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Adam Hamdy

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Beschreibung

John Wallace arbeitet als Journalist in Afghanistan und begleitet die britische Armee, als ein Angriff auf einen Rebellenstützpunkt schiefgeht. Mit verheerenden Konsequenzen. Wallace beschließt, die Story an die Öffentlichkeit zu bringen. Doch er ahnt nicht, wie weit die Verantwortlichen gehen würden, um die Wahrheit unter Verschluss zu halten …

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Das Buch

John Wallace arbeitet als Journalist in Afghanistan und begleitet die britische Armee, als ein Angriff auf einen Rebellenstützpunkt schiefgeht. Mit verheerenden Konsequenzen. Wallace beschließt, die Story an die Öffentlichkeit zu bringen. Doch er ahnt nicht, wie weit die Verantwort­lichen gehen würden, um die Wahrheit unter Verschluss zu halten …

Der Autor

Adam Hamdy war Strategieberater für internationale Firmen und Unternehmen, bevor er sich dem Schreiben von Drehbüchern und Romanen widmete. Aktuell entwickelt er die Serie oracle für die BBC.

Mehr Infos zum Autor unter www.adamhamdy.com.

ADAM HAMDY

RUN

Aus dem Englischen von Frank Dabrock

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
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Die Originalausgabe Run erschien 2017 bei Headline.
Copyright © 2016 by Adam Hamdy Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München Redaktion: Lars Zwickies Umschlaggestaltung: Eisele Grafik Design unter Verwendung des Umschlags von craigfraserdesign.com Umschlagabbildung: © Shutterstock (BortN66, Physicx) Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München ISBN 978-3-641-22984-9V002
www.heyne.de

Für Solly

1

EINGEHÜLLT IN EINEN weißen Kokon, überkam Wallace plötzlich eine merkwürdige Ruhe. Er konnte weder etwas hören noch sehen und war wie betäubt. Dennoch verspürte er keine Angst mehr. Vergangenheit und Zukunft waren bedeutungslos geworden; es gab nur noch die Gegenwart, und während er alles gedämpft wahrnahm, verlor er jedes Gefühl für sich selbst. Seiner Vergangenheit, Ziele und Sehnsüchte beraubt, würde er vielleicht seinen inneren Frieden finden. Aber gerade als er sich diesem Gefühl wunderbarer Gelassenheit hingab, wurde es ihm auch schon wieder entrissen. Der Schutzschild der flüchtigen weißen Wolke, die die Explosion aufgewirbelt hatte, lichtete sich langsam. Wie ein schlummerndes Baby, das man aus dem Schlaf gerissen hatte, war Wallace dem plötz­lichen Ansturm der Eindrücke nicht gewachsen, als das ungewohnte Chaos um ihn herum seine Sinne attackierte. Der süß­liche Geruch von Schießpulver vermischte sich mit dem penetranten Gestank von brennendem Öl, und kurz darauf wurde beides von den beißenden Ausdünstungen verkohlten Fleisches überlagert.

Die Explosion hatte Wallace auf den weichen Sand vor der Mauer geschleudert, die das Gebäude umgab. Beflügelt von der plötz­lichen Euphorie, noch am Leben zu sein, rollte er sich auf den Bauch und drückte sich auf die Knie. Er sah, wie sich mehrere geisterhafte Gestalten vorsichtig, aber zielstrebig durch den Staub und Rauch bewegten. Soldaten, dachte er plötzlich. Sabre Platoon … J Company … das Vierte Bataillon … Lancaster … Marwand. Durch seinen Kopf schwirrten lauter zusammenhangslose Gedanken, als hätte die Granate sie ebenfalls durcheinandergewirbelt. Kamera. Mit diesem Wort fügte sich alles wieder zusammen. Auf einmal wusste Wallace wieder, was seine Aufgabe war, und sein Körper setzte sich in Bewegung. Er rappelte sich auf und warf einen Blick auf seine Brust. Aber seine Kamera war nicht mehr da; sie war von der Explosion fortgerissen worden. Während er durch den umherwehenden Staub wankte und den Boden absuchte, merkte er, dass er immer noch nicht richtig hören konnte. Er nahm die Geräusche nur undeutlich wahr; durch den Druck in seinen Ohren klang alles weit entfernt und gedämpft.

