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Vom Partykönig zum Extremläufer Als DJ und Konzertveranstalter führte Rafael Fuchsgruber ein wildes und extrem ungesundes Leben – bis er eines Tages mit Verdacht auf Herzinfarkt im Krankenhaus liegt. Danach krempelt er sein Leben um. Alkohol und Zigaretten wandern auf den Müll, und er beginnt mit Anfang Vierzig wieder zu laufen. Gerade mal drei Kilometer sind es im ersten Versuch. Heute ist er der erfolgreichste deutsche Extremläufer in den Wüsten dieser Welt. Running wild beschreibt biografisch das Leben Fuchsgrubers und seine Liebe zum Laufen. Der Ausnahmesportler nimmt den Leser mit auf seine Abenteuerläufe in die Wüsten rund um den Globus, bezieht Stellung zu Trainings- oder Equipmentfragen und gewährt Einblicke in seine Arbeit bei Konzerten mit großen Künstlern. Fuchsgruber blickt ehrlich und ungeschönt auf wilde und teilweise erschreckende Zeiten in seinem abwechslungsreichen Leben zurück. Der Journalist Ralf Kerkeling begleitet Rafael Fuchsgruber und seine Läufer-Karriere seit einigen Jahren für diverse Laufmagazine. Zusammen beschreiben die beiden seinen Weg von Rock 'n' Roll, Alkohol und vielen Partys hin zum Extremläufer.
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Seitenzahl: 256
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Rafael FuchsgruberRalf Kerkeling
VOM PARTYKÖNIG ZUM EXTREMLÄUFER
Delius Klasing Verlag
Anstelle eines Vorworts
Desert Ultra Namibia und Placebo
Marathon des Sables
Veränderungen durch die Wüste
Libyan-Challenge – zweihundert Kilometer nonstop
Mein Vater, der Pfarrer – liebevoll, gewalttätig, Alkoholiker
Sahara Race – »How many minutes ahead is Matt?«
Running Wild im Nachtleben
Freunde der Wüste – Gobi March
Sonderturnen
Jordan Race
Die Kühlschranktür und die Freiheit
Ultra Africa Race – Kamerun
Regenwald – Ultra Costa Rica
Was habe ich mir gedacht?
Indien – Run the Rann
Krise, Motivation und alles auf Anfang
Die Sache mit dem Rock ‘n’ Roll – Ed Sheeran
Verletzung
Ocean Floor Race – 260 Kilometer nonstop durch die Sahara
Der Fallschirm, der Geist und die konzentrierte Geduld
Ideen zu einem Trainingskonzept
Mein Equipment
Hier die Zusammenfassung einer Telefonkonferenz zwischen Autor und Läufer Rafael Fuchsgruber, Co-Autor Ralf Kerkeling und Lektor Niko Schmidt. Der angekündigte Erscheinungstermin des Buches rückt näher und näher …
RF: Moin, ich finde den Titel Running wild mittlerweile gut. Aber ich werde nicht schreiben, dass ich Deutschlands erfolgreichster Extremläufer in den Wüsten bin! Bei den Kreismeisterschaften über zehn Kilometer in Köln gewinne ich mal gerade die Altersklasse – wenn Detlef oder Wilfried W. kommen, kann es auch noch eng werden.
RK: Das ist ja auch nicht deine Distanz. Und warum wollen wir das nicht schreiben? Erstens: Statistisch ist das nun mal so, und zweitens stammt die Formulierung ja vom Chefredakteur eines Laufmagazins.
NS: Dann lass es uns doch so ins Buch nehmen, und wir schreiben, dass andere dich so bezeichnen.
RF: So ist mir das eh’ lieber. Könnt ihr gleich auch 50 Prozent der »Ichs« aus meinen Texten ’rausstreichen?
NS: Wie stellst du dir das vor? Du schreibst eine Autobiografie. Wie soll das ohne »Ich« funktionieren?
RF: Ich habe Bücher von Läufern gelesen, da fing jeder zweite Satz mit »Ich« an – Katastrophe!
RK: Bekommen wir schon elegant gelöst. Wir bräuchten allerdings noch etwas mehr »blood, sweat and tears« in den Texten. Das klingt teilweise wie ein Sonntagsausflug, wenn du 250 Kilometer durch die Wüste läufst.
RF: Ich will das aber nicht so dramatisieren, wie es oftmals in Berichten passiert. Kann ich ja nix dafür, dass mir bei den Rennen meistens nichts Schlimmes passiert. Wir sind ja nicht im Fernseh-Bootcamp, und ich bin auch keine Romanfigur. Ich sehe das so: Bei Ultraläufen wird gelaufen, gelebt, geliebt und gestorben – von allem nur ein bisschen mehr.
NS: Das willst du so aber nicht schreiben?
RF: Nein! Natürlich nicht.
RK: Und die Thrombose in Libyen? Die Schlange in Jordanien? Deine diversen Verirrungen in der Sahara? Sind das keine Themen?
