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Eine Rose auf dem Kopfkissen, jeden Abend, Woche für Woche. So will Sandro seiner Frau Johanna zeigen, dass er sie immer noch liebt, dass er für sie da ist und auf sie warten wird. Er will alles dafür tun, um von ihr die Worte zu hören, nach denen er sich sehnt ...
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Seitenzahl: 200
IMPRESSUM
Sag doch einmal Ja! erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 1998 by Michelle Reid Originaltitel: „The Marriage Surrender“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIABand 1384 - 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Irmgard Sander
Umschlagsmotive: JenAphotographer/GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 09/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733727505
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Könnte ich bitte Alessandro Bonetti sprechen?“
Der Boden der Telefonzelle war mit Zigarettenkippen übersät. Es roch unangenehm nach abgestandenem Rauch. Doch Joanna nahm davon kaum Notiz, während sie bleich und angespannt in den Telefonhörer lauschte.
„Wen darf ich melden?“, erkundigte sich eine kühle Frauenstimme.
„Ich bin …“ Joanna verstummte. Sie brachte es nicht über die Lippen. Niemandem außer Alessandro persönlich konnte sie ihre Identität enthüllen. Vermutlich würde er sich sowieso weigern, mit ihr zu sprechen, und in ihrer gegenwärtigen Lage wollte sie nicht, dass irgendeine außenstehende Telefonistin Zeuge ihrer Demütigung werden würde. Das hatte sie bereits hinter sich.
„Es … handelt sich um eine private Angelegenheit“, antwortete Joanna ausweichend, wobei sie inständig hoffte, diese Antwort würde genügen, um ihr Zugang zu dem großen Boss zu verschaffen.
Es genügte nicht. „Ich fürchte, Sie müssen mir schon Ihren Namen nennen, bevor ich nachfragen kann, ob Mr. Bonetti Zeit für Sie hat“, beharrte die Dame am anderen Ende der Leitung.
Zumindest verriet diese kühle Erwiderung, dass Sandro im Land war. Joanna hatte fast schon erwartet, er wäre inzwischen ganz nach Rom zurückgekehrt. „Dann verbinden Sie mich bitte mit seiner Sekretärin“, bat sie nun. „Ich werde die Sache mit ihr weiterbesprechen.“
Es folgte eine Pause, ehe die Telefonistin leicht pikiert verkündete: „Bleiben Sie bitte dran, ich stelle Sie durch.“
Die Sekunden tickten vorbei, und mit ihnen schwand die Verzweiflung, die Joanna bis zu diesem Punkt getrieben hatte. Eine Verzweiflung, die sie die ganze Nacht wach gehalten hatte in dem Versuch, für sich einen Weg aus diesem Schlamassel zu finden, ohne Sandro mit einzubeziehen. Doch das deprimierende Ergebnis ihrer angestrengten Überlegungen war immer gleich geblieben: Arthur Bates oder Sandro.
Allein der Gedanke an Arthur Bates ließ sie schaudern und veranlasste sie, den Telefonhörer nicht aufzulegen, obwohl ihr Selbsterhaltungstrieb ihr riet, die Verbindung sofort zu unterbrechen und sich irgendwo zu verkriechen. Sie war es auch leid, sich noch weiter zu verstecken und sich immer mehr zu isolieren, weil sie es einfach nicht über sich brachte, auf einen anderen Menschen zuzugehen und um Hilfe zu bitten.
Joanna nahm erneut all ihren Mut zusammen. Sie stand hier in dieser Telefonzelle, bereit, um diese Hilfe zu bitten. Bereit, sich an den einzigen Menschen zu wenden, an den sie sich wenden konnte. Wenn Sandro „Nein, verschwinde!“, sagen würde, würde sie es tun. Aber sie musste ihm diese letzte Chance geben … musste sich die Chance geben, ihr Leben wieder in Ordnung zu bringen. Schließlich, so argumentierte sie gegen die aufsteigenden Zweifel an, habe ich nicht vor, mich ihm auf Dauer aufzubürden. Nein, sie würde ihm nur ihren Vorschlag machen, seine Antwort entgegennehmen und sofort wieder aus seinem Leben verschwinden. Für immer. Das war Teil ihres Vorschlags: Hilf mir nur dieses eine Mal, und ich werde dir nie wieder zur Last fallen.
