Rotkäppchen ist tot - Jens Luckwaldt - E-Book

Rotkäppchen ist tot E-Book

Jens Luckwaldt

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Beschreibung

Im Hundert-Sagen-Wald herrscht Frieden. Schon seit vielen Jahren ist schwarze Magie verboten, und alle Unholde alle Wölfe und Drachen, Hexen und Riesen wurden vertrieben. Was man eines Tages in dem einsamen Waldhaus findet, dürfte es also gar nicht geben... Der König möchte von dem grausigen Fund am liebsten gar nichts wissen. Schließlich steht die politisch wichtige Verlobung seiner Tochter bevor, und das ganze Land ist mit den Festvorbereitungen beschäftigt. Zwei Waldbewohner, Herr Maus und sein Freund Bärmann, beginnen auf eigene Faust zu ermitteln. Die anderen Tiere wissen ihnen so manches zu erzählen. Aber wo, in all ihren seltsamen Geschichten, steckt das Körnchen Wahrheit, verbirgt sich die Lösung des Falles?

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

1.

Ein Mädchen ging durch den Wald.

Der Wald, das war der Hundert-Sagen-Wald. So hieß er, weil er Schauplatz vieler wundersamer Geschichten gewesen war. Doch das war schon lange her. Die Zeit der wundersamen Geschichten, der Märchen und Sagen war vorüber, und die Bewohner des Waldes und seiner Umgebung wußten einander nur noch davon zu erzählen.

Das Mädchen, das durch den Wald ging, war allein. Seine Miene war düster. Das Mädchen erzählte nie Märchen. Es hörte auch nicht gern zu, wenn Märchen erzählt wurden. Märchen waren etwas für alte Leute. Die erzählten sich immerzu Märchen. Von morgens bis abends immer die alten Geschichten, immer wieder dieselben. Sie liebten ihre Geschichten. Sie lebten geradezu in ihnen. Ohne ihre Geschichten, so schien es, wußten die Leute nicht mehr, wer sie waren...

Das Mädchen schüttelte den Kopf. Dabei verrutschte die Kappe, die es auf seinen Locken trug. Die Kappe war rot. Alle Tage trug das Mädchen diese rote Kappe. »Rotkäppchen!« – so hätte jeder gleich gerufen, dem es begegnete. Zum Glück begegnete es an diesem Morgen niemandem, der Pfad durch den Hundert-Sagen-Wald lag wie ausgestorben. Das Mädchen mochte seine rote Kappe genausowenig, wie es Märchen mochte.

Das Mädchen dachte:

»Immer, wenn ich das Haus verlasse, muß ich diese blöde Kappe aufsetzen. ›Rotkäppchen, setz deine Kappe auf!‹ Ohne Kappe geht es nicht. Dabei bin ich doch kein kleines Kind mehr. Ich bin jetzt fast schon siebzehn!«

Wütend schwang es den Korb weit aus, den es in der Hand trug, und zerfetzte damit einige Blumen am Wegesrand. Ein Schmetterling, der sich an einer Blüte gelabt hatte, brachte sich aufgeregt in Sicherheit. Dann besann sich das Mädchen und griff den Korb wieder fester, damit nichts herausfiele. Es dachte – und seine Gedanken waren so vorhersehbar wie der Verlauf des Waldpfades, denn es hatte diese Gedanken schon unzählige Male gedacht, wie es auch den Pfad schon unzählige Male gegangen war:

»Nun gut. Das ist eben meine Rolle. Ich bin das Rotkäppchen und trage eine rote Kappe. Was rege ich mich auf? Es gibt viele andere Dinge, über die ich mich noch viel mehr aufregen könnte. Zum Beispiel dieser Korb.«

Der Korb, mit dem das Rotkäppchen soeben die Blumen zerfetzt und beinahe den Schmetterling ums Leben gebracht hatte, war schwer. Von Woche zu Woche schien er schwerer zu werden, obwohl das Rotkäppchen wußte, daß immer dieselben Dinge darin waren: ein Honigkuchen, eine Flasche Rotwein, ein Stück Käse und ein halber Laib Brot. Jeden Mittwoch tat die Mutter den Kuchen und das Brot, die sie tags zuvor selbst gebacken hatte, in den Korb. Dann ging sie in den Keller, holte den Käse und den Wein herauf und packte beides zum Kuchen und dem Brot. Und dann ermahnte sie Rotkäppchen, die rote Kappe aufzusetzen, und schickte es mit dem Korb, dem schweren, zur Großmutter in den Wald.

Dabei lag der Großmutter gar nichts daran!

Rotkäppchens Großmutter hatte ein gutes Auskommen. Ihr Haus im Wald war stattlich. Ihre Vorratskammer war gut gefüllt, jedenfalls gut genug für die Bedürfnisse einer alten Frau. Rotkäppchen wußte: Die Großmutter verschmähte, was Rotkäppchens Mutter ihr jeden Mittwoch bringen ließ. Die Großmutter trank keinen Wein, nur Wasser. Sie mochte lieber altes Brot als frisches, und lieber Wurst als Käse. Nur vom Kuchen aß sie wohl hin und wieder ein Stück, aber wenn, dann nur ein kleines. Wie alle alten Leute legte Rotkäppchens Großmutter Wert auf Maß und Bescheidenheit. Ihr lag nichts an schmackhaften Gaben. Und ihr lag auch nichts an der Gegenwart ihrer Enkelin. Zumindest seit diese den Kinderschuhen entwachsen war. Wenn es zur Großmutter kam – kommen mußte –, dann war das Rotkäppchen mürrisch, ruhelos, und hörte den Reden der Alten nur unwillig zu. Das wiederum ärgerte die Großmutter. Sie kritisierte ihre Enkelin von vorn bis hinten und hielt nicht enden wollende Vorträge darüber, wie viel artiger und adretter die jungen Frauen früher gewesen waren. Und wenn Rotkäppchen Pech hatte, bekam die Großmutter Mittwochs auch noch Besuch von dieser verrückten Ziege...

Man hätte sich das Ganze also getrost sparen können: Rotkäppchen den wöchentlichen Botengang, und Rotkäppchens Großmutter den Ärger über ihre respektlose Enkelin.

Aber es gehörte nun einmal dazu – zu ihnen beiden und zu ihrer Geschichte. Und so schleppte Rotkäppchen jeden Mittwoch den Korb durch den Wald. Das war unerläßlich, fand Rotkäppchens Mutter. Und nicht nur sie.

Denn: Zwar war dies die Geschichte von Mutter, Großmutter und von Rotkäppchen. Doch diese Geschichte gehörte ihnen nicht allein. Sie gehörte allen Bewohnern des Landes. Sie war Teil der allgemeinen Erinnerung. Und die Leute im und um den Hundert-Sagen-Wald hielten an ihren Erinnerungen fest. Hartnäckig. Unabänderlich.

Manchmal allerdings... Manchmal kam es einem so vor, als ob sich doch etwas veränderte. Als ob sich die Geschichten und Erinnerungen verwandelten. Manchmal schienen sich auch die Dinge selbst zu verwandeln. Die Dinge um einen herum. Dinge, an die man sich zu erinnern glaubte. Verwandelten sich auf eigentümliche Weise.

Zum Beispiel die Sache mit der Lichtung.

