib es nicht.«
»Ich stehe sowieso schon in deiner Schuld«, erwiderte Moira gleichmütig. »Ich muss hinaus auf die Terrasse, um mich meinem Volk zu zeigen. Sie müssen ihre Königin und auch ihren Zirkel sehen. Wenn du mir noch ein paar Minuten deiner Zeit schenken würdest, wäre ich dir dankbar.«
»Draußen in der Sonne.«