Im Grunde eine einfache Sache. Sandro war kein Monster. Tatsächlich war er sogar ein höchst anständiger Mensch. Und nach all der Zeit konnte er doch keinen Groll mehr gegen sie hegen, oder?
Der Apparat zeigte an, dass sie Geld einwerfen musste. Erneut stieg Panik in ihr hoch. Was mache ich hier eigentlich? fragte sie sich entsetzt. Warum tue ich das?
Weil du keine andere Chance hast, verdammt! lautete die energische Antwort ihrer Vernunft, die sie zur Besinnung brachte. Rasch griff sie nach dem kleinen Stapel Münzen, die sie für das Telefonat vor sich aufgeschichtet hatte. Doch ihre Hand zitterte so sehr, dass Joanna bei dem Versuch, die oberste Münze zu greifen, den Stapel umstieß, so dass die restlichen Münzen klimpernd zu Boden fielen.
„Verdammt!“, stieß sie aus und bückte sich, um die Münzen wieder aufzusammeln, als eine Stimme aus dem Telefonhörer sie innehalten ließ.
„Guten Morgen, hier spricht Mr. Bonettis Sekretärin. Was kann ich für Sie tun?“
Joanna richtete sich sofort kerzengerade auf. „Einen Moment“, sagte sie rasch und steckte mit zittrigen Fingern die einzige ihr noch gebliebene Münze in den Münzeinwurf. Dann atmete sie tief ein. „Ich … hätte gern Mr. … Alessandro gesprochen“, sagte sie dann in der Hoffnung, dass die Verwendung des Vornamens sie an dem nächsten Hindernis vorbeibringen würde.
Es funktionierte natürlich nicht. „Ich fürchte, Sie müssen mir schon Ihren Namen nennen“, beharrte auch Sandros Sekretärin.
Ihren Namen. Joanna zögerte unschlüssig. Was sollte sie tun? Sollte sie die Wahrheit sagen und damit Sandros Sekretärin – anders als die kühle Telefonistin – möglicherweise Zeugin des ganzen Ausmaßes seiner Verweigerung werden lassen?
„Ich bin … Mrs. Bonetti“, antwortete sie schließlich leise und stockend.
Es folgte eine Pause. „Mrs. Bonetti?“, wiederholte die Sekretärin dann hörbar verblüfft. „Mrs. Alessandro Bonetti?“
„Ja“, bestätigte Joanna. Sie konnte der Frau den überraschten Ton nicht übel nehmen, hatte sie sich doch selber nie wirklich mit der Tatsache abgefunden. „Würden Sie Alessandro bitte fragen, ob er mir einige wenige Minuten seiner Zeit opfern kann?“
„Selbstverständlich“, erwiderte die Sekretärin sofort.
Joanna wartete erneut angespannt und fragte sich, wie viel Wirbel sie wohl mit ihrer Ankündigung ausgelöst haben mochte. Nervös klopfte sie mit den Fingerspitzen auf das Metallgehäuse des Telefons. Draußen vor der Telefonzelle wartete bereits ein Mann, der ebenfalls telefonieren wollte, und warf ihr zunehmend ungeduldige Blicke zu. Joanna spürte, wie ihre Hände zu schwitzen begannen, und strich damit abwechselnd über die Hosenbeine ihrer Jeans. Doch es half nichts.