Die Lichtung. Die Lichtung, auf der Rotkäppchen Ihm zum ersten Mal begegnet war. Wo Er Rotkäppchen angesprochen hatte. Vor langer Zeit, damals, als Es geschah...

Rotkäppchen hatte sich die Lichtung unbedingt merken wollen. Es hatte Schritte gezählt. Sich die besondere Stellung einiger alter Bäume eingeprägt. Die Farbe einiger namenloser Blumen.

Aber es war sich nicht mehr sicher.

Als ob der Wald sich in seinem Innern verschöbe.

Oder paßte Rotkäppchen nur nicht genügend auf?

Jeden Mittwoch versuchte es von neuem, die bewußte Stelle auszumachen. Nahm es sich fest vor, wenn es von daheim aufbrach. Aber unterwegs kamen ihm immer diese Gedanken. Über den Sinn und Unsinn von alldem. Über das große Ganze. Diese Gedanken gingen Rotkäppchen im Kopf herum, und dann vergaß es wieder, die Schritte zu zählen und auf die Umgebung zu achten. Auch heute hatte Rotkäppchen wieder soviel nachgedacht, daß es nicht mehr genau wußte, wo es sich gerade befand. Gewiß, der Weg ließ sich nicht verfehlen. Der Weg war gerade – jedenfalls so gerade, wie ein Pfad durch den Wald eben sein konnte. Und beiderseits sah man deutlich, wo nicht mehr der Pfad war, sondern die Vegetation begann. Kein Abkommen war möglich. Aber Rotkäppchen wußte nicht, wie weit es schon gegangen war. War die Lichtung, der es sich nun nähere, die nämliche, besondere? Oder war das jene Stelle gewesen, an der Rotkäppchen bereits vor ein paar Minuten vorbeigekommen war und die es, in seine Gedanken versunken, kaum wahrgenommen hatte?

Nein, die hier mußte es wohl sein... Der Waldboden war übersät mit diesen kleinen Blumen – ein Teppich winziger blauer Sterne. Doch an die Gruppe kratziger Büsche zur Linken konnte Rotkäppchen sich nicht erinnern. Letzte Woche waren sie noch nicht dagewesen. Oder doch? War es möglich, daß sie in so kurzer Zeit aufgekeimt und herangewachsen waren, gewissermaßen ins Bild hinein? Falls ja, waren das dort hinten die Tannen, zwischen denen seinerzeit Er auf Rotkäppchen zugekommen war. Aber hatten ihre Stämme tatsächlich so beieinander gestanden, in diesem ganz speziellen Winkel?

Vielleicht war es ja auch gar nicht so wichtig zu wissen, ob genau dies die Lichtung war. Wissen ist Macht, so behaupteten die Leute. Auf solche Sprüchlein gaben sie ebensoviel wie auf Geschichten.

Wissen... War es wissenswert, Ihm begegnet zu sein? Welche Macht erwuchs daraus, verschlungen zu werden? Durch einen nassen Schlund hinabzugleiten in das Dunkel? Sofern man nicht zwischen Ober- und Unterkiefer, zwischen riesigen Zähnen, mitten durchtrennt wurde... Kiefer wie Fallgitter. Kiefer wie Richtbeile. Kiefer wie all die Dinge, die vergangen waren. Von denen man nur noch aus den alten Erzählungen wußte.

Auch Rotkäppchens Großmutter erzählte gern, und besonders gern von sich. Von ihrer eigenen Vergangenheit. Davon erzählte sie immer öfter. In den letzten Wochen fast ausschließlich. Ständig verweilte sie bei jener Zeit, da sie, in jungen Jahren, noch im Königsschloß gewohnt hatte. Diese frühere Stellung war wohl auch der Grund dafür, daß die Großmutter heute so gut lebte. Zweifellos bekam sie eine gute Rente!

Na gut, viele Leute pflegten nostalgische Erinnerungen. Aber Rotkäppchen fand doch, daß die Großmutter es in letzter Zeit ein wenig übertrieb. Auch tat die Großmutter Dinge, die ihr früher nie passiert waren. Eine Frau, die immer so auf sich gehalten hatte! Zum Beispiel steckte sie einen benutzten Löffel, statt in den Abwasch, in ihre Schürzentasche. Oder hatte statt beider Strümpfe nur einen angezogen und bemerkte es nicht. Kein Zweifel, die alte Frau wurde langsam hinfällig. Ein wenig wunderlich war sie ja immer schon gewesen. Oder sollte man es etwa nicht wunderlich finden, daß sie, statt sich ein hübsches Stadthaus zu kaufen, mitten im dunklen Wald wohnen blieb? Nach allem, was hier passiert war?

Hatte ihr die Erfahrung geschadet, Ihm zwischen die Kiefer zu geraten? Ihm, dem Grauen...

Das Mädchen mit der roten Kappe, das gar kein kleines Mädchen mehr war, schauderte. Ein plötzlicher Wechsel am bewölkten Nachmittagshimmel schickte Schatten über die Waldlichtung. Ein kühler Wind fuhr durch den Blumenteppich, wie der Abdruck eines unsichtbaren Tiers. Er schüttelte die tiefhängenden Zweige der Tannen und ließ sie leise knistern, so als ginge jemand dahinter vorbei.

Das Rotkäppchen straffte die Schultern. Schnelleren Schrittes ging es weiter. Wenig später hatte es sein Ziel erreicht. So schnell war das letzte Wegstück zurückgelegt, daß feststand: Die Lichtung war nicht die richtige gewesen. Es war nicht so nah beim Haus, dachte das Rotkäppchen.

Es sah zu dem spitzen Giebel empor.

Ein stattliches Haus.

So sagte es sich – weiß Gott nicht zum ersten Mal.

Daß es das letzte Mal war, konnte niemand ahnen. Oder doch so gut wie niemand. Das Rotkäppchen jedenfalls nicht.

Es öffnete die Tür, die nie abgeschlossen war, und trat ein.

Auf der Schwelle zur guten Stube erstarrte es. Seine Augen weiteten sich vor Schreck. »Aber was...« war alles, was es sagen konnte, und dann noch: »Was machst du denn hier?«

Dann sagte es nichts mehr.

2.

»Verdammt!« sagte Herr Maus.

»Ach du liebe Güte«, sagte Bärmann.

»Verdammt interessant«, sagte Herr Maus.

»Au Backe, Backe, Backe«, sagte Bärmann.

»Scht!« sagte Herr Maus.

Schweigend standen sie eine Weile in der Tür, die nie abgeschlossen war. Die Sonne warf ihre beiden pelzigen Schatten – den einen groß, den anderen sehr klein – ins Innere des Hauses. Ins Haus und über die Szenerie, die sich dort ihren Blicken darbot.

»Ist das Blut?« fragte Bärmann schließlich.

»Hm«, sagte Herr Maus.

»Ist das wirklich alles Blut?«

»Sieht ganz so aus.«

»Ich glaube, ich muß mich übergeben.«

»Wenn das so ist, geh bitte ein Stück nach draußen.«

Bärmann hielt sich für einen Moment am Türrahmen fest. »Jetzt ist es schon besser«, sagte er dann.

»Gut«, sagte Herr Maus.

Wieder standen die beiden Tiere da und starrten in die Stube.

»Ich seh’ mir das mal näher an«, sagte Herr Maus.