RF: Oui mon général! Kommt rein.
RK: Was machen wir mit dem Vorwort?
RF: Nix – ich mag Vorworte nicht. Vor allem dann, wenn sie das Buch erklären. Entweder erklärt sich das Buch selbst oder das Thema ist verfehlt – stand in der Schulzeit übrigens oft unter meinen Aufsätzen.
NS: Super Info von dir! Ich freu’ mich schon.
RK: Vorworte muss man ja nicht lesen.
RF: Ich schau’ mal. Danksagungen mag ich auch nicht. Da verstehe ich aber wenigstens den Hintergrund. Meine Frau sagt schon die ganze Zeit: »Ich wäre dankbar, wenn du bald fertig wirst mit dem Buch.« Ach ja – Sabrina Mockenhaupt, Joey Kelly und Hubert Kah habe ich das Exposé und Auszüge vom Buch geschickt. Die finden es super und werden uns für die Rückseite des Buches einen positiven Kommentar schreiben, sobald sie das fertige Manuskript haben.
NS: Rafael, in meiner Funktion als Lektor muss ich dir sagen, dass die Fertigstellung der Texte jetzt wirklich Vorrang hat. So schön die Zusagen auch sind. Uns fehlt noch eine Menge Text.
RF: Du kennst mich doch mittlerweile. Das Buch wird rechtzeitig fertig. Das mit Sabrina und Co. organisiere ich doch nebenbei. Ich mach’ doch immer alles selbst – außer Zahnwurzelbehandlungen. Dafür aber eine Bitte für eure Korrekturen an den Texten: Ich weiß, wir wollen es emotional haben, aber schreibt mir keine weiteren romantischen Formulierungen in den Text. Ich heule sowieso schon bei jedem zweiten Rennen vor Glück im Ziel oder mitten im Lauf. Wenn ihr das jetzt noch aufpeppt, dann werde ich hier zur Rosamunde Pilcher des Extremlaufs.
RK: Kein schlechter Buchtitel.
RF: Hallo! Vorsicht! Ich habe auch Gefühle – sonst nehme ich mir hier auf der Stelle eine Schreibblockade.
NS: Rafael! Wir sind hier nicht in der Belletristik – ich kann dich aber mit der Abteilung verbinden. Die haben Spezialisten für solche Fälle.
RF: Nee, ist gut – lieber nicht. Um mit den Worten des anderen Kerkelings zu sprechen: Ich bin dann mal weg … ein Buch schreiben.
Für mich stellt sich nie die Frage: Ist das Wasserglas halbvoll oder halbleer? Ich habe Durst. Ich bin ein Suchender, ein Nomade, ein frei umherlaufender Irrer – ein Läufer.
Es ist spät abends in Windhoek, als ich in den nagelneuen Airbus der Air Namibia einsteige. Ich bin erleichtert und freue mich, da ich auf dem Hinweg von Deutschland das Vergnügen mit einem völlig ausgelutschten A330 hatte, der diese Strecke seit Ewigkeiten bedient und schon lange auf den Schrott gehört. Jon Butler, ein Großwildjäger aus Namibia, sitzt neben mir und erzählt mir kurz vor dem Start, dass die Maschine erst seit zwei Wochen im Linienverkehr fliegt und bereits am ersten Tag nach der Landung mit einem seiner Flügel in einen anderen Flieger gescheppert war. Seitdem ist am Ende des Flügels ein Stück Klebeband im Einsatz, bis der Flieger repariert werden kann. Ich liebe Afrika.
Noch vor dem Start versuche ich, den Streifen Klebeband auszumachen, aber mittlerweile ist es zu dunkel. Dass »Gaffa-Tape«, wie es bei uns im Konzertbereich heißt, einiges aushält, weiß ich aus eigener Erfahrung. Ich mag es zunächst nicht glauben. Tatsächlich aber berichtet sogar der Windhoek Observer darüber. Auf dem Flug denke ich an das mir bevorstehende Konzert der Band Placebo. Eine der ganz großen Bands weltweit, deren Sänger Brian Molko den Ruf hat, nicht ganz einfach zu sein. Als Veranstalter werde ich, nach einem hoffentlich ruhigen Nachtflug, in den kommenden zwei Tagen viel Spaß mit dieser Band haben.
Verrückte Welt, in der ich gerade lebe, denn eigentlich komme ich an diesem Tag von einem 250 Kilometer langen Lauf durch die Wüste Namib. Ein Rennen über fünf Etappen, bei dem ich mir am letzten Tag auf der 100 Kilometer langen Einzeletappe den Gesamtsieg sichern konnte. Den ersten Sieg in meiner abwechslungsreichen Läuferkarriere. Während dieser 100 Kilometer hatte ich immer wieder ein Bild vor Augen – ein Bild aus einem anderen Leben, aus meiner Vergangenheit. Auf den Monat genau vor zehn Jahren habe ich die letzte Flasche Bier in den Ausguss gekippt und mit dem Saufen aufgehört – und ich spreche hier von Saufen! Ich wollte so nicht mehr weitermachen und konnte es auch nicht mehr. Zu sehr hatte meine Gesundheit gelitten. Und jetzt dieser große sportliche Erfolg. Bevor ich einschlafe, gehen die Gedanken noch einmal zurück in die »Namib«.