„Mrs. Bonetti?“
Sie schluckte. „Ja?“
„Mr. Bonetti ist momentan in einer Besprechung.“ Die Stimme der Sekretärin klang plötzlich sehr reserviert. „Aber er hat mich gebeten, Sie zu bitten, Ihre Nummer zu hinterlassen. Er ruft Sie dann zurück, sobald er Zeit hat.“
„Das ist unmöglich.“ Joanna schwankte zwischen Erleichterung und Verzweiflung. „Ich rufe aus einer öffentlichen Telefonzelle an und …“ Sie strich sich erregt durchs lange, seidige rotblonde Haar, während sie ihre Gedanken zu ordnen versuchte. Sandro hatte jetzt keine Zeit für sie, und sie wusste nicht, ob sie noch einmal den Mut aufbringen würde, das durchzustehen. „Ich … muss ihn zurückrufen“, sagte sie stockend. „Sagen Sie ihm, ich … ich werde irgendwann wieder anrufen, wenn ich …“ Sie verstummte. „Auf Wiederhören“, fügte sie noch rasch hinzu und wollte den Hörer auf die Gabel legen.
„Nein! Mrs. Bonetti!“, rief die Sekretärin am anderen Ende der Leitung. „So warten Sie doch! Ich soll Mr. Bonetti Ihre Antwort ausrichten, bevor Sie … Bleiben Sie noch einen Moment dran. Bitte!“
Diese flehentliche Bitte veranlasste Joanna, innezuhalten und die Telefonzelle nicht fluchtartig zu verlassen. Zudem tauchte in diesem Moment vor ihrem geistigen Auge Arthur Bates’ widerliches, selbstzufrieden lächelndes Gesicht auf. Sie erschauderte und wusste in ihrer Panik wirklich nicht mehr, was sie tun sollte. Entsetzt schloss sie die Augen. Arthur Bates oder Sandro. Sandro oder Arthur Bates. Hatte sie im Grunde überhaupt eine Wahl?
Sandro. Der Mann, mit dem sie sich zwei lange, unglückliche Jahre lang jeglichen Kontakt verboten hatte. Außer, als sie versucht hatte, ihm von Molly zu erzählen. Ein heftiger Schmerz durchzuckte sie, als sie plötzlich Mollys liebes, hübsches Gesicht wieder vor sich sah. Ja, sie hatte ein einziges Mal versucht, Sandro zu erreichen … wegen Molly. Damals hatte er ihren Hilferuf ignoriert. Es war also wahrscheinlich, dass er heute genauso reagieren würde.
Und warum auch nicht? fragte Joanna sich verächtlich. Schließlich war nichts mehr zwischen ihnen, schon seit sehr langer Zeit nicht mehr.
Erneut ertönte das Signal für den Münzeinwurf. Joanna schreckte aus ihren Gedanken auf. Mechanisch bückte sie sich, um eine der am Boden verstreuten Münzen aufzunehmen. Sie handelte nur noch aus dem Gefühl heraus, ihr Verstand schien sie völlig verlassen zu haben.
So ist es mir immer mit Sandro ergangen, dachte sie kläglich, während sie zwischen den Zigarettenkippen am Boden nach den Geldstücken tastete.
„Mrs. Bonetti?“
„Ja“, meldete sie sich heiser.
„Ich verbinde Sie jetzt mit Mr. Bonetti.“
Ein Klicken in der Leitung ließ Joanna zusammenzucken. Endlich stießen ihre Fingerspitzen an eine Münze. Sie griff danach, richtete sich atemlos auf und steckte sie, so schnell es ihre zittrige Hand zuließ, in den Münzeinwurf. Allein der Gedanke, dass sie im nächsten Moment Sandros tiefe, samtene Stimme hören würde, verdoppelte ihre Panik.
Der Mann vor der Telefonzelle hatte das Warten inzwischen satt und pochte wütend gegen die Glastür. Joanna drehte sich ärgerlich zu ihm um. Ihre blauen Augen funkelten warnend.