»Oh, nein, nein«, sagte Bärmann, »nicht!«

»Wieso nicht?«

»Vielleicht ist es gefährlich.«

»Ach was.«

»Und das viele Blut?«

»Ich pass’ schon auf. Außerdem bist du ja bei mir.«

»Ah ja, stimmt«, sagte Bärmann. »Ich – ich bleib’ hier stehen und behalte alles im Blick.«

»Gut.« Herr Maus lächelte sarkastisch. Dann machte er ein paar entschlossene Schritte in die Stube hinein.

In weitem Bogen umrundete er die beiden Gestalten, die in der Mitte des Raumes auf dem Boden lagen. Hin und wieder blieb er stehen. Er witterte hier, äugte da.

»Wer sind die beiden?« fragte plötzlich eine Stimme über ihm.

Herr Maus fuhr erschocken zusammen. »Ich denke, du wolltest bei der Tür bleiben!«

»Ich habe mich gefürchtet.« Bärmann sah schuldbewußt auf seinen Genossen herab.

»Tritt nicht in die Pfützen«, sagte Herr Maus. »und wirf nichts um! Ich will mir alles einprägen.«

»Wer sind die beiden?« wiederholte Bärmann.

»Die Frage«, sagte Herr Maus, »sollte vielleicht besser lauten: Wer waren sie?«

»Wieso waren? Sie sind doch hier.«

»Sie sind aber ganz offensichtlich tot, oder?«

»Das sind sie.«

»Also waren sie.«

»Sie sind, also waren sie?«

»Da haben wir ein schönes Paradox«, stellte Herr Maus fest.

»Wo?« fragte Bärmann.

»Was?« fragte Herr Maus.

»Ich sehe nichts«, sagte Bärmann.

»Was willst du denn sehen?« fragte Herr Maus.

»Dieses Para-Dings. Wo ist es?«

Herr Maus seufzte. »Ein Paradox – das kann man nicht sehen.«

»Aber du hast doch gesagt: Da haben wir es!«

»Ein Paradox ist einfach, verstehst du?

»Es ist. Und war es auch?«

»In diesem Fall ja.«

»Ach so.« Herr Bärmann überlegte eine Weile. »Also wer sind-und-waren die beiden?«

»Das hier... ähm... ist« – Herr Maus warf seinem Freund einen strengen Seitenblick zu – »ist ganz offensichtlich das Rotkäppchen, und...«

»Woher weißt du das?«

»Woher weiß ich was?«

»Daß es das Rotkäppchen ist.«

»Hat es vielleicht eine blaue Kappe auf? Und das da ist sein Korb!« Ungeduldig wies Herr Maus mit einer Kopfbewegung auf die Stelle.

Bärmann beugte sich hinunter und beschnüffelte die Gegenstände, die dicht neben dem Korb auf dem Boden lagen. »Käse...« brummte er. »Brot... eine Flasche Rotwein... Kuchen... Kuchen... Riecht gut.« Er leckte sich die Lippen.

»Habe ich dir doch gesagt«, sagte Herr Maus. »Und das andere ist Rotkäppchens Großmutter. Aus der Ferne habe ich sie schon öfter gesehen.« Er trippelte näher an den Leichnam heran. Die dunkelrote Lache, die darunter hervorgesickert war, vermied er dabei sorgsam.

Die alte Frau lag auf dem Bauch, ihr Kopf war leicht zur Seite gedreht. Vorsichtig lupfte Herr Maus eine der grauen Haarsträhnen.

»Kein Zweifel«, sagte er.

»Und was machen wir jetzt?« fragte Bärmann.

»Wir müssen es jemandem sagen.«

»Und wem?«

»Komm mit vors Haus!« sagte Herr Maus. »Wir warten, bis jemand vorbeikommt.«

*

»Was machst du denn da?«

»Ich muß was essen. Mir ist immer noch ein bißchen übel. Essen ist gut gegen Übelkeit.«

»Wir hätten lieber nichts anrühren sollen!«

»Hab’ ich doch gar nicht.«

»Und was ist das in deiner Tatze?«

Mit einer schnellen Bewegung schob Bärmann seine Tatze mit allem, was er darin hielt, in seinen Mund.

»Du warst an Rotkäppchens Sachen!« sagte Herr Maus.

»Nur am Korb«, murmelte Bärmann.

»Alles kann wichtig sein«, stellte Herr Maus fest.

»Auch der Honigkuchen?«

»Keine Ahnung.«

»Lecker.« Bärmann schleckte seine Tatze ab. Dabei neigte er nachdenklich seinen großen Kopf zur Seite. »Bei Honig muß ich immer an dieses Märchen denken, das meine Mama erzählt hat. Ich meine, sie hat viele Märchen erzählt. Aber es ist das einzige, das ich mir merken kann...«

»Soso«, sagte Herr Maus.

»Soll ich es dir erzählen?« fragte Bärmann. »Es geht so –«

»Laß mal.«

»Es ist ein sehr schönes Märchen.«

»Nicht jetzt.«

Bärmann zerkaute schweigend die letzten Kuchenkrümel.

»Und, geht es dir jetzt besser?« fragte Herr Maus schließlich, als die Stille zu lang wurde. Er gab sich allerdings Mühe, seine Worte nicht allzu fürsorglich klingen zu lassen.

»Weiß nicht«, antwortete Bärmann.

»Siehst du«, sagte Herr Maus, »jetzt ist dir übel von dem vielen Kuchen.«

»Hm«, machte Bärmann.

»Das hätte ich dir gleich sagen können«, sagte Herr Maus. »Wenn man zu viel Kuchen ißt, wird einem übel davon! Ich habe neulich den gleichen Fehler gemacht.«

»War das neulich, als du zum ersten Mal zu Rotkäppchens Großmutter gegangen bist?«

»Vor vierzehn Tagen. Genau.«

»Du hast auch von dem Honigkuchen gegessen.«

»Ich muß zugeben, daß er lecker war.«

»So hast du es mir erzählt.«

»So lecker, daß ich wohl ein bißchen zuviel davon gegessen habe. Jedenfalls war mir ein wenig übel.«

»Mir ist nicht übel. Mir geht’s jetzt besser.«

»Dann ist ja gut.«

»Du nimmst ohnehin gern etwas kleinere Portionen.«

»Ich halte mich an den Käse. Der ist noch leckerer als der Kuchen.«

»Käse ist eben für Mäuse, und Honig für Bären.«

»Genau.«

*

»Ich glaube, jetzt kommt jemand«, sagte Bärmann.

»Das muß der Förster sein«, sagte Herr Maus.

»Woher weißt du das?« fragte Bärmann.

»Er hat einen grünen Hut auf«, sagte Herr Maus.

Bärmann kratzte sich am Kopf. »Das mit dem Grün und dem Rot muß ich mir noch einmal genau überlegen«, sagte er.

»Das glaube ich auch«, sagte Herr Maus.

Sie beobachteten, wie der Förster an das Haus von Rotkäppchens Großmutter herantrat. Er nahm seinen grünen Hut ab, dann klopfte er laut an die Tür. »Großmutter! Seid Ihr zu Hause?«

»Ich mag seine Stimme«, brummte Bärmann.