Nach mehreren Podestplätzen bei großen Wüstenläufen in den vergangenen Jahren überquere ich als Gewinner die Ziellinie, liege mir mit dem Zweitplatzierten Andrew Clarke in den Armen und erhalte die Glückwünsche der Crew. 250 Kilometer heiße Wüste liegen hinter mir. Eine der anstrengendsten Strecken bisher. Und trotzdem fühlt es sich anders an, als ich es erwartet hatte. Im Moment meines größten Triumphes passiert in mir seltsamerweise – nichts. Nach meinem zweiten Platz im Jahr zuvor in Jordanien rief ich sofort meine Frau Ute und meine Tochter Mara an. Ich heulte so sehr, dass sie kein Wort verstanden und dachten, mir sei etwas Schlimmes passiert. Hier in der Namib warte ich auf eine Regung der gleichen Art, aber ich bin emotional überfordert. Kein Jubelschrei, kein Freudentanz und auch keine Tränen. Ich mache mir einen doppelten Espresso, setze mich ans Lagerfeuer und genieße dessen Wärme in der kalten Wüstennacht. Vor zehn Jahren habe ich mich mit der Frage »Wie weit kann ich laufen?« auseinandergesetzt, und nun scheint die Antwort da zu sein.
Auch im Lauf der Nacht komme ich nicht wirklich zur Ruhe. Ich liege etwas überdreht vor meinem Zelt, lasse meine Gedanken schweifen und versuche, ein wenig Schlaf zu finden. Mein Blick bleibt jedoch immer wieder an diesem einzigartigen Wüsten-Sternenhimmel hängen, der mich jedes Mal aufs Neue fesselt. Es ist mir nie möglich gewesen, diesen beeindruckenden Anblick zu beschreiben. In die Schönheit dieses Augenblicks mischen sich in diesem Moment allerdings auch viele ernste Gedanken. Zahlreiche Dinge aus meinem bisherigen Leben kommen in diesen Stunden wieder hoch, viele verdrängte Lebenssituationen, vor allem aus den frühen Jahren. Die überharte Gewalt in meiner Kindheit durch meinen alkohol- und tablettenabhängigen Vater. Die wilde Zeit danach in Köln, bei der ich in der Gesamtwertung für Partys und ungesunden Dingen weit vorn lag. Die Geburt unserer wunderbaren Tochter Mara vor fünf Jahren – der komplette Neustart mitten im Leben. Ich habe lange gesucht und musste weit über 40 Jahre alt werden, um den richtigen Weg zu finden. Aber, wie sagte einst schon Wilhelm Busch: Ausdauer wird früher oder später belohnt – meistens aber später.
Als der Flieger aus Windhoek schließlich in Frankfurt landet, stelle ich zunächst einmal zwei Dinge fest. Erstens: Das Klebeband hat gehalten. Und zweitens: Jon hat nicht geschnarcht. Das lässt sich doch gut an, und ich fühle mich einigermaßen fit. Durch den Flughafen bewege ich mich dennoch wie in Zeitlupe Richtung Ausgang. Was für ein krasser Gegensatz zu den Eindrücken der letzten Tage in Afrika. Mein Kopf hängt noch in der Wüste, zahlreiche Gedanken an die freundliche Stimmung in den Gesichtern der Menschen schwirren dort herum. Hier in Frankfurt herrscht überall Hektik, die Menschen wirken angestrengt. Komplettiert wird die Tristesse durch Nieselregen und Temperaturen, die sich am Nullpunkt entlanghangeln. Ein typischer Novembertag in Deutschland eben. Für Wehmut oder weitere negative Gedankenspiele bleibt mir jedoch nicht viel Zeit. Mein nächstes Abenteuer ruft: der Job.
Wir veranstalten die Band Placebo für die Telekom Street Gigs. Die britischen Superstars werden in der ehemaligen Trichterhalle der Zeche Zollverein in Essen spielen. Die Vorbereitung der Placebo-Show hatte ich größtenteils vor dem Rennen gemacht, und meine Kollegin Saskia Zumbaum hat die restliche Kommunikation in den letzten zehn Tagen vor der Show dann von mir übernommen. Wegen der Rückreise aus Afrika komme ich morgens ein wenig später zum Aufbau. Saskia hat als gelernte Veranstaltungsmeisterin alles prima im Griff. Mein Part ist heute mehr die Kommunikation zwischen Künstlern, den mitarbeitenden Firmen und den dazugehörigen 120 Mitarbeitern, die zur Umsetzung einer Show notwendig sind.