„Joanna?“
Dieses eine Wort aus Sandros Mund genügte, und alles … ihre Panik, ihre Verzweiflung, ihre Seelenqualen … drohte über ihr zusammenzubrechen. Sandros Stimme klang mürrisch und angespannt, aber dennoch so unglaublich vertraut! Der Mann draußen pochte erneut an die Tür. Joanna schloss die Augen. Sie glaubte, durch das Telefon Sandros Ungeduld und Widerwillen fühlen zu können.
„Joanna?“, wiederholte er nun scharf. „Verdammt, bist du noch dran?“
„Ja“, flüsterte sie heiser und wusste, dass sie mit diesem winzigen Wort einen der größten und mutigsten Schritte ihres Lebens gewagt hatte. „Es … tut mir leid, mir ist das Kleingeld heruntergefallen, und ich … musste es erst wieder suchen“, fuhr sie unsicher fort. „Außerdem wartet vor der Telefonzelle bereits ein Mann, der dauernd an die Tür pocht, und ich …“ Joanna verstummte. Was redete sie da eigentlich für einen Unsinn?
Sandro musste ungefähr das Gleiche gedacht haben, denn er fragte gereizt: „Wovon, zum Teufel, sprichst du überhaupt?“
„Es tut mir leid“, flüsterte sie erneut, was ihn nur noch wütender zu machen schien.
„Ich stecke mitten in einer wichtigen Besprechung“, sagte er scharf. „Könntest du mir also bitte erklären, was mir diese – unerwartete – Ehre verschafft?“
Sarkasmus, gnadenlos und unbarmherzig. Jedes seiner Worte traf Joanna wie ein Messerstich. Sie atmete mühsam ein. „Ich brauche …“ Ja, was brauchte sie eigentlich? In ihrer Panik fiel es ihr schwer, sich zu erinnern, warum sie Sandro überhaupt angerufen hatte. „Ich brauche … deinen Rat in einer Angelegenheit“, fuhr sie ausweichend fort. Unmöglich konnte sie ihm auf den Kopf zusagen, dass sie ihn nach all der Zeit nur angerufen hatte, um ihn um Geld zu bitten! „Könntest du dich vielleicht irgendwo mit mir treffen, damit wir reden können?“
Keine Antwort. Joanna wartete mit angehaltenem Atem und spürte, dass sie jeden Moment in Tränen ausbrechen würde.
Wenn Sandro das wüsste, würde er vom Stuhl fallen, dachte sie spöttisch.
„Ich fliege noch heute Abend nach Rom“, informierte er sie schroff. „Und bis ich zum Flughafen fahre, ist mein Terminkalender mit Besprechungen voll. Die Sache wird also wohl warten müssen, bis ich nächste Woche zurückkomme.“
„Nein! So lange kann ich nicht warten! Ich …“ Joanna verstummte, von Verzweiflung überwältigt. Schließlich flüsterte sie resigniert: „Schon gut. Es ist nicht so wichtig. Es tut mir leid, dich …“
„Wag es nicht aufzulegen!“ Seine zornige Warnung verriet Joanna, dass Sandro selbst nach all der Zeit immer noch ihre Gedanken lesen konnte.
Sie hörte, wie er etwas auf Italienisch vor sich hin sagte. Wahrscheinlich fluchte er, denn Sandro fiel stets in seine Muttersprache zurück, wenn er wirklich wütend war. Joanna sah ihn lebhaft vor sich: groß, schlank und elegant mit samtbraunen Augen und einem schönen sinnlichen Mund, der küssen konnte wie kein anderer.
Mitten in Sandros italienischen Temperamentsausbruch piepte wieder das Warnsignal des Münztelefons. „Ich habe kein Kleingeld mehr“, stieß Joanna hervor, wobei sie sich suchend auf dem schmutzigen Boden der Telefonzelle umsah. „Ich muss …“
„Gib mir die Nummer der Telefonzelle!“, befahl Sandro.