Schließlich entdeckte er im Staub seine Nikon D800. Auf einer Seite war der Gurt abgerissen, und als er sie aufhob, bemerkte er, dass eine der Ösen zertrümmert worden war. Er löste das andere Ende des Gurtes und warf ihn in den Sand. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass der ND-Filter die Druckwelle der Explosion abgefangen hatte und die Linse der 35-mm-Optik unversehrt geblieben war. Er schraubte den zersplitterten Filter ab und hielt die Kamera vor sein Auge, und schlagartig nahm die Welt eine vertraute, beruhigende Gestalt an. Durch den Sucher betrachtet wirkte das Geschehen um ihn herum irreal, irgendwie abgetrennt, und in der Rolle des Voyeurs, des unbeteiligten Zuschauers, fühlte er sich sicher. Er stellte scharf und folgte mit der Kamera einem Schatten, der sich durch die Staubwolke bewegte. Als er näher kam, zeichneten sich seine Umrisse deutlich ab: Es handelte sich um einen Mann in der vertrauten ockergelb-braunen Tarnuniform des Vierten Bataillons. Wallace erkannte das staubverkrustete Gesicht wieder, das in seine Richtung schaute. Es gehörte Piney, einem gut gelaunten Burschen aus Manchester, der mit dem SA80-Maschinengewehr, das er jetzt in den Händen hielt, bereitwillig für Wallaces Fotos posiert hatte. Er rief irgendetwas. Wallace konnte ihn zwar nicht verstehen, aber Pineys Geste war eindeutig: Er forderte ihn auf, nicht näher zu kommen. Wallace blieb stehen und beobachtete, wie Piney die Mauer entlang lief, bevor er an der Stelle, wo sich ein hohes Tor befunden hatte, durch ein Loch verschwand. Eine weitere Gestalt kletterte hinter ihm her, und Wallace begriff, dass die Einheit das Rebellenlager stürmte.

Wallace setzte sich wieder in Bewegung und folgte Pineys Fußspuren entlang der weiß getünchten Betonmauer. Als er sich dem Tor näherte, sah er, dass die Explosion einen Teil der Wand fortgerissen hatte und die Metallstreben darunter zum Vorschein gekommen waren. Neben den zertrümmerten Überresten des schweren Tors blieb er stehen und schaute zu dem weitläufigen Vorplatz hinüber, auf dem die fünfzehn Männer des Sabre Platoons standen. Hinter ihnen erstreckte sich ein breites, niedriges Betongebäude mit Flachdach, dessen Farbe der staubige Wind im Laufe der Jahre fast vollständig abgetragen hatte.

Er folgte den Soldaten und machte wahllos ein paar Schnappschüsse, bis er auf Captain Nash traf. Der Offizier hatte Lieutenant Bowyers Posten übernommen, nachdem der bedauernswerte Anführer des Platoons an Q-Fieber erkrankt war. Nashs kurzes braunes Haar, sein Gesicht und seine Uniform und Stiefel waren mit weißem Staub bedeckt. Statt des an Überheblichkeit grenzenden Selbstvertrauens, das sich vor dem Einsatz auf seinem Gesicht abgezeichnet hatte, konnte Wallace jetzt die Verunsicherung darin sehen. Er folgte mit der Kamera Nashs Blick, der auf den verdrehten Körper eines Kindes gerichtet war, das mit gespreizten Beinen im Staub lag.

Wallace ließ die Kamera sinken und betrachtete die vielen kleinen Körper, die zwischen den Soldaten und dem Haus lagen; bei den meisten handelte es sich um die sterb­lichen Überreste von Kindern. Wallace hatte vorhin an der Einsatzbesprechung des Kommandanten teilgenommen. Major Hoyle hatte dem Sabre Platoon mitgeteilt, dass es sich bei dem Gelände laut ihrer Informationen um einen Rebellenstützpunkt handle, von dem aus Operationen gegen die britische Armee und die afghanischen Streitkräfte durchgeführt würden. Aber hier waren keine Rebellen. Stattdessen sah Wallace, als er die Kamera hochnahm und weitere Fotos machte, die Trümmer eines Tapeziertisches, Kuchenkrümel und mehrere verkohlte, durchlöcherte Geschenke – das Platoon hatte einen Kindergeburtstag gestürmt.