Der Förster fuhr herum. »Habt ihr mich erschreckt!« rief er »Ich habe euch gar nicht bemerkt. Was sitzt ihr da hinten im Schatten der Bäume?«

Herr Maus hob seine Stimme, so daß der Förster ihn verstehen konnte. »Wir warten, bis jemand vorbeikommt.«

»Jetzt bist du vorbeigekommen«, sagte Bärmann. Er lächelte den Förster an. Der Förster zuckte zusammen.

»Warum machen Sie einen solchen Lärm?« fragte Herr Maus.

Der Förster sah ihn verständnislos an. »Was meint ihr?«

»Die Tür ist nie abgeschlossen«, sagte Herr Maus.

»Man kann einfach reinspazieren«, sagte Bärmann zufrieden.

»Das gehört sich nicht«, sagte der Förster streng.

Er kam zu ihnen herüber. Als er vor ihnen stand, sagte er: »Wenn man eine ältere Dame besucht, die allein im Wald wohnt, dann klopft man an! Weißem Haar bring Achtung dar!« Und weil Herr Maus ihn weiter ansah: »Die Großmutter hört schon ein bißchen schlecht. Kein Wunder bei ihren Jahren. Da klopfe ich eben ein bißchen kräftiger, und ich spreche mit lauter Stimme.«

»Ich mag deine Stimme«, sagte Bärmann.

»Und ihr, hm«, sagte der Förster, »warum sitzt ihr hier im Schatten der Bäume? Nur wer verflucht, den Schatten sucht.«

»Wir haben auf Sie gewartet«, sagte Herr Maus.

»Wir haben die beiden gefunden«, sagte Bärmann.

»Gefunden?« fragte der Förster. »Welche beiden?«

»Rotkäppchen und ihre Großmutter«, sagte Herr Maus.

»Aber wir haben nichts angerührt«, sagte Bärmann. »Na ja, so gut wie nichts...«

»Alles ist noch ganz genau so, wie es war«, sprang Herr Maus ihm bei.

»Es war, und es ist auch«, bekräftigte Bärmann.

»Aber was soll denn das heißen?« fragte der Förster. In seinem Gesicht malte sich zunehmende Unruhe.

»Am besten, Sie schauen es sich selber an«, sagte Herr Maus.

Irritiert wandte der Förster sich wieder dem Haus zu. Er zögerte kurz. Dann eilte er zurück zur Eingangstür.

Herr Maus und Bärmann ließen es ruhiger angehen. Bedächtig erhoben sie sich von ihrem Platz unter den hohen Tannen und folgten ihm.

Der Förster riß die Tür auf, ohne noch einmal anzuklopfen, und verschwand im Innern.

Schon kurz darauf erschien er wieder, mit ungleich langsamerem, unsicherem Schritt. Sein Gesicht war so grau wie die Hauswand neben ihm. Bärmann und Herr Maus waren inzwischen herangekommen. Der Förster hielt sich an der Türklinke fest. Dann übergab er sich. Bärmann hielt sich die Nase zu. Herr Maus, mit kritischer Miene, wandte sich halb ab.

Allmählich erholte der Förster sich.

»Willst du vielleicht etwas Kuchen?« fragte Bärmann ihn.

»Wie?« keuchte der Förster.

»Ist gut gegen Übelkeit.«

»Nein, danke...«

»Gut«, sagte Bärmann. »Er ist ohnehin alle.«

Der Förster faßte die beiden Genossen nun schärfer ins Auge. Langsam ließ er den Blick vom einen zum andern wandern.

»Was wißt ihr über die Sache? Wer oder was seid ihr denn eigentlich, he? Habe ich euch schon mal in diesem Teil des Waldes gesehen?«

Bärmann tippte Herrn Maus an. »Er weiß nicht, was wir sind!« sagte er.

Herr Maus sagte nichts.

»Ein Förster sollte doch wissen, welche Tiere im Wald leben«, sagte Bärmann.

»Man kann nicht jede beliebige kleine Maus kennen«, sagte der Förster.

Herr Maus räusperte sich. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht«, sagte er langsam und reckte sich, »wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mich mit Herr Maus ansprechen würden.«

Der Förster zog die Brauen zusammen. »Ähm... natürlich, wenn du Wert darauf legst, also – wenn ihr Wert darauf legt...« Er verstummte.

Herr Maus entspannte sich wieder. »Verbindlichsten Dank«, sagte er. »Ich also bin Herr Maus. Und das hier ist mein Freund Bärmann.«

Bärmann ließ ein zufriedenes Brummen hören.

Der Förster zuckte zusammen.

»Und, ähm... Was wißt ihr nun über die Sache zu sagen?« fragte er.

»Wir wissen, daß die beiden Rotkäppchen und ihre Großmutter sind«, sagte Bärmann. »Sind und waren.«

»Ah, ja...« sagte der Förster ratlos.

»Vom Rotkäppchen hat schließlich jeder im Hundert-Sagen-Wald schon mal gehört«, stellte Herr Maus fest.

»Ach so?« fragte Bärmann.

»Es ist eine bekannte Geschichte«, sagte Herr Maus.

»Na ja«, murmelte Bärmann.

»Und war habt ihr heute hier beim Haus der Großmutter gewollt?« fragte der Förster.

»Oh«, sagte Herr Maus, »wir kamen nur ganz zufällig vorbei. Wir sind sehr selten in diesem Teil des Waldes, und...«

»Wir wollten die Fressalien von der Großmutter nehmen«, sagte Bärmann, ohne auf die Worte seines Freundes zu achten. Er bemerkte auch nicht, wie ihm dieser nun schnell auf den Fuß trat. Herrn Maus’ Fuß war klein, und Bärmanns Fuß war sehr groß.

»Herr Maus hat schon zweimal Erfolg damit gehabt«, fuhr Bärmann fort. »Den Tip hat Herr Maus von Ziegemut bekommen. Ziegemut besucht die Großmutter seit einer ganzen Weile. Jeden Mittwoch, da unterhalten sich die beiden. Sie unterhalten sich über alte Zeiten. Ich glaube, sie sprechen vor allem über Ihn. Ich meine den Grauen – du weißt schon. Sie haben ja beide so ihre Erlebnisse mit ihm. Ihre Geschichten. Und über ihre Geschichten zu sprechen hilft ihnen irgendwie. Ich weiß zwar nicht, wie das gehen soll, aber egal. Jedenfalls hat Ziegemut Herrn Maus erzählt, daß die Großmutter mittwochs immer einen Korb bekommt, und daß von dem Korb immer etwas übrig bleibt. Ich meine von den Fressalien darin. Es ist ein großer Korb voller Fressalien – man hat schon öfter davon gehört, du vielleicht auch. Das heißt, von dem Korb, nicht vom Übrigbleiben. Davon hat Ziegemut erzählt. Die Großmutter mag die Fressalien gar nicht, deshalb bleiben sie übrig. Also sind wir hergekommen. Herr Maus sagt, wenn die Großmutter die Fressalien nicht will, dann ist das auch nicht Klauen. Allerdings muß man zusehen, daß man vor Ziegemut da ist! Aber die ist ohnehin vor allem an dem Wein interessiert. Komisch übrigens, daß sie heute noch gar nicht aufgetaucht ist. Müßte doch schon längst ihre Zeit sein – was, Herr Maus? Was hüpfst du denn da so? Also, obwohl es kein Klauen ist, muß man die Sachen natürlich heimlich nehmen. Herr Maus ist sehr gut darin. Er hat schon zweimal allein etwas von den Sachen genommen. Heute durfte ich mitkommen. Ich bin sein Freund. Aber zum Heimlich-Nehmen bin ich eher ein kleines bißchen zu... ähm... zu groß. Ich kann besser draußen Schmiere stehen. Aber Honigkuchen esse ich auch gerne.« Bärmann holte tief Luft. So lange sprach er nur selten am Stück.