Das Placebo-Konzert wird live ins Web gestreamt, zeitversetzt wird es auch im TV ausgestrahlt werden. Daraus ergibt sich, dass wir auf der einen Seite eine Rock-’n’-Roll-Show produzieren und das Gleiche aber auch als TV-Produktion abbilden. Ein großes Vergnügen und Handicap ist es, dass sich die Street Gigs immer an Veranstaltungsorte begeben, die sehr außergewöhnlich sind. Vor Placebo waren wir mit der Band Biffy Clyro in Hannover im Stadionbad.
Das wäre weiter nicht schlimm gewesen, allerdings hatte ich mit meiner anderen Kollegin Katja die Idee, das Publikum ins Wasser zu stellen – in ein Nichtschwimmerbecken. Das gab die größte TV-Konzert-Wasserschlacht, die man im deutschen Fernsehen bis dahin gesehen hat. Sensationelle Stimmung und Bilder, die jungen Konzertbesucher führen sich im Wasser auf wie die Kinder im Planschbecken.
Biffy Clyro im Stadionbad Hannover.
Bei Placebo ist es etwas übersichtlicher, mit der Ausnahme, dass die technischen Vorstellungen der Band aus dem Bereich der Arena-Produktionen nicht ohne Weiteres auf eine Clubshow für 500 Besucher übertragbar sind. Wochenlang wird diskutiert, wie wir gemeinsam zu einem guten Ergebnis kommen können. Der Sänger der Band Placebo, Brian Molko, genießt den Ruf, nicht ganz einfach zu sein. Künstler sind in dieser Hinsicht sehr unterschiedlich. Bryan Adams ist für alle ansprechbar – bei Nena ist es eher anders. Es gibt Bühnenanweisungen, in denen dem örtlichen Veranstalter vom Management erklärt wird, welche Tapete im Hotelzimmer einer international bekannten Sängerin geklebt werden muss. In der selben Anweisung steht auch, dass die Künstlerin, wenn möglich, Hundewelpen in ihrer Garderobe wünscht. Das nimmt ab und an extreme Formen an.
Als die beiden Fahrzeuge der Band Placebo ankommen, steigen zuerst die Security-Leute und Brian Molko aus. Er ist mit einer Kamera bewaffnet und interessiert sich für die historischen Industriebereiche mit Hochöfen und Fördertürmen. Ich bringe ihn zur nächsten Aussichtsplattform und erkläre ihm einige Dinge, die ich bei den Ortsterminen im Vorfeld gelernt habe. Er ist sehr freundlich und entspannt.
Als wir die Band in die Halle bringen, in der sie auftreten werden, sind sie erstaunt und happy wie Jungs, die einen neuen Spielplatz haben. Alles ist anders und gar nicht wie bei den sonstigen Konzerten. Überall hängen von der Decke riesige Betontrichter, mit deren Hilfe früher die Kohle in die verschiedenen Güterzüge gefüllt wurde, um sie von dort zu den Hochöfen zu bringen. Das Eis ist gebrochen. Der Rest des Tages verläuft relativ entspannt. Allerdings sind auch hier die ersten Schritte Wochen zuvor erfolgt. Der technische Leiter und der Tourmanager der Band haben bald das Gefühl, dass wir wissen, was wir tun, und so geht die Kommunikation schnell in eine entspannte Richtung. Die Kollegen sind bei dieser Form der Specialevents durchaus vorsichtig, da oftmals Eventagenturen ihr Know-how in Sachen Konzertlogistik erheblich überschätzen und die Crew sowie die Band anschließend den Stress haben, um trotzdem eine Show auf höchstem Niveau abliefern zu können. Zudem kann ich dem Manager der Band einen großen Gefallen tun: Einer der Bandmitglieder hatte sich auf Tour eine schmerzhafte Schulterverletzung zugezogen, die jeden Abend beim Spielen Schwierigkeiten macht. Was Orthopäden anbetrifft, bin ich bei Frank Schmähling nach vielen Jahren der Suche in sehr guten Händen, und wir sind seit Langem befreundet. Frank gibt mir den Kontakt zu seinem Studienkollegen, der heute einer der Schulterspezialisten in Deutschland ist. Ich erreiche diesen auf Fuerteventura. Glücklicherweise tritt er gegen Mittag seinen bereits geplanten Heimflug an und gibt mir seine Zusage, in diesem speziellen Fall am Nachmittag in der Klinik noch nach der Schulter des Musikers zu schauen. Solche Spezialaufträge zu einem guten Ende zu bringen, verschafft Pluspunkte. Der Musiker und sein Manager sind froh über die Ergebnisse aus dem CT. Der Doc kann dem bandeigenen Physiotherapeuten noch wichtige Infos für die weitergehende Therapie mitgeben. Die Show wird gut, und alle sind zufrieden. Ich bin glücklich, dass ich nach Namibia und Placebo endlich ein paar Tage und Nächte schlafen kann. Das Rennen in Namibia findet sein tatsächliches Ende erst nach der Placebo-Show. In Windhoek war mir klar, dass ich gleich auf dem Energielevel bleiben kann, da es in Deutschland sofort stressig weitergehen wird.