Das Klicken des Verschlusses war das erste Geräusch, das Wallace seit der Explosion klar und deutlich hören konnte. Es dröhnte laut in seinen Ohren, als er die regungslosen Gesichter der afghanischen Eltern und ihrer Kinder fotografierte, die der Gewalt zum Opfer gefallen waren. Und die entsetzten Soldaten, die zu begreifen versuchten, was gerade geschehen war. Wallace hatte an genug Kampfeinsätzen teilgenommen, um zu wissen, dass Nash sich zu sehr auf die Einschätzung der Nachrichtendienste verlassen hatte, statt das Grundstück sorgfältig auszuspähen. Der Captain hatte das Platoon in zwei Einsatzgruppen aufgeteilt; die erste hatte den Befehl, die Anlage anzugreifen, die zweite sollte ihr Deckung geben und die Nachhut bilden. Beim Anblick der skeptischen Gesichter dachte Wallace, dass Beatrix, der grauhaarige Platoon Sergeant, bestimmt seine Zweifel angemeldet hätte, wenn Lieutenant Bowyer eine derart schlichte Angriffsstrategie vorgeschlagen hätte. Aber keiner der Männer hatte bisher unter Nash gedient, und Major Hoyle hatte ihnen den Captain mit begeisterten, fast heroischen Worten vorgestellt. Beatrix hatte nicht genug Selbstvertrauen, um die Befehle des schneidigen Captains bei seinem ersten Einsatz mit dem Platoon in Frage zu stellen, und Nash kannte die Männer nicht gut genug, um die subtilen Anzeichen dafür zu erkennen, dass sie von seinem Plan nicht begeistert waren.

Als Wallace einen Blick durch den Sucher warf, konnte er das Bedauern in den Gesichtern der Männer sehen, denen klar geworden war, was sie angerichtet hatten. Diejenigen, die nicht vor Entsetzen gelähmt waren, versuchten, den Schwerverletzten zu helfen. Ihre Schreie und Rufe hallten in Wallaces Ohren, während sein Hörvermögen immer mehr zurückkehrte. Er stellte die Kamera auf etwas scharf, das sich im Türrahmen des Hauses bewegte. Eine junge Frau stürzte auf den Hof, und ihr Hidschab fiel zu Boden, sodass ihr pechschwarzes Haar darunter zum Vorschein kam. Aber das war ihr egal; sie hatte den Blick auf eine winzige Gestalt im Staub gerichtet, auf ein zehn- oder elfjähriges Mädchen, das mit seinen glasigen Augen direkt in Wallaces Richtung starrte. Die Frau rannte über den Platz und sank in den Staub. Ihr Wehklagen hallte von der Mauer wider, als sie vergeblich den leblosen Körper des Kindes betastete. Während Wallace diesen schmerz­lichen Moment mit der Kamera festhielt, stellten seine zitternden Finger eine andere Belichtungszeit ein, und sein ganzer Körper bebte, als würde er von der Trauer, die von dieser Frau ausging, verschluckt werden.

»Imdad.«

Die Stimme war so leise, dass Wallace zunächst glaubte, er hätte sie sich nur eingebildet.

»Imdad«, wiederholte sie.

Aus seiner Zeit hier in Afghanistan wusste Wallace, dass es sich um das Paschtu-Wort für »Hilfe« handelte. Er nahm die Kamera herunter und ließ seinen Blick über das Gelände wandern. Zu seiner Linken, etwa zehn Meter vom Tor entfernt, entdeckte er etwas, das wie ein Stapel zerfetzter Kleidungsstücke aussah, aber als er genauer hinschaute, erkannte er, dass es sich um den verschrumpelten Körper eines kleinen Jungen handelte, der das Gesicht von ihm abgewandt hatte.