Auch Herr Maus, der die ganze Zeit auf Bärmanns Fuß herumgesprungen war, hielt erschöpft inne.

Vom Gesicht des Försters war der Argwohn gewichen. Verstohlen lächelte er in seinen Bart. »Wenn das so ist«, sagte er, »dann habt ihr sicher beim Herkommen darauf geachtet, möglichst ungesehen zu bleiben.«

Die beiden Tiere nickten.

»Heimlichkeit bringt doppelt weit«, sagte der Förster. »Ist euch trotzdem jemand begegnet?«

Sie schüttelten die Köpfe, Herr Maus ernst, Bärmann fröhlich.

»Auch die Ziege war nicht hier, sagt ihr? Ich kenne die Ziege. Gerade vorhin, im Wald, da lief sie mir über den Weg.«

Herr Maus und Bärmann schüttelten abermals die Köpfe.

»Und ihr habt auch sonst nichts Ungewöhnliches gesehen?«

»Nein, nichts«, sagte Herr Maus.

»Nur als wir die Tür aufgemacht haben«, sagte Bärmann. »Herr Maus ist erst allein ins Haus, wie immer. Durch ein geheimes Loch. Ich sollte draußen warten. Auf ihn und auf die Eßsachen. Aber dann kam er ohne Eßsachen wieder raus. Er war ganz aufgeregt. Dann sind wir zusammen durch die Tür rein, in die gute Stube.«

»Und da lagen sie schon so wie jetzt? In ihrem Blut?«

»Genau so.«

»Eine schlimme Sache«, sagte der Förster. »Die Armen! Sie sind beide furchtbar zugerichtet. Verstümmelt hat der Mörder sie. So etwas darf nicht sein! Der das getan hat, muß zur Verantwortung gezogen werden.«

»Und was soll jetzt geschehen?« fragte Herr Maus.

»Ich werde bei Hof Meldung machen«, sagte der Förster. »Der König muß alles erfahren. Des Reiches Sorgen sind des Königs Sorgen, und des Königs Sorgen sind keine Sorgen!«

»Gut, daß Sie die Angelegenheit in die Hand nehmen«, sagte Herr Maus.

»Das tue ich«, sagte der Förster. »Drinnen habe ich den Hausschlüssel hängen sehen. Ich schließe die Tür ab und bringe mein Siegel an, dann kann niemand unbemerkt hinein. Und gleich morgen früh gehe ich zum König. Heute ist es gewiß schon zu spät, um noch vorgelassen zu werden. Es wird dunkel sein, ehe ich am Hof ankomme.«

»Und wir? Dürfen wir uns zurückziehen?«

»Ja, die Sache ist in den besten Händen. Grübelt nicht zuviel darüber nach. Das sind Anblicke, die man lieber wieder vergißt. Geht am besten nach Hause. Macht euch nicht zu viele Gedanken.«

»In Ordnung«, sagte Bärmann.

*

»Ich glaube, er mochte uns«, sagte Bärmann.

»Ich nehme mal an, es ist sein Beruf, Tiere zu mögen«, sagte Herr Maus.

»Ich glaube, er fand uns nett«, sagte Bärmann.

»Da haben wir ja Glück gehabt – bei deinen Räubergeschichten!« sagte Herr Maus.

»Ich fand ihn auch nett«, sagte Bärmann.

»Wie schön.«

»Ich hatte bei ihm ein gutes Gefühl, so im Bauch.«

»Wenn das mal nicht eher der Kuchen war.«

»Trotzdem hatte ich den Eindruck, er hat sich ein ganz wenig vor mir gefürchtet.«

»Du bist eben sehr groß...«

»Ein Förster sollte sich doch mit großen Tieren auskennen«, sagte Bärmann. »Außerdem wurden doch alle wilden Tiere aus dem Wald vertrieben. Wenn ich hier bin, dann weiß er, daß ich nicht wild sein kann.«

»So sind eben die Menschen«, sagte Herr Maus. »Zwischen dem, was sie wissen, und dem, was sie empfinden, besteht oft ein Unterschied.«

Bärmann dachte lange nach.

»Weißt du, Herr Maus...«

»Ja, Bärmann?«

»Schade, daß man so ein Paradox nicht essen kann!«

3.

»Guten Morgen, Bärmann.«

»Wie? Was?«

»Ich sagte: Guten Morgen.«

»Ist denn schon Morgen?«

»Hast du gut geschlafen?«

Bärmann richtete sich auf und rieb sich die Augen. Von draußen drang noch kaum ein Tagesschein herein. »Du hast mich geweckt«, stellte er fest.

»Ich will mich mit dir unterhalten«, sagte Herr Maus.

»Ach so«, sagte Bärmann. »Ja, dann: Vielen Dank, ich habe gut geschlafen. Obwohl... Also eigentlich habe ich ein bißchen unruhig geschlafen. Vielleicht habe ich wirklich zu viel Kuchen gegessen.«

»Hab’ ich doch gleich gesagt.«

»Es ging mir die ganze Nacht so im Bauch herum. Ich habe von Bienen geträumt.«

»Du träumst immer von Bienen.«

»Diese hier waren so groß wie Hunde und sind die ganze Zeit auf meinem Bauch herumgesprungen.«

»Aha...«

»Es waren besonders große Hunde!«

»Soso.«

»Und wie hast du geschlafen, Herr Maus?«

»Ich habe gar nicht geschlafen.«

»Du hast gar nicht geschlafen?«

»Ich konnte nicht. Ich mußte die ganze Zeit nachdenken.«

Bärmann juckte sich hinter dem Ohr. »Aber worüber willst du dich dann mit mir unterhalten?« fragte er.

»Bitte?« Herr Maus verstand nicht.

»Du wolltest dich doch mit mir unterhalten«, erklärte Bärmann. »Und du hast mich gefragt, wie ich geschlafen habe. Wenn du aber selber nicht geschlafen hast, können wir uns doch gar nicht darüber unterhalten, wie wir geschlafen haben.«

Herr Maus verschränkte die Pfoten.

»Und sich unterhalten«, fuhr Bärmann fort, »das heißt, daß man mit einem Thema anfängt, und dann sagen alle, was sie darüber denken.«

»Gedacht«, sagte Herr Maus, »das habe ich heute Nacht. Darum habe ich ja nicht geschlafen. Und meine Gedanken von heute Nacht, über die möchte ich mich mit dir unterhalten.«

Bärmann überlegte eine Weile. »Du meinst, du möchtest mir deine Gedanken mitteilen«, stellte er fest.

Herr Maus atmete tief ein und dann wieder aus. »Genau«, sagte er dann.

»Ach so«, sagte Bärmann. »Gut.«

In diesem Augenblick klopfte es.

Da Herr Maus keine Anstalten machte, erhob Bärmann sich vollends von seinem Nachtlager und ging zur Tür. »Wer ist da?« fragte er.