Obwohl der Abbau über Nacht noch ansteht, schicken mich meine Kollegen direkt nach gelungener Show nach Hause – wohl wissend, dass es nun für mich wirklich Zeit wird, mal runterzukommen. Erst Tage später bin ich in der Lage, mein Abenteuer Namibia und die Geschichte der vergangenen zehn Jahre auch emotional umzusetzen. Aber es ist ein Prozess in Gang gesetzt worden. Das alles wird mich am Ende noch ein weiteres halbes Jahr beschäftigen. Ich bin viel gerannt seit meinem Ausstieg aus der Sucht. Lange habe ich Sachen verdrängt oder habe sie einfach »weggelaufen«. Ein wenig kommt es mir so vor, als würde ich nun bewusst das erste Mal zurückblicken.
In diesen unruhigen Nächten werden auch Erinnerungen an meinen ersten Wüstenmarathon wach. Es ist noch nicht so lange her, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, über die Marathondistanz hinauszulaufen. Aber es war wohl eine dieser Initialzündungen, die man braucht, um eine neue Leidenschaft zu entdecken. In diesem Fall reichte damals ein Blick auf die Auslage eines Kiosks: Dort lag eine Laufzeitschrift, auf dem Cover waren Bilder des Marathon des Sables abgebildet. Der Funke sprang sofort über – das wollte ich auch erleben.
Nachdem ich die Fotos vom Marathon des Sables gesehen hatte, war klar, dass ich in der Wüste laufen wollte. Die Wüstenläufer waren für mich Ikonen dieses Sports, und ich fühlte mich wie ein kleiner Junge, der den Großen beim Fußballspielen zuschaut. Ein Lauf über 250 Kilometer durch die Sahara war außerhalb meines Vorstellungsvermögens. Ich fing an, nach einem kürzeren Lauf zu suchen. In jenen Jahren war alles noch nicht so durchorganisiert wie heute, die Läufe waren nicht einfach zu finden. Außer Marathon des Sables und Racing the Planet gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine internationalen Anbieter, und die lokalen Anbieter in den entlegensten Winkeln der Erde waren noch nicht alle mit eigener Website im Netz vertreten. Der Versuch, über Trekkingfirmen weiterzukommen, führt schließlich zum Erfolg. Ich stoße auf die marokkanische Internetpräsenz der Brüder Mohammad und Lahcen Ahansal. Auf der Seite finde ich den Hinweis, dass die beiden in Zagora, im Süden Marokkos, einen Wüstenmarathon über 42 Kilometer veranstalten. Zagora wirkt auf den Abbildungen der Seite wie einer der letzten Außenposten der Zivilisation. Eine Oasenstadt, die Abenteurern als Ausgangspunkt für ihre Sahara-Expeditionen mit Motorrad oder Jeep zu dienen scheint. Ich schreibe die Brüder an – auf Französisch –, und ziemlich schnell bekomme ich eine Rückmeldung von Mohammad Ahansal: Er antwortet auf Deutsch. Sein Deutsch ist perfekt, und er schreibt, dass er regelmäßig in Deutschland lebt und arbeitet. Weitere Mails gehen hin und her, und so erfahre ich, dass die beiden Brüder seit Jahren den Marathon des Sables, der auch in dieser Region stattfindet, dominieren. So wird Lahcen den Marathon des Sables insgesamt zehnmal in Folge gewinnen.
Ich bin vom Wüstenlauf-Virus infiziert und treffe eine Entscheidung, die mein Leben grundlegend verändern wird: Ich sage beim Marathon von Zagora zu. Die Antwort der Brüder lässt nicht lange auf sich warten: Die Könige des Wüstenlaufens freuen sich, mich bei ihrem persönlichen kleinen Wüstenmarathon begrüßen zu dürfen. Ich bin derart aus dem Häuschen, dass ich wochenlang über nichts anderes mehr sprechen kann als über die Wüste und die Brüder Ahansal. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon einige City-Marathons hinter mir und meine Finisher-Zeit von 4:54 Stunden beim ersten Start auf 3:14 Stunden gebracht. Ich konnte also schon ein bisschen laufen, kam mir aber in diesem Moment vor wie ein blutiger Anfänger, der sich vor diesen Lauflegenden bloß nicht blamieren durfte. Nach vier Monaten intensiver Vorbereitung ging es los.