„Aber da draußen wartet ein Mann, der auch telefonieren will. Ich muss …“
„Maledizione!“, stieß er heftig hervor. „Die Nummer, Joanna!“
Sie gab ihm die Nummer durch. Im nächsten Moment brach die Verbindung ab. Mechanisch legte Joanna den Telefonhörer auf die Gabel zurück. Hatte Sandro alle Ziffern mitbekommen? Sie wusste nicht einmal, ob sie es hoffen sollte! Völlig durcheinander bückte sie sich, sammelte die verstreuten Münzen auf und verließ die Telefonzelle, um den draußen wartenden Mann telefonieren zu lassen.
Der Mann drängte sich rasch an ihr vorbei. Dabei sah er sie an, als wäre sie übergeschnappt. Joanna konnte es ihm nicht verübeln. Wenn er ihren nervösen Auftritt in der Telefonzelle beobachtet hatte, musste er sie ja für verrückt halten!
Es war Sandros Schuld. Immer war es Sandros Schuld, wenn sie derart die Fassung verlor. Kein anderer schaffte es, dass sich ihre sonst so eiserne Selbstbeherrschung in nichts auflöste. Es war vom ersten Moment an so gewesen. Einige wenige Minuten seiner ungeteilten Aufmerksamkeit genügten, und ihr wurden die Knie weich.
Sex, durchzuckte es Joanna wider Willen. Der Unterschied zwischen Sandro und allen anderen Männern, die ihr je begegnet waren, bestand in der Tatsache, dass er der Einzige war, der sie sexuell erregen konnte. Und genau das war auch der Grund, warum sie jetzt hier stand und am ganzen Körper zitterte: Denn indem Sandro sie sexuell erregte, rief er auch all ihre Ängste und Phobien wach, die sie in diesen Zustand von Panik stürzten.
Da war vor allem eine überwältigende, lähmende Angst, dass es für sie das Ende bedeuten würde, wenn sie je ihren sexuellen Gefühlen erliegen würde. Denn dann würde Sandro sie kennen, nicht? Er würde wissen, was sie wirklich war, und sie dafür verachten.
Der Mann kam schon nach wenigen Minuten wieder aus der Telefonzelle. Im selben Moment läutete es, und Joanna stürzte an dem Mann vorbei und griff nach dem Hörer.
„Was, zum Teufel, war los?“, meldete sich Sandro gereizt. „Seit fünf Minuten versuche ich, diese Nummer anzurufen, und immer ist besetzt. Hattest du den Hörer etwa nicht aufgelegt?“
„Ich habe den Mann, der hier schon die ganze Zeit wartete, vorgelassen“, erklärte Joanna kleinlaut.
Nach einem erneuten Schwall italienischer Flüche hörte sie, wie Sandro tief einatmete. Seine Stimme klang mühsam beherrscht, als er sich wieder meldete: „Was willst du von mir, Joanna? Wann hast du je etwas von mir gewollt?“
Musste er denn immer noch gegen sie sticheln? Joanna wurde nun ihrerseits wütend. „Das lässt sich nicht am Telefon besprechen. Und wenn dies ein Vorgeschmack auf deine Einstellung ist, hat es wohl sowieso keinen Zweck!“
„Okay, okay“, beschwichtigte er. „Ich reagiere etwas gereizt. Aber ich stecke bis zum Hals in Arbeit und habe wirklich nicht erwartet, dass mich zu allem Überfluss auch noch meine verloren geglaubte Ehefrau anruft!“
„Versuch’s doch mal mit Sarkasmus“, entgegnete sie heftig. „Freundlichkeit passt nicht zu dir!“
Sie seufzten gleichzeitig und begriffen im selben Moment, dass sich nichts geändert hatte: Sie gingen immer noch wie Hund und Katze aufeinander los.