»Mister Springer«, klang es leise.

Bärmann öffnete. Draußen stand ihr gemeinsamer Freund. Seine Hasennase zuckte.

»Darf ich reinkommen? Danke!« sagte Mister Springer. Er sprach so atemlos, wie es stets seine Art war.

»Komm doch rein«, sagte Bärmann, dessen Gedanken und Worte nicht so schnell mithalten konnten. Das Tempo des Langohrs verwirrte Bärmann immer ein wenig. Da Mister Springer derweil schon zwischen seinen Beinen hindurch ins Zimmer gehoppelt war, schloß er die Tür.

»Und«, sagte Herr Maus, »was führt dich zu uns? Es ist noch reichlich früh!«

»Die Spatzen«, sagte Mister Springer, und seine Nase zuckte noch heftiger. »Die Spatzen sind sehr aufgeregt heute Morgen. Sie reden. Ihr wißt ja, wie die Spatzen sind.«

»Die Spatzen reden immer«, sagte Bärmann. »Komische Tiere.«

»Die Spatzen sehen auch viel«, sagte Herr Maus. »Was draußen im Wald ist. Und sie hören, was so gesprochen wird. Und dann reden sie über das, was sie gesehen und gehört haben. Und diejenigen Spatzen, die nichts gesehen und gehört haben, reden über das, was die anderen Spatzen gesagt haben. Und am Schluß wissen sie nicht mehr, ob sie selbst etwas gesehen und gehört oder ob nur die anderen Spatzen davon erzählt haben. Sie sind sehr vergeßlich!«

»Wahrscheinlich reden sie deshalb so viel«, sagte Mister Springer. »Damit es heraus ist, ehe sie es vergessen haben.«

»Aber man kann sich nicht auf das verlassen, was sie sagen«, sagte Herr Maus. »Denn beim vielen Nachplappern geraten ihnen die Dinge durcheinander, und selbst die, die etwas gesehen oder gehört haben, reden am Ende irgendwelchen Unsinn darüber, weil sie sich nicht mehr erinnern.«

»Sie haben eben sehr kleine Köpfe«, sagte Bärmann.

»Kleine Köpfe...« sagte Herr Maus langsam.

»Ja: klein«, sagte Bärmann. »So klein wie eine... ähm...« Er sah Herrn Maus an.

Herr Maus sah Bärmann an. Bärmann verstummte.

Einen Moment herrschte Stille.

Herr Maus bemerkte, daß Mister Springer ihn fixierte. »Was machst du denn für große Augen?« fragte Herr Maus. »So als wäre ich die Schlange und du das... also...«

Wieder schwiegen die drei Freunde betreten.

Schließlich fragte Bärmann: »Was haben die Spatzen denn nun gesagt?«

»Die Spatzen«, sprudelte es sofort aus Mister Springer heraus, und aus seinen Worten klang ebensoviel Furcht wie Neugier, »die Spatzen sagen, daß Herr Maus im Haus von Rotkäppchens Großmutter eine Leiche gefunden hat. Stimmt das?«

»Ja«, sagte Bärmann.

»Nein«, sagte Herr Maus.

»Nein«, sagte Bärmann.

»Ich habe im Haus von Rotkäppchens Großmutter zwei Leichen gefunden«, sagte Herr Maus. »Das ist mal wieder typisch für die Spatzen.«

»Ich habe auch zwei Leichen gefunden«, sagte Bärmann.

»Ihr habt also vier Leichen gefunden?« fragte Mister Springer erschrocken.

»Nein«, sagte Bärmann.

»Wir haben miteinander zwei Leichen gefunden«, sagte Herr Maus.

»Und war es die Leiche von Rotkäppchens Großmutter?«

»Von Rotkäppchens Großmutter und von Rotkäppchen.«

»Es hatte eine rote Kappe auf«, erklärte Bärmann.

»Ach so«, sagte Mister Springer. Noch immer lag Panik in seiner Stimme, und mit aufgerissenen Augen starrte er weiterhin von einem zum anderen.

»Was?« sagte Herr Maus. »Was ist?«

»Die Spatzen...« Mister Springers Nase zuckte wie wild. »Die Spatzen sagen, die Leiche war – verstümmelt!«

»Ich habe lieber nicht so genau hingeschaut«, sagte Bärmann.

»Aber ich«, sagte Herr Maus. »Ich habe mir alles eingeprägt. Sie waren beide verstümmelt. Ganz grausam zugerichtet waren sie. Jedenfalls soweit man das sehen konnte. Die Großmutter lag ja auf dem Bauch. Es war aber eine Menge Blut aus ihr herausgelaufen. Daher denke ich, daß sie ähnliche Wunden wie Rotkäppchen hatte. Rotkäppchen lag auf dem Rücken. Tiefe Wunden in Brust und Bauch. Offenbar ist sie von vorne angefallen worden. Außerdem hatte sie keine Hände mehr.«

»Keine Hände mehr?« fiepte Mister Springer.

»Ab, alle beide!« sagte Herr Maus.

»Du meinst, sie lagen... ähm... daneben?«

»Nein. Sie waren weg. Nirgends zu sehen. Bei der Großmutter hingegen fehlten die Füße.«

»Entsetzlich!« sagte Bärmann.

»Keine Füße...« Mister Springers Stimme war kaum noch zu hören.

Herr Maus genoß die Wirkung seines Berichtes.

»Wieso wart ihr eigentlich bei dem Haus?« fragte Mister Springer.

»Wegen dem Kuchen«, sagte Bärmann. »Und wegen der anderen Sachen. Wenn Rotkäppchen kommt, bleibt immer viel übrig. Ein Plan von Herrn Maus. Und der hat ihn von Ziegemut.«

»Die Alte braucht die Lebensmittel gar nicht«, sagte Herr Maus obenhin.

»Von dem Kuchen ist Herrn Maus allerdings neulich schlecht geworden«, sagte Bärmann.

»Ich nehme lieber von dem Käse«, sagte Herr Maus.

»Vielleicht war in dem Kuchen was Schlechtes drin«, warf Mister Springer ein.

»Nein«, sagte Herr Maus. »Es war einfach nur zuviel.«

»Vielleicht war er vergiftet«, sagte Mister Springer noch eifriger. »Vielleicht hat jemand den beiden Gift in den Kuchen getan!«

»Gift ist aber verboten«, stellte Bärmann fest.

»Zerfleischen ist auch verboten«, sagte Herr Maus.

»Sag doch nicht so was!« Mister Springer legte die Ohren an.

»Jetzt hört schon auf«, sagte Herr Maus. »Die beiden sind doch nicht an dem Kuchen gestorben. Und sie haben sich auch nicht die Hände und Füße beim Auflesen der Krümel ausgerissen.«

»Schlimme, schlimme Worte!« jammerte Mister Springer.

»Vielleicht war es ja Zauberei?« sagte Bärmann. »Das mit den Händen und Füßen.«

»Zauberei ist auch verboten«, sagte Herr Maus. »Verboten und verbannt. Mitsamt den Zauberern und Hexen. Verbannt wie alle anderen Unholde: Mörder, Räuber, Betrüger...«

»Und wie die wilden Tiere«, sagte Bärmann.

»Eben.«

»Wenn ihr mich fragt«, sagte Mister Springer hastig, »die Sache erinnert mich an ein Märchen, das mir meine Mutter immer erzählt hat.«

»Ach was«, sagte Herr Maus.