»Hey!«, rief Wallace den Soldaten zu, die in der Nähe standen, und eilte zu dem Kind hinüber. »Der Junge lebt noch.«

Wallace sank vor dem Kind auf die Knie. Es hatte für die Feier eine schöne weiße khet partug angezogen, und sowohl die Pumphose als auch die bestickte Tunika waren mit Dreck und Blut beschmiert. Seine Schuhe waren fortgerissen worden, und die Füße waren mit weißem Staub bedeckt. Wallace berührte die Brust des Jungen und spürte, wie dessen kleines Herz unter seinen Fingerspitzen unregelmäßig hämmerte und immer wieder aussetzte, als käme das Pochen von einer verkratzten Schallplatte, die sich zu schnell drehte. Beim Anblick seines Gesichts rang Wallace sich ein Lächeln ab und unterdrückte das Verlangen, laut loszuschreien. Das rechte Auge des Kindes schien unversehrt, aber das linke war voller Blut, und an seiner zerfetzten Wange lief ein hellrotes Rinnsal herunter, das im grauen Staub eine Lache bildete. Das unverletzte Auge wanderte in Wallaces Richtung, und er spürte, wie das Herz des Jungen schneller zu schlagen begann.

»Sah tasmija?« Er fragte das Kind nach seinem Namen. »Helft ihm doch!«, rief er den Soldaten zu.

»Elam«, erwiderte der Junge zwischen seinen schnellen, flachen Atemzügen.

»Ta ye khah«, log Wallace. Ihm stockte die Stimme, weil er dem Jungen gesagt hatte, dass er wieder gesund werden würde. Angesichts des grauenvollen Anblicks, der sich ihm bot, wäre er am liebsten schreiend auf die Straße gerannt. Dieser winzige Junge namens Elam, dieses Kind, lag im Sterben.

»Lassen Sie mich mal sehen.« Wallace hob den Blick und sah, wie Nash auf sie zugerannt kam. Aber als er sich wieder dem Jungen zuwandte, rührte er sich nicht mehr, und der unregelmäßige Herzschlag unter seinen Fingerspitzen hatte aufgehört.

Nash ging in die Hocke und betrachtete den Jungen. Wallace spürte eine Woge der Wut in sich aufsteigen, und sein Gesicht lief rot an. Er versuchte nicht, über die Arroganz des Mannes nachzudenken, der das Kommando für ein Platoon übernommen hatte, obwohl er auf einen Kampfeinsatz offensichtlich nicht vorbereitet gewesen war. Abgesehen von dem, was Major Hoyle bei Nashs Vorstellung erzählt hatte, wusste Wallace kaum etwas über dessen Vorgeschichte. Der Kompaniechef hatte von Nashs Verdiensten im Gefechtseinsatz berichtet, doch Wallace hatte keine Ahnung, ob es sich um Einsätze in jüngster Vergangenheit handelte und ob er seine Auszeichnungen zu Recht erhalten hatte. Aus seiner kurzen Zeit bei der J Company wusste Wallace lediglich, dass Nash einer der Offiziere aus Major Hoyles Stab war, die ihn auf Schritt und Tritt zu begleiten schienen. Wallace versuchte, die Versäumnisse, die Gewalt und das Unrecht zu ignorieren, die zum Tod dieses Kindes geführt hatten, aber es wollte ihm nicht gelingen: Vor ihm lag Elam, den leblosen Körper unnatürlich verdreht und ein Auge auf Wallace gerichtet, als würde er ihm vorwerfen, dass er sich an dem Blutbad beteiligt hatte.

»Er ist tot«, stellte Nash fest. Wallace hätte ihn am liebsten verprügelt, diesen Mann, der sie hierher geführt und so viel Leid verursacht hatte. Aber als der Captain den Kopf hob, sah er, dass der Mann Tränen in den Augen hatte und wie ein verunsichertes Kind wirkte, das zum ersten Mal ein Gefühl der Trauer empfand.

Für einen kurzen Moment wirkte er vollkommen verletzlich. Als Nash jedoch merkte, dass Wallace ihn beobachtete, erstarrte sein Gesicht wieder zu dem für ihn typischen Ausdruck forscher Selbstsicherheit, und er wischte sich über die Augen.