„Schön, wie kann ich dir helfen?“, fragte Sandro deutlich freundlicher.
Auch Joanna lenkte ein. „Ich fürchte, wenn du heute keine Zeit hast, dich mit mir zu treffen, dann habe ich wirklich deine kostbare Zeit verschwendet.“
„Fünf Uhr. Im Haus“, sagte er nach kurzem Überlegen.
„Nein!“, protestierte sie sofort. „Nicht dort!“ Sie presste die Lippen zusammen, denn ihr war klar, wie Sandro ihre entsetzte Reaktion aufnehmen musste.
„Schön, dann hier“, antwortete er eisig. „In einer Stunde. Und sei ja pünktlich. Mein Terminkalender ist voll, und ich muss dich zwischen zwei wichtigen Besprechungen einschieben.“
„In Ordnung“, willigte Joanna ein, wobei sie sich fragte, ob es wohl besser war, sich mit ihm in seinem Büro zu treffen anstatt in dem Haus, in dem sie zusammen gelebt hatten. Sie wusste es nicht, denn sie hatte ihn noch nie an seinem Arbeitsplatz besucht. „Was mache ich, wenn ich dort ankomme?“, fragte sie unsicher. „Ich meine … muss ich mich bei jemand anmelden? Ich würde nur ungern …“
„Dein Versteckspiel aufgeben?“, fiel Sandro ihr spöttisch ins Wort. „Oder widerstrebt es dir, zuzugeben, dass du mit mir verheiratet bist?“
„Sandro“, flüsterte sie heiser. „Begreifst du denn nicht, wie schwer mir das alles fällt?“
„Und wie schwer, glaubst du, fällt es mir?“, entgegnete er schroff. „Du bist vor zwei Jahren aus meinem Leben verschwunden und hast seitdem dein hübsches Gesicht nicht einmal auch nur in meiner Nähe blicken lassen!“
„Das wolltest du doch so“, erinnerte sie ihn. „Als ich dich verlassen habe, hast du gesagt …“
„Ich weiß, was ich gesagt habe!“, unterbrach er sie und seufzte dann tief. „Komm einfach nur her, Joanna“, fügte er resigniert hinzu. „Nach allem, was passiert ist, überleg es dir nicht wieder in letzter Minute, und setz mich drauf, oder ich werde … ach, verdammt!“
Ein Klicken in der Leitung verriet Joanna, dass Sandro aufgelegt hatte. Sie fühlte sich plötzlich leer und erschöpft, ihrer letzten Kräfte beraubt. So war es ihr immer nach einer Auseinandersetzung mit Sandro ergangen. Matt lehnte sie sich gegen die Wand der Telefonzelle und fragte sich, warum sie sich das alles überhaupt zugemutet hatte.
Als Antwort tauchte vor ihr das Bild von Arthur Bates auf, wie er an seinem unaufgeräumten Schreibtisch saß und ihr sein Ultimatum eröffnete.
„Bezahlt wird mit Geld oder mit Gegenleistungen, Joanna“, hatte er ihr in seinem schmierigen Ton erklärt. „Sie kennen die Regeln hier.“
Bezahlung mit Geld oder mit Gegenleistungen. Allein bei den Worten war ihr übel geworden. „Wie lange werde ich zahlen müssen?“, hatte sie gefragt und es vorgezogen, die zweite Möglichkeit einfach zu ignorieren.
Bates jedoch ignorierte sie keinesfalls. Zu lange hatte er gewartet, Joanna an diesen Punkt der Verzweiflung zu bringen, und er war entschlossen, jeden Moment davon auszukosten. Gemächlich lehnte er sich in seinem Lesersessel zurück, schob einen dicken, beringten Finger zwischen zwei Knöpfe seines zu engen Hemds und ließ den Blick lüstern über Joannas zierliche Figur schweifen, die von der kleinen weißen Kellnerjacke und dem engen schwarzen Satinrock, den sie zur Arbeit tragen musste, reizvoll betont wurde.