»Soll ich es euch erzählen?«

»Ähm, nein danke.«

»Es ist ein schönes Märchen. Es wirkt sehr beruhigend.«

»Nicht jetzt.«

»Ich erzähle es euch. Es geht so:

Ein König und eine Königin, die hatten einander sehr lieb. Alle Tage waren sie beieinander und wurden ihrer nicht überdrüssig. Und der König wünschte sich nichts mehr, als daß die Königin ihm ein Kind schenken möge – eine Tochter ersehnte er, die ihrer Mutter aufs Haar ähnelte, so daß der König sein Lebtag das geliebte Gesicht vor Augen hätte und ihre geliebte schöne Gestalt, selbst wenn die Königin alterte oder ihm gar durch ein Unglück genommen würde. Denn wie der König seiner Frau anhing, so sehr fürchtete er auch, sie und ihre Liebe zu verlieren – durch eine schwere Krankheit, ein Verbrechen oder einen schlimmen Verrat. Und auch die Königin wünschte nichts, als ihrem Gemahl zu gefallen und ihm die Sehnsucht nach einem gemeinsamen Töchterlein zu erfüllen, denn so sehr liebte sie ihn. Indes das Kind kam nicht. Die Königin blieb unfruchtbar, und der König wurde von Tag zu Tag trauriger. In ihrer Not ging die Königin eines Tages zu einem Weiblein, das in einem armseligen Haus am Waldrand wohnte und das man im Volk für eine alte Hexe erachtete, denn es hieß von ihr, sie sei in allerlei Zauberkünsten bewandert. Diese suchte die Königin nun insgeheim auf und brachte ihre Not vor sie. ›Dem Ding kann geholfen werden‹, sagte die Alte, ›aber was willst du mir geben, wenn ich dir das Mittel sage?‹ Die Königin wußte nicht, welches die rechte Gabe sei, und sie fürchtete auch, die Alte durch ein falsches Angebot zu verärgern. So fragte sie, was sie begehre. ›Der schöne Ring da, den du an deinem Finger trägst, der täte mir schon gefallen‹, sagte die Hexe. Und die Königin in ihrem Verlangen, das Mittel zu einem Kinde zu erfahren, versprach ihr den Ring, obgleich er ein Geschenk des Königs und ihr teuer war. Die Alte war’s zufrieden und sprach: ›So geh in den Wald hinein, gleich hier bei meinem Häuslein, und geh immer weiter geradeaus, bis du an eine Lichtung kommst, in deren Mitte drei große Steine stehen. Am Fuß des mittleren Steins wirst du ein Kräutlein finden, das heißt Hasengras – das pflücke und bringe mir. Ein Aufguß getrunken, den ich davon bereite, und du wirst schwanger werden. Aber du mußt es mit deinen eigenen Händen pflücken, sonst wirkt es nicht. Auch sage niemandem etwas davon, denn auch dann geht die Wirkung verloren.‹ Sie beschrieb das Aussehen des Kräutleins, und die Königin machte sich sogleich auf den Weg. Wirklich fand sie die Lichtung, und auf dieser das Hasengras. Sie pflückte es und brachte es der Alten. Die sprach: ›Du hast das rechte Kraut gefunden, nun gib mir deinen Ring, und ich bereite dir den Aufguß, daß du davon trinken und schwanger werden kannst.‹ Da ward es aber der Königin angst, und sie verweigerte, den Ring herauszugeben. ›Der Ring ist ein Geschenk meines lieben Gemahls, des Königs‹, sagte sie, ›und er ist mir teuer. Auch würde der König es sogleich merken, wenn der Ring fehlte, und er würde sehr, sehr zornig, wenn er erführe, daß ich ihn hergegeben habe. Ich darf ja auch nicht sagen, wofür. Und auch, wenn ich ihm sagte, daß ich den Ring, ich weiß nicht wo, verloren hätte, würde er sehr, sehr zornig. Er würde mich wohl verstoßen und nimmermehr an den Hof lassen, und was nützte mir dann ein Kind? Ich kann dir den Ring nicht geben.‹ Und sie flehte die Alte an, sich eine andere Gabe auszubitten, aber die wollte nichts als den Ring. Und weil die Königin ihn aufs letzte nicht geben wollte, rief die Alte: ›So sieh selber zu!‹ und schlug ihr die Tür vor der Nase zu. Da weinte die Königin sehr. Und weil ihre Not so groß war, schlich sie sich ins Schloß zurück und braute sich heimlich selber einen Aufguß von dem Hasengras, und trank ihn aus. Und wirklich kündigte sich schon bald an, daß die Königin schwanger ging. Der König war überglücklich, und auch die Königin, obwohl sie sich zugleich sehr sorgte. Neun Monate, nachdem sie den Trank getrunken; gebar sie ein Töchterlein. Doch weil die Hexe ihr nicht gesagt hatte, wie der Trank richtig zu bereiten sei, nämlich bei Vollmond und bei einem Wegkreuz, so war der Zauber unvollkommen, und das Kind hatte an Stelle von Füßen die Pfoten eines Hasen. Da erschrak der König sehr, und geriet außer sich vor Wut. Und obwohl die Königin ihn auf Knien anflehte und ihm die ganze Geschichte ihrer Not gestand, und wie sie zu der alten Hexe gegangen und daß es ihr nur um seine Liebe zu tun gewesen war, befahl der König, sie zur Strafe im tiefsten Keller des Schlosses lebendig einzumauern. Die Hexe aber ließ er ergreifen und bestimmte, man solle ihr im Angesicht des Volkes den Kopf abschlagen, zum Zeichen ihrer bösen Tat. So wurde die Alte anderntags auf den Marktplatz und vor den Henker geführt. Wie nun aber das Henkersbeil auf sie niedersauste und ihr Kopf herabfiel, da löste sich der Zauber, und alle miteinander wurden in Hasen verwandelt. Der König wurde zu einem Hasen und sein kleines Töchterlein, und auch die Königin, die in ihrem Verlies noch am Leben war. Die Königinhäsin grub sich unter der Mauer hindurch einen Gang ins Freie, und alle waren wieder glücklich vereint.«

Die drei Tiere saßen einen Moment lang schweigend.

Mister Springer sah gar nicht mehr ängstlich drein.

»Bist Du sicher, daß alle in Hasen verwandelt werden?« fragte Herr Maus.

»Ja, natürlich«, sagte Mister Springer zufrieden. »So hat es mir meine Mutter immer erzählt.«

»Ich hätte eher ein anderes Ende erwartet«, stellte Herr Maus fest. »Daß das Kind wieder Menschenfüße bekommt oder so.«

»Also ich finde das Ende sehr schön«, sagte Mister Springer.

»Und wieso erinnert das Märchen an die Sache jetzt?« fragte Bärmann.

»Ich weiß auch nicht genau«, sagte Mister Springer.

Herr Maus setzte eine kritische Miene auf. »Vielleicht wegen der Füße?«

»Du meinst, Rotkäppchens Großmutter war auch unzufrieden mit ihren Füßen?« fragte Bärmann.

»Ich habe gar nichts Genaues gemeint«, sagte Herr Maus.