»Wir hatten zuverlässige Informationen«, stellte er fest. Wallace hatte den Eindruck, als würde der Captain mit sich selbst reden, um die Schuld für den Tod des Jungen jemand anders zuzuschieben. Nash drehte sich zu seinen Männern um und rief: »Ich will, dass ihr das Gelände durchkämmt, bis wir die Leute gefunden haben, die wir suchen! Und holt die Sanitäter!«

Niemand rührte sich, bis Beatrix Nashs Befehl wiederholte. »Ihr habt gehört, was der Captain gesagt hat. Bewegt euch!«

Der vertraute Klang von Beatrix’ gebrüllten Anweisungen riss die Soldaten aus ihrer Schockstarre, und sie machten sich an die Arbeit. Sie durchsuchten das Haupthaus und die umliegenden Nebengebäude, während Marko, der schlaksige Funker des Platoons, wie von Nash befohlen medizinische Hilfe anforderte.

Sie werden nicht so tun, als wäre nichts passiert, dachte Wallace aufgebracht und starrte Nash direkt in die Augen. Offensichtlich war ihm seine Wut deutlich anzumerken, denn der Captain konnte seinem Blick nicht standhalten und schaute zur Seite. Wallace wusste nicht, was er tun sollte. Er hatte die J Company mehrere Wochen lang begleitet und betrachtete einige dieser Männer als seine Freunde. Aber was er gesehen hatte, die ausdruckslosen Augen der toten Kinder …

»Sie müssen mir die Kamera geben«, sagte Nash ruhig, den Blick auf den ramponierten Apparat gerichtet.

Wallace schaute an sich herunter und begriff plötzlich, was er da in den Händen hielt.

»Aufgrund der mit Ihnen getroffenen Vereinbarung beschlagnahme ich diese Kamera«, fuhr Nash fort und bezog sich damit auf den Vertrag, den Wallace und seine Zeitung mit der Armee abgeschlossen hatten.

Wallace versuchte, sich an den Inhalt des umfangreichen, komplizierten Dokuments zu erinnern. Er war sich sicher, dass die Armee nur dann etwas beschlagnahmen durfte, wenn ein Militäreinsatz gefährdet war, aber nicht in einer Situation wie dieser.

»Geben Sie sie mir«, insistierte Nash. »Bitte, John«, fügte er hinzu und versuchte, den Eindruck zu erwecken, dass seine Forderung vollkommen berechtigt war.

Abgesehen von den wenigen Männern, die vergeblich versuchten, die Verwundeten zu versorgen, befanden sich die meisten Soldaten im Haupthaus und den umliegenden Gebäuden. Die verzweifelte, von Schmerz erfüllte junge Mutter, die weinend neben ihrer toten Tochter hockte, schenkte dem Geschehen um sich herum keine Beachtung. Wallace begriff, dass er und Nash praktisch alleine waren und sonst niemand wusste, welche Bedeutung die Kamera hatte. Nash verlangte, dass er ihm ein wichtiges Beweisstück übergab, um die Folgen seines Befehls zu vertuschen und zu verhindern, dass den Toten Gerechtigkeit wiederfuhr. Wallace merkte, wie erneut Wut in ihm aufstieg. Gleichzeitig verspürte er einen Anflug von Angst. Wanderte Nashs Hand etwa zu seinem Halfter?

»Machen Sie die Sache nicht noch komplizierter«, warnte ihn der Captain.

»Captain!«, rief Piney, der in der Tür des Gebäudes stand. »Wir brauchen Sie hier im Haus! Sofort, Sir!«

»Bin schon unterwegs«, rief Nash und warf einen Blick Richtung Gebäude.

Er war für einen Moment abgelenkt, und mehr brauchte Wallace nicht. Er rannte Richtung Tor, und als Nash bemerkte, was passiert war, hatte er bereits einen Vorsprung von fünf Metern.

»Haltet ihn auf!«, brüllte der Captain. Doch keiner der Soldaten stand in unmittelbarer Nähe.