„Jetzt wäre es mir lieb“, schlug er anzüglich vor. „Jetzt wäre es mir sogar sehr lieb …“
Joanna erstarrte. „Ich spreche von dem Geld. Wie lange?“
„Schulden sind Schulden, Schätzchen. Und Sie sind schon zwei Wochen mit den Raten im Rückstand.“
„Weil ich wegen der Grippe nicht arbeiten konnte. Aber jetzt arbeite ich wieder und kann Sie bezahlen, sobald …“
„Sie kennen die Regeln“, unterbrach er sie. „Bezahlt wird pünktlich, oder ich muss Maßnahmen ergreifen. Ich habe diese Regeln nicht zum Spaß aufgestellt. Ihr kommt zu mir, damit ich euch aus euren finanziellen Schwierigkeiten helfe, und ich sage ja, in Ordnung, Leute, der gute alte Arthur leiht euch das Geld, solange ihr begreift, dass ich es mir nicht gefallen lasse, wenn ihr nicht pünktlich zurückzahlt. Es ist zu eurem eigenen Besten. Wenn ich zuließe, dass ihr in Rückstand geraten würdet, würdet ihr euch nur immer noch tiefer hereinreißen.“
Was bedeutete, man würde noch mehr Geld von ihm leihen müssen, um die ungeheuer hohen Raten auf seine Wucherkredite zahlen zu können, und dadurch immer tiefer in seine Schuld geraten. Ein gerissener Schachzug, der ihn, den Kredithai, stets am längeren Hebel sitzen ließ.
Bei Joanna lag die Sache jedoch etwas anders, das hatte sie von Anfang an gewusst. Arthur Bates wollte von ihr kein Geld, sondern ihren Körper, und indem sie mit ihren Raten in Verzug geraten war, hatte sie ihm direkt in die Hände gespielt. Da sie zudem auch noch für ihn arbeitete, hatte er diesen Bereich ihres Lebens unter Kontrolle und wusste genau, wie viel sie verdiente. Sie bediente an den Tischen und hinter der Bar seines zwielichten Nachtclubs, wo sie auch die Schulden gemacht hatte, als sie dummerweise an den Spieltischen gespielt hatte.
Mit anderen Worten, Arthur Bates war überzeugt, Joannas Leben gänzlich unter Kontrolle zu haben. Allerdings wusste er nichts von ihrer Ehe, von ihrer Verbindung zu den reichen und einflussreichen Bonettis. Er ahnte nicht, dass es für sie einen Weg aus diesem furchtbaren Schlamassel gab – sofern sie den Willen aufbrachte, diesen Weg zu gehen.
Dieser Wille war in ihr aufgekeimt, als sie vor Arthur Bates gestanden und sein lüsterner Blick ihr eine Gänsehaut über den Rücken gejagt hatte. Aber ihr war auch klar gewesen, dass sie zunächst einmal Zeit brauchte. So hatte sie sich zum Schein geschlagen gegeben, den Blick gesenkt und gefragt: „Also gut. Wann?“
„Sie sind für heute Abend fertig. Wir könnten in fünfzehn Minuten in meiner Wohnung sein.“
„Nein, heute geht es nicht“, hatte sie gespielt verlegen geantwortet. „Eine Frauensache, wenn Sie verstehen …“, hatte sie in der Hoffnung hinzugefügt, dass er sie nicht zwingen würde, sich genauer zu erklären.
Sein ärgerlicher Blick hatte ihr verraten, dass er verstanden hatte. „Frauen!“ Dann hatte er sie argwöhnisch angesehen. „Es könnte natürlich auch eine Lüge, eine reine Verzögerungstaktik sein, he?“
Joanna hatte aufgeblickt und ihm trotzig standgehalten. „Ich lüge nicht!“
„Schön, wie lange noch?“
„Drei Tage.“ Das würde ihr genügend Zeit geben und war nicht zu lange, um Bates’ Misstrauen nicht weiter zu schüren.