Ich steige in den Zug nach Frankfurt, und am Schalter der Royal Air Maroc fällt mir ein Reisender auf: Trailschuhe, Rucksack. Garantiert ein Läufer, und er sieht ziemlich schnell aus. Da ich ja immer noch keine wirkliche Ahnung habe, von dem was ich da in der Wüste vorhabe, spreche ich den Mann an. Und siehe da – er fliegt natürlich nicht nach Zagora. Läufer ist er schon, da lag ich richtig. Er ist jedoch auf dem Weg nach Nigeria, via Casablanca – zu einer viel schlimmeren Unternehmung. Er will ein 100-Kilometer-Rennen in den Bergen von Nigeria laufen. Der Lauf geht hoch bis 2400 Meter, wo es bitterkalt ist, während der Rest des Kurses eher bei 40 Grad Hitze stattfindet. Ungläubig und total fasziniert staune ich darüber, dass so etwas möglich ist und werde noch neugieriger auf das, was es wohl noch alles gibt in dieser verrückten Welt der Extremläufer. Auf dem Flug berichtet er weiter von seinen bisherigen, sehr unterschiedlichen Läufen. Dass er meist in Laufschuhen von Lidl startet, die er nach dem Rennen vor Ort verschenkt, von einer Messerstecherei im Hafen von Lagos, in die er beim letzten Mal geraten war und von seiner Vorliebe für Läufe in Ecken der Welt, die kaum ein Mensch kennt. Ich bin extrem beeindruckt. Ich höre durchgehend sehr aufmerksam zu, was normalerweise nicht zu meinen großen Stärken zählt.
Wir verabschieden uns am Airport Casablanca, und ich fahre in die Stadt, da ich sieben Stunden Aufenthalt habe. Casablanca ist die Wirtschaftsmetropole in Marokko und dementsprechend hässlich. Es gibt noch kleine Teile der Altstadt, die zum Bummeln und Verweilen einladen. Trotz aller Warnungen tue ich das, was ich auch später konsequent fortsetze: Ich esse einheimische Spezialitäten, in diesem Fall Hammelfleisch mit Gemüse aus der Tajine, einem aus Lehm gebrannten Schmorgefäß. Auf meinen späteren Reisen werde ich noch unter ganz anderen Umständen essen, und ich habe es nie bereut. Land, Leute, Kinder, die dazugehörige Kultur und Geschichte, das gemeinsame Essen und der Austausch mit den Menschen, das sind bis heute die Hauptgründe für meine kleinen Abenteuerreisen. Und wenn ich dann schon mal vor Ort bin, kann ich mit den Jungs und Mädels auch ein wenig laufen gehen.
Der Weiterflug am Abend ist kurz, und die Landung in Quarzazate, einer Stadt in der Region Souss-Massa-Draâ im Süden Marokkos, ist spektakulär. Es sieht aus, als würde man auf der Hauptstraße neben den Shops aufsetzen, so nah sind die Häuser an die Landebahn gebaut. Die französischen Besitzer eines größeren Anwesens mit diversen kleinen Zimmern holen mich nachts am Airport ab. Die Nacht wird unruhig, es ist sehr kalt, und die Elektroheizung springt mit viel Krawall im Zehnminutentakt an. Beim Frühstück lerne ich den Patron, der auf vielen Fotos im Restaurant verewigt ist, näher kennen. Er war aktiver Rallyefahrer und hat das berühmt-berüchtigte Motorsportspektakel Paris–Dakar mehrfach auf dem Motorrad gefinisht. Die bisherigen Kontakte auf meiner ersten kleinen Laufreise sind schon jetzt wirklich beeindruckend. Der Patron bringt mich zum Marktplatz, und wir führen einige Gespräche mit Taxifahrern und verhandeln über den Preis für die 160 Kilometer lange Fahrt durch die Wüste von Quarzazate nach Zagora.
Dass Sofian, so der Name meines Taxifahrers, uns schließlich ein Angebot über 50 Euro für die gesamte Strecke macht, liegt meiner Meinung nach vor allem an dem Hinweis, dass ich auf dem Weg zu den Ahansal-Brüdern bin, um bei ihnen zu laufen. Mohammad und Lahcen sind Nationalhelden in Marokko, so wie Uwe Seeler oder Franz Beckenbauer bei uns. Das Auto: ein Peugeot 504 Kombi; Kilometerstand: weit mehr als eine Million; das Baujahr: unbekannt; es gibt keine Papiere zu dem Auto. Willkommen in Afrika … Und das meine ich mit einem freundlichen Augenzwinkern. Die Straße folgt der Nationalstraße Nr. 9 über den südlichen Teil des Atlasgebirges. Manchmal fahren wir aber auch quer durch die Pampa, wenn die Flüsse mal wieder eine Brücke weggespült haben, auf deren Reparatur noch einige Jahre gewartet werden muss. Auf der Hälfte der Strecke biegt Sofian plötzlich links von der Straße ab und fährt über einen Jeep-Track in Richtung einer kleinen Hofanlage, die wie eine Miniaturfestung aussieht. Spontan denke ich: »Das ist das Ende meiner Reise!« Ich traue mich gar nicht zu fragen. Gleich werden der bisher so freundliche Taxifahrer und ein oder zwei seiner Freunde vor mir stehen und mich fragen, ob ich ihnen mein Geld, Papiere und Ausrüstung freiwillig gebe oder ob ich erst noch verdroschen werden möchte. Ich suche schon nach entsprechenden Worten in meinem Französisch-Wortschatz, um meine unbedingte Kooperationsbereitschaft ausdrücken zu können. Doch alle meine Sorgen erweisen sich als unbegründet, als Sofian erklärt, dass er mich einladen möchte, um mit ihm und seiner Frau, seinem Sohn und seinen Schwiegereltern Tee zu trinken. Er sieht seine Familie meist nur einmal die Woche, da die Fahrtkosten zu hoch sind und er unter der Woche in Quarzazate in seinem Auto oder einem Zelt wohnt. Mir steckt der Schreck jedoch so tief in den Knochen, dass ich freundlich ablehne. Ich schäme mich heute schrecklich dafür. Ich hatte die typische Touristen-Paranoia. Aus diesem Moment habe ich viel gelernt. Nicht, dass ich seitdem jede Situation leichtfertig eingeschätzt habe, aber es sind solche Geschichten, die mein Leben – neben dem Laufen – unglaublich bereichert haben.