Bärmann achtete nicht darauf. Stolz, den Gedanken seines Freundes so schnell und so richtig aufgefaßt zu haben, führte er aus: »Die Füße von Rotkäppchens Großmutter waren irgendwie falsch.«

»Hm«, machte Herr Maus.

»Entstellt. Sagt man so? Sie hat sich andere Füße gewünscht, und da hat sie sie sich abgehackt und ist dabei gestorben.«

»Also wenn man Hasenfüße hat, kann man doch froh sein«, sagte Mister Springer. »Wieso sollte jemand, der Hasenfüße hat, sie sich abhacken wollen?«

»Ich glaube, das mit den Hasenfüßen ist nur ein Bild«, sagte Herr Maus.

»Wenn man die Tatzen eines Löwen hat«, fuhr Mister Springer unbeirrt fort, »dann könnte ich das mit dem Abhacken verstehen.«

»Ein Bild?« fragte Bärmann. »Bild, was denn für ein Bild?«

»Vergiß es«, sagte Herr Maus.

»Löwentatzen«, sagte Mister Springer, »sind etwas sehr Häßliches. Oder wenn jemandem die Zehen zusammengewachsen sind. Oder...«

»In jedem Märchen steckt im Kern eine Wahrheit«, sagte Herr Maus.

Bärmann überlegte. »Meinst du, Rotkäppchens Großmutter war vielleicht eine Prinzessin?«

»Vielleicht war sie eine verzauberte Häsin«, schlug Mister Springer vor. »Wohl kaum«, sagte Herr Maus.

»Oder Rotkäppchen war eine verzauberte Häsin?« versuchte es Mister Springer weiter.

»Aber das Rotkäppchen hatte seine Füße noch«, sagte Bärmann.

Herr Maus nickte. »Der Großmutter fehlten die Füße, Rotkäppchen die Hände.«

»Das ergibt keinen Sinn«, sagte Mister Springer.

»Stimmt«, sagte Bärmann.

»Die ganze Sache ergibt keinen Sinn«, sagte Herr Maus. »Alle wilden Tiere sind aus dem Hundert-Sagen-Wald vertrieben worden. Die wilden Tiere und alles, was böse ist. Räuber, Mörder, Zauberer und Riesen und wen es sonst noch an Unholden gibt: allesamt verbannt. Vergiften, verhexen, zerfleischen, alles verboten. Seit Jahren herrscht Frieden im Wald und im ganzen Land. Darum dürfte es so etwas wie das mit Rotkäppchen und seiner Großmutter gar nicht geben.«

»Dürfte es nicht geben«, bestätigte Mister Springer.

»Trotzdem haben wir die beiden gefunden, und das viele Blut«, sagte Bärmann.

»Und was bedeutet das?« fragte Herr Maus.

Bärmann und Mister Springer sahen ihn an.

»Das bedeutet«, sagte Herr Maus, »daß etwas mit dem Vertriebensein nicht stimmt!«

Die beiden anderen machten fragende Gesichter.

»Etwas Böses ist passiert. Es ist im Wald gewesen, das Böse. Es war nicht fort. Es war da. Vielleicht ist es noch immer da.«

Sie schwiegen.

Bärmann kratzte sich. »Das heißt, etwas ist zurückgekommen?«

Mister Springers Augen wurden größer. »Etwas Böses...«

»Aber was denn?« fragte Bärmann.

»Etwas Böses«, wiederholte Mister Springer. »Du meinst: Er?«

»Ich weiß es nicht«, sagte Herr Maus ernst.

»Er, der... der... der Graue?« Mister Springer begann zu zittern.

»Jetzt regt er sich wieder auf«, sagte Bärmann.

»Beruhige dich«, sagte Herr Maus zu Mister Springer.

Mister Springer zitterte nur um so mehr.

»Schnell, noch ein Märchen!« sagte Bärmann.

»Ich weiß keins mehr«, lispelte Mister Springer. »Es ist das einzige, das ich mir merken kann.«

Herr Maus verdrehte die Augen.

»Ich weiß ein Märchen«, sagte Bärmann froh. »Nur eines, aber das ist nett.«

»Nicht jetzt«, sagte Herr Maus.

»Ich habe es von meiner Mama. Als ich noch ein ganz kleiner Bär war, konnte ich immer gut einschlafen danach.«

»Genug Märchen für heute!« sagte Herr Maus mit Bestimmtheit. »Außerdem weißt du nicht, wie man eine Geschichte erzählt.«

Bärmann schwieg beleidigt.

»Und du«, sagte Herr Maus zu Mister Springer, »sei vernünftig! Wir wissen überhaupt noch nicht, ob der Graue zurückgekommen ist. Außerdem waren das zwei Menschen, die gestorben sind, und keine Tiere wie wir. Kein Grund also, sich zu fürchten.«

»Oh«, sagte Mister Springer, »wenn du meinst.« Langsam hörte er wieder auf zu zittern. Nur seine Ohrenspitzen bebten noch ein bißchen. »Und was machen wir jetzt?«

»Frühstücken«, sagte Bärmann und vergaß sofort, weiter beleidigt zu sein.

»Später«, sagte Herr Maus.

»Gut«, sagte Bärmann, »dann legen wir uns erst einmal wieder hin und schlafen noch ein bißchen.«

»Nichts da«, sagte Herr Maus, »wir müssen los!«

»Aber die Sonne ist noch nicht einmal richtig aufgegangen«, sagte Bärmann.

»Um so besser«, sagte Herr Maus. »Dann ist Eureka vielleicht noch wach.«

»Was hat denn Eureka damit zu tun?«

»Wir gehen zu ihr. Kommt mit!«

4.

Herr Maus und Bärmann kamen nicht so schnell voran wie Mister Springer, der in einiger Entfernung vor ihnen den Weg hinunterhoppelte. Bärmann paßte seinen Gang dem seines Freundes an, einen Bärentritt auf zwanzig Mäuseschrittchen.

»Warum gehen wir zu Eureka?« fragte Bärmann, während sie so Seite an Seite vorwärts strebten.

»Wir brauchen einen Rat«, sagte Herr Maus.

»Einen Rat? Worüber?«

»Wie wir die Sache angehen sollen.«

»Welche Sache?«

»Den Tod vom Rotkäppchen und seiner Großmutter natürlich.«

»Ah...« Bärmann verstand nicht.

»Zwei Bewohner des Hundert-Sagen-Waldes sind umgebracht worden«, sagte Herr Maus mit Ungeduld. »Es ist etwas passiert, das eigentlich nicht passieren darf. Das kann man doch nicht einfach auf sich beruhen lassen!«

»Nein?«

»Man muß herausbekommen, wer der Täter ist, und ihn bestrafen!«

»Warum?«

»Das Rotkäppchen und seine Großmutter haben ein Recht darauf.«

»Aber Rotkäppchen und die Großmutter sind doch tot.«

»Außerdem: Wer weiß, ob es bei den beiden bleiben wird? Vielleicht streift der Mörder schon herum und sucht ein neues Opfer. Also muß man ihn sogar möglichst schnell finden!«

»Aber du hast doch vorhin zu Mister Springer gesagt, daß man sich nicht zu fürchten braucht.«

»Wenn Mister Springer sich so aufregt, dann kann ich nicht nachdenken! Ich habe im übrigen auch gesagt, daß wir noch nicht genug über die Sache wissen.«