„Dann also Freitag“, hatte er zugestimmt.
Mit hoch erhobenem Kopf hatte Joanna sein Büro verlassen, aber draußen hatte sie alle Kraft verloren und sich matt gegen die Wand gelehnt.
Jetzt, nach dem Gespräch mit Sandro fühlte Joanna sich ähnlich, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Es hatte sie mit Ekel und Abscheu erfüllt, was Arthur Bates ihr antun wollte, wohingegen es sie mit hilfloser Verzweiflung erfüllte, was Sandro ihr antun konnte.
Seufzend verließ sie die Telefonzelle, schlug den Kragen ihrer dicken Lederjacke hoch und ging die wenigen hundert Meter zu ihrer Wohnung. Dunkle Regenwolken drohten, und es wehte ein eisiger Märzwind.
In ihrer kleinen Wohnung wurde Joanna von einer Leere und Stille empfangen, an die sie sich immer noch nicht gewöhnt hatte. Einen Moment blieb sie reglos stehen, dann zog sie langsam die Jacke aus. Sandro hatte ihr nur eine Stunde Zeit gegeben. Doch anstatt sich zu beeilen, ging sie zu dem altmodischen Sideboard und blickte unverwandt auf eine der Schubladen.
Ein schmerzlicher Ausdruck huschte über ihr Gesicht. Sie atmete tief ein und zog die Schublade auf. Als hätte sie die Büchse der Pandora geöffnet, wurden augenblicklich all die Erinnerungen freigesetzt – entflohen, umkreisten sie, quälten sie.
Joanna musste all ihre Kraft aufbieten, um in die Schublade zu langen und das herauszuholen, was sie suchte. Mit zittriger Hand hielt sie das kleine Schmuckkästchen, das in zierlichen Goldbuchstaben den Namen eines der berühmtesten Juweliere der Welt trug – Hinweis darauf, dass sein Inhalt sehr wertvoll sein musste.
Doch Joanna bedeutete dieser Inhalt mehr als nur sein Geldwert, so viel mehr, dass sie die letzten zwei Jahre lang nicht einmal gewagt hatte, das Kästchen zu öffnen. Seit jenem trostlosen, unglücklichen Tag, als ihr entsetzt aufgefallen war, dass sie immer noch ihren Verlobungsring und ihren Ehering trug, obwohl sie doch aus ihrer Ehe geflohen war. Damals hatte sie das Kästchen hervorgekramt und die Ringe darin in die Schublade gelegt mit dem festen Vorsatz, sie eines Tages Sandro zurückzuschicken. Nur hatte sie es nie über sich gebracht, denn jedes Mal, wenn sie auch nur an Sandro gedacht hatte, war die alte Panik wieder hervorgetreten und hatte gedroht, sie innerlich zu zerreißen.
Dieselbe Panik, die sie vor wenigen Minuten in der Telefonzelle übermannt hatte und die sie jetzt wieder überwältigte, als sie mit dem kleinen Schmuckkästchen in der Hand dastand. Entschlossen öffnete sie nun das Kästchen und zwang sich, die Ringe zu anzusehen.
Eingebettet in purpurrotem Satin, steckten dort ein schmaler Goldreif und ein exquisiter, in Platin gefasster Diamant, dessen schlichte Schönheit von ausgesuchtem Geschmack zeugte. Joanna betrachtete ihn mit Tränen in den Augen.
„Ich liebe dich“, hatte Sandro gesagt, als er ihr den Verlobungsring an den Finger gesteckt hatte. So einfach war es, so schlicht und so außergewöhnlich. Genauso einfach, schlicht und außergewöhnlich wie dieser Ring, der Sandro trotz seiner Schlichtheit ein Vermögen gekostet haben musste.