In Zagora angekommen gehe ich direkt in das Hotel, das Mohammad für mich organisiert hat. Verspielt, feudal, plüschiger Luxus – sehr viel Morgenland am frühen Abend. Ich mache mich ein wenig frisch und gehe noch mal raus auf die 800 Meter lange Hauptstraße. Schnell stellt sich heraus, dass das Touristen-Dasein nicht ganz so leicht ist in dieser kleinen Stadt. Viele Kinder mit vielen kleinen Begehrlichkeiten hängen an mir. Am nächsten Morgen wieder das gleiche Spiel beim Spaziergang durch das Dorf. Allerdings fällt mir einer der Kleinen besonders auf, da er, obwohl er einer der Jüngeren ist, doch viel zu sagen hat. Ich gebe ihm fünf Euro für die ganze Bande verbunden mit der Bitte, mich für den Rest des Tages im Gegenzug in Ruhe zu lassen. Ibrahim, so der Name des kleinen Anführers, kommt nach der Verteilung der Beute zu mir, und wir machen einen Deal. Er ist von nun an mein persönlicher Reiseführer und exklusiver Bodyguard und bekommt dafür täglich einen fairen Obulus. Das funktioniert in den folgenden beiden Tagen perfekt. Es stellt sich heraus, dass Ibrahim sogar einige Sätze Deutsch kann, also kümmern wir uns verstärkt um seine Deutschkenntnisse. Er berichtet mir von seinen Zukunftsplänen: Wie sein Idol Mohammad Ahansal will er nach Deutschland, um bei Audi in Ingolstadt zu arbeiten. Ein guter Plan.
Die zwei Tage zur Akklimatisierung und Erkundung der Ausläufer der Sahara vergehen wie im Flug. Am Tag des Starts treffen sich am frühen Morgen alle Teilnehmer auf der Hauptstraße. Das ungefähr 100 Läufer starke Feld besteht vor allem aus hochmotivierten jungen Männern sowie einigen jungen Frauen, ein paar Lauftouristen aus Frankreich und drei Deutschen. Die marokkanischen Läufer starten in allem, was gerade noch dem Oberbegriff Schuh entspricht: Sandalen, Schlappen, Flip-Flops, Fußballschuhe und sonstige »Laufschuhe«. Das ist Natural Running, denke ich, lange bevor der Begriff bei uns die Runde macht. Ich hatte mich monatelang gefragt, welchen Schuh ich am besten für das Rennen nehme und konnte bis zum Start keine für mich beruhigende Entscheidung treffen. Bei diesem Anblick denke ich darüber nach, was wir doch für Snobs sind. Der Start ist ein hektisches Gewusel, aus dem ich mich raushalte. Nicht, weil ich so clever bin, sondern weil ich immer noch ehrfurchtsvoll meine Kräfte schonen will für diesen schwer einzuschätzenden Wüstenlauf. Wir kommen durch die kleinen Oasen rund um Zagora, in denen Mütter mit ihren Kindern am Wegrand stehen und uns zuwinken. An den Lauf selbst kann ich mich später eigentlich gar nicht so genau erinnern. Aber diese unglaubliche Freude entlang der Strecke, die Kinderaugen, das Abklatschen ihrer Hände und das Lachen – das kann ich heute noch alles ganz genau vor meinem geistigen Auge sehen. Ohne dass es mir in diesem Moment bewusst ist, berührt es etwas von früher in mir. Das wird mir aber erst Jahre später klar werden. Auf jeden Fall ist es der Beginn meiner ganz großen Liebe für Afrika.
Von den Oasen geht es raus in die Wüste. Wir durchqueren die Ausläufer der Saharadünen. Einige der Fußballer müssen ihrem jugendlichen Übereifer Tribut zollen. Einer der Jungs liegt im Sand und hat einen massiven Krampf im Oberschenkel. Das ist bitter, und ich kann ihm nicht richtig helfen. Er fragt mich nach Schokolade. Ich biete ihm meinen Energieriegel an und erkläre ihm, dass der gut ist gegen Krämpfe. Er bedankt sich nach dem Zieleinlauf bei mir mit dem Hinweis, dass er dank des »Kekses« schnell wieder laufen konnte. Gegen Ende des Rennens bin ich immer noch sehr gut gelaunt. Klar, es ist heiß und es gibt ein paar Sanddünen – aber auch hier wird nur mit Wasser gekocht.
Drei Kilometer vorm Ziel gibt es einen steilen Berg. Einmal rauf und danach noch zwei Kilometer zur Ziellinie. Ich laufe zügig hoch und treffe auf Walter, der Mühe hat, den Anstieg zu bewältigen. Ich stoppe und gehe solidarisch mit ihm den Berg hinauf. Oben angekommen, frage ich ihn, ob wir zusammen Richtung Ziel laufen sollen. Statt einer Antwort zieht er an mir vorbei und »brettert« den Berg hinunter und über die Hauptstraße Richtung Ziellinie. Zurückgelassen und etwas ratlos frage ich mich, ob sich gerade meine Illusion zum Thema »Solidarität« in der Welt der Trail-Läufer in Luft aufgelöst hat – oder ob Walter ganz einfach nur aufgrund einer gewissen teutonischen Grundverspanntheit irre ist. Auf Walter trifft die zweite Vermutung zu. Für viele andere kann ich sagen: Trail-Läufer sind anders, definitiv cooler – auch heute noch.
Nach dem Zieldurchlauf erwartet mich ein sportlich überschaubares Ergebnis, das jedoch eine große Wirkung erzielt: Ich bin 4:20 Stunden unterwegs und komme auf Platz 26 ins Ziel. Ich bin unglaublich froh, dass ich mich auf den Weg zu diesem Rennen nach Afrika gemacht habe. Warum ich so glücklich bin, kann ich nach der Zielankunft noch gar nicht wirklich beschreiben. Bisher waren Zielzeiten und Platzierungen der alleinige Gradmesser für meine Gefühlslage nach einem Rennen. Mir ist trotzdem nicht sofort klar, dass gerade etwas Enormes in mir und mit mir passiert ist.
Zum Laufen bin ich im Jahre 2002, wenn man so will, ein wenig ungewollt gekommen. Folgende Situation stellte sich damals ein: Ich befand mich gezwungenermaßen in der Waagerechten, auf einer Liege im Krankenhaus. Um mich herum Monitore, deren Piepen mich in den folgenden Stunden begleitete. Vor mir stand ein Arzt und teilte mir mit, dass ich wegen des Verdachts auf Herzinfarkt vor ihm liege. Panik! Was war passiert? Ich war Anfang 40 und führte ein wildes Leben als Konzertveranstalter und Künstlermanager. Parallel dazu war ich zehn Jahre als DJ unterwegs gewesen. All das hatte in der Kombination zu einer Überlastung meines Organismus geführt. Ein Warnschuss!
Aber es schien ja gerade noch mal gutgegangen zu sein. Wie so oft in meinem Leben. Wie viele Zigaretten, Kaffee und Alkohol verträgt der Mensch? Sporttreiben war damals ganz weit weg. Nach einer gefühlten Ewigkeit bekomme ich schließlich die Diagnose: Herzmuskelentzündung, verursacht durch eine verschleppte Viruserkrankung. Zeit, das Leben zu ändern – und zwar grundlegend. Dass dies nicht so einfach ist, merke ich in den Wochen der Regeneration. Zu sehr bin ich noch in alten Strickmustern gefangen. Ich hänge noch zu sehr an den Drogen, und einfach nur gesünder essen reicht nicht. Ein in den vorangegangenen Jahren ziemlich abwegiger Gedanke reift in dieser Zeit zu einem festen Vorhaben: Sport, ich werde wieder Sport machen.
Ein paar Wochen später treffe ich mich mit meinem besten Freund Jochen am Geißbockheim in Köln zu meinem ersten Lauf. Die erste sportliche Betätigung seit Ewigkeiten. Nach meinem Sportabitur hatte ich die Tasche in die Ecke geschmissen – das war’s. Hier stehe ich nun 20 Jahre später. Neue Schuhe, neue Klamotten, Motivation ganz groß und dann die sofortige Ernüchterung: Nach knapp drei Kilometern verordnet mir Jochen eine Gehpause. Mein Kopf hochrot, Kommunikation unmöglich, und Jochen sagt zu mir – ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen: »Du glaubst gar nicht, wie langsam die Kenianer trainieren.« Wahnsinn! Jochen bereitet sich zu dieser Zeit auf seinen ersten Marathon vor – was er aber bisher recht geheim gehalten hatte. Ich rauche und trinke zu diesem Zeitpunkt noch. Solidarisch wie ich nun mal bin, biete ich nach einigen Wochen an, den Marathon mitzulaufen.
Drei Monate später stehe ich an der Startlinie des Köln-Marathon